Neu in der Nuklearmedizin
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Neu in der Nuklearmedizin Die Nuklearmedizin hat in den vergange- Erkrankung erfolgen und eine individuali- (Synthetisches Hormon, reduziert Testosteron/ nen Jahren sowohl in der Diagnostik als sierte, zielgerichtete Therapie angeboten Östrogen) führte zu einer Stabilisierung der Situa- auch Therapie zunehmend an Bedeutung werden. Mit den folgenden Fällen wollen tion für zwei weitere Jahre, bei erneutem Progress gewonnen. Dies liegt zum einen an einer wir Ihnen die theranostischen Entwicklun- erhielt der Patient insgesamt zwölf Zyklen einer Taxan-basierten Chemotherapie mit Docetaxel. weiteren Verbesserung der G erätetechnik, gen der jüngsten Vergangenheit vorstellen. In einer zum Staging durchgeführten, gegen das zum anderen aber auch daran, dass es Prostataspezifische Membranantigen (PSMA) mittels prospektiver klinischer Studien ge- lungen ist, die Effektivität und gleichzeitig Erster Fall – PSMA-gerichtete gerichteten Positronen-Emissions-Tomografie/ Computertomografie (PET/CT) ergab sich ein gute Verträglichkeit neuer nuklearmedizi- Radioligandentherapie beim metas Progress mit einem lokalen Rezidiv im linken nischer Therapien zu zeigen. Die unmittel- tasierten, kastrationsresistenten Samenbläschen sowie größenprogredienten und bare Integration von Diagnostik und The- Prostatakarzinom neuen lymphonodalen und ossären Metastasen rapie – die Theranostik – spielt hierbei eine (Abbildung 1 A). wichtige Rolle. In diesem Konzept werden Fallbeschreibung dieselben Schlüsselmoleküle für diagnos- Ein 76-jähriger Patient stellte sich mit progre- Therapie und Verlauf tische Bildgebung als auch Radionuklid- dientem metastasiertem kastrationsresistentem Nach Erörterung des Falles in der interdisziplinä- Prostatakarzinom (mCPRC) vor. Initial war eine ren Tumorkonferenz konnte dem Patienten bei therapie verwendet, variiert wird das ge- radikale Prostatektomie mit adjuvanter Bicalut- intensiver Rezeptorexpression der Tumormanifes- bundene Radioisotop – ein Gammastrahler amid-Therapie (Antiandrogen) erfolgt. Im ersten tationen eine PSMA-gerichtete Radioliganden oder Positronen-Emitter für die Bild Rezidiv nach sieben Jahren erfolgte eine Therapie therapie (RLT) angeboten werden. Im Therapie- gebung, ein Beta- oder zunehmend auch mit Abirateron (CYP17A1-Enzymhemmer, hemmt verlauf konnte ein sehr gutes Therapieansprechen Alphastrahler für die Therapie. Durch die- die Testosteronproduktion), die jedoch aufgrund mit signifikanter Rückbildung der multifokalen sen Ansatz kann eine nicht-invasive Ganz- von Nebenwirkungen abgebrochen werden muss- Metastasen dokumentiert werden (Abbildung 1 B), körper-Charakterisierung der jeweiligen te. Die anschließende Umstellung auf Leuprorelin hierzu konkordant zeigte sich ein gutes bioche- 144 Bayerisches Ärzteblatt 4/2023
Titelthema Dipl.-Ing. Alexander Gäble, Arzt Professor Dr. Constantin Lapa Dr. rer. nat. Ralph Alexander Bundschuh misches Therapieansprechen mit einem Abfall des prostataspezifischen Antigens (PSA) von initial 20 ng/ml auf 0,15 ng/ml. Die Therapie wurde ohne relevante Nebenwirkungen gut vertragen. Aktu- ell, elf Monate nach dem Beginn der RLT, findet sich bei dem Patienten erfreulicherweise eine anhaltende partielle Remission (Abbildung 1 C). Diskussion Für die Theranostik des Prostatakarzinoms stehen seit einigen Jahren radiomarkierte Liganden des PSMA zur Verfügung. Dabei steigt die Expression von PSMA in Prostatakarzinomen mit steigendem Gleason-Score sowie in Metastasen [1]. Ergebnis- se einer aktuellen prospektiven Phase-III-Studie (proPSMA) demonstrierten im Rahmen des Pri- mär-Stagings des Hochrisiko-Prostatakarzinoms eine hochsignifikante Verbesserung der diag- nostischen Genauigkeit durch den Einsatz der Abbildung 1: A) prätherapeutische PSMA-PET/CT in Fusionsdarstellung mit intensivem Signal der ausgedehnten PSMA-PET/CT im Vergleich zur konventionellen Metastasen, zum Beispiel retroperitoneal (physiologisch-intensive Nuklidbelegung von Speicheldrüse, Niere und Bildgebung mit Skelettszintigrafie und CT (92 Harnblase). B) Post-therapeutische Ganzkörperszintigrafien zur Dokumentation der PSMA-RLT, von links 1., 2. Prozent vs. 65 Prozent; p < 0,001) [2]; in 28 Pro- und 6. Zyklus mit abnehmender Intensität der Nuklidspeicherung der Metastasen. C) Re-Staging mittels PSMA- PET/CT, einzig eine Metastase im Sternum zeigt weiterhin eine intensive Rezeptorexpression (weißer Pfeil). zent aller Fälle führte die Hinzunahme der PET zu einer Änderung des Therapiemanagements [2]. Im Rahmen der Tumorlokalisation im frühen biochemischen Rezidiv ergeben sich, abhängig vom PSA-Wert Detektionsraten von 50 Prozent für PSA-Werte < 0,5 ng/ml bis zu 86 Prozent bei 2018 veröffentlichte prospektive einarmige > 50 Prozent sowie eine signifikante Verbesserung PSA-Werten > 2 ng/ml [1]; die PSMA-PET/CT ist Phase-II-Studie zu dem an den Betastrahler der Lebensqualität [3]. Die Erweiterung dieser seit 2019 im Rahmen der ambulanten spezial- Lutetium-177 (177Lu) gekoppelten Liganden PS- Studienkohorte auf 50 Patienten dokumentier- fachärztlichen Versorgung (ASV) zur Diagnostik MA-617 (177Lu-PSMA-617) schloss 30 Patienten te ein signifikant längeres Gesamtüberleben bei als Kassenleistung verfügbar. mit mCRPC ein, die zuvor eine Taxan-basierte Patienten mit einem PSA-Rückgang von > 50 Chemotherapie und/oder eine Therapie mit Abi- Prozent auf 18,4 Monate (95 Prozent CI, 13,8- Zu therapeutischen Zwecken werden PSMA- rateron oder Enzalutamid erhalten hatten. Dabei 23,8) vs. 13,3 Monate (95 Prozent CI, 10,5-18,7) Liganden meist mit Betastrahlern markiert. E ine zeigten 57 Prozent der Patienten einen PSA-Abfall bei Patienten, die kein biochemisches A nsprechen Bayerisches Ärzteblatt 4/2023 145
Titelthema Tabelle 1: Übersicht aktueller Studien zur PSMA-RLT Studientitel TheraP trial Vision trial PSMA-Addition PSMA-fore NCT NCT03392428 NCT03511664 NCT04720157 NCT04689828 Studienpräparat 177Lu-PSMA-617 177Lu-PSMA-617 177Lu-PSMA-617 177Lu-PSMA-617 Kontrolle Cabazitaxel Standard of Care Standard of Care ARDT Vortherapie Cabazitaxel Cabazitaxel therapienaiv ARDT Studienkohorte Progredientes mCRPC Progredientes mCRPC Progredientes mHSPC Progredientes mCRPC Kohortengröße 200 831 1.126 469 Studiendesign Phase II, RCT Phase III, RCT Phase III, RCT Phase III, RCT Primärer Endpunkt > 50 Prozent PSA-Abfall: OS: 15,3 vs. 11,3 rPFS rPFS, OS 66 Prozent vs. 37 Prozent Monate (p < 0,001) (p < 0,0001) rPFS: 8,7 vs 3,4 Monate (p < 0,001) Studienstatus abgeschlossen abgeschlossen rekrutierend rekrutierend zeigten [4]. Eine aktuelle, multizentrische australi- Diskutiert wird noch der Mehrwert der RLT in Patientin in einer stabilen partiellen Remission sche Studie (TheraP) randomisierte 200 Patienten früheren Krankheitsstadien. Eine Studie, die der Erkrankung (Abbildung 2 C). mit mCRPC nach Erstlinienchemotherapie 1:1 in den Einsatz der PSMA-Radioligandentherapie die Studienarme 177Lu-PSMA-617 oder Cabazita- beim metastasierten hormonsensitiven Prostata Diskussion xel als Zweitlinien-Taxan-Therapie. Als primärer karzinom erforscht (PSMA-fore) rekrutiert aktuell Neuroendokrine Neoplasien (NEN) sind seltene Endpunkt diente ein 50-prozentiger PSA-Abfall, und soll im Februar 2026 abgeschlossen sein. Eine Tumoren, die aus den sekretorischen Zellen des den 66 Prozent der Patienten im 177Lu-PSMA- Übersicht über die wichtigsten Studien finden neuroendokrinen Systems entstehen und mit 617-Arm gegenüber 37 Prozent im Cabazitaxel- Sie in der Tabelle 1. einer Inzidenz von ca. 7/100.000/a auftreten [5]. Arm erreichten (p < 0,0001). Ein Progress der Während diese Tumoren in fast jedem Gewebe des Erkrankung trat im 177Lu-PSMA-617-Arm gegen- Körpers auftreten können, machen die gastro- über dem Cabazitaxel-Arm signifikant später ein Zweiter Fall – Somatostatinrezep- entero-pankreatischen NEN zusammengefasst (HR 0.63 [95 Prozent] CI 0,46-0,86; p = 0,0028). tor-gerichtete Radiopeptidtherapie ca. 50 bis 60 Prozent aller Fälle aus, wobei ins- Höhergradige Nebenwirkungen traten in dem zur Behandlung neuroendokriner besondere die gut differenzierten Tumoren SSTR nuklearmedizinisch behandelten Studienarm (insbesondere die Subtypen SSTR 2, 3 und 5) signifikant seltener auf [4]. Ende 2022 erfolgte Neoplasien auf ihrer Oberfläche überexprimieren. Diese die Zulassung von 177Lu-PSMA-617 (Pluvicto®) Rezeptor-Expression bildet die Grundlage für zur Therapie des metastasierten kastrationsre- Fallbeschreibung die funktionelle nuklearmedizinische Theranos- sistenten Prostatakarzinoms. Die als Grundlage Eine 45-jährige Patientin stellte sich mit dem tik mit SSTR-gerichteten Radiopharmaka [6, 7]. dienende Phase-III Zulassungsstudie (VISION) ran- Befund einer Metastasenleber mit Peritoneal- Hinsichtlich der Bildgebung von NEN empfiehlt domisierte 831 Patienten 2:1 auf die Kombination karzinose bei einem neuroendokrinen Tumor die S2K-Leitlinie „Neuroendokrine Tumore“ eine aus 177Lu-PSMA-617 und den Standard of Care des Pankreas (G2, Ki-67-Index 14 Prozent) vor initiale SSTR-gerichtete PET/CT bei jedem gut vs. den Standard of Care, wobei hier zytotoxische (Abbildung 2 A). Im Vorfeld waren insgesamt sechs differenzierten NET; Ausnahmen hiervon sind Chemotherapien, Immuntherapien, systemische Zyklen einer Chemotherapie mit Streptozotocin lediglich ein Magen-NET Typ I, Rektum-NET G1 Radionuklidtherapien oder zum Zeitpunkt der (500 mg/m2) und 5-Fluorouracil (400 mg/m2) (jeweils < 1 cm und ohne Risikofaktoren) und Therapie noch nicht zugelassene Therapeutika sowie eine viermalige intraarterielle Partikel der Zufallsbefund eines Appendix-NET (< 1 cm) wie zum Beispiel Olaparib ausgeschlossen wa- embolisation der Leber erfolgt. Bei, im Verlauf ohne Risikofaktoren [8]. Weitere Indikationen zur ren. Dabei zeigte sich im Studienarm eine hoch progredienter, Erkrankung wurde im Rahmen PET-Bildgebung umfassen unter anderem das signifikante Verlängerung des radiologischen einer interdisziplinären Tumorkonferenz die Re-Staging, Therapiemonitoring und die Evalu- progressionsfreien als auch des Gesamtüberle- Empfehlung zur intraarteriellen Somatostatin- ation einer PRRT [9]. In der klinischen Routine bens (15,3 Monate vs. 11,3 Monate; p < 0,001). Rezeptor (SSTR)-gerichteten Peptid-Rezeptor- werden hauptsächlich SSTR-Agonisten wie 68Ga- Die Zulassung setzt aktuell ein inoperables, hor- Radionuklid-Therapie (PRRT) ausgesprochen. DOTATATE oder 68Ga-DOTATOC eingesetzt. Zwei monrefraktäres Prostatakarzinom nach mindes- Bis dato konnten drei Zyklen einer 177Lu-HA- Metaanalysen mit über 2.000 Patienten konnten tens einem Androgenrezeptorinhibitor (androgen DOTATATE-Therapie (Lutetium-high-affinity- eine exzellente Sensitivität von 93 Prozent und receptor deprivation therapy; ARDT) sowie einer DOTATATE) erfolgreich intraarteriell appliziert eine Spezifität von bis zu 96 Prozent für die Linie Taxan-basierten Chemotherapie voraus. werden (Abbildung 2 B). Aktuell befindet sich die SSTR-PET/CT belegen [10, 11]. 146 Bayerisches Ärzteblatt 4/2023
Titelthema A B C Dritter Fall – CCK-2R-Ligand als neuer Vektor für das medulläre Schilddrüsenkarzinom und weitere moderne theranostische Ansätze Fallbeschreibung Ein 65-jähriger Patient stellte sich zum Re- Staging bei vorbekanntem Zustand nach lym- phonodal metastasiertem medullärem Schild- drüsenkarzinom (MTC; T1a(m) pN1 cM0) bei familiärem Syndrom der multiplen endokrinen Neoplasien vom Typ IIa (familiäres MEN-IIa- Syndrom) vor. Nach totaler Thyreoidektomie mit zentraler Lymphknotendissektion vor 18 Jahren war bis dato keine weitere Therapie erfolgt. Seit mehreren Monaten wurde ein ansteigender Tu- mormarker Calcitonin (aktuell: 210 pg/ml) im Abbildung 2: A) prätherapeutische SSTR-gerichtete PET-CT mit intensiver Rezeptorexpression der hepatischen Serum beobachtet. Die im Vorfeld durchge- Metastasen (physiologische Nuklidbelegung von Milz und Hypophyse). B) oben: angiografische Darstellung der führte Bildgebung inkl. 18F-FDG-PET/CT sowie intraarteriellen Therapie; unten: post-therapeutische Szintigrafie zur Dokumentation der wunschgemäßen Vertei- 18F-DOPA-PET/CT zeigte keinen Nachweis eines lung der PRRT. C) Re-Staging mittels SSTR-gerichteter PET-CT mit Darstellung einer partiellen Remission in der Rezidivs, sodass dem Patienten eine weitere Leber (roter Pfeil). Untersuchung mittels eines Liganden an den Cholecystokinin-2-Rezeptor (CCK-2R), welcher von mehr als 90 Prozent der MTC e xprimiert wird [18], angeboten wurde. Hierbei konnten jeweils eine links zervikal (Abbildung 3 A) als Dem theranostischen Konzept folgend kann re 2017 Lutathera (177Lu-DOTATATE) zur Be- auch links mediastinal lateral des Aortenbogens durch Nachweis eines ausreichenden SSTR- handlung von nicht r esektablen oder metas- gelegene, Lymphknotenfilia detektiert werden Besatzes der Tumorzellen in der Bildgebung tatischen, progredienten, gut differenzierten (Abbildung 3 B). eine PRRT erfolgen. Bereits seit den 1990er- (G1 und G2), SSTR-positiven GEP-NET von der Jahren wurde diese nuklearmedizinische The- Food and Drug Administration (FDA) und der Diskussion rapie mit vielversprechenden Ergebnissen European Medicines Agency (EMA) zugelassen. Das MTC macht nur ein bis zwei Prozent aller bei der Behandlung von fortgeschrittenen Die Therapie wird intravenös über vier Zyklen Schilddrüsenneoplasien aus [19], ist aber eine NEN eingesetzt [12, 13]. Fast 25 Jahre später in achtwöchigem Abstand in spezialisierten Herausforderung sowohl für die Diagnostik konnte die Wirksamkeit der PRRT bei NET des nuklearmedizinischen Zentren verabreicht. als auch die Therapie [20]. Insbesondere in Mitteldarmes (Jejunum, Ileum und proxima- der Nachsorge zeigt sich häufig ein erhöhter les Kolon) in einer prospektiven, multizent- Weitere laufende Studien untersuchen unter Tumormarker Calcitonin ohne sicheres mor- rischen, randomisierten Studie demonstriert anderem die Wirkung der PRRT in GEP-NET im phologisches Korrelat; aktuelle Leitlinien emp- werden (NETTER-1). In einer 1:1-Randomi- Vergleich zu Everolimus (COMPETE), die PRRT fehlen für die Bildgebung neben der zervikalen sierung wurden insgesamt 229 Patienten mit als Erstlinientherapie fortgeschrittener G2 und Sonografie, der CT und MRT primär 18F-FDG metastasiertem oder lokal fortgeschrittenem G3 GEP-NET (NETTER-2) oder die Kombinati- und 18F-DOPA - eine radiomarkierte Form von NET, die unter Standardtherapie mit max. 30 mg on einer PRRT mit anderen Chemotherapeutika L-DOPA – für die nuklearmedizinische Bild des langwirksamen Somatostatina nalogon (Capecitabin). Eine weitere Potenzierung der gebung [21]. Leider besitzt selbst die 18F-DOPA- Octreotid LAR einen Krankheitsprogress zeig- anti-tumoralen Aktivität kann – wie in unserem PET/CT als nuklearmedizinischer Goldstandard ten, verglichen. Der Studienarm erhielt eine Fall – insbesondere bei leberdominanter Metas- bei der Detektion von Tumormanifestatio- Kombination aus vier Zyklen einer PRRT mit tasierung durch die intra-arterielle Applikation nen in der Rezidiv-Situation nur eine einge- 30 mg Octreotid LAR, der Kontrollarm eine The- des Radiopharmakons erreicht werden, wobei schränkte Sensitivität. Während bei Tumoren rapie mit doppelter Dosierung Octreotid LAR Analysen größerer Datenmengen oder prospek- in der Schilddrüsenloge eine Nachweisrate von 60 mg. Der Studienarm erzielte eine klinisch tive Studien noch ausstehen. 86 Prozent vorliegt, ist diese bei Lymphknoten- und statistisch signifikante Verbesserung des und Fernmetastasen mit 57 Prozent bzw. sechs progressionsfreien Überlebens (primärer End- Eine zusätzliche Weiterentwicklung stellt der Ein- Prozent signifikant niedriger [22]. punkt; HR: 0,18, p < 0,0001). Das mediane Ge- satz von SSTR-Antagonisten mit einer vermehr- samtüberleben (sekundärer Endpunkt) betrug ten Bindung an die Rezeptorbindungsstellen im Der hier zum Einsatz kommende neuartige diag- 48,0 Monate in der PRRT-Gruppe und 36,3 Mo- Vergleich zu den bekannten SSTR-Agonisten dar nostische Ligand an den CCK-2R besitzt analog nate in der Kontrollgruppe (HR 0,84, p = 0,30; [15]. In der klinischen Bildgebung wurde eine im zu den im ersten und zweiten Fall vorgestellten möglicherweise durch eine hohe Cross-over- Vergleich zu den Agonisten nochmals verbesserte theranostischen Konzepten ebenfalls die Option Rate von 36 Prozent bedingt). Die Patienten Tumordetektionsrate gezeigt [16]. Die therapeu- zur zielgerichteten Anwendung, erste Studien in der PRRT-Gruppe profitierten außerdem hin- tische Wirksamkeit der Antagonisten erscheint diesem Kontext sind bereits initiiert (LUMED). sichtlich der Lebensqualität [14], insgesamt vielversprechend [17], muss jedoch – wie der wurde die PRRT sehr gut toleriert. Ausgehend Einsatz von Alpha-Emittern – noch genauer Viele weitere theranostische Konzepte fin- von diesen Studienergebnissen wurde im Jah- untersucht werden. den sich derzeit in der klinischen Erprobung. Bayerisches Ärzteblatt 4/2023 147
Titelthema Fazit für die Klinik » Während im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts in der Nuklearmedizin Fortschritte in der Gerätetechnik und Bildbearbeitung wegweisend waren, do- miniert in den letzten Jahren die Ent- wicklung und Etablierung neuer diagnostischer aber auch therapeuti- scher Radiopharmaka. » Insbesondere der Bereich der Theranos- tik als enge Verzahnung von Diagnostik und zielgerichteter (und somit sehr gut verträglicher) Therapie erlebt momentan eine große Dynamik. » Die zielgerichtete Diagnostik und The- rapie von Prostatakarzinomen mittels PMSA-gerichteter Liganden stellt zu- Abbildung 3: CCK-2R-PET-CT mit Darstellung von zwei lymphonodalen Metastasen mit intensiver Nuklidaufnah- me (rote Pfeile): A zervikal links gelegene Metastase; B mediastinal gelegene Metastase nehmend einen Standard im Manage- ment der Patienten dar. Insbesondere in der Diagnostik des frühen biochemi- schen Rezidivs und im Rahmen des Pri- märstagings des Hochrisikokarzinoms ist die PSMA-PET/CT in den S3-Leitlinien verankert und findet zunehmend Ver- wendung in der Routine. » Die PSMA-Radioligandentherapie wur- de Ende vergangenem Jahres von der EMA zur Behandlung von Patienten mit Jenseits der direkten Darstellung der Tumor- der maßgeblich an der Embryogenese, Zellmig- metastasiertem kastrationsresistentem zelle adressiert ein vielversprechender Ansatz ration, Zellproliferation und Angiogenese, aber Prostatakarzinom zugelassen. das Tumormikromilieu und die dort ansässigen auch Metastasierung von Tumorzellen beteiligt » In der Zweitlinientherapie von nicht Tumor-assoziierten Fibroblasten. Letztere ha- ist. Aufgrund der bereits physiologisch hohen resektablen oder metastatischen, pro- ben das sogenannte Fibroblasten-Aktivierungs- CXCR4-Expression auf hämatopoetischen Zellen gredienten, gut differenzierten (G1 und Protein (fibroblast activation protein; FAP) an finden sich sehr hohe Rezeptordichten auf Zellen G2) SSTR positiven GEP-NET stellt die der Zello berfläche überexprimiert und sind hämatologischer Neoplasien, zum Beispiel von Rezeptor-gerichtete PRRT eine etab- somit einer zielgerichteten Bildgebung (und Non-Hodgkin-Lymphomen (NHL), dem Multip- lierte, in Leitlinien verankerte Therapie auch Therapie) zugänglich. Während FAP im len Myelom (MM) oder akuten Leukämien, was option dar. gesunden Gewebe in vernachlässigbaren Men- für die Bildgebung und Therapie mittels CXCR4- » Viele weitere theranostische Ansätze gen ausgebildet wird, findet sich eine relevante gerichteter Endoradiotherapie ausgenutzt werden finden sich derzeit in Entwicklung, zum Zielstrukturexpression im Tumorstroma von über kann. Die größte Erfahrung besteht hierbei für Beispiel für das Tumorstroma mittels 90 Prozent der epithelialen Neoplasien. Durch das MM. Bei ansonsten austherapierten Patienten FAP-Inhibitoren oder für hämatologi- diese Vielseitigkeit stellt die FAP-gerichtete mit rezidivierter/refraktärer Erkrankung konn- sche Neoplasien mittels CXCR4-gerich- Bildgebung eine gute Alternative zum Standard- te mittels dieses neuen Therapieansatzes eine teter Liganden. Onkologie-Tracer 18F-FDG dar; aufgrund des signifikante Reduktion der Tumorlast erreicht geringeren Hintergrundsignals in, zum Beispiel werden [24, 25, 26]. Eine multizentrische Phase Gehirn, (Herz-)Muskel, Leber oder Darm, kann sie I/II-Studie (COLPRIT; Eudra‐CT 2015‐001817‐28) sogar diagnostische Vorteile liefern. Hinsicht- wird die Wertigkeit der CXCR4-gerichteten RLT lich der therapeutischen Anwendung konnten bei Patienten mit MM oder fortgeschrittenem kürzlich erste ermutigende Ergebnisse bei Pa- NHL prospektiv an mehreren bayerischen Uni- Autoren tienten mit Sarkomen publiziert werden [23], versitätsstandorten untersuchen. Dipl.-Ing. Alexander Gäble, Arzt eine genaue Beurteilung des therapeutischen Professor Dr. Constantin Lapa Potenzials dieses Ansatzes ist zum aktuellen Das Literaturverzeichnis kann im Internet Dr. rer. nat. Ralph Bundschuh Stand jedoch noch nicht möglich. unter www.bayerisches-aerzteblatt.de (Aktuelles Heft) abgerufen werden. Klinik für Nuklearmedizin, Eine letzte Anwendung, die kurz erwähnt wer- Universitätsklinikum Augsburg, den soll und insbesondere in der Theranostik Die Autoren erklären, dass sie keine finan- Stenglinstraße 2, 86156 Augsburg, hämatologischer Neoplasien eingesetzt werden ziellen oder persönlichen Beziehungen zu Tel. 0821 4002050 kann, adressiert den C-X-C Chemokinrezep- Dritten haben, deren Interessen vom Ma- E-Mail: alexander.gaeble@uk-augsburg.de tor 4 (CXCR4). Hierbei handelt es sich um einen nuskript positiv oder negativ betroffen sein G-Protein-gekoppelten Transmembranrezeptor, könnten. 148 Bayerisches Ärzteblatt 4/2023
Sie können auch lesen