Dienet einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat, als die guten Haushalter der mancherlei Gnade Gottes - Lebendige Gemeinde
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Evang. Sammlung in Württ. e.V. E 47239 Gabriel-Biel-Platz 2, 72574 Bad Urach PVSt, DPAG, „Entgelt bezahlt“ 61 EF RI B ND RU Bitte teilen Sie uns Änderungen Ihrer Anschrift rechtzeitig mit. Vielen Dank! Dienet einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat, als die guten Haushalter der mancherlei Gnade Gottes. (1.Petrus 4,10) … werdet aus Zuschauern zu Mitspielern Juli 2013
angedacht ... L T Agnes Dannhorn H A Mitarbeiter-Sein I N „Der Herr vergelte Dir Dein Tun, und dein Lohn möge ein voller sein von dem Herrn, dem Gott Israels, zu dem du gekommen bist, um unter seinen Flügeln Zuflucht zu suchen!“ (Rt 2,12) Inhalt Liebe Leserin, lieber Leser, liebe uns zuwendenden Gegenwart Gottes in Freunde der Evangelischen Sammlung, Jesus Christus. Mitarbeiter-Sein Agnes Dannhorn 3 wenn wir sonntags einen Gottesdienst Dieser Arbeit widmet sich dieser Rund- besuchen und im Kirchenraum einen brief: dem Mitarbeiter-Sein. Es ist Gottes Auftrag Christel Hausding 6 Platz für uns gefunden haben, befinden Der griechische Text des Evangeliums wir uns mitten in einer Gemeinschaft, kennt zwei Begriffe für das Arbeiten, Ehrenamt als reformatorisches Erbe Margot Käßmann 11 der wir uns zugehörig fühlen oder die die semantisch nahe beieinander liegen wir neu entdecken. Wir sind auch zu- und sich doch unterscheiden: prattein „Das ist mein Tag“ Margret Döbler 24 gleich in dieser Gemeinschaft durch un- und poiein. prattein steht für das Han- sere Existenz Beteiligte an dem Gesche- deln, poiein für das schöpferische, neu- „Soll ich wieder kandidieren?“ Joachim Stricker 29 hen, das sich jeden Sonntag und auch machende, „poetische“ Tun. Den Begriff außerhalb der Gottesdienstzeit in jeder poiein wählt auch das Evangelium (so Evangelisation und Gemeinde Werner Schmückle 32 Gemeinde auf Neue ereignet. Alle arbei- auch in einem der Leitsätze diakoni- ten wir im Dienst der Kirche, ob mit scher Arbeit Mt 25,40: „Was ihr einem kirchlichem Gehalt, im Ehrenamt oder meiner geringsten Brüder getan habt, als Mitglieder der Kirche: der Pfarrer das habt ihr mir getan“). oder die Pfarrerin, die Diakone, die Mes- Aus der eigenen Erfahrung des Geschaf- ner, die Kirchengemeinderäte, die Ge- fen-Seins erwächst der schöpferische meindeglieder, die Menschen, die beten, Geist für das Miteinanderwirken. Das hören und singen. Es sind die Menschen, Adressen der Autoren: prattein wandelt sich zum geistgetra- die entscheiden und planen, die andere genen poiein im Miteinander. Die Arbeit besuchen, die lehren, musizieren, sich in der Kirche ist ein seit der Gründung Agnes Dannhorn Dr. Margot Käßmann den Kindern widmen und sich der Be- Reginenstraße 60, 70597 Stuttgart der Kirche nie abreißendes Band, in das Evangelische Kirche in Deutschland dürftigen annehmen. Sie arbeiten mit- E-Mail: agnescharra@yahoo.de Charlottenstraße 53 – 54, 10117 Berlin einzelne Menschen ihre Zeit und Mühe, einander in der Gewissheit um die Be- E-Mail: Botschafterin@ekd.de ihre Begabung und Berufung, ihren Wil- Marget Döbler deutung der Kirche als Glieder des Lei- len und ihre Hoffnung hineinwirken. Die Lindenstraße 2, 74391 Erligheim Werner Schmückle bes Christi (1. Kor 12). Ihre Arbeit ver- Arbeit für die Kirche war und ist jedoch E-Mail: pfarramt.erligheim@elkw.de Dürnauer Weg 26B, 70599 Stuttgart bindet sie und sie nährt sich aus einer E-Mail: Werner.Schmückle@arcor.de auch oft eine Aufgabe, bei der es darum gemeinsamen Quelle: der freimachenden Dr. Christel Hausding geht, Widerstände zu überwinden und Schießmauer 23, 89129 Langenau Joachim Stricker Botschaft von der immerwährend sich E-Mail: Hausding@t-online.de Kirchstraße 15, 71277 Rutesheim E-Mail: Joachim.Stricker@t-online.de 3
angedacht... angedacht ... das Licht des Evangeliums lässt sie um dieser Treue Willen die her- Die Treue der Menschen zueinander wird erst zum Leuchten zu brin- ab gefallenen Ähren aufsammeln und immer begleitet von der Treue Gottes zu gen und für die Gewissheit lädt sie ein, ihren Durst und Hunger am den Menschen. des Glaubens zu kämpfen – Essen und Trinken für die Knechte und Das In-Beziehung-Treten zu den Mit- auch im Alltag des kirchli- Mägde zu stillen. menschen und das Arbeiten mit ihnen chen Lebens. Das Buch Ruth endet mit der Heirat Rut- wird in der Gegenwart Gottes immer Das Schwierige der Arbeit, hs und Boas’ und der Geburt ihres Soh- zum schöpferischen Tun – zu einem Tun, das Ringen um das Gute in nes Obed, der der Großvater Davids wer- das Menschen zu Subjekten ihres Lebens der gemeinsamen Sache und den soll. Erich Zenger schreibt über die in christlicher Freiheit macht. Im prat- das Nähren der Bildekräfte Personen dieser biblischen Novelle: tein, das sich zum poiein wandelt, wird der Kirche erkennen wir in „was sie tun, ist […] nicht besonders Gott unser Mit-Arbeiter, der die Qualität der Arbeit jedes einzelnen bemerkenswert. Da gibt es weder spek- unserer Beziehungen bestimmt. Mitarbeiters. (Dabei ist eine takuläre Ereignisse noch eine außerge- Aufgabe der Kirchenpolitik wöhnliche Konstellation von Gefahren Liebe Leserin, lieber Leser, für diesen das Eröffnen eines Raumes, und Möglichkeiten. Es ist eine Alltags- Sommer möchte ich Ihnen das Erleben in dem der Geist Gottes we- geschichte, die hier erzählt wird.“ Eine eines von Gott bestimmten Mitarbeiter- hen kann und ein Miteinan- Geschichte also von Menschen, die mit Seins und das Bild von Ruth auf den der in der Arbeit möglich Mangel und Leid umgehen und in der Weg geben, die in ihrer Schürze die gol- machen kann). Durchdringung ihrer Situation zu „Sub- dene Ernte des Sommers nach Hause jekten ihrer eigenen Lebensgeschichte nehmen darf. Mir kommt bei diesen Gedan- werden, die sie in konkreter Solidarität ken die alttestamentliche zueinander führt.“ (Zenger). Die Erfah- Es grüßt Sie Geschichte von Ruth in den rung ihres eigenen Selbst wird erst er- Sinn, die von Treue, Arbeit, möglicht durch das Dasein Gottes, zu Ihre Fremdsein, Zuneigung, Tod dem sie gekommen sind, um unter sei- und wachsendem Leben er- nen Flügeln Zuflucht zu suchen (V.12). zählt – von der ganzen Fülle Die Erfahrung und Durchdringung ihrer des Lebens in der Wärme des Existenz wird deutlich in der Art, wie Agnes Dannhorn Sommers. Lassen wir uns der Autor des Texts seine Personen doch kurz ein auf dieses Bild zeichnet: er gestaltet die Gespräche und von Ruth, um der besonderen die Beziehung zwischen Boas, Ruth, Qualität vom biblisch erzähl- Noomi und auch den Knechten auf eine ten Mit-Arbeiter-Sein nach- sehr feinfühlige und zugewandte Weise zuspüren. - die Personen selbst erscheinen so le- bendig und in der Gestaltung ihres Ruth, die ihre verwitwete Schwieger- Noomis Heimat. Der Erzähler berichtet Selbst sehr differenziert. Obwohl diese mutter Noomi nicht verlassen möchte, nun von einem Sommertag auf dem Geschichte eigentümlicherweise nur we- folgt ihr nach Bethlehem, wo Ruth Feld, auf dem an diesen Tagen das Ge- nig von Gott berichtet, ist ihr innerster selbst eine Fremde ist. Ruth ist selber treide geerntet wird. Boas, dem ein Feld Kern doch die von Gott geschaffene Witwe und beide Frauen begeben sich gehört, wird auf Ruth aufmerksam, weil Qualität ihrer Beziehung zueinander: aus Mangel einer Lebensgrundlage in er deren Treue zu Noomi erkennt, und er 5
beauftragt ... beauftragt ... Dr. Christel Hausding Es ist Gottes Auftrag Gott macht Menschen zu seinen Mitarbeitern nach dem oder der einen bestqualifizier- ten sind - die anderen Bewerber erhal- ten eine Absage -, wählt Gott offenbar Es muss eine besondere Stunde für den Predigt zu Jeremia, 20, 7–11a jungen Priestersohn Jeremia gewesen nach anderen Maßstäben aus. Er sieht nicht auf das, was ein Mensch zu bieten sein, als er zum ersten Mal erkannt hat: hat an imponierenden Fähigkeiten, son- Gott redet mit mir. „Und des Herrn Wort dern er fragt nach seiner Bereitschaft, geschah zu mir: Ich kannte dich, ehe nach Hingabe und Treue eines Men- ich dich im Mutterleib bereitete, und schen. Er sieht das Herz an. Liebe Gemeinde, Von einer solchen Situation berichtet sonderte dich aus, ehe du von der Mut- unser Predigttext aus dem Buch Jere- ter geboren wurdest, und bestellte dich Gott ist nicht auf Glaubenshelden aus. „als Jesus das sagte, glaubten viele an zum Propheten für die Völker“. Er will und braucht treue Zeugen, die mia, Kap. 20, 7–11a. Jeremia klagt hier: ihn“. Vielleicht erinnern Sie sich noch einfach das weitergeben, was sie von an die Schlussworte aus dem Predigttext Ungewöhnlich ist vielleicht die Art, wie „Herr, du hast mich überredet, und ich ihm selber empfangen haben. Und er vom vergangenen Sonntag. Nicht wahr, Jeremia berufen wurde. Aber ungezählte kann aus solchen Mitarbeitern, die sich so müsste es immer sein. Das stellen wir habe mich überreden lassen. Du bist mir Menschen vor und nach ihm haben ähn- ihrer Schwächen und ihres Angewiesen- uns vor unter dem Wirken des Sohnes zu stark gewesen und hast gewonnen; liche Erfahrungen gemacht. Auch sie ha- seins auf Gott bewusst sind, mehr ma- Gottes und der Ausbreitung seines Rei- ben in irgendeiner Weise gespürt: Gott aber ich bin darüber zum Spott geworden chen als aus denen, die vor Selbstbe- ches in der Welt: Viele kommen zum ist da, er wendet sich mir zu und sucht täglich, und jedermann verlacht mich. wusstsein strotzen und meinen, sie Glauben; sie fassen Vertrauen zu Jesus die Beziehung zu mir. Er möchte mit mir Denn sooft ich rede, muss ich schreien; könnten und wüssten schon alles. Im und zu Gott. Jesus wird verkündigt, ganz persönlich seine Geschichte ma- Reich Gottes geht es anders zu. Gott be- Zweifel werden überwunden, Versöh- „Frevel und Gewalt!“ muss ich rufen. chen. Und wer dann Vertrauen fasst und ruft nicht die Begabten, sondern er be- nung und Freude kehren ein. Die Ge- Denn des Herrn Wort ist mir zu Hohn und sich mit Gott, mit Jesus auf den Weg gabt die Berufenen. meinde wächst, auch in unseren Tagen. Spott geworden täglich. Da dachte ich: macht, wird auch erleben, dass er uns in So wünschen wir es uns. seinen Dienst nimmt. Das heißt Er macht Menschen zu seinen Boten und Ich will nicht mehr an ihn denken und zunächst mal, dass der Glaube zuneh- Mitarbeitern. Wird darin nicht deutlich, Doch Passion und Osterzeit stellen uns nicht mehr in seinem Namen predigen. mend den Alltag prägt und unser Ver- wie Gott uns Menschen ernst nimmt und vor Augen, dass die Zeit der Freude und Aber es ward in meinem Herzen wir ein halten und Handeln auch unter der Wo- wertschätzt? Er traut uns etwas zu. Das des neuen Aufbruchs zwar ganz gewiss brennendes Feuer, in meinen Gebeinen che bestimmt. kann ganz im Gegensatz zu unserer ihren Platz im Leben der Christen hat. Aber etliche von uns haben dann auch Selbsteinschätzung stehen. So wie bei Aber wir dürfen die andere Wirklichkeit verschlossen, dass ich’s nicht ertragen die Berufung in eine besondere Aufgabe Jeremia, der allerlei Einwände vorbrach- deshalb nicht ausblenden: Der Sohn konnte; ich wäre schier vergangen. erfahren, in den Dienst der öffentlichen te: „Herr, ich tauge nicht zu predigen; Gottes selber hat vor diesem letzten Ziel Denn ich hörte, wie viele heimlich reden: Wortverkündigung als Pfarrer oder Prä- ich bin zu jung.“ der Osterfreude noch die dunklen Stun- „Schrecken ist um und um!“ „Verklagt dikantin, in Besuchsdienst oder Hospiz- den des Leidens vor sich, durch die er Wir sagen vielleicht: Ich bin schon zu ihn!“ „Wir wollen ihn verklagen!“ Alle arbeit, oder auch in eine Leitungsaufga- hindurch muss. Und weil „der Knecht alt, um noch mal etwas Neues anzufan- meine Freunde und Gesellen lauern, ob be in der Jugendarbeit, im Hauskreis, nicht höher ist als sein Herr“, kann es gen. So kommunikativ bin ich nun auch ich nicht falle: Vielleicht lässt er sich als Kirchengemeinderat oder als Mit- auch für einen Menschen, den Gott in nicht. Organisation ist eigentlich nicht glied der Landessynode. seinen Dienst gestellt hat und der ihm überlisten, dass wir ihm beikommen kön- mein Ding, und überhaupt… Oft sind von Herzen nachfolgt, sehr wohl dunkle nen und uns an ihm rächen.“ Aber der Gott macht Menschen zu seinen Mitar- wir erstaunlich findig und beredt, wenn Stunden geben. Herr ist bei mir wie ein starker Held.“ beitern und beruft sie in seinen Dienst. es darum geht, einem Auftrag auszuwei- Und anders als wir, die bei anstehenden chen und ihn jemand anders zuzuschie- Stellenbesetzungen immer auf der Suche ben. Ob wir uns so nicht manchmal ge- 7
beauftragt ... beauftragt ... rade um wichtige Glaubenserfahrungen Weil Gott den Menschen in Liebe für So, als hätte er ein schnelles Geschäft gen und dort nie wieder heruntergekom- bringen, wenn wir hier die Ohren ver- sich gewinnen und nichts erzwingen an der Haustür abgeschlossen und nun men, sondern lebe als ganz normales schließen und uns nicht senden lassen. will, ist die positive Aufnahme keines- im Nachhinein entdeckt, dass er min- Gemeindeglied im Dorf. – Man könnte ja wegs garantiert. Im Gegenteil. derwertige Ware für teures Geld erstan- erst mal fragen… Dem Jeremia lässt Gott das nicht durch- den hat. Eben so muss sich der Prophet gehen. Er stellt ihn. „Sage nicht, ich bin Wie oft ist es für uns Menschen doch Und auch das kommt mir irgendwie be- vorkommen. „Herr, so hatte ich mir das zu jung, sondern du sollst gehen, wohin viel angenehmer, nach den eigenen kannt vor, wenn Jeremia hier klagt: nicht vorgestellt, als ich ja gesagt habe ich dich sende, und predigen alles, was Wünschen und Vorstellungen zu leben „Andere lauern, ob ich nicht falle.“ Wer zu deinem Auftrag.“ Wieviel lieber hätte ich dir gebiete.“ Und dann folgt diese und nicht nach Gottes Gebot zu fragen. heute ein Leitungsamt innehat, steht er ein Stück Abglanz der Herrlichkeit gewichtige Zusage: „Fürchte dich nicht, Dann ist der Konflikt programmiert. unter ständiger Beobachtung, nicht nur Gottes in seinem Leben gehabt. denn ich bin bei dir und will dich erret- Gottes Gebote weisen den Weg zum Le- als Politiker. Und die Möglichkeiten des ten.“ ben und zu einem guten Zusammenle- So hatte ich mir das nicht vorgestellt, Anprangerns sind durch die modernen ben. Gott selber nimmt den Mitmen- als ich mich für den Kirchengemeinderat Medien nahezu grenzenlos geworden. Gott geht mit. Er geht voran. Er trägt schen gegen Angriffe auf sein Leben, aufstellen oder in die Landessynode Sie könnten jetzt sicher manches eigene seine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen seine Ehe, sein Eigentum und seinen wählen ließ. Stehen die Mühe und der Erlebnis beisteuern. und wirkt selber durch ihr Wort und guten Ruf in Schutz und auf der ande- Einsatz eigentlich noch in einem halb- ihren Dienst. Ohne diese Vollmacht Gott erspart seinen Leuten die schweren ren Seite setzt er der Selbstsucht in jeg- wegs vertretbaren Verhältnis zu den Er- könnten wir gar nichts ausrichten. Gott Wege nicht. Aber was tun, wenn uns als licher Gestalt Grenzen. Das wurde noch gebnissen unserer Arbeit? Was bringt schenkt, dass seine Botschaft gehört Mitarbeitende der Blues packt und wir in jeder Epoche als Kultur- und Gesell- das alles eigentlich? wird und ankommt, dass seine Liebe denken, jetzt reicht’s aber, ich kann und schaftskritik verstanden. Wer will das und Barmherzigkeit geglaubt und erfah- Verwaltung und Organisatorisches bin- will nicht mehr? schon hören? Und wenn jemand dann ren wird, und dass Menschen aufatmen den viel Zeit und Kraft und man hat den noch sagt, dass wir Menschen als Ge- Jeremia wirft nicht einfach den Bettel können und verändert werden. Eindruck, man kommt gar nicht zum „Ei- schöpfe Gottes nur in seiner Gemein- hin. Er geht auch nicht stillschweigend gentlichen“ - was immer das ist. Manche Doch dann sieht es oft wieder ganz an- schaft das wahre Leben finden, der wird in die innere Kündigung. Sondern mit- klagen auch über zu wenig Anerkennung ders aus, als wir es am Anfang von Je- gelegentlich heftigen Widerspruch erle- ten im Sinnieren über die Hinterlist und und Unterstützung. Es scheint alles sus gehört haben. Seinen Worten haben ben. Wenn der Gesprächspartner näm- Böswilligkeit seiner Gegner fällt Jere- selbstverständlich zu sein, was sie tun die Menschen geglaubt. Zumindest zu lich versteht, dass er dann ja sein Leben mias Blick wieder auf Gott. Er wendet und einsetzen. He, sieht das denn kei- gewissen Zeiten. Aber die Boten und ändern müsste. sich an seinen Auftraggeber. „Herr, du ner? möchte man fragen. Stattdessen Mitarbeiter Gottes erfahren immer auch hast mich berufen und du hast es zuge- Die Zeitgenossen sind mit Jeremia kei- erleben wir eine ausgeprägte An- Widerstand. Gerade dann, wenn sie lassen, dass ich in diese missliche Si- neswegs zimperlich umgegangen. Er spruchshaltung bei solchen, die selber „Gott mehr gehorchen als den Men- tuation gekommen bin. Ich kann und wurde als Verräter an den Pranger ge- nur zuschauen. Manches wird uns ein- schen“, wenn sie auch unangenehme will nicht mehr.“ stellt, ausgepeitscht, musste Spott und fach unterstellt, statt dass man erst mal Dinge beim Namen nennen. Schmerzen ertragen, und das alles nur, nachfragt. Kürzlich erhielt ich einen Gott ist einfach da und hört zu. Er lässt weil er Gott gehorcht und seinen Auf- Brief, es ging um den Pfarrplan, in dem sich gefallen, dass Jeremia ihm in sei- Gott erspart seinen Boten trag ausgerichtet hatte – das ist heftig mir vorgehalten wurde, ob ich über- ner Verzweiflung seine Anklage förmlich die schweren Wege nicht und muss erst mal verkraftet werden. haupt wüsste, wie es in einer Landge- entgegen schreit. Und Gott ist selber Jeremia musste ganz unten Wen wundert es, dass es schließlich aus meinde aussieht. Doch, ich komme sel- still und duldet. Er klappt die Persona- durch. Immer wieder hat er am Jeremia heraus bricht: „Herr, du hast ber aus einer ganz kleinen Gemeinde lakte Jeremia nicht entrüstet zu. Er eigenen Leib die Ohnmacht gespürt, mich überredet, und ich habe mich von der Ulmer Alb und kenne die Pro- lässt sich aber auch den Auftrag nicht wenn man skeptischen Menschen die überreden lassen!“ (V. 7) bleme kleiner Landgemeinden bestens zurückgeben, um ihn einem anderen Botschaft Gottes überbringen will. und hautnah. Ich bin nicht vor Jahren zuzuweisen. nach Stuttgart auf die Gänsheide gezo- 9
beauftragt ... ermutigend ... Prof Dr. Dr. h.c. Margot Käßmann Und über dem Aussprechen seiner Not die Kraft weiterzugehen und weiter zu Ehrenamt und der Last des Prophetenamtes spürt machen. F. Steffensky sagt: „Ich glaube, Jeremia selbst: Dieser Auftrag ist nicht dass man langfristig nur dienen kann, als Reformatorisches Erbe in mein Belieben gestellt. Nicht ich be- wenn man das aus der Kraft Gottes tut.“ Vortrag beim Württembergischen stimme, wann er erfüllt oder beendet Jede andere Motivation nutzt sich auf Kirchengemeinderatstag in Fellbach am 23. März 2013 ist. Über dem Reden mit Gott werden Dauer ab und trägt unter Belastungen die Schmerzen gelindert und beginnen nicht lange durch. Die Motivation aber, Botschafterin des Rates der die Wunden zu heilen. Im Gebet, im die aus der Gewissheit erwächst: Es ist Evangelischen Kirche in Deutschland Aufsehen zu Gott, verändert sich seine Gottes Auftrag, ich bin nicht im eigenen für das Reformationsjubiläum 2017 Perspektive und er schöpft neue Kraft Namen unterwegs, und der Herr ist bei und Zuversicht und er entdeckt: mir, ich darf mit seiner Kraft rechnen, Vielleicht fragen Sie sich: Soll ich mich Priester, Bischof, Papst. Es gibt in der die nutzt sich nicht ab, sondern hat die noch einmal zur Wahl stellen am ersten Evangelischen Kirche keine Hierarchie Gott ist größer Chance, dass sie immer wieder erneuert Advent? Warum sollte ich meine freie zwischen ordiniert und nicht ordiniert. als unsere Not wird. Zeit, die neben Familie und Beruf Als ich das letztes Jahr in einer Predigt Auch Paulus schreibt von großer Be- bleibt, für ehrenamtliches Engagement sagte, kam in der Gemeinde allerdings Ähnlich wie manche Psalm- drängnis, so dass sie fast am Leben ver- einsetzen? Ich könnte auch in die Sau- Heiterkeit auf. Ein Zeichen, dass Nicht- beter und Liederdichter, die zagten, und dann: „Das geschah aber, na gehen, ein Buch lesen, Freunde tref- Ordinierte und Ehrenamtliche das oft ihre ganze Not vor Gott ausgesprochen damit wir unser Vertrauen nicht auf uns fen, ins Kino gehen, schön kochen, sehr anders erleben. haben, zieht auch im Leben des Prophe- selbst setzten, sondern auf Gott.“ Das fernsehen. Oder mich ehrenamtlich für ten plötzlich Friede ein. Denn er spürt Aber: es sollte anders sein! Luthers Ein- nennen wir Bewährung. Und bewährte, Flüchtlinge einsetzen, das ist oft viel nach dieser intensiven Aussprache vor sicht kam aus seiner Tauftheologie. Die reife, gefestigte Mitarbeiter und Mitar- konkreter als so ein Kirchenvorstand. Da und mit Gott: „Aber der Herr ist bei mir Taufe ist für ihn der entscheidende beiterinnen sind Gott und sind für die gibt es viel Amt im Sinne von „Mein wie ein starker Held.“ (V. 11) Punkt. Wir brauchen keine Buße als Sa- Gemeinde etwas ganz Kostbares. Amen Lohn ist, dass ich Dienen darf“ und we- krament, erkennt er, weil uns mit der Wenn man enttäuscht, gefrustet, er- nig Ehre. ABER: Dass unsere Kirche auf Als Grundlage diente eine Lektorenpredigt von Taufe schon alles zugesagt ist. Für Mar- schöpft ist, kann nur Gott selbst einen allen Ebenen von Haupt- und Ehrenamt- Pfr. Burkhard Neudorfer, Nürtingen, tin Luther wurde immer klarer: die Taufe wieder auf die Beine stellen, eine neue lichen geleitet wird, ist Kennzeichen zum 11. März 2007 ist das zentrale Ereignis und Sakrament. Perspektive geben, neue Hoffnung und unserer Kirche der Reformation. Deshalb Hier sagt Gott einem Menschen Gnade, möchte ich Sie heute Morgen ein wenig Liebe, Zuwendung, Lebenssinn zu. Und hinein nehmen in die Vorbereitung des alles Scheitern, alle Irrwege des Lebens Jubiläums 2017 und das mit Ihrer Tätig- können das nicht rückgängig machen. keit verbinden. Dazu habe ich Ihnen ei- Gehen wir zur Taufe zurück, brauchen nige Thesen mitgebracht - nicht 95, kei- wir keine Buße, kein Bußsakrament: wir ne Angst, sondern zehn. sind erlöst, wir sind längst Kinder Gott- es. „Baptizatus sum“ – ich bin getauft. Meine erste These ist ein Plagiat In den schwersten Stunden seines Le- und lautet: Wir sind Papst bens hat Martin Luther sich das gesagt Als die BILD 2005 anlässlich der Wahl und daran Halt gefunden. Joseph Ratzingers zum Papst so titelte, Das Priestertum aller Getauften oder dachte ich: das ist gut evangelische auch aller Gläubigen meint, jeder und Theologie. Denn wie sagte Luther: Je- jede kann den anderen Priester sein, der, der aus der Taufe gekrochen ist, ist zuhören, Beichte abnehmen, ja auch - 11
ermutigend ... ermutigend ... je nach Kirchenordnung – die Sakramen- Katholiken oder die Orthodoxie. Die Re- en lebe und damit Rechenschaft gebe Diese Herausforderung sollten die Kir- te Taufe und Abendmahl verwalten, formatoren aber wollten gerade deutlich von der Hoffnung, die in mir ist. chen der Reformation offensiv anneh- wenn beauftragt oder kein Pfarrer oder machen: weltliches Leben ist nicht we- Und: es ist Teil der Schöpfung Gottes, men. Sie haben sich ja aus dem geistli- keine Pfarrerin anwesend ist. niger wert als priesterliches oder klö- Kinder großzuziehen, es ist Teil der Exi- chen Leben und biblischen Nachdenken sterliches. Es geht darum, im Glauben stenz von Mann und Frau. Oder: „An der entwickelt. Luthers Klostererfahrung war Diese theologische Erkenntnis bildet zu leben im Alltag der Welt. Art, wie beide im Vollzug täglicher Auf- für ihn ebenso wichtig wie sein Bibel- sich darin ab, dass Kirchengemeinderäte gaben miteinander umgehen, zeigt sich, studium, Zwingli begann 1518 nach ei- und Synoden die Kirche mit den Ordi- Das hat viele Konsequenzen. Eine ist ob sie glauben, was sie bekennen.“3 ner Zeit im Kloster in Zürich zu predi- nierten gemeinsam leiten. Das zeigt beispielsweise, dass in den ersten Kir- gen. Dabei ist entscheidend, eine Spra- sich darin, dass es Meinungsvielfalt gibt chenordnungen der Reformatoren Heb- Für Martin Luther war das Leben eines, che zu finden, die den Glauben in die in unserer Kirche. Manchmal seufzen wir ammen aufgewertet werden als Kirchen- das in Freiheit und Verantwortung aus heutige Zeit vermittelt, so wie es Luther darunter, weil wir medial etwa in dieser dienerinnen. Eine Frau, die geboren hat, Gottvertrauen heraus zu gestalten ist. und auch Zwingli auf je eigene Weise Vielstimmigkeit so schwer vermittelbar wird nicht mehr als unrein angesehen, Und der Beruf war für ihn kein Job zum vermochten. Die Übersetzung der Bibel sind. Aber andererseits ist das eine sondern sie soll umsorgt und betreut Geld verdienen, sondern eine Berufung, als Gesamtwerk in die deutsche Sprache, große Stärke. Wie viel Last liegt jetzt werden. die mich als – wie er sagte – den Besen die Messe in der Sprache des Volkes, auf Papst Franziskus. Bei allem Respekt schwingende Magd ebenso wichtig Luther konnte dabei übrigens ungeheuer Schriften in deutscher Sprache waren vor allem für seine Signale mit Blick auf macht wie den regierenden Fürsten, wir modern sein. Es geht darum, ob gestan- Luther ein zentrales Anliegen, damit Armut und die Länder des Südens: was könnten vielleicht übersetzen, die am- dene Mannsbilder sich lächerlich ma- Menschen selbst von ihrem Glauben für ein Druck, alles von einem zu erwar- bulante Pflegerin ebenso wichtig wie chen, wenn sie Windeln waschen. Hören sprechen konnten. Dem „Volk aufs Maul ten! den Bankier. Gemeinsam gestalten, wo- wir also mal kurz original Martin Luther: schauen“ bedeutete dabei nicht, ihm zu wir berufen sind, gute Haushalterin- nach dem Mund zu reden. Meine zweite These lautet: „Wenn ein Mann herginge und wüsche nen und Haushalter Gottes sein, unsere Weltliches Handeln ist Leben die Windeln oder täte sonst an Kindern Gaben einbringen für eine Ökonomie Wie sollen wir denn heute erklären, was vor Gott ein verachtet Werk, und jedermann spot- mit allen, das ist eine wunderbare Her- Rechtfertigung allein aus Glauben be- tete seiner und hielte ihn für einen Mau- ausforderung, finde ich. deutet? Den „gnädigen Gott“ suchen die Zölibatäres Leben galt vor Gott im Mit- laffen und Frauenmann, obwohl ers doch wenigsten Menschen, aber Anerkennung telalter als angesehener, ja der gerade in …. Christlichem(n) Glauben täte; Lie- Meine dritte These lautet: suchen sie, Würdigung, Achtung. Die ei- Weg zum Himmel sozusagen. Für viele ber, sage, wer spottet hier des anderen Reformatorisches Erbe muss nen durch Geld, die anderen durch schö- Reformatoren war der Schritt zur Ehe am feinsten? Gott lacht mit allen Engeln aktuell reformatorisch werden nen TV-Schein und lassen sich in Djun- ein Signal, dass auch Leben in einer Fa- und Kreaturen, nicht, weil er die Windeln gelcamps verfrachten. Nicht nach Des- milie mit Sexualität und Kindern von 2017 werden wir ein Reformationsju- wäscht, sondern weil ers im Glauben tut. cartes: ich denke, also bin ich. Sondern: Gott gesegnetes Leben ist. Die öffentli- biläum in einer Zeit der Säkularisierung Jener Spötter aber, die nur das Werk se- ich bin im Fernsehen, also bin ich… che Heirat von bisher zölibatär leben- feiern. Die Säkularisierung macht es hen und den Glauben nicht sehen, spot- den Priestern und Mönchen und Non- schwerer, zu erklären, was Glauben be- Wir müssen immer neu übersetzen – tet Gott mit aller Kreatur als der größten nen, war ein theologisches Signal. Die deutet. Viele Menschen haben sich ab- üb ersetzen! Ich persönlich finde immer Narren auf Erden; ja sie spotten nur ihrer Theologin Ute Gause erklärt, sie sei eine gewandt, ein immenser Glaubens- und wieder, dass die Art und Weise, wie Je- selbst und sind 2des Teufels Maulaffen mit Zeichenhandlung, die „etwas für die Re- auch Traditionsverlust ist im Land der sus die Gebote zusammengefasst hat, ihrer Klugheit.“ formation Elementares deutlich machen Reformation zu verzeichnen. Viele Men- einleuchtend ist. „Du sollst Gott über wollte: die Weltzuwendung und demon- Das heißt: Es kommt nicht auf das Ge- schen haben keinerlei Bezug mehr zu alle Dinge lieben und deinen Nächsten strative 1 Sinnlichkeit des neuen Glau- schwätz der Leute an. Es kommt darauf Religion. In Luthers Geburtsort Eisleben wie dich selbst“. Das ist ein Verantwor- bens“ Nun wird ja den Evangelischen an, dass ich weiß, wer ich bin, dass ich gehören noch sieben Prozent der Bevöl- tungsdreieck der Liebe, in dem ich mich im Land eher unterstellt, dass sie weni- mein Leben vor Gott und in Gottvertrau- kerung einer Kirche an! bewegen, in dem ich leben kann. Gott ger sinnlich seien als die römischen über alle Dinge lieben, bedeutet, ich 13
ermutigend ... ermutigend ... verantworte mein Leben, alles, was ich Solus Christus – allein Jesus Christus ist Heute sind in unserem Land etwa 23 und Kompromiss geben, auch in Glau- denke und tue vor Gott. Das muss aber entscheidend, er nicht die Kirche hat Millionen Menschen ehrenamtlich tätig. bensfragen. Ich nehme als Beispiel das kein beängstigendes Gottesbild sein. Autorität für Gläubige. Ohne Ehrenamtliche aber sind viele Be- Glaubensbekenntnis. Mehrfach habe ich Sehr schön bringt das eine kleine Ge- reiche der Gesellschaft etwa in der Be- Vorschläge erhalten, wie es zu moderni- Sola gratia – allein die Gnade Gottes schichte auf den Punkt: Ein Pfarrer är- gleitung alter Menschen, beim Tier- sieren oder zu ändern wäre. Aber ist rechtfertigt dein Leben, nichts, was du gert sich, dass Kinder ständig die Äpfel schutz, der Hausaufgabenhilfe oder nicht auch faszinierend, dass in nur 103 tust oder leistest. von seinem schönsten Baum klauen. Er Obdachlosenbetreuung schlicht nicht Worten seit Jahrhunderten und bis auf stellt ein Schild darunter: „Gott sieht Solo verbo oder auch: Sola scriptura – denkbar. ein Wort auch ökumenisch gemeinsam alles!“ Das ist der drohende, strafende allein das Wort bzw. die Schrift, die Bi- unser Glaube ausgedrückt werden kann? Was oft fehlt, ist die bewusste Wahrneh- Gott, der viele Generationen belastet bel ist Grundlage des Glaubens, nicht Wie viele Kommissionen würden wir mung. In den USA beispielsweise wird hat. Die Kinder aber schreiben darunter: Dogmen oder Lehren der Kirche. brauchen, um das heute zu schaffen? in Schulzeugnissen und bei Bewerbun- „Aber Gott petzt nicht!“ Das finde ich Und wie lange würde es wohl werden? Sola fide – allein der Glaube ist ent- gen ehrenamtlicher Tätigkeit besondere wunderbar und theologisch klug zusam- scheidend, wiederum nichts was du Aufmerksamkeit gewidmet. Das heißt, Letzten Samstag war ich in Berlin im mengefasst. Unser Gott weiß alles, aber tust, schaffst und auch nicht, woran du es ist deutlich: Ehrenamt ist nicht nur Deutschen Theater in der Aufführung petzt nicht. Ich kann mich Gott anver- scheitern magst im Leben. irgendwie nebenbei, sondern du qualifi- von „Joseph und seine Brüder“ nach trauen mit allen Ängsten undSchwächen, zierst dich und leistest einen wichtigen dem Roman von Thomas Mann in einer auch im Scheitern und da, wo ich an In säkularer Zeit ist für die Kirchen zivilgesellschaftlichen Beitrag. Wir kön- Bearbeitung von John von Düffel. Be- den eigenen Ansprüchen versage. wichtig, an die Sprachkraft als reforma- nen nicht alle Erziehungs- und Pflege- sonders beeindruckt hat mich ein kurzer torisches Erbe anzuknüpfen, um Glau- Und der Nächste? Es ist leicht, die zu leistungen an Institutionen oder gar Dialog zwischen Kedma, nach Thomas ben zu vermitteln. Deshalb kann ich Kir- lieben, die uns nahe sind. Aber die an- den Staat delegieren. Dies ist unser Mann einer der beiden Söhne des Man- chengemeinderäte nur ermutigen: Be- deren, die anders denken, einer anderen Land, wir müssen uns beteiligen, wenn nes, der Joseph seinen Brüdern abkauft, ginnen Sie jede Sitzung mit einem Bi- Partei angehören, die anders leben? wir es gestalten wollen. und Joseph selbst: beltext und sprechen Sie darüber. Was Und schließlich dürfen wir uns selbst glaube ich, was glaubst Du? Wo haben Aus christlicher Sicht ist das Engage- Joseph: Wohin führt ihr mich? lieben – auch wenn Protestanten das wir Schwierigkeiten? Wenn wir zu wenig ment in Kirche und Gesellschaft schlicht Kedma: Wir führen Dich nicht. Wir haben schwer fällt. Doch, wir dürfen das Schö- über unseren Glauben sprechen, verlie- eine Selbstverständlichkeit, denke ich. Dich aus dem Brunnen gezogen. ne schätzen, ein Leben in Fülle auch. ren wir die Sprache dafür. Gott hat uns die Erde anvertraut, wir Du ziehst mit uns, wohin wir ziehen. Ja, wir scheitern oft an unseren eigenen sind Haushalterinnen und Haushalter, Ansprüchen, machen Fehler. Aber wenn Meine vierte These lautet: die rechenschaftspflichtig sind, sie zu Joseph: Wohin führt mich Gott, indem Gott uns schon liebt, warum sollten wir Keine Zivilgesellschaft erhalten. Und unsere Kirche wollen wir ich mit Dir ziehe? uns selbst nicht lieben? ohne Ehrenamt miteinander gestalten. Wann immer sich Kedma: Du hast eine Art dich in die Mitte Menschen bei mir über „die Kirche“ be- Um den reformatorischen Glauben zu er- Schon in den Stadtgesellschaften des der Dinge zu stellen ... Meinst du wir rei- schweren, sage ich, die Kirche sind wir, läutern können die vier „Soli“ hilfreich alten Griechenland galt es für jeden sen, damit du dahin kommst, wo Dein ändern sie was! sein zur Konzentration und Vermittlung Bürger, sich für das Gemeinwesen zu in- Gott Dich haben will? des Glaubens. Und auch wenn umstrit- teressieren, sich für das Gemeinwohl zu In einem Zeitalter der Individualisie- Ist das nicht faszinierend und auch ein ten ist, wie viele „soli“ es waren und engagieren. Das war auch gut möglich, rung – auch in Glaubensfragen – fällt es energischer Hinweis auf unsere Selbst- wann sie in dieser Kombination entstan- denn Frauen und Sklaven erledigten die vielen schwer, sich in eine Gemeinschaft sicht, je allein, aber auch als Gemein- den sind: die Konzentration auf diese notwendigen Arbeiten, Bürger hatten zu begeben. In einer Gemeinschaft schaft? Es geht auch um Gottvertrauen vier Punkte wurde hilfreich, um die zen- freie Zeit dafür. Wer sich dem Engage- braucht es Regeln und Abstimmungen, und: tralen Glaubensanliegen zu vermitteln. ment für das Gemeinwesen verweigerte, da gibt es auch mal Streit und Ausein- galt als idiotes, als schlechter Bürger. andersetzung. Und es muss Einigung 15
ermutigend ... ermutigend ... Meine fünfte These lautet: bei, die Situation konstruktiv und offen- Ein bisschen Islam wirkt streng – da Relevanz bewiesen haben. Und: in den Gottvertrauen macht Spaß siv aufzunehmen, eine neue Balance liegt manchmal auch Bewunderung in unterschiedlichsten Kulturen dieser Er- zwischen Innovation und Tradition zu der Luft, wenn Menschen klar ihren de, von Indonesien bis Brasilien, vom Ich weiß, in der evangelischen Kirche finden, deutlicher und klarer von dem Glauben leben, Gebets- und Fastenzei- Sudan bis nach Malta hat sich gezeigt, dürfen wir eher nicht von Spaß spre- können. Die οıκουμένη – der ganze zu reden, was sie glauben. Und ich bin ten einhalten. Ein bisschen jüdische dass Menschen sich hierauf verlassen chen, da ist FREUDE das angemessene auch überzeugt, eine Kirche muss sich Mystik, Kabalah – Madonna zeigt, wie Wort. Aber drücken wir das denn irgend- nicht zuallererst an Mitgliedszahlen und man das macht! Oder erinnern Sie sich bewohnte Erdkreis – sollte erreicht wer- wie aus. Wir sind ständig alle belastet, Finanzen, sondern an Glaubwürdigkeit, an Sinead O’Connor - einst hat sie den den. So ist das Christentum im Grunde überbelastet, jeder muss ununterbro- Verkündigung und Seelsorge messen las- Papst beleidigt, heute versteht sie sich die erste Globalisierungsbewegung der chen erzählen, WIE VIEL er zu tun hat, sen. als katholische Priesterin (ich weiß Welt. manchmal habe ich den Eindruck, wir allerdings nicht, was der Papst dazu sind eine müde und erschöpfte Kirche. Zum anderen suchen viele Menschen in Freuen wir uns am Glauben und auch im sagt!). Religion ist in, alle basteln sich unserem Land nach Orientierung, und so Glauben! Luther hat einmal an einen Der Philosoph Friedrich Nietzsche soll ihr Teil. Vermarktung von Religion, manche fragen neu und ernsthaft nach Mann, der – wir würden heute sagen – einmal gesagt haben, wenn die Christen Patchwork-Religion, das ist respektabel Glauben. Und gegen das sich so verfe- unter Depressionen litt, geschrieben: ein wenig erlöster aussehen würden, in der Welt, in der die, die sich alles stigende Bild, die Kirchen seien leer, „Kommt der Teufel und gibt Euch Eure könnte er sich der Sache annähern. Also kaufen und selbst zusammenstellen, trete ich gern an mit der Zahl von fünf Sorgen oder Gedanken ein, so wehrt lasst uns etwas erlöster aussehen! Wir die wahren Helden sind. Millionen Gottesdienstbesuchern pro Euch frisch und sprecht: Aus, Teufel; glauben an den Auferstandenen und Wochenende gegen 700 000 Menschen Hier muss das Christentum in der Zu- Ich muss jetzt meinem Herrn Christus nicht an einen Toten. in den Fußballstadien! Allein die Be- kunft widerständig bleiben, Mut zeigen, singen und spielen.“ Das ist doch mal In unserer säkularen Welt werden reli- richterstattung ist disproportional, denn eine Orientierungsleistung erbringen. eine hilfreiche Dienstanweisung… giöse Menschen manchmal belächelt in der Medienwelt zählt das Große, das Jesus Christus ist keine Naturgottheit, nach dem Motto: Glaubst du noch oder Megaereignis, nicht das Kleine, Bestän- die mir auf einem Waldweg erscheint. Meine sechste These lautet: bist du schon modern? In Europa hat dige. Christlicher Glaube bindet sich an die Die Bibel bleibt im Zentrum doch eine deutliche Distanzierung vieler Bibel. Martin Luther hat immer wieder der Kirche der Reformation Allerdings verfalle ich nicht der Illusion, Menschen von den christlichen Kirchen darauf beharrt, dass die Bibel der Maß- diese „Rückkehr des Glaubens“ sei im- Die Vorstellungen des Mittelalters hinter stattgefunden. Die Selbstverständlich- stab für unsere Religion ist. Wie viele mer gleich christlich oder gar kirchlich. sich lassend ging es Luther in der Wahr- keit, mit der Menschen dazu gehörten, Menschen aber kennen die Bibel gar Zwar erklärt die Mehrheit der Jugendli- nehmung der „Freiheit eines Chri- im christlichen Glauben erzogen wur- nicht mehr! Und das im Land der Refor- chen in Deutschland, sie glaube an stenmenschen“ darum, dass jede Frau den, christliche Rituale praktizierten, mation, wo sie zum ersten Mal insge- Gott, aber sie will mehrheitlich nichts und jeder Mann eigenständig den Glau- scheint verloren gegangen. Damit un- samt in die Volkssprache übersetzt wur- mit der Institution Kirche zu tun haben. ben an den dreieinigen Gott bekennen terscheidet sich Europa übrigens deut- de. Wie mächtig sind die Geschichten Im Zeitalter der Individualität der Kon- kann und verstehend das Bekenntnis zu lich von Afrika, Asien und Lateinameri- und Bilder dieses Buches. Für Christen sumgesellschaft aber basteln sich viele Jesus Christus bejaht. Die Vorausset- ka, wo die christlichen Gemeinden deut- ist es ein Glaubensbuch, aber es gehört Menschen lieber ihre eigene Religion zung für einen mündigen Glauben war lich wachsen und auch von den USA, wo doch auch zur Bildung, dieses Buch zu zusammen, als sich auf Gemeinschaft für Luther, dass jede und jeder selbst Religiosität zur Normalität gehört. In kennen. Architektur, Literatur und Ge- und Konsenssuche einzulassen. Ein bis- die Bibel lesen konnte und so gebildet Deutschland gab es schon heftige Dis- schichte unseres Landes lassen sich schen Buddhismus ist dann schick – bei war, dass er den Kleinen Katechismus, kussionen, als Altbundespräsident doch gar nicht begreifen ohne Bibel- meiner Friseurin habe ich kürzlich lauter das Bekenntnis für den alltäglichen Ge- Köhler einmal sagte: „Gott segne unser kenntnis. Buddhastatuen entdeckt und gesagt: brauch, nicht nur auswendig kannte, Land.“ Dabei will ich keinesfalls in ei- „O, sind Sie zum Buddhismus übergetre- Es ist ja das Faszinierende am Christen- sondern auch weitergeben konnte und nen Lamentogesang einstimmen. Zum ten?“ „Nein, nein, sagte sie, ich finde tum, dass diese Texte seit 2000 Jahren damit sprachfähig im Glauben war. einen sind die Kirchen inzwischen da- nur, die wirken so beruhigend!“ in den unterschiedlichsten Kontexten Grundlage dafür war eine Bildung für 17
ermutigend ... ermutigend ... alle und nicht nur für wenige, die es Der Schwerpunkt Bildung gilt für alle nicht um Glauben allein aus Gehorsam, wurde er an seinem 400. Todestag gese- sich leisten konnten oder durch den Reformatoren: Melanchthon war Lehrer aus Konvention oder aus spirituellem Er- hen – 1946 als Trost bitter notwendig Eintritt in einen Orden die Chance zur aus Leidenschaft, ja, wird auch auf- leben. Sondern es geht um das persönli- war. 1983 zu seinem 500. Geburtstag Bildung erhielten. grund seiner Bemühungen um eine Uni- che Ringen um einen eigenen Glauben. gab es eine Art Wettbewerb um das Lu- versitätsreform als „Lehrer der Deut- Heute können wir sagen, dass dieses Bi- thererbe in Ost und West. In der DDR Bildungsgerechtigkeit und Bildungsteil- schen“ bezeichnet. Martin Bucer wird bellesen auch beinhaltet, die Entste- war Luther nun nicht mehr Fürsten- habe - Martin Luther war der erste, der von Lutheranern wie von Reformierten hung der biblischen Bücher wahrzuneh- knecht sondern Vertreter der frühbürger- diese Themen öffentlich machte und als Kirchenlehrer angesehen. Ulrich men, historisch-kritische Exegese zu be- lichen Revolution. sich vehement dafür einsetzte. Er hatte Zwingli lernte Griechisch, um das Neue treiben. Kürzlich schrieb mir ein Stu- dafür theologische Gründe: Glaube war Ein solcher Rückblick muss sensibel Testament im von Erasmus von Rotter- dent, nachdem ich in Wittenberg in für ihn gebildeter Glaube, also ein Glau- dafür machen, dass Reformationsju- dam editierten Urtext lesen zu können. einer Fernsehpredigt gesagt hatte, wir be nicht aus Konvention und nicht aus biläen heikle Zeitpunkte sind. Wie wer- Er selbst besaß die für damals sehr wüssten nicht genau, wer den Epheser- spiritueller Erfahrung allein, sondern den die Generationen nach uns urteilen große Zahl von 100 Büchern und grün- brief geschrieben habe, er könne mir da durch die Bejahung der befreienden über 2017? Werden sie sagen, die Prote- dete in seiner Glarner Pfarrei 1510 eine helfen, es sei ganz einfach, am Ende Botschaft des Evangeliums. Dass Glau- stanten wollten Profil gewinnen auf Ko- Lateinschule. Und dann das Genfer Kol- stehe doch: Paulus. ben immer gebildeter Glauben ist, ist in sten anderer? Wird es heißen, es wurde leg, von Johannes Calvin gegründet, das seiner eigenen Biographie tief begrün- versucht, Öffentlichkeit für den christli- die reformierte Bildungsbewegung in Meine siebte These lautet: det. Nur durch das intensive theologi- chen Glauben zu gewinnen? Oder wird viele Regionen Europas brachte! Das Reformationsjubiläum 2017 sche Studium der Bibel, aber auch von deutlich: Hier wurde sich kritisch und braucht einen weiten Horizont! Augustinus-Schriften ist er zur befreien- Das war und bleibt reformatorisches An- gestaltend, gut protestantisch also, mit den Rechtfertigungseinsicht gelangt. liegen: Denken, Reflektieren, Nachden- Die Reformationsjubiläen und das dem eigenen Erbe auseinander gesetzt? Glaube ist für Luther immer eigenver- ken, Verstehen können, Fragen dürfen. Luthergedenken in Deutschland waren Ich bin überzeugt: es wird keinen „Kult antwortlicher Glauben: der einzelne Stattdessen wird der Religion bis heute stets von ihrer Zeit geprägt4. 1617 dien- um Luther“ geben, wie manche befürch- Christ muss sich vor Gott verantworten die Haltung unterstellt: nicht fragen, te der konfessionellen Selbstvergewisse- ten. Der Protestantismus in Deutsch- und ist als einzelner von Gott geliebt. schlicht glauben! Fundamentalismus – rung. 1717 wurde Luther einerseits zum land, das Luthertum weltweit sind sou- Die Kirche ist die Gemeinschaft der Ge- ob jüdischer, christlicher, islamischer frommen Mann der Pietisten, anderer- verän genug, die Schattenseiten ihres tauften, aber nicht mehr die Heilsmitt- oder hinduistischer Prägung – mag Bil- seits als Frühaufklärers gegen mittelal- großen Vorbildes nicht auszublenden lerin für den Einzelnen. Glauben als ge- dung und Aufklärung nicht. Jedwede terlichen Aberglauben stilisiert. 1817 und vor allem, die Reformation nicht bildeter und eigenverantwortlicher Glau- Ausprägung von Fundamentalismus wurde als religiös-nationale Feier insze- auf ihn und seine Person zu beschrän- be sind die wesentlichen theologischen stellt sich eine Kernbotschaft der Refor- niert in Erinnerung der Völkerschlacht ken. Denn offensichtlich ist: Die Refor- Beweggründe dafür, dass Luther sich ve- mation entgegen: selbst denken! Frei bei Leipzig 1813, Luther wurde zum mation war eine Bewegung, die viele hement für eine öffentliche Bildung ein- bist du schon durch die Lebenszusage deutschen Nationalhelden. Der 400. Jahrzehnte umfasste, 1517 ist ein Sym- setzte, damit alle Bürgerinnen und Bür- Gottes. Im Gewissen bist du niemandem Geburtstag 1883 ließ Luther zum Grün- boldatum. Und die Reformation wurde ger die Möglichkeit zur Bildung erhiel- untertan und unabhängig von Dogma- dungsvater des Deutschen Reiches avan- von vielen Menschen betrieben, Martin ten. Luther verdanken wir in Deutsch- tik, religiösen Vorgaben, Glaubensin- cieren und 1917 wurde er schließlich Luther ist die Symbolfigur. Sehr schön land die Volksschulen als „Schulen für stanzen. mit Hindenburg gemeinsam zum Retter zeigt das ein Altarbild des italienischen alle“ – es ist interessant, aber von sei- Vielleicht ist einer der wichtigsten der Deutschen in Zeiten großer Not. Das Künstlers Gabriele Mucchi, das in der nem theologischen Ansatz her nur kon- Beiträge der Reformation, dass es ihr Jahr der nationalsozialistischen Mach- kleinen Kirche von Alt-Staaken am Ran- sequent, dass er sich selbstverständlich um gebildeten Glauben geht, einen tergreifung 1933 umgab Luther zu sei- de Berlins zu sehen ist. In diesem auch für die Bildung von Mädchen ein- Glauben, der verstehen will, nachfragen nem 450. Geburtstag mit der Aura des Wandgemälde sind unter dem gekreuzig- setzte. darf, auch was das Buch des christlichen gottgesandten Führers bzw. dessen Vor- ten Christus 12 historische Persönlich- Glaubens betrifft, der Bibel. Es geht boten. Und als Tröster der Deutschen keiten versammelt, die im 16. Jahrhun- 19
ermutigend ... ermutigend ... dert bei der Erneuerung der Kirche und Kirche heute ist nicht dieselbe, mit der des Weltbildes eine wichtige Rolle ge- der Luther und die anderen Reformato- spielt haben: Nikolaus Kopernikus, ren im 16. Jahrhundert in einen so tie- Ulrich Zwingli, Johannes Calvin, Ignatius fen Konflikt gerieten. Schon das Konzil von Loyola, Thomas Morus, Katharina zu Trient etwa verabschiedete sich von von Bora, Martin Luther, Thomas Münt- einem Ablass gegen Zahlung von Geld zer, Johannes Bugenhagen, Philipp Me- und das Zweite Vatikanische Konzil im lanchthon, Lucas Cranach, Erasmus von letzten Jahrhundert führte die Messe in Rotterdam. Das ist ein großartiges Zei- der Volkssprache ein. Natürlich, viele chen dafür, dass es um eine breite Be- der reformatorischen Anfragen etwa an wegung ging, einen enormen Aufbruch. Papsttum, Heiligenverehrung und Amts- Anrührend finde ich, dass sie alle ver- verständnis bleiben bestehen. Martin söhnt sind unter dem Kreuz auf diesem Luther aber wollte seine eigene Kirche Bild. reformieren und nicht spalten. Ein rein abgrenzendes Reformationsjubiläum wä- Mir war daher auch wichtig: nicht Lu- re daher nicht sinnvoll. therbotschafterin, sondern Botschafte- gen zu finden zu einer theologischen Feiern können wir, dass es Versöhnung rin für das Reformationsjubiläums zu Weihbischof Jaschke aus Hamburg hat Frage, an der einst die Einheit zerbro- gab mit Blick auf die als Täufer und sein! Wir müssen deutlich machen, dass erklärt, Luthers 95 Thesen würden heute chen ist, dafür können wir dankbar sein. Schwärmer Verfolgten der Reformations- es hier um eine vielfältige Bewegung auch von römisch-katholischer Seite ak- zeit. 2010 hat es in Stuttgart einen geht, die Staat und Kirche verändert zeptiert und gesagt, er teile Luthers Kri- Insofern besteht die Chance, dem Refor- Bußakt und eine Bitte um Versöhnung hat, ja wirksam ist bis heute. Es wird tik am damaligen Ablasshandel.5 Und mationsjubiläum auch eine deutlich durch den Lutherischen Weltbund ge- wichtig sein, den kritischen Rückblick 1999 wurde in Augsburg die Gemeinsa- ökumenische Dimension zu geben. Gera- genüber den Mennoniten als ihren zu wagen und Reformation als Gesamt- me Erklärung der Römischkatholischen de der jüngste Aufruf prominenter rö- geistlichen Erben gegeben. geschehen wahrzunehmen. Und auch Kirche und des Lutherischen Weltbundes misch-katholischer Laien ermutigt dazu. zu fragen: wer sind wir heute als Evan- zur Rechtfertigung unterzeichnet. Es Denn das ist doch glasklar: Bei aller Dif- Und wir können feiern, dass die Refor- gelische im Land? Was bedeutet uns wurde festgehalten: So wie die beiden ferenz und dem je eigenen Profil verbin- mation nicht deutsch oder europäisch die Freiheit eines Christenmenschen? Kirchen ihre Lehre heute formulieren, det uns mehr als uns trennt. Und: In ei- blieb, sondern auch im Ökumenischen werden sie von den Verwerfungen des ner säkularisierten Gesellschaft ist ein Rat der Kirchen, im Lutherischen und Meine achte These lautet: 16. Jahrhunderts nicht getroffen. Die gemeinsames Zeugnis der Christinnen Reformierten Weltbund eine Stimme Evangelischsein heißt auch Unterzeichnung der Gemeinsamen Offi- und Christen von großem Gewicht: hat. Wie ist die Verbindung zu den Kir- ökumenisch denken ziellen Feststellung zur Gemeinsamen Je stärker wir gemeinsam auftreten, chen in aller Welt? Welchen Beitrag lei- Erklärung in Augsburg am 31. Oktober desto eher werden wir gehört. sten die Evangelischen. Was bedeutet 2017 ist das erste Jubiläum nach 100 war ein feierliches Ereignis. Es bedeutet das Jubiläum in Brasilien, in Südafrika, Jahren ökumenischer Bewegung. Das Feiern können wir, dass Spaltung über- nicht - und das war allen Beteiligten in Tansania? Daher gibt es gute Kontak- betrifft einerseits den römischen Katho- wunden wurde innerhalb der reformato- klar -, dass nunmehr die Lehrbegriffe te mit den großen Kirchenbünden, dem lizismus. Die Kirchen der Reformation rischen Kirchen. Vor 40 Jahren wurde der unterschiedlichen Traditionen auf Lutherischen und Reformierten Welt- verstehen sich ebenso wie die römisch- mit der Leuenberger Konkordie verein- einem gleichen Verständnis beruhen. bund sowie dem Ökumenischen Rat der katholische Kirche als Erbin der Alten bart, dass reformierte, lutherische und Aber die Unterzeichnung wurde begrüßt Kirchen. 2017 wird ein Reformations- Kirche (Luther, Wider Hans Worst 1541), unierte Kirchen sich gegenseitig aner- als ein Schritt auf einem notwendigen jubiläum mit ökumenischer Dimension und so geht es um eine gemeinsame Ge- kennen, die Ämter wechselseitig aner- Weg der Annäherung. Dass es gelungen sein. schichte. Die Reformationsepoche hat kennen und zusammen Abendmahl fei- ist, zumindest gemeinsame Formulierun- ern können. alle verändert. Die römisch-katholische 21
ermutigend ... ermutigend ... Meine neunte These lautet: In diesem Jahr unter dem Thema „Re- möglich ist, eine Versöhnungsgeste zu Ländern ein unvergessliches Reformati- kein evangelisches Profil formation und Toleranz“ geht es darum, integrieren, die römische Katholiken onserlebnis wird und zeigt, dass es ohne Dialog der Religionen auch diese Schatten der Reformation zu und andere mit hineinnimmt in öku- Glaubensheiterkeit in unserer Kirche benennen. Die Reformatoren selbst ha- menischer Verbundenheit. gibt, die zugleich die Tiefe der Seele 2017 ist das erste Gedenkjubiläum des ben gesagt, die Kirche müsse sich im- berührt. Thesenanschlags nach dem Holocaust. - Der Reformationstag 2016 wird auch mer weiter reformieren. Der Dialog der der Start für einen Stationenweg sein. Leider ist der späte Martin Luther ein Religionen ist ein entscheidender Insofern: Wir können auch diesen Kir- 95 VWBusse starten vor dem Berliner erschreckendes Beispiel christlicher Ju- Punkt, der sich in der Lerngeschichte chengemeinderatstag in die Lutherdeka- Dom zu 95 Reformationsstädten in denfeindschaft. Dabei finden sich in bewahrheitet hat. Das gilt auch mit de hineinstellen, indem wir uns auf un- Deutschland und Europa und sammeln seiner 1523 veröffentlichten Schrift Blick auf Muslime. Wetterte Luther wider sere Wurzeln besinnen, die Herausforde- in jeder Stadt eine These zur Reformati- „Dass Jesus Christus ein geborener Jude die Türken, so leben wir heute gemein- rungen der Reformation heute sehen, on der Gegenwart ein. sei“ für die damalige Zeit bemerkens- sam in einem Land. Wir brauchen Dialog die Schatten der Reformation nicht werte Ansichten: Stereotype Vorwürfe und Begegnung, damit Religion nicht - Auf diese Weise am Ende des Statio- leugnen und doch fröhlich unseren gegen die Juden, darunter den des Wu- zum Konfliktfaktor wird. nenweges im Mai eine „Weltausstellung Glauben in unserer Zeit leben und fei- cherzinses, weist der Reformator ent- der Reformation“ in und um Wittenberg. ern. Und so ende ich mit noch einem Ich denke, dafür gibt es Ansätze bei Lu- schieden zurück. Dies seien alles „Lü- Was auf dem Stationenweg eingesam- Lutherzitat: „Gott hat unser Herz und ther und den anderen Reformatoren. gendinge“. Es sei vielmehr das lieblose melt, gelernt, erkannt wurde, wird nach Gemüt durch seinen lieben Sohn fröhlich Heinz Schilling hält in seiner letztes Verhalten der Christen gewesen, dass Wittenberg gebracht. Dazu kommen gemacht, welchen er für uns hingegeben Jahr erschienenen Lutherbiografie fest, die Juden bisher abgehalten habe, sich Beiträge aus der Kultur und Zivilgesell- hat zur Erlösung von Sünden, Tod und dass der Reformator „weder in den zu bekehren. schaft, aber auch aus Kirchen in ande- Teufel. Wer dies mit Ernst glaubt, der frühen Sturmjahren der Reformation ren Ländern und Kontinenten. Die Stadt kann es nicht lassen: Er muss fröhlich Doch zwanzig Jahre später, 1543, er- noch je später (wollte), dass mit Gewalt selbst wird so für 95 Tage im Sommer und mit Lust davon singen und sagen, scheint ein im Duktus völlig anderer und Töten für das Evangelium gestritten 2017 zum Ausstellungsgelände werden, damit andere es auch hören und herzu- Text Luthers unter dem Titel „Von den wird.‘“6 Und er macht deutlich, dass Lu- um im Mutterland der Reformation zu kommen.“ Darum geht es, in der Tat. Juden und ihren Lügen“. Luther schlägt ther zwar „Toleranz im modernen Sinne erleben, wie vielfältig die Kirche ist in darin der Obrigkeit vor, dass sie jüdi- fremd“ war, er aber immer dafür einge- aller Welt und mit ihren kulturellen Fol- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. sche Synagogen und Schulen „mit Feuer treten sei, „dass der Glaube eine innere, gen. anstecken“, ihre Häuser „zerbrechen“ geistige Sache und dem Zugriff irdischer 1 Ute Gause, Antrittsvorlesung, unveröffentlichtes und die Juden „wie die Zigeuner in ei- Mächte entzogen sei.“7 - Von zentraler Bedeutung wird ein Manuskript, S. 2. nen Stall tun“ soll. Diese so unfassba- Großgottesdienst sein, der als Ab- 2 EL WA 10, 296f. (Scharffenorth. S. 219) ren Äußerungen können auch nicht mit Meine zehnte und letzte schluss des Berliner Kirchentag vor den seiner Verbitterung, dass Juden - anders These lautet: 2017 wird ein Toren Wittenbergs am 28. Mai 2017 ge- 3 Gerta Scharffenorth, Freunde in Christus, in: „Freunde in Christus werden…“, hg.v. Gerta als von ihm erwartet - nicht zur Kirche Fest des Glaubens werden. plant ist. Scharffenorth und Klaus Thraede, Gelnhausen der Reformation konvertierten, erklärt, 1977, S. 183ff.; S. 220. Die Lutherdekade soll in zentralen Feier- - Schließlich gibt es ein Jugendcamp, oder durch den „Zeitgeist“ gerechtfer- lichkeiten münden, die mit dem Refor- damit die junge Generation die Refor- 4 Vgl. Hartmut Lehmann, Die Deutschen und ihr tigt werden. Sie werfen auf ihn und sei- Luther, FAZ 26.08.08, Nr. 199, S.7. mationstag 2016 ihren Auftakt nehmen mation und auch die Städte der Refor- ne Reformation einen Schatten und werden im Jubiläumsjahr. Hierfür sind mation entdeckt. Es wird Konzerte und 5 Vgl. Weihbischof kritisiert Ablasshandel zu sollten die Kirche, die sich nach ihm be- Luthers Zeiten – Jaschke: Katholiken akzeptieren bisher fünf Säulen erkennbar: Filmfestivals geben, Gottesdienste und nannte, auf einen entsetzlichen Irrweg Luthers Thesen, in: epd Zentralausgabe Gebete, Diskussionen über Gott und die führen. - Als erstes die Eröffnung am 212/31.10.2008, S.11f. Welt. Luther wird eine Twittersprech- 31.10.2016. Ich hoffe, dass es hier 6 Ebd., S. 209. stunde abhalten. Ein Sommerlager, das hoffentlich für Jugendliche aus vielen 7 Ebd. S. 627. 23
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