Naturschutzarbeit in Sachsen

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Naturschutzarbeit in Sachsen
62. Jahrgang 2020 · ISSN 0863-0704

                                     Naturschutzarbeit in Sachsen
Naturschutzarbeit in Sachsen
Vom Aussterben bedroht:

Der Berg-Marienkäfer (Ceratomegilla notata ) ist eine Art der Vorwarnliste und kommt in Sachsen im Erzgebirge und im
Vogtland vor.
Foto: Archiv Naturschutz LfULG, W. Dietrich
Naturschutzarbeit in Sachsen
Inhaltsverzeichnis

Thomas Findeis 			                                                       2
30 Jahre Naturschutzarbeit am sächsischen Grünen Band –
Aktuelles und ein Ausblick

Ewald Jansen				                                                         8
Das Naturschutzgebiet Werbeliner See

Christoph Gerber, Jana Zschille, Dirk Weis, Winfried Nachtigall		       14
Störungsarmes und effektives Monitoring von Flussseeschwalben
(Sterna hirundo) mit UAV-Unterstützung

Kristin Trentzsch, Ulrich Walz, Lisa Schäfer, Jürgen Phoenix				        26
Der Feuersalamander (Salamandra salamandra) in der Nationalparkregion
Sächsische Schweiz - Populationsschätzung und Gefährdungsursachen
im Struppengrund bei Pirna

Friedemann Klenke					                                                  50
Schutzgebiete in Sachsen 2019

Mitteilungen 2020				                                                   56

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Naturschutzarbeit in Sachsen
„Naturschutzarbeit in Sachsen“, 61. Jahrgang 2020 Seite 2 – 7

30 Jahre Naturschutzarbeit am sächsischen
Grünen Band – Aktuelles und ein Ausblick
Thomas Findeis

Einleitung                                                und BRD erfolgen.“ Damit war dem wohl längs-
Als Geburtsstunde des Naturschutzprojektes                ten Naturschutzprojekt Deutschlands der Name
„Grünes Band“ an der ehemals innerdeutschen               gegeben, wenngleich damals noch mit kleinem
Grenze wird die erste Zusammenkunft von meist             „g“ geschrieben.
ehrenamtlichen Naturschützern aus Ost und                 Über den sächsischen Abschnitt des Grünen
West am 9. Dezember 1989 in Hof angesehen.                Bandes wurde bereits in der „Naturschutzarbeit
Einstimmig forderten an die 400 Teilnehmer in             in Sachsen“ umfassender berichtet (Findeis 2009).
einer ersten Resolution: „Der Grenzstreifen zwi-          Seitdem sind schon wieder über zehn Jahre ver-
schen der Bundesrepublik und der Deutschen                strichen. Deshalb sollen in diesem Heft zum
Demokratischen Republik ist als grünes Band und           30-jährigen Jubiläum des Naturschutzprojektes
als ökologisches Rückgrat Mitteleuropas vorran-           - mit leichter Verspätung - die neuesten Ent-
gig zu sichern, d.h. es muß umgehend eine einst-          wicklungen vorgestellt und über besondere Er-
weilige Sicherstellung dieser Gebiete in der DDR          eignisse berichtet werden.

Abb. 1: Prof. Hubert Weiger, Vorsitzender des BUND, Ralph Georgi, Landrat Rolf Keil und Projektmanager Thomas
Findeis nach der Enthüllung der nachgebildeten Grenzsäule Nr. 2.735 (von rechts)
Foto: P. Stehr

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Naturschutzarbeit in Sachsen
Abb. 2: Exkursion mit einer vierten Grundschulklasse
Foto: J. Strobel

Jubiläumsjahr 2019 und Öffentlichkeitsarbeit           durchgeführt. Bei jährlich angebotenen Früh-
Triebfeder des inzwischen europaweiten Natur-          lingsspaziergängen, einer 37 Kilometer langen
schutzprojektes, welches sich über 24 Anlieger-        Mammutwanderung mit dem Weltenbummler
staaten erstreckt, ist der Bund Naturschutz in         Mario Goldstein am 26.08.2018 und etlichen Füh-
Bayern e. V. mit seinem Geschäftsbereich Grünes        rungen von an der deutschen Wiedervereinigung
Band in Nürnberg. Dieser organisierte zum Auf-         besonders interessierten südkoreanischen Dele-
takt des deutschen Jubiläumsjahres eine mehr-          gationen wurde auch in den vergangenen Jahren
tägige Pressereise, die am 20. Mai 2019 am vogt-       vielen Menschen die Bedeutung des Grünen Ban-
ländischen Dreiländereck an der Grenzlinie             des für den Natur- und Artenschutz, aber auch
zwischen Sachsen, Bayern und Böhmen ihren              als lebendiges Mahnmal der jüngeren deutschen
Auftakt hatte. Nachdem am Vormittag unter an-          Geschichte präsentiert.
derem die Umweltminister*innen aus Bayern,             Ein besonderes Datum im Jubiläumsjahr war der
Sachsen und Thüringen und der Vizeumweltmi-            12. November 2019. Damals jährte sich die Öff-
nister der Tschechischen Republik ihre Grußworte       nung des Grenzzaunes an der ehemaligen Bun-
an Gäste und Presse richteten, wurde am Nach-          desstraße B 173 zwischen Plauen und Hof zum
mittag die vom aus Zwickau stammenden DDR-             30sten Mal. Der aus dem Grenzdorf Sachsgrün
Flüchtling Ralph Georgi nachgebaute letzte             stammende Vogtländer Albrecht Gemeinhardt
Grenzsäule der DDR mit der Nr. 2.735 im Grünen         fuhr damals um 9.34 Uhr mit seinem Trabi als
Band Sachsens, nahe dem Dreiländereck, enthüllt.       erster Sachse nach Bayern. Nach ihm sollte der
Die Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit am             Lindwurm an Zweitaktern gen Westen über Wo-
Grünen Band ist auf keine Alters- oder Gesell-         chen und Monate kein Ende nehmen. Albrecht
schaftsgruppe beschränkt: Exkursionen mit              Gemeinhardt bereicherte den kleinen Festakt der
Schulklassen, Studentengruppen oder Trägern der        sächsisch-bayerischen Nachbarlandkreise durch
Erwachsenenbildung werden meist auf Nachfrage          sein Erscheinen mit dem original ausgestatteten

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Naturschutzarbeit in Sachsen
Abb. 3: Eine südkoreanische Delegation informiert sich über die deutsch-deutsche Wiedervereinigung.
Foto: K. Kramer

Fahrzeug (einschließlich DDR-Nummernschild).              präsentativen Ausschnitten. Außerdem wurde den
Nach einem symbolischen Handschlag des vogt-              drei Grenzgemeinden Eichigt, Triebel und Wei-
ländischen Landrats Rolf Keil mit seinem Hofer            schlitz die Möglichkeit eingeräumt, ihre touristi-
Kollegen Oliver Bär und diversen Zeitzeugenbe-            schen Sehenswürdigkeiten in Grenznähe zu prä-
richten zur Grenzöffnung enthüllten die Landräte          sentieren. Die Broschüre kann auf der Website des
zusammen mit der Bürgermeisterin der Grenz-               Vogtlandkreises (Naturschutzseite) heruntergela-
gemeinde Triebel, Ilona Groß, und dem stellver-           den werden (Link: https://naturschutz-vogtland.
tretenden Hofer Landrat Frank Stumpf zwei In-             de/Natur-entdecken/Gesch%C3%BCtzte-Gebiete).
formationstafeln zum heutigen „Nationalen
Naturerbe Grünes Band“.                                   Neue Arten für das Grüne Band
Um die vielen Aktivitäten rund um das Grüne               Die Liste aller im Grünen Band Sachsens festge-
Band für Sachsen und den Vogtlandkreis zusam-             stellten Tiere und Pflanzen umfasst mehr als
menzufassen, wurde im Jubiläumsjahr darüber               2.000 Arten, wobei mehr als jede zehnte auf einer
hinaus eine 64-seitige Broschüre veröffentlicht,          der Roten Listen steht. Trotz einer Vielzahl natur-
die dankenswerter Weise durch den Naturschutz-            schutzfachlicher Untersuchungen für Biotopkar-
fonds der Sächsischen Landesstiftung Natur und            tierung, Schutzwürdigkeitsgutachten, Pflege- und
Umwelt mit Mitteln des Zweckertrages der Lotte-           Entwicklungspläne, die FFH-Managementplanung
rie GlücksSpirale gefördert wurde. Neben der              und Art- und Lebensraum-Monitoring werden
Erläuterung des strukturellen Aufbaus der ehe-            auch nach drei Jahrzehnten bisher übersehene
maligen innerdeutschen Grenze und wesentlichen            oder neu hinzukommende Arten registriert. Über
Lebensräumen veranschaulichen vergleichende               drei botanische Neuheiten wird in den aktuellen
Bilder von Anfang der 1990er Jahre bis heute die          Sächsischen Floristischen Mitteilungen ausführ-
Entwicklung des Schutzgebietskomplexes in re-             licher berichtet (Findeis et al. 2020). Just im Jubi-

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Naturschutzarbeit in Sachsen
läumsjahr ist mit dem Verschiedenblättrigen         nen zu diesem landkreis- und länderübergreifen-
Ampfer (Rumex x heterophyllus), der im temporär     den Projekt, welches im Rahmen des „Bundes-
Wasser führenden Kfz-Sperrgraben wächst, ein        programms Biologische Vielfalt“ umgesetzt und
Erstnachweis für das Vogtland gelungen. Aus ge-     vom Bundesamt für Naturschutz gefördert
samtsächsischer Sicht ist jedoch der Wiederfund     wurde, können der Website www.scheckenfalter.
der als „Verschollen“ eingestuften Draht-Segge      de entnommen werden.
(Carex diandra) als kleine Sensation zu bezeich-    Als wichtigste Maßnahmen auf sächsischer Seite
nen. Auch die in Sachsen vom Aussterben be-         des Projektgebietes können zwei Waldumwand-
drohte Berg-Segge (Carex montana) wurde nach        lungen in den Naturschutzgebieten „Pfarrwiese“
mehreren Anläufen erst 2019 zweifelsfrei be-        und „Himmelreich“ mit einer Größe von insge-
stimmt. Dabei handelt es sich erst um den zweiten   samt 1,4 Hektar, teils massiven Entbuschungen
Nachweis im Vogtland und eines der wenigen          oder Auflichtungen von Gehölzstrukturen sowie
Vorkommen in ganz Sachsen, wodurch seine Be-        die starke Vermehrung des Teufelsabbisses auf
deutung nicht hoch genug einzustufen ist.           zuvor geschaffenen Rohbodenstellen aufgeführt
                                                    werden. Neben den Verbesserungen der Habitat-
Artenschutzprojekt Goldener Scheckenfalter          bedingungen innerhalb des Grünen Bandes und
Seit dem Start im Mai 2015 wurden im Grünen         der Schaffung neuer „Patches“ ist die Wiederbe-
Band, aber auch darüber hinaus im Oberen Vogt-      siedelung zweier zwischenzeitlich verwaister
land Maßnahmen zur Förderung des Goldenen           Standorte im Oberen Vogtland gelungen. Die
Scheckenfalters (Euphydryas aurinia), nach seiner   Anstrengungen zum Erhalt und zur Förderung
Raupenfraßpflanze auch Abbiss-Scheckenfalter        der Art müssen jedoch nach dem Projektende
genannt, umgesetzt. Für die FFH-Anhang-II-Art,      fortgesetzt werden, da der Goldene Scheckenfal-
deren autochthone Vorkommen bei Projektbeginn       ter noch nicht „über dem Berg“ ist, also nach wie
auf das Grüne Band begrenzt waren, wurden Le-       vor keinen günstigen Erhaltungszustand auf-
bensräume flächenmäßig erweitert, durch die         weist.
Vermehrung des Gewöhnlichen Teufelsabbisses
(Succisa pratensis) aufgewertet und teilweise       Daueraufgabe Landschaftspflege
miteinander verknüpft. Umfassende Informatio-       Die Pflege- und Nutzungskonzeption für das
                                                    Grüne Band Sachsens basiert auf einer extensiven
                                                    Grünlandbewirtschaftung nach den jeweiligen
                                                    Agrarumweltprogrammen. Flächenmäßig domi-
                                                    niert der Vertragsnaturschutz mit einschüriger bis
                                                    maximal zweischüriger Mahd, meist zur Heuge-
                                                    winnung. Vor allem im Süden des Gebietes wird
                                                    die Spätnutzung umgesetzt, um den hier noch
                                                    vorkommenden wiesenbrütenden Vogelarten
                                                    Braunkehlchen (Saxicola rubetra) und Wiesenpie-
                                                    per (Anthus pratensis) möglichst gute Bruterfolge
                                                    zu gewährleisten. Mit circa 140 Hektar sind die im
                                                    Zuge der Hüteschafhaltung beweideten Flächen
Abb. 4: Kopula des Goldenen Scheckenfalters         die nächst größere Nutzungseinheit. Hiermit wird
Foto: T. Findeis                                    ein Großteil der nicht maschinengängigen Ge-

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Naturschutzarbeit in Sachsen
bietsausschnitte, insbesondere im Bereich der         125.000 Hektar an gesamtstaatlich repräsentati-
ehemaligen Grenzanlagen Kolonnenweg, Spuren-          ven Naturschutzflächen im Eigentum des Bundes
sicherungs- und Minenstreifen gepflegt und vor        unentgeltlich an die Länder, die Deutsche Bundes-
Verbuschung bewahrt. Besonders wertvolle              stiftung Umwelt oder aber an Naturschutzorga-
Feucht- und Nasswiesen, Borstgras- und andere         nisationen kostenfrei übertragen werden. Dabei
Magerrasen werden auf circa 20 Hektar mit Klein-      handelt es sich oftmals um ehemals militärisch
und Spezialtechnik gemäht und beräumt.                genutzte Liegenschaften, aber auch um Flächen
Vom Pflegeaufwand her nicht zu unterschätzen ist      des Grünen Bandes. In Sachsen wurden die noch
die Beseitigung des jährlichen Zuwachses der          bundeseigenen Flächen des Grünen Bandes in
Gehölze, die einmal linear, vor allem am Kfz-         einem Festakt am 26. August 2010 dem Vogtland-
Sperrgraben, aber auch flächig im Bereich der         kreis als Kommune übertragen, was bundesweit
wertvollen Zwergstrauchheiden und Borstgras­          eine Ausnahme darstellt. Hintergrund dieser Ent-
rasen aufwachsen. Diese Daueraufgabe wird bei-        scheidung war, dass der Landkreis durch den im
nahe ausschließlich mit landkreiseigenem Personal     Rahmen eines Flurneuordnungsverfahrens erfolg-
(Forstfacharbeiter) bewerkstelligt. Während in den    ten Ankauf von circa 180 Hektar bereits größter
Anfangsjahren das dabei angefallene Schnittma-        Flächeneigentümer im Grünen Band war. Außer-
terial meist vor Ort als Benjes-Hecke abgelegt        dem ist er für die Kontrolle und das Management
wurde, ist inzwischen die Beräumung durch die         der Schutzgebiete örtlich und sachlich zuständig.
Erzeugung von Holzhackschnitzeln obligatorisch.       Inzwischen fanden in zweijährigem Abstand vier
Schon mehrere Tausend Kubikmeter an nachwach-         bundesweite, so genannte Managementtagungen
sendem und CO2-neutralem Rohstoff wurden so           unter der Federführung des Bundesamtes für Na-
in den vergangenen Jahren erzeugt und dem Ge-         turschutz und des BUND statt, bei denen die Flä-
biet auch im Hinblick auf seine Nährstoffbilanz       chenempfänger über ihre Aktivitäten zum Schutz
entzogen.                                             und zur Entwicklung des Grünen Bandes zu be-
Ein weiterer andauernder Kampf gilt dem invasiven     richten hatten. In diesem Rahmen findet zugleich
Neophyten Vielblättrige Lupine (Lupinus polyphyl-     ein intensiver Austausch vieler Akteure aus den
lus). Auch wenn für manche wertvolle Flachland-       Regionen Deutschlands statt, bei dem die unter-
mähwiesen der Kampf gegen die Lupine verloren         schiedlichen Erfahrungen im Management und bei
scheint, ist es bislang gelungen, eine weitere Aus-   der spezifisch ausgerichteten Projektarbeit wei-
dehnung in wertvollste Biotope zu verhindern oder     tergegeben werden.
hier eingedrungene Bestände gar zurückzudrän-         Mit der Novellierung des Bundesnaturschutz­
gen. Neben der punktuellen oder kleinflächigen        gesetzes im März 2010 wurde in Paragraf 24 auch
Mulchmahd zur Vermeidung der Samenreifung             eine neue Schutzgebietskategorie für Deutschland
wird kleinflächig auch das Aushacken der Pfahl-       aufgenommen, das Nationale Naturmonument
wurzeln betrieben, was als einzige wirklich nach-     (NNM). Thüringen, welches mit 763 Kilometern
haltige und in hochrangigen Schutzgebieten ver-       Grenzlänge und einer Fläche von circa 6.500 Hek-
tretbare Bekämpfungsmethode angesehen wird.           tar für mehr als die Hälfte des bundesdeutschen
                                                      Grünen Bandes verantwortlich ist, hat als erstes
Nationales Naturerbe, Nationales                      Bundesland seinen Grenzabschnitt als NNM per
Natur­monument und UNESCO-Erbe                        Gesetz am 11. Dezember 2018 unter Schutz ge-
Im Koalitionsvertrag der Regierungsparteien CDU/      stellt. Mit dem „Grünes-Band-Gesetz Sachsen-
CSU und SPD wurde 2005 vereinbart, dass bis zu        Anhalt“ vom 28. Oktober 2019 hat auch dieses

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Naturschutzarbeit in Sachsen
Abb. 5: Forstfacharbeiter des Vogtlandkreises im Landschaftspflegeeinsatz
Foto: T. Findeis

Bundesland seinen 343 Kilometer langen Grenz-              Nachdem der Freistaat Sachsen bei der Umsetzung
abschnitt als NNM festgesetzt. In Sachsen wurde            des „Schutz­gebietssystems Grünes Band“ für die
die Frage der Unterschutzstellung in die Koaliti-          gesamte Bundesrepublik eine beispielgebende
onsverhandlungen der aktuellen Regierung auf-              Vorreiterrolle eingenommen hatte (StUFA Plauen
genommen. In dem vom Kabinett beschlossenen                1997), bleibt die weitere Entwicklung am Grünen
„Sofortprogramm Start 2020“ ist die Ausweisung             Band spannend.
des Grünen Bandes als NNM unter Nr. 5.4 aufge-
führt. Zuständig für die Ausweisung von NNM ist            Literatur
in Sachsen die oberste Naturschutzbehörde, also            F indeis , T.; Walter , S.; G rüttner , A. & Breitfeld, M. (2020):
                                                           Carex montana L., Carex diandra S chrank und Rumex x
das Ministerium für Energie, Klimaschutz, Umwelt           heterophyllus S chulz im Vogtland nachgewiesen – ein
und Landwirtschaft.                                        Überblick zur historischen und aktuellen Situation in
Auf der 93. Umweltministerkonferenz am 15. No-             Sachsen. Sächsische Floristische Mitteilungen (Heft 22).
vember 2019 wurde unter TOP 20 außerdem das                F indeis , T. (2009): 20 Jahre Naturschutzarbeit am „Grünen
Europäische Grüne Band als Weltkultur- und Welt-           Band“. Naturschutzarbeit in Sachsen 51, S. 14 – 23.

naturerbe diskutiert. Auch die nationale Weiter-           StUFA P lauen - Staatliches U mweltfachamt P lauen (1997):
entwicklung des Grünen Bandes stand auf der                Schutzgebietskonzeption „Grünes Band“ in Sachsen um-
                                                           gesetzt. Natur und Landschaft, 72 (3), S. 162 - 163.
Tagesordnung. Es wurde der Beschluss gefasst, die
Bundesregierung zu bitten, die Möglichkeiten und
die notwendigen fachlichen und politischen                 Autor
Grundlagen mit dem Ziel eines Nominierungspro-             Thomas Findeis
zesses für das Europäische Grüne Band als ge-              Untere Naturschutzbehörde Vogtlandkreis
mischtes UNESCO-Weltkultur- und Weltnaturerbe              Bahnhofstraße 42 – 48
gemeinsam mit den Ländern zu prüfen. In Bezug              08523 Plauen
auf die geplanten Ausweisungen als NNM wird die            findeis.thomas@vogtlandkreis.de
Bundesregierung darüber hinaus gebeten, die Län-
der finanziell zu unterstützen.

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Naturschutzarbeit in Sachsen
„Naturschutzarbeit in Sachsen“, 61. Jahrgang 2020 Seite 8 – 13

Das Naturschutzgebiet Werbeliner See
Ewald Jansen

„Natur aus zweiter Hand ist für den Naturschutz    für eine neue Kohlebahn vorbereitet worden, der
von sekundärem Interesse“ – dieses Statement       die Grube in einen kleineren westlichen, den spä-
eines leitenden Beamten der Naturschutzverwal-     teren Grabschützer See, und einen deutlich grö-
tung aus den 1990er Jahren war in den Tagebau-     ßeren östlichen Bereich, den heutigen Werbeliner
regionen in Sachsen für die Arbeit vor Ort mit     See teilte.
ihren konkreten Problemen nicht wirklich hilf-     Der Grabschützer See sollte mit der Zweckbe-
reich. Und richtig, offene Tagebaue entsprechen    stimmung „Naturschutz“ sich selbst überlassen
nicht gerade einem breiten gesellschaftlichen      bleiben (wobei der Begriff „Prozessschutz“ in
Konsens über schöne oder schützenswerte Na-        allgemeinen Naturschutz-Diskussionen Mitte der
turlandschaften.                                   90er Jahre noch keine größere Rolle spielte).
Es ist das besondere Verdienst einzelner Perso-    Der nicht planierte und damit nur schwer zu-
nen, die Chancen für den Naturschutz in den        gängliche Bereich entwickelte sich, besonders
abrupt beendeten Braunkohletagebauen in der        nach dem Anstieg des Grundwassers, sehr
Region Leipzig zu erkennen. Konkret bedeutete      schnell zu einem hervorragenden Lebensraum
das im Tagebau Delitzsch-Südwest, einem Teil       für störungsempfindliche Vogelarten: Hier zäh-
des Bitterfelder Reviers, dass bei den ersten      len nicht menschliche Vorstellungen von Ästhe-
Überlegungen zur Sanierung im gesamten west-       tik, sondern Habitatbedingungen wie beispiels-
lichen Bereich des Gebietes nur die zwingend       weise Vegetationsarmut oder gar -freiheit, Nist-
notwendigen Sicherungsarbeiten durchgeführt        möglichkeiten, Nahrungsverfügbarkeit.
und auf eine vollständige Überarbeitung verzich-   Mit der geforderten Ausweisung von besonderen
tet wurde. Dadurch blieben die Schüttrippen des    Vogelschutzgebieten (SPA) nach EU-Recht wurde
Tagebaues in weiten Teilen erhalten. Im Osten,     das Tagebaugebiet 2006 Kern des SPA „Agrar-
an der letzten Abbaustrecke, musste die steile     raum und Bergbaufolgelandschaft bei Delitzsch“.
Kante aus Gründen der Standsicherheit abge-        Die Liste der im SPA besonders genannten Vo-
schrägt werden. Im äußersten Nordosten wurden      gelarten setzt sich aus Vertretern unterschied-
flachere Uferbereiche als Voraussetzung für eine   licher trophischer Ebenen von Pflanzenfressern
denkbare spätere Freizeitnutzung für die Bevöl-    bis hin zu Spitzenprädatoren zusammen. Die
kerung einer vom Tagebau geplagten Region          jeweiligen essentiellen Habitatbedingungen dif-
hergestellt.                                       ferieren erheblich und sind zum Teil konträr:
Die bestehende Kohlebahntrasse, die östlich des    Wasservogelarten, Offenlandarten sowie he-
Gebietes verlief, wäre wenige Jahre später dem     cken- und gehölzbewohnende Arten sind ge-
weiteren Abbaufortschritt zum Opfer gefallen.      nannt. Die Abgrenzung des SPA wurde aus heu-
Deshalb war ein Nord-Süd verlaufender Damm         tiger naturschutzfachlicher Sicht nicht nachvoll-

8
Abb. 1: Drohnen-Luftbild (etwa 2015), Blick vom „Mottenhügel“ (51,491, 12,296) nach Süden; im Vordergrund die
Weide zwischen Hügel und nördlicher großer freier Wasserfläche, Mitte und rechter Bildrand gehölzbewachsene
Schüttrippen im Zentrum des Grabschützer Sees. Oben ab linkem Bildrand der deutlich größere Werbeliner See; die
größere Wasserfläche im oberen rechten Bilddrittel ist die südöstliche große freie Wasserfläche des Grabschützer
Sees. © Arne Weiß und Jan Bäss / 360bit.com

ziehbar entschieden: Zwar wurden sämtliche                 eine Handhabe, individuellen Aktivitäten wirk-
Wasserflächen einbezogen, die ehemaligen Ta-               sam entgegenzutreten, noch durch Pflegemaß-
gesanlagen im Norden, die sich heute weder                 nahmen existenzsichernde Bedingungen für die
habitatstrukturell noch in ihrer avifaunistischen          Arten des Gebietes zu bewahren.
Ausstattung vom Rest des Gebietes trennen las-             Daher sah sich die untere Naturschutzbehörde
sen, wurden möglicherweise wegen noch anste-               (UNB) des Landkreises gezwungen, im Sinne der
hender Abrissarbeiten nicht berücksichtigt.                staatlicherseits eingegangenen Verpflichtung
Konkrete Planungen von Kommunen und Ver-                   zum Schutz der Avifauna die Defizite der Ab-
bänden zur Errichtung einer Infrastruktur für              grenzung und der Regelungen der Grundschutz-
Nutzungsabsichten kamen vor 2006 nicht zu-                 verordnung anzugehen und den sich zunehmend
stande. Nun erforderte jede planerische Absicht,           etablierenden Nutzungsansprüchen Dritter ent-
die Auswirkungen auf die Populationen der im               gegenzutreten. Zuerst wurde 2010 versucht, mit
Gebiet besonders schützenswerten Arten haben               einer Allgemeinverfügung, die allerdings nie
könnte, eine gesetzlich festgelegte strenge Prü-           Rechtskraft erreichte, die individuellen Aktivitä-
fung (F roelich & Sporbeck 2012).                          ten zu regeln.
Nach Aufgabe der Kontrolle des Gebietes durch              Schließlich wurde 2013 ein Fachbüro beauftragt,
den Bergbautreibenden nahmen individuelle Frei-            die Auswirkungen von Störungen auf den Brut­
zeitaktivitäten deutlich zu. Aufforstungen und             erfolg der Arten zu analysieren. Das Ergebnis war
fortschreitende Sukzession verkleinerten und               erschreckend: In den stark betroffenen Bereichen
unterteilten die ehemals weit offenen Flächen.             kam es – trotz sonst geeigneter Lebensraumbe-
Schon bald zeigte sich, dass die Populationen              dingungen – nicht zu Bruterfolgen (Milan 2013).
vieler Zielarten des SPA erhebliche Einbußen er-           Daher wurde ein Besucherlenkungskonzept ent-
litten. Der rein deklaratorische Charakter der             wickelt und eingeführt. Drei Jahre nach der ers-
Grundschutzverordnung des SPA bietet weder                 ten Störungsanalyse wurde die Wirksamkeit der

                                                                                                              |9
ergriffenen Maßnahmen in einer erneuten Un-           beiden Teile der Kernzone des NSG, die lediglich
tersuchung geprüft. Trotz aller Bemühungen            durch den oben genannten Damm für die ehe-
hatten sich die festgestellten Störungen jeder        mals geplante Kohlebahntrasse über etwa 1,2
Art je verdoppelt (Milan 2016). Dies war der An-      Kilometer auf 50 bis 100 Meter getrennt sind.
lass, große Teile des Gebietes im Sommer 2016         Nördlich und östlich schließt sich an das west-
einstweilig als Naturschutzgebiet zu sichern.         liche Teilgebiet des Totalreservates ein etwa 50
Mit hohem Personaleinsatz der UNB wurden in           Hektar großer Weidekomplex an. Etwa 170 Hek-
den Sommermonaten 2017/18 die Besucher vor            tar des NSG wurden auf der Basis des nie hin-
Ort über die Bestimmungen im einstweilig gesi-        sichtlich seiner Natura-2000-Verträglichkeit
cherten NSG und allgemein über die natur-             geprüften Sanierungsrahmenplanes (Regionaler
schutzfachliche Bedeutung des Gebietes aufge-         Planungsverband Westsachsen 1999) aufgeforstet;
klärt. Entgegen der in der Presse geschürten          der weit überwiegende Teil als größere Forstkom-
Stimmung gegen die vorgesehene Sicherung des          plexe zentral im NSG, aber auch kleinere Gehölz­
Gebietes lehnten nur wenige (der mehrere Hun-         inseln oder lineare Strukturen zur Landschafts-
dert angesprochenen) Besucher dies im persön-         gestaltung im Bereich der Ostgrenze.
lichen Gespräch ab, im Gegenteil zeigten sich         Im Süden liegt, von drei Seiten vom Totalreservat
mehr als 95 Prozent offen für diese Idee und          umgeben, eine über 110 Hektar große, weiterhin
akzeptierten die Argumente der Mitarbeiter der        betriebene Verkippungsfläche für unbedenkliche
UNB. Diese Akzeptanz wurde durch eine von             Erdstoffe, auf der, vertraglich geregelt, in einem
dritter Seite in Auftrag gegebene neutrale Um-        regelmäßigen Turnus die Arbeiten dafür sorgen,
frage voll und ganz bestätigt.                        dass Offenlandbereiche für die dort brütenden
Am 15. Mai 2019 wurde die Rechtsverordnung            Vogelarten erhalten beziehungweise immer wie-
zum Gebiet erlassen, sie erreichte am 18. Juni 2019   der neu entstehen werden.
Rechtskraft (L andratsamt Nordsachsen 2019a).         Im Nordwesten des Gebietes liegen einige grö-
Das Gebiet ist circa 1.506 Hektar groß. Der etwa      ßere Ackerflächen, die bei entsprechender Be-
450 Hektar große namengebende eigentliche             wirtschaftung Lebensraum zum Beispiel für die
Werbeliner See, dessen Wasserspiegel über einen       Feldlerche bieten. Einige Flächen am West- und
neugeschaffenen Ablauf zum Lober auf eine de-         am Ostrand des Gebietes werden als Grünland
finierte Höhe festgelegt ist, liegt im Osten des      genutzt oder gepflegt, alle weiteren Flächen sind
Gebietes. Deutlich kleiner ist mit fast 130 Hektar    durch Sukzession geprägt. Etwa 80 bis 90 Hektar
der Grabschützer See im Westen, der aber durch        dieser Sukzessionsflächen in mehr als 15 einzel-
den großen Inselkomplex aus Schüttrippen keine        nen Flächen zwischen 0,2 und mehr als 10 Hek-
einheitlich überschaubare Wasserfläche erkennen       tar sind zur Zeit noch nahezu gehölzfrei. Hier
lässt. Mit etwa zwölf Hektar ist der Zwochauer        besteht die Möglichkeit, mit begrenztem Auf-
See im Südwesten noch einmal deutlich kleiner.        wand mosaikartig zerstreut im gesamten Gebiet
Daneben existieren weitere kleine Seen und viele      auch langfristig initiale Sukzessionsstadien
kleine temporäre Gewässer.                            immer wieder zu reaktivieren.
Der Werbeliner See und seine nächste Umgebung         Von vier Parkplätzen unmittelbar an den Grenzen
inklusive einer fast 60 Hektar großen Sanddorn-       des Gebietes im Nordosten, Osten, Süden und
fläche im Südwesten, insgesamt etwa 573 Hek-          Westen aus ist das Gebiet für Radfahrer und
tar, sowie der Grabschützer See mit Umgebung          Fußgänger sehr gut erschlossen. Ein Wegesys-
(circa 232 Hektar) bilden als Totalreservat die       tem von zusammen etwa 40 Kilometer steht

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Im NSG Werbeliner See gibt es die wohl sachsenweit   Riesige Schwärme von Wacholderdrosseln nutzen im
größte Ansammlung an Rothalstaucherbrutpaaren.       Winter die Sanddornfrüchte.
Foto: Archiv Naturschutz LfULG, G. Fünfstück         Foto: Archiv Naturschutz LfULG, I. Schandl

langfristig zur Verfügung. Rund um den Grab-         um die hundert Brutpaare des Neuntöters finden
schützer See und teilweise mitten durch die          sich in den Hecken am Rand und den Gebüschen
Weideflächen verläuft ein acht Kilometer langer      im Gebiet; mit zwei bis drei Brutpaaren ist der
Naturlehrpfad. Der Werbeliner See kann auf           Raubwürger deutlich seltener. Für die Grauammer
einem 15 Kilometer langen Radweg umrundet            zählt das Gebiet zu den wichtigsten Brutgebieten
werden, der Rundweg um den Zwochauer See ist         in Sachsen. Der Steinschmätzer wurde in den
etwa drei Kilometer lang. Mehrere Aussichts-
punkte und überdachte Raststellen laden zum
Verweilen ein; Standorte für künftige Aussichts-
türme sind vorgesehen.
Das Gebiet ist ein Eldorado für Vögel (S chulz
2006, Straube 2007, NABU S achsen-P ressestelle
2016). Die große offene Wasserfläche in der öst-
lichen Hälfte des Werbeliner Sees bietet Sicher-
heit für rastende Wintergäste. Die vielen lang-
gestreckten Inseln im Westen und im Grabschüt-
zer See bieten geschützte Nistplätze. Der See-
adler ist seit mehreren Jahren regelmäßig im
Gebiet, seit wenigen Jahren erreichen die Ge-
hölze eine Höhe und Stärke, die seinen Nistplatz-
ansprüchen genügt. Besonders bemerkenswert
ist die wohl sachsenweit größte Ansammlung an
Rothalstaucherbrutpaaren; auch die Rohrdom-
mel ist hier seit Jahren zu hören. Haubentaucher,
Blässhühner, Kormorane, verschiedene Möwen-
und Entenarten sind am Wasser zu beobachten.
                                                     Die Rohrdommel ist im NSG Werbeliner See seit Jahren
Riesige Schwärme von Wacholderdrosseln nut-          zu hören.
zen im Winter die Sanddornfrüchte. Regelmäßig        Foto: Archiv Naturschutz LfULG, G. Fünfstück

                                                                                                      | 11
letzten Jahren immer seltener; aktuell sind meh-
rere Brutpaare im Bereich der Verkippungsfläche
im Süden zu erwarten. Der Brachpieper, der in
den Anfangsstadien der Sukzession außerordent-
lich häufig gebrütet hat, ist jetzt nur noch als
Durchzügler zu beobachten. Insgesamt wurden
bisher Bruten von 88 Vogelarten registriert.
2016 musste festgestellt werden, dass auf einer
Insel im Süden des Werbeliner Sees mehrere
Brutbäume des Kormorans gefällt wurden; der
oder die Straftäter konnten leider nicht ermittelt
werden.
Die ersten Beobachtungen von Biberaktivitäten        Die Reproduktion der Gottesanbeterin ist seit 2015 im
                                                     NSG Werbeliner See belegt.
gelangen etwa 2014/15 auf einer Insel im Wer-        Foto: Archiv Naturschutz LfULG, M. Keller
beliner See. Inzwischen wurden mehrere Biber-
burgen festgestellt. Vom Fischotter liegen Auf-
nahmen einer Wildkamera vor. Diese wurde in­         ist durch Ansaaten und Pflanzungen im Rahmen
stalliert, nachdem Hinweise auf die Präsenz eines    der Sanierung und anschließende Sukzessions-
Wolfes bekannt wurden. Sehr bald gelangen            prozesse auf den heterogenen Kippenböden
Nachweise, auch der Reproduktion im Gebiet.          geprägt. Nur wenige Arten, wie das Tausendgül-
Die gesammelten Kotproben legen nahe, dass die       denkraut oder die Sandstrohblume sind beson-
Wölfe im Gebiet zu einem erheblichen Anteil von      ders erwähnenswert; 20 Prozent der Arten sind
Wildschweinen leben.                                 Kultivare, 14 Prozent Neophyten, die in weiten
Nahrungsgrundlage für die Ringelnatter bilden        Teilen das Bild der Vegetation beherrschen.
vor allem die Amphibien des Gebietes, wobei          In einem schmalen Streifen am Ostrand des Ge-
Kreuz- und Wechselkröte seit dem Verschwinden        bietes, auf gewachsenem Boden, sind wüchsige
offener Kiestümpel kaum mehr Laichplätze fin-        Grünlandstandorte, die bisher gemulcht werden
den dürften.                                         und teilweise brach fallen. Im Süden des Gebie-
Nahrungsgrundlage für die Zauneidechse, die im       tes werden Grünlandstandorte bereits seit meh-
Gebiet gut vertreten ist, sind Käfer und sonstige    reren Jahren im Rahmen von Ersatzmaßnahmen
bodenbewohnende Gliedertiere. Systematische          für ein Infrastrukturprojekt angemessen ge-
Untersuchungen für diese Tiergruppen liegen          pflegt.
nicht vor, wohl aber gut dokumentierte Einzel-       Die Weideflächen nördlich des Grabschützer
beobachtungen. So wurden immerhin 30 Libel-          Sees werden bei schwierigen Standortverhält-
len-, 17 Kurzfühler- und neun Langfühlerschre-       nissen (und problematischer Wasserversorgung)
ckenarten gefunden. Bemerkenswert ist die            allein durch eine robuste Rinderrasse nicht op-
Gottesanbeterin, deren Reproduktion seit 2015        timal gepflegt.
in jedem Jahr durch Imagines, Ootheken oder          Zum langfristigen Erhalt der Offenlandarten –
Jungtiere gut belegt ist. Nachweise von fast 90      nicht nur der Avifauna – wird es notwendig sein,
Schmetterlings-, knapp 70 Laufkäfer- und mehr        mit massivem technischen Einsatz in ausrei-
als 70 Wespenarten wurden erbracht.                  chend großen Bereichen (etwa 80 bis 100 Hektar
Die Flora des Gebietes, immerhin fast 270 Taxa,      an zehn bis zwölf Stellen im Gebiet verteilt bieten

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sich hier an) wieder primäre Sukzessionsstadien         Milan (2013): Erarbeitung der fachtechnischen
                                                        Voraussetzungen für die geplante Ausweisung eines
zu schaffen. Zu denken ist dabei beispielsweise
                                                        Naturschutzgebietes Werbeliner See (Brutvogelkartie-
an Abschieben des Oberbodens oder Abflämmen             rung, Störungsanalyse). Manuskript im Auftrag des
überständiger und verfilzter Vegetation. Erste          Umweltamtes SG Umweltfachbereich / Naturschutz des
                                                        Landkreises Nordsachsen. Halle.
Überlegungen dazu sind bereits erfolgt, in einem
Pflege- und Entwicklungsplan sollten diese Maß-         Milan (2016): Brutvogel- und Besuchermonitoring im
                                                        Rahmen der geplanten Ausweisung eines Natur-
nahmen zeitnah präzisiert und so bald wie mög-
                                                        schutzgebietes Werbeliner See (Brutvogelkartierung,
lich umgesetzt werden.                                  Störungsanalyse, Vergleich 2013 und 2016). Manuskript
                                                        im Auftrag des Umweltamtes Untere Naturschutzbe-
                                                        hörde des Landkreises Nordsachsen. Halle.
Eine ausführliche Darstellung des Gebietes zum
Zeitpunkt der Ausweisung liegt in der Fachlichen        NABU S achsen-P ressestelle (2016): Bodenseeverhältnisse
                                                        am Werbeliner See, Ornithologe zählt 1.800
Würdigung vor (L andratsamt Nordsachsen 2019b).         Kolbenenten. Naturschutz aktuell, NABU Sachsen
Von Anfang an wurde die Arbeit der unteren              Pressemitteilung vom 30.08.2016.
Naturschutzbehörde durch den Naturschutz-               Regionaler P lanungsverband Westsachsen (1999):
bund Deutschland unterstützt. Viele Artfeststel-        Braunkohlenplan als Sanierungsrahmenplan, Tagebau
lungen und Beobachtungsdaten stammen von                Delitzsch-Südwest / Breitenfeld. Beschlossen durch
                                                        Satzung des Regionalen Planungsverbandes vom
engagierten Naturschützern aus dem Verband.             26.06.1998, genehmigt durch das Sächsische
Die flankierende Presse- und Lobbyarbeit für            Staatsministerium für Umwelt und Landwirtschaft am
Naturschutz schaffte ein Gegengewicht zu an-            19.05.1999. Manuskript, Leipzig.
derweitigen Vorstellungen und nicht zuletzt ist         S chulz , M. (2006): Die Vogelwelt des Werbeliner Sees im
die Betreuung der Weideflächen durch den NABU           Zeitraum 2001 bis 2005. Unveröffentlichter Bericht im
                                                        Auftrag der Sächsischen Vogelschutzwarte Neschwitz.
Sachsen unverzichtbar. Auch bei der Weiterent-
wicklung der Maßnahmen im Gebiet ist die kon-           Straube , S. (2007): Brutvögel nicht sanierter
                                                        Altbergbaugebiete (Braunkohle) nördlich von Leipzig.
struktive Unterstützung sicher willkommen.              Mitteilungen des Ornithologischen Vereins Leipzig, 14,
                                                        S. 123-134.
Ich danke Thomas Dorn für die kritische Durch-
sicht und wertvolle Anregungen zum Manu-
skript.                                                 Hinweis
                                                        Der Autor war bis Ende 2019 Mitarbeiter der un-
                                                        teren Naturschutzbehörde im Landkreis Nord-
Literatur                                               sachsen und mit der fachlichen Vorbereitung
F roelich & Sporbeck (2012): Naturschutzfachliche       und Begleitung des Ausweisungsverfahrens des
Bewertung zur Durchführbarkeit des B-Planes der Stadt
Delitzsch ‚Themen und Landschaftspark am Werbeliner     NSG befasst. Die vorliegende Textfassung vom
See‘. Unveröffentlichtes Manuskript im Auftrag der      Dezember 2019 ist eine persönlich gefärbte Zu-
Stadt Delitzsch. Berlin.                                sammenfassung der Fachlichen Würdigung.
L andratsamt Nordsachsen (2019a): Verordnung des
Landratsamtes Nordsachsen zur Festsetzung des
Naturschutzgebietes „Werbeliner See“ vom 15. Mai
2019. Sächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt 2019,    Autor
Nr. 8, S. 343-348.                                      Ewald Jansen
L andratsamt Nordsachsen (2019b): Fachliche Würdigung   ewald.jansen1@web.de
für das Naturschutzgebiet „Werbeliner See“ vom
15. Mai 2019. Manuskript, 95 S., Eilenburg.

                                                                                                            | 13
„Naturschutzarbeit in Sachsen“, 61. Jahrgang 2020 Seite 14 – 25

Störungsarmes und effektives Monitoring
von Flussseeschwalben (Sterna hirundo )
mit UAV-Unterstützung
Christoph Gerber, Jana Zschille, Dirk Weis, Winfried Nachtigall

Zusammenfassung                                   der Luftbildinterpretation für diese Zwecke zu-
Der Einsatz von UAV (Unmanned Aircraft Ve-        rückzuführen ist. Ein entscheidender Vorteil
hicle) beziehungsweise Kleindrohnen zur Erfas-    gegenüber der Begehung ist die geringe Dauer,
sung und Dokumentation von Zuständen in der       welche für die Luftbildaufnahme benötigt wird.
Natur hat in den letzten Jahren rasant zugenom-   Somit lässt sich der Störungsumfang, der von
men. Gleichzeitig mangelt es jedoch an Kennt-     einer Koloniebegehung ausgeht, maßgeblich re-
nissen zur Erfassungsqualität und zu den mit      duzieren. Vorteilhaft bei dieser Verfahrensweise
dem Einsatz verbundenen Störungen in der Tier-    ist die Möglichkeit, die gewonnenen Daten in GIS
welt. Erste diesbezügliche Untersuchungen bei     (Geografisches Informationssystem) weiterver-
Meeresvögeln zeigen, dass sich koloniebrütende    arbeiten und reproduzieren zu können. Um die
Möwen für die UAV-Erfassung eignen. Da die        Abläufe von UAV-Einsätzen zu verbessern und
Bedingungen an einem künstlichen Brutplatz von    UAV auch bei anderen Vogelarten anwenden zu
Flussseeschwalben (Sterna hirundo) auf dem        können, werden weitere Untersuchungen not-
Brösaer Teich im Biosphärenreservat „Oberlau-     wendig sein.
sitzer Heide- und Teichlandschaft“ gut kontrol-
lier- und steuerbar waren, fand dort 2018 eine    1       Einleitung
vergleichende Untersuchung von terrestrischen     Die Erfassung von Brutvogelkolonien ist mit be-
Erfassungsmethoden und der UAV-Luftbilder-        sonderen Anforderungen an den Bearbeiter ver-
fassung statt.                                    bunden, da neben der reinen Individuenzählung
Durch den UAV-Einsatz wurde gezeigt, dass eine    die Beurteilung der Brutpaaranzahl und der An-
genaue Individuenerfassung per Luftbild mög-      teil nichtbrütender Individuen, im oft schwer
lich ist, ohne eine sichtbare Beunruhigung der    überschaubaren Gelände, notwendig sind (Bibby
Kolonie zu verursachen. Dagegen ist die Zählung   et al. 1995, Südbeck et al. 2005). Mit der Verfüg-
der Individuen vom Teichrand aufgrund der         barkeit entsprechender Technik wurden bisher
Sichteinschränkung mit einer großen Ungenau-      überwiegend Brutvogelkolonien von Wasservö-
igkeit verbunden. Weiterhin konnten Nester und    geln mithilfe von UAV-Bilddaten analysiert. Die
Gelege per Luftbildaufnahme erfasst werden.       Ergebnisse sind bezüglich der Erfassbarkeit bei
Gegenüber dem Referenzwert der Nestanzahl,        gleichzeitig geringer Störungsintensität im Ver-
welcher durch die Begehung der Kolonie ermit-     gleich zur Kolonieerfassung durch herkömmliche
telt wurde, ist jedoch eine gewisse Abweichung    Begehung sehr vielversprechend (Sardà-Palomera
vorhanden, was auf die geringe Erfahrung bei      et al. 2012, Grenzdörffer 2014, Chabot et al. 2015,

14
Abb. 1: Flussseeschwalbe mit Jungvogel
Foto: W. Nachtigall

Brisson-Curadeau et al. 2016, Díaz-Delgado et al.    der Flussseeschwalbeninsel in der Teichgruppe
2017). Außerdem ist die Reproduzierbarkeit der       Guttau im Biosphärenreservat „Oberlausitzer
Luftbilddaten sowie die Option weiterer Auswer-      Heide- und Teichlandschaft“ (BR OHT) getestet.
tungen (beispielsweise zu Fragen der Raumnut-        Dazu fanden Befliegungen im Rahmen der Mas-
zung) vorteilhaft (C habot & B ird 2015, D íaz-      terarbeit von Christoph Gerber im Jahr 2018 am
Delgado et al. 2017, S ardà-Palomera et al. 2017,    Brösaer Teich (Teichgruppe Guttau) statt. Fragen
Hodgson et al. 2018). Im Gegensatz zu den Küsten     zur Störintensität, der sicheren Artansprache
finden Möwen und Seeschwalben im Binnenland          sowie der Vergleichbarkeit mit den Ergebnissen
nur selten geeignete natürliche Bruthabitate vor     der terrestrischen Zählung unmittelbar auf der
(zum Beispiel Kiesinseln in Flüssen). Die Einrich-   Brutinsel standen dabei im Vordergrund.
tung künstlicher Bruthabitate stellt ein bewähr-
tes Verfahren zum Schutz und zur Wiederansied-       2      Material und Methoden
lung koloniebrütender Vogelarten dar. Die Be-        Das Biosphärenreservat „Oberlausitzer Heide-
treuung solcher Bruthabitate schließt die unmit-     und Teichlandschaft“ (BR OHT) ist mit etwas über
telbare Pflege aber auch ein begleitendes            30.000 Hektar das größte sächsische EU-Vogel-
Monitoring im Sinne einer Erfolgskontrolle ein.      schutzgebiet. Vor allem durch die naturnahen
Um zu klären, ob eine solche Erfolgskontrolle        Teiche mit teils ausgedehnten Röhrichten er-
auch oder sogar besser mit UAV-Unterstützung         reicht der Gewässeranteil im Schutzgebiet zehn
durchgeführt werden kann, wurde dies anhand          Prozent. Auch wenn die Teichlausitz früher we-

                                                                                                 | 15
niger bedeutsam für die Flussseeschwalbe                   Die Teiche in der Teichgruppe Guttau sind divers
(Abb. 1) war (Baer 1898), fand die Art in der              strukturiert, besitzen teilweise Inseln, Flachwas-
angrenzenden Tagebaufolgelandschaft zumin-                 serzonen und ausgedehnte Röhrichtbestände
dest zeitweise geeignete Sekundärhabitate und              (Böhnert et al. 1996). Für die Flussseeschwalben
breitete sich ab 1972 dort aus (K rüger & S chulze         galt diese Teichgruppe seit längerem als ein be-
1973). Durch die Rekultivierung der Tagebaue               deutendes Nahrungsgebiet, weshalb dort im Jahr
und Füllung der Tagebaurestseen blieben zum                2014 die circa 120 m² große Brutvogel­insel im
Nisten geeignete, vegetationsarme Inseln immer             Auftrag des Fördervereins Sächsische Vogel-
nur temporärer Natur. Als in den wenigen Kolo-             schutzwarte e. V. errichtet wurde, der ebenfalls
nien nach 1990 der Prädatorendruck durch                   seitdem den Brutbestand erfasst (N achtigall
Waschbär (Procyon lotor) und Mink (Neovison                2015). Die untersuchte Brutinsel befindet sich
vison) zunahm, wurde 1999 auf dem Tauerwie-                circa 140 m vom Ständer des Brösaer Teichs
senteich eine Ponton-Insel und 2014 im Brösaer             entfernt. Aufgrund einer circa 15 cm hohen Be-
Teich eine Pfahlkonstruktion (Abb. 2) errichtet.           plankung, welche die Sicht auf die Brutfläche
Der Brösaer Teich und die gesamte Teichgruppe              randlich einschränkt, ist eine Begehung zur ter-
Guttau sind Teil der Schutzzone II des BR OHT              restrischen Zählung notwendig Für diese Unter-
und als Naturschutzgebiet, FFH-Gebiet (61 E)               suchung wurden unterschiedliche Erfassungs-
sowie Vogelschutzgebiet (SPA 46) ausgewiesen               methoden von Koloniebrütern gegenübergestellt.
(SMUL 2009).                                               Das Erfassen der Individuen vom Teichrand aus
Im Schutzgebiet brüten seit 1999 zwischen 60               fand am 13.05. sowie am 10.06.2018 statt. Die
und 155 Paare der Flussseeschwalbe. Das ent-               Luftaufnahmen zur Ermittlung der Koloniegröße
spricht 25 bis 40 Prozent des sächsischen Be-              erfolgten am 29.05. und 11.06.2018 mit jeweils
standes dieser in Sachsen und Deutschland stark            einem UAV-Einsatz. Die Begehung der Kolonie
gefährdeten Art des Anhang I der europäischen              für die Brutsaison 2018 fand am 11.06.2018
Vogelschutzrichtlinie.                                     statt. Während der Begehung wurde eine weitere

Abb. 2: Brutinsel im Brösaer Teich (Teichgruppe Guttau) im Biosphärenreservat „Oberlausitzer Heide- und
Teichlandschaft“
Foto: C. Gerber

16
Luftbildaufnahme erzeugt. Dieses Luftbild ist zur
Erfassung der Nester und Gelegegröße geeignet,
da infolge der Begehung der Plattform alle Brut-
vögel abflogen. Das Erfassungsergebnis der Be-
gehung liefert für die vorliegende Arbeit die
Referenz, welche für die Methodengegenüber-
stellung verwendet wird.
Für die Luftbildaufnahmen kam ein handelsüb-
liches, akkubetriebenes UAV (DJI TM PHAN-
TOM TM 4 Pro) zur Anwendung (Abb. 3). In Vorbe-            Abb. 3: Für diese Untersuchung verwendetes UAV
reitung dieser Untersuchung wurde gemäß                    (Typ: DJI TM PHANTOM TM 4 Pro)
                                                           Foto: C. Gerber
L uft verkehrs-O rdnung (L uft VO) die behördliche
Genehmigung bei der Landesdirektion Sachsen
eingeholt. Um Störungen der Kolonie möglichst              erweitert wurden. Die Luftbilder wurden senk-
zu vermeiden, steuerten wir die Drohne vorran-             recht über der Brutinsel aufgenommen. Um zu-
gig auf geradlinigen Flugbahnen und mit gerin-             sätzliche Informationen bezüglich der Störungs-
ger Geschwindigkeit (H odgson & K oh 2016)                 intensität bei Kolonievögeln ermitteln zu können,
(Abb. 4). Nach dem Start des UAV wurde direkt              wurde die Flughöhe von 50 m über der Brutinsel
die Ausgangsflughöhe (50 m) angesteuert                    verringert. Die gesamte Brutinsel konnte, bei
(McE voy et al. 2016). Über die gesamte Einsatz-           allen getesteten Flughöhen, jeweils vollständig
dauer des UAV wurde das Verhalten der Indivi-              mit einem UAV-Luftbild erfasst werden.
duen auf der Insel gemäß der vorgeschlagenen               Die Luftbildaufnahmen wurden mit Hilfe von GIS
Kategorisierung nach Vas et al. (2015) dokumen-            zunächst georeferenziert, anschließend digitali-
tiert, die um die Kategorien „Angriff- & Abwehr-           siert und analysiert. Die Artansprache basierte
verhalten“ sowie „keine Einschätzung möglich“              auf Svennson et al. (2015) und Nester oder Nest-

Abb. 4: Befliegungsmuster zur UAV-Luftbilderfassung der Brutvogelinsel im Brösaer Teich

                                                                                                            | 17
hinweise wurden mit Harrison & C astell (2004)      Luftbildauswertung sind in Tab. 1 aufgeführt. Die
bestimmt. Um eine Vergleichbarkeit der Daten        durch die Koloniebegehung festgestellte Nest­
aus der Individuenzählung und der Nesterfas-        anzahl von 112, stellt gleichzeitig den Referenz-
sung zu erzeugen, wurde aus den jeweiligen          wert dar, welcher für die Beurteilung der Genau-
Individuenzahlen die Brutpaaranzahl nach Süd -      igkeit der Luftbildauswertemethoden und Erfas-
beck et al. (2005) berechnet. Für diese Untersu-    sung aus der Distanz (Teichrand) angesetzt wird.
chung wird angenommen, dass jedes errechnete        Die größte Abweichung zu diesem Wert weist die
Brutpaar ein Nest besetzt. Eine weitere Methode     Berechnungsmethode der Brutpaare aus den In-
zur Ermittlung von Brutpaaren in einer Kolonie      dividuenzählungen vom Teichrand auf. Diese
wurde auf der Basis zweier UAV-Luftbildaufnah-      Herangehensweise unterschätzt die tatsächliche
men mit einem zeitlichen Abstand angewendet.        Brutpaarzahl um mehr als 55 Prozent. Es schließt
Dazu werden die Individuenpositionen zu den         sich die Ermittlung der potentiellen Neststand-
unterschiedlichen Aufnahmezeitpunkten in den        orte aus zwei UAV-Luftbildaufnahmen an, wobei
Luftbildern verglichen und bei einer Überlage-      die Anzahl der Brutpaare um circa 20 Prozent
rung somit potenzielle Neststandorte erkennbar      unterschätzt wird. Die festgestellte Nestanzahl
(Sardà-Palomera et al. 2012). In der vorliegenden   anhand des Luftbildes zum Zeitpunkt der Bege-
Untersuchung wurde für die beiden Luftbildauf-      hung hat eine Abweichung von 17 Prozent ver-
nahmen (29.05. und 11.06.2018) ein Bewegungs-       glichen mit dem Ergebnis der Begehung. Im Ver-
radius von circa 14 cm angenommen, der für ein      gleich liefert die Berechnung der Brutpaarzahlen
Individuum möglich sein sollte, ohne ein poten-     aus der Individuenerfassung per UAV-Luftbild
tielles Nest verlassen zu müssen.                   (vom 11.06.2018) die geringste Abweichung zum
                                                    Referenzwert. Ähnliche Abweichungen ergeben
3     Ergebnisse                                    sich bei der Betrachtung der Brutdichteermitt-
Im Untersuchungszeitraum war der Standort           lungen anhand der jeweiligen Methode (Tab. 1).
ausschließlich von Flussseeschwalben besiedelt.     Durch Interpretieren der gezeigten Verhaltens-
Die Erfassung vom Teichrand aus ergab am            weisen der Flussseeschwalben auf der Brutinsel
13.05.2018 27 Flussseeschwalben und am              während der Erfassung mit unterschiedlichen
10.06.2018 eine Anzahl von 72 Flussseeschwal-       Methoden konnten Rückschlüsse auf die Störin-
ben. Für die Vergleichbarkeit der Methoden wird     tensität gezogen werden. Die Beobachtungen
ausschließlich der Wert der Zählung vom             vom Teichrand zur Erfassung am 13.05. und
10.06.2018 zur Ermittlung der Brutpaare heran-      10.06.2018 verursachten keine erkennbaren Stör-
gezogen. Die Auswertung der UAV-Luftbilder          reaktionen auf der Brutinsel. Beide Zählungen
nahm jeweils 19 Minuten in Anspruch. Diese          wurden innerhalb von fünf Minuten durchge-
ergab für den 29.05.2018 113 Flussseeschwalben      führt. Am 29.05.2018 wurde das UAV nach einer
und für den 11.06.2018 eine Individuenzahl von      geradlinigen Annäherung in 50 Meter Flughöhe
157 Flussseeschwalben. Die Auszählung der Luft-     über die Insel gesteuert. Anschließend wurde die
bildaufnahme zum Zeitpunkt der Begehung der         Flughöhe reduziert. Die ersten vom Ufer des Tei-
Kolonie dauerte neun Minuten. Es wurden 93          ches beobachteten Störungsanzeichen waren bei
vermutete Nester markiert. Das Ergebnis der Er-     30 Meter Flughöhe festzustellen. Gemäß einer
fassung der Nester und Brutpaare sowohl durch       fachlichen Einschätzung vor Ort wurde die Flug-
Begehung der Kolonie beziehungsweise Beobach-       höhe nicht weiter verringert und der Rückflug
tung vom Teichrand als auch das Ergebnis der        veranlasst. Durch den stark beschleunigten

18
Tab. 1: Ermittelte Nestanzahlen und Brutpaardichten von Flussseeschwalben (Sterna hirundo) am Brösaer Teich
(Teichgruppe Guttau) am 10./11.06.2018; BP = Brutpaar

                                                     Abweichung von                      Abweichung von
                                        Nest-                         Brutdichte
             Methode                                 Nestanzahl durch                    Brutdichte durch
                                        anzahl                         [BP/m²]
                                                      Begehung [%]                        Begehung [%]
 Nestanzahl durch Begehung
                                          112                 -               0,94                -
 der Kolonie (11.06.)
 BP aus Individuenzählung
                                          50               - 55,4             0,42             - 55,3
 vom Teichrand (10.06.)
 BP aus Individuenzählung
 im Luftbild (Flughöhe: 10 m)             109               - 2,7             0,91              - 3,2
 (11.06.)
 Potentielle Nester aus Analyse
 zweier Luftbildaufnahmen                 86               - 23,2             0,72             - 23,4
 (29.05. und 11.06.)
 Nestanzahl aus
 Luftbildzählung während
                                          93               - 17,0             0,78             - 17,0
 Begehung
 (Flughöhe: 10 m (11.06.)

Steigflug (überdurchschnittliche Propellergeräu-         4      Diskussion
sche) von 30 auf 50 Meter kam es zum Aufflie-            Die Untersuchung zeigt, dass im Vergleich zu
gen aller auf der Brutinsel anwesenden Vögel,            Zählungen von einer Position außerhalb der Ko-
also zu einer intensiven Reaktion für etwa 45            lonie, die Luftbildzählung eine hohe Genauigkeit
Sekunden. Das verwendete UAV wurde dabei von             bietet und alle Individuen auf dem Bruthabitat
den Flussseeschwalben jedoch nicht angegriffen           erfasst werden können, was die Ergebnisse von
oder aktiv angeflogen. Am zweiten Aufnahmetag            Hodgson et al. (2018) bestätigt. Selbst geringe
(11.06.2018) wurde eine Anflughöhe von 30                Sichteinschränkungen wie die relativ niedrige
Meter gewählt, was keine erkennbare Störung              Beplankung der Brutinsel können zu einer Fehl-
verursachte, ebenso die Absenkung auf 10 Meter           einschätzung der Koloniegröße führen, da wie in
Höhe. Das seitliche Abfliegen des UAV blieb die-         Abbildung 2 erkennbar wird, nicht die gesamte
ses Mal bei geringer Beschleunigung ohne er-             Brutfläche eingesehen werden kann. Ein Teil der
kennbare Störung. Das UAV war zur Luftbilder-            Abweichung gegenüber der Luftbildauszählung
fassung an beiden Flugtagen circa sieben Minu-           kann mit den unterschiedlichen Tageszeiten an
ten in der Luft. Die herkömmliche Erfassung              den aufeinanderfolgenden Erfassungstagen er-
durch Begehung am 11.06.2018 verursachte                 klärt werden. Eine noch bessere Vergleichbarkeit
bereits durch die Annäherung der Bearbeiter mit          kann erreicht werden, wenn bei künftigen Un-
dem Boot eine intensive Störung der Seeschwal-           tersuchungen zu den selben Tageszeiten erfasst
ben. Alle Individuen verließen die Brutinsel für         wird. Damit können zusätzliche Fehleinschätzun-
die circa 30-minütige Erfassung (Abb. 5).                gen der Koloniegröße vermieden werden, da sich

                                                                                                         | 19
Abb. 5: Vergleich der Störungsreaktion der Flussseeschwalben anhand der Luftbildauswertung
a) vor und b) während der Begehung der Brutvogelinsel im Brösaer Teich am 11.06.2018
Fotos: P. Ulbrich

im Tagesverlauf unterschiedlich viele Individuen          kömmliche Zählmethode aus der Distanz. Dabei
innerhalb der Kolonie aufhalten.                          ist die reine Flugzeit über der Kolonie, um die
Der zeitliche Aufwand der UAV-Nutzung ist ein-            Lufbildaufnahmen zu erhalten, vergleichbar kurz.
schließlich der Bildanalyse höher als die her-            Die UAV-Einsatzzeit ist jedoch deutlich niedriger

20
als eine Begehung der Kolonie zur Nesterfas-        der vorliegenden Untersuchung eine Abweichung
sung. Die Kombination aus der UAV-Luftbildzäh-      von 23 Prozent vom Referenzwert. Es wird ver-
lung und der daraus abgeleiteten Brutpaarbe-        mutet, dass der Zeitraum zwischen den beiden
rechnung, erreichte für die vorliegende Arbeit      Vergleichsaufnahmen zu groß war. Wiederho-
eine unerwartet hohe Genauigkeit. Die Herange-      lungsaufnahmen an einem einzelnen Einsatztag
hensweise, Brutpaare aus den Individuenzahlen       liefern ebenfalls Aussagen über Brüter und
zu berechnen, wird von Südbeck et al. (2005) für    Nichtbrüter einer Kolonie (Sardà-Palomera et al.
künstliche Bruthabitate nicht empfohlen, da der     2012). Die Wahl des Erfassungstermins muss bei
Anteil von Nichtbrütern aufgrund von Platzman-      dieser Methode vermutlich genauer betrachtet
gel viel geringer ist im Vergleich zu natürlichen   werden, da zum einen der nicht synchrone Brut-
Bruthabitaten. Ob sich das UAV-gestützte Ver-       beginn und zum anderen mögliche Ersatzbruten
fahren zur Berechnung der Brutpaare auch auf        bei Nestverlust im Brutzeitraum zu berücksich-
andere künstlichen Bruthabitaten übertragen         tigen sind (Südbeck et al. 2005). Die Auswirkun-
lässt, muss durch weitere Untersuchungen fest-      gen des zeitlichen Abstands der ersten und zwei-
gestellt werden.                                    ten UAV-Luftbildaufnahme sind noch nicht
Die Nester mit darin erkennbaren einzelnen Eiern    hinreichend untersucht.
konnten im UAV-Luftbild, das während der Be-        Die Abweichungen der Ergebnisse der UAV-ge-
gehung aufgenommen wurde, mit einer Abwei-          stützten Verfahren sind zurzeit noch auf die
chung von 17 Prozent ermittelt werden. Dafür        geringe Erfahrung in der Luftbildinterpretation
ist eine sehr hohe Bodenauflösung (GSD -            zurückzuführen. Bei ausreichender Erfahrung
Ground Sampling Distance von 0,27 cm/Pixel)         können auch große Bestände in relativ kurzer
und freie Sicht auf die Nester nötig. Dies wurde    Zeit sicher am Luftbild ausgewertet werden
in der vorliegenden Arbeit durch das Auffliegen     (Hodgson et al. 2018). Dabei ist die Bodenauflö-
aller Vögel für die Dauer der Begehung möglich.     sung (Anpassung der Flughöhe oder Variation
Jungvögel konnten mit den Luftbildaufnahmen         des optischen Sensors) entscheidend. Eine Re-
nicht nachgewiesen werden. Dies kann auf die        duzierung der Flughöhe verbesserte die Boden-
guten Tarneigenschaften des Dunenkleides von        auflösung bei der genutzten Drohne von 1,37 cm/
Jungvögeln und deren Fähigkeit, bereits zwei        Pixel bei 50 Meter Flughöhe auf 0,27 cm/Pixel
Tage nach dem Schlupf Verstecke aufzusuchen,        bei zehn Meter Flughöhe. Auch bei niedrigeren
zurückgeführt werden (Harrison & C astell 2004).    Auflösungen können alle Individuen gezählt wer-
Die ausgelegten Firststeine bieten solche Ver-      den, jedoch werden die artspezifischen Merkmale
stecke auf der Brutinsel. Dass UAV-Aufnahmen        erst bei einer GSD von 0,82 cm/Pixel (30 Meter
für entsprechende Nachweise geeignet sein kön-      Flughöhe) eindeutig sichtbar. Damit werden die
nen, belegten Díaz-Delgado et al. (2017) für eine   Angaben einer zur eindeutigen Artzuordnung
natürliche Kolonie von Dünnschnabelmöwen            notwendigen Bodenauflösung von 0,7 bis 0,5 cm/
(Chroicocephalus genei), bei der Neststrukturen,    Pixel von Dulava et al. (2015) und McE voy et al.
Eier und Küken erkannt werden konnten (GSD          (2016) bestätigt. Neben der Bodenauflösung
0,5 cm/Pixel).                                      beeinflussen die Lichtverhältnisse die Bildanalyse
Die Verfahrensweise nach Sardà-Palomera et al.      und Arterkennbarkeit nachweislich und können
(2012), zwei UAV-Luftaufnahmen von unter-           durch die richtige Wahl der Tageszeit verringert
schiedlichen Zeitpunkten zur Ermittlung von         werden (Abb. 6) (Chabot & Bird 2015).
potentiellen Neststandorten zu nutzen, ergab in     Bei der Interpretation der Ergebnisse dieser Ar-

                                                                                                 | 21
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