Wissenswert Kulturkampf, Pop & Politik - Eine kleine Geschichte des HipHop
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
________________________ Hessischer Rundfunk hr-iNFO Redaktion: Heike Ließmann Wissenswert Kulturkampf, Pop & Politik – Eine kleine Geschichte des HipHop von Klaus Walter Sprecher: Klaus Walter Sendung: 30.06.2018, hr-iNFO Copyright Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der Empfänger darf es nur zu privaten Zwecken benutzen. Jede andere Verwendung (z.B. Mitteilung, Vortrag oder Aufführung in der Öffentlichkeit, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verteilung oder Zurverfügungstellung in elektronischen Medien, Übersetzung) ist nur mit Zustimmung des Autors/der Autoren zulässig. Die Verwendung zu Rundfunkzwecken bedarf der Genehmigung des Hessischen Rundfunks.
Musik: Kendrick Lamar Black Panther (Vok. Ab 0.28 freistehen lassen, bis 0.55, dann Mod drüber) KW 1: HipHop 2018, fangen wir an mit einem Vergleich. Ein Vergleich zwischen Deutschland und den USA, auch ein Preisvergleich. Musik: Kendrick Lamar Black Panther (Vok. Ab 0.28 freistehen lassen, bis 0.55, dann Mod drüber) KW 2: „Black Panther“, das Superheldenmärchen aus dem fiktiven afrikanischen Staat Wakanda ist einer der erfolgreichsten Hollywoodfilme der Saison. Und widerlegt ein ehernes Gesetz von Hollywood. Danach kann ein Film, der fast ausschließlich mit schwarzen Schauspielern besetzt ist, niemals ein Blockbuster werden. Nun, „Black Panther“ wurde zum ersten Blockbuster mit schwarzer Besetzung. Die Musik zum Film hat Kendrick Lamar produziert. Im April 2018 meldet Stern.de: 1.20 1. Sprecher 1: Kendrick Lamar gewinnt den Pulitzer-Preis – und das ist eine verdammte Sensation! KW 3: Der Pulitzer-Preis ist einer der renommiertesten seiner Art, die Entscheidung für Kendrick Lamar in diesem Jahr ist auch eine politische. 1. Sprecher 2: „Kendrick Lamar ist der erste Rapper, sogar der erste Popstar aller Zeiten, der den Pulitzer-Preis erhält. Mitten in der unseligen Ära Trump ist das nicht nur die Würdigung eines Ausnahmekünstlers, sondern ein wahnsinnig wichtiges Statement. In einer Zeit, in der es in den Vereinigten Staaten gefühlt an jeder Straßenecke brennt, in der ein reaktionärer Präsident höchstpersönlich
wieder für ein bisschen mehr "White Supremacy" sorgen will im Anschluss an die ach-so-liberalen Obama-Jahre, wird ausgerechnet ein schwarzer Rapper aus Compton auf das höchstmögliche intellektuelle Podest gehoben. Der englische `Guardian´ schreibt deshalb von einem `dramatischen kulturellen Durchbruch´.“ KW 4: Einen `dramatischen kulturellen Durchbruch´ erleben wir im Frühjahr 2018 auch in Deutschland. Auch da geht´s um HipHop, auch da wird ein Kulturpreis verliehen. 2.20 O-Ton Preisverleihung: Echo HipHop Urban National geht an Kollegah und Farid Bang „Jung, brutal, gutaussehend 3“ (Applaus, Pfiffe, danach Atmo vom Auftritt) 1. Sprecher 3: „2018 ist „Jung, brutal, gutaussehend 3“ der beiden Düsseldorfer Rapper Kollegah und Farid Bang nominiert; ein Album, das in seiner Ideenlosigkeit zum Echo passt.“ KW 5: Schreibt Christian Werthschulte in der Berliner tageszeitung. 1. Sprecher 4: „Eine Zeile auf dem Album sorgt nun für die bestellte Aufregung. In „08/15“ rappt Farid Bang, sein Körper sei „definierter als von Auschwitz-Insassen“. Obwohl menschenverachtend und antisemitisch, wurde der Song vom Echo-Team nach „Prüfung“ als von der „Kunstfreiheit“ gedeckt eingeordnet. Dabei hätte man es besser wissen können: Denn Farid Bangs Sparringspartner Kollegah ist bekannt für antisemitische Motive. In seinem Track „N.W.O.“ ziehen „die wahren Leader“ im Hintergrund „Fäden wie
Harfenspieler“, während eine „mächtige Minderheit“ der „Schandfleck des Planeten ist.““ 3.20 KW 6: Spätestens seit der Echo-Verleihung ist der deutschsprachige Rap in aller Munde – mit samt seinen judenfeindlichen, frauenverachtenden und homophoben Ausfällen. Im Zuge der Debatten um Kollegah und Farid Bang gerät HipHop unter Generalverdacht. Die Rapper werden als Prügelknaben in die Ecke gestellt, die Empörung steigert sich zu einem kollektiven Igitt, was es alles gibt. Etablierte Veteranen der deutschen Showbranche melden sich zu Wort: Von Westernhagen bis Maffay, von Sven Regner bis Campino sind sich alle einig in ihrem heiligen Zorn. Sie tun so, als hätten sie noch nie von diesem unappetitlichen Phänomen Gangster-Rap gehört. Und sie klopfen sich gegenseitig auf die Schulter ob ihrer edlen Gesinnung. Gratismutig schieben die Altrocker ein gesamtgesellschaftliches Problem den bösen Rappern in die Schuhe. Noch mal der Pop-Kritiker Christian Werthschulte: 4.00 1. Sprecher 5: „Von Deutschlandfunk bis Tagesspiegel herrscht Einigkeit darüber, dass die Deutschrap-Szene ein Antisemitismusproblem habe. Dabei vertreten rund 20 Prozent der Deutschen antisemitische Ansichten – der eine oder die andere DeutschrapperIn wird darunter sein.“ KW 7: Endstand im Preisvergleich: Der Echo wird abgeschafft – bis auf Weiteres. Der Pulitzerpreis für Kendrick Lamar wird gefeiert – von der liberalen Öffentlichkeit. Die Unterschiede zwischen den Preisträgern könnten kaum größer sein. Die Kluft zwischen Kollegah hier und Kendrick Lamar dort, macht deutlich, wie breit das Spektrum von HipHop 2018 ist. Die spezifisch deutsche Variante des sogenannten Battle- oder Gangster-Rap ist dabei nur eine Facette
einer Musikrichtung, die einen globalen Siegeszug hinter sich hat. HipHop ist heute in weiten Teilen dieser Erde die dominierende Pop-Kultur. Von den schwarzen Elendsquartieren in Südafrika bis ins Weiße Haus nach Washington. 5.10 Musik Kendrick Lamar How much a dollar cost KW 8: Kendrick Lamar, “How much a dollar cost”, die komplexe Erzählung des schwarzen Rappers über Armut und Empathie wurde von Barack Obama gewürdigt als bester Song 2015. Die New York Times nennt Kendrick Lamar einen „Evangelisten der Black Power“. Für viele junge Schwarze ist er ein Idol. Sie träumen von einer Karriere als Rapper. Oder als Sportler. Die Karrierechancen für junge Schwarze Männer in den USA sind miserabel. Die Chancen für junge Schwarze Männer in den USA, im Gefängnis zu landen, stehen gut. 5.50 009 Lifer´s Group Living proof KW 9: „Living Proof“, lebendiger Beweis, so heißt dieser Song einer Rap- Gruppe mit sprechendem Namen: Lifer´s Group – die Gruppe der Lebenslänglichen. 1. Sprecher 6: „Im Jahr 2000 saß einer von zehn schwarzen Männern zwischen zwanzig und vierzig Jahren in Haft – zehnmal so viele wie in der entsprechenden Altersgruppe bei Weißen. 2010 war ein Drittel aller männlichen schwarzen Schulabbrecher zwischen 20 und 39 Jahren inhaftiert, bei den weißen Altersgenossen waren es 13 Prozent.“
KW 10: Schreibt der afroamerikanische Autor Ta-Nehisi Coates über die Gefängnisnation USA in seinem Buch „We were eight years in power – Eine amerikanische Tragödie“. Dazu die Soziologin Devah Pager: 1. Sprecherin 1: „Eine Gefängnisstrafe ist in den am stärksten marginalisierten Gruppen unseres Landes kein seltenes oder extremes Ereignis mehr. Sie ist vielmehr zu einer normalen und erwarteten Markierung des Übergangs ins Erwachsenenleben geworden.“ KW 11: In diesem Land sehen viele junge schwarze Männer genau drei Möglichkeiten, aufzusteigen. Sie werden reich und berühmt als Sportler, als Rapper, oder als Gangster. Zwischen einer Karriere als Rapper und einer Karriere als Gangster gibt es Schnittstellen. Viele gescheiterte Rapper werden Gangster, wenige Gangster schaffen den Sprung zum erfolgreichen Rapper. Einer davon ist 50 Cent. 7.30 50 Cent Get rich or die tryin KW 12:“Get rich or die tryin”, werde reich oder stirb bei dem Versuch es zu werden. Mit seinem Bestseller-Debüt formuliert 50 Cent 2003 den Traum vieler Afroamerikaner, auf dem Cover posiert er mit freiem Oberkörper, er präsentiert seinen Sixpack und: Schusswunden. Neun Kugeln im Körper des einstigen Drogenhändlers bürgen für Authentizität. Schaut mich an, ich weiß wovon ich rappe, ich war selber Gangster. Jay Z. 99 Problems
KW 13: Vom Crack-Dealer zu einem der reichsten Männer im Showbiz, das ist das Märchen von Shawn Carter alias Jay Z. Auch er wurde reich ohne zu sterben, eine Traumkarriere im Gangster-Kapitalismus. An seiner Seite Beyoncé, der größte Popstar des Jahrhunderts. Mit ihrem flexiblen Ellbogen-Feminismus und dem unbedingten Aufstiegswillen verkörpert Beyoncé die First Lady im 1. Sprecherin 2: „Power Couple Nr.2 der African American Aristocracy“ KW 14: So die Autorin Sonja Eismann. Mit Michelle & Barack Obama, dem Power Couple Nr.1 der afroamerikanischen Aristokratie sind Beyoncé und Jay Z. gut befreundet, im Weißen Haus gehen sie ein und aus – bis Donald Trump einzieht. 9.00 Beyoncé & Jay Z. Crazy in love KW 15:“Crazy in love”, Beyoncé & Jay Z. feiern ihre Liebe, schließlich sind sie auch im richtigen Leben ein Paar. Die Grenzen zwischen Leben und Kunst verschwimmen im HipHop. Bei Celebrity-Paaren wie Beyoncé und Jay Z. oder Kanye West und Kim Kardashian wird das ganze Leben zum Kunstwerk. Im HipHop ist das Verhältnis von literarischem Ich und Autoren-Ich ein grundlegend anderes als in anderen Kunstformen. In der Literatur lernt man, das Ich der Romanfigur nicht mit dem Ich des Autors zu verwechseln. Wer als Schriftsteller in die Rolle eines Mörders schlüpft, muss nicht in den Knast. Im HipHop ist das anders. Da verschwimmt die Grenze zwischen Fiktion und Realität, oder diese Grenze wird bewußt verwischt. Der Rapper bürgt in der
ersten Person Singular für das, was er da erzählt. Wenn´s sein muss, bis zum bitteren Ende. 10.00 N.W.A. Fuck Tha Police KW 16: „Fuck Tha Police“, ein Gründungsdokument des Gangster-Rap aus dem Jahr 1988. Es stammt von der Gruppe N.W.A., das Kürzel steht für Niggaz With Attitude. Die Rapper nehmen das N-Wort, mit dem schwarze Frauen und Männer jahrhundertelang beleidigt und erniedrigt wurden, und sie drehen es um. Sie tragen es mit Stolz und, wie der Bandname sagt, mit Attitude, mit Haltung. Ein Akt der Selbstermächtigung, des Empowerment, eine im HipHop weit verbreitete Kulturtechnik. „Fuck Tha Police“ – der Song kommt aus dem Album „Straight Outta Compton“, der Vorort von Los Angeles ist eine der Brutstätten des Gangster-Rap. Dort sind die Grenzen zwischen der Kunstform Gangster-Rap und der Realität Gangster-Leben besonders durchlässig. Das Leben ist ein Krieg der Gangs, die Crips und die Bloods bekämpfen sich bis aufs Blut, der gemeinsame Feind ist die Polizei, in aller Regel: die weiße Polizei. 30 Jahre nach „Fuck Tha Police“ ist für viele schwarze junge Männer die Erfahrung von weißer Polizeigewalt beinahe alltäglich, jedenfalls 1. Sprecherin 3: „kein seltenes oder extremes Ereignis mehr. Sie ist vielmehr zu einer normalen und erwarteten Markierung des Übergangs ins Erwachsenenleben geworden.“ KW 17: So hat es die Soziologin Devah Pager für die Erfahrung Gefängnis beschrieben. Es ist die Erfahrung, dass schwarze Jugendliche in den USA ihr Leben riskieren, wenn sie am falschen Ort zur falschen Zeit mit einem Kapuzenpullover auftauchen, die Erfahrung, dass schwarzes Leben in den USA
weniger zählt – die Antwort auf diese Erfahrung heißt: Black Lives Matter, die Bewegung gegen Polizeigewalt und strukturellen Rassismus. 11.50 O-Ton Ta-Nehisi Coates unsync: “Black and white are inventions, they are inventions of racism.“ KW 18: Schwarz und weiß sind Erfindungen des Rassismus, sagt der schwarze Autor Ta-Nehisi Coates. 2. Sprecher 1: O-Ton Ta-Nehisi Coates mit Syn: „In der Geschichte ist das Verhältnis von Weißen zu Schwarzen eines der Ausplünderung. Der anhaltende Diebstahl von Arbeitskraft seit der Sklaverei.“ KW 19: Die Geschichte der Sklaverei und des Kolonialismus bleibt ein Initiationstrauma. Initiationstrauma – so nennt der britische Literaturwissenschaftler Paul Gilroy die massenhafte Verschleppung von Menschen aus Afrika nach Amerika. Und das Trauma geht nicht einfach so weg. O-Ton Michelle Obama Michelle Obama Wahlkampfrede Slaves unsyn: 'I wake up every morning in a house that was built by slaves' KW 20: Sie wache jeden Morgen in einem Haus auf, das von Sklaven erbaut wurde, erklärt Michelle Obama 2016 bei einer gefeierten Wahlkampfrede für Hillary Clinton. HipHop ist nicht vorstellbar ohne das Trauma der Sklaverei, das weiß auch Kendrick Lamar, Pulitzerpreisträger und gern gesehener Gast bei den Obamas im Weißen Haus. 13.00
Kendrick Lamar King Kunta 1. Sprecherin 4: „Der afroamerikanische Autor Alex Haley zeichnet in der Familiensaga „Roots“ die Generationen seiner Familie nach, von den 1970ern bis zu dem Vorfahren, der im 18. Jahrhundert als Sklave in die USA verkauft wurde und dort rebellierte. In Haleys epischem Roman heißt er nur „der Afrikaner“: Kunta Kinte. US-Rapstar Kendrick Lamar hat sich den Protagonisten für einen Song geliehen, auf seinem Album „To Pimp A Butterfly“ macht er die Figur in „King Kunta“ zum König und Unterdrückten.“ KW 21: Schreibt die Pop-Kritikerin Diviam Hoffmann. Der Rapper Kendrick Lamar zitiert den Autor Alex Haley – man könnte auch sagen: Lamar samplet Haley, ohne Sampling kein HipHop. Und Lamar wird seinerseits zitiert, gecovert, so wird die Geschichte weitergeschrieben, aber auch umgeschrieben. Aus dem König wird eine Königin. 14.10 Sudan Archives Queen Kunta 1. Sprecherin 5: „Die junge US-amerikanische Sängerin, Produzentin und Geigerin Brittany Parks alias Sudan Archives covert wiederum Lamars Song als „Queen Kunta“. In einer Session fährt sie, auf dem Boden sitzend, elektronisch produzierte Beats ab, klopft auf den Geigenkorpus und loopt ihre Stimme, sowie gezupfte und gestrichene Passagen ihrer Geige. Anhand der Originalversion zeigt sie, wie abwechslungsreich und innovativ eine Violine auch klingen kann. Und mit Alex Haley und Kendrick Lamar hat Brittany Parks noch etwas gemeinsam: Ihre Vorfahren wurden gewaltsam in die USA verschleppt. In ihrer Kunst richtet die 23-Jährige ihren Blick nun auf den Kulturraum, in den ihre eigene Familiengeschichte zurückreicht. Den Namen
„Sudan“ hat sie von ihrer Mutter bekommen, denn schon als Teenager interessierte sich Brittany Parks für den afrikanischen Kontinent.“ 15.20 KW 22: Wir bleiben auf dem afrikanischen Kontinent. Vom Sudan nach Nigeria. Falz This is Nigeria 1. Sprecher 7: „Das ist Nigeria, man kann dort nicht leben, alle sind kriminell.“ KW 23: Verkündet ein Rapper namens Falz. “This is Nigeria” heißt der Song. Im Video sehen wir den Rapper mit freiem Oberkörper in einer Lagerhalle. Ein anderer Mann spielt ein Saiteninstrument und strahlt übers ganze Gesicht. Dann geht er ein paar Schritte, sein Blick verfinstert sich. Er schnappt sich ein Schwert und enthauptet einen Mann, der einen Sack über den Kopf gezogen hat. Aus dem Sack fließt Blut. „This is Nigeria”. 16.10 Falz This is Nigeria KW 24: „This is Nigeria” ist im Frühsommer 2018 Teil einer multimedialen Lawine, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat. Beinahe stündlich tauchen neue Songs auf und Videos dazu. Sie heißen „This is Jamaica”, “This is England”, “This is Germany”, oder auch “This is Wakanda”, genau, Wakanda, der fiktive afrikanische Staat aus dem Film „Black Panther“. Was hat es auf sich mit diesem audiovisuellen Kettenbrief? All die neuen Songs sind Antworten auf: „This is America“. Childish Gambino This is America
KW 25: „This is America“, mit diesem Song, vor allem mit dem Video, löst der Rapper Childish Gambino alias Donald Glover im Frühjahr 2018 ein mediales Beben aus. Der Kunstkritiker Jörg Heiser in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung: 17.20 1. Sprecher 8: „Eine riesige, leergefegte Lagerhalle, darin ein Stuhl. Jeder Kinogänger, Netflix-Gucker, Videospieler weiß im Bruchteil einer Sekunde, was das heißt: Gangster und Geheimdienste bringen an einem solchen Ort ihre Opfer um. Von rechts kommt ein Gitarrist und setzt sich auf den Stuhl, zu akustischen Akkorden erklingt ein liebliches Gospelchor-Motiv. Hinter einer der Stahlsäulen versteckt steht, mit dem Rücken zur heranfahrenden Kamera, Glover alias Gambino mit nacktem Oberkörper. Er dreht sich um und beginnt seltsam abstoppend zu tanzen, wobei sein Gesicht einstudiert wirkende Grimassen durchspielt, Grinsen, Erschaudern, Auge aufreißen, während im Hintergrund etwas von „We Just Wanna Party“ gesungen wird. Bis er hinter dem Gitarristen steht, der inzwischen keine Gitarre mehr spielt, sondern einen Sack über dem Kopf hat. Gambino zieht eine Pistole, verrenkt sich zum Zielen und tötet den Gefesselten mit Kopfschuss.“ Childish Gambino This is America (Schuss) KW 26: Das Video wird in kürzester Zeit millionenfach geclickt, Stand xx.Juni: xxx Und es setzt eine regelrechte Lawine der Interpretation in Gang. 18.40 1. Sprecher 9: „Wenn es in letzter Zeit einen wirklichen Oh-mein-Gott-Moment in Kunst und Kultur gab, dann ist es dieser. Die böse Überraschung ist gelungen. Statt der sich andeutenden fröhlichen Partymucke setzt eine tief rollende
Bassfigur ein, und Gambino beginnt im Telegrammstil des Hiphop-Genres Trap zu rappen: „This is America, don’t catch you slippin’ up“ – dies ist Amerika, du kannst dir keinen Fehler leisten. Denn es sind Afroamerikaner, die beispielsweise aufgrund des „Fehlers“, bei Starbucks rumzusitzen, ohne sofort etwas bestellt zu haben, verhaftet werden; oder gleich erschoss en werden, wenn sie bei der Polizeikontrolle den „Fehler“ machen, nach dem Handschuhfach zu greifen. Nur hat Gambino ja gerade selber jemanden erschossen. Weiße kommen im Video, zumindest im Vordergrund, gar nicht vor. Er mäht dann auch wenig später, diesmal mit einem Maschinengewehr, gleich einen ganzen Gospelchor um.“ Childish Gambino This is America (Schüsse) 1. Sprecher 10: „Wie passt das alles zusammen?“ 19.40 KW 27: Fragt sich der Kritiker Jörg Heiser und wir mit ihm. Bei allem Rätseln sind sich aber offensichtlich alle in einem Punkt einig: This is America, dies ist Amerika. Childish Gambino ist es gelungen, die Stimmung im zerrissenen Amerika unter Donald Trump auf den Punkt zu bringen. „This Is America“ ist der Song zur Lage der Nation: Gewalt, Verunsicherung, Paranoia, Abgründe. Die Reaktionen auf den Song nehmen bis heute kein Ende: Antwortversionen, Kommentare, Parodien, Verballhornungen, „This Is America“ ist ein Schlüssel zur Welterklärung 2018. 20.20 Nicole Arbour This Is America: Women's Edit https://www.youtube.com/watch?v=QW8whgmyTNU&t=0s&index=3&list= PLXi_2FU6t-q6-LpB8qe906F3h6Jr5yzvo
KW 28:“This Is America: Women's Edit”, Nicole Arbour macht aus Gambinos Song ein feministisches Plädoyer. Und bekommt Ärger. Denn Nicole Arbour ist eine weiße Blondine, umgeben von mehrheitlich Weißen. So wird ihr Perspektivwechsel vom männlichen hin zum weiblichen Blick von vielen anders verstanden: aus schwarz mach weiß. Nicole Arbour gerät unter Rassismusverdacht. So oder so, Rap bleibt eine Männerdomäne. Klar, es gibt Missy Elliott und Nicki Minaj, es gab Queen Latifah und Salt N´Pepa, und es gab Lauryn Hill Lauryn Hill Doo Wop (That Thing) KW 29: Doo Wop (That Thing), damit wird Lauryn Hill 1998 die erste Rapperin an der Spitze der US-Charts, eine Sensation im männerdominierten Hip Hop. Fast zwanzig Jahre sollte es dauern bis zur nächsten Sensation. 2017 erreicht Cardi B. die Spitze der Charts mit "Bodak Yellow". 21.30 Cardi B. Bodak Yellow KW 30: Schon vor ihrer Rap-Karriere genießt Cardi B. den Status einer Celebrity, die ehemalige Stripperin breitet ihr Leben so freizügig wie großzügig auf Instagram aus. Ihr Debütalbum springt von Null auf Eins in den Charts, es trägt den sinnigen Titel: “Invasion of Privacy”. Cardi B läßt ihre Fans eindringen in ihre Privatsphäre. 50 Jahre nach 68 gilt: Das Private ist das Populäre. Schwesta Ewa Aywa KW 31: Sie ist die Stimme aller Asis und Vergessenen, sagt Schwesta Ewa über Schwesta Ewa.
1. Sprecher 11: „Schwesta Ewa war Hure, jetzt ist sie Gangsta-Rapperin. Ist das feministisch?“ KW : Fragt ungewohnt reißerisch die Wochenzeitung DIE ZEIT. Schwesta Ewa wird 1984 als Ewa Müller in Polen geboren und verbringt 10 Jahre ihres Lebens auf dem Strich im Frankfurter Bahnhofsviertel. Ihre Erfahrungen konvertiert sie in ihre Kunst: Martin Eimermacher in der ZEIT: 1. Sprecher 12: „Ewa rappt, wie sie ihren Körper verkauft habe, aber nie ihren Stolz. Wie sie Rapperkollegen, Zuhälter und Freier aufs Kreuz legte, die dachten, sie als Frau sei leichte Beute.“ 22.50 Schwesta Ewa Da fehlt n Zwanni KW 33: „Da fehlt n´ Zwanni“ rappt Schwesta Ewa auf ihrem neuen Album, das auf Anhieb auf Platz ((XX muss ich nachtragen, ist gerade rausgekommen))) der deutschen Charts eingestiegen ist. 1. Sprecher 13: „Wenn bei der Abrechnung mal n Zwanni fehlt, gibt es Schellen von Puffmutter Ewa.“ KW 34: Aus der aktiven Sexarbeit hat sich Schwesta Ewa nämlich zurückgezogen, stattdessen soll sie weibliche Fans auf den Strich geschickt haben, darunter eine 17-Jährige. 2016 wird sie verhaftet und und zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. So bürgt Schwesta Ewa mit Körper und Karriere für die Authentizität ihrer Raps, und die ist unbezahlbar und extrem
gewinnbringend. Seit dem Echo-Skandal um Kollegah und Farid Bang steht eine Frage im Raum: 1. Sprecher 14: Wo fängt im Gangsta-Rap die Kunst an, wo hört sie auf? Lassen sich Kunstfigur und Real-Ich im Gangsta-Rap überhaupt trennen, der seinen Zauber ja gerade daraus zieht, real zu sein? ((real bitte Englisch aussprechen)) KW 35: Fragt Martin Eimermacher in der ZEIT. Die Frage wird uns noch beschäftigen, denn Rap ist und bleibt ein Spiegelbild gesellschaftlicher Verhältnisse. Ob uns das gefällt oder nicht.
Sie können auch lesen