Nicht allein Trump ist das Problem - Zum Umgang Deutschlands mit den USA
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NR. 57 OKTOBER 2018 Einleitung Nicht allein Trump ist das Problem – Zum Umgang Deutschlands mit den USA Peter Rudolf Donalds Trumps Politik des »America First« untergräbt die Grundlagen der traditio- nellen amerikanischen Führungsrolle. Innenpolitisch mag Trump nach den Zwischen- wahlen im November 2018 unter Druck geraten, sollten die Demokraten die Mehrheit zumindest in einem der beiden Häuser des Kongresses erlangen. Doch dies würde an den unilateralen Tendenzen der gegenwärtigen US-Außenpolitik und an der immer härteren Gangart gegenüber Moskau und Peking kaum etwas ändern. Wie lange Trump auch Präsident bleiben mag – sicher ist nur, dass die außenpolitische Debatte in den USA in Bewegung geraten ist. Das Nachdenken über den strategischen reflek- tierten Umgang mit den Vereinigten Staaten bleibt daher eine zentrale Herausforde- rung für die deutsche Außenpolitik. Dies gilt nicht zuletzt mit Blick auf den ameri- kanisch-chinesischen Machtkonflikt und transatlantische Verwerfungen, die sich daraus ergeben könnten. Donald Trump ist der erste Präsident der immer wieder gesagt. Auf jeden Fall will er, USA seit 80 Jahren, der aus dem breiten wie der amerikanische Wissenschaftler und außenpolitischen Konsens des Landes aus- Kolumnist Walter Russell Mead argumen- bricht. Lange war man sich in der amerika- tiert, die internationalen Beziehungen zu- nischen Außenpolitik einig, dass den USA gunsten der Vereinigten Staaten verändern die Rolle eines »liberalen« Hegemons zu- und das Machtgefälle zwischen ihnen und komme, der nicht nur nationale Interessen anderen Staaten dafür einsetzen, das rela- verfolge, sondern die Stabilität des inter- tive Kosten-Nutzen-Verhältnis zum Vorteil nationalen Systems garantiere und öffent- der USA zu verschieben. Internationale liche Güter bereitstelle. Es lässt sich nur Politik ist für die USA unter Trump die spekulieren, ob Trump wirklich, und sei es Arena ungezügelter Machtrivalitäten, in der bloß instinktiv, eine einigermaßen kohä- Staaten rigoros ihre Interessen verfolgen – rente Vorstellung von der außenpolitischen frei von der Illusion, es gäbe so etwas wie Rolle der USA hat. Dass Trump das be- eine internationale Gemeinschaft. stehende internationale Handelssystem und die überkommenen Bündnisbeziehungen für schädlich hält, hat er seit fast 30 Jahren
Wandel und Beharrung Barack Obama einmal bezeichnet hat, näm- lich in der Neigung zum Einsatz militäri- Bislang hat Trump – zumindest auf der scher Gewalt. Trump scheint an begrenzten ideologischen Ebene – all jene Lügen Militärschlägen als Ausdruck der Entschlos- gestraft, die gehofft hatten, er werde sich senheit Gefallen gefunden zu haben. Das dem überkommenen Konsens zur inter- zeigen nicht nur die Angriffe auf Syrien, nationalen Rolle der USA anschließen. In sondern auch die Fortsetzung des Drohnen- einigen Bereichen hat er beträchtliche krieges mit offenbar größerem Spielraum destruktive Energie entfaltet, sei es in der für Militär und Geheimdienst. Waren frü- Klima- und der Iranpolitik, sei es in der here US-Administrationen noch bemüht, Außenwirtschaftspolitik, welche die Domi- den Einsatz militärischer Gewalt – mit nanz der USA auf dem Weltmarkt wieder- welch fragwürdigen Argumenten auch herstellen will. Menschenrechte spielen in immer – völkerrechtlich zu legitimieren, der amerikanischen Außenpolitik allenfalls verzichtete die Trump-Administration im gegenüber Staaten eine Rolle, die wie Iran Falle Syriens völlig darauf. Ungeachtet völ- als Gegner gelten. Ansonsten bewegt sich kerrechtlicher und verfassungsrechtlicher die Außenpolitik der USA für Trump in Zweifel an seinem Vorgehen in Syrien fand einer, wie es einmal genannt wurde, »post- Trump innenpolitisch damit Zustimmung human rights world«, in der Beziehungen auch unter jenen, die seiner Außenpolitik rein nach strategischen und ökonomischen ansonsten sehr kritisch gegenüberstehen. Interessen gepflegt werden, ohne dass Sollte Trump künftig interventionistischer Menschenrechtserwägungen dem entgegen- handeln, als es seine Rede im Wahlkampf stehen. vermuten ließ, würde er nur einem Muster Trump agiert jedoch in einem institu- folgen, das sich seit Beginn des 20. Jahr- tionellen Kontext, in dem die traditionelle hunderts erkennen lässt. strategische Orientierung tief verankert ist. Ihr zufolge sollen die militärische Vorherr- schaft, die amerikanische Führungsrolle Großmachtrivalitäten als neues und die bestehenden Bündnissysteme be- Paradigma wahrt werden. Für einen großen außen- politischen Kurswechsel bedarf es eines Was auch immer Trump will – die Insti- steten fokussierten Durchsetzungswillens tutionen des »nationalen Sicherheitsstaats«, und wohl eines »strategischen Schocks«, also Verteidigungsministerium, Geheim- der die geronnenen außenpolitischen Vor- dienste und Außenministerium, haben sich stellungen obsolet erscheinen lässt. längst auf die Ära neuer Großmachtrivali- Noch verläuft vieles entlang der bisheri- täten eingestellt: die Machtkonkurrenz mit gen Linien, vor allem im militärischen einem aufsteigenden China und einem Bereich. So gehen trotz Trumps Bündnis- wiedererstarkenden Russland (siehe SWP- skepsis die unter der Rubrik Reassurance Studie 6/2018). Ob man die Großmachtkon- and Deterrence eingeleiteten Initiativen der flikte eher in geopolitischen oder ideologi- Nato weiter. Waffenexporte in die Ukraine schen Kategorien interpretiert – momen- hatte der Kongress schon 2014 mit dem tan scheint gewiss, dass diese Konfliktlinien Ukrainian Freedom Support Act erlaubt, die US-Außenpolitik in hohem Maße be- doch Präsident Obama hielt sich weitgehend stimmen werden. zurück und »tödliche« Rüstungsgüter, wie Die amerikanische Russlandpolitik geht es denn heißt, wurden nicht geliefert. Unter in Richtung eines »Neo-Containment«. Trump wurde diese Linie mit der Lieferung Präsident Trump brachte keine Personen in von Panzerabwehrraketen überschritten. wichtige Positionen, die seine Vorstellun- In einem Punkt konvergiert Trumps gen von einer Annäherung im Verhältnis Vorliebe für die Demonstration von Stärke zu Russland teilen. Offenbar beeinflusst mit dem »Washingtoner Drehbuch«, wie es von Henry Kissinger, wollte Trump wie SWP-Aktuell 57 Oktober 2018 2
einst Nixon die »China-Karte« jetzt die Russland faktisch vom internationalen »Russland-Karte« im geopolitischen Macht- Kapitalmarkt auszuschließen. Ferner ver- poker ausspielen und Russland auf die hängten die USA wegen des Nervengift- Seite der USA im Konflikt mit China ziehen. anschlags auf den ehemaligen russischen Die russische Einmischung in den ameri- Spion Sergei Skripal in Großbritannien kanischen Präsidentschaftswahlkampf hat Ende August 2018 Sanktionen, wie dies ein den für Entspannung in den amerikanisch- Gesetz aus dem Jahre 1991 vorsieht, das russischen Beziehungen ohnehin engen den Einsatz chemischer und biologischer Handlungsspielraum des Präsidenten indes Kampfstoffe mit Strafen belegt. Diese Sank- vollends schrumpfen lassen. Die Demokra- tionen verwehren Russland den Zugang zu ten im Kongress sind – ob aus Empörung amerikanischen Hochtechnologieproduk- oder Kalkül – auf eine harte Linie in der ten. Schließlich wird auch diskutiert, mit Russlandpolitik eingeschwenkt und ver- Hilfe von Sanktionen den Verkauf russi- suchen, die »russische Bedrohung« innen- scher Staatsanleihen zu unterbinden und politisch zu nutzen. Mehr als die Hälfte der den Bau der Gaspipeline Nord Stream 2 zu Bevölkerung in den USA sieht Russlands vereiteln. Sowohl die Administration als Macht und Einfluss als Bedrohung für das auch die Mehrheit des Kongresses möchten amerikanische Wohlergehen. Das Image dieses Projekt gerne verhindern. Die USA Russlands erreichte im Februar 2018 den haben, wie es die amerikanische Zeitschrift Tiefststand der letzten 30 Jahre: 72 Prozent Newsweek auf den Punkt brachte, Russland der Bürger in den USA hatten eine »»un- den »Wirtschaftskrieg« erklärt. vorteilhafte« Sicht auf Russland. Dazu hat Die große Konfliktlinie ist indes die die russische Einmischung in den amerika- Machtrivalität mit China. Hier verbindet nischen Wahlkampf beigetragen, die in sich die geopolitische Herausforderung, die einer mitunter hysterisch anmutenden vor allem Sicherheitspolitiker betonen, mit Debatte zu einer Art »zweites Pearl Harbor« überparteilicher Entrüstung wegen Chinas stilisiert wird. wirtschaftlicher Praktiken. Die Töne, die Vor allem auf Initiative des Kongresses etwa Senator Bernie Sanders in dieser Frage wird das Netz der Sanktionen gegen Russ- anschlägt, unterscheiden sich nicht sehr land immer engmaschiger. Der Countering von denen Trumps. Auch in der Chinapoli- America’s Adversaries Through Sanctions tik ist der Kongress ein Faktor, der – und Act vom August 2017 kodifizierte einige das gilt für beide Parteien – die harte Linie bestehende Sanktionen und erhöhte den der Administration eher unterstützt und Druck auf Trump, schärfere Sanktionen zu verstärkt als mäßigt. verhängen. Zudem schuf der Kongress ein In seiner Rede zur Chinapolitik vom Überprüfungsverfahren, das ihm Mitspra- 4. Oktober 2018 hat Vizepräsident Mike che bei Aufhebung oder Aussetzung der Pence die Sicht der Trump-Administration Sanktionen sicherte. Wie andere Sanktions- dargelegt. Ihr zufolge soll der machtpoliti- gesetze auch war es von einer breiten über- sche und ideologische Konflikt mit einem parteilichen Mehrheit getragen und wurde expansiven und autoritären China offensiv sogar fast ohne Gegenstimmen verabschie- ausgetragen und die Beziehung zwischen det. Nolens volens unterschrieb Trump das beiden Ländern im Sinne des »America Gesetz mit einigen Vorbehalten. Mitte Sep- First« neu gestaltet werden (»to re-set Ameri- tember 2018 erließ er eine Exekutivverord- ca’s economic and strategic relationship, to nung, mit der er die russische Einmischung finally put America first«). Das Verteidi- in den Wahlkampf zum nationalen Notfall gungsministerium richtet Planungen und (national emergency) erklärte, und verhäng- Haushalt auf die Machtrivalität mit China te eine Reihe von Sanktionen. Im Kongress aus. So dient die Aufstockung des Verteidi- ist überdies der Defending American Secu- gungshaushalts zu einem Gutteil dazu, rity From Kremlin Aggression Act anhängig, Waffensysteme zu beschaffen, die in einem der nichts Geringeres zum Ziel hat, als militärischen Konflikt mit China gebraucht SWP-Aktuell 57 Oktober 2018 3
würden. Und der im August 2018 in Kraft stimmte Position der USA und Europas ab, getretene Export Control Reform Act of erhöht dies das Verhandlungsgewicht. 2018 autorisiert Exportkontrollen für noch Wie Larry Kudlow, der Wirtschaftsberater näher zu bestimmende neue Technologien, des amerikanischen Präsidenten, verlauten die als kritisch für die nationale Sicherheit ließ, möchte die Trump-Administration der USA gelten, aber den bestehenden Kon- eine Koalition der Willigen zusammen- trollen noch nicht unterliegen. Hauptziel bringen, um eine gemeinsame Front gegen verschärfter Exportkontrollen ist China. China zu formieren. Für die USA stellt sich mit Blick auf Nur ist es fraglich, ob chinesische Zuge- China eine ungewohnte Herausforderung: ständnisse Trump beschwichtigen können, Wie geht man mit einem strategischen wenn sein Ziel vielleicht längst die wirt- Rivalen um, mit dem man wirtschaftlich schaftliche Eindämmung und technologi- eng verbunden ist? Insofern erstreckt sich sche Schwächung des globalen Rivalen ist. die Gestaltung wirtschaftlicher Beziehun- Manche in der Administration, etwa Peter gen nicht nur auf die Verteilung der Wohl- Navarro, Trumps Berater in Handelsfragen fahrtsgewinne, sondern zunehmend auf und Direktor des Nationalen Handelsrats, Sicherheitsfragen. In den wirtschaftlichen aber wohl auch einige im Pentagon und Beziehungen dürfte daher das Problem der im Nationalen Sicherheitsrat scheinen die relativen Gewinne eine Rolle spielen. Vor USA wirtschaftlich so weit wie möglich von allem stellt sich die Frage, wie sich in der China abkoppeln zu wollen. Davon erhof- militärisch sensiblen Konkurrenz im Hoch- fen sie sich, die wirtschaftlich-technologi- technologiebereich der amerikanische Vor- sche und damit auch sicherheitspolitische sprung sichern lässt, etwa durch ein Export- Verwundbarkeit zu reduzieren, die aus der kontrollsystem, das mit den Verbündeten Interdependenz entstanden ist. Aus Sicht abgestimmt wird. der »Falken« in Washington ist China die Gelegentlich wird die These vertreten, große Bedrohung für die industriellen die USA hätten nur geringe Aussichten, Grundlagen der USA. In dieser Perspektive sicherheitspolitisch motivierte Handels- sind wirtschaftliche und nationale Sicher- und Technologierestriktionen erfolgreich heit untrennbar. gegenüber China einzusetzen. Bei Hoch- Europa kann den amerikanisch-chine- technologiegütern könne China leicht in sischen Konflikt nicht nennenswert beein- Europa andere Lieferanten finden. Wer flussen. Seine Konsequenzen können je- dieser Auffassung anhängt, ignoriert jedoch, doch dramatisch sein, wenn die wirtschaft- dass die USA aufgrund der extraterritoria- liche Verflechtung zwischen USA und len Reichweite ihres Exportkontrollsystems China sich auflöst, wirtschaftliche Blöcke und ihrer Sanktionsgesetze in der Lage sind, oder geschlossene wirtschaftliche Räume europäische Firmen vor die Wahl zwischen entstehen und ein Prozess ökonomischer dem amerikanischen und dem chinesischen De-Globalisierung einsetzt. Markt zu stellen. Müssten europäische Firmen bei einer Verschärfung des ameri- kanisch-chinesischen Konflikts eine solche Ungewissheiten und Wahl treffen, hätte dies weitaus gravieren- Unwägbarkeiten dere Konsequenzen als im Fall Irans. China ist nach den USA der wichtigste Handels- Deutschland muss sich auf diese Konflikt- partner Europas. strukturen, ihre Risiken und Kosten ebenso Es ist sicher sinnvoll und in Europas einstellen wie auf Ungewissheiten über den Interesse, die USA bei berechtigten Forde- längerfristigen Kurs amerikanischer Außen- rungen gegenüber China zu unterstützen, politik. Weiterhin ist eine unberechenbare gerade was den »erzwungenen Technologie- Politik der USA zu erwarten. Das Kalkül transfer« bei ausländischen Investitionen in scheint zu sein, auf diese Weise Unsicher- China angeht. Zeichnet sich eine abge- heit in die Beziehungen hineinzubringen, SWP-Aktuell 57 Oktober 2018 4
die zum eigenen Vorteil genutzt werden In der Demokratischen Partei wird, wie soll. bereits absehbar, nach der Zwischenwahl Gewiss kann man darauf hoffen, dass der Anteil »linker« progressiver Abgeordne- nach der Präsidentschaft Trumps an bessere ter im Repräsentantenhaus ansteigen. Zur- Zeiten in den transatlantischen Beziehun- zeit lässt sich allenfalls darüber spekulie- gen angeknüpft werden kann, und daher ren, wie sich die außenpolitischen Vorstel- befürworten, dass Europa auch um den lungen dieser erstarkenden Minderheit Preis der Beschwichtigung möglichst viel an entwickeln und wie sehr sie die eher inter- Kooperation »hinüberretten« sollte. Doch ventionskritische Stimmung der demokra- Trump steht mit seinen außenpolitischen tischen Wählerbasis aufnehmen. Das gilt Vorstellungen in der Tradition von Ideen, auch für die Frage, ob sich in den nächsten die im amerikanischen Diskurs lange rand- Jahren gar eine Art Gegenkoalition aus ständig, in Präsidentschafts(vor)wahlkämp- linken Demokraten und libertären Republi- fen der letzten Jahrzehnte aber durchaus kanern zum traditionellen »Establishment«- (in Gestalt des Kandidaten Pat Buchanan) Konsens formen könnte. vertreten waren. Trump findet mit seinen Donald Trump hat jedenfalls den Diskurs Vorstellungen zu Handel und Einwande- über die grundlegende strategische Orien- rung und seiner Skepsis gegenüber Bünd- tierung geöffnet. Verfolgt man die Diskus- nisverpflichtungen beträchtliche Resonanz sionen in neu gegründeten Zeitschriften und nur wenig Widerstand in seiner Partei. wie American Affairs und American Great- Etwas verfrüht scheint es allerdings, wie der ness, aber auch in älteren wie The Ameri- amerikanische Politikberater und Publizist can Conservative oder The National Interest, Robert Kagan festzustellen, dass »America dann zeigt sich eines: Gerade jüngere First« gewonnen habe. Konservative versuchen dem Trumpismus, Aber die außenpolitische Debatte in den dieser Mischung aus Nationalismus und USA ist in Bewegung geraten. Abzuwarten Populismus, eine intellektuelle Grundlage bleibt, wie sehr die Republikanische Partei auch für die Zeit nach Trump zu geben und sich vom traditionellen Konservativismus beschränken sich dabei nicht auf die Innen- entfernen und zu einer Partei des populisti- und Wirtschaftspolitik. Diese Versuche, die schen Nationalismus werden wird. Erstaun- globalisierungs-, allianz- und interventions- lich ist, wie weit die Republikaner im kritischen Impulse zu einem Neuentwurf Kongress unter Trump von traditionellen, republikanischer Außenpolitik zu bündeln, orthodoxen republikanischen Vorstellun- verdienen aufmerksame Beobachtung. Das gen abgewichen sind. Hohe Staatsausgaben alte außenpolitische (neo-)konservative und ein wachsendes Haushaltsdefizit Establishment der Republikanischen Partei scheinen kein Problem mehr zu sein, die ist marginalisiert und im inneren Exil. Am Wende zu einer eher protektionistischen Ende einer möglichen zweiten Amtszeit Handelspolitik ebenso wenig. Zahlreiche Trumps werden viele einst tonangebende traditionelle Republikaner werden im Republikaner im Rentenalter sein. nächsten Kongress nicht mehr vertreten Nicht länger geht es im außenpolitischen sein, weil sie bei den Wahlen nicht mehr Diskurs der USA vorrangig darum, wie die antreten, darunter erfahrene Außenpoliti- Strategie liberaler Hegemonie operativ ker wie der Vorsitzende des Auswärtigen umgesetzt wird, so wie es tendenziell lange Senatsausschusses, Bob Corker. Führende der Fall in Washington war. Doch was sich außenpolitische Köpfe der Republikaner im derzeit unter Trump abzeichnet, ist nicht nächsten Kongress werden »America First«- die »grand strategy« der »Zurückhaltung«, Falken wie Tom Cotton, Marco Rubio und wie sie von akademischen Experten immer Lindsey Graham sein, die eher wenig von wieder in die Diskussion eingebracht wur- Diplomatie, aber viel von Militärschlägen de, sondern, wie der Politikwissenschaftler halten. Barry Posen es bezeichnete, eher »Hege- monie ohne Liberalismus«. Die USA unter SWP-Aktuell 57 Oktober 2018 5
Trump wollen Vormacht bleiben – und den sind. Ein solches Beziehungsgeflecht wegen ihrer materiellen wirtschaftlichen bietet Möglichkeiten, eigene Positionen in und militärischen Ressourcen werden sie den amerikanischen Politikprozess einzu- noch auf längere Zeit der mächtigste Staat speisen und Verhandlungsmacht über die sein. Ob man in einigen Jahren noch von Verknüpfung unterschiedlicher Themen amerikanischer Hegemonie im liberalen aufzubauen. Sinne sprechen kann, ist fraglich. Denn Nach allem, was bislang unter Trump zu eine solche setzt die Gefolgschaft anderer beobachten war, muss in Betracht gezogen Staaten voraus, welche die Führungsrolle werden, dass die transatlantischen Bezie- als legitim anerkennen. Im westlichen hungen erodieren, die amerikanischen System war das über Jahrzehnte ungeachtet Sicherheitsgarantien an Glaubwürdigkeit aller Konflikte im Großen und Ganzen der verlieren und die Wirtschaftsbeziehungen Fall. Eine gemeinsame Wertebasis, die lockerer werden. Für Europa stellt sich Bereitschaft der Führungsmacht zu multi- zudem die Frage, wie sehr es zum Objekt lateralen Entscheidungsprozessen, Zurück- des Ringens der drei Großmächte um geo- haltung bei der einseitigen Durchsetzung politischen Einfluss wird und wie es seine nationaler Interessen und schließlich die Gestaltungsfähigkeit behaupten kann. Bereitstellung öffentlicher Güter – all dies Antworten darauf erscheinen umso dring- sind Voraussetzungen dafür, dass ein hege- licher in einer Situation, in der man sich monialer Anspruch als legitim akzeptiert nicht mehr sicher sein kann, ob die USA wird. unter Trump Europa als eigenständigen Man sollte die amerikanische Hege- Akteur schwächen oder gar zerstören monialrolle mit ihren unilateralen Ten- wollen, um die transatlantischen Beziehun- denzen und die vielbeschworene liberale gen in bilaterale Abmachungen zu verwan- internationale Ordnung nicht nostalgisch deln und so die Machtasymmetrie voll zu verklären und ihr Gewaltpotential nicht ihren Gunsten zu nutzen. Geopolitisch ausblenden. Doch die gegenwärtige Abkehr ergibt das einen gewissen Sinn, wenn man der USA von dieser Rolle und die gleich- die Weltsicht zugrunde legt, dass die USA zeitige Zuspitzung von Großmachtrivalitä- ihre überlegene Macht in der Ära neuer ten verbinden sich zu einem gravierenden Großmachtrivalitäten sichern müssen, vor Wandel in der internationalen Politik. allem mit Blick auf den sich abzeichnenden Weltführungskonflikt mit China. Man stelle sich eine Situation vor, in der eine Strategische Risikoabsicherung einträchtige EU sich in diesem Konflikt dem Schulterschluss mit den USA entzöge. Weitgehend herrscht Einigkeit darüber, In einer Zeit der Ungewissheit über den dass es im deutschen Interesse liegt, wäh- Kurs der US-Außenpolitik und des Wandels rend einer Zeit des Umbruchs und der im internationalen System ist es für Deutsch- Unsicherheit möglichst kooperative trans- land vernünftig, im europäischen Verbund atlantische Beziehungen zu bewahren. Die eine Politik der strategischen Risikoabsiche- Beziehungen zwischen Europa und den rung zu entwickeln und die eigenen außen- USA ähneln stark dem Idealtyp »komplexer politischen Handlungsmöglichkeiten zu Interdependenz« (der Begriff stammt von erweitern. Dieser Logik folgen die gegen- Robert Keohane und Joseph Nye). Gemeint wärtigen Berliner Überlegungen zu einer ist damit ein Geflecht, in dem nicht Fragen USA-Strategie und zur Stärkung der »euro- militärischer Sicherheit dominieren, päischen Autonomie«. sondern vielerlei Themen auf der Agenda Solange jedoch die Prämisse unhinter- stehen, und in dem die Staaten durch fragt bleibt, dass die USA für die europäi- mannigfaltige transgouvernementale und sche Sicherheit unentbehrlich sind, prägt die Gesellschaften durch ein dichtes Netz- schon mental eine Asymmetrie die trans- werk transnationaler Beziehungen verbun- atlantischen Beziehungen und konter- SWP-Aktuell 57 Oktober 2018 6
kariert das Ziel »souveränes Europa«. Das Auswirkungen bekäme besonders die Ziel »strategische Autonomie« kann noch so exportorientierte Wirtschaft zu spüren. oft beschworen werden, aber es wird sie Auch wenn strategische Autonomie nicht geben, solange der nukleare Schutz- allenfalls langfristig näherungsweise zu schirm der USA als notwendig gilt. Zudem verwirklichen wäre, lassen sich im Hier und setzen Polen und die baltischen Staaten Heute aus der Maxime strategischer Risiko- unbeirrt weiter auf die USA; die »strategi- absicherung einige Folgerungen für den sche Autonomie« Europas weckt dort eher Umgang mit den USA ableiten. Strategische Furcht als Hoffnung. Gewiss kann man im Risikoabsicherung kann je nach Konflikt- vorherrschenden sicherheitspolitischen und Interessenkonstellation in eine Politik Denken verharren und davon absehen, die wirtschaftlicher und diplomatischer Gegen- Notwendigkeit nuklearer Abschreckung machtbildung münden. Solche Initiativen grundsätzlich in Frage zu stellen. Wenn werden als »soft balancing« bezeichnet. man diese Haltung einnimmt, würde stra- Eine Form wäre die Nutzung internationa- tegische Autonomie bedeuten, sich über ler Institutionen, um amerikanische Macht- die Weiterentwicklung der französischen ausübung zu beschränken oder sie zumin- Atomstreitmacht (Force de Frappe) im Sinne dest zu beinflussen. Eine andere Form kann einer europäischen Abschreckung Gedan- darin bestehen, amerikanischem Handeln ken zu machen. oder bestimmten Politikkonzepten der USA Europa mag vielleicht Schritte in Rich- internationale Legitimität zu verweigern. tung finanzieller Souveränität unterneh- Die Trump-Administration mag sich um men, um sich nicht länger dem sogenann- internationale Zustimmung wenig scheren. ten Dollar-Unilateralismus unterordnen zu Sollte Trump aber in den Präsidentschafts- müssen. Womöglich gelingt es Europa wahlen 2020 einem starken demokrati- auch, über neue, vom Dollar unabhängige schen Rivalen gegenüberstehen, könnte der Zahlungskanäle zumindest manche Unter- Ansehens- und Vertrauensverlust der USA nehmen dem Zugriff der amerikanischen im Wahlkampf nicht ohne Bedeutung sein. Sanktionsgesetze zu entziehen. Nur werden Soft balancing kann schließlich auch die USA dieser Entwicklung wohl kaum heißen, eine eigenständige faktensetzende tatenlos zuschauen, so sie sich denn über- internationale Führungsleistung in jenen haupt realisieren ließe und nennenswert Politikfeldern zu erbringen, in denen die zur Aufrechterhaltung von Handelsbezie- USA eher blockieren als initiieren. hungen mit dem Iran beitrüge. Schließlich Strategische Risikoabsicherung kann geht es im Falle Irans unausgesprochen aber auch den Schulterschluss (band- auch um die Demonstration der amerikani- wagoning) mit den USA bedeuten. Dieser schen Fähigkeit, mit wirtschaftlichen Mit- ist zweifellos sinnvoll, wenn das ameri- teln Europas Gefolgschaft in den Macht- kanische Vorgehen mit eigenen Interessen konflikten mit Russland und China zu übereinstimmt. Angebracht kann er auch erzwingen. Ohne den Euro als Reserve- dann sein, wenn die Interessen nicht völlig währung neben dem Dollar wird es wohl divergieren und Aussicht besteht, die keine finanzielle Souveränität geben amerikanische Politik im eigenen Sinne können. Doch dazu müssten die Anleger zu beeinflussen. Vertrauen in die Stabilität des Euro haben. Vor allem mit Blick auf die Beziehungen Das wiederum würde die Ausgabe von zu China stellt sich den Europäern die Eurobonds erfordern, ein Schritt, den Frage, ob sie einen Schulterschluss mit den Deutschland wegen der Haftungsrisiken USA praktizieren sollen, wie weit er gehen bislang nicht gehen wollte. Entwickelt sich soll und welche Kosten sie zu tragen bereit der Euro zur Reservewährung mit wach- wären. Chinas Aufstieg berührt die USA sender Nachfrage, dürften sich auch die und Europa in unterschiedlichem Maße, so Exporte aus der Eurozone verteuern. Die dass auch die Bedrohungswahrnehmungen bisher voneinander abweichen. Wie soll SWP-Aktuell 57 Oktober 2018 7
sich Deutschland verhalten, wenn es nicht nur darum geht, mehr Lasten in der Nato zu übernehmen, sondern wenn die USA in Asien militärische Beiträge in der Auseinan- dersetzung mit China einfordern sollten? Ist es in deutschem Interesse, sich als abhängi- ge Macht in die amerikanische Globalstra- tegie einbinden zu lassen? Die USA mögen zwar die amerikanische Sicherheitszusage als Hebel einsetzen, um die europäischen © Stiftung Wissenschaft Verbündeten auf Linie zu bringen. Doch und Politik, 2018 zumindest für Deutschland und jene Nato- Alle Rechte vorbehalten Staaten, die Russland nicht direkt fürchten müssen, wird dieser Hebel eher kraftlos Das Aktuell gibt die bleiben. Auffassung des Autors wieder. Gefolgschaft gegenüber den USA mag in gewissem Maße im Interesse europäischer In der Online-Version dieser Staaten liegen. Allerdings könnte eine ver- Publikation sind Verweise schärfte Großmachtrivalität einschneidende auf SWP-Schriften und Konsequenzen für Deutschland und andere wichtige Quellen anklickbar. europäische Staaten haben. Deshalb ist es SWP-Aktuells werden intern im Sinne der Risikoabsicherung vernünftig, einem Begutachtungsverfah- sich zumindest die Fähigkeit zu einer eige- ren, einem Faktencheck und nen, von den USA losgelösten Politik gegen- einem Lektorat unterzogen. über Russland und China zu verschaffen. Weitere Informationen zur Qualitätssicherung der SWP finden Sie auf der SWP- Website unter https://www. Fazit swp-berlin.org/ueber-uns/ qualitaetssicherung/ Viel wird gegenwärtig über den Zerfall der liberalen, regelbasierten internationalen SWP Stiftung Wissenschaft und Ordnung diskutiert, oft in einer ahistori- Politik schen, verklärenden Sicht der Vergangen- Deutsches Institut für heit. Noch wird wenig darüber nachge- Internationale Politik und dacht, wie in der Zeit neuer Großmacht- Sicherheit konflikte Sicherheit und Frieden mit Hilfe neuer Spielregeln gewährleistet werden Ludwigkirchplatz 3–4 10719 Berlin können. Auch wird deutsche Außenpolitik Telefon +49 30 880 07-0 sich verstärkt die Frage stellen müssen, Fax +49 30 880 07-100 ob, in welchem Maße und unter welchen www.swp-berlin.org Bedingungen sie die USA in der Macht- swp@swp-berlin.org rivalität mit Russland und im Hegemonial- ISSN 1611-6364 konflikt mit China unterstützen soll. Dr. Peter Rudolf ist Senior Fellow der Forschungsgruppe Amerika. SWP-Aktuell 57 Oktober 2018 8
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