DIGITALE STRATEGIE UND PRAXIS IM MUSEUM 1.2020 - Stiftung ...
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1.2020 2 € ISSN 1433-349X www.museumsmagazin.com DIGITALE STRATEGIE Neues Schau- depot in Bonn UND PRAXIS IM MUSEUM In unserem Land Fotoausstellung in der U-Bahn-Galerie
intro Historische Museen beschäftigen sich zwar vor allem mit der Vergangenheit und ihrer Bedeutung für die Gegenwart, doch dürfen sie sich auch aktuellen und zukünftigen Herausforde- rungen nicht verschließen. Der digitale Wandel hat längst auch die Museumslandschaft erfasst – um diesen in unserem Hause bewusst und zielgerichtet zu gestalten, wurde im Mai 2017 die Abteilung „Digitale Dienste“ eingerichtet. Hier entstehen auch die vielfältigen Online-Angebote der Stiftung – darunter unsere Stiftungswebseite, das Zeitzeugenportal oder das Geschichts- portal „Lebendiges Museum Online“ (LeMO) – die monatlich rund 1,5 Millionen Besuche zählen. Dem wachsenden Bedürf- nis nach transparentem Umgang mit Kulturerbe begegnen wir mit unseren Sammlungen im Internet (SINT), die über 80.000 Objekte zugänglich machen. In unserer Ausstellungspraxis er- fahren digitale Medienformate einen starken Bedeutungszu- wachs. So verstehen wir Digitalisierung als Gesamtstrategie, um Geschichts- und Wissensvermittlung im Museum attraktiv und zukunftsfähig zu gestalten. Auch in diesem Jahr erwarten Sie abwechslungsreiche Ausstellungen an allen Standorten: Noch bis März präsentie- ren wir in Bonn unsere beliebte Ausstellung „Very British“, zeitgleich lädt „Zugespitzt“ dazu ein, die „Kanzler in der Kari- katur“ aus humorvoller Perspektive zu betrachten. Im Zeitge- schichtlichen Forum Leipzig können Sie unterdessen unter- schiedlichen Vorstellungen von „Luxus“ nachspüren und in der Ausstellung „Angst. Eine deutsche Gefühlslage?“ kollektiven Ängsten der Deutschen auf den Grund gehen. Den „Abbau der innerdeutschen Grenze“ beleuchtet bis August die Foto- ausstellung „Deutschland wird eins“ im Museum in der Kul- turbrauerei in Berlin. Besuchen Sie uns in unseren Museen in Bonn, Berlin und Leipzig sowie im Internet von allen Orten in der Welt aus. Wir freuen uns auf Sie! Dr. Hans Walter Hütter Präsident und Professor Unter der traditionsreichen Bezeichnung „Lloyd” brachte Borgward nach dem Zweiten Weltkrieg einen Kleinwagen (Lloyd LP 300) auf den Markt, dessen Karosserie wegen der damals herrschen- den Materialknappheit aus Sperrholz bestand, das mit Kunstleder überzogen wurde. Über den als „Leukoplastbomber” bekannt gewordenen Wagen hieß es außerdem: „Wer den Tod nicht Am 3. Oktober 2019 eröffnet der Präsident der Stiftung scheut, fährt Lloyd.” Der Wagen wurde von Haus der Geschichte, Hans Walter Hütter (li.), einem 10 PS starken Zweitakter angetrieben und zusammen mit Sammlungsdirektor Dietmar Preißler (M.) ist im neuen Schaudepot der Stiftung Haus der und Ausstellungsdirektor Thorsten Smidt (re.) Geschichte in Bonn zu sehen. das neue Schaudepot in Bonn.
inhalt inaussicht ZFL; Purer Luxus A4.qxp_Layout 1 02.08.19 11:36 Seite 1 Öffnungszeiten Di – Fr 9 – 19 Uhr, Sa, So, Feiertage 10 – 18 Uhr A U S Sunter Öffentliche Begleitungen T E Lwww.hdg.de LUNG inbonn inleipzig Anmeldungen Besuchergruppen Telefon 030 / 4677779-11 Mo – Fr 9 – 16 Uhr inberlin besucherdienst-berlin@hdg.de Öffentlicher Nahverkehr Haltestelle S+U Friedrichstraße Bhf. Ausgang Reichstagufer 11 9 2019 – Eintritt frei 13 4 2020 Tränenpalast S. 4 oben: © Gerhard Gäbler, unten: ullstein bild – ADN-Bildarchiv S. 5: Stiftung Haus der Geschichte/Stephan Klonk Entwurf: Claudia Grotefendt, Bielefeld 3/2018 S. 2: Stiftung Haus der Geschichte/Stephan Klonk S. 3: Stiftung Haus der Geschichte/Stephan Klonk Bildnachweis Titel: Stiftung Haus der Geschichte/Stephan Klonk S. 1 oben: Photonet.de Lehnartz Ort der deutschen Teilung 36 Reichstagufer 17 Tränenpalast 10117 Berlin Telefon 030 / 4677779-11 Am 9. November 1989 öffnete sich Telefax 030 / 4677779-17 auch am Bahnhof Friedrichstraße www.hdg.de/traenenpalast In unserem Land die Grenze. Der im Ergebnis zu- nächst offene Wiedervereinigungs- prozess verlief rasant. Am 2. Juli facebook.com/ traenenpalastberlin Ort der deutschen Teilung 1990 feierten die Berliner die erste direkte Fahrt einer S-Bahn von Ost Very British Purer Luxus Tränenpalast nach West über den Bahnhof Fried- Bildnachweis: Adobe Stock 197250733 mubus, 176037893 Chinnapong, Entwurf: Claudia Grotefendt, Bielefeld richstraße. Mit dem Ende der deut- schen Teilung verlor der Tränenpa- Ein deutscher Blick Ausstellung last seine ursprüngliche Funktion. 10. Juli 2019 – 8. März 2020 Ort der deutschen Teilung Di – Fr 9 – 19 Uhr Haus der Geschichte, Bonn Sa/So/Feiertage 10 – 18 Uhr Zeitgeschichtliches Forum Leipzig Tränenpalast, Berlin Eintritt frei 10.7.2019 – 8.3.2020 11.9.2019 – 13.4.2020 Di – Fr 9 –18 Uhr Di – Fr 9 – 19 Uhr, Sa / So / Feiertag 10 – 18 Uhr Sa, So, Feiertage 10 –18 Uhr Eintritt frei Grimmaische Straße 6 Stiftung Haus der Geschichte 04109 Leipzig der Bundesrepublik Deutschland Museumsmeile www.hdg.de Zeitgeschichtliches Forum Leipzig Willy-Brandt-Allee 14 53113 Bonn www.hdg.de 6 Digitale Strategie und Praxis im Museum 38 Außenminister in Leipzig imfokus 28 Adenauer-Vortrag Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble über 6 Digitale Strategie und Praxis im Museum Deutschlands Rolle in der globalisierten Welt Zugespitzt Angst Deutschland wird eins Analog, authentisch & überall Kanzler in der Karikatur Eine deutsche Gefühlslage? Der Abbau der innerdeutschen Grenze 30 70 Jahre Grundgesetz Haus der Geschichte, Bonn Zeitgeschichtliches Forum Leipzig Museum in der Kulturbrauerei, Berlin 12 Zeitgeschichte im digitalen Raum Diskussion über den Bundesrat 25.9.2019 – 10.5.2020 18.10.2019 – 10.5.2020 23.10.2019 – 23.8.2020 Digitale Museumskommunikation und die Föderalismusreformen Familiensonntag Film des Monats späti! 14 Selfie-Geschichte 31 Geschichtsbewusstsein Buntes Programm für die ganze Familie D-Mark, Einheit, Kultur nach Feierabend Neue Ausstellungen „#DeutschlandDigital“ und „Selfie“ Deutsche Erinnerungskultur in der Ära Kohl Im Rahmen der Ausstellung „Very British“ Vaterland Begleitung mit dem Luftbilddokumentar Haus der Geschichte, Bonn Dokumentation (D 2019, Klaus Leidorf in der Ausstellung 16 #museumlove 32 „Die großartige Reise von Käpt´n Book“ 9.2.2020, 11:00 – 17:00 Uhr Regie: Inge Kloepfer, Jobst Knigge) „Deutschland wird eins. Der Abbau „Digital ist ganz normal” – für uns und unsere Besucher Offizielle Eröffnung des Lesefestes im Haus der Geschichte Filmvorführung und Gespräch der innerdeutschen Grenze“ Sonnenfinsternis Zeitgeschichtliches Forum Leipzig Museum in der Kulturbrauerei, Berlin 18 #mauerfall30 35 Gertrude grenzenlos Roman von Arthur Koestler 2.3.2020, 19:00 Uhr 20.2.2020, 18:00 Uhr Ein Hashtag für den Mauerfall Gustav-Heinemann-Friedenspreis für Debütroman von Judith Burger Lesung mit Schauspieler Ilja Richter Anschließend Gespräch mit Literatur- Leipziger Buchmesse 1000 Serpentinen Angst 19 Zeitzeugenarbeit 36 In unserem Land wissenschaftler Prof. Dr. Helmuth Kiesel Lesungen und Vorträge Lesung und Gespräch Echte Gespräche im digitalen Gedächtnis Ausstellungseröffnung in der U-Bahn-Galerie (Universität Heidelberg). Mit Joschka Fischer, Friedrich Schorlemmer Mit der Autorin Olivia Wenzel, die ihr neues mit Fotografien von Hans-Jürgen Burkard Anmeldung unter: anmeldung@hdg.de und Markus Meckel u. a. Buch 1000 Serpentinen Angst vorstellt 20 Unterwegs mit dem ZeitzeugenMobil Haus der Geschichte, Bonn Zeitgeschichtliches Forum Leipzig Museum in der Kulturbrauerei, Berlin Erinnerungen an den Herbst 1989 inleipzig 2.4.2020, 19:30 Uhr 12. – 14.3.2020 19.3.2020, 19:00 Uhr inberlin 38 „Wie mutig die Menschen waren“ Improvisation Museumsnacht Eintritt zu allen Veranstaltungen frei US-Außenminister Mike Pompeo und der deutsche Außenminister macht Zukunft Mit abwechslungsreichem Programm 22 „Und wo waren Sie am 9. November 1989?“ Heiko Maas im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig Symposium zum Jazzfest Bonn für die ganze Familie Jubiläumswochenende zum Mauerfall im Tränenpalast Haus der Geschichte, Bonn Zeitgeschichtliches Forum Leipzig 40 Angst 30.4.2020, 10:00 – 13:00 Uhr 9.5.2020, ab 17:00 Uhr Lebendiges Museum Online inbonn Ausstellungseröffnung in Leipzig www.hdg.de/lemo 24 Neues Schaudepot Zwischen Opel „Kapitän“ und „Leukoplastbomber“ 42 inkürze Veranstaltungen in Bonn: Veranstaltungen in Leipzig: Veranstaltungen in Berlin: 26 Woche des Sehens 46 inzukunft / impressum www.hdg.de/ www.hdg.de/ www.hdg.de / Begleitungen durch die Ausstellung „Very British“ haus-der-geschichte/ zeitgeschichtliches-forum/ museum-in-der-kulturbrauerei / für Blinde und Menschen mit Sehbehinderungen 47 imbilde veranstaltungen veranstaltungen veranstaltungen
imfokus „Retro“ heißt der Trend, wonach vermeintlich bereits überholte Dinge wie Vinyl- Schallplatten, Papier-Produkte oder Brettspiele besonders im digitalen Zeitalter wieder sehr beliebt sind. Der kanadische Publizist David Sax beschreibt das Phänomen als „Rache des Analogen“: Angesichts der immateriellen Allzeitverfügbarkeit, etwa von Musik oder Serien und Filmen über Streamingdienste, sehnen sich die Menschen zunehmend wieder nach Besonderem, Echtem, Einzigartigem und nach Begrenzung. Eine Antwort darauf findet sich in endlicher Materialität, also in realen Dingen – am besten mit Geschichte. ANALOG, AUTHENTISCH & ÜBERALL DIGITALE STRATEGIE UND PRAXIS IM MUSEUM von Ruth Rosenberger museumsmagazin 1.2020 7
Begleitungen mit Geschichte online ist unser fünfter Die Zeitzeugenarbeit findet vor Ort und Medieneinsatz durch Standort: Unter www.hdg.de im Netz statt: Grundlage für ein online die neue Daueraus- Analog-Faszination im Museum finden sich alle Angebote der Digitale Dienste verfügbares Interview ist zunächst das stellung im Zeitge- Stiftung. persönliche Gespräch. schichtlichen Forum Das Museum mit all seinen Originalobjekten lässt sich der Im Mai 2017 hat in der Stiftung Haus der Geschichte die Leipzig Reihe der analogen Wiederentdeckungen im digitalen Zeit- neue Abteilung „Digitale Dienste“ ihre Arbeit aufgenom- alter nahtlos hinzufügen. So ist eine Ausstellung mit his- men. Hier sind seitdem alle digitalen Aspekte und Ange- torischen Objekten nahezu der Inbegriff von Analog-Faszi- bote der Stiftungsstandorte in Bonn, Leipzig und Berlin nation. Nicht zufällig verknüpft die Institution Museum ihr gebündelt: Webangebote, Social-Media-Kommunikation, Selbstverständnis herkömmlich sehr eng mit der Existenz mobile Angebote, Medien in Ausstellungen, die gesamte IT einer professionell geführten Sammlung: ohne Sammlung mit Infrastruktur, Software-Services und -Entwicklungen, kein Museum. Zugleich kommen auch viele Besucher ins aber auch die Zeitzeugenarbeit der Stiftung. Das Organi- Museum, um Wahrhaftiges zu entdecken. Das Museum gramm zeigt, dass die neue Abteilung die bisherige Trias ist daher prädestiniert, als spezifischer Ort des Analogen Unsere Angebote im Netz erreichen aus Ausstellungs-, Kommunikations- und Sammlungsab- auch in der digitalen Welt weiterhin zu bestehen. Die gute Menschen zu Hause, unterwegs teilung um eine vierte Fachabteilung ergänzt. Seit Beste- Nachricht also ist: Es gibt auch zukünftig einen Platz für oder in der Schule. hen der Stiftung im Jahr 1990 ist das die größte fachliche uns. organisationsstrukturelle Änderung. Trotzdem reicht es nicht aus, weiterzumachen wie bisher. Denn Veränderungsprozesse auch wenn das Kerngeschäft des his- torischen Museums unter digitalen In der Abteilung „Digitale Dienste“ sind die Digitalexperten Vorzeichen dasselbe bleibt, so müssen der Stiftung angesiedelt. In fast allen Projekten arbeiten sie sich dennoch die Institution, ihre Aus- eng mit Kolleginnen und Kollegen aus anderen Bereichen richtung und ihre Angebote sowie die zusammen: etwa mit den Ausstellungsteams für die Medi- Art und Weise, wie gearbeitet wird, en, für die Online-Kommunikation oder für die Zeitzeugen- stark verändern, um diesen Kern arbeit, mit dem Bildungsbereich für digitale Vermittlungs- auch weiterhin zur Geltung bringen oder Inklusionsangebote, mit der Sammlungsabteilung zu können. Betroffen sind dabei viel- in Hinblick auf unser Objekt-Management-System oder fältigste Dimensionen eines Hauses, grundlegende Datenstrukturierungen. Der Name „Digitale denn: Digitalisierung ist eine Quer- Dienste“ ist dabei in seiner Serviceorientierung durchaus schnittsaufgabe. Programm. Ziel ist es, mit jedem Projekt einen weiteren 8 museumsmagazin 1.2020 museumsmagazin 1.2020 9
Am Ende der Dauer- Deutschlands beliebtester Geschichts- Video-Installation im Zeitge- ausstellung können YouTuber Mirko Drotschmann (M.), bekannt schichtlichen Forum Leipzig Sie auf einer Medien- Schritt auf dem für uns passenden Weg der Digitalisierung als MrWissen2Go, kam am 20. Juni 2016 digitalem Besuch bzw. umgekehrt zu kreieren. Dabei er- der Fotokünstlerin Bettina wand Ihre Gedanken voranzukommen. Denn wir gehen grundlegend davon aus, ins Haus der Geschichte und testete die reichen wir inzwischen nicht nur 1,5 Millionen digitale Be- Flitner, die Zeitgenossen über Deutschland dass Digitalisierung insgesamt ein unaufhaltsamer und damals neue App „Europa – in Vielfalt sucher pro Monat. Es haben sich in den letzten zwei Jahren auf einen Thron gesetzt teilen. unumkehrbarer Veränderungsprozess unserer Gegenwart geeint?“. unserer Arbeit ganz unterschiedliche und auch verschie- hat und Antworten auf die ist, dem wir am besten begegnen, indem wir versuchen, den weit reichende Dimensionen des Digitalen bzw. des Frage erhält: „Was würde ihn in unserem Sinne aktiv und zielgerichtet zu gestalten. Wechselspiels zwischen digital und analog ergeben. ich tun, wenn ich König von Deutschland wäre?“. (Bild o.) Besucherorientierung Perspektiven Grob lassen sich drei Felder der Digitalisierung im Mu- So erschließen wir mit zwei kommenden Ausstellungen Fotografieren ist in seum unterscheiden: die Kommunikation und Interaktion Selfies gehören zur Kommunikation in den zur Digitalisierung in Deutschland (#DeutschlandDigital) unseren Ausstellungen mit unseren Besuchern, die Digitalisierung der Samm- sozialen Medien. Hier macht die Online- und zum Phänomen „Selfie“ Digitalisierung auch als zeit- erlaubt. (Bild u.) lung sowie nicht zuletzt die Transformation der Institution Redaktion auf unsere Ausstellung „Angst“ historischen Prozess. Gleichzeitig arbeitet das Team der selbst. Gemäß der zentralen Bedeutung, welche die Be- aufmerksam. Online-Redaktion kontinuierlich daran, unsere digitalen sucherorientierung von Beginn an bei der Stiftung Haus Besucher auf vielfältigen Wegen adäquat anzusprechen, der Geschichte hat, liegt der strategische Schwerpunkt bei uns mit ihnen auszutauschen und in Kontakt zu bleiben. uns auf dem ersten Bereich. Da alle digitalen Handlungs- Parallel dazu ist die Zeitzeugenarbeit der Stiftung mit der felder immer eng miteinander verknüpft sind, geht damit Breite ihrer Formate vom Webportal bis zum Zeitzeugen- einher, dass sowohl Sammlungsbestände projektbezogen Mobil durchdrungen vom Wechselspiel zwischen Netz- digitalisiert werden als auch digital transformierende ins- und analoger Welt. Nicht zuletzt zeigt das Beispiel unse- titutionelle Veränderungen Schritt für Schritt erprobt und rer stiftungsweiten Veranstaltungsaktivitäten vor Ort und etabliert werden. Im Vordergrund steht für uns jedoch im Netz rund um das 30-jährige Jubiläum des Mauerfalls die Frage: Wie schaffen wir es, auch im digitalen Zeitalter (#mauerfall30), wie das nahtlose Zusammenspiel von digi- ein möglichst breites Publikum mit gegenwartsbezogenen tal und analog dezentrale und über längere Zeiträume sich Fragen an die deutsche Zeitgeschichte zu erreichen? erstreckende thematische Reihen bündeln und fokussieren Eine unserer zentralen Antworten ist, bei allen Pro- kann. In den Überzeugungen und Zielsetzungen, die diese jekten – ob Ausstellung, Veranstaltung oder Vermittlungs- Projekte kennzeichnen, liegen für uns Standort und Zu- format – das Digitale von Anfang an mitzudenken, um kunftsperspektive unserer digitalen Strategie und Praxis möglichst nahtlose Übergänge zwischen analogem und im Museum. 10 museumsmagazin 1.2020 museumsmagazin 1.2020 11
imfokus 30- bis 40-Jährigen. Das sind Menschen, die oft ~Rosenberger kleine Kinder haben, die beruflich eingespannt sind; Bei uns hat jeder die Möglichkeit, seine Meinung obwohl sie vielleicht gerne wollen, sind sie nicht in als Zeitzeuge einzubringen. Über LeMO nehmen der Lage, ins Museum zu kommen. Die sind aber bei ✍ wir schriftliche Zeitzeugenquellen auf . Damit hat Digitale Museumskommunikation Facebook eine besonders starke Gruppe. Unsere LeMO auch ein Alleinstellungsmerkmal durch das These wäre: Das ist ein Angebot, das sie wahr- Generieren von Quellen, die es dann nur dort gibt. Zeitgeschichte nehmen können. Das sind Menschen, die sich mit Beim Zeitzeugenportal geht das auch. Nur dafür unseren Themen einfach gerne auseinandersetzen. müsste man dann nochmal die Hürde nehmen, dass Besucherbindung bekommt eine neue Qualität durch überhaupt erst ein Zeitzeugeninterview gemacht wird. diese Wechselmöglichkeiten. im digitalen Raum Interview: Nelleke Blok Gibt es unterschiedliche Akzentsetzungen inner- halb der Social-Media-Kanäle, die Sie bedienen? ~Poschen Unsere Social-Media-User sind im Schnitt jünger als Durch die Möglichkeiten, die das Web 2.0 bietet, hat prinzipiell jeder die Möglichkeit, seine Meinung zu äußern. Ergeben sich daraus auch Schwierigkeiten, dass diese Grenzen verwischen zwischen Produzen- ten und Konsumenten? Wie kann Kommunikation im Netz dazu beitragen, Menschen für Zeitgeschichte das Publikum, das hierher zu einer Ausstellungseröff- und historische Museen zu begeistern, den Austausch untereinander zu fördern nung kommt. Trotzdem besuchen uns digital alle mög- ~Rosenberger lichen Altersgruppen. Wir sehen ganz klar, dass die Das finde ich nicht. Es ist immer klar, wer spricht. und ihre Ideen aufzugreifen? Das museumsmagazin fragte Dr. Ruth Rosenberger, Instagram-User am jüngsten sind . Unsere größ- Wenn das Haus der Geschichte etwas sagt, dann Direktorin Digitale Dienste, und Ellen Poschen, Leiterin der Online-Redaktion. te Gruppe ist 25 bis 36 Jahre alt. Das sind 36 Prozent. ist es für alle im Netz immer ersichtlich. Wie sich ein Bei Facebook sind unsere User zwischen 25 und 44 User im Netz präsentiert – ob mit Klarnamen oder mit Jahren. Das sind die, die mit dem Job anfangen oder irgendeinem Nickname und irgendeinem komischen Was genau ist Aufgabe der Online-Redaktion? Dort sind Geschichtsinteressierte unterwegs oder mitten im Job sind und versuchen, mitzubekommen, Bild – damit muss man umgehen. Das ist im Netz Leute, die gerne hierher ins Haus der Geschichte was wir hier machen, aber vielleicht manchmal ein- so. Aber dann ist auch klar, dass das keine seriöse ~Poschen kommen und vielleicht sonst gar nicht so oft ins Mu- fach nicht die Zeit finden, herzukommen. Institution ist, die da eine Meinung oder eine Position Wir produzieren Inhalte für unsere verschiedenen seum gehen. Dort müssen wir eine andere Sprache äußert. Leute, die Hatespeech oder Fakenews im Webseiten – allen voran hdg.de, aber auch andere benutzen, andere Themen setzen, dürfen nicht zu viel ~Rosenberger Netz verbreiten, kommentieren und retweeten wir Projekte wie „Weg der Demokratie“, „Lebendiges Vorwissen voraussetzen. Bei Instagram steht immer Bei Social Media ist das so, aber bei LeMO ganz nicht. Unser Ansatz ist der: Wir sind auch im Netz. Museum Online“ und „Orte der Repression“. Zum noch die Ästhetik im Vordergrund. anders. Wir wissen, dass sogar 60 Prozent der Und wir sind die, die fundierte Inhalte für ein breites andern geht es aber auch um Social Media. Wir Nutzer Schüler sind . Das ist hervorragend, Publikum verbreiten, um damit eben ein Gegenge- posten und twittern täglich auf Facebook, Twitter und ~Rosenberger weil diese Zielgruppe extrem schwierig mit Bildungs- wicht gegenüber solchen Akteuren darzustellen. Instagram . Zudem haben wir noch einen Kanal bei Vor allem die Ästhetik des Bildes. inhalten im Netz zu erreichen ist. Es liegt wahr- ⚖☝ YouTube. In den letzten anderthalb Jahren haben wir scheinlich auch daran, dass es LeMO schon länger unsere Videostrategie erweitert. Wir produzieren viel ~Poschen gibt – LeMO ist 2019 20 Jahre alt geworden – , ~Poschen mehr im Bewegtbild , wir zeigen, was hier und in Zum Beispiel beim „Depotdienstag“, der fest etabliert die Lehrer möglicherweise selber schon mit LeMO Wir wollen den Austausch und die Kommunikation . den Ausstellungen passiert. Wir bieten auch Events, ist. Da machen viele Museen mit und man beflügelt gelernt haben und das jetzt wiederum an ihre Es gibt jedoch viele Menschen, die anscheinend in Meet-Ups an, um mit unseren Usern nicht nur in der sich gegenseitig. Schüler weitergeben. LeMO hat auch dadurch, dass einer Welt leben, die nicht ganz auf den Fakten be- digitalen Welt, sondern auch in Wirklichkeit zusam- es so etabliert ist, eine sehr gute Suchmaschinen- ruht . In dem Moment ist klar: Wir können diese menzukommen. Sie möchten auch mit den Nutzern ins Gespräch kommen. platzierung. Man findet die Treffer alle relativ schnell User nicht umstimmen im Netz. Die wollen keinen Wird die Möglichkeit von den Usern wahrgenommen? . Wir haben LeMO 2014 komplett relauncht. Für wirklichen Austausch. Da ist keine gemeinsame Was macht eine erfolgreiche Museums- die Zeit nach 1945, für die die Stiftung Haus der Ge- Ebene. kommunikation im World Wide Web aus? ~Poschen schichte zuständig ist, haben wir die Objektauswahl, Ein klares Ja. Unsere Themen sind oftmals nicht so Objektbilder und Texte zugespitzt und noch besser ~Rosenberger ~Poschen einfach wie bei einem Freizeitpost, wozu jeder seine auf eine junge Zielgruppe ausgerichtet. Das ist genau der Punkt, an dem wir Historiker Für uns ist es so, dass wir unseren digitalen Besuchern Meinung äußern kann. Es geht oft um anspruchsvolle- gefragt sind und sagen: Es gibt ein Vetorecht der ein umfassendes Bild unserer Arbeit geben wollen – re Themen der Zeitgeschichte. Es ist in jeder Com- ~Poschen ✋ Quellen . Es gibt Dinge, die unterliegen nicht einer von unseren Ausstellungen und damit von unserem munity so, dass 90 Prozent der User nur lesen. Zehn Wenn wir ein Objekt zeigen und es posten oder die Multiperspektivität, sondern eher der Frage: „Was Thema Zeitgeschichte. Wir wollen mit den Usern ins Prozent machen mit. Wir bekommen immer gutes Depottüren aufmachen , dann ist das praktisch die steht in der Quelle?“ Wir stehen dafür, Fakten zu Gespräch kommen. Das gelingt, sodass wir in den Feedback, weil wir sehr schnell antworten. Verlängerung des Museumsbesuchs. verbreiten. letzten drei Jahren enorm gewachsen sind: bei Twitter über 200 Prozent, bei Facebook fast um 200 Prozent ~Rosenberger Welche Möglichkeiten haben Besucher, über die Was für ein Selbstverständnis hat das Haus der und bei Instagram fast um 500 Prozent. Für uns ist all das, was wir im Netz tun, Teil des Kern- Kommunikation in den Social-Media-Kanälen der Geschichte als Museum im digitalen Zeitalter? geschäfts: Es ist Vermittlung von Zeitgeschichte. Stiftung Haus der Geschichte an der Deutung Liegt das an der Präsenz, die das Haus Digital auf dem Stand der Dinge zu arbeiten, bedeutet, der Geschichte im Museum mitzuwirken? ~Rosenberger der Geschichte auf Instagram hat? dass man immer digital und analog zusammendenkt. Das hat sich nicht verändert, seitdem es das Haus Für uns ist das Ziel, nahtlose Übergänge zwischen ~Poschen der Geschichte gibt. Unsere Kernaufgabe ist Vermitt- ~Poschen diesen beiden Welten zu schaffen . Menschen, Das ist eine spannende Frage, weil wir ja ganz klar lung von Zeitgeschichte. Das war schon so, als das Auf allen drei Kanälen sind unser Thema Zeitgeschichte die sowieso schon – sei es im Netz oder weil sie Be- sehen: Das interessiert die Leute! Ein Museum ist Haus eröffnet wurde. Nur hat sich das Umfeld des und das Museum präsent. Bis vor ein paar Jahren war sucher bei uns sind – mit uns verbunden sind, können nicht mehr dafür da zu sagen: „Das ist die feststehen- Museums so verändert, dass die digitale Welt auch Twitter nicht beliebt bei den Deutschen. Für uns ist sozusagen in die andere Sphäre wechseln und damit de Geschichte. Das ist die einzige Wahrheit.“ Social uns betrifft, und wir haben diese Herausforderung Twitter ein Multiplikator. Dort sind Museumsleute – nochmal ein anderes Erlebnis haben. Wir erreichen Media kann das sehr gut widerspiegeln. Es gibt unter- ganz bewusst angenommen. Digitalisierung ist ein also senden wir ebenfalls mehr fachbezogene Posts. auf Facebook wahrscheinlich diejenigen, die nicht so schiedliche Meinungen zu unterschiedlichen Themen. allumfassender, unumkehrbarer Prozess, dem man Da zeigen wir auch mal, dass Kollegen bei Tagungen viel ins Museum kommen. Die besucherschwächste In der deutsch-deutschen Geschichte gibt es viele am besten begegnet, indem man versucht, ihn aktiv sind. Das würde bei Facebook keinen interessieren. Gruppe in der Dauerausstellung zum Beispiel sind die Kontroversen, die wir über das Netz wahrnehmen. zu begreifen und passend zu gestalten. 12 museumsmagazin 1.2020 museumsmagazin 1.2020 13
imfokus Neue Ausstellungen „#DeutschlandDigital“ und „Selfie“ Selfie-Geschichte von Ruth Rosenberger „Wer viele Selfies macht“, titelte der Express im Dezember 2017, „ist krank.“ Forscher hätten das jetzt bestätigt. Schon ein Jahr später überwog eine sachlichere Perspektive auch in der medialen Berichterstattung: Das digitale Selbstporträt sei die populärste Fototechnik der Gegenwart. Es gehe um neue Formen der Kommunikation und Inter- aktion im digitalen Zeitalter. Regionale und überregionale Organe sind sich in dieser Hinsicht inzwischen relativ einig, von Ausnahmen abgesehen. Alle kennen es: das Bild von Angela Merkel mit dem geflohenen Iraker Shaker Kedida, der es ge- schafft hat, beim Besuch der Kanzlerin in der Berliner Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber mit seinem Mobiltelefon ein Bild mit der lächelnden Kanzlerin zu machen. Das Foto von der Entste- hung dieses Selfies ging im September 2015 um die Welt. Es steht für Angela Merkels oft kritisierte Willkommenspolitik des „Wir schaffen das!“. Durch solche Bilder, die global im Netz geteilt werden, verschärfe sich, so die Kritiker, insbesondere der sogenannte Pull-Effekt, weitere Flüchtlinge wür- den angezogen. Das Phänomen „Selfie“ steht damit im Zentrum einer der wichtigsten gesellschafts- politischen Debatten der letzten Jahre. Das Beispiel zeigt zudem, dass davon keineswegs nur die „Generation Selfie“ betroffen ist, die sich ein Leben ohne das Internet sowieso nicht vorstellen kann. Selfie-Kommunikation ist vielmehr Teil unseres allgemeinen Alltags in privater, aber auch politischer Hinsicht geworden. Das Thema steht damit exemplarisch für vielfältige, tiefgreifende Veränderun- gen unserer Gegenwart, die sich alle unter der großen Überschrift „Digitalisierung“ im Sinne einer Durchdringung unserer Gesellschaft und ihrer Kultur mit digitalen Praktiken und neuen Hybridfor- men zusammenfassen lassen. Die kleine Ausstellung zum Thema „Selfie“ nimmt mit diesen ausgewählten Phänomen der di- gitalen Gesellschaft ein besonders visuelles Sujet in den Blick und entwickelt gleichzeitig das Format der Fotoausstellung digital-praktisch fort. So wird es für Besucher vielfältige Möglichkeiten geben, selbst mit Selfies zu experimentieren. Die Ausstellung ist ab dem Sommer 2020 im Zeitgeschichtli- chen Forum Leipzig zu sehen, danach im Haus der Geschichte in Bonn. Dem grundlegenden Wandlungsprozess der Digitalisierung zeithistorisch mit noch breiterem Anspruch auf die Spur zu kommen, ist das Ziel der großen Wechselausstellung „#DeutschlandDigital“, die ab Frühjahr 2021 in Bonn zu sehen sein wird. Hier stehen nicht ausgewählte Phänomene der Digitalisierung im Fokus, sondern ein systematischer Ansatz versucht, zentrale Veränderungen in den Bereichen Arbeit, Privates und Gesellschaft zu ergründen. Gleichzeitig geht es dabei um grund- legende Fragen rund um Daten, die vielen Experten als „Rohstoff des digitalen Zeitalters“ gelten. Historiker mögen es nicht besonders, wenn das, was sie untersuchen, noch nicht vollständig in der Vergangenheit liegt, sondern Teil unserer Gegenwart ist. Bei den beiden Ausstellungen zu digita- len Themen, die gerade in Vorbereitung sind, ist genau das aber der Fall. Wir begeben uns damit aus der Komfortzone heraus und betreten Neuland. Wir stellen Fragen, auf die auch die Geschichtswis- senschaft noch keine Antworten geben kann. Wir erkunden, wie sich auch das Format „Ausstellung“ unter digitalen Vorzeichen verändert. All dies sind spannende Schritte auf dem Weg des bewusst ge- stalteten digitalen Wandels unseres historischen Museums. Im September 2015 gelingt dem Flüchtling Shaker Kedida in der Berliner Erstaufnahme- einrichtung für Asylbewerber ein Selfie mit Bundeskanzlerin Angela Merkel. museumsmagazin 1.2020 15
Die Online-Redaktion Das Event „Meet the Artist“ mit Fotograf dokumentiert filmisch, Peter Dench in der U-Bahn-Ausstellung wie ein Flügel, der durch „Made in England. Fotografien von Peter Dench“ das Elbe-Hochwasser 2002 beschädigt wurde, „Digital ist ganz normal” – für uns und unsere Besucher im Haus der Geschichte Interesse und die Begeisterung für deutsche Zeitgeschich- bote voranbringen können. So haben wir Erdin gefunden: restauriert wird. te im Netz durch Videos, Tweets, Geschichten aus unseren Er ist Hamburger, arbeitet in einem Museum und ist gerne #museumlove Museen wach – hoffentlich bis zum nächsten Museumsbe- unterwegs. Auf seinem YouTube-Channel Mr. BlindLife zeigt such oder auch einfach im Netz. er, was seinen Alltag als blinder Mensch einfacher macht Unsere digitale Community – das sind Menschen, und was er alles erlebt. Er hat uns dafür sensiblisiert, was von Ellen Poschen die sich für Geschichte interessieren. Es sind Menschen, blinde und seheingeschränkte Menschen brauchen, um teil- die ums Eck wohnen, in den USA oder Brasilien. Es sind haben zu können, und welche Technik hilft. Bei der techni- Menschen, die Deutsch, Englisch oder Dänisch sprechen. schen Umsetzung unseres AudioGuides konnten wir so viel Im Herbst haben wir Post von Justus bekommen. Er ist neun Jahre alt und noch nicht Es sind auch Menschen, die noch nie in einem unserer Mu- besser entscheiden, was nötig ist, um ein gutes Angebot für im Netz unterwegs, so hat uns sein Vater eine E-Mail geschrieben. Das Mauerfall- seen waren, die sich aber für deutsche Zeitgeschichte inte- blinde und seheingeschränkte Menschen zu machen. Er- Jubiläum im vergangenen Jahr beschäftigte ihn sehr. Justus’ Vater kommt aus der ressieren. Im digitalen Raum finden sie ihren Weg zu uns. din hat unsere Ausstellung auch besucht, den AudioGuide Der Austausch mit den Besuchern ist jederzeit individuell selbst ausprobiert und einen YouTube-Film für seine Com- DDR, seine Mutter aus der Bundesrepublik. Nach dem Fall der Mauer 1989 haben möglich. In der Online-Redaktion sind wir immer ansprech- munity gedreht. sich die beiden beim Auslandssemester in Irland kennengelernt. Justus hat in seinem bar: Lob, Kritik, Anregungen kommen über das Netz sofort Kinderzimmer die Berliner Mauer aus Bauklötzen nachgebaut und sie von seinen bei uns an. Digital und analog unterwegs Lego-Männchen wieder einreißen lassen. Inspiriert hat ihn ein Besuch im Tränenpalast und unsere Social-Media-Aktion #mauerfall30. Digitale Community Damit ist auch unsere digitale Community wieder gewach- sen. Ob digital oder analog – das spielt immer weniger eine Unsere Objekte, unsere Zeitzeugenberichte, Fakten zur Rolle. Analoge Besucher, die zu uns ins Museum kommen, Justus ist einer von Millionen Besuchern, die gerne in un- tür sollte nicht ins Schloss fallen nach dem Besuch. So ge- deutschen Zeitgeschichte werden im Netz weitergetragen. werden vielleicht noch im Museum zu Fans unserer Face- sere Ausstellungen in Bonn, Berlin und Leipzig kommen. stalten wir den digitalen Raum mit, für alle, die gerade nicht Das ist keine Einbahnstraße. Wir kommen im Netz mit un- book-Seite und verfolgen nun digital, wenn Objekte der Wir alle arbeiten daran, dass diese Menschen bei uns Neu- vor einem Original-Objekt in unseren Ausstellungen stehen. serer digitalen Community ins Gespräch. Menschen melden Zeitgeschichte in unsere Sammlungen gelangen. Digitale es lernen, gut unterhalten werden, Impulse für das weite- Wir sind dort, wo sich viele Menschen in ihrem Alltag auf- sich bei uns, weil sie ihre Geschichte erzählen wollen. So Besucher können zu analogen Besuchern werden. Für uns re Nachdenken über deutsche Zeitgeschichte mitnehmen. halten: bei Facebook, YouTube, Twitter und Instagram. Wir wie Sigrid Otto aus Sachsen, die in unserem Geschichts- gehört es dazu, dass wir unsere digitale Community auch Doch was ist, wenn der Besucher das Museum verlässt? zeigen den Menschen dort draußen, was hier drinnen im portal „Lebendiges Museum Online” (www.hdg.de/lemo) in der analogen Welt treffen. So planen wir Events, wie den Ist er dann wieder alleine unterwegs mit seinen Gedanken Museum hinter verschlossenen Türen passiert. Wir lassen von ihrem Leben als Lehrerin in der DDR und ihrer Flucht Social-Media-Walk zum „Weg der Demokratie“ im ehema- über Zeitgeschichte? Reißt die Verbindung zwischen Besu- die anderen teilhaben, miterleben und geben der Stiftung in die Bundesrepublik berichtet. Oder „der_puppenma- ligen Regierungsviertel, das Meet-Up zu #mauerfall30 im cher und Museum wieder ab? viele Gesichter. Wir bringen ins Netz, wie alle anpacken, cher“aus Bonn, der auf Instagram die Schmidt-Mütze aus Tränenpalast oder #MeetTheArtist in der U-Bahn-Galerie wenn der Mini mit vereinten Kräften in die Wechselaus- unsere Sammlung gesehen hat und sich deshalb an seine in Bonn. Das teilen wir gerne mit der Community, unseren Austausch im digitalen Raum stellung „Very British“ geschoben wird, oder wenn Kollegen Begegnung mit dem Ex-Kanzler erinnerte. Uns hat es ge- digitalen wie analogen Besuchern. den Flügel aus der Semperoper für die Nachwelt restaurie- freut, dass er diese online mit uns geteilt hat. Digital und analog unterwegs zu sein, ist für viele ganz Wir in der Online-Redaktion möchten mit unseren Besu- ren, damit künftige Generationen sehen können, was das Die Kommunikation im Netz macht es möglich, Men- selbstverständlich. Im Museum und außerhalb. Wir bleiben chern verbunden bleiben, so wie mit Justus. Die Museums- Elbe-Hochwasser 2002 alles zerstört hat. Wir halten das schen zu finden, mit denen wir gemeinsam unsere Ange- in Kontakt! #museumlove verbindet uns alle. 16 museumsmagazin 1.2020 museumsmagazin 1.2020 17
imfokus imfokus Ein Hashtag für den Mauerfall #mauerfall30 von Lina Harder 13.618 Mal – so oft wurde der #mauerfall30 auf der Social-Media-Plattform Instagram von Februar bis Dezember 2019 genutzt. Neben Berlin-Touristen, Institutionen und Journalisten ist auch die Stiftung Haus der Geschichte von Anfang an online und analog mit dabei. Mit einem strahlend gelben Foto-Point am Tränenpalast in Berlin und einer Postkarten-Aktion feiern wir 30 Jahre Mauerfall und sammeln die schönsten Beiträge unserer Besucher zum Jubiläumsjahr auf unserer Webseite. Echte Gespräche im digitalen Gedächtnis Im Februar 2019 eröffnete die Ausstellung „Nach dem Mauerfall“ mit Fotografien von Daniel Biskup Zeitzeugenarbeit aus den Jahren 1990 bis 1995 im Museum in der Kulturbrauerei. Der #mauerfall30 läutete auf dem Ausstellungsplakat und online den Auftakt der Jubiläums-Aktionen ein. Historische Daten von den ersten Montagsdemonstrationen in Leipzig bis hin zur Öffnung der ersten Grenzübergänge in Berlin waren ebenso Teil der Online-Kommunikation wie zahlreiche Veranstaltungen der Stiftung in Berlin. Dabei stand das Jubiläumsjahr ganz im Zeichen neuer Formate: Im August enthüllte Museumsdirek- tor Dr. Mike Lukasch bei einem Social-Media-Meet-Up im Tränenpalast erstmals einen Foto-Point. Besucher teilen nun am Schriftzug #mauerfall30 und mit begleitenden Postkarten Erinnerungen an von Annabelle Petschow, Anna-Maria Götz und Markus Würz den Mauerfall auf ihren Social-Media-Kanälen. „Vielen Dank, dass Sie dieses digitale Gedächtnis eingerichtet haben“, schrieb Anna Müller im März 2019 in einer E-Mail an das Wissenschaftlerteam der Zeitzeugenarbeit der Stiftung Haus der Geschichte. Gemeint ist das Zeitzeugenportal (www.zeitzeugen-portal.de), eine Sammlung von mehr als 1.000 Zeitzeugen- interviews, die im Internet abrufbar sind. Diese Sammlung zu pflegen und weiter auszubauen, ist eine der zentralen Aufgaben der Zeitzeugenarbeit, die seit Mai 2017 Teil der Abteilung Digitale Dienste im Bonner Haus der Geschichte ist. Grundlage dieser Arbeit sind Zeitzeugeninterviews, die für Ausstellungen und Vermittlungsangebote gesammelt werden. Ob in der analogen Ausstellung oder im digitalen Format wie dem Zeitzeugen- portal – Zeitzeugeninterviews stehen in ihrer Bedeutung gleichrangig neben den „klassischen“ Mu- seumsobjekten. Sie stellen einzigartige subjektive Quellen dar, die sowohl vor Ort im Museum als auch im Internet dazu einladen, sich mit erlebter Geschichte auseinanderzusetzen. Das Wechselspiel zwischen digitaler und analoger Welt prägt die Zeitzeugenarbeit in besonde- rem Maße. Grundlage für jedes Zeitzeugeninterview sind zunächst das Gespräch und die Begegnung mit dem Zeitzeugen selbst – eine sehr persönliche Erfahrung. Die Medienproduktion wird hingegen digital vorgenommen. Auch die Ausspielkanäle sind in der Regel digital: Das gilt für Medienstationen oder -installationen in Ausstellungen, für das Zeitzeugenportal selbst und für die Social-Media-Kom- munikation der Stiftung, die Interviews des Zeitzeugenportals zu Anlässen wie Jahrestagen nutzt und so die Darstellung historischer Fakten um persönliche Erlebnisse und Schilderungen bereichert. Mit dem Online-Angebot öffnet sich die Stiftung dem digitalen Raum und erweitert zugleich die Möglich- keiten der Auseinandersetzung mit dem Medium Zeitzeugeninterview. 18 museumsmagazin 1.2020 museumsmagazin 1.2020 19
inleipzig imfokus Erinnerungen an den Herbst 1989 Unterwegs mit dem ZeitzeugenMobil 1 von Annabelle Petschow „Am 9. Oktober ist Leipzig in Schockstarre gewesen“, erinnerte sich Pfarrer Dr. Ulrich Seidel, „und um 14 Uhr klingelt bei mir in unserer Pfarrwohnung das Telefon, und es meldet sich die BBC in London.“ Seidel berichtete den englischen Journalisten über die Situation in der Stadt – vor und nach der Demonstration, an der am Abend mehr als 70.000 Menschen teilnahmen, um für Mitspracherechte und ein Ende der SED-Herrschaft zu protestieren. Immer wieder wurde er ange- rufen. „Und so kam ich dann immer wieder in diese Sendung hinein, in die Liveprogramme“, erzählte er im ZeitzeugenMobil. Wie denken Menschen, die bei der friedlichen Revolution und dem Mauerfall vor 30 Jahren dabei waren, an die Ereignisse von damals? Welche Bilder, Gefühle und individuellen Erlebnisse sind ihnen nachhaltig im Gedächtnis geblieben? Diesen Fragen ging das Wissenschaftlerteam 1 des Zeitzeugenportals aus Anlass der histori- schen Jubiläen im Herbst 2019 nach. Um möglichst vielen Menschen die Möglichkeit zu geben, ihre Erinnerungen mitzuteilen, kam das ZeitzeugenMobil – ein mit einem Aufnahmestudio 2 ausgestatte- 2 ter LKW – zum Einsatz. Dieses machte am 9. Oktober 2019, dem 30. Jahrestag der bis dahin größten Leipziger Montagsdemonstration innerhalb der friedlichen Revolution, Station auf dem Marktplatz in der Leipziger Innenstadt. Am 9. November, 30 Jahre nach dem Fall der Mauer, stand das Mobil am Tränenpalast in Berlin zur Verfügung 3. Die Resonanz vor Ort war an beiden Tagen überwältigend: Zahlreiche Menschen sowohl in Leipzig als auch in Berlin nahmen die Möglichkeit wahr, als Zeitzeu- gen aktiv zu werden und ihre persönlichen Geschichten vor der Kamera zu erzählen. Jenseits der Mauer Am Tränenpalast in Berlin meldete sich unter anderen der gebürtige Engländer David Phillips, um seine Geschichte vom Mauerfall zu erzählen. Phillips kam im Sommer 1989 als Student an die Freie Universität Berlin. Er beschrieb, wie seltsam es war, in der durch die Mauer getrennten Stadt zu leben. Vom Mauerfall am 9. November 1989 erfuhr er abends in seiner Wohnung. Am Tag darauf machte er sich mit seinen Freunden auf den Weg zum Brandenburger Tor. „Ich war oben auf der Mauer vor dem Brandenburger Tor genau zu der Zeit, als Walter Momper, der ehemalige Bürgermeis- ter, und Willy Brandt zum Tor gekommen sind. Das war eines der besten Erlebnisse meines Lebens“, so Phillips. Jetzt, 30 Jahre später, sei er ganz bewusst gemeinsam mit seiner Frau nach Deutschland gekommen, um das Jubiläum zu feiern. „Ich wollte hier sein. Das ist total wichtig für mich“, betonte er. Ähnliche Gefühle äußerten viele Menschen an beiden Jubiläumstagen. Die Ereignisse von damals sind in vielen Köpfen immer noch sehr präsent, das Bedürfnis, darüber zu sprechen, ist anhaltend groß. Die eingesammelten individuellen Perspektiven auf den Herbst 1989 werden nach und nach online im Zeitzeugenportal (www.zeitzeugen-portal.de) veröffentlicht, wo sie für alle abrufbar sind. 3 museumsmagazin 1.2020 21
Zum Jubiläumsfest des Moderatorin Sabine Adler (li.) fragt im Tränenpalast Mauerfalls vor 30 Jahren Kulturstaatsministerin Monika Grütters (M.), Historiker in Berlin kam Kulturstaats- Włodzimierz Borodziej (2. v. re.), Bürgerrechtlerin Katrin ministerin Monika Grütters (li.) Hattenhauer (2. v. li.) und Journalist Georg Mascolo (re.), in den Tränenpalast. wie sie den 9. November 1989 erlebt haben. Jubiläumswochenende zum Mauerfall im Tränenpalast „Und wo waren Sie am 9. November 1989?“ von Nina Lerch Diese Frage bestimmte das Jubiläumswochenende vom 7. bis 10. November 2019 Englisch und in Gebärdensprache durch die Ausstellung angeboten, um dem großen Interesse am Ablauf der Ereignisse und ihren Folgen nachzukommen. Um die eigene Geschichte erzählen zu zum Mauerfall vor 30 Jahren in Berlin und war somit auch die Einstiegsfrage der können, stand am 9. November das ZeitzeugenMobil der Stiftung am Tränenpalast bereit, in dem Moderatorin Sabine Adler bei der Festveranstaltung im Tränenpalast an die Podiumsgäste an Ort und Stelle etliche Zeitzeugeninterviews geführt und aufgenommen wurden. Die Erinnerun- Kulturstaatsministerin Prof. Monika Grütters MdB, Prof. Dr. Włodzimierz Borodziej, Katrin gen an diese Nacht, in der sich die Geschichte Deutschlands für immer veränderte, trieben oft Trä- nen in die Augen oder ließen Gesichter leuchten. Hattenhauer und Georg Mascolo. Alle erlebten den Fall der Mauer aus unterschiedlicher Perspektive: Während der Journalist Mascolo bei der Öffnung der ersten Schlagbäume „Unverzüglich“ am Grenzübergang Bornholmer Straße dabei war und filmte, verfolgte Historiker Borodziej Im Zentrum der Ereignisse stand ein eher unscheinbares die Geschehnisse aus Polen und erahnte schon früh ihre Tragweite für Europa. DDR- Objekt, der sogenannte Schabowski-Zettel: Politbüromit- Bürgerrechtlerin Hattenhauer stand zu diesem Zeitpunkt in Leipzig unter Hausarrest – glied Günter Schabowski hatte in der Pressekonferenz sie wurde von der Staatssicherheit überwacht und wartete auf ihren Prozess. Um mit am Abend des 9. Novembers 1989 neue Reiseregelungen Freunden auf ihren Geburtstag um Mitternacht anzustoßen, schlich sie sich am Abend vorgetragen. Auf seinem Notizzettel war dieser Punkt rot markiert. Da seine Informationen unvollständig waren, über das Dach hinaus. Am Ende der Nacht feierte sie auf den Straßen in Kreuzberg und beantwortete er die Nachfrage, ab wann die neuen Re- am Kurfürstendamm. Nachdem Monika Grütters 1989 die Nachricht der Maueröffnung gelungen gelten sollten, mit: „Ab sofort, unverzüglich.“ im Autoradio gehört und die Bilder abends im Fernsehen gesehen hatte, eilte sie zum Dieser Irrtum führte am Ende des Tages zum Fall der Mauer. Anlässlich des Jubiläums wurde das Dokument nächsten Grenzübergang auf West-Berliner Seite. Die Bilder dieser Nacht sind unver- zum ersten Mal im Original in Berlin präsentiert. Als Sou- gessen – Jubel und Freude waren auf beiden Seiten überwältigend. venir konnte sich jeder „seinen Schabowski-Zettel“ mit nach Hause nehmen – eine originalähnliche Kopie mit Auch 30 Jahre nach dem Mauerfall haben die Menschen ein starkes Bedürfnis, sich an dieses Transkription auf Deutsch und Englisch lag als Abreiß- schicksalhafte Ereignis zu erinnern und die Überwindung der deutschen Teilung zu feiern. Am block neben der Vitrine. Bis zum 12. Januar 2020 war Jubiläumswochenende besuchten dazu rund 12.500 Menschen den Tränenpalast. Die ehemalige der „Schabowski-Zettel“ noch im Tränenpalast zu sehen, Ausreisehalle am Grenzübergang Bahnhof Friedrichstraße verlor mit dem Fall der Mauer auf einen nun wird er wieder in der Bonner Dauerausstellung im Schlag ihren Schrecken. Zur Jubiläumsfeier wurden stündlich Gruppenbegleitungen auf Deutsch, Haus der Geschichte präsentiert. Der „Schabowski-Zettel“ wurde zum Jubiläumsfest im Tränenpalast ausgestellt. 22 museumsmagazin 1.2020
inbonn Zwischen Opel „Kapitän“ und „Leukoplastbomber“ Neues Schaudepot von Sebastian Braun Unter dem Motto „Aus zwei Teilen wird eins“ feierte das Haus der Geschichte in Bonn am 3. Oktober 2019 mit zahlreichen Besuchern den Tag der Deutschen Einheit. Bereits am Eingang begrüßte die legendäre BMW „Isetta“ die Gäste und weckte Vorfreude auf einen der Höhepunkte des Tages: Die Eröffnung des neuen Schaudepots „Leukoplastbomber und Ampelmännchen. Geschichte in Objekten“ im Ausstellungspavillon. Aufgrund des hohen Besucherinteresses, das sich während der Depotrundgänge im Jahr 2017 ge- zeigt hatte, nahm das Haus der Geschichte den Wunsch vieler Gäste zum Anlass, mit einem Schaude- pot einen dauerhaften, exklusiven Einblick in die Vielfalt und Struktur der Sammlungen der Stiftung zu ermöglichen. Entsprechend hoch war die Erwartung, als der Präsident der Stiftung, Prof. Dr. Hans Walter Hütter, das neue Schaudepot zum Thema „Mobilität und Straßenverkehr“ eröffnete – seine Autobegeisterung ging schnell auf alle Anwesenden über. Für ihn sei die Realisierung einer Schau- sammlung zum Thema „Straßenverkehr“ eine Herzensangelegenheit, so Hütter, denn „das Thema zieht sich durch die gesamte Geschichte der Bundesrepublik, weil jeder einen individuellen Bezug dazu hat und persönliche Erlebnisse damit verbindet“. In spannenden Anekdoten erläuterte der Prä- sident der Stiftung Hintergründe zu historischen Schätzen und zur automobilen Alltagskultur. So spiegeln mehr als 400 Objekte aus allen Sammlungsbereichen die Verbundenheit der Deutschen zur Geschichte und Kultur der Motorisierung wider. Sie bilden ein facettenreiches Panorama von Notbe- helfen der Nachkriegszeit bis hin zu Objekten zur klimafreundlichen Fortbewegung. Sammelleidenschaften Viele Familien begaben sich auf Entdeckungsreise und staunten über Relikte, die nicht selten Erinne- rungen an die eigene Kindheit und Jugend weckten. Vor allem die historischen Fahrzeuge erfreuten sich großer Beliebtheit: So zogen der imposante Opel „Kapitän“ und der legendäre „Lloyd 300“, im Volksmund „Leukoplastbomber“ genannt – ein Auto mit einer kunstlederbespannten Holzkarosserie – besonderes Interesse auf sich. Einige private Sammler fühlten sich bestätigt: „Bei mir zu Hause sieht es genauso aus wie hier. Ich sammle Matchbox-Autos, Sico-Autos, alte Emailschilder und beleuchtete Werbeschilder. Alte Aral-Öldosen habe ich auch, nur noch keine Zapfsäule“, erklärte Gregor Schütte, gebürtiger Bad Godesberger, während er den im Eigenbau gefertigten Motorroller aus Flugzeugteilen bestaunte. Von Ampeln über Plakate bis zur bunten Welt des Spielzeugautos: Über 500 Besucher erkun- deten an diesem Tag das neue Schaudepot. Zu den regulären Öffnungszeiten garantiert es einen spannenden Blick hinter die Kulissen des Hauses der Geschichte. Zusätzlich hielt das Museum am Tag der Deutschen Einheit für Familien attraktive Mitmachangebote bereit. So nutzten die kleinen Seit dem 3. Oktober 2019 bietet das neue Besucher mit ihren Eltern die Gelegenheit, um im „Offenen Atelier“ gemeinsam Puzzle zu gestalten. Schaudepot im Ausstellungspavillon der Getreu dem Motto des Tages konnten sie sich spielerisch mit den Werten des Zusammenwachsens Stiftung Haus der Geschichte in Bonn und Zusammenhalts auseinandersetzen. Zwischenzeitlich erweckte das „Theater Taktil“ in der Dauer- sehenswerte Objekte zum Thema ausstellung emotionale Momente der Wiedervereinigung zum Leben. „Mobilität und Straßenverkehr“. 24 museumsmagazin 1.2020
inbonn Royals (li.), Wirtschaft (M.) oder Kultur (re.): Auf alle Bereiche wird der Brexit Auswirkungen haben, sodass die „Brexit-Uhr“ (u.) auf die Teilnehmer der Begleitung in der „Woche des Sehens“ besonders eindrücklich wirkte. Begleitungen durch die Ausstellung „Very British“ für Blinde und Menschen mit Sehbehinderungen an, die jeden der sieben Räume gestalterisch sowie inhalt- lich genau beschrieb und die Audioangebote in Form von Woche des Sehens zeitgenössischen Rundfunk- oder Fernsehbeiträgen gezielt einsetzte. Ob Großbritannien als Besatzungsmacht, den Prunk und die Pracht der königlichen Familie, die Altlas- ten der Vergangenheit, die Konkurrenz beim Fußball, die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Großbritannien sowie die kulturellen britischen Einflüsse – von Ulrike Zander die geschichtlichen Themen wurden anhand der Objekte eingehend beschrieben. Manches war auch fühlbar: der Samtvorhang am Eingang zu den Royals, die deutsch-eng- lischen Produkte aus dem Wirtschaftsbereich oder die Dieselbe Ausstellung, aber eine andere Wahrnehmung: In der „Woche des Sehens“ Singleschallplatten an der „Hörbar“. Diese stellte verständ- licherweise den Höhepunkt der Begleitung dar, indem die Anfang Oktober 2019 bot das Haus der Geschichte in Bonn Begleitungen durch die Teilnehmer ihre Lieblingshits auswählen und anhören neue Wechselausstellung „Very British“ für blinde und sehbehinderte Menschen an. konnten. An dieser Stelle mussten sie sich nicht mehr allzu Sowohl für die Besucher als auch für die Begleiter war es eine neue und gegenseitig sehr konzentrieren, sondern konnten in alten und aktuel- len Liedern schwelgen: „Hier wird Zeitgeschichte hörbar. bereichernde Erfahrung – die Ausstellung erhielt durch die kontinuierlich hörbare Davon konnte ich mich nur schwer losreißen“, schwärmte Präsenz der „Brexit-Uhr“ einen noch stärkeren Gegenwartsbezug. Kaufmann. Unter den Klängen von „Always Look On The Bright Sight Of Life“ verließ die Besuchergruppe zusam- Tatsächlich werden alle Besucher zu Beginn der Ausstel- nehmerin Angelika Kaufmann. „Mal leiser, mal lauter – im men mit der Begleiterin Eva Dietrich, der Museumspäda- lung von der „Brexit-Uhr“ empfangen, die anzeigt, wie viel Bereich der Wirtschaft wurde es wieder ziemlich laut. Das gogin Ronja Schabbach und der Freiwilligen im Sozialen Zeit dem Vereinigten Königreich und Europa bis zum – hat mich sehr beeindruckt und den Ernst der Lage deutlich Jahr Stella Schwaderlapp die Ausstellung und tauschte inzwischen erneut aktualisierten – Austrittstermin noch gemacht. Eine sehr gute Idee! Zudem gab einem die Uhr sich anschließend angeregt über das Kleid der Queen, das bleibt. Jeder spürt dadurch die Brisanz des allgegenwär- Orientierung – durch die wieder zunehmende Lautstärke Blitzlichtgewitter um Prinzessin Diana, den deutschen tigen Themas „Brexit“. Doch für die sehbehinderte Besu- wurde klar, dass wir als Besucher im Kreis laufen und zum Torhüter Bert Trautmann von Manchester City sowie den chergruppe in der „Woche des Sehens“ wurde diese Uhr Anfang zurückkehren, wo die Zeit abläuft.“ Fernsehsketch „Dinner for One“ aus. Alle waren sich einig: zum akustischen Dreh- und Angelpunkt: „Das Ticken der Mehr denn je kam es bei dieser Ausstellungsbegleitung Dieses inklusive Angebot ist für alle Beteiligten horizont- Brexit-Uhr hat uns geradezu verfolgt“, so die blinde Teil- auf die präzisen Erklärungen der Begleiterin Eva Dietrich erweiternd. 26 museumsmagazin 1.2020
inbonn Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble über Deutschlands Rolle in der globalisierten Welt Adenauer-Vortrag von Ulrike Zander Der Geschichtsleistungskurs des Geschwister- Scholl-Gymnasiums Daun besuchte am Eine Stimme reicht zur Mehrheit, vor allem, wenn der Gewählte habt, dass die Bundesrepublik auf 70 Jahre Frieden, Freiheit, Demokratie und 29. Oktober 2019 neben dem Wohnhaus Wohlstand zurückblicken könne. Die Stabilität und Kontinuität dieses Staates Konrad Adenauers in Rhöndorf auch das Haus die Gelassenheit eines Rheinländers besitzt: „Et hätt noch immer markierten einen fundamentalen Unterschied zu der von Brüchen, Kriegen der Geschichte und freute sich, dort Bundes- jot jejange“, sagte Konrad Adenauer am 15. September 1949, und Katastrophen geprägten deutschen Geschichte im Jahrhundert zuvor. tagspräsident Wolfgang Schäuble bei seinem als ihn 202 von 402 Abgeordneten im damals neu errichteten „Die damals unter kritischen Augen der Alliierten gesetzten Grundpfeiler tra- Adenauer-Vortrag erleben zu können. gen bis heute: Grundgesetz, Föderalismus, soziale Marktwirtschaft nach in- Plenarsaal des Deutschen Bundestages zum ersten Bundeskanzler nen. Nach außen der feste ‚Anschluss an den Westen‘, der wählten. „Dieses Ereignis der bundesdeutschen Geschichte Adenauers tiefer, aus Erfahrung gewachsener Überzeu- steht in einer Reihe von Jubiläen, die an den Anfang und an die gung entsprach, das enge deutsch-französische Verhält- nis, die europäische Integration, das transatlantische Konstituierung der parlamentarischen Demokratie in Deutschland Bündnis“, erläuterte der Bundestagspräsident. Selbst der vor 70 Jahren erinnern“, leitete der Präsident der Stiftung Haus der epochale Fall der Berliner Mauer vor 30 Jahren habe die Geschichte, Prof. Dr. Hans Walter Hütter, am 29. Oktober 2019 die Grundfesten dieses Landes nicht mehr verrückt. Doch die Kooperationsveranstaltung zwischen der Stiftung Bundeskanzler- Welt habe sich fundamental gewandelt: „Die Bipolarität des Kalten Krieges mit ihrer klaren Trennung von Freund Adenauer-Haus und der Stiftung Haus der Geschichte ein. und Feind ist abgelöst von einer neuen ‚Weltunordnung‘. Zusammen mit Dr. Corinna Franz, Geschäftsführerin der Stiftung Zunehmende Globalisierung, beschleunigter technologi- Bundeskanzler-Adenauer-Haus, begrüßte Hütter den Präsidenten scher Wandel und globale machtpolitische Verschiebun- gen gehen mit Ungewissheiten, Unberechenbarkeiten und des Deutschen Bundestages, Dr. Wolfgang Schäuble MdB, zum diffusen Risiken einher.“ Insgesamt sei ein „Heraushalten“ Adenauer-Vortrag 2019 im Haus der Geschichte. keine Option, so Schäuble. Die Europäer müssten mehr für ihre eigene und für die Sicherheit in der Welt tun, für „Adenauer hat die Bundesrepublik Deutschland geprägt wie kein anderer den Schutz der internationalen Ordnung, grundlegender Kanzler“, erklärte Franz. „Was vor 70 Jahren in der Kleinstadt am Rhein be- Menschenrechtsnormen und Infrastrukturen. Die eigenen gann, wird nun in Berlin fortgeführt. Das Kommen Wolfgang Schäubles zum Werte könnten dabei nicht zur Grundbedingung bei den Jubiläum zeigt, dass Konrad Adenauer nicht nur in Bonn einen festen Platz Verhandlungen mit anderen Staaten gemacht werden, hat, sondern auch im politischen Berlin eine Stimme findet“, so Franz, die mit denn die Lösung globaler Probleme erfordere auch die diesen Worten zum Bundestagspräsidenten überleitete, der über Deutschlands Auseinandersetzung mit Staaten und Regimen, die diese Rolle in einer grundlegend veränderten Welt sprach. Werte nicht teilen würden. Ob die weltweite Migration, der Bürgerkrieg im Jemen, Klimaschutz und Nachhaltigkeit – Am Anfang war Adenauer alles ließe sich nur in Kooperation mit den beteiligten Staaten bewältigen. Der Bundestagspräsident plädierte Auch wenn der erste Kanzler natürlich ebenso wenig eine Erlösergestalt ge- für eine Politik, die aus Notwendigkeit pragmatisch sei wesen sei wie Napoleon – ein großes Glück für dieses Land sei er unbestrit- und aus Überzeugung an ihren normativen Zielen fest- ten gewesen, begann Schäuble. Adenauer habe wesentlichen Anteil daran ge- halte. Dabei müsse Europa Priorität haben. Wolfgang Schäuble schrieb sich nach dem Adenauer-Vortrag in das Gästebuch des Hauses der Geschichte ein. 28 museumsmagazin 1.2020 museumsmagazin 1.2020 29
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