Naturschutzarbeit in Sachsen
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Vom Aussterben bedroht: Der Berg-Marienkäfer (Ceratomegilla notata ) ist eine Art der Vorwarnliste und kommt in Sachsen im Erzgebirge und im Vogtland vor. Foto: Archiv Naturschutz LfULG, W. Dietrich
Inhaltsverzeichnis Thomas Findeis 2 30 Jahre Naturschutzarbeit am sächsischen Grünen Band – Aktuelles und ein Ausblick Ewald Jansen 8 Das Naturschutzgebiet Werbeliner See Christoph Gerber, Jana Zschille, Dirk Weis, Winfried Nachtigall 14 Störungsarmes und effektives Monitoring von Flussseeschwalben (Sterna hirundo) mit UAV-Unterstützung Kristin Trentzsch, Ulrich Walz, Lisa Schäfer, Jürgen Phoenix 26 Der Feuersalamander (Salamandra salamandra) in der Nationalparkregion Sächsische Schweiz - Populationsschätzung und Gefährdungsursachen im Struppengrund bei Pirna Friedemann Klenke 50 Schutzgebiete in Sachsen 2019 Mitteilungen 2020 56 |1
„Naturschutzarbeit in Sachsen“, 61. Jahrgang 2020 Seite 2 – 7 30 Jahre Naturschutzarbeit am sächsischen Grünen Band – Aktuelles und ein Ausblick Thomas Findeis Einleitung und BRD erfolgen.“ Damit war dem wohl längs- Als Geburtsstunde des Naturschutzprojektes ten Naturschutzprojekt Deutschlands der Name „Grünes Band“ an der ehemals innerdeutschen gegeben, wenngleich damals noch mit kleinem Grenze wird die erste Zusammenkunft von meist „g“ geschrieben. ehrenamtlichen Naturschützern aus Ost und Über den sächsischen Abschnitt des Grünen West am 9. Dezember 1989 in Hof angesehen. Bandes wurde bereits in der „Naturschutzarbeit Einstimmig forderten an die 400 Teilnehmer in in Sachsen“ umfassender berichtet (Findeis 2009). einer ersten Resolution: „Der Grenzstreifen zwi- Seitdem sind schon wieder über zehn Jahre ver- schen der Bundesrepublik und der Deutschen strichen. Deshalb sollen in diesem Heft zum Demokratischen Republik ist als grünes Band und 30-jährigen Jubiläum des Naturschutzprojektes als ökologisches Rückgrat Mitteleuropas vorran- - mit leichter Verspätung - die neuesten Ent- gig zu sichern, d.h. es muß umgehend eine einst- wicklungen vorgestellt und über besondere Er- weilige Sicherstellung dieser Gebiete in der DDR eignisse berichtet werden. Abb. 1: Prof. Hubert Weiger, Vorsitzender des BUND, Ralph Georgi, Landrat Rolf Keil und Projektmanager Thomas Findeis nach der Enthüllung der nachgebildeten Grenzsäule Nr. 2.735 (von rechts) Foto: P. Stehr 2
Abb. 2: Exkursion mit einer vierten Grundschulklasse Foto: J. Strobel Jubiläumsjahr 2019 und Öffentlichkeitsarbeit durchgeführt. Bei jährlich angebotenen Früh- Triebfeder des inzwischen europaweiten Natur- lingsspaziergängen, einer 37 Kilometer langen schutzprojektes, welches sich über 24 Anlieger- Mammutwanderung mit dem Weltenbummler staaten erstreckt, ist der Bund Naturschutz in Mario Goldstein am 26.08.2018 und etlichen Füh- Bayern e. V. mit seinem Geschäftsbereich Grünes rungen von an der deutschen Wiedervereinigung Band in Nürnberg. Dieser organisierte zum Auf- besonders interessierten südkoreanischen Dele- takt des deutschen Jubiläumsjahres eine mehr- gationen wurde auch in den vergangenen Jahren tägige Pressereise, die am 20. Mai 2019 am vogt- vielen Menschen die Bedeutung des Grünen Ban- ländischen Dreiländereck an der Grenzlinie des für den Natur- und Artenschutz, aber auch zwischen Sachsen, Bayern und Böhmen ihren als lebendiges Mahnmal der jüngeren deutschen Auftakt hatte. Nachdem am Vormittag unter an- Geschichte präsentiert. derem die Umweltminister*innen aus Bayern, Ein besonderes Datum im Jubiläumsjahr war der Sachsen und Thüringen und der Vizeumweltmi- 12. November 2019. Damals jährte sich die Öff- nister der Tschechischen Republik ihre Grußworte nung des Grenzzaunes an der ehemaligen Bun- an Gäste und Presse richteten, wurde am Nach- desstraße B 173 zwischen Plauen und Hof zum mittag die vom aus Zwickau stammenden DDR- 30sten Mal. Der aus dem Grenzdorf Sachsgrün Flüchtling Ralph Georgi nachgebaute letzte stammende Vogtländer Albrecht Gemeinhardt Grenzsäule der DDR mit der Nr. 2.735 im Grünen fuhr damals um 9.34 Uhr mit seinem Trabi als Band Sachsens, nahe dem Dreiländereck, enthüllt. erster Sachse nach Bayern. Nach ihm sollte der Die Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit am Lindwurm an Zweitaktern gen Westen über Wo- Grünen Band ist auf keine Alters- oder Gesell- chen und Monate kein Ende nehmen. Albrecht schaftsgruppe beschränkt: Exkursionen mit Gemeinhardt bereicherte den kleinen Festakt der Schulklassen, Studentengruppen oder Trägern der sächsisch-bayerischen Nachbarlandkreise durch Erwachsenenbildung werden meist auf Nachfrage sein Erscheinen mit dem original ausgestatteten |3
Abb. 3: Eine südkoreanische Delegation informiert sich über die deutsch-deutsche Wiedervereinigung. Foto: K. Kramer Fahrzeug (einschließlich DDR-Nummernschild). präsentativen Ausschnitten. Außerdem wurde den Nach einem symbolischen Handschlag des vogt- drei Grenzgemeinden Eichigt, Triebel und Wei- ländischen Landrats Rolf Keil mit seinem Hofer schlitz die Möglichkeit eingeräumt, ihre touristi- Kollegen Oliver Bär und diversen Zeitzeugenbe- schen Sehenswürdigkeiten in Grenznähe zu prä- richten zur Grenzöffnung enthüllten die Landräte sentieren. Die Broschüre kann auf der Website des zusammen mit der Bürgermeisterin der Grenz- Vogtlandkreises (Naturschutzseite) heruntergela- gemeinde Triebel, Ilona Groß, und dem stellver- den werden (Link: https://naturschutz-vogtland. tretenden Hofer Landrat Frank Stumpf zwei In- de/Natur-entdecken/Gesch%C3%BCtzte-Gebiete). formationstafeln zum heutigen „Nationalen Naturerbe Grünes Band“. Neue Arten für das Grüne Band Um die vielen Aktivitäten rund um das Grüne Die Liste aller im Grünen Band Sachsens festge- Band für Sachsen und den Vogtlandkreis zusam- stellten Tiere und Pflanzen umfasst mehr als menzufassen, wurde im Jubiläumsjahr darüber 2.000 Arten, wobei mehr als jede zehnte auf einer hinaus eine 64-seitige Broschüre veröffentlicht, der Roten Listen steht. Trotz einer Vielzahl natur- die dankenswerter Weise durch den Naturschutz- schutzfachlicher Untersuchungen für Biotopkar- fonds der Sächsischen Landesstiftung Natur und tierung, Schutzwürdigkeitsgutachten, Pflege- und Umwelt mit Mitteln des Zweckertrages der Lotte- Entwicklungspläne, die FFH-Managementplanung rie GlücksSpirale gefördert wurde. Neben der und Art- und Lebensraum-Monitoring werden Erläuterung des strukturellen Aufbaus der ehe- auch nach drei Jahrzehnten bisher übersehene maligen innerdeutschen Grenze und wesentlichen oder neu hinzukommende Arten registriert. Über Lebensräumen veranschaulichen vergleichende drei botanische Neuheiten wird in den aktuellen Bilder von Anfang der 1990er Jahre bis heute die Sächsischen Floristischen Mitteilungen ausführ- Entwicklung des Schutzgebietskomplexes in re- licher berichtet (Findeis et al. 2020). Just im Jubi- 4
läumsjahr ist mit dem Verschiedenblättrigen nen zu diesem landkreis- und länderübergreifen- Ampfer (Rumex x heterophyllus), der im temporär den Projekt, welches im Rahmen des „Bundes- Wasser führenden Kfz-Sperrgraben wächst, ein programms Biologische Vielfalt“ umgesetzt und Erstnachweis für das Vogtland gelungen. Aus ge- vom Bundesamt für Naturschutz gefördert samtsächsischer Sicht ist jedoch der Wiederfund wurde, können der Website www.scheckenfalter. der als „Verschollen“ eingestuften Draht-Segge de entnommen werden. (Carex diandra) als kleine Sensation zu bezeich- Als wichtigste Maßnahmen auf sächsischer Seite nen. Auch die in Sachsen vom Aussterben be- des Projektgebietes können zwei Waldumwand- drohte Berg-Segge (Carex montana) wurde nach lungen in den Naturschutzgebieten „Pfarrwiese“ mehreren Anläufen erst 2019 zweifelsfrei be- und „Himmelreich“ mit einer Größe von insge- stimmt. Dabei handelt es sich erst um den zweiten samt 1,4 Hektar, teils massiven Entbuschungen Nachweis im Vogtland und eines der wenigen oder Auflichtungen von Gehölzstrukturen sowie Vorkommen in ganz Sachsen, wodurch seine Be- die starke Vermehrung des Teufelsabbisses auf deutung nicht hoch genug einzustufen ist. zuvor geschaffenen Rohbodenstellen aufgeführt werden. Neben den Verbesserungen der Habitat- Artenschutzprojekt Goldener Scheckenfalter bedingungen innerhalb des Grünen Bandes und Seit dem Start im Mai 2015 wurden im Grünen der Schaffung neuer „Patches“ ist die Wiederbe- Band, aber auch darüber hinaus im Oberen Vogt- siedelung zweier zwischenzeitlich verwaister land Maßnahmen zur Förderung des Goldenen Standorte im Oberen Vogtland gelungen. Die Scheckenfalters (Euphydryas aurinia), nach seiner Anstrengungen zum Erhalt und zur Förderung Raupenfraßpflanze auch Abbiss-Scheckenfalter der Art müssen jedoch nach dem Projektende genannt, umgesetzt. Für die FFH-Anhang-II-Art, fortgesetzt werden, da der Goldene Scheckenfal- deren autochthone Vorkommen bei Projektbeginn ter noch nicht „über dem Berg“ ist, also nach wie auf das Grüne Band begrenzt waren, wurden Le- vor keinen günstigen Erhaltungszustand auf- bensräume flächenmäßig erweitert, durch die weist. Vermehrung des Gewöhnlichen Teufelsabbisses (Succisa pratensis) aufgewertet und teilweise Daueraufgabe Landschaftspflege miteinander verknüpft. Umfassende Informatio- Die Pflege- und Nutzungskonzeption für das Grüne Band Sachsens basiert auf einer extensiven Grünlandbewirtschaftung nach den jeweiligen Agrarumweltprogrammen. Flächenmäßig domi- niert der Vertragsnaturschutz mit einschüriger bis maximal zweischüriger Mahd, meist zur Heuge- winnung. Vor allem im Süden des Gebietes wird die Spätnutzung umgesetzt, um den hier noch vorkommenden wiesenbrütenden Vogelarten Braunkehlchen (Saxicola rubetra) und Wiesenpie- per (Anthus pratensis) möglichst gute Bruterfolge zu gewährleisten. Mit circa 140 Hektar sind die im Zuge der Hüteschafhaltung beweideten Flächen Abb. 4: Kopula des Goldenen Scheckenfalters die nächst größere Nutzungseinheit. Hiermit wird Foto: T. Findeis ein Großteil der nicht maschinengängigen Ge- |5
bietsausschnitte, insbesondere im Bereich der 125.000 Hektar an gesamtstaatlich repräsentati- ehemaligen Grenzanlagen Kolonnenweg, Spuren- ven Naturschutzflächen im Eigentum des Bundes sicherungs- und Minenstreifen gepflegt und vor unentgeltlich an die Länder, die Deutsche Bundes- Verbuschung bewahrt. Besonders wertvolle stiftung Umwelt oder aber an Naturschutzorga- Feucht- und Nasswiesen, Borstgras- und andere nisationen kostenfrei übertragen werden. Dabei Magerrasen werden auf circa 20 Hektar mit Klein- handelt es sich oftmals um ehemals militärisch und Spezialtechnik gemäht und beräumt. genutzte Liegenschaften, aber auch um Flächen Vom Pflegeaufwand her nicht zu unterschätzen ist des Grünen Bandes. In Sachsen wurden die noch die Beseitigung des jährlichen Zuwachses der bundeseigenen Flächen des Grünen Bandes in Gehölze, die einmal linear, vor allem am Kfz- einem Festakt am 26. August 2010 dem Vogtland- Sperrgraben, aber auch flächig im Bereich der kreis als Kommune übertragen, was bundesweit wertvollen Zwergstrauchheiden und Borstgras eine Ausnahme darstellt. Hintergrund dieser Ent- rasen aufwachsen. Diese Daueraufgabe wird bei- scheidung war, dass der Landkreis durch den im nahe ausschließlich mit landkreiseigenem Personal Rahmen eines Flurneuordnungsverfahrens erfolg- (Forstfacharbeiter) bewerkstelligt. Während in den ten Ankauf von circa 180 Hektar bereits größter Anfangsjahren das dabei angefallene Schnittma- Flächeneigentümer im Grünen Band war. Außer- terial meist vor Ort als Benjes-Hecke abgelegt dem ist er für die Kontrolle und das Management wurde, ist inzwischen die Beräumung durch die der Schutzgebiete örtlich und sachlich zuständig. Erzeugung von Holzhackschnitzeln obligatorisch. Inzwischen fanden in zweijährigem Abstand vier Schon mehrere Tausend Kubikmeter an nachwach- bundesweite, so genannte Managementtagungen sendem und CO2-neutralem Rohstoff wurden so unter der Federführung des Bundesamtes für Na- in den vergangenen Jahren erzeugt und dem Ge- turschutz und des BUND statt, bei denen die Flä- biet auch im Hinblick auf seine Nährstoffbilanz chenempfänger über ihre Aktivitäten zum Schutz entzogen. und zur Entwicklung des Grünen Bandes zu be- Ein weiterer andauernder Kampf gilt dem invasiven richten hatten. In diesem Rahmen findet zugleich Neophyten Vielblättrige Lupine (Lupinus polyphyl- ein intensiver Austausch vieler Akteure aus den lus). Auch wenn für manche wertvolle Flachland- Regionen Deutschlands statt, bei dem die unter- mähwiesen der Kampf gegen die Lupine verloren schiedlichen Erfahrungen im Management und bei scheint, ist es bislang gelungen, eine weitere Aus- der spezifisch ausgerichteten Projektarbeit wei- dehnung in wertvollste Biotope zu verhindern oder tergegeben werden. hier eingedrungene Bestände gar zurückzudrän- Mit der Novellierung des Bundesnaturschutz gen. Neben der punktuellen oder kleinflächigen gesetzes im März 2010 wurde in Paragraf 24 auch Mulchmahd zur Vermeidung der Samenreifung eine neue Schutzgebietskategorie für Deutschland wird kleinflächig auch das Aushacken der Pfahl- aufgenommen, das Nationale Naturmonument wurzeln betrieben, was als einzige wirklich nach- (NNM). Thüringen, welches mit 763 Kilometern haltige und in hochrangigen Schutzgebieten ver- Grenzlänge und einer Fläche von circa 6.500 Hek- tretbare Bekämpfungsmethode angesehen wird. tar für mehr als die Hälfte des bundesdeutschen Grünen Bandes verantwortlich ist, hat als erstes Nationales Naturerbe, Nationales Bundesland seinen Grenzabschnitt als NNM per Naturmonument und UNESCO-Erbe Gesetz am 11. Dezember 2018 unter Schutz ge- Im Koalitionsvertrag der Regierungsparteien CDU/ stellt. Mit dem „Grünes-Band-Gesetz Sachsen- CSU und SPD wurde 2005 vereinbart, dass bis zu Anhalt“ vom 28. Oktober 2019 hat auch dieses 6
Abb. 5: Forstfacharbeiter des Vogtlandkreises im Landschaftspflegeeinsatz Foto: T. Findeis Bundesland seinen 343 Kilometer langen Grenz- Nachdem der Freistaat Sachsen bei der Umsetzung abschnitt als NNM festgesetzt. In Sachsen wurde des „Schutzgebietssystems Grünes Band“ für die die Frage der Unterschutzstellung in die Koaliti- gesamte Bundesrepublik eine beispielgebende onsverhandlungen der aktuellen Regierung auf- Vorreiterrolle eingenommen hatte (StUFA Plauen genommen. In dem vom Kabinett beschlossenen 1997), bleibt die weitere Entwicklung am Grünen „Sofortprogramm Start 2020“ ist die Ausweisung Band spannend. des Grünen Bandes als NNM unter Nr. 5.4 aufge- führt. Zuständig für die Ausweisung von NNM ist Literatur in Sachsen die oberste Naturschutzbehörde, also F indeis , T.; Walter , S.; G rüttner , A. & Breitfeld, M. (2020): Carex montana L., Carex diandra S chrank und Rumex x das Ministerium für Energie, Klimaschutz, Umwelt heterophyllus S chulz im Vogtland nachgewiesen – ein und Landwirtschaft. Überblick zur historischen und aktuellen Situation in Auf der 93. Umweltministerkonferenz am 15. No- Sachsen. Sächsische Floristische Mitteilungen (Heft 22). vember 2019 wurde unter TOP 20 außerdem das F indeis , T. (2009): 20 Jahre Naturschutzarbeit am „Grünen Europäische Grüne Band als Weltkultur- und Welt- Band“. Naturschutzarbeit in Sachsen 51, S. 14 – 23. naturerbe diskutiert. Auch die nationale Weiter- StUFA P lauen - Staatliches U mweltfachamt P lauen (1997): entwicklung des Grünen Bandes stand auf der Schutzgebietskonzeption „Grünes Band“ in Sachsen um- gesetzt. Natur und Landschaft, 72 (3), S. 162 - 163. Tagesordnung. Es wurde der Beschluss gefasst, die Bundesregierung zu bitten, die Möglichkeiten und die notwendigen fachlichen und politischen Autor Grundlagen mit dem Ziel eines Nominierungspro- Thomas Findeis zesses für das Europäische Grüne Band als ge- Untere Naturschutzbehörde Vogtlandkreis mischtes UNESCO-Weltkultur- und Weltnaturerbe Bahnhofstraße 42 – 48 gemeinsam mit den Ländern zu prüfen. In Bezug 08523 Plauen auf die geplanten Ausweisungen als NNM wird die findeis.thomas@vogtlandkreis.de Bundesregierung darüber hinaus gebeten, die Län- der finanziell zu unterstützen. |7
„Naturschutzarbeit in Sachsen“, 61. Jahrgang 2020 Seite 8 – 13 Das Naturschutzgebiet Werbeliner See Ewald Jansen „Natur aus zweiter Hand ist für den Naturschutz für eine neue Kohlebahn vorbereitet worden, der von sekundärem Interesse“ – dieses Statement die Grube in einen kleineren westlichen, den spä- eines leitenden Beamten der Naturschutzverwal- teren Grabschützer See, und einen deutlich grö- tung aus den 1990er Jahren war in den Tagebau- ßeren östlichen Bereich, den heutigen Werbeliner regionen in Sachsen für die Arbeit vor Ort mit See teilte. ihren konkreten Problemen nicht wirklich hilf- Der Grabschützer See sollte mit der Zweckbe- reich. Und richtig, offene Tagebaue entsprechen stimmung „Naturschutz“ sich selbst überlassen nicht gerade einem breiten gesellschaftlichen bleiben (wobei der Begriff „Prozessschutz“ in Konsens über schöne oder schützenswerte Na- allgemeinen Naturschutz-Diskussionen Mitte der turlandschaften. 90er Jahre noch keine größere Rolle spielte). Es ist das besondere Verdienst einzelner Perso- Der nicht planierte und damit nur schwer zu- nen, die Chancen für den Naturschutz in den gängliche Bereich entwickelte sich, besonders abrupt beendeten Braunkohletagebauen in der nach dem Anstieg des Grundwassers, sehr Region Leipzig zu erkennen. Konkret bedeutete schnell zu einem hervorragenden Lebensraum das im Tagebau Delitzsch-Südwest, einem Teil für störungsempfindliche Vogelarten: Hier zäh- des Bitterfelder Reviers, dass bei den ersten len nicht menschliche Vorstellungen von Ästhe- Überlegungen zur Sanierung im gesamten west- tik, sondern Habitatbedingungen wie beispiels- lichen Bereich des Gebietes nur die zwingend weise Vegetationsarmut oder gar -freiheit, Nist- notwendigen Sicherungsarbeiten durchgeführt möglichkeiten, Nahrungsverfügbarkeit. und auf eine vollständige Überarbeitung verzich- Mit der geforderten Ausweisung von besonderen tet wurde. Dadurch blieben die Schüttrippen des Vogelschutzgebieten (SPA) nach EU-Recht wurde Tagebaues in weiten Teilen erhalten. Im Osten, das Tagebaugebiet 2006 Kern des SPA „Agrar- an der letzten Abbaustrecke, musste die steile raum und Bergbaufolgelandschaft bei Delitzsch“. Kante aus Gründen der Standsicherheit abge- Die Liste der im SPA besonders genannten Vo- schrägt werden. Im äußersten Nordosten wurden gelarten setzt sich aus Vertretern unterschied- flachere Uferbereiche als Voraussetzung für eine licher trophischer Ebenen von Pflanzenfressern denkbare spätere Freizeitnutzung für die Bevöl- bis hin zu Spitzenprädatoren zusammen. Die kerung einer vom Tagebau geplagten Region jeweiligen essentiellen Habitatbedingungen dif- hergestellt. ferieren erheblich und sind zum Teil konträr: Die bestehende Kohlebahntrasse, die östlich des Wasservogelarten, Offenlandarten sowie he- Gebietes verlief, wäre wenige Jahre später dem cken- und gehölzbewohnende Arten sind ge- weiteren Abbaufortschritt zum Opfer gefallen. nannt. Die Abgrenzung des SPA wurde aus heu- Deshalb war ein Nord-Süd verlaufender Damm tiger naturschutzfachlicher Sicht nicht nachvoll- 8
Abb. 1: Drohnen-Luftbild (etwa 2015), Blick vom „Mottenhügel“ (51,491, 12,296) nach Süden; im Vordergrund die Weide zwischen Hügel und nördlicher großer freier Wasserfläche, Mitte und rechter Bildrand gehölzbewachsene Schüttrippen im Zentrum des Grabschützer Sees. Oben ab linkem Bildrand der deutlich größere Werbeliner See; die größere Wasserfläche im oberen rechten Bilddrittel ist die südöstliche große freie Wasserfläche des Grabschützer Sees. © Arne Weiß und Jan Bäss / 360bit.com ziehbar entschieden: Zwar wurden sämtliche eine Handhabe, individuellen Aktivitäten wirk- Wasserflächen einbezogen, die ehemaligen Ta- sam entgegenzutreten, noch durch Pflegemaß- gesanlagen im Norden, die sich heute weder nahmen existenzsichernde Bedingungen für die habitatstrukturell noch in ihrer avifaunistischen Arten des Gebietes zu bewahren. Ausstattung vom Rest des Gebietes trennen las- Daher sah sich die untere Naturschutzbehörde sen, wurden möglicherweise wegen noch anste- (UNB) des Landkreises gezwungen, im Sinne der hender Abrissarbeiten nicht berücksichtigt. staatlicherseits eingegangenen Verpflichtung Konkrete Planungen von Kommunen und Ver- zum Schutz der Avifauna die Defizite der Ab- bänden zur Errichtung einer Infrastruktur für grenzung und der Regelungen der Grundschutz- Nutzungsabsichten kamen vor 2006 nicht zu- verordnung anzugehen und den sich zunehmend stande. Nun erforderte jede planerische Absicht, etablierenden Nutzungsansprüchen Dritter ent- die Auswirkungen auf die Populationen der im gegenzutreten. Zuerst wurde 2010 versucht, mit Gebiet besonders schützenswerten Arten haben einer Allgemeinverfügung, die allerdings nie könnte, eine gesetzlich festgelegte strenge Prü- Rechtskraft erreichte, die individuellen Aktivitä- fung (F roelich & Sporbeck 2012). ten zu regeln. Nach Aufgabe der Kontrolle des Gebietes durch Schließlich wurde 2013 ein Fachbüro beauftragt, den Bergbautreibenden nahmen individuelle Frei- die Auswirkungen von Störungen auf den Brut zeitaktivitäten deutlich zu. Aufforstungen und erfolg der Arten zu analysieren. Das Ergebnis war fortschreitende Sukzession verkleinerten und erschreckend: In den stark betroffenen Bereichen unterteilten die ehemals weit offenen Flächen. kam es – trotz sonst geeigneter Lebensraumbe- Schon bald zeigte sich, dass die Populationen dingungen – nicht zu Bruterfolgen (Milan 2013). vieler Zielarten des SPA erhebliche Einbußen er- Daher wurde ein Besucherlenkungskonzept ent- litten. Der rein deklaratorische Charakter der wickelt und eingeführt. Drei Jahre nach der ers- Grundschutzverordnung des SPA bietet weder ten Störungsanalyse wurde die Wirksamkeit der |9
ergriffenen Maßnahmen in einer erneuten Un- beiden Teile der Kernzone des NSG, die lediglich tersuchung geprüft. Trotz aller Bemühungen durch den oben genannten Damm für die ehe- hatten sich die festgestellten Störungen jeder mals geplante Kohlebahntrasse über etwa 1,2 Art je verdoppelt (Milan 2016). Dies war der An- Kilometer auf 50 bis 100 Meter getrennt sind. lass, große Teile des Gebietes im Sommer 2016 Nördlich und östlich schließt sich an das west- einstweilig als Naturschutzgebiet zu sichern. liche Teilgebiet des Totalreservates ein etwa 50 Mit hohem Personaleinsatz der UNB wurden in Hektar großer Weidekomplex an. Etwa 170 Hek- den Sommermonaten 2017/18 die Besucher vor tar des NSG wurden auf der Basis des nie hin- Ort über die Bestimmungen im einstweilig gesi- sichtlich seiner Natura-2000-Verträglichkeit cherten NSG und allgemein über die natur- geprüften Sanierungsrahmenplanes (Regionaler schutzfachliche Bedeutung des Gebietes aufge- Planungsverband Westsachsen 1999) aufgeforstet; klärt. Entgegen der in der Presse geschürten der weit überwiegende Teil als größere Forstkom- Stimmung gegen die vorgesehene Sicherung des plexe zentral im NSG, aber auch kleinere Gehölz Gebietes lehnten nur wenige (der mehrere Hun- inseln oder lineare Strukturen zur Landschafts- dert angesprochenen) Besucher dies im persön- gestaltung im Bereich der Ostgrenze. lichen Gespräch ab, im Gegenteil zeigten sich Im Süden liegt, von drei Seiten vom Totalreservat mehr als 95 Prozent offen für diese Idee und umgeben, eine über 110 Hektar große, weiterhin akzeptierten die Argumente der Mitarbeiter der betriebene Verkippungsfläche für unbedenkliche UNB. Diese Akzeptanz wurde durch eine von Erdstoffe, auf der, vertraglich geregelt, in einem dritter Seite in Auftrag gegebene neutrale Um- regelmäßigen Turnus die Arbeiten dafür sorgen, frage voll und ganz bestätigt. dass Offenlandbereiche für die dort brütenden Am 15. Mai 2019 wurde die Rechtsverordnung Vogelarten erhalten beziehungweise immer wie- zum Gebiet erlassen, sie erreichte am 18. Juni 2019 der neu entstehen werden. Rechtskraft (L andratsamt Nordsachsen 2019a). Im Nordwesten des Gebietes liegen einige grö- Das Gebiet ist circa 1.506 Hektar groß. Der etwa ßere Ackerflächen, die bei entsprechender Be- 450 Hektar große namengebende eigentliche wirtschaftung Lebensraum zum Beispiel für die Werbeliner See, dessen Wasserspiegel über einen Feldlerche bieten. Einige Flächen am West- und neugeschaffenen Ablauf zum Lober auf eine de- am Ostrand des Gebietes werden als Grünland finierte Höhe festgelegt ist, liegt im Osten des genutzt oder gepflegt, alle weiteren Flächen sind Gebietes. Deutlich kleiner ist mit fast 130 Hektar durch Sukzession geprägt. Etwa 80 bis 90 Hektar der Grabschützer See im Westen, der aber durch dieser Sukzessionsflächen in mehr als 15 einzel- den großen Inselkomplex aus Schüttrippen keine nen Flächen zwischen 0,2 und mehr als 10 Hek- einheitlich überschaubare Wasserfläche erkennen tar sind zur Zeit noch nahezu gehölzfrei. Hier lässt. Mit etwa zwölf Hektar ist der Zwochauer besteht die Möglichkeit, mit begrenztem Auf- See im Südwesten noch einmal deutlich kleiner. wand mosaikartig zerstreut im gesamten Gebiet Daneben existieren weitere kleine Seen und viele auch langfristig initiale Sukzessionsstadien kleine temporäre Gewässer. immer wieder zu reaktivieren. Der Werbeliner See und seine nächste Umgebung Von vier Parkplätzen unmittelbar an den Grenzen inklusive einer fast 60 Hektar großen Sanddorn- des Gebietes im Nordosten, Osten, Süden und fläche im Südwesten, insgesamt etwa 573 Hek- Westen aus ist das Gebiet für Radfahrer und tar, sowie der Grabschützer See mit Umgebung Fußgänger sehr gut erschlossen. Ein Wegesys- (circa 232 Hektar) bilden als Totalreservat die tem von zusammen etwa 40 Kilometer steht 10
Im NSG Werbeliner See gibt es die wohl sachsenweit Riesige Schwärme von Wacholderdrosseln nutzen im größte Ansammlung an Rothalstaucherbrutpaaren. Winter die Sanddornfrüchte. Foto: Archiv Naturschutz LfULG, G. Fünfstück Foto: Archiv Naturschutz LfULG, I. Schandl langfristig zur Verfügung. Rund um den Grab- um die hundert Brutpaare des Neuntöters finden schützer See und teilweise mitten durch die sich in den Hecken am Rand und den Gebüschen Weideflächen verläuft ein acht Kilometer langer im Gebiet; mit zwei bis drei Brutpaaren ist der Naturlehrpfad. Der Werbeliner See kann auf Raubwürger deutlich seltener. Für die Grauammer einem 15 Kilometer langen Radweg umrundet zählt das Gebiet zu den wichtigsten Brutgebieten werden, der Rundweg um den Zwochauer See ist in Sachsen. Der Steinschmätzer wurde in den etwa drei Kilometer lang. Mehrere Aussichts- punkte und überdachte Raststellen laden zum Verweilen ein; Standorte für künftige Aussichts- türme sind vorgesehen. Das Gebiet ist ein Eldorado für Vögel (S chulz 2006, Straube 2007, NABU S achsen-P ressestelle 2016). Die große offene Wasserfläche in der öst- lichen Hälfte des Werbeliner Sees bietet Sicher- heit für rastende Wintergäste. Die vielen lang- gestreckten Inseln im Westen und im Grabschüt- zer See bieten geschützte Nistplätze. Der See- adler ist seit mehreren Jahren regelmäßig im Gebiet, seit wenigen Jahren erreichen die Ge- hölze eine Höhe und Stärke, die seinen Nistplatz- ansprüchen genügt. Besonders bemerkenswert ist die wohl sachsenweit größte Ansammlung an Rothalstaucherbrutpaaren; auch die Rohrdom- mel ist hier seit Jahren zu hören. Haubentaucher, Blässhühner, Kormorane, verschiedene Möwen- und Entenarten sind am Wasser zu beobachten. Die Rohrdommel ist im NSG Werbeliner See seit Jahren Riesige Schwärme von Wacholderdrosseln nut- zu hören. zen im Winter die Sanddornfrüchte. Regelmäßig Foto: Archiv Naturschutz LfULG, G. Fünfstück | 11
letzten Jahren immer seltener; aktuell sind meh- rere Brutpaare im Bereich der Verkippungsfläche im Süden zu erwarten. Der Brachpieper, der in den Anfangsstadien der Sukzession außerordent- lich häufig gebrütet hat, ist jetzt nur noch als Durchzügler zu beobachten. Insgesamt wurden bisher Bruten von 88 Vogelarten registriert. 2016 musste festgestellt werden, dass auf einer Insel im Süden des Werbeliner Sees mehrere Brutbäume des Kormorans gefällt wurden; der oder die Straftäter konnten leider nicht ermittelt werden. Die ersten Beobachtungen von Biberaktivitäten Die Reproduktion der Gottesanbeterin ist seit 2015 im NSG Werbeliner See belegt. gelangen etwa 2014/15 auf einer Insel im Wer- Foto: Archiv Naturschutz LfULG, M. Keller beliner See. Inzwischen wurden mehrere Biber- burgen festgestellt. Vom Fischotter liegen Auf- nahmen einer Wildkamera vor. Diese wurde in ist durch Ansaaten und Pflanzungen im Rahmen stalliert, nachdem Hinweise auf die Präsenz eines der Sanierung und anschließende Sukzessions- Wolfes bekannt wurden. Sehr bald gelangen prozesse auf den heterogenen Kippenböden Nachweise, auch der Reproduktion im Gebiet. geprägt. Nur wenige Arten, wie das Tausendgül- Die gesammelten Kotproben legen nahe, dass die denkraut oder die Sandstrohblume sind beson- Wölfe im Gebiet zu einem erheblichen Anteil von ders erwähnenswert; 20 Prozent der Arten sind Wildschweinen leben. Kultivare, 14 Prozent Neophyten, die in weiten Nahrungsgrundlage für die Ringelnatter bilden Teilen das Bild der Vegetation beherrschen. vor allem die Amphibien des Gebietes, wobei In einem schmalen Streifen am Ostrand des Ge- Kreuz- und Wechselkröte seit dem Verschwinden bietes, auf gewachsenem Boden, sind wüchsige offener Kiestümpel kaum mehr Laichplätze fin- Grünlandstandorte, die bisher gemulcht werden den dürften. und teilweise brach fallen. Im Süden des Gebie- Nahrungsgrundlage für die Zauneidechse, die im tes werden Grünlandstandorte bereits seit meh- Gebiet gut vertreten ist, sind Käfer und sonstige reren Jahren im Rahmen von Ersatzmaßnahmen bodenbewohnende Gliedertiere. Systematische für ein Infrastrukturprojekt angemessen ge- Untersuchungen für diese Tiergruppen liegen pflegt. nicht vor, wohl aber gut dokumentierte Einzel- Die Weideflächen nördlich des Grabschützer beobachtungen. So wurden immerhin 30 Libel- Sees werden bei schwierigen Standortverhält- len-, 17 Kurzfühler- und neun Langfühlerschre- nissen (und problematischer Wasserversorgung) ckenarten gefunden. Bemerkenswert ist die allein durch eine robuste Rinderrasse nicht op- Gottesanbeterin, deren Reproduktion seit 2015 timal gepflegt. in jedem Jahr durch Imagines, Ootheken oder Zum langfristigen Erhalt der Offenlandarten – Jungtiere gut belegt ist. Nachweise von fast 90 nicht nur der Avifauna – wird es notwendig sein, Schmetterlings-, knapp 70 Laufkäfer- und mehr mit massivem technischen Einsatz in ausrei- als 70 Wespenarten wurden erbracht. chend großen Bereichen (etwa 80 bis 100 Hektar Die Flora des Gebietes, immerhin fast 270 Taxa, an zehn bis zwölf Stellen im Gebiet verteilt bieten 12
sich hier an) wieder primäre Sukzessionsstadien Milan (2013): Erarbeitung der fachtechnischen Voraussetzungen für die geplante Ausweisung eines zu schaffen. Zu denken ist dabei beispielsweise Naturschutzgebietes Werbeliner See (Brutvogelkartie- an Abschieben des Oberbodens oder Abflämmen rung, Störungsanalyse). Manuskript im Auftrag des überständiger und verfilzter Vegetation. Erste Umweltamtes SG Umweltfachbereich / Naturschutz des Landkreises Nordsachsen. Halle. Überlegungen dazu sind bereits erfolgt, in einem Pflege- und Entwicklungsplan sollten diese Maß- Milan (2016): Brutvogel- und Besuchermonitoring im Rahmen der geplanten Ausweisung eines Natur- nahmen zeitnah präzisiert und so bald wie mög- schutzgebietes Werbeliner See (Brutvogelkartierung, lich umgesetzt werden. Störungsanalyse, Vergleich 2013 und 2016). Manuskript im Auftrag des Umweltamtes Untere Naturschutzbe- hörde des Landkreises Nordsachsen. Halle. Eine ausführliche Darstellung des Gebietes zum Zeitpunkt der Ausweisung liegt in der Fachlichen NABU S achsen-P ressestelle (2016): Bodenseeverhältnisse am Werbeliner See, Ornithologe zählt 1.800 Würdigung vor (L andratsamt Nordsachsen 2019b). Kolbenenten. Naturschutz aktuell, NABU Sachsen Von Anfang an wurde die Arbeit der unteren Pressemitteilung vom 30.08.2016. Naturschutzbehörde durch den Naturschutz- Regionaler P lanungsverband Westsachsen (1999): bund Deutschland unterstützt. Viele Artfeststel- Braunkohlenplan als Sanierungsrahmenplan, Tagebau lungen und Beobachtungsdaten stammen von Delitzsch-Südwest / Breitenfeld. Beschlossen durch Satzung des Regionalen Planungsverbandes vom engagierten Naturschützern aus dem Verband. 26.06.1998, genehmigt durch das Sächsische Die flankierende Presse- und Lobbyarbeit für Staatsministerium für Umwelt und Landwirtschaft am Naturschutz schaffte ein Gegengewicht zu an- 19.05.1999. Manuskript, Leipzig. derweitigen Vorstellungen und nicht zuletzt ist S chulz , M. (2006): Die Vogelwelt des Werbeliner Sees im die Betreuung der Weideflächen durch den NABU Zeitraum 2001 bis 2005. Unveröffentlichter Bericht im Auftrag der Sächsischen Vogelschutzwarte Neschwitz. Sachsen unverzichtbar. Auch bei der Weiterent- wicklung der Maßnahmen im Gebiet ist die kon- Straube , S. (2007): Brutvögel nicht sanierter Altbergbaugebiete (Braunkohle) nördlich von Leipzig. struktive Unterstützung sicher willkommen. Mitteilungen des Ornithologischen Vereins Leipzig, 14, S. 123-134. Ich danke Thomas Dorn für die kritische Durch- sicht und wertvolle Anregungen zum Manu- skript. Hinweis Der Autor war bis Ende 2019 Mitarbeiter der un- teren Naturschutzbehörde im Landkreis Nord- Literatur sachsen und mit der fachlichen Vorbereitung F roelich & Sporbeck (2012): Naturschutzfachliche und Begleitung des Ausweisungsverfahrens des Bewertung zur Durchführbarkeit des B-Planes der Stadt Delitzsch ‚Themen und Landschaftspark am Werbeliner NSG befasst. Die vorliegende Textfassung vom See‘. Unveröffentlichtes Manuskript im Auftrag der Dezember 2019 ist eine persönlich gefärbte Zu- Stadt Delitzsch. Berlin. sammenfassung der Fachlichen Würdigung. L andratsamt Nordsachsen (2019a): Verordnung des Landratsamtes Nordsachsen zur Festsetzung des Naturschutzgebietes „Werbeliner See“ vom 15. Mai 2019. Sächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt 2019, Autor Nr. 8, S. 343-348. Ewald Jansen L andratsamt Nordsachsen (2019b): Fachliche Würdigung ewald.jansen1@web.de für das Naturschutzgebiet „Werbeliner See“ vom 15. Mai 2019. Manuskript, 95 S., Eilenburg. | 13
„Naturschutzarbeit in Sachsen“, 61. Jahrgang 2020 Seite 14 – 25 Störungsarmes und effektives Monitoring von Flussseeschwalben (Sterna hirundo ) mit UAV-Unterstützung Christoph Gerber, Jana Zschille, Dirk Weis, Winfried Nachtigall Zusammenfassung der Luftbildinterpretation für diese Zwecke zu- Der Einsatz von UAV (Unmanned Aircraft Ve- rückzuführen ist. Ein entscheidender Vorteil hicle) beziehungsweise Kleindrohnen zur Erfas- gegenüber der Begehung ist die geringe Dauer, sung und Dokumentation von Zuständen in der welche für die Luftbildaufnahme benötigt wird. Natur hat in den letzten Jahren rasant zugenom- Somit lässt sich der Störungsumfang, der von men. Gleichzeitig mangelt es jedoch an Kennt- einer Koloniebegehung ausgeht, maßgeblich re- nissen zur Erfassungsqualität und zu den mit duzieren. Vorteilhaft bei dieser Verfahrensweise dem Einsatz verbundenen Störungen in der Tier- ist die Möglichkeit, die gewonnenen Daten in GIS welt. Erste diesbezügliche Untersuchungen bei (Geografisches Informationssystem) weiterver- Meeresvögeln zeigen, dass sich koloniebrütende arbeiten und reproduzieren zu können. Um die Möwen für die UAV-Erfassung eignen. Da die Abläufe von UAV-Einsätzen zu verbessern und Bedingungen an einem künstlichen Brutplatz von UAV auch bei anderen Vogelarten anwenden zu Flussseeschwalben (Sterna hirundo) auf dem können, werden weitere Untersuchungen not- Brösaer Teich im Biosphärenreservat „Oberlau- wendig sein. sitzer Heide- und Teichlandschaft“ gut kontrol- lier- und steuerbar waren, fand dort 2018 eine 1 Einleitung vergleichende Untersuchung von terrestrischen Die Erfassung von Brutvogelkolonien ist mit be- Erfassungsmethoden und der UAV-Luftbilder- sonderen Anforderungen an den Bearbeiter ver- fassung statt. bunden, da neben der reinen Individuenzählung Durch den UAV-Einsatz wurde gezeigt, dass eine die Beurteilung der Brutpaaranzahl und der An- genaue Individuenerfassung per Luftbild mög- teil nichtbrütender Individuen, im oft schwer lich ist, ohne eine sichtbare Beunruhigung der überschaubaren Gelände, notwendig sind (Bibby Kolonie zu verursachen. Dagegen ist die Zählung et al. 1995, Südbeck et al. 2005). Mit der Verfüg- der Individuen vom Teichrand aufgrund der barkeit entsprechender Technik wurden bisher Sichteinschränkung mit einer großen Ungenau- überwiegend Brutvogelkolonien von Wasservö- igkeit verbunden. Weiterhin konnten Nester und geln mithilfe von UAV-Bilddaten analysiert. Die Gelege per Luftbildaufnahme erfasst werden. Ergebnisse sind bezüglich der Erfassbarkeit bei Gegenüber dem Referenzwert der Nestanzahl, gleichzeitig geringer Störungsintensität im Ver- welcher durch die Begehung der Kolonie ermit- gleich zur Kolonieerfassung durch herkömmliche telt wurde, ist jedoch eine gewisse Abweichung Begehung sehr vielversprechend (Sardà-Palomera vorhanden, was auf die geringe Erfahrung bei et al. 2012, Grenzdörffer 2014, Chabot et al. 2015, 14
Abb. 1: Flussseeschwalbe mit Jungvogel Foto: W. Nachtigall Brisson-Curadeau et al. 2016, Díaz-Delgado et al. der Flussseeschwalbeninsel in der Teichgruppe 2017). Außerdem ist die Reproduzierbarkeit der Guttau im Biosphärenreservat „Oberlausitzer Luftbilddaten sowie die Option weiterer Auswer- Heide- und Teichlandschaft“ (BR OHT) getestet. tungen (beispielsweise zu Fragen der Raumnut- Dazu fanden Befliegungen im Rahmen der Mas- zung) vorteilhaft (C habot & B ird 2015, D íaz- terarbeit von Christoph Gerber im Jahr 2018 am Delgado et al. 2017, S ardà-Palomera et al. 2017, Brösaer Teich (Teichgruppe Guttau) statt. Fragen Hodgson et al. 2018). Im Gegensatz zu den Küsten zur Störintensität, der sicheren Artansprache finden Möwen und Seeschwalben im Binnenland sowie der Vergleichbarkeit mit den Ergebnissen nur selten geeignete natürliche Bruthabitate vor der terrestrischen Zählung unmittelbar auf der (zum Beispiel Kiesinseln in Flüssen). Die Einrich- Brutinsel standen dabei im Vordergrund. tung künstlicher Bruthabitate stellt ein bewähr- tes Verfahren zum Schutz und zur Wiederansied- 2 Material und Methoden lung koloniebrütender Vogelarten dar. Die Be- Das Biosphärenreservat „Oberlausitzer Heide- treuung solcher Bruthabitate schließt die unmit- und Teichlandschaft“ (BR OHT) ist mit etwas über telbare Pflege aber auch ein begleitendes 30.000 Hektar das größte sächsische EU-Vogel- Monitoring im Sinne einer Erfolgskontrolle ein. schutzgebiet. Vor allem durch die naturnahen Um zu klären, ob eine solche Erfolgskontrolle Teiche mit teils ausgedehnten Röhrichten er- auch oder sogar besser mit UAV-Unterstützung reicht der Gewässeranteil im Schutzgebiet zehn durchgeführt werden kann, wurde dies anhand Prozent. Auch wenn die Teichlausitz früher we- | 15
niger bedeutsam für die Flussseeschwalbe Die Teiche in der Teichgruppe Guttau sind divers (Abb. 1) war (Baer 1898), fand die Art in der strukturiert, besitzen teilweise Inseln, Flachwas- angrenzenden Tagebaufolgelandschaft zumin- serzonen und ausgedehnte Röhrichtbestände dest zeitweise geeignete Sekundärhabitate und (Böhnert et al. 1996). Für die Flussseeschwalben breitete sich ab 1972 dort aus (K rüger & S chulze galt diese Teichgruppe seit längerem als ein be- 1973). Durch die Rekultivierung der Tagebaue deutendes Nahrungsgebiet, weshalb dort im Jahr und Füllung der Tagebaurestseen blieben zum 2014 die circa 120 m² große Brutvogelinsel im Nisten geeignete, vegetationsarme Inseln immer Auftrag des Fördervereins Sächsische Vogel- nur temporärer Natur. Als in den wenigen Kolo- schutzwarte e. V. errichtet wurde, der ebenfalls nien nach 1990 der Prädatorendruck durch seitdem den Brutbestand erfasst (N achtigall Waschbär (Procyon lotor) und Mink (Neovison 2015). Die untersuchte Brutinsel befindet sich vison) zunahm, wurde 1999 auf dem Tauerwie- circa 140 m vom Ständer des Brösaer Teichs senteich eine Ponton-Insel und 2014 im Brösaer entfernt. Aufgrund einer circa 15 cm hohen Be- Teich eine Pfahlkonstruktion (Abb. 2) errichtet. plankung, welche die Sicht auf die Brutfläche Der Brösaer Teich und die gesamte Teichgruppe randlich einschränkt, ist eine Begehung zur ter- Guttau sind Teil der Schutzzone II des BR OHT restrischen Zählung notwendig Für diese Unter- und als Naturschutzgebiet, FFH-Gebiet (61 E) suchung wurden unterschiedliche Erfassungs- sowie Vogelschutzgebiet (SPA 46) ausgewiesen methoden von Koloniebrütern gegenübergestellt. (SMUL 2009). Das Erfassen der Individuen vom Teichrand aus Im Schutzgebiet brüten seit 1999 zwischen 60 fand am 13.05. sowie am 10.06.2018 statt. Die und 155 Paare der Flussseeschwalbe. Das ent- Luftaufnahmen zur Ermittlung der Koloniegröße spricht 25 bis 40 Prozent des sächsischen Be- erfolgten am 29.05. und 11.06.2018 mit jeweils standes dieser in Sachsen und Deutschland stark einem UAV-Einsatz. Die Begehung der Kolonie gefährdeten Art des Anhang I der europäischen für die Brutsaison 2018 fand am 11.06.2018 Vogelschutzrichtlinie. statt. Während der Begehung wurde eine weitere Abb. 2: Brutinsel im Brösaer Teich (Teichgruppe Guttau) im Biosphärenreservat „Oberlausitzer Heide- und Teichlandschaft“ Foto: C. Gerber 16
Luftbildaufnahme erzeugt. Dieses Luftbild ist zur Erfassung der Nester und Gelegegröße geeignet, da infolge der Begehung der Plattform alle Brut- vögel abflogen. Das Erfassungsergebnis der Be- gehung liefert für die vorliegende Arbeit die Referenz, welche für die Methodengegenüber- stellung verwendet wird. Für die Luftbildaufnahmen kam ein handelsüb- liches, akkubetriebenes UAV (DJI TM PHAN- TOM TM 4 Pro) zur Anwendung (Abb. 3). In Vorbe- Abb. 3: Für diese Untersuchung verwendetes UAV reitung dieser Untersuchung wurde gemäß (Typ: DJI TM PHANTOM TM 4 Pro) Foto: C. Gerber L uft verkehrs-O rdnung (L uft VO) die behördliche Genehmigung bei der Landesdirektion Sachsen eingeholt. Um Störungen der Kolonie möglichst erweitert wurden. Die Luftbilder wurden senk- zu vermeiden, steuerten wir die Drohne vorran- recht über der Brutinsel aufgenommen. Um zu- gig auf geradlinigen Flugbahnen und mit gerin- sätzliche Informationen bezüglich der Störungs- ger Geschwindigkeit (H odgson & K oh 2016) intensität bei Kolonievögeln ermitteln zu können, (Abb. 4). Nach dem Start des UAV wurde direkt wurde die Flughöhe von 50 m über der Brutinsel die Ausgangsflughöhe (50 m) angesteuert verringert. Die gesamte Brutinsel konnte, bei (McE voy et al. 2016). Über die gesamte Einsatz- allen getesteten Flughöhen, jeweils vollständig dauer des UAV wurde das Verhalten der Indivi- mit einem UAV-Luftbild erfasst werden. duen auf der Insel gemäß der vorgeschlagenen Die Luftbildaufnahmen wurden mit Hilfe von GIS Kategorisierung nach Vas et al. (2015) dokumen- zunächst georeferenziert, anschließend digitali- tiert, die um die Kategorien „Angriff- & Abwehr- siert und analysiert. Die Artansprache basierte verhalten“ sowie „keine Einschätzung möglich“ auf Svennson et al. (2015) und Nester oder Nest- Abb. 4: Befliegungsmuster zur UAV-Luftbilderfassung der Brutvogelinsel im Brösaer Teich | 17
hinweise wurden mit Harrison & C astell (2004) Luftbildauswertung sind in Tab. 1 aufgeführt. Die bestimmt. Um eine Vergleichbarkeit der Daten durch die Koloniebegehung festgestellte Nest aus der Individuenzählung und der Nesterfas- anzahl von 112, stellt gleichzeitig den Referenz- sung zu erzeugen, wurde aus den jeweiligen wert dar, welcher für die Beurteilung der Genau- Individuenzahlen die Brutpaaranzahl nach Süd - igkeit der Luftbildauswertemethoden und Erfas- beck et al. (2005) berechnet. Für diese Untersu- sung aus der Distanz (Teichrand) angesetzt wird. chung wird angenommen, dass jedes errechnete Die größte Abweichung zu diesem Wert weist die Brutpaar ein Nest besetzt. Eine weitere Methode Berechnungsmethode der Brutpaare aus den In- zur Ermittlung von Brutpaaren in einer Kolonie dividuenzählungen vom Teichrand auf. Diese wurde auf der Basis zweier UAV-Luftbildaufnah- Herangehensweise unterschätzt die tatsächliche men mit einem zeitlichen Abstand angewendet. Brutpaarzahl um mehr als 55 Prozent. Es schließt Dazu werden die Individuenpositionen zu den sich die Ermittlung der potentiellen Neststand- unterschiedlichen Aufnahmezeitpunkten in den orte aus zwei UAV-Luftbildaufnahmen an, wobei Luftbildern verglichen und bei einer Überlage- die Anzahl der Brutpaare um circa 20 Prozent rung somit potenzielle Neststandorte erkennbar unterschätzt wird. Die festgestellte Nestanzahl (Sardà-Palomera et al. 2012). In der vorliegenden anhand des Luftbildes zum Zeitpunkt der Bege- Untersuchung wurde für die beiden Luftbildauf- hung hat eine Abweichung von 17 Prozent ver- nahmen (29.05. und 11.06.2018) ein Bewegungs- glichen mit dem Ergebnis der Begehung. Im Ver- radius von circa 14 cm angenommen, der für ein gleich liefert die Berechnung der Brutpaarzahlen Individuum möglich sein sollte, ohne ein poten- aus der Individuenerfassung per UAV-Luftbild tielles Nest verlassen zu müssen. (vom 11.06.2018) die geringste Abweichung zum Referenzwert. Ähnliche Abweichungen ergeben 3 Ergebnisse sich bei der Betrachtung der Brutdichteermitt- Im Untersuchungszeitraum war der Standort lungen anhand der jeweiligen Methode (Tab. 1). ausschließlich von Flussseeschwalben besiedelt. Durch Interpretieren der gezeigten Verhaltens- Die Erfassung vom Teichrand aus ergab am weisen der Flussseeschwalben auf der Brutinsel 13.05.2018 27 Flussseeschwalben und am während der Erfassung mit unterschiedlichen 10.06.2018 eine Anzahl von 72 Flussseeschwal- Methoden konnten Rückschlüsse auf die Störin- ben. Für die Vergleichbarkeit der Methoden wird tensität gezogen werden. Die Beobachtungen ausschließlich der Wert der Zählung vom vom Teichrand zur Erfassung am 13.05. und 10.06.2018 zur Ermittlung der Brutpaare heran- 10.06.2018 verursachten keine erkennbaren Stör- gezogen. Die Auswertung der UAV-Luftbilder reaktionen auf der Brutinsel. Beide Zählungen nahm jeweils 19 Minuten in Anspruch. Diese wurden innerhalb von fünf Minuten durchge- ergab für den 29.05.2018 113 Flussseeschwalben führt. Am 29.05.2018 wurde das UAV nach einer und für den 11.06.2018 eine Individuenzahl von geradlinigen Annäherung in 50 Meter Flughöhe 157 Flussseeschwalben. Die Auszählung der Luft- über die Insel gesteuert. Anschließend wurde die bildaufnahme zum Zeitpunkt der Begehung der Flughöhe reduziert. Die ersten vom Ufer des Tei- Kolonie dauerte neun Minuten. Es wurden 93 ches beobachteten Störungsanzeichen waren bei vermutete Nester markiert. Das Ergebnis der Er- 30 Meter Flughöhe festzustellen. Gemäß einer fassung der Nester und Brutpaare sowohl durch fachlichen Einschätzung vor Ort wurde die Flug- Begehung der Kolonie beziehungsweise Beobach- höhe nicht weiter verringert und der Rückflug tung vom Teichrand als auch das Ergebnis der veranlasst. Durch den stark beschleunigten 18
Tab. 1: Ermittelte Nestanzahlen und Brutpaardichten von Flussseeschwalben (Sterna hirundo) am Brösaer Teich (Teichgruppe Guttau) am 10./11.06.2018; BP = Brutpaar Abweichung von Abweichung von Nest- Brutdichte Methode Nestanzahl durch Brutdichte durch anzahl [BP/m²] Begehung [%] Begehung [%] Nestanzahl durch Begehung 112 - 0,94 - der Kolonie (11.06.) BP aus Individuenzählung 50 - 55,4 0,42 - 55,3 vom Teichrand (10.06.) BP aus Individuenzählung im Luftbild (Flughöhe: 10 m) 109 - 2,7 0,91 - 3,2 (11.06.) Potentielle Nester aus Analyse zweier Luftbildaufnahmen 86 - 23,2 0,72 - 23,4 (29.05. und 11.06.) Nestanzahl aus Luftbildzählung während 93 - 17,0 0,78 - 17,0 Begehung (Flughöhe: 10 m (11.06.) Steigflug (überdurchschnittliche Propellergeräu- 4 Diskussion sche) von 30 auf 50 Meter kam es zum Aufflie- Die Untersuchung zeigt, dass im Vergleich zu gen aller auf der Brutinsel anwesenden Vögel, Zählungen von einer Position außerhalb der Ko- also zu einer intensiven Reaktion für etwa 45 lonie, die Luftbildzählung eine hohe Genauigkeit Sekunden. Das verwendete UAV wurde dabei von bietet und alle Individuen auf dem Bruthabitat den Flussseeschwalben jedoch nicht angegriffen erfasst werden können, was die Ergebnisse von oder aktiv angeflogen. Am zweiten Aufnahmetag Hodgson et al. (2018) bestätigt. Selbst geringe (11.06.2018) wurde eine Anflughöhe von 30 Sichteinschränkungen wie die relativ niedrige Meter gewählt, was keine erkennbare Störung Beplankung der Brutinsel können zu einer Fehl- verursachte, ebenso die Absenkung auf 10 Meter einschätzung der Koloniegröße führen, da wie in Höhe. Das seitliche Abfliegen des UAV blieb die- Abbildung 2 erkennbar wird, nicht die gesamte ses Mal bei geringer Beschleunigung ohne er- Brutfläche eingesehen werden kann. Ein Teil der kennbare Störung. Das UAV war zur Luftbilder- Abweichung gegenüber der Luftbildauszählung fassung an beiden Flugtagen circa sieben Minu- kann mit den unterschiedlichen Tageszeiten an ten in der Luft. Die herkömmliche Erfassung den aufeinanderfolgenden Erfassungstagen er- durch Begehung am 11.06.2018 verursachte klärt werden. Eine noch bessere Vergleichbarkeit bereits durch die Annäherung der Bearbeiter mit kann erreicht werden, wenn bei künftigen Un- dem Boot eine intensive Störung der Seeschwal- tersuchungen zu den selben Tageszeiten erfasst ben. Alle Individuen verließen die Brutinsel für wird. Damit können zusätzliche Fehleinschätzun- die circa 30-minütige Erfassung (Abb. 5). gen der Koloniegröße vermieden werden, da sich | 19
Abb. 5: Vergleich der Störungsreaktion der Flussseeschwalben anhand der Luftbildauswertung a) vor und b) während der Begehung der Brutvogelinsel im Brösaer Teich am 11.06.2018 Fotos: P. Ulbrich im Tagesverlauf unterschiedlich viele Individuen kömmliche Zählmethode aus der Distanz. Dabei innerhalb der Kolonie aufhalten. ist die reine Flugzeit über der Kolonie, um die Der zeitliche Aufwand der UAV-Nutzung ist ein- Lufbildaufnahmen zu erhalten, vergleichbar kurz. schließlich der Bildanalyse höher als die her- Die UAV-Einsatzzeit ist jedoch deutlich niedriger 20
als eine Begehung der Kolonie zur Nesterfas- der vorliegenden Untersuchung eine Abweichung sung. Die Kombination aus der UAV-Luftbildzäh- von 23 Prozent vom Referenzwert. Es wird ver- lung und der daraus abgeleiteten Brutpaarbe- mutet, dass der Zeitraum zwischen den beiden rechnung, erreichte für die vorliegende Arbeit Vergleichsaufnahmen zu groß war. Wiederho- eine unerwartet hohe Genauigkeit. Die Herange- lungsaufnahmen an einem einzelnen Einsatztag hensweise, Brutpaare aus den Individuenzahlen liefern ebenfalls Aussagen über Brüter und zu berechnen, wird von Südbeck et al. (2005) für Nichtbrüter einer Kolonie (Sardà-Palomera et al. künstliche Bruthabitate nicht empfohlen, da der 2012). Die Wahl des Erfassungstermins muss bei Anteil von Nichtbrütern aufgrund von Platzman- dieser Methode vermutlich genauer betrachtet gel viel geringer ist im Vergleich zu natürlichen werden, da zum einen der nicht synchrone Brut- Bruthabitaten. Ob sich das UAV-gestützte Ver- beginn und zum anderen mögliche Ersatzbruten fahren zur Berechnung der Brutpaare auch auf bei Nestverlust im Brutzeitraum zu berücksich- andere künstlichen Bruthabitaten übertragen tigen sind (Südbeck et al. 2005). Die Auswirkun- lässt, muss durch weitere Untersuchungen fest- gen des zeitlichen Abstands der ersten und zwei- gestellt werden. ten UAV-Luftbildaufnahme sind noch nicht Die Nester mit darin erkennbaren einzelnen Eiern hinreichend untersucht. konnten im UAV-Luftbild, das während der Be- Die Abweichungen der Ergebnisse der UAV-ge- gehung aufgenommen wurde, mit einer Abwei- stützten Verfahren sind zurzeit noch auf die chung von 17 Prozent ermittelt werden. Dafür geringe Erfahrung in der Luftbildinterpretation ist eine sehr hohe Bodenauflösung (GSD - zurückzuführen. Bei ausreichender Erfahrung Ground Sampling Distance von 0,27 cm/Pixel) können auch große Bestände in relativ kurzer und freie Sicht auf die Nester nötig. Dies wurde Zeit sicher am Luftbild ausgewertet werden in der vorliegenden Arbeit durch das Auffliegen (Hodgson et al. 2018). Dabei ist die Bodenauflö- aller Vögel für die Dauer der Begehung möglich. sung (Anpassung der Flughöhe oder Variation Jungvögel konnten mit den Luftbildaufnahmen des optischen Sensors) entscheidend. Eine Re- nicht nachgewiesen werden. Dies kann auf die duzierung der Flughöhe verbesserte die Boden- guten Tarneigenschaften des Dunenkleides von auflösung bei der genutzten Drohne von 1,37 cm/ Jungvögeln und deren Fähigkeit, bereits zwei Pixel bei 50 Meter Flughöhe auf 0,27 cm/Pixel Tage nach dem Schlupf Verstecke aufzusuchen, bei zehn Meter Flughöhe. Auch bei niedrigeren zurückgeführt werden (Harrison & C astell 2004). Auflösungen können alle Individuen gezählt wer- Die ausgelegten Firststeine bieten solche Ver- den, jedoch werden die artspezifischen Merkmale stecke auf der Brutinsel. Dass UAV-Aufnahmen erst bei einer GSD von 0,82 cm/Pixel (30 Meter für entsprechende Nachweise geeignet sein kön- Flughöhe) eindeutig sichtbar. Damit werden die nen, belegten Díaz-Delgado et al. (2017) für eine Angaben einer zur eindeutigen Artzuordnung natürliche Kolonie von Dünnschnabelmöwen notwendigen Bodenauflösung von 0,7 bis 0,5 cm/ (Chroicocephalus genei), bei der Neststrukturen, Pixel von Dulava et al. (2015) und McE voy et al. Eier und Küken erkannt werden konnten (GSD (2016) bestätigt. Neben der Bodenauflösung 0,5 cm/Pixel). beeinflussen die Lichtverhältnisse die Bildanalyse Die Verfahrensweise nach Sardà-Palomera et al. und Arterkennbarkeit nachweislich und können (2012), zwei UAV-Luftaufnahmen von unter- durch die richtige Wahl der Tageszeit verringert schiedlichen Zeitpunkten zur Ermittlung von werden (Abb. 6) (Chabot & Bird 2015). potentiellen Neststandorten zu nutzen, ergab in Bei der Interpretation der Ergebnisse dieser Ar- | 21
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