Einblick 3/2017 - Forstliche Versuchs ...

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Einblick 3/2017 - Forstliche Versuchs ...
Forstliche Versuchs-
     und Forschungsanstalt
     Baden-Württemberg

                             IUFRO 125: Sägekunst vor dem Konzerthaus Freiburg

              -einblick
3/2017
Einblick 3/2017 - Forstliche Versuchs ...
2                                                                                  FVA-einblick 3/2017

    Liebe Leserinnen, liebe Leser,

    der Event des Jahres 2017 – zumindest aus der FVA-Sicht – war der wis-
    senschaftliche Kongress anlässlich des 125-jährigen Bestehens des Interna-
    tionalen Verbandes Forstlicher Forschungsanstalten IUFRO im September
    in Freiburg. Nach dem Motto „Was lange währt, wird endlich gut“ liefen die
    Vorbereitungen über zwei Jahre. Das Ergebnis konnte sich sehen lassen:
    Mehr als 2.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 103 Ländern
    von allen Kontinenten, Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Wirtschaft
    und Waldbesitzverbänden sowie prominente Persönlichkeiten aus internatio-
    nalen Organisationen nahmen an dem Kongress teil. Ein Resümee wird auf
    Seite 4 gezogen.

    Die Bewegung in der freien Natur ist für die Menschen der heutigen Zivili-
    sationsgesellschaft als Ausgleich für den beruflichen Stress und für die Er-
    haltung der Gesundheit wichtiger denn je. Immer mehr Menschen sind im
    Wald unterwegs – auch bei Dunkelheit, abseits von Wegen und in entlegenen
    Gebieten. Die zunehmenden und immer vielfältigeren Freizeitaktivitäten im
    Wald können jedoch Stress für Wildtiere bedeuten: Ihre Rückzugsmöglich-
    keiten werden sowohl zeitlich als auch räumlich eingeschränkt. Sie finden
    immer weniger Ruhebereiche ohne menschliche Begegnungen. Auch der
    Einfluss der Jagd und deren Wechselwirkungen mit anderen Freizeitaktivitä-
    ten stellen neue Anforderungen an das Wildtiermanagement. Diese Konflikte
    wurden beim 6. Denzlinger Wildtierforum im März dieses Jahres thematisiert.
    Zwei der dort gehaltenen Präsentationen sind in der vorliegenden Ausgabe
    nachzulesen.

    Wildschweine, die im Freiburger Mooswald an Roteichen-Stubben gegraben
    hatten, haben ein FVA-Forschungsteam auf die Fährte eines kleineren tie-
    rischen Waldbewohners gebracht: des in Deutschland selten gewordenen,
    besonders geschützten Hirschkäfers. Die Hirschkäfer lieben bekanntlich Ei-
    chen, aber auch Roteichen? Im Gegensatz zu den 20 im Roteichenbestand
    gefundenen Hirschkäfern konnte das FVA-Forschungsteam in den angren-
    zenden Stieleichenbeständen keine oder nur sehr wenige Käfer finden. Es
    ging diesem interessanten Phänomen nach und berichtet über die Befunde
    auf Seite 15.

    Neben den großen „Eingebrachten“ – den Roteichen – bekommen die klei-
    neren, aber dafür die aggressiveren „Eingeschleppten“ immer mehr Aufmerk-
    samkeit: die Neophyten, die die heimische Flora und Fauna zu verdrängen
    drohen. Im Regionalen Waldschutzgebiet „Schwetzinger Hardt“ ist es die
    Amerikanische Kermesbeere, die sich in dem seltenen und gefährdeten
    Weißmoos-Kiefernwald invasiv verbreitet. Das Monitoring ihrer Ausbreitung
    sowie Techniken und Aufwand ihrer Bekämpfung mit dem Ziel des Erhalts der
    Kiefern-Waldlebensräume werden auf der Seite 18 dargestellt.

    Beim Lesen der vorliegenden Lektüre wünsche ich Ihnen, liebe Leserinnen
    und Leser, viel Freude und Informationsgewinn sowie auch im Namen der
    einblick-Redaktion eine besinnliche Adventszeit.

    Ihr

    Prof. Konstantin Frhr. von Teuffel
Einblick 3/2017 - Forstliche Versuchs ...
FVA-einblick 3/2017                                                                                                              3

Inhalt
4    IUFRO feiert ihr 125. Geburtsjahr in Freiburg in bester
     Kondition
     von Kaisu Makkonen-Spiecker

7    Wenn Wildtiere Ruhe brauchen und Menschen sich
     bewegen wollen – vom Wissen zum Handeln
     von Rudi Suchant

10 Wildtiere: Sinnbilder eines lebendigen Waldes und
   Helfer in der Besucherlenkung
     von Stephanie Bethmann und Ulrich Schraml

15 In die Zange genommen: Der Hirschkäfer an Roteiche
     von Josepha Mayer, Christina Baumhauer und Andreas Schabel

18 Die Kermesbeere – eine invasive Art in lichten
   Wäldern des Oberrheinischen Tieflands
     von Mattias Rupp, Therese Palm und Hans-Gerhard Michiels

23 FVA-Projekte

26 FVA-Nachrichten

Impressum

Herausgeber                              Redaktion                                     Auflage
Prof. Konstantin Frhr. von Teuffel       Dr. Petra Adler                               1.700 Exemplare
Direktor der Forstlichen Versuchs- und   Steffen Haas
Forschungsanstalt Baden-Württemberg      Dr. Reinhold John                             Die Redaktion behält sich die sinnwah-
                                         Dr. Kaisu Makkonen-Spiecker                   rende Kürzung, das Einsetzen von Titeln
Adresse                                  Thomas Weidner                                und Hervorhebungen vor. Die Beiträge
Wonnhaldestr. 4                                                                        müssen nicht unbedingt die Meinung der
D-79100 Freiburg                                                                       Redaktion wiedergeben.
Tel.: (07 61) 40 18 - 0                  Bildherkunft
Fax: (07 61) 40 18 - 3 33                Titel: Kaisu Makkonen-Spiecker
fva-bw@forst.bwl.de                      Wenn nicht anders angegeben, stammen          Nr. 3, Dezember 2017, Jahrgang 21
www.fva-bw.de                            die Bilder von den Autorinnen bzw. Autoren.   ISSN 1614-7707
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4                                                                                             FVA-einblick 3/2017

    IUFRO feiert ihr 125. Geburtsjahr in Freiburg
    in bester Kondition
    von Kaisu Makkonen-Spiecker

    Mehr als 2.000 Wissenschaftlerin-   Das Bundesministerium für Ernäh-        Warum in Freiburg?
    nen und Wissenschaftler aus 103     rung und Landwirtschaft (BMEL),
    Ländern von allen Kontinenten,      das Ministerium für Ländlichen          Die IUFRO-Gründer 1892 waren der
    Vertreterinnen und Vertreter aus    Raum      und     Verbraucherschutz     Verein deutscher Versuchsanstalten
    Politik und Wirtschaft sowie von    Baden-Württemberg (MLR), das            - unter ihnen auch die Vorgängerins-
    internationalen Nicht-Regierungs-   Ministerium für ein Lebenswertes        titutionen der FVA, die Badische und
    organisationen waren vom 18. bis    Österreich, das Bundesamt für Um-       die Württembergische Forstliche Ver-
    22. September in Freiburg versam-   welt aus der Schweiz und französi-      suchsanstalt – sowie die Versuchs-
    melt, um das 125-jährige Bestehen   sche Forschungspartnerinnen und         anstalten Österreichs und der Schweiz.
    des Internationalen Verbandes       –partner unterstützten den Kon-         Naheliegend war es daher, dass das
    Forstlicher Forschungsanstalten     gress finanziell und substanziell. So   forstliche   Forschungsnetzwerk       im
    (IUFRO) zu feiern.                  ermöglichte beispielsweise ein vom      Dreiländereck, NFZ.forestnet, in dem
                                        BMEL unterstütztes Stipendienpro-       forstliche Forschungseinrichtungen aus
                                        gramm 60 Wissenschaftlerinnen und       Nancy, Freiburg und Zürich zusammen-
                                        Wissenschaftlern aus Afrika, Asien      arbeiten, den Jubiläumskongress in
                                        und Lateinamerika die Teilnahme an      Freiburg organisierte, wo die praxisbe-
                                        diesem Kongress. Prof. Konstantin       zogene Waldforschung (FVA) die forst-
                                        von Teuffel, Vorsitzender des Orga-     liche Grundlagenforschung (Fakultät
                                        nisationskomitees bewertete das als     für Umwelt und Natürliche Ressourcen)
                                        einen Beitrag zur Stärkung der wis-     trifft. Genauso naheliegend war es,
                                        senschaftlichen Entwicklung in den      dass der Vorsitz der Organisation in der
                                        Entwicklungsländern und damit zur       FVA (als IUFRO-Gründungsmitglied)
                                        globalen Armutsbekämpfung.              angesiedelt war.

                                        Abb. 1: Die Waldhornisten der Fakultät für Umwelt und Natürliche Ressour-
                                        cen der Universität Freiburg begrüßten die Gäste der traditionellen IUFRO-
                                        Baumpflanzung.
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FVA-einblick 3/2017                                                                                                          5

                                                                                 schon bei der Begründung von
                                                                                 IUFRO vor 125 Jahren von grundle-
                                                                                 gender Bedeutung gewesen, dass
                                                                                 viele Wald- und Umweltprobleme nur
                                                                                 durch grenzüberschreitende Zusam-
                                                                                 menarbeit gelöst werden können und
                                                                                 dass entsprechende Maßnahmen
                                                                                 neueste wissenschaftliche Erkennt-
                                                                                 nisse erforderten. Angesichts der
                                                                                 globalen Herausforderungen wie des
                                                                                 Klimawandels und der schnell wach-
                                                                                 senden Weltbevölkerung sei diese
                                                                                 Erkenntnis heute wichtiger denn je,
                                                                                 meinte er.
                                                                                 Etwas poetischer drückte sich Dr.
                                                                                 Hermann Aeikens, Staatssekretär im
                                                                                 BMEL, aus, indem er Theodor Heuß
                                                                                 zitierte: „Holz ist ein einsilbiges Wort,
                                                                                 aber dahinter verbirgt sich eine Welt
Abb. 2: Pflanzten eine Linde mit fachlicher Unterstützung von Manuel Karopka,    der Märchen und Wunder“. Aeikens
FVA (links): Prof. Dr. Mike Wingfield, IUFRO-Präsident, Dr. Dieter Salomon,      beglückwünschte die IUFRO zum
Oberbürgermeister der Stadt Freiburg und Dr. Gerald Kändler, FVA-Vizedirektor
                                                                                 125. Geburtsjahr und bezeichnete
                                                                                 ihre Gründung als „eine wahrlich vi-
Zudem ermöglichte die Lage im           Digitalisierung in der Waldforschung     sionäre Entscheidung“ von Waldfor-
Dreiländereck Halb- und Ganz-           berichtet.                               schenden. Das Konzept der IUFRO
tagesexkursionen in die verschie-       Die tatsächliche Themenpalette des       in der internationalen Waldforschung
densten Landschaften, von der           Kongresses umfasste jedoch fast alle     biete eine ausgezeichnete Grundla-
Rheinebene und dem Schwarzwald          wichtigen Aspekte der aktuellen forst-   ge, um Regierungen und Entschei-
über die Vogesen bis hin ins Schwei-    lichen Forschung und war in verschie-    dungsträger verlässlich zu beraten.
zer Jura. So konnte im Anschluss        dene Segemente unterteilt: Wälder        Des Weiteren bekräftigte er die Rolle
des Kongresses ein breites Spektrum     für Menschen; Wälder und Klimawan-       des Waldes im Klimaschutz und gab
unterschiedlicher, für das Zentral-     del; Waldprodukte für eine grünere       ein Beispiel: Der deutsche Wald sen-
europa relevanter forstlicher Themen    Zukunft; Artenvielfalt, Ökosystem-
und diverse Landschaften präsentiert    dienstleistungen und invasive Arten;
werden.                                 Wald, Boden und Wasser in Wech-
                                        selwirkung; Forstbetriebstechnik und
                                        Forstmanagement; Waldzustandser-
Drohnen schwirren über                  fassung, Modellierung und Forstein-
der Themenvielfalt                      richtung; Soziale Aspekte von Wald
                                        und Forstwirtschaft; Waldgesundheit;
In mehr als 1.800 wissenschaftlichen    Forstpolitik und Forstökonomie.
Beiträgen wurden die neuesten Er-       Über all den vielfältigen Themen lag
kenntnisse der forstlichen Forschung    bedrohend der Klimawandel: So be-
präsentiert. Alle Abteilungen der FVA   zeichnete der IUFRO-Präsident Prof.
waren jeweils mit mehreren oralen       Dr. Mike Wingfield den Klimawandel
Präsentationen und Postern vertre-      als ein riesiges Problem für die Welt,
ten. Das Motte des Kongresses lau-      die Menschheit und die Wälder und
tete: „Wald, Wissenschaft und Men-      als eine große Herausforderung für
schen miteinander verknüpfen.“ In       die Wissenschaft und Politik. „Solche
Medienberichten fand besonders der      globalen Probleme können nicht ohne
Aspekt „Wald im digitalen Zeitalter“    internationale Zusammenarbeit gelöst
ein großes Echo. In verschiedenen       werden“, meinte er.
Tageszeitungen, Rundfunkbeiträgen       Ähnlich äußerte sich auch der stell-
                                                                                 Abb. 3: Bei der Eröffnung des Kon-
und sogar im ZDF heute journal wur-     vertretende Exekutiv Direktor der        gresses: Prof. Konstantin Frhr. von
de über den Einsatz von Drohnen und     IUFRO, Dr. Michael Kleine. Es sei        Teuffel      (Foto: Klaus Polkowski)
Einblick 3/2017 - Forstliche Versuchs ...
6                                                                                                  FVA-einblick 3/2017

                                              anderem die Wissenschaft dazu auf,      und Kunststudierenden – im Innen-
                                              die Politik zu unterstützen: Wenn es    hof der Fakultät eröffnet. Die Aus-
                                              beispielsweise um die Waldnutzung       stellung war anschließend zwei Wo-
                                              ginge, müsse man den Menschen er-       chen lang auch für die Öffentlichkeit
                                              klären können, warum es wichtig sei,    zugänglich.
                                              Holz zu nutzen.
                                              Für die Podiumsdiskussionen sowie
                                              für ausgewählte weitere Vorträge war    Vitale Jubilarin –
                                              ein Livestreaming geschaltet, so dass   IUFRO heute
                                              Interessierte ihnen auch am heimi-
                                              schen PC folgen konnten.                Mit dem Hauptsitz seit 1973 in Wien
                                                                                      ist die IUFRO das einzige globale
                                                                                      Netzwerk, das sich mit waldbezoge-
                                              Linde als Zeichen für die Ver-          ner Forschung und verwandten Dis-
                                              bindung zwischen Menschen               ziplinen beschäftigt. Sie zählt heute
                                              und Bäumen                              rund 650 Mitgliedsorganisationen in
                                                                                      126 Ländern. Allein in Deutschland
                                              Im Rahmen des Kongresses fand die       sind es 41 Mitgliedsorganisationen.
                                              traditionelle IUFRO-Baumpflanzung       Sie repräsentiert mehr als 15.000
                                              im Vorgarten der Fakultät für Umwelt    Wissenschaftlerinnen und Wissen-
    Abb. 4: Haben auf dem „Ruhebänk-          und Natürliche Ressourcen statt. Da-    schaftler weltweit. Das nächste
    le“ der Sägekünstler vor dem Frei-        für wurde die Linde als Symbolbaum      IUFRO-Großereignis, der 25. Welt-
    burger Konzerthaus Platz genom-
    men: FVA-Direktor Prof. Konstantin        für soziokulturelle Beziehung zwi-      kongress, findet 2019 in Curitiba,
    von Teuffel und Dr. Sandy Liebhold,       schen Wald und Mensch im deutsch-       Brasilien statt, und damit zum ersten
    Vorsitzender des Wissenschaftlichen       sprachigen mitteleuropäischen Raum      Mal in der IUFRO-Geschichte in La-
    Kongresskomitees                          gewählt, wo die IUFRO Gründerväter      teinamerika.
                    (Foto: Janina Radny)      herkamen. Nach der Baumpflanzung
                                              wurde eine künstlerische Forst-
                                              geschichtsausstellung „125 Jahre        Dr. Kaisu Makkonen-Spiecker
    ke die CO2-Emissionen des Landes          IUFRO“ – das Ergebnis einer Koope-      FVA, Direktion
    um 14 Prozent. Das Ziel des Bun-          ration zwischen Forstwissenschaft-      Tel.: (07 61) 40 18 - 3 71
    desministeriums für Ernährung und         lerinnen und Forstwissenschaftlern      kaisu.makkonen-spiecker@forst.bwl.de
    Landwirtschaft sei, das Klimaschutz-
    potenzial der Wälder noch stärker zu
    nutzen.
    Neben den sehr gut besuchten
    parallelen, rein wissenschaftlichen
    Vortragsreihen gab es eine Reihe Ple-
    narsitzungen „Wissenschaft im Dia-
    log“, die dazu diente, mit unterschied-
    lichen Interessensvertretungen über
    die zukünftige Rolle von IUFRO und
    den Waldwissenschaften zu diskutie-
    ren. Auf dem Podium saßen namhafte
    Persönlichkeiten aus internationalen
    Organisationen wie den Vereinten
    Nationen (UN), der Welternährungs-
    organisation (FAO), der Weltbank, der
    World Wide Fund For Nature (WWF)
    sowie aus der Wirtschaft und Waldbe-
    sitzverbänden. Prominente Persön-
    lichkeiten, so auch der ehemalige Mi-
    nisterpräsident von Schweden, Göran       Abb. 5: Leitete die Podiumsdiskussion „Wissenschaft trifft Politik“ unter
    Persson, leiteten in die Podiumsdis-      der Moderation von Alexander Buck, IUFRO Exekutiv Direktor (rechts) ein:
    kussionen ein. Persson forderte unter     ehemaliger Ministerpräsident von Schweden, Göran Persson (2. von rechts)
Einblick 3/2017 - Forstliche Versuchs ...
FVA-einblick 3/2017                                                                                                      7

Wenn Wildtiere Ruhe brauchen und Menschen sich
bewegen wollen – vom Wissen zum Handeln
von Rudi Suchant

Unumstritten brauchen Menschen       Das Waldinnenklima gleicht Extreme       besonders für die Wintermonate, in
den Wald als Erholungsraum und       wie Hitze, Kälte, Starkwind und Luft-    Reproduktionsperioden und in Däm-
damit für eine große Zahl an Frei-   feuchtigkeit aus und es besteht ein      merungs- und Nachtzeiten. Warum
zeitaktivitäten. Bewegung ist für    Gefühl, sich frei bewegen zu können,     ist das so?
die Gesundheit gut, die klare Luft   wann und wo es einem beliebt. So
sorgt für einen erholsamen Aus-      nutzen Menschen in ihrer Freizeit auf
gleich für die feinstaubbelastete    unterschiedlichste Art im Sommer         Wildtiere brauchen Ruhe und
Lunge, die mit Ausnahme der Na-      und Winter, meist bei Tag, aber auch     reagieren unterschiedlich auf
turgeräusche vorhandene Ruhe         zunehmend in der Dämmerung und           Störreize
und die olfaktorischen oder opti-    bei Nacht den Wald in vielfältigster
schen Sinneseindrücke vermitteln     Weise – einerseits auf markierten        Der „Charakter“ von Wildtieren ist ge-
Entspannung in einer ansonsten       Wegen, andererseits aber auch im-        prägt unter anderem durch die Scheu
von Hektik, Lärm und Reizüberflu-    mer mehr abseits jeder Infrastruktur.    vor dem Menschen – das Wildtier fürch-
tung geprägten Welt.                 Sie orientieren sich bei der Freizeit-   tet im Menschen vor allem den Jäger,
                                     nutzung zwar bisher immer noch zum       der ihm nachstellt und es tötet. So ist
                                     Großteil an Wegschildern und Mar-        mangels Unterscheidungsmöglichkeit
                                     kierungen, doch die Möglichkeiten        zwischen Jagenden und Nichtjagenden
                                     moderner Navigationsgeräte zeigen        jeder Mensch ein vermeintlicher „Prä-
                                     den Fortgang des Weges oder der          dator“ und stellt für Wildtiere eine Be-
                                     Abfahrt auch abseits jeder touristi-     drohung dar. Daher ist das Raum-Zeit-
                                     schen Angebote.                          Verhalten von Wildtieren neben der
                                     Für Wildtiere ist aber das Störpo-       Notwendigkeit des Nahrungserwerbs
                                     tenzial „unkalkulierbarer“ Freizeitak-   und der Fortpflanzung auch dadurch
                                     tivitäten besonders groß. Das gilt       geprägt, dass die Teile unserer Land-

                                     Abb. 1: Wildtiere können lernen, sich an „ungefährliche“ Besuchende zu
                                     gewöhnen.                                                (Foto: Erich Marek)
Einblick 3/2017 - Forstliche Versuchs ...
8                                                                                                        FVA-einblick 3/2017

                                                                                          Einklang zu bringen, sind räumliche
                                                                                          Konzeptionen notwendig, die folgen-
                                                                                          de Bedingungen erfüllen:
                                                                                          •• Einbeziehung aller menschlichen
                                                                                             Nutzungen und Freizeitaktivitäten
                                                                                          •• „Lenkung“ der Wildtiere durch:
                                                                                             ○○ Etablierung von Ruhebereichen
                                                                                             ○○ Anpassung des jagdlichen Ma-
                                                                                                nagements
                                                                                             ○○ Lebensraumgestaltung durch Land-
                                                                                                und Forstwirtschaft
                                                                                             ○○ Weiterentwicklung des touristi-
                                                                                                schen Angebots unter Einbezie-
                                                                                                hung von Wildtieraspekten
                                                                                          •• „Lenkung“ des Menschen durch:
                                                                                             ○○ Sensibilisierung und Bewusst-
                                                                                                seinsbildung im Hinblick auf die
                                                                                                Bedürfnisse von Wildtieren
                                                                                             ○○ Durchführung von Kampagnen und
    Abb. 2: Struktur von räumlichen Konzeptionen, die Aktivitäts-/ Ruhebereiche                 Verbreitung    wildtierökologischer
    von Wildtieren (1) und die Aktivitätsbereiche der Menschen (2) integrieren.                 Informationen
    Sie sind wie folgt aufgeteilt:1A Wildruhebereich, 1B Wildkernbereich,
                                                                                             ○○ Schaffung von Identifikation mit der
    2B Übergangsbereich, 2A Walderlebnisbereich
                                                                                                Etablierung von Ruhebereichen
                                                                                             ○○ Weiterentwicklung des touristi-
                                                                                                schen Angebots unter Einbezie-
    schaft von Wildtieren aufgesucht wer-     wickelt, um auf die durch den Men-                hung von Wildtieraspekten
    den, die vom Menschen nicht oder nur      schen ausgelösten Störreize reagieren          ○○ Förderung von Akzeptanz für die
    zu bestimmten Tages- oder Jahreszei-      zu können. Sie können zum Beispiel ihr            Einhaltung räumlicher Konzeptio-
    ten genutzt werden. Das „Menschen-        Verhalten anpassen, indem sie die von             nen
    Meide-Verhalten“ ist bei sehr vielen      Menschen genutzten Bereiche meiden             ○○ Schaffung von rechtlichen Restrik-
    Tierarten deutlich ausgeprägt. Neuere     und „ruhige“ Gebiete aufsuchen. Oder              tionen in besonderen Konfliktsitu-
    Untersuchungen zeigen beispielswei-       sie können sich an Störreize gewöh-               ationen, beispielsweise durch die
    se, dass Nahbereiche von Wegen von        nen, indem sie trotz der Störreize ih-            Etablierung von Wildruhegebieten
    Rotwild entweder grundsätzlich gemie-     ren Lebensraum nutzen, da sie gelernt             nach §42 Jagd- und Wildtierma-
    den (Franz 2016) oder nur tagsüber        haben, dass die Störungen „ungefähr-              nagementgesetz (JWMG) mit an-
    gemieden und bei Nacht bevorzugt          lich“ sind. Sowohl für die Anpassung              gepassten Kontrollen.
    aufgesucht werden, wenn die dort vor-     als auch für die Gewöhnung gilt, dass       Bei der „Lenkung“ des Menschen ist
    handene gute Nahrung ungestört auf-       nur eine für das Wildtier „kalkulierbare“   wichtig zu wissen, was sein Verhal-
    genommen werden kann (Coppes et           beziehungsweise „vorhersehbare“ Stö-        ten steuert (vgl. Immos und Hunziker
    al. 2017a). Auch für das Auerhuhn ist     rung dieses Verhalten ermöglicht.           2014), wo und warum er Wege ver-
    die Meidung touristischer Infrastruktur   Unkalkulierbare Störungen können            lässt (vgl. Coppes und Braunisch 2013,
    nachgewiesen: Untersuchungen im           dagegen unterschiedlich auf Wildtiere       Kopp 2014) und wie die verschiedenen
    Schwarzwald haben gezeigt, dass Au-       wirken: Dies reicht von einer direkten      Akteurinnen und Akteure bei der Ent-
    erhühner die Nähe zu Wanderwegen          Fluchtreaktion, über eine signifikante      wicklung von räumlichen Konzeptionen
    und Mountainbike-Trails meiden. Da-       Änderung des Raum-Zeit-Verhaltens           beteiligt werden können. Nur durch
    durch geht wertvoller Lebensraum ent-     bis zu einem erhöhten Level der Stress-     eine ausreichende Partizipation und
    lang von Wegen verloren. Betrachtet       hormone.                                    einer daraus resultierenden Identifika-
    man alle Wanderwege und Mountain-                                                     tion kann sichergestellt werden, dass
    bike-Trails im Schwarzwald, zeigt sich,                                               die Regeln von räumlichen Konzeptio-
    dass im Sommer bis zu 20 Prozent          Räumliche Konzeptionen –                    nen eingehalten und die notwendigen
    des gesamten Auerhuhn-Verbreitungs-       Menschen und Wildtiere im                   Maßnahmen umgesetzt werden. In der
    gebiets durch Erholungssuchende be-       Einklang                                    folgenden Abbildung und Tabelle ist
    einflusst wird (Coppes et al. 2017b).                                                 dargestellt, wie eine „Räumliche Kon-
    Wildtiere haben aber auch in ihrem        Um die Ansprüche des Menschen               zeption“ strukturiert sein könnte. Ein
    Verhaltensportfolio Möglichkeiten ent-    und die Bedürfnisse der Wildtiere in        Positivbeispiel einer Räumlichen Kon-
Einblick 3/2017 - Forstliche Versuchs ...
FVA-einblick 3/2017                                                                                                                                     9

zeption wurde mit der Rotwildkonzepti-       Tab. 1: Mögliche Leitplanken für die anthropogene Nutzung im Rahmen
on Südschwarzwald schon 2008 umge-           einer Räumlichen Konzeption
setzt, die derzeit von der FVA evaluiert
                                                 Bereich   Rahmen                 Freizeitaktivitäten        Waldwirtschaft            Jagd
und gemeinsam mit der AG Rotwild
                                                                                                             Dem Wildtiervorkommen
weiterentwickelt wird. Auch im „Rot-             1a        Vorrang Wildtiere:                                angepasste Zielsetzung.   Keine bzw. zeitlich
wildprojekt Nordschwarzwald“ (www.               Wild-     Keine bzw. zeitlich ein-
                                                                                   keine
                                                                                                             Zeitliche Einschränkung   auf 1 bis 2 Wochen
                                                 ruhe-     geschränkte anthro-                               4 Wochen im Herbst        im Herbst
rotwildkonzeption-nordschwarzwald.
                                                 bereich   pogene Nutzung                                    (Ausnahme:                beschränkt
de) werden derzeit wissenschaftliche                                                                         Katastrophen)
Grundlagen für eine Räumliche Kon-                                                Vom 1.11. bis 15.7.
zeption geschaffen, die in einem breit                                            infrastrukturgebunden
                                                 1b        Wildtiere sind                                    Wildtiere als             Keine Jagd während
                                                                                  Wenn “neue“ Infra-
angelegten partizipativen Prozess als            Wild-     ein zu berück-
                                                                                  struktur, Beseitigung
                                                                                                             Standortfaktor            Winterruhe. Verkürz-
                                                 kern-     sichtigender                                      in die Zielsetzung        ung von Jagdzeiten,
Basis für die „Rotwildkonzeption Nord-                     Standortfaktor
                                                                                  „alter“ Infrastruktur
                                                                                                              aufnehmen                z.B. Intervalljagd
                                                 bereich
schwarzwald“ erarbeitet wird.                                                     Schaffung von Ange-
                                                                                  boten „Wildtiererlebnis“
Die aufgezeigte Thematik ist auch eine                                            Aktivitäten nur
                                                 2b        Die Bedürfnisse
der Schwerpunktaufgaben bei der Um-                                               während des Tages          Freizeitaktivitäten
                                                 Über-     von Wildtieren
setzung des JWMG. Zu diesem Zweck                                                 Schaffung von              als Standortfaktor        Regelungen JWMG
                                                 gangs-    sind auch zu
                                                                                  Angeboten                  mit aufnehmen.
wurde im Frühjahr 2017 der Initiativkreis        bereich   beachten
                                                                                  „Naturerlebnis“
„RespektWildtiere“ beim Ministerium              2a                               neue Angebote, auch                                  Einschränkungen der
                                                           Vorrang                                           Den Freizeitaktivitäten
für Ländlichen Raum und Verbraucher-             Wald-
                                                           Freizeit-
                                                                                  für Nachtaktivitäten.
                                                                                                             angepasste Zielsetzung
                                                                                                                                       Jagd durch Freizeit-
                                                 erlebnis-                        Großveranstaltungen,                                 aktivitäten (räumlich,
schutz gegründet. Der von der FVA mit                      aktivitäten                                       (z.B. Erholungswald)
                                                 bereich                          Events                                               jahres-, tageszeitlich)
wissenschaftlichen Arbeiten unterstütz-
te Initiativkreis soll mit seinen Mitglie-
dern aus der Jagd, dem Naturschutz
und dem Freizeitsektor Maßnahmen
zum Zweck der Störungsreduktion von
Wildtieren bündeln und koordinieren.
Weitere Informationen und Anregungen
zu Wildtieren und wildtierfreundlichem
Verhalten gibt auch die Initiative „Be-
wusstwild“ des Vereins Wildwege e.V.
(www.bewusstwild.de)

                                             Literatur                                           001–012.
                                                                                               Franz J. (2016) Quantifizierung von
                                             Coppes J., Braunisch V. (2013) Ma-                  Effekten natürlicher und anthropo-
                                              naging visitors in nature areas:                   gener Umweltfaktoren der Raum-
                                              where do they leave the trails?                    selektion des Rothirsches (Cervus
                                              A spatial model. Wildlife Biology                  elaphus L.) in den Rotwildgebie-
                                              19:1-11                                            ten des Schwarzwaldes zum Win-
                                             Coppes J., Burghardt F., Hagen R.,                  terende. Fakultät für Umwelt und
                                              Suchant R., Braunisch V. (2017a)                   Natürliche Ressourcen. Albert-
                                              Human recreation affects spatio-                   Ludwigs-Universität Freiburg
                                              temporal habitat use patterns                    Immoos U., Hunziker M. (2014) Wir-
                                              in red deer (Cervus elaphus).                      kung von Lenkungsmaßnahmen
                                              PLoS ONE 12(5): e0175134. ht-                      auf das Verhalten von Freizeit-
                                              tps://doi.org/10.1371/journal.                     aktiven. Naturschutz und Land-
                                              pone.0175134                                       schaftsplanung 46:5-9
                                             Coppes J., Ehrlacher J., Suchant                  Kopp V. (2014) Wildlife friendly win-
                                              R., Braunisch V. (2017b) Outdoor                   ter tourism - An analysis of the
                                              recreation causes effective habi-                  behavior of winter athletes with
Dr. Rudi Suchant                              tat reduction in Capercaillie (Tet-                regard to off-trail activities. Fakul-
FVA, Abt. Wald und Gesellschaft               rao urogallus): a major threat for                 tät für Umwelt und natürliche Res-
Tel.: (07 61) 40 18 – 2 09                    geographically restricted populati-                sourcen. Albert-Ludwigs-Universi-
rudi.suchant@forst.bwl.de                     ons. Journal of Avian Biology 48:                  tät Freiburg
Einblick 3/2017 - Forstliche Versuchs ...
10                                                                                                FVA-einblick 3/2017

     Wildtiere: Sinnbilder eines lebendigen Waldes und
     Helfer in der Besucherlenkung
     von Stephanie Bethmann und Ulrich Schraml

     Wald ist ein wesentlicher Bestand-     Für das Denzlinger Wildtierforum        tung der Waldbilder offenbaren eine
     teil im Leben vieler Menschen in       2017 wurde anhand mehrerer Studi-       komplexe Sichtweise auf diese Tiere,
     Baden-Württemberg. Über 80%            en aus Baden-Württemberg die Be-        die romantische Idealisierung genau-
     der Menschen halten sich hierzu-       ziehung zwischen Mensch und Tier        so einschließt wie nüchternen Rea-
     lande in ihrer Freizeit im Wald auf.   im Wald aus Sicht von Waldbesu-         lismus. Folgender Dialog illustriert
     Täglich sind insgesamt rund zwei       chenden beleuchtet. Einige Antwor-      das: „Oh, Du stellst den Wolf zum
     Millionen Waldbesuchende anzu-         ten auf die folgenden Fragen werden     Reh?!“ „Der muss doch auch essen.“
     treffen. Was sie dabei aber selten     dargestellt: Welche Rolle spielen       In diesem Gespräch zwischen zwei
     zu Gesicht bekommen, sind Wild-        Tiere für das Erleben von Waldna-       Erwachsenen mündet die Begegnung
     tiere. Und trotzdem gehören diese      tur, wie ist es um die Beziehung der    von Wolf und Reh auf der Magnetta-
     untrennbar zu den Vorstellungen        Menschen zu Wildtieren bestellt und     fel einerseits im Bild einer verletzli-
     von Wald dazu. „Wenn’s keine           was verrät das über die Bereitschaft    chen und schutzbedürftigen Natur,
     Tiere gibt, dann gibt’s theoretisch    zur Rücksichtnahme auf Tiere beim       eine moralisierende Sichtweise, die
     auch keinen Wald“, meint eine jun-     Waldbesuch? Wie lässt sich mit die-     Mitgefühl mit dem Leiden des Rehs
     ge Waldbesucherin.                     sen Befunden in der Praxis arbeiten?    bezeugt. Andererseits symbolisiert
                                                                                    die Szene auch die Vorstellung eines
                                                                                    natürlichen Gleichgewichts, das au-
                                            Tiere gehören zum Wald                  ßerhalb menschlicher Moral liegt.
                                                                                    Ein Fazit dieser Idealwald-Befra-
                                            „Wie sieht Ihr Idealwald aus?“ Die-     gung: Die Begeisterung für den Wald
                                            se Frage wurde Passantinnen und         hat viel mit der Begeisterung für Tie-
                                            Passanten auf dem Freiburger Wis-       re zu tun, und die Tierwelt stellt für
                                            senschaftsmarkt 2014 gestellt (Beth-    Menschen eine Fülle ambivalenter
                                            mann et al. 2015). Sie waren auf-       Symbole bereit, mittels derer sie sich
                                            gefordert, die Frage mithilfe einer     mit Natur identifizieren können.
                                            Magnettafel und Waldsymbolen zu
                                            beantworten – verfügbar war eine
                                            Reihe unterschiedlicher Motive wie      Was sucht der Mensch
                                            Bäume, Blätter, Zapfen, Totholz, Tie-   im Wald?
                                            re, Menschen, Harvester und Wind-
                                            räder (vgl. Peters & Schraml 2015).     Möchte man einordnen, weshalb Tie-
                                            Ihre mündlichen und schriftlichen       re in der Wahrnehmung von Wald
                                            Kommentare zu den so entstande-         eine Schlüsselrolle spielen, muss
                                            nen Bildern wurden dokumentiert         man zunächst verstehen, was Wald-
                                            und ausgewertet. Ein Ergebnis: Bei      besuchende überhaupt in den Wald
                                            39 von 54 Bildern wurde hervorgeho-     lockt. Zahlreiche Studien zeigen,
                                            ben, dass Tiere für das Waldbild der    dass unter den Motiven für einen
                                            Personen besonders wichtig waren,       Waldbesuch Abschalten, Natur be-
                                            oder dass unter den vorhandenen         obachten und Bewegung ganz oben
                                            Magneten nicht genügend Tierarten       rangieren (Ensinger et al. 2013, Wip-
                                            waren, um einen Idealwald darzu-        permann & Wippermann 2010, Hun-
                                            stellen. Die Tierbegeisterung reich-    ziker et al. 2012).
                                            te vom Kleinstlebewesen bis hin zu      Ermöglicht man Menschen im In-
                                            den besonders oft kommentierten         terview ausführlich und mit eigenen
                                            Großprädatoren Luchs und Wolf. Die      Worten, von ihren Erfahrungen mit
                                            Kommentare während der Gestal-          Wald zu berichten, tritt zudem zuta-
FVA-einblick 3/2017                                                                                                         11

ge, dass sie vor allem in den Wald
gehen, um von etwas wegzukommen
(Ensinger et al. 2013). Über den Wald
sprechen sie häufig in Negationen.
Sie erzählen, was im Wald nicht ist.
Neben biophysischen Faktoren des
Wohlbefindens ist es auch dieses
Potential des Waldes als Gegenwelt,
was die Faszination und Erholungs-
wirkung des Waldes ausmacht. Der
heilen Welt des Waldes stehen die
Belastungen des Alltags entgegen,
denen man entflieht: Technik und
Zivilisation, Arbeit und soziale Ver-
pflichtungen. Von all dem verspricht
der Wald eine Auszeit (Ensinger et
al. 2013, 2014). Damit ist noch wenig
darüber gesagt, was Wälder eigent-
lich sind, und so bleiben sie in hohem
Maße geeignet als Projektionsfläche:
Wald – ein Sehnsuchtsort, Waldbesu-
che – ein „Eintauchen in eine andere
Welt“. Diese Deutung von Wäldern
knüpft an die Naturvorstellungen der
Romantik an: Erst in dieser Zeit wur-
de Natur der Kultur als ein positives
Gut gegenübergestellt. So fungiert
„Natur als Projektionsfläche für Ide-
en vom guten und richtigen Leben         Abb. 1: Die Magnettafel im Einsatz
oder als positive Gegenwelt zu einer
kritisch gesehenen Kultur als auch
Zivilisation“ (Kirchhoff 2016). In der   Tierbegegnungen                         erzählt werden: Es passiert etwas.
Kontaktaufnahme mit Natur suchen         und Tierfantasien                       Der Wald wird zu einem Ort lebendi-
Menschen seither auch eine Ausei-                                                ger Begegnung.
nandersetzung mit sich selbst und        Für das Bedürfnis der Menschen,         Im Gegensatz zu der häufigen The-
ihrer eigenen Natur.                     eine persönliche Beziehung zu Na-       matisierung von Tierbegegnungen
In der vermeintlich ganz anderen         turräumen herzustellen, spielen die     steht, dass Menschen beim Wald-
Welt des Waldes erleben sich Men-        Tiere des Waldes eine zentrale Rolle.   besuch äußerst selten tatsächlich
schen, die sich selbst als Kulturwe-     Dies verdeutlicht die bereits erwähn-   mit Wildtieren in Kontakt kommen.
sen sehen, als Gast in einer Welt der    te Studie von Ensinger et al. (2013).   Die besondere Wichtigkeit von Wild-
Naturwesen. Beschreibungen von           Hier wurden neben einer standardi-      tieren als Teil von Walderlebnissen
Wäldern heben dementsprechend            sierten Befragung auch 25 Proband/-     lässt sich eher über deren symboli-
metaphorisch       die   eigenständige   innen in qualitativen Interviews nach   sche Bedeutung erklären: Tiere rüh-
Wesenhaftigkeit des Waldes hervor:       ihren Walderlebnissen gefragt. In je-   ren an die Sehnsucht der Menschen,
Der Wald agiert und reagiert, hat        dem dieser Interviews werden Tiere      in Kontakt zu einer anderen Welt zu
moralische Rechte, wird als belebt       thematisiert, obwohl kein einziges      treten. Tierbegegnungen sind immer
wahrgenommen und man tritt mit           Mal nach Tieren gefragt wird. Der       verbunden mit Tierfantasien.
ihm in Kontakt (Botsch et al. 2014).     Wald und seine Tiere – das gehört
Durch solche „symbolisierende[n],        für die Interviewten fraglos zusam-
anthropomorphe[n] Naturdeutungen         men. Die Antwortmuster im Interview     Tiere als Repräsentanten
werden Naturerfahrungen persönlich       zeigen darüber hinaus, dass Tiere       einer fremden Welt
bedeutsam. Auf symbolische Wei-          Naturerfahrungen erst erzählbar ma-
se fühlt man sich bei Naturerlebnis-     chen. Während die Flora des Waldes      Tierbegegnungen werden durchweg
sen »gemeint« und angesprochen.“         eher den Stoff für Beschreibungen       als (zu) selten thematisiert: Man
(Gebhard 2016).                          bietet, kann über Tierbegegnungen       sieht „mal“ ein Tier, „fast nie“, „gerne
12                                                                                                  FVA-einblick 3/2017

                                                                                       Tiere sind ein lebendiges Sinnbild
                                                                                       der Fremdheit von Natur, indem sie
                                                                                       für Menschen unverfügbar und un-
                                                                                       berechenbar sind. Sie sind beson-
                                                                                       ders geeignet, das Eigenleben der
                                                                                       Gegenwelt Wald zu verkörpern. An-
                                                                                       dererseits sind sie aber auch ideale
                                                                                       Träger von Übertragungen aus der
                                                                                       Welt des Menschen und erlauben es
                                                                                       Waldbesuchenden, sich zur Natur in
                                                                                       Beziehung zu setzen.

                                                                                       Tiere als Brücke zwischen
                                                                                       Mensch und Natur

                                                                                       Tiere agieren und reagieren viel
                                                                                       sichtbarer, dem Menschen ähnlicher,
                                                                                       als Bäume und andere Elemente des
                                                                                       Waldes. Dadurch eignen sie sich als
                                                                                       Träger von Projektionen. Die Über-
                                                                                       tragung von menschlichen Gedan-
                                                                                       ken, Gefühlen und Handlungsweisen
                                                                                       auf andere Objekte oder Lebewesen
                                                                                       bezeichnet man als Anthropomorphi-
                                                                                       sierung. Solch eine Personifikation
                                                                                       von Tieren ist in vielen Bereichen
                                                                                       unserer Kultur gang und gäbe bei-
     Abb. 2: Vom Kleinstlebewesen bis zum Großpredatoren: mehr Tiere als Bäume         spielsweise in der Haustierhaltung
                                                                                       oder in Mythen und Märchen. Wild-
                                                                                       tiere gelten im Symbolvorrat ei-
     öfter“, spricht darüber im Konjunktiv,   Baumstumpf zu sitzen und leise zu        ner Kultur als kollektive Träger von
     freut sich schon über bloße Tierspu-     sein, man dann plötzlich die Tierchen    menschlichen Eigenschaften und
     ren und gibt sie nicht auf, „die Hoff-   sieht, dann hört man plötzlich die Vö-   sozialen Bedeutungen, zum Beispiel
     nung, dass man mal ein Reh sieht“.       gel und nimmt alles Mögliche wahr.“      der böse Wolf, der schlaue Fuchs
     Selbst kleinste Begebenheiten blei-      Denn eigentlich wird der Wald als die    oder die verschlagene Schlange.
     ben in Erinnerung.                       Heimstätte der Tiere geschildert. Sie    „Die Mythen- und Fabelwelten sind
     Obwohl Tiere also gegenüber den          „wohnen“ hier, der Mensch ist nur zu     bevölkert mit Tieren, die Vergegen-
     Menschen für gewöhnlich mit Abwe-        Gast. Er kann auch Störenfried und       wärtigung menschlicher Wesenszü-
     senheit glänzen, sind sie als unsicht-   Schädling sein. Seine Anwesenheit        ge und Spiegel menschlicher Bilder
     bare Anwesenheit immer präsent.          ist den Tieren nur mit Rücksichtnah-     sind“ (Jürgens 2016).
     Das wird durch die Erfahrung unter-      me zuzumuten. Von gut informierten       Untersucht man die Interview-Erzäh-
     stützt, dass Tiere in Walderlebnissen    Waldbesuchenden werden tageszeit-        lungen daraufhin, wie Tiere zu Men-
     „plötzlich“ und unvorhersehbar auf-      liche, jahreszeitliche und räumliche     schen ins Verhältnis gesetzt werden,
     tauchen. Ihr Erscheinen ist eine freu-   Rückzugsräume („Zonen“) gefordert.       zeigen sich drei Ebenen der Perso-
     dige, selten auch bedrohliche Über-      Als illegitim werden solche Handlun-     nifikation:
     raschung, ein „Nervenkitzel“. In ihrer   gen beschrieben, die Tiere stören
     Rarität sind sie eine Belohnung für      könnten: „sich rumtreiben“, „nachts      a) Tiere haben menschen-
     Waldbesuchende, die sich so verhal-      um 11 noch mit der Helmlampe durch       ähnliche Eigenschaften
     ten, dass der Wald ihnen seine Ge-       den Wald rennen“, „wie Irre durch        Tiere „wohnen“ im Wald, „essen“
     heimisse preisgibt. Tierbegegnungen      die Gegend fahren“. „Man stört die       auf der Wiese, „ärgern“ sich über
     werden oft als sinnliche Erfahrungen     Tiere nicht in ihrer Welt, sozusagen.    Störungen durch Menschen, „ha-
     geschildert, die die Wahrnehmung         Ja. Man versucht halt einfach, man       ben halt auch was Besseres zu tun,
     herausfordern, Geduld und Ruhe vo-       ist sozusagen als Gast da und macht      als da am Straßenrand zu stehen“.
     raussetzen: „da mal nur auf einem        keine Unordnung.“                        Tierisches Handeln wird in solchen
FVA-einblick 3/2017                                                                                                            13

Formulierungen mit einem Vokabu-         Tiersymbolik als Instrument               Versuche in der Schweiz haben ge-
lar für menschliches Handeln be-         im Besuchmanagement                       zeigt, dass die Rücksichtslosigkeit
schrieben; man imaginiert ihr Leben                                                teilweise auf mangelndes Wissen
als ein menschenähnliches (vgl.          Wenn Tiere eine so prominente Rol-        zurückzuführen ist (Hunziker et al.
Botsch et al. 2014). Nicht nur wer-      le in den Erlebnissen von Waldbe-         2011). Wissensvermittlung verstärkt
den Tieren emotionale Reaktionen         suchenden spielen, lässt sich davon       die tatsächliche Rücksichtnahme al-
auf menschliche Störungen unter-         auch auf eine reale Rücksichtnahme        lerdings nur unter den Bedingungen,
stellt, zuweilen übernehmen Men-         auf Wildtiere schließen? Die Erfah-       dass:
schen dabei selbst die emotionale        rungen vieler Forstleute und Betreu-      •• es detailliert ist (nicht nur das Ver-
Reaktion für die Tiere: „mich regt’s     ender von Schutzgebieten sprechen            bot, sondern ausführlich seine
auf!“ „Das ärgert einen als schon        ja für eine andere Entwicklung. Gera-        Funktion kommuniziert wird) und
mal auch für die Tiere.“                 de die störungsintensiven Aktivitäten     •• die grundsätzliche Bereitschaft zur
                                         in der Natur nehmen zu (Breman et al.        Rücksichtnahme bei den Personen
b) Beziehungen zu Tieren                 2010, Coppes et al. 2017). Wie auch          schon vorher besteht.
sind moralische und soziale              die Analyse der Interviews gezeigt        Eine positive Beziehung zu Wildtieren
Beziehungen                              hat, ist die positive Beziehung zu        bietet hierfür eine relevante Grund-
Tiere werden in ihrem Territorium        Wildtieren vor allem auf deren sym-       lage. Psychologische Studien zur
vom Menschen regelrecht heimge-          bolische Bedeutung zurückzuführen,        Naturschutzkommunikation (Reese
sucht, sie werden fast immer als         weniger auf tatsächliche Tierbegeg-       2015) geben Hinweise darauf, dass
schutzbedürftig, verletzlich und be-     nungen. Auch im Bereich der Bereit-       Anthropomorphismen und die soziale
drängt thematisiert. Menschen treten     schaft zur Rücksichtnahme fallen die      Normativität von Tierbeziehungen ein
dabei zugleich in der Rolle als Störer   symbolische Ebene – das sicherlich        wirksamer Anknüpfungspunkt sind,
und Anwälte von Tierrechten auf. In      aufrichtig gemeinte Lippenbekennt-        um mehr Rücksichtnahme zu errei-
der Beziehung zu Tieren drückt sich      nis, Rücksicht üben zu wollen – und       chen – zugleich bergen sie aber auch
auch die soziale Reife der Menschen      die Handlungsebene auseinander.           das Risiko, dass Tiere zu negativ auf-
aus: „Also als kleines Kind hab ich
auch mal en Ameisenhaufen geär-
gert, aber wenn dann halt sich ein
30jähriger einen Spaß damit macht
einen Ameisehaufen umzuwühlen,
dann find ich das nicht mehr lustig.
Dann denk ich eigentlich: >Ja du
hast dich nicht weiterentwickelt
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     geladenen Symbolen gemacht wer-           der Werbung oder Schildern stets in       sichtbar, geheimnisvoll und oft ahnt
     den können. Insofern gilt es die sehr     Balzpose, also männlich, kraftstrot-      man nur ihre Präsenz in den Wäl-
     verschiedenen Symbolinhalte der Ar-       zend und vital präsentiert. Warum         dern. Begegnet man ihnen, agieren
     ten im Auge zu behalten. Wer auf die      sollte man also diesem potenten Vo-       sie plötzlich und unberechenbar.
     falschen Symbole setzt kommuniziert       gel einen spannenden Fackellauf im        Andererseits eignen sich Tiere als
     an wichtigen Zielgruppen vorbei. Wie      Tiefschnee opfern?                        Projektionsflächen für menschliche
     im Sprichwort gilt auch in der Kom-       Im Gegensatz dazu wird etwa mit der       Empfindungen, sind unsere Ver-
     munikation, dass die Würmer den Fi-       Allerweltsart Reh von vielen Waldbe-      wandten im Wald. Tierbegegnungen
     schen schmecken müssen und nicht          suchenden vor allem Schutzbedürftig-      verkörpern somit eine reaktive Na-
     den Angelnden. Insofern darf nicht        keit verbunden. Rehe sind in der Vor-     tur, die für Menschen einerseits eine
     die Begeisterung der Forstleute für       stellung vieler Menschen jung oder        völlig fremde Welt eröffnet und sie
     eine Art maßgeblich sein, sondern de-     weiblich, scheu, oft allein und daher     gleichzeitig in eine Beziehung zu die-
     ren Wirkung auf das adressierte Pub-      auf Rücksichtnahme angewiesen.            ser Welt setzt. Auch wenn Tiere oft
     likum. Entsprechend führt es natürlich    Bambi hat seine Geschichte effektvoll     unsichtbar bleiben, gehören sie zu
     auch in die Irre, Arten auszuwählen,      erzählt. Zudem ist die Art weitverbrei-   Waldbesuchen dazu. Ob diese emo-
     weil es dafür vor Ort naturschutzbe-      tet, bekannt und man sieht sie immer      tionale Relevanz von Tieren in der
     zogene Gründe geben mag. So haftet        wieder. Es ist also auch plausibel für    Naturbeziehung grundsätzlich eine
     Auerhühnern zwar die Botschaft an,        Waldbesuchende, dass die eigene           praktische Rücksichtnahme auf Tiere
     dass sie selten und am Aussterben         Rücksichtnahme in diesem Fall ganz        nach sich zieht, kann bezweifelt wer-
     sind. Aber dementsprechend wenig          konkreten Tierindividuen nützt.           den. Einen Ansatzpunkt für die Kom-
     vertraut sind sie auch einem breiteren                                              munikation bieten sie aber sicher.
     Publikum. Die Art weckt nur bei we-
     nigen Menschen Assoziationen, die         Fazit
     zur Rücksichtnahme einladen. Die                                                    Stephanie Bethmann
     Bezüge sind eher historisch-traditio-     Tiere sind einerseits Verkörperungen      FVA, Abt. Wald und Gesellschaft
     nell, das Image verstaubt. Vor allem      des Fremden, des radikal Andersar-        Tel.: (07 61) 40 18 - 3 10
     aber werden die Vögel in Wappen,          tigen, der Waldwelt. Sie bleiben un-      stephanie.bethmann@forst.bwl.de

     Literatur                                 Ensinger, K., M. Wurster, A. Selter, M.     der Schweizer Bevölkerung zum
                                                Jenne, K. Botsch & S. Bethmann             Wald. Waldmonitoring soziokultu-
     Bethmann, S., E. Simminger, D. Men-        (2013): „Eintauchen in eine andere         rell: Weiterentwicklung und zweite
       ton-Enderlin, H. Schröder, R. As-        Welt“ – Untersuchungen über Erho-          Erhebung – WaMos, 2.
       mus (2015): „Wir wollen kein totes       lungskonzepte und Erholungspro-          Jürgens, U. M. (2016): Menschen,
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       Wald 1/16, S. 33-35.                     S. 70-83.                                  jektionen. In: Tierethik, 8. Jg. 13/2.
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       A. Selter & S. Bethmann (2014):          ter, A. Selter & K. Botsch (2014):         sucht nach Natur liegt in unserer
       Metaphorische Repräsentationen           „Und wenn’s ’ne tote Wühlmaus              Kultur In: Impulse 4/2016, S. 3-4.
       des Waldes. In: AFJZ (185/9/10), S.      ist“ – Zyklische und lineare Zeit-       Peters, D. M., Schraml, U. (2015):
       187-202.                                 konzepte in den Wahrnehmungen              Kognitive Karten zur Nachhaltig-
     Breman, P., B. Baur, R. Bürger-Arndt,      von Wald und in der Nationalpark-          keit im Wald oder Der Igel versteckt
       T. Hegetschweiler, M. Hunziker, O.       debatte Nordschwarzwald. In: AFJZ          sich vor dem Harvester. In: AFJZ
       Picard, U. Pröbstl & V. Wirth (2010):    (185/9/10), S. 203-219.                    (186/7/8),S. 125-136.
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       (Hg.), Management of Recreation          rung und Gesundheit In: Impulse            und Anthropomorphismus als Werk-
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FVA-einblick 3/2017                                                                                                  15

In die Zange genommen: Der Hirschkäfer an Roteiche
von Josepha Mayer, Christina Baumhauer und Andreas Schabel

Wie mit dem Zirkel gezogen sind      Bei Nachprüfungen konnten damals         sind kaum dokumentiert. Aus ökolo-
viele Stubben eines rund 60-jäh-     zwanzig Hirschkäfer in dem Bestand       gischer Sicht gilt die amerikanische
rigen Roteichenbestands im Frei-     nachgewiesen werden. Auffällig war,      Roteiche in unseren Wäldern im Ver-
burger Mooswald bis zu den Wur-      dass in den angrenzenden Stielei-        gleich zu den heimischen Quercus-
zeln umgegraben. Die Täter sind      chenbeständen keine oder nur sehr        arten als artenarm und insofern als
schnell identifiziert: Wildschwei-   wenige Käfer gefunden wurden. Die-       waldökologisch unbedeutend. Diese
ne haben im Boden rund um die        se Hinweise gaben den Anstoß für         naturschutzfachliche Einschätzung
vermodernden Roteichenstubben        das im Folgenden dargestellte Pro-       ist der fehlenden Koevolution der
Nahrung ausfindig gemacht. Den       jekt, die Entwicklung des Hirschkä-      Gastbaumart mit der heimischen
Hinweis, dass sich hier etwas        fers erstmalig auch an der aus natur-    Fauna geschuldet.
Besonderes im Boden befindet,        schutzfachlicher Sicht umstrittenen
erhielt die FVA schon 2011 im        Gastbaumart Roteiche zu untersu-
Rahmen der Erstellung des Ma-        chen.                                    Wie lebt der Hirschkäfer?
nagementplans für das FFH-Ge-
biet „Mooswälder bei Freiburg“.                                               Aufgrund der großen geweiharti-
                                     Der Hirschkäfer: Nahrungs-               gen Kiefer der Männchen gehört
                                     spezialist oder Generalist?              der Hirschkäfer (Lucanus cervus)
                                                                              zu den auffälligsten der heimischen
                                     Der Hirschkäfer wird hauptsächlich       Käferarten (Abb. 1). Er ist meist in
                                     mit der Alt- und Totholz-Phase der       halboffenen bis lichten, wärmebe-
                                     heimischen Eichen assoziiert. Aus        günstigten Wäldern oder Gehölz-
                                     der Fachliteratur lässt sich aber ent-   strukturen beheimatet. Die Entwick-
                                     nehmen, dass sich Hirschkäferlarven      lung der Larven an zersetztem Holz
                                     nicht nur an Eichenwurzeln, sondern      im Boden zieht sich über 3-7 Jahre
                                     auch an vielen anderen Laubbaumar-       (Klausnitzer 2014) und sie ernähren
                                     ten entwickeln (Klausnitzer 2014).       sich dort von durch Weißfäulepilze
                                     Vorkommen an Roteichen hingegen          aufbereitete Holzfasern (z.B. durch

                                     Abb. 1: Hirschkäfer Männchen (links) und Weibchen
16                                                                                                    FVA-einblick 3/2017

        Tab. 1: Gesamtfunde der Larven/         geslicht, die Männchen etwas früher     Baumalter wird relativiert, handelt es
        Imagines von Hirschkäfer                als die Weibchen. Nach erfolgreicher    sich hier doch um einen vergleichs-
        (Lucanus cervus) an Roteichen-          Partnersuche und Paarung legen die      weise jungen Bestand.
        wurzelstöcken (Quercus rubra)           Weibchen 50 bis 100 Eier in die Erde    Für die Bruttauglichkeit scheint nicht
                                                im Umfeld geeigneter Wurzelstöcke       die Holzart oder das Baumalter ent-
                 Hirschkäfer                    Harvey et al. (2011) – insbesonde-      scheidend zu sein, sondern die Ver-
Stadium/ Art                                    re solcher, die schon besiedelt sind    fügbarkeit von durch (Weißfäule-)Pil-
                 (Lucanus cervus )
                                                – und der Zyklus beginnt von neuem      ze zersetztem Holzsubstrat. Bei den
L1                       8                      (Klausnitzer 2014).                     Weißfäuleerregern handelt es sich
                                                                                        überwiegend um Pilze mit geringer
L2                         13                                                           Wirtspezifität, was die Austauschbar-
L3                         23                   Der Hirschkäfer                         keit der Holzarten als Bruthabitat er-
                                                auch an Roteiche?                       höht. Es ist auch zu vermuten, dass
Puppe                       -                                                           das Durchforstungsregime mit ein
                                                Um zu prüfen, ob die amerikanische      bis zwei Eingriffen pro Jahrzehnt zu
Adult                    2 ♀♀                   Roteiche (Quercus rubra) als Brut-      einem steten Nachschub an gleich-
                                                substrat für den Hirschkäfer geeignet   mäßig verteilten Bruthabitaten führt.
                                                ist, wurden im Juni 2016 zehn Rotei-    Die zusätzliche Besonnung durch die
                                                chen-Stubben maschinell umgezo-         Auflichtung des Bestandes fördert
        Trametes versicolor oder Stereum        gen. Die ausgewählten Wurzelstöcke      dabei die wärmeabhängige Entwick-
        hirsutum). Der Hirschkäfer durchläuft   waren von Wildschweinen umwühlt,        lung der Larven.
        mit voranschreitendem Wachstum          dies ist ein guter Indikator für das    Der Hirschkäfer zeigt sich anpas-
        drei Larvalstadien (Fremlin & Hen-      Vorhandensein von großen Käfer-         sungsfähig: Er kann auch nicht-hei-
        driks 2014)(Abb. 2). Im Herbst des      larven. Das untersuchte Gebiet liegt    mische Baumarten wie die Roteiche
        letzten Larvenjahres entwickelt sich    westlich der Stadt Freiburg in den      nutzen und bei entsprechender Aus-
        die Larve über eine Puppe zum adul-     sogenannten „Mooswäldern“. Bei          prägung sogar bevorzugen. Dies gilt
        ten Käfer und überwintert anschlie-     der untersuchten Fläche handelt es      nicht nur lokal in Südbaden, werden
        ßend bis 40 cm tief im Boden in einer   sich um ein lockeres bis geschlosse-    doch auch im Raum Karlsruhe häufi-
        selbstgebauten Puppenwiege (Rink        nes Roteichen-Baumholz (Ø 30,5 cm       ge Hirschkäferflüge in Roteichenbe-
        & Sinsch 2008). Zwischen Mai und        BHD) aus Erstaufforstung mit teilwei-   ständen gemeldet.
        Juni verlassen die Käfer die Pup-       se beigemischten Robinien in Rand-
        penwiege und graben sich ans Ta-        lage und einer Größe von annähernd
                                                30 ha. Die letzte Auslesedurchfors-     Die Roteiche im Rheintal
                                                tung wurde im Winter 2013/2014
                                                durchgeführt.                           Im Rheintal besteht ein ungleiches
                                                Im Rahmen der Untersuchung wur-         Altersklassenverhältnis      bei   der
                                                de nach dem Umziehen der Stubben        Stieleiche. Einem (noch) hohen An-
                                                im Wurzelbereich bis in 50 cm Tiefe     teil alter Eichenbestände, die aus
                                                vorsichtig nach Larven und Käfern       durchgewachsenen         Mittelwäldern
                                                gesucht (Abb. 3). Bis auf die Puppe     hervorgegangen sind, stehen wenige
                                                konnten alle Stadien des Hirschkä-      mittelalte Bestände gegenüber („Ei-
                                                fers an der Roteiche nachgewiesen       chenlücke“). Der Stieleichenanteil
                                                werden (Tab. 1; Abb. 2 und 4). Die      von insgesamt 11% - bezogen auf
                                                gesammelten Tiere wurden nach der       den öffentlichen Wald im Oberrhei-
                                                Erfassung wieder mit den Stubben in     nischen Tiefland - wird durch einen
                                                die Erde eingebracht.                   Roteichenanteil von 5% ergänzt. Mit
                                                                                        100 Jahren erreicht die Roteiche ei-
                                                                                        nen BHD100 von durchschnittlich 63
                                                Schlussfolgerung                        cm (Kohnle 2017, nicht veröffent-
                                                                                        licht). Die daraus resultierenden Stö-
                                                Die Ergebnisse bestätigen, dass         cke sind noch deutlich stärker. Hier-
                                                auch die Roteiche aufgrund der ge-      bei ist einschränkend zu erwähnen,
                                                ringen Wirtspezifität des Hirschkä-     dass die Roteiche bereits in einem
        Abb. 2: L-3 Larve des Hirschkäfers
        im Fraßgang durch verpilztes            fers als Bruthabitat genutzt wird.      Alter von 100 Jahren die Hiebsreife
        Roteichen-Holz                          Auch die Bindung an ein hohes           erreicht und insofern das Vorkom-
FVA-einblick 3/2017                                                                                                  17

Abb. 3: Umziehen eines Wurzelstocks: Roteichenstubben mit Drahtschlinge des Schleppers (links), umgezogener
Roteichenstubben (mittig) und Suche nach Engerlingen und adulten Käfern des Hirschkäfers (rechts)

men altersgebundener Mikrohabitate   •• der Hirschkäfer als anpassungs-       te Habitatstrukturen findet. Dies
wie z.B. von Höhlen weniger ausge-      fähige Käferart in den südwest-       schließt im Rheintal auch die Rot-
prägt ist.                              deutschen Laubwäldern – vor-          eiche mit ein.
Zusammenfassend ist festzustellen,      ausgesetzt die mikroklimatischen   •• die Roteiche insbesondere vor
dass:                                   Bedingungen stimmen – geeigne-        dem Hintergrund der „Eichenlücke“
                                                                              für den Hirschkäfer attraktive Habi-
                                                                              tatstrukturen anbieten kann.

                                                                           Josepha Mayer
                                                                           FVA, Abt. Waldnaturschutz
                                                                           Tel.: (07 61) 40 18 – 1 83
Abb. 4: L3-Larve des Hirschkäfers (Lucanus cervus)                         josepha.mayer@forst.bwl.de

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     Die Kermesbeere – eine invasive Art in lichten Wäldern
     des Oberrheinischen Tieflands
     von Mattias Rupp, Therese Palm und Hans-Gerhard Michiels

     In Baden-Württemberg zeigt die
     Amerikanische Kermesbeere seit
     einigen Jahren regional invasives
     Verhalten und kann Verdrängungs-
     effekte auslösen. Die FVA Baden-
     Württemberg erprobt Strategien,
     um den Neophyt im regionalen
     Waldschutzgebiet     Schwetzinger
     Hardt zurückzudrängen; erste Er-
     gebnisse liegen vor.

                                           Abb. 1: Phänologischer Kalender zu Phytolacca americana in der
                                           nördlichen Oberrheinebene

                                           Phytolacca americana stammt ur-         im Boden und beginnt Anfang März
                                           sprünglich aus Nordamerika. Dort        mit der Keimung. Kernwüchsige
                                           besiedelt die Pflanze lichte Wälder,    Pflanzen wachsen mit einem Spross,
                                           Gewässerränder und Störstellen. Im      aus mehrjährigen Wurzeln können
                                           Bezug zur Landwirtschaft wird sie als   mehr als zehn Sprosse austreiben
                                           unliebsame Art der Begleitflora be-     (Abb. 2). Die Blütezeit beginnt ab
                                           schrieben, wenn sie dichte Bestände     Mai und dauert bis in den Herbst.
                                           ausbildet (DiTomaso et al. 2013). In    Ein wesentliches Erkennungsmerk-
                                           Südwestdeutschland kann die ge-         mal der Art sind die anfangs ste-
                                           nügsame Pflanze bis über drei Me-       henden, später herabhängenden
                                           ter groß werden und dschungelartig      Blütenstände mit durchschnittlich 80
                                           wirkende Reinbestände ausbilden.        weißen Blüten. Jede Blüte kann eine
                                           Darin treten Verdrängungseffekte        in zehn Kammern gegliederte Frucht
                                           gegenüber der heimischen Flora auf.     mit je einem Samen ausbilden. Die
                                           Zudem gibt es Hinweise auf Allelopa-    dadurch entwickelte Samenmenge
                                           thie (Buhk 2013). Der phänologische     ist enorm, man kann von ca. 32.000
                                           Kalender zur Entwicklung der Phyto-     Samen pro ausgewachsenen Spross
                                           lacca americana (Abb. 1) wurde an-      ausgehen, was für einen mehrjähri-
                                           hand von Beobachtungen der Pflan-       gen, dichten Kermesbeerenbestand
                                           zen im nördlichen Oberrheingebiet       etwa 64 Millionen Samen pro Hektar
                                           erstellt.                               und Jahr bedeutet.
                                           Die mehrjährige Pflanze überdauert      Die grünen Sprosse verändern
                                           die ungünstige Jahreszeit als Rübe      während der Fruchtreife ihre Farbe
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