(Wieder-)Annäherungen in Nahost - Einleitung - Stiftung Wissenschaft und ...
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NR. 50 JULI 2021 Einleitung (Wieder-)Annäherungen in Nahost Eine konfliktträchtige neue regionale Ordnung gewinnt Kontur Muriel Asseburg / Sarah Ch. Henkel 2020/21 unterzeichnete Israel Abkommen mit vier arabischen Staaten, die internatio- nal als Durchbruch gefeiert wurden. Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt vollzieht sich unterdessen seit 2018 eine Wiederannäherung arabischer Staaten an Syrien. Schließlich beendeten mit dem Treffen des Golfkooperationsrates (GKR) im saudischen Al-Ula im Januar 2021 Ägypten, Bahrain, Saudi-Arabien und die Vereinig- ten Arabischen Emirate (VAE) ihren Boykott Katars. Veränderte Lagebeurteilungen und das Konvergieren von Interessen haben die (Wieder-)Annäherungen ermöglicht. Damit bewegt sich die Region aber nicht auf Frieden und Stabilität zu; langanhaltende Konflikte werden nicht beigelegt, Bedrohungsperzeptionen dritter Akteure verstärkt. Deutschland und seine Partner in der EU sollten sich nicht von lokalen und regio- nalen Konfliktparteien vereinnahmen lassen, sondern Ansätze regionaler Konflikt- bearbeitung unterstützen. In der konfliktgebeutelten Nahostregion sogenannten Abraham Accords auf eine Nor- vollziehen sich derzeit mehrere (Wieder-) malisierung ihrer Beziehungen. Am 22. De- Annäherungsprozesse. Sie werden entschei- zember 2020 unterzeichneten Israel und dend von den arabischen Golfstaaten voran- Marokko, am 6. Januar 2021 Israel und getrieben, insbesondere den VAE, und sind Sudan entsprechende Abkommen. Die vier in erster Linie Symptom der regionalen Übereinkommen sehen die gegenseitige Machtverschiebungen, die aus dem soge- Anerkennung und die Aufnahme diploma- nannten Arabischen Frühling hervorge- tischer Beziehungen vor. gangen sind. Ein weiterer Hintergrund ist Die in den einzelnen Abkommen ange- die wankelmütige US-Politik, die ihren strebte Intensität des Verhältnisses variiert Fokus zunehmend von der Region weg- allerdings deutlich. Dabei knüpfen die Ver- verschoben hat. einbarungen Israels mit den VAE, Bahrain und Marokko an die israelisch-arabische Normalisierung der 1990er Jahre an, die Israelisch-arabische Normalisierung durch den Osloer Friedensprozess zwischen Israel und der PLO ermöglicht worden war, Am 15. September 2020 einigten sich Israel infolge der Zweiten Intifada (2000–2005) und die VAE sowie Israel und Bahrain in den aber massive Rückschläge erlitt. Die Annä-
herung hatte damals, wenn auch in unter- arabischer Staaten persönliche Motive schiedlichem Maße, dazu geführt, dass Trumps und Netanjahus, die sich beide im zwischen Israel und einer Reihe von Golf- Wahlkampf befanden, sowie spezifische und Maghrebstaaten Handel und Tourismus nationale Interessen. möglich und Vertretungen etabliert wurden. Für US-Präsident Trump ging es darum, Erleichtert wurde die Wiederannähe- sich doch noch als Friedensstifter in Nahost rung, weil keiner der drei Staaten bilaterale zu profilieren, nachdem er mit seinem Konflikte mit Israel hatte; auch war keiner sogenannten Jahrhundertdeal zur Regelung von ihnen je wesentlich in Kriege mit Israel des israelisch-palästinensischen Konflikts involviert gewesen. Vor allem Israel und vom Januar 2020 keinen Erfolg erzielen die VAE hatten in den letzten Jahren bereits konnte. Nun wollte er regionale Unterstüt- einen engen geheimdienstlichen, militäri- zung für seine Politik des maximalen schen und zivilen Austausch entwickelt. Drucks auf Iran mobilisieren und durch Dieser wurde mit dem Abkommen nun auf Rüstungsdeals die Wirtschaft der USA eine offizielle Ebene gehoben; er soll weiter stärken. vertieft und um eine gesellschaftliche Dimen- Für Israel stand neben dem Etablieren sion erweitert werden. Insofern lassen sich eines neuen Paradigmas, in dem die paläs- diese Abkommen kaum – wie vom damali- tinensische Führung kein Veto mehr über gen US-Präsidenten Donald Trump – als Israels regionale Beziehungen haben sollte, »Friedensabkommen« qualifizieren, son- der Schulterschluss gegen den Iran an erster dern eher als »Coming out«. Stelle. Zudem setzt Israel darauf, seine wirt- Anders verhält es sich bei dem Abkom- schaftlichen Beziehungen auszuweiten men zwischen Israel und dem Sudan, die und seine Präsenz am Horn von Afrika aus- sich bis dato im Kriegszustand befanden. zubauen. Rüstungslieferungen an die ara- Sudanesische Kontingente kämpften in den bischen Staaten wurden durch Zusagen der Kriegen gegen Israel, und unter Omar al- USA kompensiert, Israels militärische Über- Bashir (1989–2019) pflegte Khartum enge legenheit zu bewahren. Beziehungen zu Gegnern Israels, insbeson- Abu Dhabi ging es vor allem um den dere zum Iran und zur Hamas. Wiederholt Zugang zu modernen Waffensystemen und hatte Israel im Sudan Konvoys aus der Luft die langfristige Bindung der USA durch eine angegriffen, die für die Hamas bestimmte umfangreiche Rüstungskooperation. Die Waffen transportierten. Bei dieser Abma- Trump-Administration sagte den VAE denn chung handelt es sich daher tatsächlich um auch 50 F-35-Kampfflugzeuge und 18 ein Friedensabkommen, das indes noch der Reaper-Drohnen zu. Mitte Januar 2021 hob Umsetzung harrt. sie zudem die VAE und Bahrain als wich- tige Sicherheitspartner der USA hervor. Transaktionale Abkommen Hinzu kamen für die VAE das Interesse an einer Imageverbesserung nach dem Debakel Die Normalisierungsabkommen sind Parade- im Jemen-Krieg und das Bestreben, ihre beispiele für transaktionale Vereinbarun- Wirtschaft zu diversifizieren und das Land gen. Dabei kam der Trump-Administration zu einem Technologie-Hub auszubauen. eine entscheidende Vermittlungsrolle zu. Das Abkommen zwischen Israel und Bah- Sie setzte den Sudan massiv unter Druck rain dagegen ist weniger spezifischen bah- und bot den VAE und Marokko zusätzliche rainischen Interessen zu verdanken, son- Anreize, um die Abkommen attraktiv zu dern eher der saudischen Unterstützung machen. Denn für alle beteiligten Akteure einer engeren Kooperation Bahrains mit standen nicht Frieden oder eine Konflikt- Israel, verfügt Manama gegenüber Riad regelung in Nahost, sondern andere Inter- doch kaum über eigenständigen Entschei- essen im Vordergrund. Eine herausragende dungsspielraum. Rolle spielten neben dem Konvergieren der Für Khartum unter De-facto-Staatspräsi- Bedrohungswahrnehmungen Israels und dent Abdelfattah al-Burhan standen Inter- SWP-Aktuell 50 Juli 2021 2
essen im Vordergrund, die gar nicht auf Is- weisen aber auf den Trump-Plan und legi- rael gerichtet sind. Vielmehr hatte Washing- timieren damit den Anspruch der israeli- ton seine Zusagen, den Sudan von seiner schen Rechten auf Teile des Westjordan- Terrorliste zu streichen und Khartum gegen lands sowie eine dauerhafte, übergeordnete Klagen von Terroropfern zu immunisieren, israelische Kontrolle über Israel und die von einem Normalisierungsabkommen mit besetzten palästinensischen Gebiete. Ein Israel abhängig gemacht. Dies war für die palästinensischer Staat oder konkrete Führung in Khartum entscheidend, denn es Schritte der Konfliktbearbeitung werden ebnete nicht nur den Weg für US-amerika- nicht erwähnt. nische Entwicklungshilfe, sondern half dem Auch ist nicht zu erwarten, dass die Sudan auch, das negative Image des Bashir- arabischen »Normalisierer« nennenswerten Regimes loszuwerden und so wieder an Druck auf Israel ausüben, um auf eine internationale Kredite zu gelangen. Regelung des israelisch-palästinensischen Für Rabat war der Hauptanreiz die US- Konflikts oder der bilateralen Konflikte amerikanische Anerkennung marokka- Israels mit Syrien und dem Libanon hin- nischer Souveränität über die Westsahara zuwirken. Im Gegenteil, die VAE fallen und die Zusage, dass Verhandlungen über sogar hinter europäische Positionen zurück, eine Regelung des Konflikts auf Basis des beispielsweise bei der Differenzierung zwi- marokkanischen Autonomieplans stattfin- schen dem Umgang mit Israel und israe- den sollten. In der Folge eröffneten nicht lischen Siedlungen in besetzten oder annek- nur die USA, sondern auch die VAE, Bah- tierten Gebieten. Schon haben emiratische rain und Jordanien Konsulate in der West- Firmen Abkommen mit Siedlungsfirmen sahara. Hinzu kamen amerikanische Zu- abgeschlossen. Marokko äußert zwar durch- sagen, Drohnen und andere Präzisions- aus Kritik an israelischen Maßnahmen, waffen zu liefern, sowie Zusagen für um- die etwa den Status quo auf dem Tempel- fangreiche Hilfen und Investitionen. berg/Haram al-Sharif betreffen, dürfte aber kaum politisches Kapital einsetzen, um der Problematische Nebenwirkungen israelischen Besatzungs- und Annexions- politik aktiv entgegenzuwirken. Als Folge des Israel-VAE-Abkommens ist Die Haltung der Trump-Administration, mittlerweile eine Vielzahl von Kooperatio- das israelisch-marokkanische Abkommen nen vereinbart worden, nicht nur auf und die sich verbreitende Anerkennung staatlicher Ebene, sondern auch zwischen marokkanischer Souveränität über die privatwirtschaftlichen und zivilgesellschaft- Westsahara haben außerdem dazu geführt, lichen Akteuren. Damit zeichnet sich zum dass sich die Position Marokkos in der West- ersten Mal tatsächlich ein »warmer Frieden« sahara-Frage verhärtet hat und die Span- ab; die Beziehungen gehen schon jetzt deut- nungen zwischen Marokko und Algerien lich über diejenigen Israels mit Ägypten zunehmen. So sieht sich Algier durch den und Jordanien hinaus. Israel wird damit (potenziellen) Ausbau israelisch-marokka- nicht nur als Realität anerkannt, sondern nischer Kooperation bedroht und in der zusehends als Partner und Teil der Region Region infolge seiner Unterstützung für akzeptiert. die Polisario noch mehr isoliert. Dies sollte allerdings nicht mit Fortschrit- Über diese direkten Effekte hinaus ten auf dem Weg zu einer Regelung der dürften insbesondere drei Faktoren in der Konflikte zwischen Israel und seinen Nach- Region konfliktverschärfend wirken. Dazu barn verwechselt werden. Zwar verpflichtete gehört erstens die Unterminierung völker- sich Israel im Kontext der Abkommen gegen- rechtlicher Prinzipien durch die Trump- über den Golfstaaten und den USA, die im Administration – vor allem des Verbots, Mai 2020 angekündigte formale Annexion Territorium gewaltsam anzueignen –, die von Teilen des Westjordanlands nicht zu in den Zusagen an Israel und Marokko vollziehen. Die Abraham-Abkommen ver- wirksam ist. Der zweite Faktor ist die Ver- SWP-Aktuell 50 Juli 2021 3
stärkung der Bedrohungsperzeption in und Saudi-Arabien eine Rückkehr Syriens Teheran im Sinne einer »strategischen Um- in die Liga ab. Ausschlaggebend dafür, dass zingelung«. Daher steht zu befürchten, dass dieser Schritt unterblieb, dürfte vor allem die zugesagten amerikanischen Waffen- der Druck der USA und der EU gewesen sein. lieferungen einen neuen Rüstungswettlauf Im Oktober 2020 entsandte der Oman in der Region auslösen und dass Iran seine einen Botschafter nach Damaskus. Im De- strategische Tiefe durch den Ausbau des zember 2020 trafen sich hochrangige Ver- Netzwerks nichtstaatlicher (Gewalt-)Akteure treter des syrischen Regimes mit israe- zu sichern sucht. Drittens droht Israels Ko- lischen Sicherheitsbeamten auf der russi- operation mit autoritären Staaten der Region schen Militärbasis Hmeimim. Anfang Mai im Bereich Geheimdienste und Informa- 2021 schließlich besuchte eine saudi-ara- tionstechnologie den Handlungsspielraum bische Delegation unter Leitung von Geheim- von Opposition und Zivilgesellschaft in dienstchef General Khaled Humaidan diesen Staaten weiter einzuschränken statt Damaskus. Bei beiden Treffen soll es um die inklusivere politische Systeme zu fördern. Bedingungen für eine regionale Rehabilitie- rung des Assad-Regimes gegangen sein. Wiederannäherung arabischer Autoritäre Konsolidierung Staaten an Syrien Zwar hat sich an den ursprünglichen Grün- Schon seit Ende 2018 treiben einige ara- den für Syriens Ausschluss aus der Ara- bische Staaten die Normalisierung ihrer bischen Liga – massive Menschenrechts- Beziehungen mit Damaskus schrittweise verletzungen und mutmaßliche Kriegs- voran. Zu Beginn des syrischen Bürger- verbrechen – nichts geändert. Doch ange- kriegs 2011 hatte noch eine Mehrheit ara- sichts diverser Entwicklungen beurteilten bischer Führungen Assads Vorgehen gegen die arabischen Staaten die Lage nunmehr die eigene Bevölkerung verurteilt und anders: die militärische Niederlage der Syrien aus der Arabischen Liga ausgeschlos- syrischen Opposition, die verstärkte Ein- sen; einige arabische Golfstaaten (vor allem flussnahme nichtarabischer Staaten in Katar und Saudi-Arabien) hatten die syri- Syrien, die verheerenden regionalen Aus- sche Opposition bzw. die Rebellen unter- wirkungen der von Syrien ausgehenden stützt. Allerdings war Damaskus zu keinem Destabilisierung und die Covid-19-Pande- Zeitpunkt des Bürgerkriegs völlig isoliert in mie. Dazu trug auch die Einsicht bei, dass der Region. Ägypten, Algerien, der Irak, Jor- die USA und die EU trotz ihrer Mobilisie- danien, der Libanon und Oman brachen die rung gegen das Assad-Regime spätestens Verbindung zu Damaskus nie gänzlich ab. seit der Intervention Russlands 2015 keinen Die VAE hielten sowohl wirtschaftliche wie Regimewechsel in Damaskus mehr anstreb- auch diplomatische Kanäle nach Damaskus ten. In der Folge schwenkten vor allem die offen und gewährten mehreren Mitgliedern arabischen Golfstaaten auch in Syrien auf der Assad-Familie Unterschlupf. autoritäre Konsolidierung um. Die VAE und Bahrain brachten mit der Die VAE begründeten ihren Vorstoß im Wiedereröffnung ihrer Botschaften in Dezember 2018 mit der Notwendigkeit, den Damaskus im Dezember 2018 die Rehabili- Einfluss des Iran und der Türkei in Syrien tierung Syriens ins Rollen. Im Vorfeld des zurückzudrängen und dort die sunnitisch- Treffens der Arabischen Liga im März 2019 arabische Präsenz zu stärken. Der Iran wie machten sich weitere arabische Staaten, dar- auch die Türkei hatten schon früh indirekt unter Algerien, Ägypten, der Irak, der Liba- und direkt militärisch auf unterschied- non und Tunesien, für die Wiederaufnahme lichen Seiten in den Konflikt eingegriffen. Syriens in die Organisation stark, konnten In dem 2017 von Russland initiierten Astana- sich aber nicht durchsetzen. Explizit lehn- Format hatten sie dann eine offizielle Rolle ten zu diesem Zeitpunkt nur noch Katar im Management des Syrien-Konflikts erhal- SWP-Aktuell 50 Juli 2021 4
ten. Seither hat sich ihre Präsenz bzw. die nale Legitimität. Verhaltensänderungen im der von ihnen unterstützten Milizen in Sinne der Achtung von Menschenrechten, diversen Landesteilen verfestigt; die Türkei von Rechtsstaatlichkeit, größerer Inklusion hat Enklaven im Norden Syriens adminis- oder guter Regierungsführung sind nicht trativ an ihr eigenes Territorium angeglie- mehr Gegenstand der Diskussion über eine dert. In Abu Dhabi spielt auch die Aussicht Rückkehr Syriens in die Arabische Liga, auf lukrative Investitionen beim Wieder- ganz zu schweigen von einem politischen aufbau des kriegszerstörten Landes eine Übergang und einer Machtteilung, wie in Rolle. Die VAE waren vor 2011 als zweit- Sicherheitsratsresolution 2254 von 2015 größter arabischer Investor in Syrien (nach vorgesehen. Damit dürfte die syrische Saudi-Arabien) vor allem im Immobilien- Bevölkerung weiterhin unter massiver und Transportsektor präsent. Von 2018 an Repression zu leiden haben. Das Gros der zeigten sie verstärktes Interesse an Investi- aus Syrien Geflüchteten, die sich in den tionen in Luxusprojekte wie Marota City. Nachbarländern aufhalten, dürfte sich Für Syriens Nachbarn sind es vor allem zudem mittelfristig gezwungen sehen, in wirtschaftliche Interessen, die sie zur Öff- die Heimat zurückzukehren, auch wenn nung gegenüber Damaskus nötigen. Jorda- dort weder ihre Sicherheit noch ihr mate- nien und Libanon, selbst durch den Bürger- rielles Überleben gewährleistet sind. krieg in Syrien nachhaltig destabilisiert, Vordringlich ist nun die Forderung der suchen den grenzüberschreitenden Handel arabischen Staaten an Damaskus, den Ein- wiederzubeleben und vom Wiederaufbau fluss des Iran zurückzudrängen und die von Syriens zu profitieren. Das Königshaus in Teheran unterstützten Milizen auszuwei- Amman fürchtet zudem grenzüberschrei- sen. Dabei ist Präsident Assad auf diese tende Gefahren durch jihadistische Grup- Milizen angewiesen, um seinen Herrschafts- pierungen und ist insofern daran interes- anspruch aufrechtzuerhalten. Sollten die siert, Syrien zu stabilisieren und die Sicher- arabischen Staaten tatsächlich versuchen, heitskooperation mit Damaskus zu vertie- Irans Fußabdruck in Syrien zu verkleinern, fen. Auch das Interesse an einer baldigen dürfte dies zu einem erneuten Aufflammen Rückführung der über 1,5 Millionen syri- bewaffneter Auseinandersetzungen in den schen Geflüchteten, die Jordanien und der vom Regime kontrollierten Gebieten führen Libanon beherbergen, spielt bei ihrer Annä- und insofern eine Stabilisierung Syriens herung an Syrien eine zentrale Rolle. zusätzlich erschweren. Die entscheidende Hürde für die Wie- Die arabische Normalisierung des Ver- derannäherung arabischer Führungen an hältnisses zu Damaskus geht mit einer fak- Damaskus sind folglich politischer Druck tischen Anerkennung Russlands als neuer aus Washington und Brüssel und die Ordnungsmacht im Nahen Osten einher, US-amerikanischen Sanktionen. Denn das was eine weitere Schwächung westlichen Sanktionsregime der USA umfasst neben Einflusses bedeutet. Nicht zuletzt fügt sich gezielten Strafmaßnahmen gegen Präsident die Rehabilitierung Assads in das Muster Assad und seine erweiterte Entourage sek- autoritärer Restauration ein, die in weiten torbezogene Sanktionen. Letztere werden Teilen der Region zu beobachten ist. Assads auch auf Angehörige von Drittstaaten an- »langer Atem« und die Selbstinszenierung gewandt, die in einer bestimmten Form mit des Regimes als säkulares Bollwerk gegen Syriens Finanzinstitutionen, Öl- und Erdgas- religiösen Extremismus sehen nicht nur industrie oder dem Bausektor kooperieren. einige Machthaber in der Region als Vor- bild, sie machen teilweise durchaus auch Rehabilitierung Assads international Eindruck. Die Rückkehr in die Arabische Liga Dass die arabischen Länder ihre Beziehun- könnte somit für die syrische Führung auch gen zu Syrien schrittweise normalisieren, das Sprungbrett für eine weitgehend bedin- verleiht dem Assad-Regime erneute regio- gungslose Wiederaufnahme in die Welt- SWP-Aktuell 50 Juli 2021 5
gemeinschaft werden. Ohnehin schreitet Motive für den Schulterschluss die internationale Rehabilitierung des Assad-Regimes voran. Fraglich ist indes, ob Die Annäherung hatte vor allem drei Grün- dadurch der von den UN geleitete Genfer de. Erstens war die Aufhebung des Boy- Prozess unterminiert würde, bei dem die kotts, die maßgeblich auf die Initiative Konfliktparteien über eine politische Rege- Saudi-Arabiens zurückging, ein Zugeständ- lung verhandeln. Er ist sowieso festgefah- nis an die neue US-Regierung. Das Königs- ren und bietet angesichts der militärischen haus wollte auf diese Weise seine Reputa- Kräfteverhältnisse und des Astana-Prozesses tion und die Beziehungen zu den USA ver- keine Aussicht auf Erfolg. bessern. Schon im Präsidentschaftswahl- kampf hatte Joe Biden angekündigt, Saudi- Arabien jegliche Unterstützung für seinen Ende der Katar-Blockade Krieg im Jemen zu entziehen und – vor dem Hintergrund der Tötung des Journalis- Im Januar 2021 beendeten Saudi-Arabien, ten Jamal Khashoggi im Oktober 2018, die die VAE, Bahrain und Ägypten nach fast vermutlich der saudische Kronprinz Moham- vier Jahren ihren Boykott Katars. Im Juni med bin Salman angeordnet hatte – die 2017 hatte dieses sogenannte Quartett die Beziehungen zur Golfmonarchie grundsätz- diplomatischen Beziehungen zu Doha ab- lich zu überdenken. gebrochen und eine Luft-, Land- und See- Zweitens beabsichtigte das Quartett mit blockade verhängt. Zuvor hatten die Staa- der Aufhebung des Embargos, Katar stärker ten von Doha unter anderem gefordert, in sein »sunnitisch-arabisches Bündnis« zu seine Beziehungen zum Iran einzuschrän- integrieren und damit aus dem Einfluss- ken, die jüngst in Doha etablierte türkische bereich des Iran und der Türkei zu lösen. Militärbasis zu schließen und die Unterstüt- Da die Biden-Administration bestrebt war, zung der Muslimbruderschaft einzustellen. zum Joint Comprehensive Plan of Action Schon 2014 hatten Katars abweichende (JCPOA) von 2015 zurückzukehren bzw. ein außen- und sicherheitspolitische Prioritäten neues Atomabkommen mit dem Iran aus- zu einem ernsthaften Zerwürfnis mit Saudi- zuhandeln, wollten sie sich gegen eine Arabien, den VAE und Bahrain geführt. weitere Stärkung Teherans wappnen. Die in Doha sah die ab 2011 einsetzenden Ara- den vier Hauptstädten wahrgenommene ver- bischen Aufstände als Chance, seine regio- schärfte Bedrohung und die Einsicht, dass nale Position ebenso zu stärken wie ihm Doha als Resultat des Boykotts (zwangsläu- gewogene Gruppierungen in der Region. fig) enger mit Ankara und Teheran koope- Dazu unterstützte es unter anderem die rierte, trugen dazu bei, dass die Quartettstaa- Muslimbruderschaft bzw. deren lokale Ab- ten bereit waren, über Dohas außenpoliti- leger. Die Führungen in Abu Dhabi, Kairo, sches Ausscheren hinwegzusehen und dem Manama und Riad hingegen betrachteten Zusammenrücken Priorität einzuräumen. die Aufstände und vor allem die dabei eine Drittens, wenn auch weniger signifikant, Rolle spielenden Muslimbrüder mit weni- bietet die Aufhebung des Boykotts Perspek- gen Ausnahmen (Syrien, Libyen) als exis- tiven für einen wirtschaftlichen Aufschwung. tenzbedrohend und setzten auf autoritäre Der Preisverfall auf dem internationalen Restauration. Zwar wurde der darüber Ölmarkt sowie der Rückgang der globalen geführte Disput im November 2014 mit der Nachfrage nach Öl infolge der Covid-19- Unterzeichnung des »Riad-Dokuments« Pandemie hatten den Golfstaaten deutliche zunächst beendet, die Divergenzen blieben Einbußen beschert. Das Ende des Embargos aber bestehen. Im Januar 2021 hoben die erlaubt wieder grenzüberschreitenden Han- vier Länder das Embargo Katars auf, obwohl del, gegenseitige Investitionen und einen Doha keine einzige ihrer dreizehn Forde- freien Flugverkehr. Dass der Boykott Katar rungen erfüllt hatte. gezwungen hatte, seine Wirtschaft zu diversifizieren, hat es ironischerweise zu SWP-Aktuell 50 Juli 2021 6
einem attraktiveren Geschäftspartner zen, um ihren Einfluss geltend zu machen. für die anderen Golfstaaten gemacht. Dies Damit unterminieren sie staatliche Struk- bietet auch die Chance für eine tieferge- turen und schaffen einen Pool an Kämpfern hende Integration ihrer Volkswirtschaften. unterschiedlicher ideologischer Ausrich- tung, der die Region auch über die gegen- Begrenzte Aussöhnung wärtigen Konfliktarenen hinaus langfristig destabilisieren dürfte. Das Fortbestehen der ideologischen Diver- Die Lagebeurteilung hat sich insofern genzen und Interessenkonflikte dürfte verändert, als die autoritäre Restauration indes auch weiterhin für Spannungen unter im Nachgang der Arabischen Aufstände den Staaten des Golfkooperationsrates so- in weiten Teilen der Region als erfolgreich wie zwischen Katar und Ägypten sorgen. und ein Regimewechsel in Syrien nicht län- Trotz Versöhnung bleibt der Golfkoopera- ger als realistisch angesehen werden. Auch tionsrat weit davon entfernt, als effektive international wird die autoritäre Restau- Regionalorganisation oder gar als Vertei- ration mittlerweile zusehends als alterna- digungsbündnis zu fungieren. tivlos hingenommen. Gleichzeitig hat die Palästinafrage weiter an Relevanz für die arabischen Staaten verloren, nicht zuletzt Konfliktträchtige Neu-Ordnung weil sich die Bedrohungswahrnehmungen gewandelt haben und die Interessen mit Die beschriebenen Normalisierungs- und jenen Israels konvergieren. Wiederannäherungsprozesse bilden die Nach einer maßgeblichen Bedrohungs- Machtverschiebungen des letzten Jahrzehnts perzeption in Israel und am Golf, die auch ab. Sie sind durch eine veränderte Lage- von den Führungen in Ägypten und Marokko beurteilung, geteilte Bedrohungswahrneh- geteilt wird, weitet der Iran seinen Einfluss mungen und konvergierende Interessen zu im Nahen Osten und im Mittelmeerraum erklären – vor allem, aber nicht ausschließ- aus. Im Frühjahr 2019 illustrierten irani- lich der arabischen Golfstaaten und Israels. sche Angriffe auf Öltanker und im Septem- Zu den Machtverschiebungen gehört der ber Drohnen- und Raketenangriffe der mit Aufstieg der kleinen Golfstaaten, allen Teheran verbündeten jemenitischen Huthi- voran der VAE, zum Motor der regionalen Rebellen auf saudische Ölanlagen, wie Entwicklung. Sie gingen gestärkt aus den verwundbar Riad und Abu Dhabi sind. Im vom Arabischen Frühling ausgelösten geo- Jemen verzeichneten die Huthis mili- strategischen Verwerfungen hervor, wäh- tärische Erfolge. Als bedrohlich sehen die rend traditionelle Regionalmächte (Alge- genannten Führungen auch die geostrategi- rien, Ägypten, Irak, Saudi-Arabien, Syrien) schen Ansprüche der Türkei, ihre zuneh- an Stabilität und Bedeutung einbüßten. mend interventionistische Politik im Mit- Dabei erweiterte der Teilrückzug der USA telmeerraum und ihre Unterstützung von als vormals dominante Ordnungsmacht in Gruppierungen des politischen Islam an, der Region den Spielraum aufstrebender die insbesondere das Herrschaftsmodell Regionalmächte und nichtstaatlicher Ak- der Golfmonarchien herausfordern. teure. Außerdem bot er Russland die Israel, Ägypten und die Golfstaaten teilen Möglichkeit, seine Militärpräsenz im Nahen das sicherheitspolitisch motivierte Interesse, Osten und im Mittelmeerraum erheblich die USA langfristig an die Region zu binden. auszuweiten. Russland konnte sich damit Außerdem sind sie bestrebt, die wirtschaft- als nicht zu umgehender Akteur mit be- liche Erholung nach der Covid-19-Pandemie schränkter Gestaltungs-, aber großer Ver- voranzutreiben. Die arabischen Golfstaaten hinderungsmacht etablieren. wiederum suchen ihre Ökonomien (weiter) Eine weitere neue Gegebenheit ist, dass zu diversifizieren. Russland, der Iran, die VAE und die Türkei Söldner einsetzen und Milizen unterstüt- SWP-Aktuell 50 Juli 2021 7
Schlussfolgerungen für deutsche das Ägypten, Frankreich, Griechenland, und europäische Politik Israel, Italien, Jordanien, Palästina und Zypern zusammenbringt (die EU und die Im Nahen Osten verfestigt sich eine neue, USA sind Beobachter), wird von der Türkei konfliktträchtige regionale Ordnung. Da- als exklusiver Club wahrgenommen. Seit bei haben die (Wieder-)Annäherungen vor seiner Gründung im Jahr 2019 hat es in- allem Vorteile für die jeweils beteiligten folgedessen die Spannungen im Mittelmeer- Staaten bzw. Herrscherhäuser. Lediglich die raum verstärkt statt sie abzubauen. In die- Normalisierung des Verhältnisses zwischen sem Zusammenhang wäre es wichtig, die Israel und den VAE zeitigt auch spürbare derzeitigen Ansätze zu einer Wiederauf- © Stiftung Wissenschaft Effekte für die Bevölkerungen im Sinne nahme des Dialogs zwischen Ankara, Athen und Politik, 2021 eines »warmen Friedens«. Ansatzpunkte für und Nikosia sowie zwischen Ankara und Alle Rechte vorbehalten die Regelung langanhaltender zwischen- Kairo durch Vermittlung zu unterstützen. bzw. innerstaatlicher Konflikte oder die Der europäische Austausch mit den Staa- Das Aktuell gibt die Auf- Bearbeitung der soziopolitischen Ursachen ten des Golfkooperationsrates sollte dem fassung der Autorinnen wieder. der Arabischen Aufstände und ihrer desta- größer gewordenen Einfluss der arabischen bilisierenden Wirkungen, etwa auf den Golfstaaten angemessen Rechnung tragen. In der Online-Version dieser Libanon, bieten die Wiederannäherungen Das würde unter anderem bedeuten, sich Publikation sind Verweise dagegen nicht. Vielmehr rufen sie in Dritt- nicht nur auf Handelsbeziehungen zu auf SWP-Schriften und staaten (etwa Algerien, Iran) die Wahrneh- beschränken, sondern den Austausch zu wichtige Quellen anklickbar. mung einer verschärften Bedrohung hervor. Fragen regionaler Ordnung und Sicherheit SWP-Aktuells werden intern Die Möglichkeiten für Deutschland und auszubauen. Dazu sollte auch ein Dialog einem Begutachtungsverfah- seine Partner in der EU, die Dynamiken in gehören, der die Verhandlungen über ein ren, einem Faktencheck und der südlichen Nachbarschaft aktiv zu gestal- neues Atomabkommen mit Iran begleitet einem Lektorat unterzogen. ten, sind in Anbetracht der analysierten und darauf abzielt, regionale Verständi- Weitere Informationen Dynamiken gering. Je stärker darüber hin- gung zu fördern und wahrgenommene zur Qualitätssicherung der SWP finden Sie auf der SWP- aus die Politikansätze und Prioritäten der Bedrohungen zu verringern. Ein Ansatz- Website unter https://www. EU-Mitgliedstaaten divergieren, desto weni- punkt für die Bearbeitung des saudisch- swp-berlin.org/ueber-uns/ ger Einfluss können sie entfalten. Daher iranischen Hegemonialkonflikts könnten qualitaetssicherung/ ist es entscheidend, dass die Europäer und die Track-two-Gespräche sein, die beide Europäerinnen in prinzipiellen Fragen an Staaten seit einiger Zeit führen. Ein weite- SWP Stiftung Wissenschaft und einem Strang ziehen. Leitlinie europäischer res wichtiges Thema sollte Syrien sein. Hier Politik Politik sollte sein, sich nicht in regionale sollten die EU und ihre Mitgliedstaaten ihre Deutsches Institut für Rivalitäten hineinziehen bzw. durch ein- Bemühungen in erster Linie auf die Ver- Internationale Politik und seitige Parteinahme von lokalen und regio- besserung der humanitären Lage und der Sicherheit nalen Konfliktparteien vereinnahmen zu nachhaltigen Stabilisierung Syriens richten, lassen und bewaffnete Konflikte nicht zu statt sich darauf zu konzentrieren, die von Ludwigkirchplatz 3–4 10719 Berlin befeuern, etwa durch Waffenlieferungen an den arabischen Staaten betriebene Reha- Telefon +49 30 880 07-0 Konfliktparteien wie Saudi-Arabien oder die bilitierung Syriens zu blockieren. Nicht Fax +49 30 880 07-100 VAE. zuletzt sollten die EU und ihre Mitglied- www.swp-berlin.org Die EU und ihre Mitgliedstaaten können staaten gemeinsam mit den Staaten des swp@swp-berlin.org auch nur dann eine vermittelnde Rolle GKR erörtern, wie die Normalisierungs- ISSN (Print) 1611-6364 spielen, wenn sie die Interessen und Bedro- abkommen mit Israel dafür genutzt werden ISSN (Online) 2747-5018 hungswahrnehmungen aller relevanten können, den israelisch-palästinensischen doi: 10.18449/2021A50 Akteure berücksichtigen. Das ist umso Konflikt konstruktiv zu bearbeiten. wichtiger, wenn sie selbst neue Koopera- tionsformate etablieren oder unterstützen. Das East Mediterranean Gas Forum etwa, Dr. Muriel Asseburg ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten. Sarah Charlotte Henkel, M. A., ist Programm-Managerin im Brüsseler Büro der SWP. SWP-Aktuell 50 Juli 2021 8
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