Nicht allein Trump ist das Problem - Zum Umgang Deutschlands mit den USA

Die Seite wird erstellt Niklas-Maximilian Langer
 
WEITER LESEN
Nicht allein Trump ist das Problem - Zum Umgang Deutschlands mit den USA
NR. 57 OKTOBER 2018                         Einleitung

Nicht allein Trump ist das Problem –
Zum Umgang Deutschlands mit den USA
Peter Rudolf

Donalds Trumps Politik des »America First« untergräbt die Grundlagen der traditio-
nellen amerikanischen Führungsrolle. Innenpolitisch mag Trump nach den Zwischen-
wahlen im November 2018 unter Druck geraten, sollten die Demokraten die Mehrheit
zumindest in einem der beiden Häuser des Kongresses erlangen. Doch dies würde
an den unilateralen Tendenzen der gegenwärtigen US-Außenpolitik und an der immer
härteren Gangart gegenüber Moskau und Peking kaum etwas ändern. Wie lange
Trump auch Präsident bleiben mag – sicher ist nur, dass die außenpolitische Debatte
in den USA in Bewegung geraten ist. Das Nachdenken über den strategischen reflek-
tierten Umgang mit den Vereinigten Staaten bleibt daher eine zentrale Herausforde-
rung für die deutsche Außenpolitik. Dies gilt nicht zuletzt mit Blick auf den ameri-
kanisch-chinesischen Machtkonflikt und transatlantische Verwerfungen, die sich
daraus ergeben könnten.

Donald Trump ist der erste Präsident der         immer wieder gesagt. Auf jeden Fall will er,
USA seit 80 Jahren, der aus dem breiten          wie der amerikanische Wissenschaftler und
außenpolitischen Konsens des Landes aus-         Kolumnist Walter Russell Mead argumen-
bricht. Lange war man sich in der amerika-       tiert, die internationalen Beziehungen zu-
nischen Außenpolitik einig, dass den USA         gunsten der Vereinigten Staaten verändern
die Rolle eines »liberalen« Hegemons zu-         und das Machtgefälle zwischen ihnen und
komme, der nicht nur nationale Interessen        anderen Staaten dafür einsetzen, das rela-
verfolge, sondern die Stabilität des inter-      tive Kosten-Nutzen-Verhältnis zum Vorteil
nationalen Systems garantiere und öffent-        der USA zu verschieben. Internationale
liche Güter bereitstelle. Es lässt sich nur      Politik ist für die USA unter Trump die
spekulieren, ob Trump wirklich, und sei es       Arena ungezügelter Machtrivalitäten, in der
bloß instinktiv, eine einigermaßen kohä-         Staaten rigoros ihre Interessen verfolgen –
rente Vorstellung von der außenpolitischen       frei von der Illusion, es gäbe so etwas wie
Rolle der USA hat. Dass Trump das be-            eine internationale Gemeinschaft.
stehende internationale Handelssystem und
die überkommenen Bündnisbeziehungen
für schädlich hält, hat er seit fast 30 Jahren
Wandel und Beharrung                            Barack Obama einmal bezeichnet hat, näm-
                                                                 lich in der Neigung zum Einsatz militäri-
                 Bislang hat Trump – zumindest auf der           scher Gewalt. Trump scheint an begrenzten
                 ideologischen Ebene – all jene Lügen            Militärschlägen als Ausdruck der Entschlos-
                 gestraft, die gehofft hatten, er werde sich     senheit Gefallen gefunden zu haben. Das
                 dem überkommenen Konsens zur inter-             zeigen nicht nur die Angriffe auf Syrien,
                 nationalen Rolle der USA anschließen. In        sondern auch die Fortsetzung des Drohnen-
                 einigen Bereichen hat er beträchtliche          krieges mit offenbar größerem Spielraum
                 destruktive Energie entfaltet, sei es in der    für Militär und Geheimdienst. Waren frü-
                 Klima- und der Iranpolitik, sei es in der       here US-Administrationen noch bemüht,
                 Außenwirtschaftspolitik, welche die Domi-       den Einsatz militärischer Gewalt – mit
                 nanz der USA auf dem Weltmarkt wieder-          welch fragwürdigen Argumenten auch
                 herstellen will. Menschenrechte spielen in      immer – völkerrechtlich zu legitimieren,
                 der amerikanischen Außenpolitik allenfalls      verzichtete die Trump-Administration im
                 gegenüber Staaten eine Rolle, die wie Iran      Falle Syriens völlig darauf. Ungeachtet völ-
                 als Gegner gelten. Ansonsten bewegt sich        kerrechtlicher und verfassungsrechtlicher
                 die Außenpolitik der USA für Trump in           Zweifel an seinem Vorgehen in Syrien fand
                 einer, wie es einmal genannt wurde, »post-      Trump innenpolitisch damit Zustimmung
                 human rights world«, in der Beziehungen         auch unter jenen, die seiner Außenpolitik
                 rein nach strategischen und ökonomischen        ansonsten sehr kritisch gegenüberstehen.
                 Interessen gepflegt werden, ohne dass           Sollte Trump künftig interventionistischer
                 Menschenrechtserwägungen dem entgegen-          handeln, als es seine Rede im Wahlkampf
                 stehen.                                         vermuten ließ, würde er nur einem Muster
                    Trump agiert jedoch in einem institu-        folgen, das sich seit Beginn des 20. Jahr-
                 tionellen Kontext, in dem die traditionelle     hunderts erkennen lässt.
                 strategische Orientierung tief verankert ist.
                 Ihr zufolge sollen die militärische Vorherr-
                 schaft, die amerikanische Führungsrolle         Großmachtrivalitäten als neues
                 und die bestehenden Bündnissysteme be-          Paradigma
                 wahrt werden. Für einen großen außen-
                 politischen Kurswechsel bedarf es eines         Was auch immer Trump will – die Insti-
                 steten fokussierten Durchsetzungswillens        tutionen des »nationalen Sicherheitsstaats«,
                 und wohl eines »strategischen Schocks«,         also Verteidigungsministerium, Geheim-
                 der die geronnenen außenpolitischen Vor-        dienste und Außenministerium, haben sich
                 stellungen obsolet erscheinen lässt.            längst auf die Ära neuer Großmachtrivali-
                    Noch verläuft vieles entlang der bisheri-    täten eingestellt: die Machtkonkurrenz mit
                 gen Linien, vor allem im militärischen          einem aufsteigenden China und einem
                 Bereich. So gehen trotz Trumps Bündnis-         wiedererstarkenden Russland (siehe SWP-
                 skepsis die unter der Rubrik Reassurance        Studie 6/2018). Ob man die Großmachtkon-
                 and Deterrence eingeleiteten Initiativen der    flikte eher in geopolitischen oder ideologi-
                 Nato weiter. Waffenexporte in die Ukraine       schen Kategorien interpretiert – momen-
                 hatte der Kongress schon 2014 mit dem           tan scheint gewiss, dass diese Konfliktlinien
                 Ukrainian Freedom Support Act erlaubt,          die US-Außenpolitik in hohem Maße be-
                 doch Präsident Obama hielt sich weitgehend      stimmen werden.
                 zurück und »tödliche« Rüstungsgüter, wie           Die amerikanische Russlandpolitik geht
                 es denn heißt, wurden nicht geliefert. Unter    in Richtung eines »Neo-Containment«.
                 Trump wurde diese Linie mit der Lieferung       Präsident Trump brachte keine Personen in
                 von Panzerabwehrraketen überschritten.          wichtige Positionen, die seine Vorstellun-
                    In einem Punkt konvergiert Trumps            gen von einer Annäherung im Verhältnis
                 Vorliebe für die Demonstration von Stärke       zu Russland teilen. Offenbar beeinflusst
                 mit dem »Washingtoner Drehbuch«, wie es         von Henry Kissinger, wollte Trump wie

SWP-Aktuell 57
Oktober 2018

2
einst Nixon die »China-Karte« jetzt die        Russland faktisch vom internationalen
»Russland-Karte« im geopolitischen Macht-      Kapitalmarkt auszuschließen. Ferner ver-
poker ausspielen und Russland auf die          hängten die USA wegen des Nervengift-
Seite der USA im Konflikt mit China ziehen.    anschlags auf den ehemaligen russischen
Die russische Einmischung in den ameri-        Spion Sergei Skripal in Großbritannien
kanischen Präsidentschaftswahlkampf hat        Ende August 2018 Sanktionen, wie dies ein
den für Entspannung in den amerikanisch-       Gesetz aus dem Jahre 1991 vorsieht, das
russischen Beziehungen ohnehin engen           den Einsatz chemischer und biologischer
Handlungsspielraum des Präsidenten indes       Kampfstoffe mit Strafen belegt. Diese Sank-
vollends schrumpfen lassen. Die Demokra-       tionen verwehren Russland den Zugang zu
ten im Kongress sind – ob aus Empörung         amerikanischen Hochtechnologieproduk-
oder Kalkül – auf eine harte Linie in der      ten. Schließlich wird auch diskutiert, mit
Russlandpolitik eingeschwenkt und ver-         Hilfe von Sanktionen den Verkauf russi-
suchen, die »russische Bedrohung« innen-       scher Staatsanleihen zu unterbinden und
politisch zu nutzen. Mehr als die Hälfte der   den Bau der Gaspipeline Nord Stream 2 zu
Bevölkerung in den USA sieht Russlands         vereiteln. Sowohl die Administration als
Macht und Einfluss als Bedrohung für das       auch die Mehrheit des Kongresses möchten
amerikanische Wohlergehen. Das Image           dieses Projekt gerne verhindern. Die USA
Russlands erreichte im Februar 2018 den        haben, wie es die amerikanische Zeitschrift
Tiefststand der letzten 30 Jahre: 72 Prozent   Newsweek auf den Punkt brachte, Russland
der Bürger in den USA hatten eine »»un-        den »Wirtschaftskrieg« erklärt.
vorteilhafte« Sicht auf Russland. Dazu hat        Die große Konfliktlinie ist indes die
die russische Einmischung in den amerika-      Machtrivalität mit China. Hier verbindet
nischen Wahlkampf beigetragen, die in          sich die geopolitische Herausforderung, die
einer mitunter hysterisch anmutenden           vor allem Sicherheitspolitiker betonen, mit
Debatte zu einer Art »zweites Pearl Harbor«    überparteilicher Entrüstung wegen Chinas
stilisiert wird.                               wirtschaftlicher Praktiken. Die Töne, die
    Vor allem auf Initiative des Kongresses    etwa Senator Bernie Sanders in dieser Frage
wird das Netz der Sanktionen gegen Russ-       anschlägt, unterscheiden sich nicht sehr
land immer engmaschiger. Der Countering        von denen Trumps. Auch in der Chinapoli-
America’s Adversaries Through Sanctions        tik ist der Kongress ein Faktor, der – und
Act vom August 2017 kodifizierte einige        das gilt für beide Parteien – die harte Linie
bestehende Sanktionen und erhöhte den          der Administration eher unterstützt und
Druck auf Trump, schärfere Sanktionen zu       verstärkt als mäßigt.
verhängen. Zudem schuf der Kongress ein           In seiner Rede zur Chinapolitik vom
Überprüfungsverfahren, das ihm Mitspra-        4. Oktober 2018 hat Vizepräsident Mike
che bei Aufhebung oder Aussetzung der          Pence die Sicht der Trump-Administration
Sanktionen sicherte. Wie andere Sanktions-     dargelegt. Ihr zufolge soll der machtpoliti-
gesetze auch war es von einer breiten über-    sche und ideologische Konflikt mit einem
parteilichen Mehrheit getragen und wurde       expansiven und autoritären China offensiv
sogar fast ohne Gegenstimmen verabschie-       ausgetragen und die Beziehung zwischen
det. Nolens volens unterschrieb Trump das      beiden Ländern im Sinne des »America
Gesetz mit einigen Vorbehalten. Mitte Sep-     First« neu gestaltet werden (»to re-set Ameri-
tember 2018 erließ er eine Exekutivverord-     ca’s economic and strategic relationship, to
nung, mit der er die russische Einmischung     finally put America first«). Das Verteidi-
in den Wahlkampf zum nationalen Notfall        gungsministerium richtet Planungen und
(national emergency) erklärte, und verhäng-    Haushalt auf die Machtrivalität mit China
te eine Reihe von Sanktionen. Im Kongress      aus. So dient die Aufstockung des Verteidi-
ist überdies der Defending American Secu-      gungshaushalts zu einem Gutteil dazu,
rity From Kremlin Aggression Act anhängig,     Waffensysteme zu beschaffen, die in einem
der nichts Geringeres zum Ziel hat, als        militärischen Konflikt mit China gebraucht

                                                                                                SWP-Aktuell 57
                                                                                                 Oktober 2018

                                                                                                            3
würden. Und der im August 2018 in Kraft         stimmte Position der USA und Europas ab,
                 getretene Export Control Reform Act of          erhöht dies das Verhandlungsgewicht.
                 2018 autorisiert Exportkontrollen für noch      Wie Larry Kudlow, der Wirtschaftsberater
                 näher zu bestimmende neue Technologien,         des amerikanischen Präsidenten, verlauten
                 die als kritisch für die nationale Sicherheit   ließ, möchte die Trump-Administration
                 der USA gelten, aber den bestehenden Kon-       eine Koalition der Willigen zusammen-
                 trollen noch nicht unterliegen. Hauptziel       bringen, um eine gemeinsame Front gegen
                 verschärfter Exportkontrollen ist China.        China zu formieren.
                     Für die USA stellt sich mit Blick auf          Nur ist es fraglich, ob chinesische Zuge-
                 China eine ungewohnte Herausforderung:          ständnisse Trump beschwichtigen können,
                 Wie geht man mit einem strategischen            wenn sein Ziel vielleicht längst die wirt-
                 Rivalen um, mit dem man wirtschaftlich          schaftliche Eindämmung und technologi-
                 eng verbunden ist? Insofern erstreckt sich      sche Schwächung des globalen Rivalen ist.
                 die Gestaltung wirtschaftlicher Beziehun-       Manche in der Administration, etwa Peter
                 gen nicht nur auf die Verteilung der Wohl-      Navarro, Trumps Berater in Handelsfragen
                 fahrtsgewinne, sondern zunehmend auf            und Direktor des Nationalen Handelsrats,
                 Sicherheitsfragen. In den wirtschaftlichen      aber wohl auch einige im Pentagon und
                 Beziehungen dürfte daher das Problem der        im Nationalen Sicherheitsrat scheinen die
                 relativen Gewinne eine Rolle spielen. Vor       USA wirtschaftlich so weit wie möglich von
                 allem stellt sich die Frage, wie sich in der    China abkoppeln zu wollen. Davon erhof-
                 militärisch sensiblen Konkurrenz im Hoch-       fen sie sich, die wirtschaftlich-technologi-
                 technologiebereich der amerikanische Vor-       sche und damit auch sicherheitspolitische
                 sprung sichern lässt, etwa durch ein Export-    Verwundbarkeit zu reduzieren, die aus der
                 kontrollsystem, das mit den Verbündeten         Interdependenz entstanden ist. Aus Sicht
                 abgestimmt wird.                                der »Falken« in Washington ist China die
                     Gelegentlich wird die These vertreten,      große Bedrohung für die industriellen
                 die USA hätten nur geringe Aussichten,          Grundlagen der USA. In dieser Perspektive
                 sicherheitspolitisch motivierte Handels-        sind wirtschaftliche und nationale Sicher-
                 und Technologierestriktionen erfolgreich        heit untrennbar.
                 gegenüber China einzusetzen. Bei Hoch-             Europa kann den amerikanisch-chine-
                 technologiegütern könne China leicht in         sischen Konflikt nicht nennenswert beein-
                 Europa andere Lieferanten finden. Wer           flussen. Seine Konsequenzen können je-
                 dieser Auffassung anhängt, ignoriert jedoch,    doch dramatisch sein, wenn die wirtschaft-
                 dass die USA aufgrund der extraterritoria-      liche Verflechtung zwischen USA und
                 len Reichweite ihres Exportkontrollsystems      China sich auflöst, wirtschaftliche Blöcke
                 und ihrer Sanktionsgesetze in der Lage sind,    oder geschlossene wirtschaftliche Räume
                 europäische Firmen vor die Wahl zwischen        entstehen und ein Prozess ökonomischer
                 dem amerikanischen und dem chinesischen         De-Globalisierung einsetzt.
                 Markt zu stellen. Müssten europäische
                 Firmen bei einer Verschärfung des ameri-
                 kanisch-chinesischen Konflikts eine solche      Ungewissheiten und
                 Wahl treffen, hätte dies weitaus gravieren-     Unwägbarkeiten
                 dere Konsequenzen als im Fall Irans. China
                 ist nach den USA der wichtigste Handels-        Deutschland muss sich auf diese Konflikt-
                 partner Europas.                                strukturen, ihre Risiken und Kosten ebenso
                     Es ist sicher sinnvoll und in Europas       einstellen wie auf Ungewissheiten über den
                 Interesse, die USA bei berechtigten Forde-      längerfristigen Kurs amerikanischer Außen-
                 rungen gegenüber China zu unterstützen,         politik. Weiterhin ist eine unberechenbare
                 gerade was den »erzwungenen Technologie-        Politik der USA zu erwarten. Das Kalkül
                 transfer« bei ausländischen Investitionen in    scheint zu sein, auf diese Weise Unsicher-
                 China angeht. Zeichnet sich eine abge-          heit in die Beziehungen hineinzubringen,

SWP-Aktuell 57
Oktober 2018

4
die zum eigenen Vorteil genutzt werden              In der Demokratischen Partei wird, wie
soll.                                           bereits absehbar, nach der Zwischenwahl
   Gewiss kann man darauf hoffen, dass          der Anteil »linker« progressiver Abgeordne-
nach der Präsidentschaft Trumps an bessere      ter im Repräsentantenhaus ansteigen. Zur-
Zeiten in den transatlantischen Beziehun-       zeit lässt sich allenfalls darüber spekulie-
gen angeknüpft werden kann, und daher           ren, wie sich die außenpolitischen Vorstel-
befürworten, dass Europa auch um den            lungen dieser erstarkenden Minderheit
Preis der Beschwichtigung möglichst viel an     entwickeln und wie sehr sie die eher inter-
Kooperation »hinüberretten« sollte. Doch        ventionskritische Stimmung der demokra-
Trump steht mit seinen außenpolitischen         tischen Wählerbasis aufnehmen. Das gilt
Vorstellungen in der Tradition von Ideen,       auch für die Frage, ob sich in den nächsten
die im amerikanischen Diskurs lange rand-       Jahren gar eine Art Gegenkoalition aus
ständig, in Präsidentschafts(vor)wahlkämp-      linken Demokraten und libertären Republi-
fen der letzten Jahrzehnte aber durchaus        kanern zum traditionellen »Establishment«-
(in Gestalt des Kandidaten Pat Buchanan)        Konsens formen könnte.
vertreten waren. Trump findet mit seinen            Donald Trump hat jedenfalls den Diskurs
Vorstellungen zu Handel und Einwande-           über die grundlegende strategische Orien-
rung und seiner Skepsis gegenüber Bünd-         tierung geöffnet. Verfolgt man die Diskus-
nisverpflichtungen beträchtliche Resonanz       sionen in neu gegründeten Zeitschriften
und nur wenig Widerstand in seiner Partei.      wie American Affairs und American Great-
Etwas verfrüht scheint es allerdings, wie der   ness, aber auch in älteren wie The Ameri-
amerikanische Politikberater und Publizist      can Conservative oder The National Interest,
Robert Kagan festzustellen, dass »America       dann zeigt sich eines: Gerade jüngere
First« gewonnen habe.                           Konservative versuchen dem Trumpismus,
   Aber die außenpolitische Debatte in den      dieser Mischung aus Nationalismus und
USA ist in Bewegung geraten. Abzuwarten         Populismus, eine intellektuelle Grundlage
bleibt, wie sehr die Republikanische Partei     auch für die Zeit nach Trump zu geben und
sich vom traditionellen Konservativismus        beschränken sich dabei nicht auf die Innen-
entfernen und zu einer Partei des populisti-    und Wirtschaftspolitik. Diese Versuche, die
schen Nationalismus werden wird. Erstaun-       globalisierungs-, allianz- und interventions-
lich ist, wie weit die Republikaner im          kritischen Impulse zu einem Neuentwurf
Kongress unter Trump von traditionellen,        republikanischer Außenpolitik zu bündeln,
orthodoxen republikanischen Vorstellun-         verdienen aufmerksame Beobachtung. Das
gen abgewichen sind. Hohe Staatsausgaben        alte außenpolitische (neo-)konservative
und ein wachsendes Haushaltsdefizit             Establishment der Republikanischen Partei
scheinen kein Problem mehr zu sein, die         ist marginalisiert und im inneren Exil. Am
Wende zu einer eher protektionistischen         Ende einer möglichen zweiten Amtszeit
Handelspolitik ebenso wenig. Zahlreiche         Trumps werden viele einst tonangebende
traditionelle Republikaner werden im            Republikaner im Rentenalter sein.
nächsten Kongress nicht mehr vertreten              Nicht länger geht es im außenpolitischen
sein, weil sie bei den Wahlen nicht mehr        Diskurs der USA vorrangig darum, wie die
antreten, darunter erfahrene Außenpoliti-       Strategie liberaler Hegemonie operativ
ker wie der Vorsitzende des Auswärtigen         umgesetzt wird, so wie es tendenziell lange
Senatsausschusses, Bob Corker. Führende         der Fall in Washington war. Doch was sich
außenpolitische Köpfe der Republikaner im       derzeit unter Trump abzeichnet, ist nicht
nächsten Kongress werden »America First«-       die »grand strategy« der »Zurückhaltung«,
Falken wie Tom Cotton, Marco Rubio und          wie sie von akademischen Experten immer
Lindsey Graham sein, die eher wenig von         wieder in die Diskussion eingebracht wur-
Diplomatie, aber viel von Militärschlägen       de, sondern, wie der Politikwissenschaftler
halten.                                         Barry Posen es bezeichnete, eher »Hege-
                                                monie ohne Liberalismus«. Die USA unter

                                                                                                SWP-Aktuell 57
                                                                                                 Oktober 2018

                                                                                                            5
Trump wollen Vormacht bleiben – und            den sind. Ein solches Beziehungsgeflecht
                 wegen ihrer materiellen wirtschaftlichen       bietet Möglichkeiten, eigene Positionen in
                 und militärischen Ressourcen werden sie        den amerikanischen Politikprozess einzu-
                 noch auf längere Zeit der mächtigste Staat     speisen und Verhandlungsmacht über die
                 sein. Ob man in einigen Jahren noch von        Verknüpfung unterschiedlicher Themen
                 amerikanischer Hegemonie im liberalen          aufzubauen.
                 Sinne sprechen kann, ist fraglich. Denn           Nach allem, was bislang unter Trump zu
                 eine solche setzt die Gefolgschaft anderer     beobachten war, muss in Betracht gezogen
                 Staaten voraus, welche die Führungsrolle       werden, dass die transatlantischen Bezie-
                 als legitim anerkennen. Im westlichen          hungen erodieren, die amerikanischen
                 System war das über Jahrzehnte ungeachtet      Sicherheitsgarantien an Glaubwürdigkeit
                 aller Konflikte im Großen und Ganzen der       verlieren und die Wirtschaftsbeziehungen
                 Fall. Eine gemeinsame Wertebasis, die          lockerer werden. Für Europa stellt sich
                 Bereitschaft der Führungsmacht zu multi-       zudem die Frage, wie sehr es zum Objekt
                 lateralen Entscheidungsprozessen, Zurück-      des Ringens der drei Großmächte um geo-
                 haltung bei der einseitigen Durchsetzung       politischen Einfluss wird und wie es seine
                 nationaler Interessen und schließlich die      Gestaltungsfähigkeit behaupten kann.
                 Bereitstellung öffentlicher Güter – all dies   Antworten darauf erscheinen umso dring-
                 sind Voraussetzungen dafür, dass ein hege-     licher in einer Situation, in der man sich
                 monialer Anspruch als legitim akzeptiert       nicht mehr sicher sein kann, ob die USA
                 wird.                                          unter Trump Europa als eigenständigen
                    Man sollte die amerikanische Hege-          Akteur schwächen oder gar zerstören
                 monialrolle mit ihren unilateralen Ten-        wollen, um die transatlantischen Beziehun-
                 denzen und die vielbeschworene liberale        gen in bilaterale Abmachungen zu verwan-
                 internationale Ordnung nicht nostalgisch       deln und so die Machtasymmetrie voll zu
                 verklären und ihr Gewaltpotential nicht        ihren Gunsten zu nutzen. Geopolitisch
                 ausblenden. Doch die gegenwärtige Abkehr       ergibt das einen gewissen Sinn, wenn man
                 der USA von dieser Rolle und die gleich-       die Weltsicht zugrunde legt, dass die USA
                 zeitige Zuspitzung von Großmachtrivalitä-      ihre überlegene Macht in der Ära neuer
                 ten verbinden sich zu einem gravierenden       Großmachtrivalitäten sichern müssen, vor
                 Wandel in der internationalen Politik.         allem mit Blick auf den sich abzeichnenden
                                                                Weltführungskonflikt mit China. Man
                                                                stelle sich eine Situation vor, in der eine
                 Strategische Risikoabsicherung                 einträchtige EU sich in diesem Konflikt dem
                                                                Schulterschluss mit den USA entzöge.
                 Weitgehend herrscht Einigkeit darüber,            In einer Zeit der Ungewissheit über den
                 dass es im deutschen Interesse liegt, wäh-     Kurs der US-Außenpolitik und des Wandels
                 rend einer Zeit des Umbruchs und der           im internationalen System ist es für Deutsch-
                 Unsicherheit möglichst kooperative trans-      land vernünftig, im europäischen Verbund
                 atlantische Beziehungen zu bewahren. Die       eine Politik der strategischen Risikoabsiche-
                 Beziehungen zwischen Europa und den            rung zu entwickeln und die eigenen außen-
                 USA ähneln stark dem Idealtyp »komplexer       politischen Handlungsmöglichkeiten zu
                 Interdependenz« (der Begriff stammt von        erweitern. Dieser Logik folgen die gegen-
                 Robert Keohane und Joseph Nye). Gemeint        wärtigen Berliner Überlegungen zu einer
                 ist damit ein Geflecht, in dem nicht Fragen    USA-Strategie und zur Stärkung der »euro-
                 militärischer Sicherheit dominieren,           päischen Autonomie«.
                 sondern vielerlei Themen auf der Agenda           Solange jedoch die Prämisse unhinter-
                 stehen, und in dem die Staaten durch           fragt bleibt, dass die USA für die europäi-
                 mannigfaltige transgouvernementale und         sche Sicherheit unentbehrlich sind, prägt
                 die Gesellschaften durch ein dichtes Netz-     schon mental eine Asymmetrie die trans-
                 werk transnationaler Beziehungen verbun-       atlantischen Beziehungen und konter-

SWP-Aktuell 57
Oktober 2018

6
kariert das Ziel »souveränes Europa«. Das     Auswirkungen bekäme besonders die
Ziel »strategische Autonomie« kann noch so    exportorientierte Wirtschaft zu spüren.
oft beschworen werden, aber es wird sie           Auch wenn strategische Autonomie
nicht geben, solange der nukleare Schutz-     allenfalls langfristig näherungsweise zu
schirm der USA als notwendig gilt. Zudem      verwirklichen wäre, lassen sich im Hier und
setzen Polen und die baltischen Staaten       Heute aus der Maxime strategischer Risiko-
unbeirrt weiter auf die USA; die »strategi-   absicherung einige Folgerungen für den
sche Autonomie« Europas weckt dort eher       Umgang mit den USA ableiten. Strategische
Furcht als Hoffnung. Gewiss kann man im       Risikoabsicherung kann je nach Konflikt-
vorherrschenden sicherheitspolitischen        und Interessenkonstellation in eine Politik
Denken verharren und davon absehen, die       wirtschaftlicher und diplomatischer Gegen-
Notwendigkeit nuklearer Abschreckung          machtbildung münden. Solche Initiativen
grundsätzlich in Frage zu stellen. Wenn       werden als »soft balancing« bezeichnet.
man diese Haltung einnimmt, würde stra-       Eine Form wäre die Nutzung internationa-
tegische Autonomie bedeuten, sich über        ler Institutionen, um amerikanische Macht-
die Weiterentwicklung der französischen       ausübung zu beschränken oder sie zumin-
Atomstreitmacht (Force de Frappe) im Sinne    dest zu beinflussen. Eine andere Form kann
einer europäischen Abschreckung Gedan-        darin bestehen, amerikanischem Handeln
ken zu machen.                                oder bestimmten Politikkonzepten der USA
   Europa mag vielleicht Schritte in Rich-    internationale Legitimität zu verweigern.
tung finanzieller Souveränität unterneh-      Die Trump-Administration mag sich um
men, um sich nicht länger dem sogenann-       internationale Zustimmung wenig scheren.
ten Dollar-Unilateralismus unterordnen zu     Sollte Trump aber in den Präsidentschafts-
müssen. Womöglich gelingt es Europa           wahlen 2020 einem starken demokrati-
auch, über neue, vom Dollar unabhängige       schen Rivalen gegenüberstehen, könnte der
Zahlungskanäle zumindest manche Unter-        Ansehens- und Vertrauensverlust der USA
nehmen dem Zugriff der amerikanischen         im Wahlkampf nicht ohne Bedeutung sein.
Sanktionsgesetze zu entziehen. Nur werden     Soft balancing kann schließlich auch
die USA dieser Entwicklung wohl kaum          heißen, eine eigenständige faktensetzende
tatenlos zuschauen, so sie sich denn über-    internationale Führungsleistung in jenen
haupt realisieren ließe und nennenswert       Politikfeldern zu erbringen, in denen die
zur Aufrechterhaltung von Handelsbezie-       USA eher blockieren als initiieren.
hungen mit dem Iran beitrüge. Schließlich         Strategische Risikoabsicherung kann
geht es im Falle Irans unausgesprochen        aber auch den Schulterschluss (band-
auch um die Demonstration der amerikani-      wagoning) mit den USA bedeuten. Dieser
schen Fähigkeit, mit wirtschaftlichen Mit-    ist zweifellos sinnvoll, wenn das ameri-
teln Europas Gefolgschaft in den Macht-       kanische Vorgehen mit eigenen Interessen
konflikten mit Russland und China zu          übereinstimmt. Angebracht kann er auch
erzwingen. Ohne den Euro als Reserve-         dann sein, wenn die Interessen nicht völlig
währung neben dem Dollar wird es wohl         divergieren und Aussicht besteht, die
keine finanzielle Souveränität geben          amerikanische Politik im eigenen Sinne
können. Doch dazu müssten die Anleger         zu beeinflussen.
Vertrauen in die Stabilität des Euro haben.       Vor allem mit Blick auf die Beziehungen
Das wiederum würde die Ausgabe von            zu China stellt sich den Europäern die
Eurobonds erfordern, ein Schritt, den         Frage, ob sie einen Schulterschluss mit den
Deutschland wegen der Haftungsrisiken         USA praktizieren sollen, wie weit er gehen
bislang nicht gehen wollte. Entwickelt sich   soll und welche Kosten sie zu tragen bereit
der Euro zur Reservewährung mit wach-         wären. Chinas Aufstieg berührt die USA
sender Nachfrage, dürften sich auch die       und Europa in unterschiedlichem Maße, so
Exporte aus der Eurozone verteuern. Die       dass auch die Bedrohungswahrnehmungen
                                              bisher voneinander abweichen. Wie soll

                                                                                            SWP-Aktuell 57
                                                                                             Oktober 2018

                                                                                                        7
sich Deutschland verhalten, wenn es nicht
                               nur darum geht, mehr Lasten in der Nato
                               zu übernehmen, sondern wenn die USA in
                               Asien militärische Beiträge in der Auseinan-
                               dersetzung mit China einfordern sollten? Ist
                               es in deutschem Interesse, sich als abhängi-
                               ge Macht in die amerikanische Globalstra-
                               tegie einbinden zu lassen? Die USA mögen
                               zwar die amerikanische Sicherheitszusage
                               als Hebel einsetzen, um die europäischen
© Stiftung Wissenschaft        Verbündeten auf Linie zu bringen. Doch
und Politik, 2018              zumindest für Deutschland und jene Nato-
Alle Rechte vorbehalten        Staaten, die Russland nicht direkt fürchten
                               müssen, wird dieser Hebel eher kraftlos
Das Aktuell gibt die
                               bleiben.
Auffassung des Autors
wieder.                           Gefolgschaft gegenüber den USA mag in
                               gewissem Maße im Interesse europäischer
In der Online-Version dieser   Staaten liegen. Allerdings könnte eine ver-
Publikation sind Verweise      schärfte Großmachtrivalität einschneidende
auf SWP-Schriften und
                               Konsequenzen für Deutschland und andere
wichtige Quellen anklickbar.
                               europäische Staaten haben. Deshalb ist es
SWP-Aktuells werden intern     im Sinne der Risikoabsicherung vernünftig,
einem Begutachtungsverfah-     sich zumindest die Fähigkeit zu einer eige-
ren, einem Faktencheck und     nen, von den USA losgelösten Politik gegen-
einem Lektorat unterzogen.     über Russland und China zu verschaffen.
Weitere Informationen
zur Qualitätssicherung der
SWP finden Sie auf der SWP-
Website unter https://www.     Fazit
swp-berlin.org/ueber-uns/
qualitaetssicherung/           Viel wird gegenwärtig über den Zerfall der
                               liberalen, regelbasierten internationalen
SWP
Stiftung Wissenschaft und
                               Ordnung diskutiert, oft in einer ahistori-
Politik                        schen, verklärenden Sicht der Vergangen-
Deutsches Institut für         heit. Noch wird wenig darüber nachge-
Internationale Politik und     dacht, wie in der Zeit neuer Großmacht-
Sicherheit                     konflikte Sicherheit und Frieden mit Hilfe
                               neuer Spielregeln gewährleistet werden
Ludwigkirchplatz 3–4
10719 Berlin                   können. Auch wird deutsche Außenpolitik
Telefon +49 30 880 07-0        sich verstärkt die Frage stellen müssen,
Fax +49 30 880 07-100          ob, in welchem Maße und unter welchen
www.swp-berlin.org             Bedingungen sie die USA in der Macht-
swp@swp-berlin.org
                               rivalität mit Russland und im Hegemonial-
ISSN 1611-6364
                               konflikt mit China unterstützen soll.

                               Dr. Peter Rudolf ist Senior Fellow der Forschungsgruppe Amerika.

      SWP-Aktuell 57
      Oktober 2018

      8
Sie können auch lesen