Qualifi zierte Vorbereitung Ehrenamtlicher in der Sterbebegleitung - Rahmenempfehlung für Kursleitungen - DHPV
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Deutscher Hospiz- und PalliativVerband e. V. Qualifizierte Vorbereitung Ehrenamtlicher in der Sterbebegleitung Rahmenempfehlung für Kursleitungen Eine Handreichung des DHPV Rahmenempfehlungen zur qualifizierten Vorbereitung www.dhpv.de
Inhalt Vorwort ..................................................... 3 Auswahlprozess der Teilnehmenden .... 29 Motivation der Teilnehmenden ..................29 Einleitung ................................................ 4 Gewinnung von Teilnehmenden ............... 29 Kriterien für die Kursteilnahme ..................30 Eine wissenschaftliche Teilnahmebedingungen ............................ 32 Standortbestimmung ............................. 6 Evaluation .............................................. 34 Hospizliche Haltung ............................. 11 Grundlagen der hospizlichen Haltung ..... 11 Zertifikat ................................................ 36 Die Haltung der Kursleitung .................... 14 Muster für ein Zertifikat ............................ 37 Strukturelemente eines Schlussbemerkung................................. 38 Vorbereitungskurses ............................. 16 Inhalte und Lernfelder .............................. 16 Autor*innen ............................................ 39 Zeitliche Struktur und Einheiten ................ 19 Einstiegsmodul Basiswissen ................... 20 Quellen ................................................... 40 Praktikum im Vorbereitungskurs .............. 21 Junges Ehrenamt ................................... 22 Anhang: Anerkennung von Qualifikationen ............ 22 Leitfragen für Auswahlgespräche ......... 42 Interkulturalität ........................................ 23 Vertiefendes Wissen ................................ 24 Kursbegleitung ........................................ 24 Didaktik und Methoden .......................... 25 Herausgeber Deutscher Hospiz- und Erscheinungsjahr: 2021 PalliativVerband e. V. (DHPV) 1. Auflage 2
Rahmenempfehlung zur qualifizierten Vorbereitung Vorwort Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, Das hospizliche Ehrenamt sieht sich heute mit neuen gesellschaftlichen Herausforderun- die Vorbereitung von interessierten Menschen gen und veränderten Rahmenbedingungen auf die ehrenamtliche Mitarbeit in der Hospiz konfrontiert. Im Sommer 2019 veröffentlichte arbeit ist seit Beginn der Hospizbewegung, der DHPV hierzu die Studie „Ehrenamtlichkeit also seit über 30 Jahren, eine der Kernkom- und bürgerschaftliches Engagement in der petenzen der ambulanten Hospizdienste und Hospizarbeit – Merkmale, Entwicklungen und der stationären Hospize. Dabei sind verschie- Zukunftsperspektiven“. Die Ergebnisse, die dene Kursformen, unterschiedliche Curricula für die Konzeption eines Vorbereitungskurses und eine Vielzahl von einzelnen Kurseinheiten relevant sind, stellen wir in einem eigenen Ka- entstanden. pitel dar, zudem finden sie sich in Überlegun- gen zu Themen wie Interkulturalität und jun- Das Ziel der vorliegenden Rahmenempfeh- ges Ehrenamt wieder. Und auch den digitalen lung ist eine Verständigung auf Mindeststan- Angeboten widmet sich die Rahmenempfeh- dards unter Beibehaltung der Vielfalt, die sich lung – vor dem Hintergrund der Digitalisierung in den verschiedenen Regionen und Diens- und verstärkt durch die Erfahrungen mit der ten etabliert hat bzw. zum Einsatz kommt. COVID-19-Pandemie und ihren Folgen. Die- Sie soll keineswegs bewährte überregiona- se Rahmenempfehlung ist aus der Zusam- le, regionale oder individuelle Curricula und menarbeit verschiedener Fachgruppen des Kurspläne ersetzen, sondern ein Werkzeug DHPV sowie der intensiven Diskussion in einer dafür sein, den eigenen Vorbereitungskurs kri- Steuerungsgruppe unter Einbeziehung von tisch daraufhin zu überprüfen, ob er den hier Vorstandsmitgliedern sowie der Geschäfts- vom Deutschen Hospiz- und PalliativVerband stelle des DHPV entstanden. Ich danke allen (DHPV) formulierten Standards entspricht Beteiligten für ihr Engagement und dem inten- oder ob er an der einen oder anderen Stelle siven Meinungsaustausch. Die Entwicklung angeglichen werden muss. Damit wollen wir einer solchen Empfehlung ist ein offener Vor- die Entwicklung und Sicherung von Qualität gang, der nicht abgeschlossen ist. In diesem in der Vorbereitung von Ehrenamtlichen un- Sinne freuen wir uns über Rückmeldungen terstützen. Unsere Mindeststandards sollen an die Geschäftsstelle des Deutschen Hos- dazu beitragen, dass Ehrenamtliche, die in ei- piz-und PalliativVerbandes unter nen anderen Dienst wechseln, im Sinne eines info@dhpv.de. gemeinsamen Verständnisses von Hospizar- beit auf ihr Ehrenamt vorbereitet sind. Ihr Prof. Winfried Hardinghaus Vorsitzender des DHPV 3
Einleitung Ein Vorbereitungskurs ist eine besondere Bil- Vorbereitungskursen greifen individuelle und dungsveranstaltung, in der es vor allem darum Gruppenprozesse ineinander. Die Auseinan- geht, gemeinsam eine hospizliche Haltung zu dersetzung mit dem eigenen Lebensweg und entwickeln. Dabei bewegen wir uns als „Hos- Gewordensein findet in Selbstreflexion und im pizler*innen“ in einem Spannungsfeld: Eigent- Dialog mit anderen Menschen (in Bezug auf lich gehen wir von der Annahme aus, dass die die Lebenswege anderer Menschen) statt. Begleitung von schwerkranken und sterben- den Menschen eine menschliche Fähigkeit ist, Ziel unserer Rahmenempfehlung ist es, für die wir alle besitzen. Gleichzeitig behandeln diejenigen in der Hospizarbeit, die die Durch- wir im Vorbereitungskurs aber auch die Frage, führung von Vorbereitungskursen verantwor- was das Wesen einer hospizlichen Begleitung ten, ein Konzept sowie einen Rahmen an- ist und wie diese Haltung in Verhalten umge- zubieten, der sie dabei unterstützt, die vom setzt werden kann. Die Vorbereitungskurse DHPV vertretenen Grundeinstellungen in kon- könnten darüber hinaus als „Seelenarbeit“ kretes professionelles Gestalten bei der qua- beschrieben werden, da wir uns im Wesent- lifizierten Vorbereitung Ehrenamtlicher in der lichen mit existenziellen Fragen beschäftigen. Sterbebegleitung zu übertragen. Unsere Erfahrung hat uns gelehrt, dass dieje- nigen, die sich für Hospizarbeit interessieren, Die Vorbereitung von neuen ehrenamtlichen für sich selbst Antworten auf Lebensfragen Mitarbeiter*innen gehört zur Grundkompe- suchen: Wo komme ich her, wo gehe ich hin, tenz von ambulanten Hospizdiensten, unab- gibt es so etwas wie eine Seele, gibt es Gott, hängig von der Frage, ob sie von ehren- oder was ist der Sinn des Lebens, wo liegen meine hauptamtlichen Koordinationskräften geleitet Kraftquellen und Ähnliches mehr. Es geht aber werden, die nach § 39a (2) SGB V von den auch um eine Erweiterung des Wissens rund Krankenkassen finanziell gefördert sind. um die Themen Sterben, Tod und Trauer. In der Bundesrahmenvereinbarung zu Förder- Deshalb bezeichnen wir diese Kurse nicht voraussetzungen, Inhalt, Qualität und Umfang als Schulung, Ausbildung oder Befähigung, der ambulanten Hospizarbeit1) stehen weni- sondern als qualifizierte Vorbereitung. In den ge Sätze zu den Vorbereitungskursen. In der 1) Rahmenvereinbarung nach § 39a Abs. 2 Satz 8 SGB V zu den Voraussetzungen der Förderung sowie zu Inhalt, Qualität und Umfang der ambulanten Hospizarbeit vom 03.09.2002, i. d. F. vom 14.03.2016 (hier und im Folgen- den „Bundesrahmenvereinbarung“ genannt). 2) Rahmenvereinbarung nach § 39a Abs. 1 Satz 4 SGB V über Art und Umfang sowie Sicherung der Qualität der 4 stationären Hospizversorgung vom 13.03.1998, i. d. F. vom 31.03.2017.
Rahmenempfehlung zur qualifizierten Vorbereitung Rahmenvereinbarung für stationäre Hospize2) Kernprozess der Vorbereitung für zukünftige ist zu dieser Thematik noch weniger ausge- ehrenamtliche Mitarbeiter*innen. Weiterhin sagt: In § 5 (7) heißt es dort lediglich: „Das sta- beschäftigen wir uns mit grundsätzlichen The- tionäre Hospiz setzt Ehrenamtliche entspre- men, Strukturelementen und Kursinhalten von chend ihrer nachgewiesenen Befähigung ein Vorbereitungskursen und formulieren dafür und sorgt für deren regelmäßige Begleitung.“ Mindeststandards. Hierin unterscheidet sich Für den ambulanten Bereich wird in § 3 (5) der ein Vorbereitungskurs für das Ehrenamt von Bundesrahmenvereinbarung festgelegt, dass einer Schulung oder einem Programm in der „Ehrenamtliche, die in der ambulanten Hospi- beruflichen Ausbildung. Denn im beruflichen zarbeit arbeiten möchten, […] vor Antritt ihrer Qualifizierungsprozess erworbene Sach- und Tätigkeit eine Erstqualifizierung (Befähigungs- Handlungskompetenzen werden abgeprüft kurs) abgeschlossen haben [müssen]. In der und befähigen in der Regel zu Berufsausübun- Kinderhospizarbeit ist darauf zu achten, dass gen. Dieser Aspekt hat auch Einfluss auf den diese die besonderen Inhalte und Anforderun- Auswahlprozess der Kursteilnehmer*innen, gen der Kinderhospizarbeit berücksichtigt.“ welcher konkret unter den Gesichtspunkten Nach § 2 (3) obliegt der Fachkraft (Koordina- Motivation und Gewinnung sowie Teilnahme- tion) die „Gewährleistung der Schulung/Quali- kriterien und -bedingungen beleuchtet wird. fizierung der Ehrenamtlichen“. Die Wichtigkeit der Vorbereitung der Ehrenamtlichen zeigt In der gesamten Rahmenempfehlung nehmen sich jedoch in der Formulierung der „quali- wir immer wieder Bezug auf frühere Publika- fizierten ehrenamtlichen Sterbebegleitung“ tionen des DHPV, wie die Handreichung der (z. B. in § 1 (2)), die sich durch die ganze Bun- Fachgruppe Ehrenamt „Qualifizierte Vorbe- desrahmenvereinbarung zieht. reitung ehrenamtlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Hospizarbeit“ (2017) und die Schwerpunkt der Vorbereitungskurse ist die Arbeitshilfe der Fachgruppe Ambulante Hos- Entwicklung einer hospizlichen Haltung. Dies pizarbeit „Qualitätsprozesse in ambulanten findet sich auch als zentrales Element in die- Hospiz- und Palliativdiensten“ (2017).3) ser Rahmenempfehlung wieder. Im Kapitel „Hospizliche Haltung“ beschreiben wir diesen 3) DHPV e. V.: Qualifizierte Vorbereitung ehrenamtlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Hospizarbeit. Eine Handreichung des DHPV. Berlin, 2017; DHPV e. V.: Qualitätsprozesse in ambulanten Hospiz- und Palliativdiens- ten. Arbeitshilfe des DHPV. Berlin, 2017. 5
Eine wissenschaftliche Standortbestimmung An dieser Stelle lohnt sich ein kurzer Blick Der Teilbereich der Studie „Die Kunst der auf die aktuelle wissenschaftliche Standort- Begleitung“ beschreibt prägnant die Beson- bestimmung und Zukunftsperspektive des derheiten und Kompetenzen dieses Ehren- Ehrenamtes in der Hospizbewegung, um amtes: „In der Konfrontation mit der letzten daran Orientierungspunkte und Tendenzen Lebenskrise kann jenes Einfühlungsvermögen für qualifizierte Vorbereitungskurse auszuma- aufblühen, dessen Fehlen im Zentrum der chen. Zugrunde liegt hier vor allem die DHPV- Gesellschaft beklagt wird. Die größte Stärke Verbundstudie mit Ergänzungen aus anderen vieler Ehrenamtlicher ist, dass sie offen sind wissenschaftlichen Erhebungen und Aussa- für das, was offen ist: Die Beziehung zu den gen zur nachhaltigen Qualifizierung Ehrenamt- Angehörigen, die Frage nach Hoffnung, die licher in der Hospizbewegung. Frage, ob etwas über den Tod hinausweist, das Gespräch über Ängste, Wünsche, Sehn- Im Sommer 2019 veröffentlichte der DHPV süchte. Sie sind damit in gewisser Weise die Ergebnisse seiner bundesweiten For- die Zuständigen für das Unbestimmte und schungsstudie „Ehrenamtlichkeit und bürger- Unvorhersehbare und die Wächterinnen der schaftliches Engagement in der Hospizarbeit Einfühlsamkeit am Rande des Lebens.“5) Eh- – Merkmale, Entwicklungen und Zukunfts- renamtliche auf diese Offenheit vorzuberei- perspektiven“.4) Diese bildet eine wichtige ten, ist eine vielschichtige Aufgabe und eine wissenschaftliche Grundlage für die Weiter- Verantwortung mit einem ganzheitlichen Bil- entwicklung und Ausdifferenzierung des En- dungsanspruch. Die Entwicklung einer Hal- gagements in der Bevölkerung für sterbende tung wird hier zur Sprache gebracht und als Menschen und stärkt gleichzeitig die Hospiz- elementare Eigenschaft dieses Ehrenamtes vereine als Organisationsform für Ehrenamt- belegt. „Die Herausforderung, denen sich die lichkeit. Angeführt werden an dieser Stelle nur Ehrenamtlichen in der praktischen Arbeit ge- Ergebnisse, die für die Konzeption eines Vor- genübergestellt sehen, sind aber oft als un- bereitungskurses relevant sind. vorhergesehen gekennzeichnet, wo sie auf ihre eigene Intuition verwiesen sind und nicht 4) Eine umfassende Auswertung der Verbundstudie erschien 2019: Klie, Thomas; Schneider, Werner; Moeller-Bru- ker, Christine; Greißl, Kristina: Ehrenamtliche Hospizarbeit in der Mitte der Gesellschaft? Empirische Befunde zum zivilgesellschaftlichen Engagement in der Begleitung Sterbender. Esslingen: der hospiz verlag, 2019. Teilergeb- nisse wurden bereits im Sommer 2018 veröffentlicht: Schuchter, Patrick; Fink, Michaela; Gronemeyer, Reimer; Heller, Andreas: Die Kunst der Begleitung: Was die Gesellschaft von der ehrenamtlichen Hospizarbeit wissen sollte. Esslingen: der hospiz verlag, 2018. 5) DHPV e. V.: Ergebnispräsentation: Ehrenamtlichkeit und bürgerschaftliches Engagement in der Hospizarbeit 6 (EbEH) – Merkmale, Entwicklungen und Zukunftsperspektiven. Berlin, 2018, S. 2.
Rahmenempfehlung zur qualifizierten Vorbereitung auf die ihnen vermittelten Wissensbestände renten Erfahrungen spielt bereits im Vorberei- zurückgreifen können.“6) tungskurs eine relevante Rolle. Nach Begemann und Seidel entwickelt sich Ein Aspekt, der hier ebenfalls mitwirkt, ist die diese Intuition bzw. Haltung aus einer gleich- Stiftung von Identität und Gemeinschaft: Ein berechtigten Zusammenführung aus Fachwis- wichtiges Motiv für die Ausübung eines Eh- sen, biografischer Selbstreflexion, praktischen renamtes, das zeigen Studien wie der Freiwilli- Übungen und Selbsterfahrungseinheiten. Die gensurvey, ist das Erleben einer Gemeinschaft Auseinandersetzung mit Sinn- und Lebens- und das Zusammenkommen mit anderen fragen bietet Orientierung und Sicherheit, um Menschen.10) „Der/die typische ‚Hospizler/in‘ Einstellungen zu reflektieren und sich der Kon- wird durch die Kultur und Praxis in der Hos- frontation mit anderen zu stellen.7) pizbewegung im Sinne einer eigenen Verge- meinschaftung geformt, wobei die hochindi- Die Gruppe ist dabei eine angemessene und vidualisierte Hilfegestaltung und die vielfach kooperative Form des Lernens. „Die Gruppe persönlich geprägten Motive, die den Zugang ist die Form, in der Menschen sich öffnen, ihre zur Hospizarbeit öffnen, auf diese Weise zu- Lebenserfahrungen und Leiden zeigen und mindest teilweise aufgefangen und in eine miteinander in den Dialog, in Rollenspielen, in neue Zugehörigkeit zur Hospizgruppe trans- einer geschützten Atmosphäre von- und mit- formiert werden. Hier liegen wichtige Funktio- einander lernen.“8) nen der ambulanten Hospizgruppen mit dem Ziel der Sicherung von gemeinsamer Identität Jede*r Einzelne profitiert von der Weitergabe […].“11) Die Qualifizierung von Ehrenamtli- und dem Austausch über das reichhaltige chen, z. B. in Form von Vorbereitungskursen, Erfahrungswissen der Hospizbewegung, wel- bildet dabei einen Baustein und kann damit ches erlebbar gemacht und weitergegeben die Besonderheit dieses Ehrenamtes stärken, werden sollte.9) Die Reflexion der hochdiffe- weiterentwickeln und Menschen, die interes- 6) Klie et al.: Ehrenamtliche Hospizarbeit, 2019, S. 260. 7) Vgl. Begemann, Verena; Seidel, Sabine: Nachhaltige Qualifizierung des Ehrenamtes in der ambulanten Hospi- zarbeit und Palliativversorgung in Niedersachsen. Ludwigsburg: der hospiz verlag, 2015, S. 73. 8) Ebd., S. 72. 9) Vgl. Klie et al.: Ehrenamtliche Hospizarbeit, 2019 sowie DHPV: Ergebnispräsentation (EbEH), 2018. 10) Vgl. Simonson, Julia; Vogel, Claudia; Tesch-Römer, Clemens; BMFSFJ (Hrsg.): Freiwilliges Engagement in Deutschland: Zusammenfassung zentraler Ergebnisse des Vierten Deutschen Freiwilligen-surveys. Berlin: Bun- desministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2016, S. 37. 11) Klie et al.: Ehrenamtliche Hospizarbeit, 2019, S. 284 7
siert sind, aber noch keinen Zugang gefunden in existenziellen Lebenskrisen von schwe- haben, motivieren und gewinnen. „17 % der rer Krankheit und Sterben sucht. Um diesen Befragten [aus der Bevölkerungsbefragung] Wandel, diese Öffnung weiter voranzubringen, können sich grundsätzlich vorstellen, ehren- muss sich auch die Qualifizierung Ehrenamt- amtlich in der Sterbebegleitung tätig zu sein; licher damit auseinandersetzen und reagie- 1 % ist bereits in diesem Bereich ehrenamtlich ren. Dabei geht es allerdings weniger um die engagiert.“12) Inhalte und Strukturen eines Vorbereitungskur- ses, sondern eher um eine breitere Öffentlich- Die DHPV-Verbundstudie weist ebenfalls auf keitsarbeit und die Ansprache anderer, neuer Veränderungen im Ehrenamt hin, das der- Zielgruppen sowie die Öffnung der Tätigkeiten zeit einem Strukturwandel unterliegt. Es wird und Möglichkeiten des Engagements. deutlich, dass sich die Hospizarbeit und Pal- liativversorgung mit gesellschaftlichen Verän- Der Kontakt zu diversen Zielgruppen setzt bei derungen und Herausforderungen, aber auch der Frage an: „Was würde Menschen motivie- mit veränderten Rahmenbedingungen aus ren, um in diesem ehrenamtlichen Bereich tä- einandersetzen sollte, will sie ihre Funktion be- tig zu werden?“ Die Studie des DHPV gibt vie- wahren. Die Landschaft der ambulanten Hos- le Informationen über die Motivation derer, die pizdienste in Deutschland ist im Wesentlichen bereits in der Hospizbewegung tätig sind. Die als mittelschichtsbasierte Organisationspraxis Wahl des Ehrenamtes geschieht nicht zufäl- charakterisiert, die (immer noch) überwie- lig, sondern ist eine bewusste Entscheidung, gend von Frauen in der späten Erwerbs- bzw. die nach Thema, Tätigkeit, Gemeinschafts- Nacherwerbsphase getragen wird. Als Reak- erleben, Wirksamkeit und Weiterentwicklung tion darauf ist ein Wandel im Ehrenamt not- getroffen wird. Zusätzlich werden Aspekte wie wendig – hin zu mehr Heterogenität, Vielfalt Freude, anderen Menschen helfen, Erweite- und Flexibilität, um dadurch verschiedene rung der eigenen Kenntnisse, Persönlichkeits- Zielgruppen mit unterschiedlichen sozialen entwicklung, Anerkennung, (berufliche) Quali- und kulturellen Hintergründen zu erreichen. fikation und Erlebnis als Motivation benannt. Hospizarbeit versteht sich als offen für jede*n, der/die sich engagieren will, ebenso wie sie Ebenso beeinflussen die gebotenen Rahmen sich als Unterstützungsangebot grundsätz- bedingungen den Entschluss für ein Ehren- lich an jede*n richtet, der Hilfe und Begleitung amt und dessen Verbindlichkeit. Der Gestal- 8 12) Ebd., S. 48.
Rahmenempfehlung zur qualifizierten Vorbereitung tungspielraum in der Teilhabe, die soziale ten als wesentliche Vermittler*innen von Eh- Einbindung, die Vielfältigkeit an Aufgaben und renamt verstärkt in den Fokus rücken, damit die Möglichkeit des Ausprobierens bzw. epi- ein gegenseitiges Verständnis gefördert wird sodischen Engagements (wie in der Projektar- und auf Seite der professionell Beteiligten ein beit) werden von Menschen genau in Augen- praxisnahes und realistisches Bild davon ent- schein genommen und auf ihre biografische steht, was Ehrenamtliche in der Hospizarbeit Passung hin überprüft. beitragen können. „Die Teilstudie legt nahe, dass […] die Kooperation zwischen hospizli- Der Zugang zu einem Ehrenamt ist weiterhin chem Ehrenamt und den professionellen Ak- eher milieugebunden, auch bei jungen Leuten. teur*innen der Medizin und Pflege unverzicht- „Die Entscheidung für ein Engagement von bar ist – im besten Fall im Rahmen regionaler Jugendlichen hängt vielmehr vom sozioöko- Netzwerke.“14) nomischen Status, der Bildungsqualifikation und der Einbindung in soziale Netzwerke, wie Viel Verantwortung liegt hier bei den Hospiz- Familie, Freundeskreis oder eine Religionsge- diensten und Koordinator*innen. Eine Aufga- meinschaft, ab.“13) be der Koordinator*innen lässt sich wie folgt beschreiben: „Sie wählen neue Ehrenamtliche Diese Gesichtspunkte gilt es zu beachten, aus, bearbeiten Anfragen und bestimmen das will man Menschen für dieses Ehrenamt ge- Aufgabenspektrum der Hospizhelfer*innen.“15) winnen. Zudem bedarf es einer lebenswelt- Damit tragen sie eine wichtige Funktion in der orientierten Ansprache: Man muss bewusst Gestaltung des Strukturwandels. So sollen in auf neue Zielgruppen zugehen, sie in ihren den Kursen die Ehrenamtlichen darauf vorbe- Lebenswelten treffen und dort Kontakte auf- reitet werden, die Hospizidee auch dorthin zu bauen. tragen, wo sie bislang noch kaum oder gar nicht vertreten ist. „Denn sie sind nach Ein- Darüber hinaus sollte die Kooperation mit schätzung und Erfahrungen der Ehrenamtli- anderen regionalen Akteur*innen und Diens- chen in den Fokusgruppen die zentralen Mul- 13) Gille, Martina; Pluto, Liane; Santen, Eric van: Motive und Rahmenbedingungen. Anknüpfungspunkte für Engagementförderung. In: Zivilgesellschaft und Junge Engagierte. Zivilgesellschaft KONKRET Nr. 6, 2015, S. 7-13, S. 7. 14) Klie et al.: Ehrenamtliche Hospizarbeit, 2019, S. 267. 15) Ebd., S. 275. 9
tiplikator*innen.“ 16) Grundsätzlich sollte der was die Hospizbewegung ausmacht, wie sie erforderliche Wandel und die Zukunftspers- auf den gesellschaftlichen Wandel reagiert, pektiven der Hospizbewegung im Kurs the- den sie zu einem bedeutenden Teil selbst vor- matisiert und reflektiert werden, um gemein- angetrieben hat, und wie sie versuchen sollte, sam innovative Wege zu gehen. ihn auch weiterhin erfolgreich mitzugestalten. Abschließend lässt sich Folgendes zusam- menfassen: Die DHPV-Studie verdeutlicht, 16) Ebd., S. 278. Mit Fokusgruppen sind hier gesellschaftliche Bereiche gemeint, die sich die Hospizbewegung 10 noch nicht erschlossen hat.
Rahmenempfehlung zur qualifizierten Vorbereitung Hospizliche Haltung Grundlagen der hospizlichen Dame Cicely Saunders, die als Begründe- Haltung rin der modernen Hospizbewegung in den 1960er Jahren gilt, hatte ihre Heimat in eben Die Menschen und die Organisationen der diesen Überzeugungen. Ihr Herzensanliegen Hospizarbeit zeichnen sich durch eine Beson- war es, Menschen in ihrer letzten Lebenszeit derheit aus: Zentrales leitendes Element des bei größtmöglicher Selbstbestimmung und professionellen und des ehrenamtlichen Han- liebevoller Pflege ein Leben in Würde bis zu- delns ist die sog. hospizliche Haltung, welche letzt zu ermöglichen. sich in einem ihr verpflichteten Verhalten zeigt. Philosophische Wurzeln hat die Hospizidee Eine Haltung zu haben bedeutet, aus einer desgleichen in den Grundgedanken von Mar- Grundüberzeugung heraus zu handeln, die tin Bubers „Dialogik der Zwischenmenschlich- die ganze Person umfasst, ihren Körper, ihren keit“ 17). Die Grundannahme über die mensch- Geist und ihre Gefühle. Eine Haltung besteht liche Natur spiegelt sich in der grundlegenden nicht aus einer konkreten Regel, sie ist viel- Haltung wider, dass menschliches Leben bis mehr eine Handlungsdisposition, die sich im zum Ende wertvoll ist und dass Menschen als Laufe des Lebens und Erlebens einer Person, soziale Wesen auch bis zuletzt eingebettet also im individuellen Lebensvollzug, entwi- in soziale Beziehungen sein sollen. Mühlum ckelt. fasst dies in Anlehnung an Napiwotzky und Student 18) zusammen: In der Geschichte der Hospizbewegung las- sen sich dafür verschiedene Grundlagen fin- „Hospizliche Haltung drückt sich im Respekt den. Zum einen ist die christliche Tradition der vor der Würde und Selbstbestimmung des Hospize als Herberge für Pilger und Reisen- schwer kranken und sterbenden Menschen de, Arme und Kranke zu nennen. „Hospitium“ aus, nimmt seine Anliegen ernst, behält eine (lat.) bedeutet übersetzt Gastfreundschaft und ganzheitliche Sicht im Sterbeprozess bei, lässt verweist dabei sowohl auf deren menschliche den Sterbenden nicht allein und unterstützt als auch spirituelle Dimension. Angehörige und Freunde, von denen der Ster- 17) Höver, Gerhard: Auf ein Versprechen vertrauen – zur Grundlegung hospizlicher Haltung. In: Die Hospiz-Zeit- schrift Nr. 53 (03/2012), S. 12-16, S. 12. 18) Napiwotzky, Annedore; Student, Johann-Christoph (Hrsg.): Was braucht der Mensch am Lebensende? Ethi- sches Handeln und medizinische Machbarkeit. Stuttgart: Kreuz, 2007. 11
bende Nähe und Geborgenheit erwartet“.19) Eine hospizliche Haltung ist aus der Sicht Diese Haltung in angemessenes Verhalten zu des DHPV für die Sterbebegleitung „übersetzen“, wird durch Zuhilfenahme von unabdingbar. Zu ihr gehören: (Beratungs-)Konzepten und Methoden nach Carl Rogers sowie Ruth Cohn unterstützt. Liebe zum Menschen im Sinne der Nächs- tenliebe mit Einfühlungsvermögen und Em- In der empirischen Untersuchung von Bege- pathie mann und Seidel zur Qualifizierung Ehrenamt- licher in der Hospizarbeit werden als Elemen- Sterben als Teil des Lebens anerkennen te einer grundlegenden hospizlichen Haltung (Leben weder verlängern noch verkürzen) benannt: „Empathie, […], Nächstenliebe/ Menschenliebe, Offenheit, Toleranz, Ehrlich- Fähigkeit und Bereitschaft zur Selbstreflexi- keit, Geduld, Wertschätzung, Achtsamkeit on und zur kritischen Auseinandersetzung und Zuverlässigkeit.“ 20) Diese Grundhaltungen mit der eigenen Person: sich selbst öffnen stimmen mit den Bedingungen für hilfreiches können (auch z. B. bei Gruppentreffen und Handeln nicht nur in Beratungsbeziehungen, Supervision) sondern auch in allgemeinen menschlichen Beziehungen überein; sie werden vom ame- Wertschätzung und vorurteilsfreie Zuwen- rikanischen Psychotherapeuten Carl Rogers dung – ergebnisoffene Begleitung mit Auf- als Empathie (einfühlendes, nicht werten- geschlossenheit und Toleranz gegenüber des Verstehen), bedingungsfreie Akzeptanz anderen Meinungen und Denkweisen von und Wertschätzung, sowie Selbstkongruenz Begleiteten, Zugehörigen und Kolleg*innen (Echtheit) benannt. Fähigkeit und Bereitschaft zur Zurückhal- tung: eigene Werte nicht in den Vordergrund stellen, sondern situationsangemessen ver- treten und reflektieren Selbstverständnis als Teil einer Sorgekultur (im Sinne von „Mitglied“) 19) Mühlum, Albert: Hospiz – Palliative Care – Soziale Arbeit. Das Lebensende als finale Herausforderung. In: Ethik- Journal 2 (02/2014), S. 1-19, S. 6. 12 20) Begemann; Seidel: Nachhaltige Qualifizierung, 2015, S. 67.
Rahmenempfehlung zur qualifizierten Vorbereitung Bewusstheit über (eigene) Grenzen von Angestrebt wird, dass die Kursteilnehmer*in- Machbarkeit: eine „gewisse Leidensfähig- nen ihre persönlichen Überzeugungen und keit“ beim Mitaushalten von Nöten des Ge- Einstellungen reflektieren, sie bewusst in Be- genübers (z. B. körperlichen Symptomen ziehung zur dargestellten hospizlichen Hal- von Begleiteten) tung setzen und in einem weiteren Lernschritt üben, ihre Haltung in angemessenes, res- Resilienz, Selbstvertrauen und psychische pektvolles und achtsames Handeln dem be- Belastbarkeit gleiteten Menschen gegenüber umzusetzen. Unter Haltung verstehen wir: Herzensbildung, Geduld, Ausdauer und Kontinuität Selbstreflexion und Wissen. Authentizität Echtheit, die Verlässlichkeit Der Vorbereitungskurs dient auch dazu, ge- herstellen kann meinsam mit der Gruppe der Teilnehmenden und evtl. schon aktiver Gruppenmitglieder des Zuverlässigkeit: Verschwiegenheit gegen- ambulanten Hospizdienstes eine gemeinsa- über Dritten, Termintreue, Einhalten von me Identität (Wir-Gefühl und Identifikation mit Absprachen, Teilnahme an Gruppentreffen den Zielen der Hospizarbeit) zu entwickeln. und Supervision, Fortbildungswille Wenn es um die Entwicklung bzw. die Vertie- fung von Haltungen geht, kommt deshalb der Person der Kursleitung (in Abgrenzung zum Das wichtigste Instrument in der Begleitung rein kognitiven Lernen) eine besondere Be- sind die Begleiter*innen selbst. Darum sind die deutung und Modellfunktion zu. Vermittlung und Entwicklung der hospizlichen Haltung das Kernthema und der rote Faden in einem Vorbereitungskurs für ehrenamtliche Sterbebegleitung. Dabei muss wertgeschätzt und respektiert werden, dass die am Vorberei- tungskurs Teilnehmenden ihre individuelle Le- benserfahrung und Persönlichkeit mitbringen. 13
Die Haltung der Kursleitung dik und Didaktik von Lehrenden deren eige- ne Einstellungen, Werthaltungen und Über- Die beschriebenen Wertvorstellungen in Vor- zeugungen. „Denn Haltung kann nicht durch bereitungskursen zu „transportieren“, stellt bloße Instruktionen gelehrt werden, sondern eine große Herausforderung für Kursleitende die Lehrenden müssen diese verkörpern und dar. Ihr Auftrag ist es, die Teilnehmenden in vorleben“.22) einem Entwicklungsprozess zu begleiten, in dessen Fokus vor allem die Reflexion des Deshalb sollten sich auch folgende Elemente eigenen Menschenbildes und der damit ver- in der Haltung der Kursleitung im hospizlichen bundenen Haltungen steht. Die Kursleitung Rahmen widerspiegeln: muss – neben der Erfahrung in der Leitung von (ehrenamtlichen) Gruppen und im Bil- Kenntnisse und Fertigkeiten analog der dungsbereich sowie der methodischen und Ziele des Vorbereitungskurses didaktischen Kompetenz – Kenntnisse, Fähig- Respekt vor den Kursteilnehmenden und keiten und Fertigkeiten im hospizlichen Feld ihren Anliegen besitzen.21) Dazu gehören u. a. das Wissen Identifizierung mit der Hospizbewegung über die Geschichte der Hospizbewegung, Ressourcenorientierung Hilfen im Sozial- und Gesundheitssystem, Ins- Neugier titutionen (Hospize, Vereinsstruktur) und deren Allparteilichkeit Auswirkung auf ehrenamtliches und professi- Demut onelles Handeln sowie Grundkenntnisse zu Fehlerfreundlichkeit und die Bereitschaft, Kommunikation, Interaktion und Kooperation, sich selbst infrage zu stellen über Krankheitsbilder und kleine Handrei- wertschätzendes Handeln chungen am Krankenbett und menschliche offener Kommunikationsstil (behutsames Systeme. Nachfragen) lebensbejahende Grundhaltung Überzeugend im Lernprozess sind laut den Rückmeldungen der Kursteilnehmenden und Die Haltung der Lehrenden (Koordinator*in- den Erkenntnissen der Forschung zur Metho- nen und Referent*innen) schließt ein, dass die 21) Zur Qualifikation (Anforderungsprofil) der Kursleitung vgl.: DHPV: Qualifizierte Vorbereitung, 2017, S. 10. 22) Haller, Susanne; Kasimirski, Kristina: Lehren in der Tradition von Elisabeth Kübler-Ross. In: Die Hospiz-Zeitschrift 14 Nr. 82 (02/2019), S. 18-22, S. 21.
Rahmenempfehlung zur qualifizierten Vorbereitung bei den Teilnehmenden im Vorbereitungskurs bereits vorhandene Lebenserfahrung und das damit verbundene Wissen wahrgenommen und im Kursverlauf gefördert wird. Insofern ist auch Achtung vor dem, was den Kursleiten- den fremd oder nicht gegenwärtig ist, vonnö- ten. Haltung soll im Vorbereitungskurs gelebt und nicht nur vermittelt werden: Dies ist im Beson- deren die Aufgabe der Kursleitung. 15
Strukturelemente eines Vorbereitungskurses Inhalte und Lernfelder Bedürfnisse erkennen, benennen und darauf angemessen eingehen. Außerdem geht es Wir bauen mit dieser Rahmenempfehlung auf darum, Unterschiedlichkeit wahrzunehmen der DHPV-Broschüre zur qualifizierten Vorbe- und auszuhalten. reitung von Ehrenamtlichen von 2017 auf. Die dort genannten Lernziele und Inhalte sehen Im kommunikativen Lernfeld befassen sich wir als aktuell und verbindlich an.23) die Teilnehmenden damit, wie sie Beziehun- gen in Begleitungen bewusst und reflektiert Vorbereitungskurse sollten sich nach unse- aufbauen, aufrechterhalten und beenden kön- rem Verständnis immer mit den vier folgenden nen. Sie können empathisch, wertschätzend Lernfeldern befassen. und authentisch auf Menschen zugehen und in dieser Begegnung die nötige Balance von Das biografische Lernfeld schafft eine unver- Nähe und Distanz wahrnehmen und erken- zichtbare Voraussetzung für einfühlsames Be- nen. Sie vertiefen ihre Fähigkeit, verbale und gleiten von Menschen mit ihren individuellen nonverbale Kommunikation besser wahrzu- Lebensentwürfen: die Auseinandersetzung mit nehmen, sie zu verstehen und üben sich dar- der persönlichen Lebensgeschichte und den in, Stille auszuhalten. eigenen Erfahrungen von Abschied, Verlust, Sterben, Tod und Trauer Beschäftigung mit Im informativen Lernfeld werden die we- anderen Biografien in der Vorbereitungsgrup- sentlichen Informationen zur Hospizarbeit und pe hilft zu sensibilisieren, die eigenen Erfah- Palliativversorgung in Deutschland sowie zu rungen nicht auf andere zu übertragen. medizinischen und pflegerischen Grundinfor- mationen vermittelt. Dazu gehören das Wissen Das spirituelle Lernfeld trägt dazu bei, dass über die Auswirkungen von unterschiedlichen die zukünftigen Ehrenamtlichen sensibel für Krankheiten im Lebensalltag, Symptomkon- Spiritualität als Dimension menschlichen Le- trolle und Schmerztherapie, Essen und Trin- bens werden. Sie reflektieren dabei Fragen ken am Lebensende sowie Kenntnisse über der eigenen Spiritualität und Glaubensvorstel- Zusammenhänge und Systeme (wie Fami- lungen als Basis ihres Wertesystems und kön- lien und Institutionen), die Sterbeorte sind nen eigene und fremde spirituelle und religiöse (z. B. Krankenhaus und Pflegeeinrichtungen). 16 23) DHPV: Qualifizierte Vorbereitung, 2017, Lernziele (S. 8-9) und Inhalte (S. 11-13).
Rahmenempfehlung zur qualifizierten Vorbereitung Es werden ethische und juristische Aspekte in der Hospizbegleitung (wie Patientenverfü- gung, Vorsorgevollmacht, Sterbewünsche) angesprochen und über andere wichtige As- pekte (wie das Bestattungswesen) informiert. Biografisches Lernfeld Spirituelles Lernfeld Lerninhalte 24): Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie Kontakt und Kommunikation Umgang mit schwerstkranken und sterbenden Menschen sowie mit ihren Nahe- stehenden Trauer Begriff des „Helfens“ Nähe und Distanz Spiritualität und Religiosität Hospizkonzept und Hospizbewegung Tätigkeiten und Vernetzung in Hospiz- und Palliativeinrichtungen Ethische und rechtliche Aspekte am Lebensende Kommunikatives Lernfeld Informatives Lernfeld 24) Vgl. DHPV: Qualifizierte Vorbereitung, 2017, S. 11-13. 17
Die Auseinandersetzung mit der eigenen kus des kommunikativen Lernfeldes können Person und das Lernen aus persönlichen Er- sich Fragen stellen wie: Wie biete ich Hilfe fahrungen sowie das Thema Kommunikation an? Nehme ich Appelle und versteckte „Hil- ziehen sich wie ein roter Faden durch den ge- ferufe“ wahr? Was sind Signale verbaler und samten Vorbereitungskurs. Selbsterfahrung nonverbaler Art? Wie finde ich eine angemes- ist ein wiederkehrender Bestandteil aller Lern sene Sprache, ohne mich aufzudrängen oder inhalte. Darum bilden diese vier Lernfelder zu distanziert zu wirken? Beim informativen eine Basis des Vorbereitungskurses, zu denen Lernfeld kommen Themen zur Sprache wie: die Inhalte immer wieder in Bezug gesetzt Welche Hilfesysteme kenne ich in meiner werden. Sie helfen, die unterschiedlichen Stadt für Schwerstkranke und ihre Zugehöri- Lerninhalte zu bearbeiten und bestimmte Fa- gen? Wohin oder an wen kann ich sie wei- cetten besonders zu fokussieren. tervermitteln? Wen kann/muss ich fragen? Im spirituellen Lernfeld bieten sich Fragen zum Dabei haben die Lernfelder im Hinblick auf Hilfe geben/nehmen an, z. B.: Von welchen die einzelnen Lerninhalte eine unterschiedli- Kräften, Mächten und Ideen fühle ich mich che Gewichtung. Zwei Beispiele verdeutlichen getragen? Was sind meine Überzeugungen diesen Umstand und bieten eine kleine Um- und Gedanken zum Sinn von Krankheit und setzungshilfe. vom Angewiesenen auf andere? Welche Ant- worten habe ich für mich in unterschiedlichen Weltanschauungen (Religion, Philosophie) zu Beispiel 1: diesem Thema gefunden? Lerninhalt „Hilfe geben und Hilfe anneh- men“ Beispiel 2: Durch die Brille des biografischen Lernfeldes Lerninhalt „Patientenverfügung“ beschäftigt sich die/der Kursteilnehmer*in mit Fragen wie: Wo habe ich in meinem Leben Hier spielt das informative Lernfeld eine grö- Hilfe angenommen/annehmen müssen? Was ßere Rolle: Wie grenzen sich Stellvertretung fiel mir leicht, was schwer? Von wem kann (durch Vollmacht oder rechtliche Betreuung) ich Hilfe annehmen? Wie fühle ich mich dabei und Patientenverfügung voneinander ab und (stark, schwach, ausgeliefert). Was mache ich wie hängen sie zusammen? Was sind die lieber: Hilfe geben oder annehmen? Im Fo- rechtlichen Grundlagen, was ist in der Praxis 18
Rahmenempfehlung zur qualifizierten Vorbereitung zu beachten? Dennoch lässt sich auch dieses sind und sich für einen Vorbereitungskurs Thema nicht ohne die Bezüge zu den eigenen anmelden, bringen in der Regel reichhaltige Erfahrungen der Teilnehmenden mit An- oder Lebenserfahrung mit, die unabhängig vom Zugehörigen, egal ob positiv oder negativ, be- Lebensalter zutage tritt. Diese bereits vorhan- sprechen (biografisches Lernfeld). Auch das denen Kompetenzen, also Fähigkeiten und spirituelle Lernfeld ist mit der Frage „Woran Fertigkeiten, sind die Grundvoraussetzung für glaubst Du?“ präsent und zu bearbeiten. Das das angestrebte Kursziel, sich als „Fachleu- kommunikative Lernfeld zeigt sich in der Be- te für das Alltägliche“ 25) weiterzuentwickeln. antwortung der Frage, wie solche Themen in Die sog. ‚selbstreflexive Kompetenz‘, also die den Begleitungen angesprochen werden kön- Fähigkeit, über sich selbst und die eigenen nen. Haltungen vertieft und kritisch nachzuden- ken, ist grundlegendes Ziel der Vorbereitung. Alle Lerninhalte sind also danach anzuschau- Dazu gehört, dass eine Haltung in Handeln en, wie die vier Lernfelder in der Vermittlung überführt werden kann. Menschen benöti- jeweils Gewicht und Bedeutung bekommen gen ebenfalls Sachkenntnis z. B. über Krank- können. heitsverläufe, seelische Nöte, Trauer oder den körperlichen Sterbeprozess etc. Wichtig und Mindestens für die ersten beiden Lernfelder notwendig erscheint uns auch, hilfreiches (das biografische und das spirituelle) ist es Handeln (z. B. Zuhören und Verstehen, Vermit- für jeden einzelnen Teilnehmenden unbedingt teln von Informationen usw.) in der Interaktion notwendig, Vertrauen in der Gruppe zu ent- mit Schwerstkranken und ihren Zugehörigen wickeln. Dies geschieht durch die unmittel- im Vorfeld einzuüben. bare Interaktion. Unserer Meinung nach sind diese Lernfelder sowie die damit verbundene prozessorientierte Form des Lernens nicht Zeitliche Struktur und Einheiten geeignet für neue Lernformen wie Kurs-Mo- dularisierung oder E-Learning. Diese können Für die Vorbereitung zur ehrenamtlichen Ster- jedoch für den Erwerb von Sachwissen im in- bebegleitung werden mindestens 100 Unter formativen Lernfeld angewendet werden. richtseinheiten (UE) à 45 Minuten und ein Praktikum empfohlen. Auf dieser Basis hat Menschen, die an einer ehrenamtlichen Mit- sich eine Dauer der Vorbereitung von 6 bis 12 arbeit in der Hospizbewegung interessiert Monaten als sinnvoll erwiesen.26) 25) Student, Johann-Christoph (Hrsg.): Das Hospiz-Buch. Freiburg im Breisgau: Lambertus, 1989, S. 81-82. 26) Vgl. DHPV: Qualifizierte Vorbereitung, 2017, S. 10. 19
Vorbereitungskurse für ehrenamtliche Sterbe- der gestaltet werden. Darüber hinaus sind begleitung, die optimalerweise in Gruppen zwi- langjährige ehrenamtliche Mitarbeiter*innen, schen 8 bis 16 Teilnehmer*innen stattfinden, die z. B. aus gesundheitlichen Gründen nicht können unterschiedliche Abläufe und Formate mehr im gewohnten Ausmaß für Begleitungen haben. Während das Kurskonzept „Sterben- zur Verfügung stehen, motiviert, den Hospiz- de begleiten lernen“ (das sog. „Celler Modell“) dienst ihren aktuellen Möglichkeiten entspre- mit einem Grundkurs (40 UE) und einem Ver- chend zu unterstützen: So dienen sie als Mul- tiefungskurs (40 UE) mit einer dazwischen- tiplikator*innen der Hospizidee. liegenden Praxisphase (Praktikum und dazu gehörende fallbezogene Praxisbegleitungen) arbeitet, gehen andere Curricula von einem Einstiegsmodul Basiswissen durchlaufenden Kurs mit einer Praxisphase aus. Vorbereitungskurse können in einer Mi- Die bereits angesprochene Pluralität der Tä- schung aus Abendveranstaltungen (2–4 UE), tigkeitsfelder in der Hospizarbeit lässt eine Tagesseminaren (8 UE) und Wochenendsemi- ehrenamtliche Mitwirkung in den unterschied- naren (16–20 UE) durchgeführt werden. lichen Bereichen der Hospizarbeit auch ohne den umfangreichen Vorbereitungskurs zu, Wir empfehlen besonders für die biografi- welcher der qualifizierten Sterbebegleitung schen und spirituellen Lernfelder genügend dient. Innerhalb des Kurses besteht die Mög- Zeit in den einzelnen Unterrichtseinheiten lichkeit das Einstiegsmodul zur Einführung in einzuplanen. Da bei diesen Themen viele per- die Hospizarbeit separat zu besuchen.27) sönliche Themen anklingen können, muss genügend Zeit für Bearbeitung und Reflexion Der erste Teil (12–16 UE) beinhaltet die Ge- bleiben. schichte der Hospizbewegung, die Grundla- gen der hospizlichen Haltung, die Vielfalt der Die bisherige Erfahrung in den Hospizdiensten ehrenamtlichen Hospizarbeit und ihre Ausprä- zeigt, dass eine Teilnahme am qualifizierten gung im jeweiligen ambulanten Hospizdienst, Vorbereitungskurs dazu beitragen kann, dass die Versorgungsmöglichkeiten am Lebensen- Öffentlichkeitsarbeit oder Sponsorensuche de sowie die spezifischen Strukturen der Regi- kompetenter und damit auch überzeugen- on. Er vermittelt als Einstiegsmodul Basiswis- 27) Vgl. Gratz, Margit; Mayer, Gisela; Weidemann, Anke: Schulung ehrenamtlicher Hospizbegleiter. Stuttgart: Verlag 20 W. Kohlhammer, 2015, S. 23-27.
Rahmenempfehlung zur qualifizierten Vorbereitung sen auch für Personen, die nicht den ganzen menzerkrankungen oder Beeinträchtigungen) Vorbereitungskurs besuchen, sich aber in die oder zu speziellen Lebensräumen und -situa- Hospizarbeit einbringen möchten, wie z. B.: tionen (z. B. Migration und Flucht, Wohnungs- als Vorstandsmitglieder im Verein losigkeit oder Strafvollzug).29) Dies können im Büro- oder Telefondienst auch Vertiefungen von Themen aus dem Vor- in der Öffentlichkeitsarbeit (bei der Erstel- bereitungskurs sein (z. B. Basale Stimulation lung und Betreuung einer Website o. Ä.) oder Musik in der Begleitung). Anzudenken im Fundraising sind zudem kooperative Kurse mit Pflegeein- bei weiteren unterstützenden Tätigkeiten richtungen und Krankenhäusern, um gemein- sam voneinander zu lernen und weiter für die Für diese Personengruppen ist es wichtig Hospizkultur zu sensibilisieren. oder zumindest hilfreich, dieses Basiswissen evtl. gemeinsam mit zukünftigen Sterbebe- gleiter*innen zu erlangen, da durch das Erle- Praktikum im Vorbereitungskurs ben der 12 bis 16 Unterrichtseinheiten schon ein gemeinsames Kennenlernen erfolgt und Wir empfehlen aufgrund unserer langjähri- ein gegenseitiges Verständnis für die unter- gen Erfahrung ein Praktikum während des schiedlichen späteren Tätigkeiten wachsen Vorbereitungskurses. Dieses kann zwischen kann. 20 und 40 Unterrichtseinheiten dauern und den Teilnehmenden zusätzliche Erfahrungen, Die weiteren Einheiten sollen 80 bis 90 Un- Einsichten und Wahrnehmungen eröffnen. terrichtseinheiten mit den vier Lernfeldern Wer etwa über keine Erfahrungen mit Men- umfassen. Die Inhalte der qualifizierten Vorbe- schen mit einer Demenz verfügt, kann diese reitung sind in der Handreichung des DHPV an einigen Nachmittagen in einem Pflegeheim beschrieben.28) oder einer Wohngemeinschaft sammeln. Bei Hospitationen bei einem ambulanten Hospiz- Je nach Bedarf können dann weitere Baustei- oder Pflegedienst lernen die Teilnehmenden ne zur fachlichen Ergänzung hinzukommen, unterschiedliche Lebensentwürfe „hautnah“ beispielsweise zur Begleitung bestimmter kennen und erfahren zugleich, wie wichtig es Personengruppen (z. B. Menschen mit De- ist, dabei auf die eigenen Grenzen zu achten. 28) DHPV: Qualifizierte Vorbereitung, 2017, S. 11-13. 29) Vgl. ebd., S. 13. 21
Auch ist die aus eigener Anschauung gewon- erleben und sich auszutauschen, ist generati- nene Erkenntnis, was ambulante Pflege leis- onsübergreifend. Die Wertschätzung und die tet, hilfreich für die späteren Begleitungen. Ein Teilhabe von Ehrenamtlichen mit ganz unter- stationäres Hospiz oder eine Palliativstation schiedlichen Erfahrungshintergründen gilt es bieten die Möglichkeit mitzuerleben, wie die zu stärken. Deshalb müssen wir gemeinsam letzte Lebensphase für die Erkrankten und mit den jüngeren und älteren Ehrenamtlichen ihre Zugehörigen gestaltet werden kann. Die daran arbeiten, wie sich die Begleitungstätig- Praktikumserfahrungen müssen begleitet und keit, aber auch die Vorbereitungszeit an die reflektiert werden. Dies kann in eigenen Ein- jeweilige Lebenssituation anpassen sowie an- heiten oder integriert in das Kursgeschehen ders und ggf. neugestalten lässt. stattfinden.30) Anerkennung von Qualifikationen Junges Ehrenamt Menschen, die zur Hospizarbeit kommen, Die Veränderungen in der Altersstruktur der bringen unterschiedliche Erfahrungen aus ih- Ehrenamtlichen, die nach neueren Erhebun- rem Leben, aus ihrer Berufstätigkeit und aus gen jünger aktiv werden, führen nach unse- Fortbildungen mit. Diese Erfahrungen sind ren Erfahrungen dazu, dass wir uns anderen ein Schatz, den es im Vorbereitungskurs ge- Formen der Didaktik und Methodik öffnen meinsam zu heben gilt. Das bedeutet nicht, müssen. Waren es bis vor einigen Jahren dass wir automatisch solche Erfahrungen als vorwiegend Menschen in der nachelterlichen bereits ‚abgeleistete Module‘ anerkennen. und nachberuflichen Lebensphase, so kön- Gleichzeitig gilt in der Hospizarbeit immer nen wir jetzt feststellen, dass Menschen in der der Grundsatz, dass im Sinne einer respekt- vorberuflichen oder beruflichen Lebensphase vollen Haltung anderen gegenüber individuell sowie in der Familienphase verstärkt Interesse abgestimmte und sinnvolle Lösungswege zu am Ehrenamt in der Hospizarbeit zeigen. Das suchen und gemeinsam zu finden sind. Dies Interesse, den Themenkomplex um Sterben, gilt auch für die Anerkennung anderer Quali- Tod und Trauer in die Gesellschaft hineinzu- fikationen. tragen, sich zu engagieren, Gemeinschaft zu 30) Vgl. Bayer, Bernhard et al.: Sterbende begleiten lernen. Das Celler Modell zur Qualifizierung Ehrenamtlicher für die Hospizarbeit. Neuausgabe, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 2018, S. 89 ff.; Gratz et al.: Schulung 22 ehrenamtlicher Hospizbegleiter, 2015, S. 67 ff.
Rahmenempfehlung zur qualifizierten Vorbereitung Interkulturalität aus unterschiedlichen kulturellen Zusammen- hängen zu erweitern. Interkulturalität 31) ist seit Jahren ein gesell- schaftlich relevantes Thema mit wachsender Fort- und Weiterbildungen sind ein probates Bedeutung. Auch für die Hospizbewegung Mittel, um ein Verständnis von Interkulturalität wird es zunehmend wichtiger. In Deutschland zu entwickeln und in Handlungskompetenz lebt inzwischen ein hoher Anteil an Menschen umzusetzen. So empfehlen wir, im Vorberei- aus verschiedenen Kulturkreisen und mit tungskurs diesen Themenkomplex zu bear- sehr unterschiedlichen religiösen Überzeu- beiten und die Inhalte auf die Kultursensibilität gungen. Aus verschiedenen Gründen nutzen anzupassen. Inhalte eines solchen Themen- noch nicht alle Menschen dieser Gruppe das blocks können sein: Umgang mit Krankheit, hospizliche Versorgungsangebot. Es gibt seit Sterben und Tod in anderen Religionen und Längerem Bemühungen, die Hospizarbeit da- Kulturkreisen, Bestattungsrituale, Besuch ei- hingehend zu öffnen. „Tendenziell sind Men- nes Waschhauses für Menschen islamischen schen mit Migrationshintergrund aber eher Glaubens usw. Dabei geht es im ersten Schritt selten im Ehrenamt vertreten.“ 32) darum, Unsicherheiten durch Wissen und Er- fahrungen zu relativieren. Weiterhin sollten Eine Öffnung der Hospizversorgung ist not- eine angeleitete Reflexion des eigenen Han- wendig, um dem eigenen Anspruch gerecht delns und der eigenen Ängste sowie das sen- zu werden, für alle Menschen am Lebensende sible Grundverständnis anderer Weltanschau- und ihre An- und Zugehörigen eine Begleitung ungen und Kulturen im Vordergrund stehen.33) zu ermöglichen. Ehrenamtlichen kommt bei diesem Prozess eine wichtige Rolle zu: Inter- Jeder Mensch ist in erster Linie durch seine kulturell sensibilisierte und interessierte Ehren- eigene kulturelle Perspektive geprägt. Das amtliche sind (vor allem auf der Beziehungs Wissen darum ist eine gute Basis, um den ebene) ein wertvoller Türöffner und Kontakt. Prozess einer Öffnung und Toleranz anzusto- Ein Ziel sollte es deshalb sein, die Vorberei- ßen. Eine Kooperation und Vernetzung mit tungskurse in ihren regionalen Kontexten um Vertreter*innen verschiedener Kulturkreise ist den Aspekt des Miteinanders von Menschen hinsichtlich ihres Fachwissens erforderlich. 31) Der Begriff Kultur wird hier an sich nicht nur auf Nationalität und Religion begrenzt, sondern bezieht sich auf das Individuum, denn jede*r Einzelne hat eine andere Kultur, eine andere Sozialisation und ein anderes Wertesystem. 32) Schade, Franziska; Rieder, Nicola; Banse, Christian; Nauck, Friedemann: Was macht erfolgreiche interkulturelle Öffnung der Hospiz- und Palliativversorgung aus? Göttingen: Klinik für Palliativmedizin, Universitätsmedizin, 2019, S. 35. 33) Vgl. Schade et al.: Interkulturelle Öffnung, 2019. 23
Vertiefendes Wissen jede dieser Personen als ausgleichendes Element zur anderen von den Teilneh- Diese Rahmenempfehlung bezieht sich auf mer*innen wahrgenommen wird; den Vorbereitungskurs zur Sterbebegleitung. das Kursleitungsteam sich gegenseitig als Es gibt eine Reihe weiterer Tätigkeitsfelder, Korrektiv dienen kann; für die ebenfalls Vorbereitungskurse bzw. in einem Stuhlkreis (der häufigsten Sitzform Fortbildungen angeboten werden wie Trau- der Kurse) alle Teilnehmenden im Blick erbegleitung, Hospiz macht Schule, Letzte- behalten werden können; Hilfe-Kurse und Ähnliches. Diese Kurse haben Teilnehmer*innen aufgefangen werden kön- wir nicht in den Blick genommen. Am Anfang nen, wenn Emotionen zutage treten, die dieses Kapitels haben wir uns mit Fragen be- einer Intervention und/oder kurzer Auszeit fasst, wie spezielle Themen in die Struktur der bedürfen; Vorbereitung von Ehrenamtlichen für die Ster- das Kursbegleitungsteam miteinander den bebegleitung eingepasst werden können. Es Kursverlauf reflektieren und daraus Schlüs- erscheint uns sinnvoll, vertiefendes Wissen in se für die nachfolgenden Einheiten ziehen der Begleitung von Menschen mit z. B. Behin- kann. derungen oder Demenz zu erwerben. Es wird empfohlen, dass die Kursleitung an allen Kurseinheiten teilnimmt und ggf. von Kursbegleitung weiteren Personen unterstützt wird, um die genannten Anforderungen zu erfüllen. Bei Die Kursbegleitung sollte aus mindestens Fachthemen wird das Hinzuziehen von Re- zwei Personen bestehen, von denen wenigs- ferent*innen angeraten (z. B. aus Seelsorge, tens eine über Erfahrungen in der Kursleitung Psychologie, Medizin, Pflege, Sozialer Arbeit, bzw. Bildungsarbeit mit Erwachsenen verfü- Bestattungswesen u. a.). Dies gilt ebenfalls für gen sollte (z. B. einer Befähigung zur Kurs- die fallbezogene Praxisbegleitung (z. B. Su- leitung). Sie kann durch mindestens eine*n pervisor*in). aktive*n Ehrenamtliche*n (die/der selbst einen solchen Vorbereitungskurs absolviert haben Während der gesamten Laufzeit des Vorberei- sollte) oder die/den Koordinator*in der Grup- tungskurses – und natürlich auch darüber hin- pe ergänzt werden. Diese Konstellation macht aus – soll den Kursteilnehmenden die „Kultur“ es möglich, dass des Dienstes, bei dem der Kurs stattfindet, bewusst werden. Die Identifikation mit dem 24
Rahmenempfehlung zur qualifizierten Vorbereitung Hospizdienst ist für alle Beteiligten wichtig: Ein unmittelbar in der Auseinandersetzung mit „Wir-Gefühl“ kann und soll entstehen. den anderen Gruppenteilnehmenden erlebt. Die Erfahrungen, Gedanken, Meinungen, Fra- gen und Bedürfnisse der Gruppe werden zum Didaktik und Methoden Lernfeld für individuelle Kompetenzen. Der didaktische Ansatz der Vorbereitungskur- Zur Umsetzung der Ziele und Inhalte werden se orientiert sich an der Themenzentrierten teilnehmer*innenorientierte, handlungsorien- Interaktion (TZI) nach Ruth Cohn. Die TZI hat tierte und theoretisch-reflektierende Metho- ihre Wurzeln u. a. in der Psychoanalyse und den angewandt. So werden die kognitiven, der Humanistischen Psychologie. Als Konzept kreativen, emotionalen und sozialen Fähig- für die Arbeit mit Gruppen basiert sie auf der keiten der Teilnehmenden gleichermaßen an- Annahme, dass lebendiges Lernen durch Er- gesprochen. Außerdem wird eine lebendige leben und Interaktion geschieht sowie durch Lernatmosphäre geschaffen, die das indivi- ein Gleichgewicht zwischen der eigenen Per- duelle Leistungspotenzial und die Stärken der son (Ich), der Gruppe (Wir) und dem Thema unterschiedlichen Teilnehmer*innen berück- (Es) unter Berücksichtigung des aktuellen sichtigt. „Die Orientierung an den Ressourcen Umfelds (Globe).34) der Teilnehmenden ist wichtig, damit diese eine positive Bilanz aus dem Prozess ziehen Konkret bedeutet das, dass Bildung nicht al- können und gestärkt daraus hervorgehen, vor lein auf der kognitiven Ebene passiert, also allem, wenn belastende Themen behandelt reine Wissensvermittlung ist. Die hospizliche wurden“.36) Haltung und dazu gehörende Fertigkeiten er- lernen die Kursteilnehmenden, wenn sie diese Die Auswahl und Schwerpunktsetzung der In- handelnd erproben können. „Eine Entwick- halte und Methoden erfolgt prozessorientiert, lung von (professioneller) Haltung läuft über das heißt in permanenter Abstimmung auf die das Selbst“.35) Daher werden die Inhalte im individuellen Bedürfnisse der Teilnehmenden Vorbereitungskurs beispielsweise nicht allein und auf die gruppendynamischen Entwick- aus der reflexiven Distanz vermittelt, sondern lungen. Die Kursgestaltung geschieht trans- 34) Vgl. z. B. Langmaack, Barbara; Braune-Krickau, Michael: Wie die Gruppe laufen lernt: Anregungen zum Planen und Leiten von Gruppen. Ein praktisches Lehrbuch. 6. Aufl., Weinheim: Beltz, PVU, 2000. 35) Kasimirski, Kristina: Die Entwicklung einer professionellen Haltung: Persönlichkeitsentwickelndes Lernen in der beruflichen Fort- und Weiterbildung. Masterthesis, 2016. 36) Haller; Kasimirski: Lehren in der Tradition, 2019, S. 18-22, S. 22. 25
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