Einblick 3/2017 - Forstliche Versuchs ...
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Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg IUFRO 125: Sägekunst vor dem Konzerthaus Freiburg -einblick 3/2017
2 FVA-einblick 3/2017 Liebe Leserinnen, liebe Leser, der Event des Jahres 2017 – zumindest aus der FVA-Sicht – war der wis- senschaftliche Kongress anlässlich des 125-jährigen Bestehens des Interna- tionalen Verbandes Forstlicher Forschungsanstalten IUFRO im September in Freiburg. Nach dem Motto „Was lange währt, wird endlich gut“ liefen die Vorbereitungen über zwei Jahre. Das Ergebnis konnte sich sehen lassen: Mehr als 2.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 103 Ländern von allen Kontinenten, Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Waldbesitzverbänden sowie prominente Persönlichkeiten aus internatio- nalen Organisationen nahmen an dem Kongress teil. Ein Resümee wird auf Seite 4 gezogen. Die Bewegung in der freien Natur ist für die Menschen der heutigen Zivili- sationsgesellschaft als Ausgleich für den beruflichen Stress und für die Er- haltung der Gesundheit wichtiger denn je. Immer mehr Menschen sind im Wald unterwegs – auch bei Dunkelheit, abseits von Wegen und in entlegenen Gebieten. Die zunehmenden und immer vielfältigeren Freizeitaktivitäten im Wald können jedoch Stress für Wildtiere bedeuten: Ihre Rückzugsmöglich- keiten werden sowohl zeitlich als auch räumlich eingeschränkt. Sie finden immer weniger Ruhebereiche ohne menschliche Begegnungen. Auch der Einfluss der Jagd und deren Wechselwirkungen mit anderen Freizeitaktivitä- ten stellen neue Anforderungen an das Wildtiermanagement. Diese Konflikte wurden beim 6. Denzlinger Wildtierforum im März dieses Jahres thematisiert. Zwei der dort gehaltenen Präsentationen sind in der vorliegenden Ausgabe nachzulesen. Wildschweine, die im Freiburger Mooswald an Roteichen-Stubben gegraben hatten, haben ein FVA-Forschungsteam auf die Fährte eines kleineren tie- rischen Waldbewohners gebracht: des in Deutschland selten gewordenen, besonders geschützten Hirschkäfers. Die Hirschkäfer lieben bekanntlich Ei- chen, aber auch Roteichen? Im Gegensatz zu den 20 im Roteichenbestand gefundenen Hirschkäfern konnte das FVA-Forschungsteam in den angren- zenden Stieleichenbeständen keine oder nur sehr wenige Käfer finden. Es ging diesem interessanten Phänomen nach und berichtet über die Befunde auf Seite 15. Neben den großen „Eingebrachten“ – den Roteichen – bekommen die klei- neren, aber dafür die aggressiveren „Eingeschleppten“ immer mehr Aufmerk- samkeit: die Neophyten, die die heimische Flora und Fauna zu verdrängen drohen. Im Regionalen Waldschutzgebiet „Schwetzinger Hardt“ ist es die Amerikanische Kermesbeere, die sich in dem seltenen und gefährdeten Weißmoos-Kiefernwald invasiv verbreitet. Das Monitoring ihrer Ausbreitung sowie Techniken und Aufwand ihrer Bekämpfung mit dem Ziel des Erhalts der Kiefern-Waldlebensräume werden auf der Seite 18 dargestellt. Beim Lesen der vorliegenden Lektüre wünsche ich Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, viel Freude und Informationsgewinn sowie auch im Namen der einblick-Redaktion eine besinnliche Adventszeit. Ihr Prof. Konstantin Frhr. von Teuffel
FVA-einblick 3/2017 3 Inhalt 4 IUFRO feiert ihr 125. Geburtsjahr in Freiburg in bester Kondition von Kaisu Makkonen-Spiecker 7 Wenn Wildtiere Ruhe brauchen und Menschen sich bewegen wollen – vom Wissen zum Handeln von Rudi Suchant 10 Wildtiere: Sinnbilder eines lebendigen Waldes und Helfer in der Besucherlenkung von Stephanie Bethmann und Ulrich Schraml 15 In die Zange genommen: Der Hirschkäfer an Roteiche von Josepha Mayer, Christina Baumhauer und Andreas Schabel 18 Die Kermesbeere – eine invasive Art in lichten Wäldern des Oberrheinischen Tieflands von Mattias Rupp, Therese Palm und Hans-Gerhard Michiels 23 FVA-Projekte 26 FVA-Nachrichten Impressum Herausgeber Redaktion Auflage Prof. Konstantin Frhr. von Teuffel Dr. Petra Adler 1.700 Exemplare Direktor der Forstlichen Versuchs- und Steffen Haas Forschungsanstalt Baden-Württemberg Dr. Reinhold John Die Redaktion behält sich die sinnwah- Dr. Kaisu Makkonen-Spiecker rende Kürzung, das Einsetzen von Titeln Adresse Thomas Weidner und Hervorhebungen vor. Die Beiträge Wonnhaldestr. 4 müssen nicht unbedingt die Meinung der D-79100 Freiburg Redaktion wiedergeben. Tel.: (07 61) 40 18 - 0 Bildherkunft Fax: (07 61) 40 18 - 3 33 Titel: Kaisu Makkonen-Spiecker fva-bw@forst.bwl.de Wenn nicht anders angegeben, stammen Nr. 3, Dezember 2017, Jahrgang 21 www.fva-bw.de die Bilder von den Autorinnen bzw. Autoren. ISSN 1614-7707
4 FVA-einblick 3/2017 IUFRO feiert ihr 125. Geburtsjahr in Freiburg in bester Kondition von Kaisu Makkonen-Spiecker Mehr als 2.000 Wissenschaftlerin- Das Bundesministerium für Ernäh- Warum in Freiburg? nen und Wissenschaftler aus 103 rung und Landwirtschaft (BMEL), Ländern von allen Kontinenten, das Ministerium für Ländlichen Die IUFRO-Gründer 1892 waren der Vertreterinnen und Vertreter aus Raum und Verbraucherschutz Verein deutscher Versuchsanstalten Politik und Wirtschaft sowie von Baden-Württemberg (MLR), das - unter ihnen auch die Vorgängerins- internationalen Nicht-Regierungs- Ministerium für ein Lebenswertes titutionen der FVA, die Badische und organisationen waren vom 18. bis Österreich, das Bundesamt für Um- die Württembergische Forstliche Ver- 22. September in Freiburg versam- welt aus der Schweiz und französi- suchsanstalt – sowie die Versuchs- melt, um das 125-jährige Bestehen sche Forschungspartnerinnen und anstalten Österreichs und der Schweiz. des Internationalen Verbandes –partner unterstützten den Kon- Naheliegend war es daher, dass das Forstlicher Forschungsanstalten gress finanziell und substanziell. So forstliche Forschungsnetzwerk im (IUFRO) zu feiern. ermöglichte beispielsweise ein vom Dreiländereck, NFZ.forestnet, in dem BMEL unterstütztes Stipendienpro- forstliche Forschungseinrichtungen aus gramm 60 Wissenschaftlerinnen und Nancy, Freiburg und Zürich zusammen- Wissenschaftlern aus Afrika, Asien arbeiten, den Jubiläumskongress in und Lateinamerika die Teilnahme an Freiburg organisierte, wo die praxisbe- diesem Kongress. Prof. Konstantin zogene Waldforschung (FVA) die forst- von Teuffel, Vorsitzender des Orga- liche Grundlagenforschung (Fakultät nisationskomitees bewertete das als für Umwelt und Natürliche Ressourcen) einen Beitrag zur Stärkung der wis- trifft. Genauso naheliegend war es, senschaftlichen Entwicklung in den dass der Vorsitz der Organisation in der Entwicklungsländern und damit zur FVA (als IUFRO-Gründungsmitglied) globalen Armutsbekämpfung. angesiedelt war. Abb. 1: Die Waldhornisten der Fakultät für Umwelt und Natürliche Ressour- cen der Universität Freiburg begrüßten die Gäste der traditionellen IUFRO- Baumpflanzung.
FVA-einblick 3/2017 5 schon bei der Begründung von IUFRO vor 125 Jahren von grundle- gender Bedeutung gewesen, dass viele Wald- und Umweltprobleme nur durch grenzüberschreitende Zusam- menarbeit gelöst werden können und dass entsprechende Maßnahmen neueste wissenschaftliche Erkennt- nisse erforderten. Angesichts der globalen Herausforderungen wie des Klimawandels und der schnell wach- senden Weltbevölkerung sei diese Erkenntnis heute wichtiger denn je, meinte er. Etwas poetischer drückte sich Dr. Hermann Aeikens, Staatssekretär im BMEL, aus, indem er Theodor Heuß zitierte: „Holz ist ein einsilbiges Wort, aber dahinter verbirgt sich eine Welt Abb. 2: Pflanzten eine Linde mit fachlicher Unterstützung von Manuel Karopka, der Märchen und Wunder“. Aeikens FVA (links): Prof. Dr. Mike Wingfield, IUFRO-Präsident, Dr. Dieter Salomon, beglückwünschte die IUFRO zum Oberbürgermeister der Stadt Freiburg und Dr. Gerald Kändler, FVA-Vizedirektor 125. Geburtsjahr und bezeichnete ihre Gründung als „eine wahrlich vi- Zudem ermöglichte die Lage im Digitalisierung in der Waldforschung sionäre Entscheidung“ von Waldfor- Dreiländereck Halb- und Ganz- berichtet. schenden. Das Konzept der IUFRO tagesexkursionen in die verschie- Die tatsächliche Themenpalette des in der internationalen Waldforschung densten Landschaften, von der Kongresses umfasste jedoch fast alle biete eine ausgezeichnete Grundla- Rheinebene und dem Schwarzwald wichtigen Aspekte der aktuellen forst- ge, um Regierungen und Entschei- über die Vogesen bis hin ins Schwei- lichen Forschung und war in verschie- dungsträger verlässlich zu beraten. zer Jura. So konnte im Anschluss dene Segemente unterteilt: Wälder Des Weiteren bekräftigte er die Rolle des Kongresses ein breites Spektrum für Menschen; Wälder und Klimawan- des Waldes im Klimaschutz und gab unterschiedlicher, für das Zentral- del; Waldprodukte für eine grünere ein Beispiel: Der deutsche Wald sen- europa relevanter forstlicher Themen Zukunft; Artenvielfalt, Ökosystem- und diverse Landschaften präsentiert dienstleistungen und invasive Arten; werden. Wald, Boden und Wasser in Wech- selwirkung; Forstbetriebstechnik und Forstmanagement; Waldzustandser- Drohnen schwirren über fassung, Modellierung und Forstein- der Themenvielfalt richtung; Soziale Aspekte von Wald und Forstwirtschaft; Waldgesundheit; In mehr als 1.800 wissenschaftlichen Forstpolitik und Forstökonomie. Beiträgen wurden die neuesten Er- Über all den vielfältigen Themen lag kenntnisse der forstlichen Forschung bedrohend der Klimawandel: So be- präsentiert. Alle Abteilungen der FVA zeichnete der IUFRO-Präsident Prof. waren jeweils mit mehreren oralen Dr. Mike Wingfield den Klimawandel Präsentationen und Postern vertre- als ein riesiges Problem für die Welt, ten. Das Motte des Kongresses lau- die Menschheit und die Wälder und tete: „Wald, Wissenschaft und Men- als eine große Herausforderung für schen miteinander verknüpfen.“ In die Wissenschaft und Politik. „Solche Medienberichten fand besonders der globalen Probleme können nicht ohne Aspekt „Wald im digitalen Zeitalter“ internationale Zusammenarbeit gelöst ein großes Echo. In verschiedenen werden“, meinte er. Tageszeitungen, Rundfunkbeiträgen Ähnlich äußerte sich auch der stell- Abb. 3: Bei der Eröffnung des Kon- und sogar im ZDF heute journal wur- vertretende Exekutiv Direktor der gresses: Prof. Konstantin Frhr. von de über den Einsatz von Drohnen und IUFRO, Dr. Michael Kleine. Es sei Teuffel (Foto: Klaus Polkowski)
6 FVA-einblick 3/2017 anderem die Wissenschaft dazu auf, und Kunststudierenden – im Innen- die Politik zu unterstützen: Wenn es hof der Fakultät eröffnet. Die Aus- beispielsweise um die Waldnutzung stellung war anschließend zwei Wo- ginge, müsse man den Menschen er- chen lang auch für die Öffentlichkeit klären können, warum es wichtig sei, zugänglich. Holz zu nutzen. Für die Podiumsdiskussionen sowie für ausgewählte weitere Vorträge war Vitale Jubilarin – ein Livestreaming geschaltet, so dass IUFRO heute Interessierte ihnen auch am heimi- schen PC folgen konnten. Mit dem Hauptsitz seit 1973 in Wien ist die IUFRO das einzige globale Netzwerk, das sich mit waldbezoge- Linde als Zeichen für die Ver- ner Forschung und verwandten Dis- bindung zwischen Menschen ziplinen beschäftigt. Sie zählt heute und Bäumen rund 650 Mitgliedsorganisationen in 126 Ländern. Allein in Deutschland Im Rahmen des Kongresses fand die sind es 41 Mitgliedsorganisationen. traditionelle IUFRO-Baumpflanzung Sie repräsentiert mehr als 15.000 im Vorgarten der Fakultät für Umwelt Wissenschaftlerinnen und Wissen- Abb. 4: Haben auf dem „Ruhebänk- und Natürliche Ressourcen statt. Da- schaftler weltweit. Das nächste le“ der Sägekünstler vor dem Frei- für wurde die Linde als Symbolbaum IUFRO-Großereignis, der 25. Welt- burger Konzerthaus Platz genom- men: FVA-Direktor Prof. Konstantin für soziokulturelle Beziehung zwi- kongress, findet 2019 in Curitiba, von Teuffel und Dr. Sandy Liebhold, schen Wald und Mensch im deutsch- Brasilien statt, und damit zum ersten Vorsitzender des Wissenschaftlichen sprachigen mitteleuropäischen Raum Mal in der IUFRO-Geschichte in La- Kongresskomitees gewählt, wo die IUFRO Gründerväter teinamerika. (Foto: Janina Radny) herkamen. Nach der Baumpflanzung wurde eine künstlerische Forst- geschichtsausstellung „125 Jahre Dr. Kaisu Makkonen-Spiecker ke die CO2-Emissionen des Landes IUFRO“ – das Ergebnis einer Koope- FVA, Direktion um 14 Prozent. Das Ziel des Bun- ration zwischen Forstwissenschaft- Tel.: (07 61) 40 18 - 3 71 desministeriums für Ernährung und lerinnen und Forstwissenschaftlern kaisu.makkonen-spiecker@forst.bwl.de Landwirtschaft sei, das Klimaschutz- potenzial der Wälder noch stärker zu nutzen. Neben den sehr gut besuchten parallelen, rein wissenschaftlichen Vortragsreihen gab es eine Reihe Ple- narsitzungen „Wissenschaft im Dia- log“, die dazu diente, mit unterschied- lichen Interessensvertretungen über die zukünftige Rolle von IUFRO und den Waldwissenschaften zu diskutie- ren. Auf dem Podium saßen namhafte Persönlichkeiten aus internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen (UN), der Welternährungs- organisation (FAO), der Weltbank, der World Wide Fund For Nature (WWF) sowie aus der Wirtschaft und Waldbe- sitzverbänden. Prominente Persön- lichkeiten, so auch der ehemalige Mi- nisterpräsident von Schweden, Göran Abb. 5: Leitete die Podiumsdiskussion „Wissenschaft trifft Politik“ unter Persson, leiteten in die Podiumsdis- der Moderation von Alexander Buck, IUFRO Exekutiv Direktor (rechts) ein: kussionen ein. Persson forderte unter ehemaliger Ministerpräsident von Schweden, Göran Persson (2. von rechts)
FVA-einblick 3/2017 7 Wenn Wildtiere Ruhe brauchen und Menschen sich bewegen wollen – vom Wissen zum Handeln von Rudi Suchant Unumstritten brauchen Menschen Das Waldinnenklima gleicht Extreme besonders für die Wintermonate, in den Wald als Erholungsraum und wie Hitze, Kälte, Starkwind und Luft- Reproduktionsperioden und in Däm- damit für eine große Zahl an Frei- feuchtigkeit aus und es besteht ein merungs- und Nachtzeiten. Warum zeitaktivitäten. Bewegung ist für Gefühl, sich frei bewegen zu können, ist das so? die Gesundheit gut, die klare Luft wann und wo es einem beliebt. So sorgt für einen erholsamen Aus- nutzen Menschen in ihrer Freizeit auf gleich für die feinstaubbelastete unterschiedlichste Art im Sommer Wildtiere brauchen Ruhe und Lunge, die mit Ausnahme der Na- und Winter, meist bei Tag, aber auch reagieren unterschiedlich auf turgeräusche vorhandene Ruhe zunehmend in der Dämmerung und Störreize und die olfaktorischen oder opti- bei Nacht den Wald in vielfältigster schen Sinneseindrücke vermitteln Weise – einerseits auf markierten Der „Charakter“ von Wildtieren ist ge- Entspannung in einer ansonsten Wegen, andererseits aber auch im- prägt unter anderem durch die Scheu von Hektik, Lärm und Reizüberflu- mer mehr abseits jeder Infrastruktur. vor dem Menschen – das Wildtier fürch- tung geprägten Welt. Sie orientieren sich bei der Freizeit- tet im Menschen vor allem den Jäger, nutzung zwar bisher immer noch zum der ihm nachstellt und es tötet. So ist Großteil an Wegschildern und Mar- mangels Unterscheidungsmöglichkeit kierungen, doch die Möglichkeiten zwischen Jagenden und Nichtjagenden moderner Navigationsgeräte zeigen jeder Mensch ein vermeintlicher „Prä- den Fortgang des Weges oder der dator“ und stellt für Wildtiere eine Be- Abfahrt auch abseits jeder touristi- drohung dar. Daher ist das Raum-Zeit- schen Angebote. Verhalten von Wildtieren neben der Für Wildtiere ist aber das Störpo- Notwendigkeit des Nahrungserwerbs tenzial „unkalkulierbarer“ Freizeitak- und der Fortpflanzung auch dadurch tivitäten besonders groß. Das gilt geprägt, dass die Teile unserer Land- Abb. 1: Wildtiere können lernen, sich an „ungefährliche“ Besuchende zu gewöhnen. (Foto: Erich Marek)
8 FVA-einblick 3/2017 Einklang zu bringen, sind räumliche Konzeptionen notwendig, die folgen- de Bedingungen erfüllen: •• Einbeziehung aller menschlichen Nutzungen und Freizeitaktivitäten •• „Lenkung“ der Wildtiere durch: ○○ Etablierung von Ruhebereichen ○○ Anpassung des jagdlichen Ma- nagements ○○ Lebensraumgestaltung durch Land- und Forstwirtschaft ○○ Weiterentwicklung des touristi- schen Angebots unter Einbezie- hung von Wildtieraspekten •• „Lenkung“ des Menschen durch: ○○ Sensibilisierung und Bewusst- seinsbildung im Hinblick auf die Bedürfnisse von Wildtieren ○○ Durchführung von Kampagnen und Abb. 2: Struktur von räumlichen Konzeptionen, die Aktivitäts-/ Ruhebereiche Verbreitung wildtierökologischer von Wildtieren (1) und die Aktivitätsbereiche der Menschen (2) integrieren. Informationen Sie sind wie folgt aufgeteilt:1A Wildruhebereich, 1B Wildkernbereich, ○○ Schaffung von Identifikation mit der 2B Übergangsbereich, 2A Walderlebnisbereich Etablierung von Ruhebereichen ○○ Weiterentwicklung des touristi- schen Angebots unter Einbezie- schaft von Wildtieren aufgesucht wer- wickelt, um auf die durch den Men- hung von Wildtieraspekten den, die vom Menschen nicht oder nur schen ausgelösten Störreize reagieren ○○ Förderung von Akzeptanz für die zu bestimmten Tages- oder Jahreszei- zu können. Sie können zum Beispiel ihr Einhaltung räumlicher Konzeptio- ten genutzt werden. Das „Menschen- Verhalten anpassen, indem sie die von nen Meide-Verhalten“ ist bei sehr vielen Menschen genutzten Bereiche meiden ○○ Schaffung von rechtlichen Restrik- Tierarten deutlich ausgeprägt. Neuere und „ruhige“ Gebiete aufsuchen. Oder tionen in besonderen Konfliktsitu- Untersuchungen zeigen beispielswei- sie können sich an Störreize gewöh- ationen, beispielsweise durch die se, dass Nahbereiche von Wegen von nen, indem sie trotz der Störreize ih- Etablierung von Wildruhegebieten Rotwild entweder grundsätzlich gemie- ren Lebensraum nutzen, da sie gelernt nach §42 Jagd- und Wildtierma- den (Franz 2016) oder nur tagsüber haben, dass die Störungen „ungefähr- nagementgesetz (JWMG) mit an- gemieden und bei Nacht bevorzugt lich“ sind. Sowohl für die Anpassung gepassten Kontrollen. aufgesucht werden, wenn die dort vor- als auch für die Gewöhnung gilt, dass Bei der „Lenkung“ des Menschen ist handene gute Nahrung ungestört auf- nur eine für das Wildtier „kalkulierbare“ wichtig zu wissen, was sein Verhal- genommen werden kann (Coppes et beziehungsweise „vorhersehbare“ Stö- ten steuert (vgl. Immos und Hunziker al. 2017a). Auch für das Auerhuhn ist rung dieses Verhalten ermöglicht. 2014), wo und warum er Wege ver- die Meidung touristischer Infrastruktur Unkalkulierbare Störungen können lässt (vgl. Coppes und Braunisch 2013, nachgewiesen: Untersuchungen im dagegen unterschiedlich auf Wildtiere Kopp 2014) und wie die verschiedenen Schwarzwald haben gezeigt, dass Au- wirken: Dies reicht von einer direkten Akteurinnen und Akteure bei der Ent- erhühner die Nähe zu Wanderwegen Fluchtreaktion, über eine signifikante wicklung von räumlichen Konzeptionen und Mountainbike-Trails meiden. Da- Änderung des Raum-Zeit-Verhaltens beteiligt werden können. Nur durch durch geht wertvoller Lebensraum ent- bis zu einem erhöhten Level der Stress- eine ausreichende Partizipation und lang von Wegen verloren. Betrachtet hormone. einer daraus resultierenden Identifika- man alle Wanderwege und Mountain- tion kann sichergestellt werden, dass bike-Trails im Schwarzwald, zeigt sich, die Regeln von räumlichen Konzeptio- dass im Sommer bis zu 20 Prozent Räumliche Konzeptionen – nen eingehalten und die notwendigen des gesamten Auerhuhn-Verbreitungs- Menschen und Wildtiere im Maßnahmen umgesetzt werden. In der gebiets durch Erholungssuchende be- Einklang folgenden Abbildung und Tabelle ist einflusst wird (Coppes et al. 2017b). dargestellt, wie eine „Räumliche Kon- Wildtiere haben aber auch in ihrem Um die Ansprüche des Menschen zeption“ strukturiert sein könnte. Ein Verhaltensportfolio Möglichkeiten ent- und die Bedürfnisse der Wildtiere in Positivbeispiel einer Räumlichen Kon-
FVA-einblick 3/2017 9 zeption wurde mit der Rotwildkonzepti- Tab. 1: Mögliche Leitplanken für die anthropogene Nutzung im Rahmen on Südschwarzwald schon 2008 umge- einer Räumlichen Konzeption setzt, die derzeit von der FVA evaluiert Bereich Rahmen Freizeitaktivitäten Waldwirtschaft Jagd und gemeinsam mit der AG Rotwild Dem Wildtiervorkommen weiterentwickelt wird. Auch im „Rot- 1a Vorrang Wildtiere: angepasste Zielsetzung. Keine bzw. zeitlich wildprojekt Nordschwarzwald“ (www. Wild- Keine bzw. zeitlich ein- keine Zeitliche Einschränkung auf 1 bis 2 Wochen ruhe- geschränkte anthro- 4 Wochen im Herbst im Herbst rotwildkonzeption-nordschwarzwald. bereich pogene Nutzung (Ausnahme: beschränkt de) werden derzeit wissenschaftliche Katastrophen) Grundlagen für eine Räumliche Kon- Vom 1.11. bis 15.7. zeption geschaffen, die in einem breit infrastrukturgebunden 1b Wildtiere sind Wildtiere als Keine Jagd während Wenn “neue“ Infra- angelegten partizipativen Prozess als Wild- ein zu berück- struktur, Beseitigung Standortfaktor Winterruhe. Verkürz- kern- sichtigender in die Zielsetzung ung von Jagdzeiten, Basis für die „Rotwildkonzeption Nord- Standortfaktor „alter“ Infrastruktur aufnehmen z.B. Intervalljagd bereich schwarzwald“ erarbeitet wird. Schaffung von Ange- boten „Wildtiererlebnis“ Die aufgezeigte Thematik ist auch eine Aktivitäten nur 2b Die Bedürfnisse der Schwerpunktaufgaben bei der Um- während des Tages Freizeitaktivitäten Über- von Wildtieren setzung des JWMG. Zu diesem Zweck Schaffung von als Standortfaktor Regelungen JWMG gangs- sind auch zu Angeboten mit aufnehmen. wurde im Frühjahr 2017 der Initiativkreis bereich beachten „Naturerlebnis“ „RespektWildtiere“ beim Ministerium 2a neue Angebote, auch Einschränkungen der Vorrang Den Freizeitaktivitäten für Ländlichen Raum und Verbraucher- Wald- Freizeit- für Nachtaktivitäten. angepasste Zielsetzung Jagd durch Freizeit- erlebnis- Großveranstaltungen, aktivitäten (räumlich, schutz gegründet. Der von der FVA mit aktivitäten (z.B. Erholungswald) bereich Events jahres-, tageszeitlich) wissenschaftlichen Arbeiten unterstütz- te Initiativkreis soll mit seinen Mitglie- dern aus der Jagd, dem Naturschutz und dem Freizeitsektor Maßnahmen zum Zweck der Störungsreduktion von Wildtieren bündeln und koordinieren. Weitere Informationen und Anregungen zu Wildtieren und wildtierfreundlichem Verhalten gibt auch die Initiative „Be- wusstwild“ des Vereins Wildwege e.V. (www.bewusstwild.de) Literatur 001–012. Franz J. (2016) Quantifizierung von Coppes J., Braunisch V. (2013) Ma- Effekten natürlicher und anthropo- naging visitors in nature areas: gener Umweltfaktoren der Raum- where do they leave the trails? selektion des Rothirsches (Cervus A spatial model. Wildlife Biology elaphus L.) in den Rotwildgebie- 19:1-11 ten des Schwarzwaldes zum Win- Coppes J., Burghardt F., Hagen R., terende. Fakultät für Umwelt und Suchant R., Braunisch V. (2017a) Natürliche Ressourcen. Albert- Human recreation affects spatio- Ludwigs-Universität Freiburg temporal habitat use patterns Immoos U., Hunziker M. (2014) Wir- in red deer (Cervus elaphus). kung von Lenkungsmaßnahmen PLoS ONE 12(5): e0175134. ht- auf das Verhalten von Freizeit- tps://doi.org/10.1371/journal. aktiven. Naturschutz und Land- pone.0175134 schaftsplanung 46:5-9 Coppes J., Ehrlacher J., Suchant Kopp V. (2014) Wildlife friendly win- R., Braunisch V. (2017b) Outdoor ter tourism - An analysis of the recreation causes effective habi- behavior of winter athletes with Dr. Rudi Suchant tat reduction in Capercaillie (Tet- regard to off-trail activities. Fakul- FVA, Abt. Wald und Gesellschaft rao urogallus): a major threat for tät für Umwelt und natürliche Res- Tel.: (07 61) 40 18 – 2 09 geographically restricted populati- sourcen. Albert-Ludwigs-Universi- rudi.suchant@forst.bwl.de ons. Journal of Avian Biology 48: tät Freiburg
10 FVA-einblick 3/2017 Wildtiere: Sinnbilder eines lebendigen Waldes und Helfer in der Besucherlenkung von Stephanie Bethmann und Ulrich Schraml Wald ist ein wesentlicher Bestand- Für das Denzlinger Wildtierforum tung der Waldbilder offenbaren eine teil im Leben vieler Menschen in 2017 wurde anhand mehrerer Studi- komplexe Sichtweise auf diese Tiere, Baden-Württemberg. Über 80% en aus Baden-Württemberg die Be- die romantische Idealisierung genau- der Menschen halten sich hierzu- ziehung zwischen Mensch und Tier so einschließt wie nüchternen Rea- lande in ihrer Freizeit im Wald auf. im Wald aus Sicht von Waldbesu- lismus. Folgender Dialog illustriert Täglich sind insgesamt rund zwei chenden beleuchtet. Einige Antwor- das: „Oh, Du stellst den Wolf zum Millionen Waldbesuchende anzu- ten auf die folgenden Fragen werden Reh?!“ „Der muss doch auch essen.“ treffen. Was sie dabei aber selten dargestellt: Welche Rolle spielen In diesem Gespräch zwischen zwei zu Gesicht bekommen, sind Wild- Tiere für das Erleben von Waldna- Erwachsenen mündet die Begegnung tiere. Und trotzdem gehören diese tur, wie ist es um die Beziehung der von Wolf und Reh auf der Magnetta- untrennbar zu den Vorstellungen Menschen zu Wildtieren bestellt und fel einerseits im Bild einer verletzli- von Wald dazu. „Wenn’s keine was verrät das über die Bereitschaft chen und schutzbedürftigen Natur, Tiere gibt, dann gibt’s theoretisch zur Rücksichtnahme auf Tiere beim eine moralisierende Sichtweise, die auch keinen Wald“, meint eine jun- Waldbesuch? Wie lässt sich mit die- Mitgefühl mit dem Leiden des Rehs ge Waldbesucherin. sen Befunden in der Praxis arbeiten? bezeugt. Andererseits symbolisiert die Szene auch die Vorstellung eines natürlichen Gleichgewichts, das au- Tiere gehören zum Wald ßerhalb menschlicher Moral liegt. Ein Fazit dieser Idealwald-Befra- „Wie sieht Ihr Idealwald aus?“ Die- gung: Die Begeisterung für den Wald se Frage wurde Passantinnen und hat viel mit der Begeisterung für Tie- Passanten auf dem Freiburger Wis- re zu tun, und die Tierwelt stellt für senschaftsmarkt 2014 gestellt (Beth- Menschen eine Fülle ambivalenter mann et al. 2015). Sie waren auf- Symbole bereit, mittels derer sie sich gefordert, die Frage mithilfe einer mit Natur identifizieren können. Magnettafel und Waldsymbolen zu beantworten – verfügbar war eine Reihe unterschiedlicher Motive wie Was sucht der Mensch Bäume, Blätter, Zapfen, Totholz, Tie- im Wald? re, Menschen, Harvester und Wind- räder (vgl. Peters & Schraml 2015). Möchte man einordnen, weshalb Tie- Ihre mündlichen und schriftlichen re in der Wahrnehmung von Wald Kommentare zu den so entstande- eine Schlüsselrolle spielen, muss nen Bildern wurden dokumentiert man zunächst verstehen, was Wald- und ausgewertet. Ein Ergebnis: Bei besuchende überhaupt in den Wald 39 von 54 Bildern wurde hervorgeho- lockt. Zahlreiche Studien zeigen, ben, dass Tiere für das Waldbild der dass unter den Motiven für einen Personen besonders wichtig waren, Waldbesuch Abschalten, Natur be- oder dass unter den vorhandenen obachten und Bewegung ganz oben Magneten nicht genügend Tierarten rangieren (Ensinger et al. 2013, Wip- waren, um einen Idealwald darzu- permann & Wippermann 2010, Hun- stellen. Die Tierbegeisterung reich- ziker et al. 2012). te vom Kleinstlebewesen bis hin zu Ermöglicht man Menschen im In- den besonders oft kommentierten terview ausführlich und mit eigenen Großprädatoren Luchs und Wolf. Die Worten, von ihren Erfahrungen mit Kommentare während der Gestal- Wald zu berichten, tritt zudem zuta-
FVA-einblick 3/2017 11 ge, dass sie vor allem in den Wald gehen, um von etwas wegzukommen (Ensinger et al. 2013). Über den Wald sprechen sie häufig in Negationen. Sie erzählen, was im Wald nicht ist. Neben biophysischen Faktoren des Wohlbefindens ist es auch dieses Potential des Waldes als Gegenwelt, was die Faszination und Erholungs- wirkung des Waldes ausmacht. Der heilen Welt des Waldes stehen die Belastungen des Alltags entgegen, denen man entflieht: Technik und Zivilisation, Arbeit und soziale Ver- pflichtungen. Von all dem verspricht der Wald eine Auszeit (Ensinger et al. 2013, 2014). Damit ist noch wenig darüber gesagt, was Wälder eigent- lich sind, und so bleiben sie in hohem Maße geeignet als Projektionsfläche: Wald – ein Sehnsuchtsort, Waldbesu- che – ein „Eintauchen in eine andere Welt“. Diese Deutung von Wäldern knüpft an die Naturvorstellungen der Romantik an: Erst in dieser Zeit wur- de Natur der Kultur als ein positives Gut gegenübergestellt. So fungiert „Natur als Projektionsfläche für Ide- en vom guten und richtigen Leben Abb. 1: Die Magnettafel im Einsatz oder als positive Gegenwelt zu einer kritisch gesehenen Kultur als auch Zivilisation“ (Kirchhoff 2016). In der Tierbegegnungen erzählt werden: Es passiert etwas. Kontaktaufnahme mit Natur suchen und Tierfantasien Der Wald wird zu einem Ort lebendi- Menschen seither auch eine Ausei- ger Begegnung. nandersetzung mit sich selbst und Für das Bedürfnis der Menschen, Im Gegensatz zu der häufigen The- ihrer eigenen Natur. eine persönliche Beziehung zu Na- matisierung von Tierbegegnungen In der vermeintlich ganz anderen turräumen herzustellen, spielen die steht, dass Menschen beim Wald- Welt des Waldes erleben sich Men- Tiere des Waldes eine zentrale Rolle. besuch äußerst selten tatsächlich schen, die sich selbst als Kulturwe- Dies verdeutlicht die bereits erwähn- mit Wildtieren in Kontakt kommen. sen sehen, als Gast in einer Welt der te Studie von Ensinger et al. (2013). Die besondere Wichtigkeit von Wild- Naturwesen. Beschreibungen von Hier wurden neben einer standardi- tieren als Teil von Walderlebnissen Wäldern heben dementsprechend sierten Befragung auch 25 Proband/- lässt sich eher über deren symboli- metaphorisch die eigenständige innen in qualitativen Interviews nach sche Bedeutung erklären: Tiere rüh- Wesenhaftigkeit des Waldes hervor: ihren Walderlebnissen gefragt. In je- ren an die Sehnsucht der Menschen, Der Wald agiert und reagiert, hat dem dieser Interviews werden Tiere in Kontakt zu einer anderen Welt zu moralische Rechte, wird als belebt thematisiert, obwohl kein einziges treten. Tierbegegnungen sind immer wahrgenommen und man tritt mit Mal nach Tieren gefragt wird. Der verbunden mit Tierfantasien. ihm in Kontakt (Botsch et al. 2014). Wald und seine Tiere – das gehört Durch solche „symbolisierende[n], für die Interviewten fraglos zusam- anthropomorphe[n] Naturdeutungen men. Die Antwortmuster im Interview Tiere als Repräsentanten werden Naturerfahrungen persönlich zeigen darüber hinaus, dass Tiere einer fremden Welt bedeutsam. Auf symbolische Wei- Naturerfahrungen erst erzählbar ma- se fühlt man sich bei Naturerlebnis- chen. Während die Flora des Waldes Tierbegegnungen werden durchweg sen »gemeint« und angesprochen.“ eher den Stoff für Beschreibungen als (zu) selten thematisiert: Man (Gebhard 2016). bietet, kann über Tierbegegnungen sieht „mal“ ein Tier, „fast nie“, „gerne
12 FVA-einblick 3/2017 Tiere sind ein lebendiges Sinnbild der Fremdheit von Natur, indem sie für Menschen unverfügbar und un- berechenbar sind. Sie sind beson- ders geeignet, das Eigenleben der Gegenwelt Wald zu verkörpern. An- dererseits sind sie aber auch ideale Träger von Übertragungen aus der Welt des Menschen und erlauben es Waldbesuchenden, sich zur Natur in Beziehung zu setzen. Tiere als Brücke zwischen Mensch und Natur Tiere agieren und reagieren viel sichtbarer, dem Menschen ähnlicher, als Bäume und andere Elemente des Waldes. Dadurch eignen sie sich als Träger von Projektionen. Die Über- tragung von menschlichen Gedan- ken, Gefühlen und Handlungsweisen auf andere Objekte oder Lebewesen bezeichnet man als Anthropomorphi- sierung. Solch eine Personifikation von Tieren ist in vielen Bereichen unserer Kultur gang und gäbe bei- Abb. 2: Vom Kleinstlebewesen bis zum Großpredatoren: mehr Tiere als Bäume spielsweise in der Haustierhaltung oder in Mythen und Märchen. Wild- tiere gelten im Symbolvorrat ei- öfter“, spricht darüber im Konjunktiv, Baumstumpf zu sitzen und leise zu ner Kultur als kollektive Träger von freut sich schon über bloße Tierspu- sein, man dann plötzlich die Tierchen menschlichen Eigenschaften und ren und gibt sie nicht auf, „die Hoff- sieht, dann hört man plötzlich die Vö- sozialen Bedeutungen, zum Beispiel nung, dass man mal ein Reh sieht“. gel und nimmt alles Mögliche wahr.“ der böse Wolf, der schlaue Fuchs Selbst kleinste Begebenheiten blei- Denn eigentlich wird der Wald als die oder die verschlagene Schlange. ben in Erinnerung. Heimstätte der Tiere geschildert. Sie „Die Mythen- und Fabelwelten sind Obwohl Tiere also gegenüber den „wohnen“ hier, der Mensch ist nur zu bevölkert mit Tieren, die Vergegen- Menschen für gewöhnlich mit Abwe- Gast. Er kann auch Störenfried und wärtigung menschlicher Wesenszü- senheit glänzen, sind sie als unsicht- Schädling sein. Seine Anwesenheit ge und Spiegel menschlicher Bilder bare Anwesenheit immer präsent. ist den Tieren nur mit Rücksichtnah- sind“ (Jürgens 2016). Das wird durch die Erfahrung unter- me zuzumuten. Von gut informierten Untersucht man die Interview-Erzäh- stützt, dass Tiere in Walderlebnissen Waldbesuchenden werden tageszeit- lungen daraufhin, wie Tiere zu Men- „plötzlich“ und unvorhersehbar auf- liche, jahreszeitliche und räumliche schen ins Verhältnis gesetzt werden, tauchen. Ihr Erscheinen ist eine freu- Rückzugsräume („Zonen“) gefordert. zeigen sich drei Ebenen der Perso- dige, selten auch bedrohliche Über- Als illegitim werden solche Handlun- nifikation: raschung, ein „Nervenkitzel“. In ihrer gen beschrieben, die Tiere stören Rarität sind sie eine Belohnung für könnten: „sich rumtreiben“, „nachts a) Tiere haben menschen- Waldbesuchende, die sich so verhal- um 11 noch mit der Helmlampe durch ähnliche Eigenschaften ten, dass der Wald ihnen seine Ge- den Wald rennen“, „wie Irre durch Tiere „wohnen“ im Wald, „essen“ heimisse preisgibt. Tierbegegnungen die Gegend fahren“. „Man stört die auf der Wiese, „ärgern“ sich über werden oft als sinnliche Erfahrungen Tiere nicht in ihrer Welt, sozusagen. Störungen durch Menschen, „ha- geschildert, die die Wahrnehmung Ja. Man versucht halt einfach, man ben halt auch was Besseres zu tun, herausfordern, Geduld und Ruhe vo- ist sozusagen als Gast da und macht als da am Straßenrand zu stehen“. raussetzen: „da mal nur auf einem keine Unordnung.“ Tierisches Handeln wird in solchen
FVA-einblick 3/2017 13 Formulierungen mit einem Vokabu- Tiersymbolik als Instrument Versuche in der Schweiz haben ge- lar für menschliches Handeln be- im Besuchmanagement zeigt, dass die Rücksichtslosigkeit schrieben; man imaginiert ihr Leben teilweise auf mangelndes Wissen als ein menschenähnliches (vgl. Wenn Tiere eine so prominente Rol- zurückzuführen ist (Hunziker et al. Botsch et al. 2014). Nicht nur wer- le in den Erlebnissen von Waldbe- 2011). Wissensvermittlung verstärkt den Tieren emotionale Reaktionen suchenden spielen, lässt sich davon die tatsächliche Rücksichtnahme al- auf menschliche Störungen unter- auch auf eine reale Rücksichtnahme lerdings nur unter den Bedingungen, stellt, zuweilen übernehmen Men- auf Wildtiere schließen? Die Erfah- dass: schen dabei selbst die emotionale rungen vieler Forstleute und Betreu- •• es detailliert ist (nicht nur das Ver- Reaktion für die Tiere: „mich regt’s ender von Schutzgebieten sprechen bot, sondern ausführlich seine auf!“ „Das ärgert einen als schon ja für eine andere Entwicklung. Gera- Funktion kommuniziert wird) und mal auch für die Tiere.“ de die störungsintensiven Aktivitäten •• die grundsätzliche Bereitschaft zur in der Natur nehmen zu (Breman et al. Rücksichtnahme bei den Personen b) Beziehungen zu Tieren 2010, Coppes et al. 2017). Wie auch schon vorher besteht. sind moralische und soziale die Analyse der Interviews gezeigt Eine positive Beziehung zu Wildtieren Beziehungen hat, ist die positive Beziehung zu bietet hierfür eine relevante Grund- Tiere werden in ihrem Territorium Wildtieren vor allem auf deren sym- lage. Psychologische Studien zur vom Menschen regelrecht heimge- bolische Bedeutung zurückzuführen, Naturschutzkommunikation (Reese sucht, sie werden fast immer als weniger auf tatsächliche Tierbegeg- 2015) geben Hinweise darauf, dass schutzbedürftig, verletzlich und be- nungen. Auch im Bereich der Bereit- Anthropomorphismen und die soziale drängt thematisiert. Menschen treten schaft zur Rücksichtnahme fallen die Normativität von Tierbeziehungen ein dabei zugleich in der Rolle als Störer symbolische Ebene – das sicherlich wirksamer Anknüpfungspunkt sind, und Anwälte von Tierrechten auf. In aufrichtig gemeinte Lippenbekennt- um mehr Rücksichtnahme zu errei- der Beziehung zu Tieren drückt sich nis, Rücksicht üben zu wollen – und chen – zugleich bergen sie aber auch auch die soziale Reife der Menschen die Handlungsebene auseinander. das Risiko, dass Tiere zu negativ auf- aus: „Also als kleines Kind hab ich auch mal en Ameisenhaufen geär- gert, aber wenn dann halt sich ein 30jähriger einen Spaß damit macht einen Ameisehaufen umzuwühlen, dann find ich das nicht mehr lustig. Dann denk ich eigentlich: >Ja du hast dich nicht weiterentwickelt
14 FVA-einblick 3/2017 geladenen Symbolen gemacht wer- der Werbung oder Schildern stets in sichtbar, geheimnisvoll und oft ahnt den können. Insofern gilt es die sehr Balzpose, also männlich, kraftstrot- man nur ihre Präsenz in den Wäl- verschiedenen Symbolinhalte der Ar- zend und vital präsentiert. Warum dern. Begegnet man ihnen, agieren ten im Auge zu behalten. Wer auf die sollte man also diesem potenten Vo- sie plötzlich und unberechenbar. falschen Symbole setzt kommuniziert gel einen spannenden Fackellauf im Andererseits eignen sich Tiere als an wichtigen Zielgruppen vorbei. Wie Tiefschnee opfern? Projektionsflächen für menschliche im Sprichwort gilt auch in der Kom- Im Gegensatz dazu wird etwa mit der Empfindungen, sind unsere Ver- munikation, dass die Würmer den Fi- Allerweltsart Reh von vielen Waldbe- wandten im Wald. Tierbegegnungen schen schmecken müssen und nicht suchenden vor allem Schutzbedürftig- verkörpern somit eine reaktive Na- den Angelnden. Insofern darf nicht keit verbunden. Rehe sind in der Vor- tur, die für Menschen einerseits eine die Begeisterung der Forstleute für stellung vieler Menschen jung oder völlig fremde Welt eröffnet und sie eine Art maßgeblich sein, sondern de- weiblich, scheu, oft allein und daher gleichzeitig in eine Beziehung zu die- ren Wirkung auf das adressierte Pub- auf Rücksichtnahme angewiesen. ser Welt setzt. Auch wenn Tiere oft likum. Entsprechend führt es natürlich Bambi hat seine Geschichte effektvoll unsichtbar bleiben, gehören sie zu auch in die Irre, Arten auszuwählen, erzählt. Zudem ist die Art weitverbrei- Waldbesuchen dazu. Ob diese emo- weil es dafür vor Ort naturschutzbe- tet, bekannt und man sieht sie immer tionale Relevanz von Tieren in der zogene Gründe geben mag. So haftet wieder. Es ist also auch plausibel für Naturbeziehung grundsätzlich eine Auerhühnern zwar die Botschaft an, Waldbesuchende, dass die eigene praktische Rücksichtnahme auf Tiere dass sie selten und am Aussterben Rücksichtnahme in diesem Fall ganz nach sich zieht, kann bezweifelt wer- sind. Aber dementsprechend wenig konkreten Tierindividuen nützt. den. Einen Ansatzpunkt für die Kom- vertraut sind sie auch einem breiteren munikation bieten sie aber sicher. Publikum. Die Art weckt nur bei we- nigen Menschen Assoziationen, die Fazit zur Rücksichtnahme einladen. Die Stephanie Bethmann Bezüge sind eher historisch-traditio- Tiere sind einerseits Verkörperungen FVA, Abt. Wald und Gesellschaft nell, das Image verstaubt. Vor allem des Fremden, des radikal Andersar- Tel.: (07 61) 40 18 - 3 10 aber werden die Vögel in Wappen, tigen, der Waldwelt. Sie bleiben un- stephanie.bethmann@forst.bwl.de Literatur Ensinger, K., M. Wurster, A. Selter, M. der Schweizer Bevölkerung zum Jenne, K. Botsch & S. Bethmann Wald. Waldmonitoring soziokultu- Bethmann, S., E. Simminger, D. Men- (2013): „Eintauchen in eine andere rell: Weiterentwicklung und zweite ton-Enderlin, H. Schröder, R. As- Welt“ – Untersuchungen über Erho- Erhebung – WaMos, 2. mus (2015): „Wir wollen kein totes lungskonzepte und Erholungspro- Jürgens, U. M. (2016): Menschen, Holz in unserem Wald!“ AFZ Der zesse im Wald. In: AFJZ (184/3/4), Tiere: Individuen jenseits der Pro- Wald 1/16, S. 33-35. S. 70-83. jektionen. In: Tierethik, 8. Jg. 13/2. Botsch, K., M. Wurster, K. Ensinger, Ensinger, K., S. Bethmann, M. Wurs- Kirchhoff, T. (2016): Unsere Sehn- A. Selter & S. Bethmann (2014): ter, A. Selter & K. Botsch (2014): sucht nach Natur liegt in unserer Metaphorische Repräsentationen „Und wenn’s ’ne tote Wühlmaus Kultur In: Impulse 4/2016, S. 3-4. des Waldes. In: AFJZ (185/9/10), S. ist“ – Zyklische und lineare Zeit- Peters, D. M., Schraml, U. (2015): 187-202. konzepte in den Wahrnehmungen Kognitive Karten zur Nachhaltig- Breman, P., B. Baur, R. Bürger-Arndt, von Wald und in der Nationalpark- keit im Wald oder Der Igel versteckt T. Hegetschweiler, M. Hunziker, O. debatte Nordschwarzwald. In: AFJZ sich vor dem Harvester. In: AFJZ Picard, U. Pröbstl & V. Wirth (2010): (185/9/10), S. 203-219. (186/7/8),S. 125-136. Central Region. In: U. Pröbstl et al. Gebhard, U. (2016): Naturerfah- Reese, G. (2015): Soziale Normen (Hg.), Management of Recreation rung und Gesundheit In: Impulse und Anthropomorphismus als Werk- and Nature Based Tourism in Euro- 4/2016, S. 2-3. zeuge der Naturschutzkommunika- pean Forests, S. 73-95. Hunziker, M., B. Freuler, E. von Lin- tion. In: BfN: Psychologie in der Na- Coppes, J.; Burghardt, F.; Hagen, R.; dern (2011): Erholung im Wald: turschutzkommunikation. S. 35-40. Suchant, R.; Braunisch, V. (2017) Erwartungen, Zufriedenheit, Ver- Wippermann, C., Wippermann, K., Human recreation affects spatio- halten und Konflikte. In: WSL: Der (2010): Mensch und Wald: Einstel- temporal habitat use patterns in multifunktionale Wald. Konflikte und lungen der Deutschen zum Wald red deer (Cervus elaphus). PLoS Lösungen. S. 43-51. und zur nachhaltigen Waldwirt- ONE 12(5): e0175134. https://doi. Hunziker, M., v. Lindern, E., Bauer, schaft. W. Bertelsmann Verlag, Bie- org/10.1371/journal.pone.0175134 N., Frick, J. (2012): Das Verhältnis lefeld.
FVA-einblick 3/2017 15 In die Zange genommen: Der Hirschkäfer an Roteiche von Josepha Mayer, Christina Baumhauer und Andreas Schabel Wie mit dem Zirkel gezogen sind Bei Nachprüfungen konnten damals sind kaum dokumentiert. Aus ökolo- viele Stubben eines rund 60-jäh- zwanzig Hirschkäfer in dem Bestand gischer Sicht gilt die amerikanische rigen Roteichenbestands im Frei- nachgewiesen werden. Auffällig war, Roteiche in unseren Wäldern im Ver- burger Mooswald bis zu den Wur- dass in den angrenzenden Stielei- gleich zu den heimischen Quercus- zeln umgegraben. Die Täter sind chenbeständen keine oder nur sehr arten als artenarm und insofern als schnell identifiziert: Wildschwei- wenige Käfer gefunden wurden. Die- waldökologisch unbedeutend. Diese ne haben im Boden rund um die se Hinweise gaben den Anstoß für naturschutzfachliche Einschätzung vermodernden Roteichenstubben das im Folgenden dargestellte Pro- ist der fehlenden Koevolution der Nahrung ausfindig gemacht. Den jekt, die Entwicklung des Hirschkä- Gastbaumart mit der heimischen Hinweis, dass sich hier etwas fers erstmalig auch an der aus natur- Fauna geschuldet. Besonderes im Boden befindet, schutzfachlicher Sicht umstrittenen erhielt die FVA schon 2011 im Gastbaumart Roteiche zu untersu- Rahmen der Erstellung des Ma- chen. Wie lebt der Hirschkäfer? nagementplans für das FFH-Ge- biet „Mooswälder bei Freiburg“. Aufgrund der großen geweiharti- Der Hirschkäfer: Nahrungs- gen Kiefer der Männchen gehört spezialist oder Generalist? der Hirschkäfer (Lucanus cervus) zu den auffälligsten der heimischen Der Hirschkäfer wird hauptsächlich Käferarten (Abb. 1). Er ist meist in mit der Alt- und Totholz-Phase der halboffenen bis lichten, wärmebe- heimischen Eichen assoziiert. Aus günstigten Wäldern oder Gehölz- der Fachliteratur lässt sich aber ent- strukturen beheimatet. Die Entwick- nehmen, dass sich Hirschkäferlarven lung der Larven an zersetztem Holz nicht nur an Eichenwurzeln, sondern im Boden zieht sich über 3-7 Jahre auch an vielen anderen Laubbaumar- (Klausnitzer 2014) und sie ernähren ten entwickeln (Klausnitzer 2014). sich dort von durch Weißfäulepilze Vorkommen an Roteichen hingegen aufbereitete Holzfasern (z.B. durch Abb. 1: Hirschkäfer Männchen (links) und Weibchen
16 FVA-einblick 3/2017 Tab. 1: Gesamtfunde der Larven/ geslicht, die Männchen etwas früher Baumalter wird relativiert, handelt es Imagines von Hirschkäfer als die Weibchen. Nach erfolgreicher sich hier doch um einen vergleichs- (Lucanus cervus) an Roteichen- Partnersuche und Paarung legen die weise jungen Bestand. wurzelstöcken (Quercus rubra) Weibchen 50 bis 100 Eier in die Erde Für die Bruttauglichkeit scheint nicht im Umfeld geeigneter Wurzelstöcke die Holzart oder das Baumalter ent- Hirschkäfer Harvey et al. (2011) – insbesonde- scheidend zu sein, sondern die Ver- Stadium/ Art re solcher, die schon besiedelt sind fügbarkeit von durch (Weißfäule-)Pil- (Lucanus cervus ) – und der Zyklus beginnt von neuem ze zersetztem Holzsubstrat. Bei den L1 8 (Klausnitzer 2014). Weißfäuleerregern handelt es sich überwiegend um Pilze mit geringer L2 13 Wirtspezifität, was die Austauschbar- L3 23 Der Hirschkäfer keit der Holzarten als Bruthabitat er- auch an Roteiche? höht. Es ist auch zu vermuten, dass Puppe - das Durchforstungsregime mit ein Um zu prüfen, ob die amerikanische bis zwei Eingriffen pro Jahrzehnt zu Adult 2 ♀♀ Roteiche (Quercus rubra) als Brut- einem steten Nachschub an gleich- substrat für den Hirschkäfer geeignet mäßig verteilten Bruthabitaten führt. ist, wurden im Juni 2016 zehn Rotei- Die zusätzliche Besonnung durch die chen-Stubben maschinell umgezo- Auflichtung des Bestandes fördert Trametes versicolor oder Stereum gen. Die ausgewählten Wurzelstöcke dabei die wärmeabhängige Entwick- hirsutum). Der Hirschkäfer durchläuft waren von Wildschweinen umwühlt, lung der Larven. mit voranschreitendem Wachstum dies ist ein guter Indikator für das Der Hirschkäfer zeigt sich anpas- drei Larvalstadien (Fremlin & Hen- Vorhandensein von großen Käfer- sungsfähig: Er kann auch nicht-hei- driks 2014)(Abb. 2). Im Herbst des larven. Das untersuchte Gebiet liegt mische Baumarten wie die Roteiche letzten Larvenjahres entwickelt sich westlich der Stadt Freiburg in den nutzen und bei entsprechender Aus- die Larve über eine Puppe zum adul- sogenannten „Mooswäldern“. Bei prägung sogar bevorzugen. Dies gilt ten Käfer und überwintert anschlie- der untersuchten Fläche handelt es nicht nur lokal in Südbaden, werden ßend bis 40 cm tief im Boden in einer sich um ein lockeres bis geschlosse- doch auch im Raum Karlsruhe häufi- selbstgebauten Puppenwiege (Rink nes Roteichen-Baumholz (Ø 30,5 cm ge Hirschkäferflüge in Roteichenbe- & Sinsch 2008). Zwischen Mai und BHD) aus Erstaufforstung mit teilwei- ständen gemeldet. Juni verlassen die Käfer die Pup- se beigemischten Robinien in Rand- penwiege und graben sich ans Ta- lage und einer Größe von annähernd 30 ha. Die letzte Auslesedurchfors- Die Roteiche im Rheintal tung wurde im Winter 2013/2014 durchgeführt. Im Rheintal besteht ein ungleiches Im Rahmen der Untersuchung wur- Altersklassenverhältnis bei der de nach dem Umziehen der Stubben Stieleiche. Einem (noch) hohen An- im Wurzelbereich bis in 50 cm Tiefe teil alter Eichenbestände, die aus vorsichtig nach Larven und Käfern durchgewachsenen Mittelwäldern gesucht (Abb. 3). Bis auf die Puppe hervorgegangen sind, stehen wenige konnten alle Stadien des Hirschkä- mittelalte Bestände gegenüber („Ei- fers an der Roteiche nachgewiesen chenlücke“). Der Stieleichenanteil werden (Tab. 1; Abb. 2 und 4). Die von insgesamt 11% - bezogen auf gesammelten Tiere wurden nach der den öffentlichen Wald im Oberrhei- Erfassung wieder mit den Stubben in nischen Tiefland - wird durch einen die Erde eingebracht. Roteichenanteil von 5% ergänzt. Mit 100 Jahren erreicht die Roteiche ei- nen BHD100 von durchschnittlich 63 Schlussfolgerung cm (Kohnle 2017, nicht veröffent- licht). Die daraus resultierenden Stö- Die Ergebnisse bestätigen, dass cke sind noch deutlich stärker. Hier- auch die Roteiche aufgrund der ge- bei ist einschränkend zu erwähnen, ringen Wirtspezifität des Hirschkä- dass die Roteiche bereits in einem Abb. 2: L-3 Larve des Hirschkäfers im Fraßgang durch verpilztes fers als Bruthabitat genutzt wird. Alter von 100 Jahren die Hiebsreife Roteichen-Holz Auch die Bindung an ein hohes erreicht und insofern das Vorkom-
FVA-einblick 3/2017 17 Abb. 3: Umziehen eines Wurzelstocks: Roteichenstubben mit Drahtschlinge des Schleppers (links), umgezogener Roteichenstubben (mittig) und Suche nach Engerlingen und adulten Käfern des Hirschkäfers (rechts) men altersgebundener Mikrohabitate •• der Hirschkäfer als anpassungs- te Habitatstrukturen findet. Dies wie z.B. von Höhlen weniger ausge- fähige Käferart in den südwest- schließt im Rheintal auch die Rot- prägt ist. deutschen Laubwäldern – vor- eiche mit ein. Zusammenfassend ist festzustellen, ausgesetzt die mikroklimatischen •• die Roteiche insbesondere vor dass: Bedingungen stimmen – geeigne- dem Hintergrund der „Eichenlücke“ für den Hirschkäfer attraktive Habi- tatstrukturen anbieten kann. Josepha Mayer FVA, Abt. Waldnaturschutz Tel.: (07 61) 40 18 – 1 83 Abb. 4: L3-Larve des Hirschkäfers (Lucanus cervus) josepha.mayer@forst.bwl.de Literatur distribution of the stag beetles tur und Landschaft für Umwelt, Lucanus cervus (L.) across Eu- Landwirtschaft, Heft 3, 3-8 Fremlin, M., Hendriks, P. (2014): rope, Insect Conservation and Rink, M., Sinsch, U. (2008): Brut- Number of instars of Lucanus Diversity, S. 23-38 habitat und Larvalentwicklung cervus (Coleoptera: Lucanidae) Klausnitzer, B. (2014): Hirschkä- des Hirschkäfers Lucanus cer- larvae, Entomologische Berichte fer - Der größte Käfer unserer vus (Linnaeus, 1758) (Coleopte- 74 (3), S. 115-120 Heimat, Landesamt für Umwelt, ra: Lucanidae), Entomologische Harvey, J., Gange, A., Hawes, C., Landwirtschaft und Geologie Zeitung, Stuttgart, 188 (5), S. Rink, M. (2011): Bionomics and Sachsen, Sammelreihe Na- 229-236
18 FVA-einblick 3/2017 Die Kermesbeere – eine invasive Art in lichten Wäldern des Oberrheinischen Tieflands von Mattias Rupp, Therese Palm und Hans-Gerhard Michiels In Baden-Württemberg zeigt die Amerikanische Kermesbeere seit einigen Jahren regional invasives Verhalten und kann Verdrängungs- effekte auslösen. Die FVA Baden- Württemberg erprobt Strategien, um den Neophyt im regionalen Waldschutzgebiet Schwetzinger Hardt zurückzudrängen; erste Er- gebnisse liegen vor. Abb. 1: Phänologischer Kalender zu Phytolacca americana in der nördlichen Oberrheinebene Phytolacca americana stammt ur- im Boden und beginnt Anfang März sprünglich aus Nordamerika. Dort mit der Keimung. Kernwüchsige besiedelt die Pflanze lichte Wälder, Pflanzen wachsen mit einem Spross, Gewässerränder und Störstellen. Im aus mehrjährigen Wurzeln können Bezug zur Landwirtschaft wird sie als mehr als zehn Sprosse austreiben unliebsame Art der Begleitflora be- (Abb. 2). Die Blütezeit beginnt ab schrieben, wenn sie dichte Bestände Mai und dauert bis in den Herbst. ausbildet (DiTomaso et al. 2013). In Ein wesentliches Erkennungsmerk- Südwestdeutschland kann die ge- mal der Art sind die anfangs ste- nügsame Pflanze bis über drei Me- henden, später herabhängenden ter groß werden und dschungelartig Blütenstände mit durchschnittlich 80 wirkende Reinbestände ausbilden. weißen Blüten. Jede Blüte kann eine Darin treten Verdrängungseffekte in zehn Kammern gegliederte Frucht gegenüber der heimischen Flora auf. mit je einem Samen ausbilden. Die Zudem gibt es Hinweise auf Allelopa- dadurch entwickelte Samenmenge thie (Buhk 2013). Der phänologische ist enorm, man kann von ca. 32.000 Kalender zur Entwicklung der Phyto- Samen pro ausgewachsenen Spross lacca americana (Abb. 1) wurde an- ausgehen, was für einen mehrjähri- hand von Beobachtungen der Pflan- gen, dichten Kermesbeerenbestand zen im nördlichen Oberrheingebiet etwa 64 Millionen Samen pro Hektar erstellt. und Jahr bedeutet. Die mehrjährige Pflanze überdauert Die grünen Sprosse verändern die ungünstige Jahreszeit als Rübe während der Fruchtreife ihre Farbe
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