Objekte im Dunkeln Depotrundgänge im Haus der Geschichte 2.2017 - Stiftung Haus der Geschichte der ...
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2.2017 2 € ISSN 1433-349X www.museumsmagazin.com Haus der Europäischen Geschichte Eröffnung in Brüssel Objekte im Dunkeln Depotrundgänge im Haus der Geschichte
intro Überraschende, anregende, zuweilen irritierende Eindrücke vermitteln Objekte als Zeugen der Vergangenheit in verschie- denen Kontexten. Im Haus der Geschichte in Bonn haben die Besucher bis Ende des Jahres Gelegenheit, die Relikte unserer Vergangenheit aufgereiht in Regalen im klimatisierten Depot, sortiert nach Materialität und Eingangsdatum, zu sehen. Der Rundgang „Objekte im Dunkeln“ lädt ein, die „Unterwelten“ des Museums zu erkunden, faszinierende Objekte zu entde- cken und einen Blick hinter die Kulissen zu werfen. Objekte, Fotos, Dokumente und Filme bilden die Grund- lage für moderne historische Ausstellungen. In den aktuellen Wechselausstellungen der Stiftung Haus der Geschichte ver- binden sie sich zu spannenden Themen: Unser Museum in der Kulturbrauerei in Berlin zeigt „Schalom“, Szenen aus dem jüdischen Alltag in Deutschland. Im Zeitgeschichtlichen Forum in Leipzig ist bis Januar 2018 die Ausstellung „Inszeniert. Deut- sche Geschichte im Spielfilm“ und im Haus der Geschichte in Bonn „Geliebt. Gebraucht. Gehasst. Die Deutschen und ihre Autos“ zu sehen. Die „Rückblende 2016“ war zunächst bis zum 5. Juni 2017 in Bonn zu sehen und wird das politische Jahr 2016 mit eindrucksvollen Fotos und Karikaturen ab 13. Juli 2017 im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig Revue passieren lassen. Schauen Sie vorbei. Wir freuen uns auf Ihren Besuch! Dr. Hans Walter Hütter Präsident und Professor Übrigens: Nach neunjähriger Vorbereitungszeit eröffnete das Europäische Parlament kürzlich das Haus der Europäischen Geschichte in Brüssel. Die Depotbegleitungen im Haus der Geschichte Besichtigung der neuen Dauerausstellung des Hauses in Bonn halten viele überraschende sowie der Europäischen Geschichte durch Hans-Gert Pöttering ästhetisch schöne Objekte für die Besucher (ehem. Präsident und Ehrenmitglied des Europäischen bereit: so auch das Transistorradio von Parlaments, re.), Antonio Tajani (Präsident des Europä- Telefunken aus den 1950er/1960er Jahren. ischen Parlaments, li.) und Hans Walter Hütter (Präsident der Stiftung Haus der Geschichte, Mitte) am 4. Mai 2017
Tränenpalast Plakat 2016.qxp_Layout 1 15.08.16 11:42 Seite 1 inhalt inaussicht 6 Objekte im Dunkeln inbonn inleipzig inberlin Tränenpalast 16 Alltag der deutschen Teilung Rückblende 2016 Reichstagufer 17 • 10117 Berlin www.hdg.de Di – Fr 9 – 19 Uhr, Revolte! Inszeniert Tränenpalast Sa, So, Feiertage 10 – 18 Uhr Eintritt frei Fotografien von Ludwig Binder 1965 bis 1970 Deutsche Geschichte im Spielfilm Alltag der deutschen Teilung 40 Pavillon und U-Bahn-Galerie, Bonn Zeitgeschichtliches Forum Leipzig Tränenpalast, Berlin RAF ermordet Ponto 29.6.2017 – 11.3.2018 4.4.2017 – 7.1.2018 Di – Fr 9 – 19 Uhr, Sa / So / Feiertag 10 – 18 Uhr imfokus inleipzig Geliebt. Gebraucht. Ab morgen Kameraden! Schalom 6 Objekte im Dunkeln 24 Leipziger Buchmesse Gehasst. Armee der Einheit Zeitgeschichtliches Forum Leipzig 3 Fotografen sehen Deutschland Museum in der Kulturbrauerei, Berlin Die Deutschen und ihre Autos Depotrundgänge im Haus der Geschichte „leipzig liest“ im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig 17.3. – 10.9.2017 5.5. – 3.9.2017 Haus der Geschichte, Bonn 12 Geschichte jenseits musealer Inszenierung 26 Friedliche Übernahme 10.3.2017 – 21.1.2018 Bachfest Leipzig – Lieder, Kinderfest Wandgemälde als Zeuge der Flüchtlingskrise Ausstellungseröffnung in Leipzig „Ab morgen Kameraden! Armee der Einheit“ Radkultur – die die Welt verändern? Museum in der Kulturbrauerei, Berlin 14 Unterwelten 200 Jahre Fahrrad 18.6.2017, 12:00 – 18:00 Uhr Podiumsgespräch und Diskussion mit Was den Blicken der Öffentlichkeit sonst verborgen bleibt 27 Filme machen Geschichte Museumsfest rund um den großen Liedermachern unserer Zeit Das Meer und ich Ausstellungseröffnung „Inszeniert. Deutsche Geschichte Fahrradgeburtstag Mit dem Musikwissenschaftler inbonn im Spielfilm“ in Leipzig Haus der Geschichte, Bonn Prof. Dr. Michael Custodis, der Lieder- waren im besten Alter 11.6.2017, ab 10:00 Uhr, Eintritt frei macherin Judith Holofernes sowie dem Lesung mit der Autorin Adriana Altaras 16 Pressefreiheit inberlin Liedermacher Hans-Eckardt Wenzel Anmeldung unter berlin@hdg.de, Eintritt frei Rückblende 2016 im Haus der Geschichte in Bonn GSG 9 – Moderation: Reinhard Bärenz (MDR Kultur) Atelier im Museum in der Kulturbrauerei, 28 Richtungsweisend In Kooperation mit dem Bach Archiv Leipzig Berlin 18 Geliebt. Gebraucht. Gehasst. Neues Wegeleitsystem im Museum in der Kulturbrauerei Stärker als der Terror Zeitgeschichtliches Forum Leipzig 5.7.2017, 18:30 Uhr Neue Ausstellung über die Deutschen und ihre Autos Präsentation der Biografie 10.6.2017, 11:00 Uhr, Eintritt frei imblick von General Ulrich Wegener Lange Nacht der Museen 21 Alles rund ums Auto Anmeldung unter acri@hdg.de Rückblende 2016 Tränenpalast, Berlin Familiensonntag im Haus der Geschichte 36 Idee Europa Haus der Geschichte, Bonn 13.6.2017, 19:00 Uhr, Eintritt frei Ausstellungseröffnung Museum in der Kulturbrauerei, Berlin Haus der Europäischen Geschichte in Brüssel eröffnet Zeitgeschichtliches Forum Leipzig 18.8.2017, 18:00 – 02:00 Uhr 22 Neue Abteilung „Digitale Dienste“ 12.7.2017, 18:00 Uhr, Eintritt frei Den Herausforderungen der Digitalisierung aktiv begegnen imbesonderen Museumsmeilenfest 2017 Buntes Programm für Kinder und Familien 40 „Susanne, ja, natürlich, lassen Sie sie herein“ rund um die Wechselausstellung „Geliebt. Besuchen Sie uns RAF ermordet Jürgen Ponto vor 40 Jahren Gebraucht. Gehasst. Die Deutschen und auf Facebook! ihre Autos“ Haus der Geschichte, Bonn 30 inkürze 15. – 18.6.2017, Eintritt frei 42 inzukunft / impressum Veranstaltungen in Bonn: Veranstaltungen in Leipzig: Veranstaltungen in Berlin: www.hdg.de / bonn / www.hdg.de / leipzig / www.hdg.de / berlin 43 imbilde veranstaltungen veranstaltungen
imfokus Depotrundgänge im Haus der Geschichte Objekte im Dunkeln von Aibe-Marlene Gerdes Unter dem Haus der Geschichte in Bonn liegen verborgene Schätze. In den Depots des Museums sowie an weiteren Lagerstätten in Bonn befinden sich 600.000 Exponate. Objekte, die als Zeugen der jüngeren deutschen Vergangenheit faszinierende Geschichten erzählen. Bis zum Dezember 2017 bietet das Haus der Geschichte in Bonn Begleitungen durch seine Depots an und gewährt exklusive Einblicke in einen Bereich des Museums, der den Besuchern ansonsten verschlossen bleibt. Depotverwalter Uwe Spieß nimmt ein neues Objekt für die Sammlungen der Stiftung Haus der Geschichte entgegen: die Fahrertür eines beim Anschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001 beschädigten Polizeiwagens. museumsmagazin 2.2017 7
Ein Fahrrad aus der „Senatsreserve“: Nach der „Berlin-Blockade“ lagerte der Berliner Senat ab 1953 Grundnahrungs- mittel, Medikamente, Rohstoffe und Dinge des täglichen Lebens ein. Materielle Zeugen Das Sammeln und Bewahren gehört neben dem Ausstellen zu den Kernaufga- ben eines Museums – es trägt zum Aufbau eines kulturellen Gedächtnisses der Gesellschaft bei. Die Besonderheit eines Museums für Zeitgeschichte stellt das Dokumentieren der Gegenwart dar: Welche der zahlreichen Relikte unseres All- tags sollen in die Sammlungen der Stiftung Haus der Geschichte übernommen werden? Es muss eine Auswahl getroffen werden. Den zentralen Orientierungs- rahmen bieten die Themen der Ausstellungen; zudem bestimmen gattungsspe- zifische Sammlungskonzepte – etwa zu Textil, Hausrat oder technischem Gerät – die Auswahl. Darüber hinaus dokumentiert die Stiftung aktuelle politische und gesellschaftliche Ereignisse durch Objekte, die direkt „von der Straße ins Muse- um“ gelangen. Die Sammlungsbestände der Stiftung umfassen derzeit rund eine Million Objekte, verteilt auf die Depots der Häuser in Bonn, Leipzig und Berlin. Da- von kann nur eine Auswahl in Ausstellungen präsentiert werden. Der Rundgang durch das Metalldepot in Bonn ermöglicht einen Blick hinter die Kulissen der Museumssammlungen und auf die spannenden großen und kleinen Geschich- ten, von denen die „Objekte im Dunkeln“ als materielle Zeugen der Vergangen- heit berichten. Spuren der Geschichte Objekte tragen die unmittelbaren Spuren historischer Ereignisse. Der schlamm- beschmierte Konzertflügel etwa zeugt von einem verheerenden Naturereignis der jüngeren Zeit. Er stand in der Semperoper Dresden, die während des Elb- hochwassers im August 2002 überflutet wurde. In Mitteleuropa traten Flüsse über die Ufer und verursachten allein in Deutschland Schäden von insgesamt neun Milliarden Euro. Vielerorts wurde Katastrophenalarm ausgerufen, so auch Verkaufsautomat „Kölnisch Wasser“ Diesen Konzertflügel aus der von 1960: Wird nach Einwurf einer Münze Semperoper in Dresden der Hebel rechts neben der Düse betätigt, überschwemmte das Elbhoch- so wird der Käufer mit Kölnisch Wasser wasser im August 2002. erfrischt. museumsmagazin 2.2017 9
Die Musikbox „Beat Show“ aus den Die Stiftung Haus der 1950er Jahren zieht als Repräsentant Geschichte verleiht elf Foto- der Jugendkultur das Interesse der Ausstellungen zu Themen der Besucher auf sich. deutschen Zeitgeschichte. in Dresden. Das Hochwasser hatte den bis dahin größten innerdeutschen Bun- Beatles-Songs herum, sobald deswehreinsatz zur Folge und führte zu einer Welle der Hilfsbereitschaft, die man 50 Pfennig einwarf. Die zum deutsch-deutschen Zusammenwachsen beitrug. Der abgeplatzte Lack, das Gleichsetzung der „Pilzköpfe“ mit aufgequollene Holz und der Schlamm auf dem Flügel belegen eindrücklich die Affen griff weitverbreitete Klischees zerstörerische Gewalt des Hochwassers. in der Bevölkerung auf. Verborgene Hintergründe Kinder ihrer Zeit Andere Objekte wirken auf den ersten Blick unscheinbar und entfalten ihre Fas- Am Ende des Depotrundgangs stehen zwei le- zination erst durch die Einbettung in ihren Kontext. In einer Holzkiste im hin- bensgroße Figuren. Die Bronzeskulptur eines teren Teil des Depots liegt ein in seine Einzelteile zerlegtes Fahrrad der Marke nackten Staffelläufers propagiert das arische Kör- NSU – es lässt zunächst keine Bezüge zum politischen Geschehen der Nach- perideal der Nationalsozialisten. Sie wurde 1939 kriegsjahrzehnte erkennen. Als Teil der „Berliner Senatsreserve“ dokumentiert vom Bildhauer Otto Weißmüller für das Reichs- es jedoch die Angst vor einer erneuten Blockade West-Berlins im Kalten Krieg. sportfeld in Berlin angefertigt. In den letzten Nach den Erfahrungen jener Zeit ließ der Berliner Senat 1953 auf Anordnung Kriegstagen wurde sie durchschossen – ob der Westalliierten die „Senatsreserve“ anlegen. Im Falle einer erneuten Blocka- durch einen gezielten Schuss oder durch ei- de sollte sie das alltägliche Leben der Stadt für mindestens 180 Tage sichern. nen Querschläger, ist nicht überliefert. Neben Zu den Vorräten gehörten neben Lebensmitteln, Medikamenten und Rohstoffen dem Läufer steht mit erhobener Plastikwaffe auch 5.000 Fahrräder. Erst nach der Wiedervereinigung wurde die „Senats- die Werbefigur Lara Croft. Als erste weibliche reserve“ aufgelöst. Action-Protagonistin verkörperte die Heldin aus dem Computerspiel „Tomb Raider“ in den 1990er Alltagskultur Jahren eine sexualisiert dargestellte, aber starke und selbstbewusste Frau. Beide repräsentieren Objekte wie die Musikbox „Beat Show“ geben Einblicke in die Alltagskultur und die Geschlechts- und Schönheitsideale ihrer Zeit. visualisieren in der Museumssammlung die Jugendkultur und Freizeitgestaltung In einer Ausstellung wird das ungleiche Paar vergangener Jahrzehnte. Seit den 1950er Jahren eroberten Musikboxen die wohl kaum gemeinsam zu sehen sein, im Kneipen in der Bundesrepublik. Beliebt waren die „Bimbo-Boxen“: Automaten Depot stehen sie Seite an Seite. Dort mit Marionetten in Gestalt von zotteligen Affen-Kapellen, die musizierten und warten sie neben vielen weiteren tanzten. Um 1964 ersetzte die „Beat Show“ die Affenfiguren durch eine langhaa- spannenden Objekten darauf, aus- rige Musikband. Als Kritik und Persiflage der Beatles hampelten die Figuren zu gestellt zu werden. Auch Kleidungsstücke und Schuhe Schönheitsideale ihrer Zeit: Bronzeskulptur spiegeln die Alltagskultur wider und „Staffelläufer“ von 1939, Werbefigur befinden sich im Depot des Hauses „Lara Croft“ aus dem Computerspiel der Geschichte. „Tomb Raider“, 1990er Jahre
imfokus Wandgemälde von W. Bordany in einer Flüchtlingsunterkunft in Niederau (Sachsen) nach einer Fotografie von Nilüfer Demir, die einen toten Flüchtlingsjungen im September 2015 an einem türkischen Strand fotografierte Wandgemälde als Zeuge der Flüchtlingskrise In den Sammlungen des Hauses der Geschichte befin- Strand liegend. Unterhalb dieses kleineren Bildes steht: det sich seit November 2016 ein ca. zwei mal drei Meter „Danke Deutschland. Regierung und Volk“. Die beiden Geschichte jenseits großes Wandgemälde, das sich auf dieses Foto bezieht. Bilder sind damit nicht nur Beleg für die außergewöhn- Das Bemerkenswerte an der Arbeit ist, dass nicht Aylan liche Bedeutung, die das Foto Aylan Kurdis auch für die im Mittelpunkt des Bildes zu sehen ist, sondern verschie- Flüchtlinge selbst hat, sondern es zeigt zudem die damit dene Meerestiere: Ein Hai, ein Seestern, eine Schildkröte, verbundene Dankbarkeit der Menschen für die Aufnahme musealer Inszenierung eine Krake, ein Krebs, ein Wal und ein kleiner Fisch bli- in Deutschland. cken zum Strand und beweinen den toten Jungen. Die Art der Malerei erinnert in ihrer Anmutung an Zeichentrick- figuren. Dadurch erhält die Szene eine kindliche Unschuld, Was bleibt die im absoluten Gegensatz zu den schrecklichen Ereig- Die Erstaufnahmeeinrichtung wurde im Mai 2016 ge- nissen steht, die das Foto von Aylan Kurdi repräsentiert. schlossen. Der Supermarkt sollte in seinen baulichen Ur- von Kristina Sievers zustand zurückversetzt werden. Dazu hätte auch gehört, „Danke Deutschland“ die Bilder von „W. Bordany“ zu übermalen. Sie wären da- mit unwiederbringlich verloren gegangen. Die besondere Bedeutung dieser Wandmalerei wird erst Bei den Recherchen nach aussagekräftigen Objekten durch ihre Entstehungsgeschichte vollends deutlich: Das zur Flüchtlingskrise im Rahmen des Sammlungsauftrags Bild wurde auf einer Trockenbauwand in einer Erstauf- der Stiftung erhielten wissenschaftliche Mitarbeiter des Ein kleiner Junge mit blauer Hose und rotem T-Shirt liegt tot am Strand. Anfang nahmeeinrichtung des Deutschen Roten Kreuzes in einem Hauses der Geschichte durch das Deutsche Rote Kreuz September 2015 schockierte dieses Foto des dreijährigen Aylan Kurdi die Welt. ehemaligen Supermarkt in Niederau (Sachsen) gemalt. Informationen zur Wandmalerei. Dank der Unterstüt- Es trägt die Signatur „W. Bordany“. Dieser Name ist ein zung des Landesverbandes des Deutschen Roten Kreuzes Das Kind stammte aus Aleppo in Syrien. Bei dem Versuch der Familie, über das Pseudonym, aber es ist bekannt, dass der Künstler sel- Sachsen e. V. konnten beide Malereien gerettet werden. Mittelmeer nach Griechenland zu fliehen, ertrank er. Seine Leiche wurde in der ber ein syrischer Flüchtling ist. Er soll selbst einen Sohn Die große Wandmalerei wurde in einem aufwendigen Türkei an Land gespült, wo ihn die Fotografin Nilüfer Demir am 2. September 2015 haben und dieses Bild während seines Aufenthalts in der Verfahren aus der Trockenbauwand herausgelöst und Einrichtung im Frühjahr 2016 gemalt haben. An einer befindet sich jetzt zusammen mit dem kleineren Bild im fand. Kaum ein anderes Foto wird so sehr mit der Flüchtlingskrise verbunden. Der tote Säule des ehemaligen Supermarkts findet sich eine wei- Gemäldedepot der Stiftung Haus der Geschichte der Bun- Aylan ist zur Bildikone geworden, die sich in unser Gedächtnis eingebrannt hat. tere Malerei von „W. Bordany“. Sie zeigt Aylan alleine am desrepublik Deutschland in Bonn. 12 museumsmagazin 2.2017 museumsmagazin 2.2017 13
imfokus Sammlungsdirektor Dietmar Preißler stellt bei einer Depotbegleitung die Arbeiten der Restaurierungswerkstatt anhand einer Alien-Filmfigur vor. Was den Blicken der Öffentlichkeit sonst verborgen bleibt wählt der wissenschaftliche Stab Objekte aus und wie prüft er deren Unterwelten Authentizität? Als Beispiel dient der „Schabowski-Zettel“. Zweitens: Ge- zeigt wird an einem Beispiel die Be- Interview: Ulrike Zander deutung der Objektdokumentation, die digitale Erschließung eines Objekts durch Text und Bild in unserer Da- tenbank. Diese Datensätze sind unter anderem Grundlage dafür, dass Kul- turgut zukünftig im „Netz“ überhaupt auffindbar ist. Drittens: Die Restau- rierung einer „furchteinflößenden“ Alien-Figur stellt die Arbeit der Res- taurierungswerkstatt vor. Viertens: Preißler Sie sprechen einen phantas- zunächst allen Wissenschaftlern der Wie hilft die Analyse von Fotogra- tischen Sammlungsbereich mit einer Stiftung, danach schrittweise über fien, historische Fakten zu prüfen – großen Spannbreite von Objekten an. das Internet allen Interessierten in konkret: War wirklich Tinte im Tin- Die Lederjacke von Andreas Baader der Öffentlichkeit zugänglich zu ma- tenfass, das am 23. Mai 1949 für die erzählt eine Geschichte zum Selbst- chen. Ausstellungsteams aus unseren Unterzeichnung des Grundgesetzes verständnis dieses Terroristen. Die Häusern, aber auch von anderen be- auf dem Zeremonientisch stand? Denn Lederjacke von Joschka Fischer deutenden Museen finden in unseren die für derartige Analysen von histo- führt uns in die Zeit der „Spontis“ in Sammlungen Objekte zu ihren Aus- rischen Bildern und Gegenständen Frankfurt am Main. Ein superschi- stellungsthemen. Wir leihen daher un- erforderliche spezielle Kompetenz ist ckes Kleid von Margit Nünke, der deut- sere Objekte auch an seriöse Museen besonders bei den Wissenschaftlern schen Miss Germany von 1955, steht in aller Welt aus. So befinden sich zur- in Museen vorhanden. Kenntnisse der für ein bestimmtes Rollenverständnis zeit Objekte von uns in Südamerika, Visual History und Material-Culture- der Frauen in den 1950er Jahren. Die Russland, Belgien und Österreich. Forschung sind dafür Voraussetzung. Fliegerkombi von Oberst Dora, Pilot eines Tornadojets, belegt den ersten mm Gibt es im Depot „Lieblingsobjek- mm Die drei Depotetagen des Hauses Kampfeinsatz der Bundeswehr nach te“, mit denen Sie selbst besondere Ge- der Geschichte sowie weitere Lager- dem Zweiten Weltkrieg auf dem Bal- schichten verbinden? stätten in Bonn beherbergen 600.000 kan. Die Gebetskette des türkischen Preißler Grundsätzlich sind alle un- Exponate von insgesamt mehr als ei- Geschäftsmanns Enver Ş imş ek, der sere Objekte auf ihre Art beeindru- ner Million Objekten der Stiftung Haus von dem NSU ermordet wurde, ruft ckend. Dennoch möchte ich zwei Ob- der Geschichte. Welche Bereiche im diese schrecklichen Taten der Rechts- jekte nennen, die mir besonders am Depot können der Öffentlichkeit nicht terroristen in Erinnerung. Der See- Herzen liegen. Wir haben den speziell mm Täglich werden bis Mitte Dezem- gezeigt werden? sack von Elvis Presley mit der Auf- gravierten Schreibstift, mit dem unser ber 2017 halbstündig Depotbeglei- Preißler Aus konservatorischen Grün- schrift „G.I.-Blues“ führt uns in die damaliger Bundeskanzler Gerhard tungen für jeweils 25 Besucher ange- den können die Depots für Textilien, Zeit des Kalten Krieges und zeigt den Schröder 2004 die Europäische Ver- boten. Warum ist dieser Blick hinter Kunst und Grafiken, Plakate, Kari- Einfluss Amerikas auf die Popkultur fassung unterzeichnete, die dann die Kulissen mehr als nur der Anblick katuren, museales Archivgut sowie der jungen Bundesrepublik. Für wei- wegen der ablehnenden Referenden von Regalen voller Elektrogeräte oder Fotografien und Fotoalben nicht zu- tere Informationen empfehle ich die in den Niederlanden und Frankreich Während der Dachsanierung öffnet das Haus Stellwänden mit Werbeschildern? gänglich gemacht werden. Das glei- Recherche in unserer Internetdaten- nicht in Kraft trat – ein Dilemma für der Geschichte in Bonn das Metalldepot für Preißler Es ist ein spannender Gang che gilt für unsere einmalige Biblio- bank SINT („Sammlungen im Internet“). Europa! Das zweite Objekt hat eben- durch einen Teil unseres eigenen theksgutsammlung mit historischen falls Bezug zu Europa: Der Rucksack Besuchergruppen. Aus Sicherheitsgründen und kulturellen Gedächtnisses. Wir wer- Zeitschriften, Versandkatalogen und mm Anhand welcher Kriterien fallen eines jungen Interrail-Teilnehmers, konservatorischen Aspekten ist die „Unterwelt“ den über Gegenstände und deren Ge- Widmungsexemplaren. Technisches die Entscheidungen, welche Objekte auf dem alle seine Stationen in West- des zeitgeschichtlichen Museums nur selten für schichte in die Vergangenheit geführt Kulturgut und Großobjekte wie Autos, im Depot bleiben und welche für Aus- europa, die er Mitte der 1970er Jahre und stellen darüber den Bezug zu Teile der Berliner Mauer oder das Mo- stellungen verwendet werden? bereiste, über Sticker markiert sind. Besucher zugänglich, doch für die Dauer der unserer Gegenwart her. Sammlungen biliar mächtiger Persönlichkeiten sind Preißler Die Sammlungen sind Wis- Ein Jugendlicher, der eine ganze In- Dachsanierung dürfen Gruppen unter dem Motto wirken gegen das Vergessen. in Außendepots untergebracht. sens-, Bild- und Dingspeicher. Unser terrail-Generation repräsentiert, er- „Objekte im Dunkeln“ das Depot besuchen. Darüber hinaus veranschaulichen Ziel ist es, dieses Speichergedächtnis fährt die Bedeutung vom freien Reisen wir anhand von vier Stationen die mm Auch im Textilbereich sind soge- und freien Kontakt zu Gleichaltrigen Sammlungsdirektor Dr. Dietmar Preißler erklärt breit gefächerte Arbeit in den Samm- nannte story telling objects von gro- in den westeuropäischen Ländern. im Gespräch mit dem museumsmagazin lungen eines modernen Museums. ßer Bedeutung. Können Sie uns Bei- Die Bahnen schufen mit dem Interrail- die Besonderheit dieses Angebots. Erstens: Nach welchen Kriterien spiele nennen? Ticket ein Stück europäische Identität. Mit diesem Tintenroller unterschrieb der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder am 29. Oktober 2004 in Rom die Europäische Verfassung. Der Stift trägt die entsprechende Gravur: „Constitutio Europaea / subscripta est / Praesidentibus Batavis / Romae 29.10.2004“. 14 museumsmagazin 2.2017 museumsmagazin 2.2017 15
Den ersten Karikaturenpreis erhält Zur Ausstellungseröffnung „Rückblende 2016“ Der erste Fotopreis geht an Krisztian Bocsi für sein Martin Erl für seine Karikatur im Haus der Geschichte in Bonn am 25. April 2017 Bild von der britischen Premierministerin Theresa May „Wo ist der Stern? Verhaftet!“. diskutieren Staatssekretärin Heike Raab (Mitte), (li.o.), während Kay Nietfeld für seine Fotografie über Rückblende 2016 der Vorsitzende der Bundespressekonferenz Horst Seehofer, Ministerpräsident von Bayern, der im Gregor Mayntz (li.) und Stiftungspräsident Bundeskanzleramt gegenüber von Bundeskanzlerin im Haus der Geschichte in Bonn Hans Walter Hütter über die Auswahl der Bilder. Angela Merkel Platz nimmt (o.re.), den Sonderpreis „Das scharfe Sehen“ erhält. Greser & Lenz werden für Pressefreiheit ihre Karikatur „Neulich auf einem Markt im Senegal“ (u.re.) mit dem zweiten Karikaturpreis ausgezeichnet. mehr Karikaturen als sonst für die Ausstellung aufgenom- men habe. „Dieses Jahr liegt eine starke Emotionalität in von Ulrike Zander den Karikaturen“, so Raab. gelang es ihm, ein unverwechselbares Bild zu machen, das Jenseits populistischer Kräfte den Ausstieg der Briten aus der EU mit dem Ausstieg der bri- tischen Premierministerin aus ihrem Wagen verbindet und „Die Rückblende schaut auf das vergangene Jahr zurück – auf die wesentlichen kulturellen, gesellschaft- Wiederum erreichten die Teilnehmerzahlen der Rückblende zudem in ästhetischer Hinsicht Aufmerksamkeit auf sich lichen und politischen Ereignisse“, erklärte der Präsident der Stiftung Haus der Geschichte Prof. Dr. Hans 2016 mit 213 Fotografen und 67 Karikaturisten nahezu das zieht. Unter den Karikaturen war bei den Eröffnungsgästen Rekordniveau der Vorjahre. Für den Wettbewerb – ausge- besonders die Zeichnung des Karikaturistenduos Greser & Walter Hütter zur Eröffnung der Rückblende 2016 im Haus der Geschichte am 25. April 2017. Angesichts richtet von der Landesvertretung Rheinland-Pfalz gemein- Lenz beliebt, die den zweiten Platz im Karikaturenwettbe- der zum Teil besorgniserregenden Entwicklungen in Europa bekräftigte Staatssekretärin Heike Raab, sam mit dem Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger – werb belegte. Am 24. September 2016 in der Frankfurter Bevollmächtigte des Landes beim Bund und für Europa, für Medien und Digitales, die Aufgabe der Rück- wurden 1.156 Arbeiten eingereicht. Die Rückblende müsse Allgemeine Zeitung veröffentlicht, zeigt sie die Szene „Neu- weiterhin sachlich und korrekt die Wahrheit berichten, stell- lich auf einem Markt im Senegal“, wobei ein dunkelhäuti- blende: „Dann ist es umso wichtiger, dass wir hier in Deutschland ein klares Bekenntnis zur Pressefreiheit te Raab fest: „Postfaktischer Unsinn kursiert schon genug“. ger Polizist einen weißen Touristen am Kragen packt und und Meinungsfreiheit als demokratiebildendes und demokratiestärkendes Element verteidigen.“ Im Pavillon des Hauses der Geschichte in Bonn wa- sagt: „Er hat Bananen geklaut, wir müssen ihn abschie- ren bis zum 5. Juni 2017 die ausgewählten Fotografien und ben.“ Sein Kollege antwortet, während er die Papiere prüft: Die Ausstellung zur 33. Rückblende – dem deutschen Preis Karikatur. Manchmal ertappe ich mich dabei, dass ich mei- Karikaturen zu sehen. Dass gute Fotografen nicht nur ein- „Geht nicht, er kommt aus Sachsen, das ist kein sicheres für politische Fotografie mit dem Karikaturenpreis der ne Geschichten so schreibe, als wollte ich eigentlich die Ka- dimensional abbilden, sondern in ihre Bilder noch eine Herkunftsland.“ Weiterhin bestimmt die Flüchtlingskrise, deutschen Zeitungen – wurde zum 17. Mal im Haus der rikatur zeichnen.“ Vor allem in Zeiten von Social Media er- zweite oder dritte Ebene einbeziehen, zeigen die Preisträ- aber auch der Brexit-Beschluss der Briten, der US-Wahl- Geschichte in Bonn gezeigt. Zur Eröffnung begrüßte Hans gäbe sich für die Karikatur eine neue große Chance, erklärte ger deutlich: Der mit 7.000 Euro dotierte erste Preis für kampf mit Wahlsieger Donald Trump sowie die Situation Walter Hütter neben der Staatssekretärin auch Dr. Gregor Mayntz: „Sie haben 140 Zeichen bei Twitter oder Sie haben Fotografie ging an Krisztian Bocsi vom Nachrichtenunter- in der Türkei thematisch das Jahr 2016. „Wenn man die Mayntz, Parlamentsredakteur der Rheinischen Post in Berlin die Möglichkeit, ein Bild zu posten.“ Das Bild könne ganze nehmen Bloomberg, der die britische Premierministerin Kataloge der Rückblende in eine Reihe stellt, dann ist das und Vorsitzender der Bundespressekonferenz. „Ich persön- Geschichten erzählen. Daher würde nun häufig auf Karika- Theresa May am 18. November 2016 in Berlin fotografierte, fast wie ein Geschichtsbuch in Bildern und Karikaturen“, lich wollte immer lieber Fotograf werden als schreibender turen zurückgegriffen, die einen neuen Aufschwung erleb- als sie am Bundeskanzleramt zum Gespräch mit Bundes- resümierte Staatssekretärin Raab. Vom 13. Juli bis zum Korrespondent“, gab Mayntz zu. „Ich weiß um die Bedeu- ten. Diese seien dieses Mal ungewöhnlich stark gewesen, kanzlerin Angela Merkel aus dem Wagen steigt. In dem klei- 3. September 2017 ist die Rückblende 2016 im Zeitge- tung des Bildes und ganz besonders um die Bedeutung der betonte auch Staatssekretärin Heike Raab, sodass die Jury nen Zeitfenster, das dem Fotografen zur Verfügung stand, schichtlichen Forum Leipzig zu sehen. 16 museumsmagazin 2.2017 museumsmagazin 2.2017 17
inbonn Neue Ausstellung über die Deutschen und ihre Autos Geliebt. Gebraucht. 1 Gehasst. von Ulrike Zander Wie sehr das Automobil seit seiner Erfindung 1885 die Menschen fasziniert, stellt nicht nur die Ausstellung Selten in der Geschichte hat ein Massenprodukt aus Blech so viel dar, sondern verdeutlichte auch der große Andrang zur ambivalente Emotionen hervorgerufen: Als Symbol für Freiheit, Selbst- Ausstellungseröffnung 1. Bevor Horst Lichter zusam- bestimmung und Identität, als Fortbewegungsmittel Nr. 1, Repräsentant men mit Stiftungspräsident Hans Walter Hütter die Autoschau eröffnete 2, erzählte er von seiner Auto- und für Umweltverschmutzung und Verschwendung prägte das Auto Sammlerleidenschaft, die er schon als Junge pflegte. Generationen. „Die Begriffe ‚Geliebt, Gebraucht, Gehasst‘ beschreiben „Am aller beeindruckendsten in der Jugend waren Autos das Thema unserer neuen Ausstellung prägnant“, erklärte der Präsident und Mopeds. Die versprachen Freiheit, Rebellion und Geschwindigkeit“, so der Fernsehkoch. Der zwei Jahre der Stiftung Haus der Geschichte, Prof. Dr. Hans Walter Hütter, ältere Nachbarsjunge hatte schon mit 16 eine Hercules zur Ausstellungseröffnung am 9. März 2017. Die neue Ausstellung K50. „Mensch, was habe ich den beneidet“, schwärm- im Haus der Geschichte in Bonn präsentiert die „Faszination Auto“ te Lichter. „Ich habe ihm im Monat 5 Mark gegeben, um sein Moped putzen zu dürfen.“ Als er dann selber und zeigt zudem ihre Kehrseite. Über das Langzeitphänomen Auto 2 16 Jahre alt wurde, bekam Lichter sein erstes Moped – tauschte sich der Stiftungspräsident am Eröffnungsabend mit dem eine Yamaha Y50, während der Nachbarsjunge schon Erfolgsautor, Fernsehkoch und Autonarr Horst Lichter aus, eine Kawasaki Z900 fuhr. Danach folgten für Lichter noch viele und immer teurere Autos, darunter ein Manta der sich dem Thema ebenfalls ausgesprochen Berlinetta in Blaumetallic mit Cordbezügen, ein Bentley emotional näherte. von 1928 und ein Jaguar C-Type. Doch auf die Frage, welches denn sein absolutes Lieblingsauto sei, antwortete der Rommerskirchener ganz bodenständig: „Ein Opel GT. Davon habe ich schon mit 18 geträumt. Damit hättest du jedes Mädel von der Kirmes weggeholt.“ Zwischen Autorennen und Wackeldackel Nicht nur die Äußerungen von Horst Lichter – auch der Ein- gang zur Ausstellung ließ die Premierengäste schmunzeln: Eine Autowaschanlage 3 fordert dazu auf, das Programm „geliebt“, „gebraucht“ oder „gehasst“ zu wählen, wonach in der Waschbox selbst die jeweiligen Bilder erscheinen und den Besucher auf das „Autoland Deutschland“ einstim- 3 men. Vorbei am westdeutschen VW-Käfer und ostdeutschen Trabbi „Schorsch“ bewunderten die Besucher die ausla- dende Staatskarosse „Mercedes 600 Pullmann“, den einzi- gen Rennwagen der DDR „Melkus RS 1000“ 4 und den Opel Manta B aus dem Film „Manta Manta“. 4 museumsmagazin 2.2017 19
inbonn Familiensonntag im Haus der Geschichte Alles rund ums Auto von Frauke Dungs Der Familiensonntag am 26. März 2017 stand ganz 6 5 im Zeichen der aktuellen Wechselausstellung „Geliebt. Gebraucht. Gehasst. Die Deutschen und ihre Autos“ und bot besondere Mitmachaktionen und Attraktionen Die rund 800 Objekte in der Ausstellung sind Themen wie „Auto und Freiheit“, „Auto als Statussymbol“, „Auto und Frau“, „Auto und Repräsentation“ oder „Auto und Zu- für Jung und Alt. Neben Begleitungen durch die aktuelle Wechselausstellung gab es im „Offenen Atelier“ kreative Angebote speziell für Familien wie Spiel-, Mal- und Bastelaktionen 1 zum Thema Auto: So konnten Kinder aus 2 kunft“ zugeordnet. „So äußern sich im Bereich ‚Auto und Eierkartons und Papprollen garantiert schadstofffreie Autos basteln 2. Freiheit‘ Zeitzeugen über ihre ersten Erlebnisse mit einem Auf einer XXL-Carrera-Bahn 3 lieferten sich zahlreiche Besucher hei- Auto“, erklärte Projektleiter Ulrich Op de Hipt. „Dort ist ße Wettrennen und freuten sich über einen Eintrag auf dem Highscore- beispielsweise der Führerschein von Günther Jauch 5 zu Bildschirm. sehen, der für ihn den Eintritt in die Erwachsenenwelt Objekte im Dunkeln 3 bedeutete.“ Dass die Ausstellung dem Motto der Stiftung Haus der Geschichte folgt und Geschichte als Erlebnis präsentiert, Das Team der Bildungsreferenten und Besucherbegleiter nutzte den Tag betonte Ausstellungsdirektor Dr. Thorsten Smidt: „Neben zudem, um den Besuchern das aktuelle Programmangebot vorzustellen, einem Fahrsimulator 6 können Sie in einem Geruchs- das es während der gesamten Zeit der Glasdachsanierung geben wird. labor 7 Automarken an ihrem Geruch erkennen oder Gerade die Begleitungen durch die sonst für die Öffentlichkeit nicht zu- testen, ob Sie Motorengeräusche oder Schalthebel be- gänglichen Sammlungsdepots des Hauses der Geschichte fanden gro- stimmten Autos zuordnen können.“ Tatsächlich ließen sich ßen Anklang 4. Manch interessante, spannende und für Überraschung die Besucher emotional auf das Objekt der Begierde sowie sorgende Objekte sowie unerwartete Blicke hinter die Kulissen eines seine Schattenseiten ein und malten am Ende der Ausstel- Museums erwarteten die Besucher. Oder hätten Sie gedacht, auf dem lung ihre Vorstellung von einem Auto der Zukunft – ob flie- Rundgang plötzlich einem Alien gegenüberzustehen? 7 4 gend, schwimmend oder mit WLAN-empfangender Front- Ergänzend zu dem vielfältigen Angebot wurde ein weiterer Fokus scheibe. Letztlich sorgte der für viele unerträgliche Anblick auf Bonn als Bundeshauptstadt gelegt. Anhand des Adenauer-Mercedes eines Porsche 997 – vom Künstler Gottfried Bechtold in oder des Salonwagens im Untergeschoss des Hauses der Geschichte und eine Schrottskulptur 8 verwandelt – für wahre Gefühlsaus- weiteren Objekten in der U-Bahn-Galerie wurde diese Zeit für die Besu- brüche: „Was für ein Jammer“, trauerte ein Premierengast. cher wieder lebendig. 1 8 20 museumsmagazin 1.2017 museumsmagazin 2.2017 21
inbonn Den Herausforderungen der Digitalisierung aktiv begegnen Neue Abteilung „Digitale Dienste“ Seit dem 15. Mai 2017 hat Dr. Ruth Rosenberger die Leitung der neu eingerichteten Abteilung „Digitale Dienste“ der Stiftung Haus der Geschichte übernommen. Die neue Abteilung bündelt stiftungsweit alle digitalen Aufgaben in Bonn, Leipzig und Berlin, um sie in Zukunft strategischer ausrichten zu können. Neben dem Zeitzeugenportal gehören die Bereiche Medien in den Ausstellungen, Online- Redaktion, Datenmanagement sowie IT zur Abteilung „Digitale Dienste“. Mit der Digitalisierung Das Kuratorium der Stiftung Haus der Geschichte entschied am 12. Mai 2017, Ruth Rosenberger als verändert sich die Abteilungsleiterin „Digitale Dienste“ zu benennen. Seit 2010 hat Rosenberger den Online-Bereich der Besucherkommunikation: Stiftung Haus der Geschichte auf- und ausgebaut. Zuvor war die Zeithistorikerin für die Historische Ziel sind digitale Angebote Kommunikation der Volkswagen AG sowie für die Jewish Claims Conference tätig. „Schwerpunkte mit Mehrwert im Museum der Arbeit der neuen Abteilung werden darauf liegen, die verschiedenen digitalen Bereiche, die in der oder im Netz für alle. Stiftung bereits vorhanden sind, noch besser miteinander zu vernetzen – sowohl intern als auch in der Wirkung nach außen“, erklärte Rosenberger und fügte hinzu: „Ziel ist es, Vor-Ort-Angebote und digitale Angebote nahtlos miteinander zu verbinden, sodass Besucherinnen und Besucher den Über- gang zwischen Museum und Netz intuitiv überschreiten.“ Die Entscheidung, eine eigene Abteilung für dieses Thema einzurichten, erläuterte der Präsident der Stiftung Haus der Geschichte Prof. Dr. Hans Walter Hütter: „Ein modernes Museum muss sich ak- tiv den Herausforderungen der Digitalisierung stellen. Die Aufgabe besteht darin, für unsere Museen in Bonn, Leipzig und Berlin auch im digitalen Zeitalter den für uns passenden Weg zu finden sowie die geeigneten Medien und Formate zu entwickeln.“ Zeitzeugenportal Ein wichtiger Anstoß für die Einrichtung der neuen Abteilung ist das neue Zeitzeugenportal, das die Stiftung Haus der Geschichte im Verlauf des Jahres 2017 auf Grundlage der Vorarbeiten des Vereins „Gedächtnis der Nation“ erstellt. Das Zeitzeugenportal ist neben dem bereits bestehenden Online-Portal zur deutschen Geschichte LeMO – Lebendiges Museum Online ein neues Standbein der Web-Präsenz der Stiftung. Hier werden bis Ende 2017 mehrere Tausend Zeitzeugeninter- views mit neuen Erschließungsmöglichkeiten für die Öffentlichkeit im Netz zur Verfügung gestellt. Der Nutzer findet verschiedene Zugänge zu den Videos vor: über Zeiträume, Themen oder Personen. Die Plattform umfasst Zeitzeugeninterviews zur deutschen Geschichte vom Ersten Welt- krieg bis zur Gegenwart sowohl mit Alltagsmenschen als auch mit Personen der Zeitgeschichte. Zukünftig soll das Portal zu einer bundesweiten Platt- form für Zeitzeugenvideos ausgebaut werden. Ruth Rosenberger, Leiterin der neuen Abteilung „Digitale Dienste“ museumsmagazin 2.2017 23
inleipzig „leipzig liest“ im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig Leipziger Buchmesse Über sein neues Buch Le Mensch. Dr. Anna Kaminsky, Geschäftsfüh- Bereits zum 24. Mal luden die von Eike Hemmerling Die Ethik der Identitäten sprach der rerin der Bundesstiftung zur Auf- Sind die sogenannten sächsischen Veranstalter des Leipziger Euro- renommierte deutsch-französische arbeitung der SED-Diktatur, geht Verhältnisse in Bezug auf die Pe- paforums zu einer international Politikwissenschaftler Prof. Dr. Alfred in ihrem aktuellen Buch der Frage gida-Bewegung und die hohe An- besetzten Podiumsdiskussion ein. Grosser mit dem polnischen Publizis- nach, wie Frauen in der DDR tat- zahl rechter Gewalttaten ein auf Diesmal lautete das Thema: „Nach ten Dr. Antoni Libera und dem Jour- sächlich lebten. Im Zeitgeschicht- den Freistaat begrenztes Phäno- den Wahlen in den USA: Neue He- nalisten Bastian Wierzioch. Facetten- lichen Forum beschrieb sie, dass men? Oder muss die zunehmende rausforderungen für Europa“. reich und mit persönlichen Einblicken Frauen oft mit Berufstätigkeit, Mut- Radikalisierung der gesellschaft- Reinhard Bütikofer (Mitglied des schildert Grossers Buch die Entste- terschaft und Emanzipation über- lichen Mitte als Vorbote künftiger Europäischen Parlaments und Vor- hung und Moral sozialer Identität. Im lastet waren, obwohl ihnen viele politischer Veränderungen in ganz sitzender der Europäischen Grü- Gespräch warnte er eindringlich vor Wege offen standen, da, so die of- Deutschland verstanden werden? nen Partei), Dr. Emmanuel Droit Politikverachtung und zog Bilanz über fizielle Lesart, der Staat vorbildlich Das Buch Unter Sachsen. Zwischen (Historiker, Stellv. Direktor des Bei Europas größtem Lesefestival „leipzig liest“ während der das „Menschwerden inmitten der Ver- für „seine Frauen“ sorgte. Das Buch Wut und Willkommen geht diesen Centre Marc Bloch/Deutsch-fran- zweiflung am Weltgeschehen“. Frauen in der DDR vermittelt mit Fragen nach. Unter der Leitung des zösisches Forschungszentrum für Leipziger Buchmesse war das Zeitgeschichtliche Forum ein biografischen Portraits einen Ein- Verlegers Dr. Christoph Links dis- Geistes- und Sozialwissenschaften, gefragter Veranstaltungsort: Vom 23. bis 25. März 2017 kamen Auch die Buchpremiere von Die un- druck über die Vielfalt weiblicher kutierten die Herausgeber Heike Berlin), Brent Goff (Chef-Nachrich- knapp 1.900 Gäste zu insgesamt 17 Veranstaltungen. Einen heimliche Leichtigkeit der Revoluti- Lebensentwürfe in der DDR. Kleffner und Matthias Meisner so- tensprecher, Deutsche Welle News, on. Wie eine Gruppe junger Leipziger wie Iris Gleicke MdB, Beauftragte Berlin) und Tomasz F. Krawczyk Höhepunkt stellte der Besuch von Mathias Énard dar, dem dies- die Rebellion in der DDR wagte fand Mit Friedrich Magirius legte kürzlich der Bundesregierung für die neuen (Jurist und Philosoph, Publizist der jährigen Preisträger des Leipziger Buchpreises zur europäischen enormen Zuspruch. Der Journalist einer der wichtigsten wie umstritte- Bundesländer, sowie der Blogger Ali größten polnischen Tageszeitung Verständigung 2017. Er stellte seinen Bestsellerroman Kompass und Filmemacher Peter Wensierski nen Protagonisten der friedlichen Schwarzer vor einem vollbesetzten Rzeczpospolita und des Internet präsentierte sein jüngstes Werk vor Revolution seine Lebenserinnerun- Auditorium. portals „BiznesAlert“, Warschau) im Gespräch mit der Historikerin Dr. Leyla Dakhli und dem 250 Gästen, darunter viele Prota- gen vor. Zur Buchmesse präsentier- versuchten unter der Leitung von Publizisten Daniel Gerlach vor. gonisten seines Buches. Wensierski te der Theologe unter Mitwirkung Dr. Winfried Sühlo studierte in Prof. Dr. Eckart D. Stratenschulte zeichnet die Geschichte einer Gruppe von Prof. Dr. Rainer Eckert (Histori- West-Berlin, als Studenten Ende der (Europäische Akademie Berlin) Sie schrieben Briefe und gingen ein junger Leipziger nach, die trotz Ver- ker und Politikwissenschaftler) und 1960er Jahre auf die Straße gingen. über die erst wenige Wochen dau- hohes Risiko ein – Adressat: BBC folgung durch die Staatssicherheit in Michael Weichert (Politiker, Bündnis Später arbeitete er unter anderem ernde Amtszeit des 45. Präsidenten London. 1949 startete die britische den 1980er Jahren ihre Ideale vertei- 90/Die Grünen) seine Autobiografie in der Planungsabteilung des Bun- der USA, Donald Trump, eine erste Rundfunksendung „Briefe ohne digte und sich für grundlegende Ver- Gelebte Versöhnung. Meine Erinne- deskanzleramtes, in der Ständigen Prognose über die Entwicklung der Unterschrift“. Jeden Freitagabend änderungen in der DDR einsetzte. rungen. Vertretung der Bundesrepublik bei transatlantischen Beziehungen. wurden anonyme Zuschriften von der DDR oder in der Staatskanzlei Hörern aus der DDR verlesen, über von Schleswig-Holstein. In seinem Den Schlussakkord setzte auch in die- 25 Jahre lang. Susanne Schädlich, Buch Der rote Koffer. Mein Blick auf sem Jahr der Theologe und ehemali- Autorin von Briefe ohne Unter- ein gespaltenes Land verbindet er ge Bürgerrechtler Dr. h.c. Friedrich schrift. Wie eine BBC-Sendung die Zeitgeschichte mit seinen persön- Schorlemmer. In seinem Vortrag DDR herausforderte, entdeckte die- lichen Erlebnissen und hält dabei „Leben und Wirkung des frommen se einzigartigen Zeitdokumente. Sie auch die Erinnerung an viele inter- Rebellen Martin Luther“ widmete erzählte während der Buchmesse essante Aspekte deutsch-deutscher er sich Luthers facettenreicher, bis von den britischen Journalisten, die Kulturgeschichte wach. Mit Thomas heute umstrittener Persönlichkeit. dem SED-Regime so lange die Stirn Krüger (Präsident der Bundeszen- Schorlemmer stellte zur Diskussion, boten. Sie berichtete auch über die trale für politische Bildung), der welche Wirkungen Luthers Werk bis Schicksale der mutigen Absender, Schriftstellerin Irina Liebmann und heute hat, und zeigte auf, wie viel Er- die der Verfolgung durch die Staats- dem Karikaturisten Klaus Staeck kenntnis, Trost und Ermutigung er sicherheit zum Opfer fielen. sprach Sühlo über sein Leben. selbst aus Luthers Schriften schöpft. museumsmagazin 2.2017 25
inleipzig Ausstellungseröffnung in Leipzig „Ab morgen Kameraden! Armee der Einheit“ Friedliche Übernahme von Peter Paul Schwarz Die Ausstellung umfasst sieben Themen- General a.D. Ekkehard Richter spricht zur Ausstellungseröffnung am 16. März 2017 Ausstellungseröffnung „Inszeniert. bereiche, in denen jeweils ein Film im Vorder- grund steht, wie hier „Das Leben der Anderen“ über die Übernahme der Nationalen Volks- „Es war ein historisch einmaliger Vorgang!“, über die Staatssicherheit in der DDR. armee in die Bundeswehr. resümierte General a.D. Ekkehard Richter zur Deutsche Geschichte im Spielfilm“ in Leipzig Eröffnung der Ausstellung „Ab morgen Kameraden! Armee der Einheit“ im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig die Zusammenführung der verfeindeten Streitkräfte in Ost und West zur „Armee der Einheit“ im Zuge der deutschen Wiedervereinigung. Filme machen Geschichte von Peter Paul Schwarz Der Regisseur des Films „Good Bye, Lenin!“ Spannend und kenntnisreich schilderte er seine Erfah- Wolfgang Becker spricht zur Ausstellungs- rungen bei der Mitgestaltung der gemeinsamen Streitmacht. eröffnung in Leipzig über Geschichts- Die neue Wechselausstellung im Zeitgeschichtlichen Forum erzählungen im Film. Leipzig beleuchtet bis zum 10. September 2017 mit rund 500 Objekten wie innerhalb kürzester Zeit aus Gegnern Kame- Der große Publikumserfolg „Good Bye, Lenin!“ ist „eigentlich eine raden wurden. Sie lädt außerdem zur Beschäftigung mit der dreiste Lüge, eine hanebüchene Verfälschung der Zeitgeschichte!“, Rolle der Bundeswehr in der Demokratie ein, so der Direktor des Zeitgeschichtlichen Forums Leipzig Dr. Jürgen Reiche. bekannte der Eröffnungsredner Wolfgang Becker am 4. April 2017 im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig. Miteinander Als Regisseur eben dieses Films lenkte er unterhaltsam einen erhellenden Blick auf Die Unterzeichnung des Zwei-plus-vier-Vertrags war die die Wirkung filmischer Geschichtserzählungen. Sie prägen „unser Geschichtsbild“ Voraussetzung für die Wiedervereinigung und die Über- und erzielen dabei eine „immense Wirkung“, erläuterte der Direktor des Zeitge- nahme der Nationalen Volksarmee (NVA) der DDR durch schichtlichen Forums Leipzig, Dr. Jürgen Reiche. Bis zum 7. Januar 2018 zeigt die die Bundeswehr am 3. Oktober 1990. Aus Angehörigen der neue Ausstellung in Leipzig wie Filme unsere Sicht auf Geschichte beeinflussen, NVA wurden Soldaten der Bundeswehr, etwa 11.000 wur- und beleuchtet dabei das spannende Wechselspiel zwischen historischen Ereignis- den dauerhaft übernommen. Innerhalb nur eines Jahres sen und ihrer Inszenierung. nach der friedlichen Revolution im Herbst 1989 wurde die Volksarmee aufgelöst. Bei der Verschmelzung beider Ar- Tricks und Kniffe meen mussten enorme Aufgaben bewältigt werden. Dies habe auch „Überraschungen“ beinhaltet, da man sich an- Filme wie „Holocaust“, „Nackt unter Wölfen“, „Operation Walküre“ oder „Unsere fangs erst einmal einen Überblick über die Dienststellen und Mütter, unsere Väter“, „Die Flucht“, „Der Baader Meinhof Komplex“ und „Das Leben den NVA-Bestand verschaffen musste, erläuterte Richter. Die der Anderen“ gehören zum kollektiven Gedächtnis. Auch wenn sie historische Ge- unterschiedlichen Prägungen und Biografien der Menschen, schehnisse verarbeiten, geben diese Filme Auskunft darüber, wie in der jeweiligen die nun zusammenarbeiteten, bildeten eine weitere Heraus- Gegenwart Geschichte gedeutet wird: Welche Ereignisse werden wann verfilmt? forderung. Daher sei das „Miteinander“ bei der Schaffung Setzen Filme eigene Themen? Wie nah sind sie an der Realität? Und: Schaffen einer gemeinsamen Streitkraft bemerkenswert gewesen, Filme eigene ‚Wahrheiten‘? Becker unterstrich, dass filmische Erzählungen kein hob Richter hervor. An den Kasernenstandorten in den neu- „Fenster“ seien, „durch das wir auf die Vergangenheit blicken könnten, so wie sie en Bundesländern traf die Bundeswehr anfangs auch auf wirklich war“, auch wenn viele filmische Darstellungen den Anspruch erheben wür- Vorbehalte. Zu tief saßen die Erfahrungen mit der NVA. Die den, wahr und authentisch zu sein. Spielfilme mit geschichtlichen Themen erzeug- Hilfe der Bundeswehr bei der Oderflut 1997 veränderte ihre ten eine „Gegenwart von Vergangenheit“, mit der sie die Zuschauer fesselten, hielt Wahrnehmung nachhaltig. Auch die internationalen Bewäh- Becker weiter fest. Um diese Effekte zu erzielen, gebe es zahlreiche dramaturgische Zeitungsausschnitte und Zitate zeigen rungsproben der „Armee der Einheit“ zeigt die neue Ausstel- „Tricks und Kniffe“, erläuterte Reiche. Die neue Ausstellung zeigt den spezifischen die zeitgenössischen Debatten um lung und regt zur Auseinandersetzung mit ihrer gesellschaft- Umgang zeithistorischer Filme mit historischen Ereignissen und Personen und lädt die Filme und ihre Themen. lichen und internationalen Bedeutung an. zur Beschäftigung mit „Deutscher Geschichte im Spielfilm“ ein. Die Ausstellung verdeutlicht über persönliche Eindrücke und Objekte von Zeitzeugen, wie die Zusammen- führung zweier ehemals verfeindeter Armeen gelingt. museumsmagazin 2.2017 27
inberlin Neues Wegeleitsystem im Museum in der Kulturbrauerei Richtungsweisend von Nina Lerch In denkmalgeschützten Gebäuden kann die Wegeführung zu einer besonderen Herausforderung werden. Zumal, wenn aus einem ehemaligen Krankenstall für Pferde ein modernes Museums- gebäude geworden ist – wie beim Museum in der Kulturbrauerei. Nicht nur die Wegeleitung innerhalb des Gebäudes, wie die Ausschilderung der Ausstellungsflächen, Veranstaltungsräume und Serviceeinrichtungen, sondern auch die Wegeführung an der Fassade des Museums sind entscheidend für ein gelungenes Besuchserlebnis. Die Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland suchte daher nach einem Wegeleitsystem, das eindeutig, sichtbar und ansprechend gestaltet ist, Innen- und Außenbereiche ineinander greifen lässt und dazu den Denkmal- schutz berücksichtigt. In nur vier Monaten konnte ein System entwickelt und installiert werden, das diese herausfordernden Bedingungen erfüllt: Alle Pik- togramme, Schrift- und Richtungszeichen sind international verständlich. Ihre Anordnung auf den Schildern folgt einem wiederkehrenden Muster, das der Besucher einmal „lernt“ und wiedererkennt. Die Farbkontraste, Schrift- und Schildgrößen erfüllen die gewünschte Sicht- und Lesbarkeit und passen sich gleichzeitig in die Farb- und Gestaltungsumgebung des Museums ein. Eine be- sondere Aufgabe in der Wegeführung lag darin, den Aufgang zur Dauerausstel- lung ins Obergeschoss zu stärken. Sowohl Brand- als auch Denkmalschutz las- sen im Aufgang und Treppenhaus wenig Spielraum, um den Bereich attraktiver zu gestalten. Durch kontrastreiche Farben, eindeutige Richtungshinweise und wiederkehrende Bestätigungen der Richtung schafft das neue Wegeleitsystem nun, die Besucher darin zu bestärken, das Treppenhaus als Aufgang zur Dauer- ausstellung wahrzunehmen. Wo geht es lang? Im Außenbereich konnte ebenfalls eine klare Gestaltungslinie umgesetzt wer- den: Die Menge an Schildern, Bannern und Hinweisen wurde sowohl in der Anzahl als auch Gestaltung reduziert und vereinheitlicht. Diese Konzentration auf das Wesentliche stärkt die Verbindung zwischen Dauer- und Wechselausstel- lung: Für die Besucher wird nun deutlich, dass beide Angebote zum Museum in der Kulturbrauerei gehören, obwohl sie unterschiedliche Eingänge haben. Auf die neue Gestaltungslinie trifft der Besucher nun bereits auf seinem Weg zum Museum: Laternenschilder entlang der Danziger Straße weisen im neuen Look schon auf das Museum in der Kulturbrauerei hin. Vor allem im Treppenhaus des Museums Das neue Wegeleitsystem zeichnet sich in der Kulturbrauerei (o.) verhelfen die neuen durch klare Gestaltungslinien im Außen- Piktogramme, Schrift- und Richtungszeichen und Innenbereich aus. zu einer klaren Orientierung. museumsmagazin 2.2017 29
inkürze 1 2 3 4 5 1 Reclam Leipzig 1945–1991 3 Internationale Tourismus-Börse 4 Monument des Machtwechsels von Strukturen, Relationen und Verhalten komplexer Systeme. Somit stellte der Siegerentwurf einen schlichten, nüchternen, leipzig Jeder kennt die schmalen Hefte von Reclams Universal- berlin Vom 8. bis zum 12. März 2017 öffnete das Messegelän- bonn „In der letzten Zeit erregten die Bauten der 1960er von jeglicher Monumentalität freien und funktionstüchtigen Bibliothek, die bei äußerster Sparsamkeit in der Ausstattung de Berlin seine Tore für die 51. Internationale Tourismus-Börse. Jahre vor allem dann Aufmerksamkeit, wenn sie gesprengt Raum dar. „Das Provisoriumskonzept spielte eine große Rolle“, deutsche und internationale Literatur zum günstigen Preis bie- Die jährlich stattfindende ITB ist die größte Reise- und Touris- wurden“, erklärte Dr. Merle Ziegler, Kunsthistorikerin und fügte Recker hinzu. „Alle hielten an dem Plan fest, dass die ten. Weniger bekannt ist, dass der 1828 in Leipzig gegründete musmesse weltweit. Über 170.000 Besucher informierten sich Autorin des Buches Kybernetisch Regieren. Architektur des gesamtdeutsche Hauptstadt Berlin sein würde“, so die Vor- Reclam Verlag zwischen 1947 und 1990/91 in Gestalt zweier hier bei den mehr als 11.000 Ausstellern aus über 180 Ländern. Bonner Kanzleramtes 1969 –1976. Dieses stellte sie am sitzende des Vorstandes der Parlamentarismuskommission unabhängig voneinander geführter Unternehmen in Ost- und Die Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik 30. März 2017 im Haus der Geschichte in Bonn vor und dis- Recker. „Das Funktionale hat sich aus der Zusammenarbeit in Westdeutschland existierte. Die Herausgeberin des Buches Deutschland reihte sich wie auch in den letzten Jahren mit kutierte mit der Historikerin Prof. Dr. Marie-Luise Recker, dem mit dem Quickborner Team ergeben“, erläuterte Türler. Die An den Grenzen des Möglichen: Reclam Leipzig 1945–1991 einem Stand neben dem Kunstmuseum Bonn, der Bun- Architekten des Büros „Planungsgruppe Stieldorf“ Peter Türler „Planungsgruppe Stieldorf“ habe ein funktionales Gebäude Ingrid Sonntag war am 23. Februar 2017 zu Gast im Zeitge- deskunsthalle, dem Deutschen Museum Bonn und dem und Moderator Prof. Dr. Harald Biermann, Kommunikations- mit großen Flächen, die reversibel sind, gebaut. Zudem füge schichtlichen Forum Leipzig. Sie präsentierte gemeinsam Museum Koenig der Bonner Museumsmeile in der Halle direktor des Hauses der Geschichte, über die Verbindung von sich das Gebäude in die Parklandschaft ein: „Uns war es sehr mit Prof. Dr. Wolfgang Emmerich (Literaturwissenschaftler), Nordrhein-Westfalen ein. Sowohl das Fach- als auch das Architektur und Politik. Der Bau des Kanzleramtes in Bonn sei wichtig, dass die hohen Bäume über das Gebäude wachsen Stefan Richter (ehem. Reclam-Lektor und Verlagsleiter), Bun- Besucherpublikum zeigten großes Interesse an den Informati- nie besonders beliebt gewesen, stellte Ziegler zu Beginn der und das Palais Schaumburg höhenmäßig darüber steht“, er- destagspräsident a.D. Dr. h.c. Wolfgang Thierse und dem Ver- onsmaterialien zu den unterschiedlichen Ausstellungen der Stif- Veranstaltung fest und fügte hinzu, dass ihm trotzdem kein klärte der Architekt. Sachlich und offen, aber vor allem zurück- leger Dr. Christoph Links (Ch. Links Verlag Berlin) das Werk, tungsstandorte in Bonn, Berlin und Leipzig. Publikumsliebling am Abriss bevorstünde, da er unter Denkmalschutz stehe und seit haltend sollte der Bau sein und wurde es auch – darin waren in dem zum ersten Mal ausführlich dieser deutschen Parallel- Stiftungsstand auf der ITB 2017 war der riesige Schellenbaum der seiner Generalsanierung als Entwicklungsministerium genutzt sich alle Diskutierenden einig: Die Regierungsspitze habe sich geschichte nachgegangen wird. Eike Hemmerling „Kölsche Funke rut-wieß vun 1823 e. V“, eines der besonderen würde. „Doch der Architekturkritik galt es vom ersten Tag an in Bonn in einer alltäglichen Architektur eingerichtet, was zum Objekte der Ausstellung „Mein Verein“, die ab 6. September als zu abweisend, zu dunkel, langweilig, unangemessen für die Symbol geworden sei. Ulrike Zander 2 „Papers, please!“ 2017 im Bonner Haus der Geschichte gezeigt wird. Die Aus- Bauaufgabe Kanzleramt“, führte Ziegler aus. Bundeskanzler stellung setzt sich unter anderem mit der gesellschaftlichen Helmut Schmidt habe sein Kanzleramt sogar als „zu groß gera- 5 Hotline für besorgte Bürger berlin Der Tränenpalast kann mit der neuen „Spurensuche“ Funktion und kulturellen Bedeutung der Vereine in Deutschland tene rheinische Sparkasse“ diffamiert. Aber warum wurde das nun auch auf Englisch erkundet werden: „Welcome to the auseinander. Rebecca Wegmann Haus dann überhaupt in dieser Form errichtet, fragte Ziegler. leipzig An den „Leipziger Wochen gegen Rassismus“ betei- Palace of Tears“. Jeder zweite Besucher im Tränenpalast Diesen Ausgangspunkt wählte die Kunsthistorikerin für ihre ligte sich das Zeitgeschichtliche Forum Leipzig am 21. März kommt aus dem Ausland – unter ihnen viele Schulklassen, die Recherche, aus der letztlich ihre Dissertation hervorging. Sie 2017 mit der Kooperationsveranstaltung „Hotline für besorgte kein Deutsch sprechen. Um ihnen dennoch eine kleine Hand- rekonstruierte die Planungsphase des Kanzleramts und stell- Bürger“ zusammen mit dem Referat für Migration und Inte- reichung zur selbstständigen Erschließung der Ausstellung te fest, dass sich der große Zusammenhang erst im Kontext gration der Stadt Leipzig. Nach dem Grußwort des Leipziger mit auf den Weg zu geben, wurde das fremdsprachige An- der politischen Ideengeschichte erhellt: „Das betont sach- Integrationsbeauftragten Stojan Gugutschkow stellte Ali Can gebot erweitert: Seit Beginn des Jahres gibt es die englische liche Haus ist von seinen Bauherren als Werkzeug konzipiert im Gespräch mit der Politikwissenschaftlerin Angelika Kell sein „Spurensuche“ „Papers, please!“ für Jugendliche von 14 bis worden, um eine effiziente, fortschrittliche, vorausschauende Projekt „Hotline für besorgte Bürger“ vor: Mit Wertschätzung 17 Jahren. Der Rundgang enthält sechs Stationen, an denen Regierungsarbeit, ja eine Modernisierung von Regierung zu und Mitgefühl lädt der „Migrant des Vertrauens“, wie er sich Besucher zum historischen Ort, zu Fluchten von Ost nach ermöglichen“, so Ziegler. Der Regierungswechsel 1969 habe selbst nennt, seine Gesprächspartner am Telefon ein, über das West, zu Mauerbau und Grenze, zur Grenzabfertigung, zur eine Zäsur in der Geschichte der Bundesrepublik bedeutet, Thema „Flüchtlinge“ zu sprechen. Die Zuhörer interessierten friedlichen Revolution und zur Grenzöffnung informiert werden. der sich auch im Kanzleramtsprojekt niedergeschlagen habe. sich besonders für die Motivation seines Engagements: Ali Can Kleine Rätsel und Aufgaben laden dazu ein, originale Gegen- Der Neubau wurde zum Spielfeld neuartiger Kooperationen, möchte vorrangig Menschen erreichen, die sich in ihrem sozi- stände, Textdokumente und Fotografien zu erforschen und Be- zu denen die Beratungsfirma Quickborner Team gehörte, die alen Umfeld und von der Politik nicht ernstgenommen fühlen. züge zur eigenen Lebenswelt herzustellen. Die „Spurensuche“ Kanzleramtschef Horst Ehmke als treibende Kraft anheuerte. Der 23-jährige Student mit kurdischen Wurzeln erklärte, dass „Papers, please!“ ist kostenfrei am Infoschalter erhältlich. Sie sollte den Architekturwettbewerb vorbereiten, den letzt- er sich als „Brückenbauer“ sehe und den Dialog nicht radikalen Christine Schoenmakers lich die „Planungsgruppe Stieldorf“ gewann. Ebenso wie die Gruppen überlassen wolle – er selbst sei das beste Beispiel Architektur interessierte sich auch die Politik in den 1960er dafür, dass Integration funktionieren könne. Jahren für die kybernetische Theoriebildung, die Wissenschaft Pauline Szyltowski 30 museumsmagazin 2.2017 museumsmagazin 2.2017 31
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