Occupy Wall Street Die Handlungslogik hinter dem Mobilisierungserfolg von

Die Seite wird erstellt Selma Fleischer
 
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Hausarbeit für den M.A.-Studiengang Politikwissenschaft
  an der Ludwigs-Maximilians-Universität München

        Geschwister-Scholl-Institut für Politikwissenschaft
         Seminar: Debatten in der Demokratieforschung
               Dozentin: Prof. Dr. Petra Stykow
                   Wintersemester 2013/2014

Die Handlungslogik hinter dem
   Mobilisierungserfolg von
      Occupy Wall Street
                    von Maximilian Johann Gerl

Dies ist eine Online-Version. Erstmalig hochgeladen am 30. November 2014.
           Die Originalversion wurde abgegeben am 07. März 2014.
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Inhaltsverzeichnis

1. Occupy Wall Street – ein überraschender Erfolg .................................................................... 3
2. Die Logik des „konnektiven“ Handelns .................................................................................. 4
   2.1 Die Ausgangslage: Grenzen kollektiven Handelns ........................................................... 4
   2.2 Von Gruppen zu Frames: Grundannahmen „konnektiven“ Handelns .............................. 5
   2.3 Kollektive vs. „konnektive“ Handlungsformen: eine Typologie ...................................... 7
3. Die Handlungslogik hinter Occupy Wall Street ...................................................................... 8
   3.1 Analyserahmen .................................................................................................................. 8
   3.2 Politische Memes in sozialen Netzwerken als Grundvoraussetzung ............................... 10
   3.3 Einordnen der Handlungslogik........................................................................................ 11
4. Fazit ....................................................................................................................................... 14
Anhang: Literaturverzeichnis .................................................................................................... 16
   Fachliteratur .......................................................................................................................... 16
   Bücher und Websites von Aktivisten .................................................................................... 17
   Zeitungen und Zeitschriften .................................................................................................. 17
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1. Occupy Wall Street – ein überraschender Erfolg

      „Im Park hielten sich weiterhin tagsüber Tausende auf und blieben Hunderte über Nacht.
      Es begann sich eine regelrechte Gemeinde herauszubilden - mit Bücherei, Küche, kosten-
      loser medizinischer Versorgung, Livestream-Videoteams, Unterhaltungsausschüssen, Sa-
      nitärkommandos [...] Obwohl die Mainstream-Medien das Problem durch die Bank igno-
      rierten, begannen überall in Amerika ähnliche Camps zu entstehen; auch sie hielten Voll-
      versammlungen ab und versuchten sich an Handzeichen und anderen Werkzeugen einer
      auf Konsens begründeten Demokratie. Binnen einer Woche waren es 100, binnen eines
      Monats angeblich 600.“1

Als einige Aktivisten im September 2011 aus politischem Protest den Zuccotti-Park im Herzen
New Yorks besetzten, hatten sie mit vielem gerechnet. Auf eines waren sie allerdings nicht
vorbereitet: Dass sich ihre Kritik unter dem Motto Occupy Wall Street (OWS) wie ein Lauf-
feuer verbreiten würde. Aber dann geschah genau das: Binnen kurzer Zeit begannen Men-
schen erst in Amerika und dann auf der ganzen Welt, auf öffentlichen Plätzen Protestlager zu
errichten und gegen Vermögensungleichheit und Politikversagen zu demonstrieren.2 Für die
OWS-Aktivisten der ersten Stunde ein kleines Wunder, denn all ihre früheren Versuche, eine
massentaugliche Bewegung zu inszenieren, scheiterten stets an mangelnder Beteiligung. „Was
haben wir endlich richtig gemacht?“3, fragten sie sich verblüfft.
      Auch abseits der Aktivistenzirkel löste die plötzliche Schlagkraft von OWS große Über-
raschung aus. Natürlich war es noch nicht lange her, dass der Arabische Frühling über den
Nahen Osten hinweg gefegt war; und wenngleich sich die Aktivisten des Zuccotti-Parks durch
die Besetzung des Kairoer Tahir-Platzes inspiriert fühlten,4 fand die Occupy-Bewegung doch
unter ganz anderen Vorzeichen statt. Besonders bemerkenswert an den Protesten war zum
Beispiel die Art ihrer Entstehung. Unterschiedliche Teile der Bevölkerung fanden sich in losen
Strukturen zusammen, um für eine bessere Welt zu werben. Direkte Vorteile konnten sie dar-

1
  Graeber, David: Inside Occupy. Campus Verlag, Frankfurt 2012, S53f.
2
  Vgl. Kraushaar, Wolfgang: Der Aufruhr der Ausgebildeten. Vom Arabischen Frühling zur Occupy-Bewegung.
  Hamburger Edition: E-Book, Hamburg 2012, S.85ff.
3
  Graeber: Inside Occupy, 2012, S.50
4
  Vgl. Calhoun, Craig: Occupy Wall Street in Perspective, in: The British Journal of Sociology, Vol. 64, Nr. 1,
  2013, S.27f.
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aus nicht erwarten, stattdessen mussten sie mit Verhaftungen und Ähnlichem rechnen.5 Au-
ßerdem gab es keine politische Partei, welche wie in den Staaten des Nahen Ostens die Protes-
te zumindest mitorganisiert und sich auf das Engagement ihrer Mitglieder hätte verlassen kön-
nen.6 Umso erstaunlicher ist es also, dass zum Höhepunkt von OWS mehrere Tausend Men-
schen gemeinsam auf die Straße gingen, obwohl sie eigentlich nur wenig miteinander gemein
hatten. Diesem Phänomen soll nun in der vorliegenden Hausarbeit auf den Grund gegangen
werden: Wie schaffte es die aus dem Nichts kommende OWS-Bewegung, so viele Menschen
politisch zu mobilisieren?
      Zur Klärung der Forschungsfrage wird eine qualitative Einzelfallstudie durchgeführt, die
auf die Debatte um Mancur L. Olsons Logik des kollektiven Handelns zurückgreift. Ich stütze
mich dabei mit W. Lance Bennett und Alexandra Segerberg auf die Entwickler einer Typolo-
gie von heute möglichen Handlungslogiken. In der Analyse kommen sowohl Politik- und So-
zialwissenschaftler als auch die Aktivisten selbst zu Wort.

2. Die Logik des „konnektiven“ Handelns

2.1 Die Ausgangslage: Grenzen kollektiven Handelns

Der Gedanke, dass sich Menschen aufgrund gemeinsamer Interessen zu Gruppen zusammen-
schließen, ist nicht neu: Schon laut Aristoteles suchen Gemeinschaften stets „einen partiellen
Nutzen, so wie Fahrgenossen den Gewinn aus der Seefahrt in Geld.“7 Diese Kernannahme
rationalen Handelns fasste Olson 1965 mit seiner Logic of collective action wieder auf, nur um
zu zeigen, welche fatalen Konsequenzen sich daraus ergeben. Denn je größer die Gruppe ist,
desto schwieriger ist es, einzelne Mitglieder dazu zu motivieren, sich bei der Bereitstellung
des angestrebten Kollektivgutes zu beteiligen. Stattdessen versuchen sie, als Trittbrettfahrer

5
  Vgl. Gitlin, Todd: Occupy's Predicament: The Moment and the Prospects for the Movement, in: The British
  Journal of Sociology, Vol. 64, Nr. 1, 2013, S.21ff.
6
  Vgl. Cannistraro, Vincent: Arab Spring: A Partial Awakening, in: Mediterranean Quarterly, Vol. 22, Nr. 4, 2011,
  S.40ff.
7
  Aristoteles: Die nikomachische Ethik. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1991 (Reprint), 7. Auflage,
  S.215, VIII.9.1160a.15
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von den Erfolgen der Gruppe zu profitieren. Das Problem verschärft sich sogar noch, wenn die
Gruppe unhierarchisch und dezentral organisiert ist und die Teilnehmer keine direkten Gewin-
ne aus ihrer Beteiligung erwarten können.8
      Wie sich später genauer zeigen wird, war die Occupy-Bewegung genau all das, was es
ihr nach Olson eigentlich unmöglich machen müsste, überhaupt handlungsfähig zu sein – von
der mangelhaften Mobilisierung ganz zu schweigen. Offenkundig reicht seine Logic of collec-
tive action aufgrund der zweckrationalen Anreizbedingungen aller Akteure für den For-
schungsfall nicht aus.9 Daher wird mit der Logic of connective action im Anschluss eine mo-
derne Weiterentwicklung präsentiert. Sie ermöglicht es, OWS einzuordnen und den genauen
Mechanismus aufzuzeigen, der zur Massenmobilisierung führte.

2.2 Von Gruppen zu Frames: Grundannahmen „konnektiven“ Handelns

Der Schlüssel zum Verständnis „konnektiven“ Handelns liegt in der Anerkennung von „con-
temporary large-scale networks of contentious action.“10 Dies ist insofern nachvollziehbar, als
dass der Ökonom Olson die Rolle sozialer Netze und der darin ablaufenden Kommunikation
vermutlich absichtlich unterschätzt.11 Hinzu kommen die veränderten gesellschaftlichen Rah-
menbedingungen. Statt sich wie früher vor allem über Gruppen und Gemeinschaften zu identi-
fizieren, individualisieren sich die Menschen heute zunehmend. Dieser Prozess wird durch die
Verbreitung des Internets und der Entstehung neuer sozialer Netzwerke weiter vorangetrieben.
Die Besprechung aller als interessant empfundenen Belange findet daher zunehmend auch im

8
  Vgl. Olson, Mancur L., Jr.: The Logic of Collective Action. Public Goods and the Theory of Groups. Oxford
   University Press, London 1965, S.6ff.; vgl. Panther, Stephan: Soziale Netzwerke und die Logik des kollektiven
   Handelns, in: Pies, Ingo/Leschke, Martin (Hrsg.): Mancur Olsons Logik des kollektiven Handelns. J.C.B. Mohr
   (Paul Siebeck), Tübingen 1997, S.71ff.
9
  Vgl. Homann, Karl/Suchanek, Andreas: Grenzen der Anwendbarkeit einer "Logik des kollektiven Handelns", in:
   Schubert, Klaus (Hrsg.): Leistungen und Grenzen politisch-ökonomischer Theorie: eine kritische Bestandsauf-
   nahme zu Mancur Olson. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1992, S.14
10
    Bennett, W. Lance/Segerberg, Alexandra: The Logic of Connective Action: Digital Media and the Personaliza-
   tion of Contentious Politics, in: Information, Communication & Society, Vol. 15, Nr. 5, 2012, S.743
11
    „Soziale Netze“ im klassischen Sinn und „soziale Netzwerke“ im digitalen Sinn dürfen in dieser Arbeit nicht
   miteinander verwechselt werden. Mit „sozialen Netzen“ seien „die Menge von individuellen Akteuren und den
   zwischen ihnen bestehenden Beziehungen“ (Panther: Soziale Netzwerke und die Logik des kollektiven Han-
   delns, 1997, S.78) bezeichnet, also einfach alle Formen der sozialen Einbettung von Menschen. In Unterschei-
   dung dazu werde ich den Begriff der „sozialen Netzwerke“ ausschließlich für digitale Netzwerke wie Facebook
   oder Twitter verwenden und ansonsten von „sozialen Netzen“ sprechen.
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digitalen Raum statt.12 Im Bereich politischer Gesprächsthemen entsteht eine Form personali-
sierter Kommunikation, die sich nach Bennett und Segerberg wie folgt kennzeichnet:

      “(1) Political content in the form of easily personalized ideas [...] These frames require
      little in the way of persuasion, reason, or reframing to bridge differences with how others
      may feel about a common problem. These personal action frames are inclusive of differ-
      ent personal reasons for contesting a situation that needs to be changed.
      (2) Various personal communication technologies that enable sharing themes. [...] the
      communication process itself often involves further personalization through the spreading
      of digital connections among friends and others.”13

Natürlich tauchen personal action frames nicht von allein in den sozialen Netzwerken auf. Sie
müssen vielmehr aktiv eingebracht werden, sei es über das Teilen eines Links auf Facebook
oder dem Retweet einer Twitter-Nachricht. Die Menschen lassen sich so gegenseitig an ihren
Ideen teilhaben: „Any person who has information can connect with any other person who
wants it, and anyone who wants to make it mean something in some context, can do so.“14
      Dadurch wird es auch möglich, Olsons Freerider-Problem zu überwinden. Denn soziale
Netzwerke fördern die hierarchiefreie Kommunikation und Organisation, schaffen Anreize,
seinen personal action frame mit anderen zu teilen und weiter zu entwickeln. Der Transport
und damit die Beteiligung an einer politischen Idee wirken also selbstmotivierend auf die
Teilnehmer. Die entstehende Eigendynamik kann dazu führen, dass sie sich allein aufgrund
ihrer Ideen zu einer Gruppe zusammenschließen, um ein gemeinsames Ziel zu verfolgen.15
Online-Plattformen wie etwa Wikipedia existieren nur deshalb, weil Menschen mit gleichen
Vorstellungen Konzepte entwickeln und in die Tat umsetzen, ohne für ihre teils aufwendige
Arbeit eine monetäre Entlohnung zu erwarten.16

12
   Vgl. Castells, Manuel: The Rise of the Network Society. Wiley-Blackwell, Chichester 2012, 2. Ausgabe, S.5ff.
13
   Bennett/Segerberg: The Logic of Connective Action, 2012, S.744f.
14
   Benkler, Yochai: The Wealth of Networks: How Social Production Transforms Markets and Freedom. Yale
   University Press, New Haven 2006, S.32
15
   Vgl. ebd., S.3ff.; vgl. Bennett/Segerberg: The Logic of Connective Action, 2012, S.745ff.
16
   Vgl. Joyce, Elisabeth/Pike, Jacqueline C./Butler, Brian S.: Rules and Roles vs. Consensus: Self-Governed
   Deliberative Mass Collaboration Bureaucracies, in: American Behavioral Scientist, Vol. 57, Nr. 5, 2013, S.577
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2.3 Kollektive vs. „konnektive“ Handlungsformen: eine Typologie

Die oben dargestellten Annahmen führen zwangsläufig dazu, dass vollkommen neue Formen
der Gruppenorganisation denkbar sind. Olsons Logik des kollektiven Handelns wird jedenfalls
durch die neuen Rahmenbedingungen konsequent geschwächt, schließlich spielt Rationalität
nicht mehr die führende Rolle. An die Stelle der Kosten-Nutzen-Abwägung treten vielmehr
immaterielle Anreize.17 Das heißt nicht, dass Menschen, die sich in sozialen Netzwerken zu
gemeinsamen Positionen zusammenfinden, gänzlich auf die klassische Organisation durch
Vereine und Verbände verzichten. Doch – und das ist der entscheidende Punkt – notwendig ist
eine solche formale Mitgliedschaft nicht mehr.18
      Bennett und Segerberg entwerfen dementsprechend eine Dreiertypologie, um die heute
möglichen Formen gemeinsamen Engagements aufzuzeigen. Zum einen gibt es den von Olson
inspirierten Typus kollektiven Handelns. Er zeichnet sich vor allem durch eine klare Organisa-
tionsstruktur aus, Entscheidungen werden in einer kleinen Zentrale gefällt. Soziale Netzwerke
helfen lediglich bei der Koordination. Dem Freerider-Problem tritt hier eine strenge Organisa-
tion entgegen. Auf der anderen Seite findet sich der Typus des „konnektiven“ Handelns: Er ist
durch sich selbst organisierende Netzwerke geprägt, die Kommunikation und Koordination
zwischen den einzelnen Individuen findet frei auf Basis ihrer personal action frames über mo-
derne Kommunikationskanäle statt. Das nachvollziehbare Bedürfnis, seine Idee zu verwirkli-
chen, führt in diesem Fall zur Lösung des Trittbrettfahrerproblems. Der dritte und letzte Typus
liegt zwischen den beiden Extrempunkten und weist lose Organisationsstrukturen auf, über die
das gemeinsame Handeln koordiniert wird. Gleichzeitig ist aber keine formale Mitgliedschaft
nötig; ob man sich an der Handlung beteiligt, hängt auch hier maßgeblich vom personal action
frame ab. Aufgrund des großen Einfluss letzteren sehen Bennett und Segerberg den Mischty-
pus als „konnektiv“ geprägt an.19

17
    Olsons These der Eigennutzmaximierung stieß seit jeher auf viel Kritik. Zahlreiche Studien weisen daraufhin,
   dass verschiedene Arten von Anreizen existieren – etwa soziale oder moralische –mittels derer das Trittbrett-
   fahrerproblem gelöst werden kann. Vgl. hierzu Opp, Karl-Dieter: Politischer Protest als Rationales Handeln,
   in: Ramb, Bernd-Thomas (Hrsg.): Ökonomische Verhaltenstheorie. Vahlen, München 1993, S.209ff.; vgl. Pan-
   ther: Soziale Netzwerke und die Logik des kollektiven Handelns, 1997, S.77ff.
18
    Vgl. Bennett/Segerberg: The Logic of Connective Action, 2012, S.752ff.
19
    Vgl. Bennett, W. Lance/Segerberg, Alexandra: The Logic of Connective Action: Digital Media and the Per-
   sonalization of Contentious Politics. Cambridge University Press, 2014, 2. Auflage, S.45ff.
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  CONNECTIVE ACTION                     CONNECTIVE ACTION                    COLLECTIVE ACTION
Crowd-enabled/Self organiz-             Organizationally enabled            Organizationally brokered
       ing networks                            networks                            networks

Little or no organizational coor-      Loose organizational coordina-       Strong organizational coordina-
dination of action                     tion of action                       tion of action

Large-scale personal access to         Organizations provide outlays        Organizations use social tech-
multi-layered social technologies      for social technologies (custom      nologies to manage participation
                                       and commercial)                      and coordinate goals
Communication content centers
on emergent inclusive personal         Communication content centers        Communication centers on col-
action frames                          on organizationally generated        lective action frames
                                       personal action frames
Personal expression shared                                                  Organizational management of
over social networks                   Some organizational moderation       social networks (more emphasis
                                       of personal expression through       on interpersonal networks to
Collectivities often shun in-          social networks                      build relationships for collective
volvement of existing formal                                                action)
organizations                          Organizations in the background
                                       in loosely linked networks           Organizations in the foreground
                                                                            as coalitions with differences
                                                                            bridged through high resource
                                                                            organization brokerage

         Abbildung 1: eine Typologie "konnektiven" und kollektiven Handelns sowie der jeweils
         entscheidenden Elemente. Grafik aus eigener Erstellung, nach Bennett/Segerberg: The Logic
         of Connective Action, 2014, S.47

Damit stehen zwei „konnektive“ Handlungsformen einer kollektiven Handlungsform gegen-
über, wobei die Übergänge zwischen den Typen fließend sind. In der Realität liegen weitaus
mehr Hybriden vor, als die Typologie aus praktischen Gründen abbilden kann.20 Die Einord-
nung empirisch beobachtbarer Handlungsformen erfolgt damit immer nur näherungsweise.

3. Die Handlungslogik hinter Occupy Wall Street

3.1 Analyserahmen

Allein die theoretische Existenz einer „konnektiven“ Handlungslogik sagt noch nicht aus, ob
sie für den Mobilisierungserfolg von OWS auch tatsächlich zutreffend ist. Daher müssen aus

20
     Vgl. ebd., S.48f.
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den einzelnen Merkmalen jeder Handlungsform übergreifend Kategorien gebildet und operati-
onalisiert werden, wofür wiederum die von Bennett und Segerberg vorgeschlagene Typologie
in einigen Punkten zu modifizieren ist. OWS lässt sich dann sowohl für jede Kategorie als
auch in der Summe einem der drei Handlungstypen zuweisen. Daraus wird deutlich, ob das
Konzept als Erklärung geeignet ist – und wenn ja, welche Logik hinter dem Mobilisierungser-
folg von OWS steckt.
      Um eine zufällige Übereinstimmung auszuschließen, sind jedoch erst die der Typologie
zugrunde liegenden Annahmen zu prüfen. Der personal action frame muss demnach einen
leicht verständlichen politischen Inhalt transportieren. Außerdem muss er über soziale Netz-
werke mit anderen Menschen geteilt werden, um zur Massenmobilisierung beizutragen. Bei-
des lässt sich daran messen, ob zu OWS sogenannte Memes – also wiederkehrende Slogans
und Bilder – auftauchen, ob diese eine zentrale Rolle spielen und ob sie über die sozialen
Netzwerke verbreitet werden.

           TYP 1                               TYP 2                                  TYP 3
„konnektive“ Handlungslogik,        „konnektive“ Handlungslogik,           kollektive Handlungslogik,
    selbstorganisierend              Organisation via Netzwerke           Organisation via Hierarchien

Freie Personal action frames         Personal action frames                Collective action frames

Keine Moderation von personal        Moderation von personal action        Management der collective
action frames                        frames                                action frames

Ungesteuerte soziale Netzwerke       Leicht gesteuerte Soziale Netz-       Soziale Netzwerke zur Koordina-
zum Ausdrücken von persönli-         werke mit vielfältigen Verwen-        tion von Interessen und Beteili-
chen Inhalten und Ideen              dungsmöglichkeiten                    gung

Keine Hierarchien                    Schwache Hierarchien                  Starke Hierarchien

Unter Umständen Beteiligung          Organisationen im Hintergrund         Organisationen zentral im Vor-
von Organisationen                                                         dergrund

      Abbildung 2: die modifizierte Typologie der Handlungslogiken. Jede Zeile ist dabei als über-
      greifende Kategorie zu verstehen. Grafik aus eigener Erstellung.

Anschließend werden die Kategorien hinzugezogen, wie Abbildung 2 sie darstellt. Das Vor-
liegen von personal action frames fragen schon die Grundannahmen ab; hier gilt es festzustel-
len, inwieweit bereits durch Organisationen ein Rahmen vorgegeben wird. Ähnliches gilt für
die Frage, wie die personal action frames über soziale Netzwerke verbreitet werden. Wenn
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dabei keine oder nur eine schwache Moderation der Themen erkennbar ist, handelt es sich um
eine „konnektive“ Handlungsform. Entsprechend sind auch die benutzten Kommunikations-
kanäle an sich zu überprüfen: Werden sie nur zur Koordination von Interessen benutzt oder
kommt ihnen gemäß der Logic of connective action tatsächlich die Funktion eines „important
organizational agent“21 zu? Zu guter Letzt ist zu betrachten, wie stark Organisationshierarchien
innerhalb von OWS ausgeprägt und ob Vereine und Verbände lediglich im Hintergrund tätig
sind. Wenn sich beides bejahen lässt, spricht dies ebenfalls für einen „konnektiven“ Typus.

3.2 Politische Memes in sozialen Netzwerken als Grundvoraussetzung

Der bekannteste Slogan von OWS fasste die Hauptkritik der Bewegung in einem Satz zusam-
men. „We are the 99 Percent“22 richtete sich explizit sowohl gegen die Demokratische als
auch die Republikanische Partei. Der Vorwurf: Beide machten nur Politik für das reichste Pro-
zent der US-Amerikaner, das so immer reicher werde, während der Rest der Bevölkerung –
die besagten 99 Prozent – an den erwirtschafteten Wohlfahrtsgewinnen nicht beteiligt werde.
Eine solche Verteilung von unten nach oben führe zu Vermögensungleichheit und sei unge-
recht.23 Der Slogan transportierte damit von Anfang an einen brisanten politischen Inhalt. Im-
merhin befanden sich die USA gerade in der schwersten Wirtschaftskrise seit 1929, maßgeb-
lich ausgelöst durch Finanzspekulationen einiger Großbanken, deren Mitarbeiter von den
OWS-Aktivisten als Teil des einen reichen Prozents wahrgenommen wurden; „it summed up,
albeit crudely, the sense that the wielders of power are at once arrogant, self-dealing, incompe-
tent, and incapable of remedying the damage they have wrought.“24
      Der Spruch von den „99 Percent“ entwickelte daher in den sozialen Netzwerken rasch
ein Eigenleben. 25 Kurz vor der Besetzung des Zuccotti-Parks eröffnete zum Beispiel eine
gleichnamige Tumblr-Webseite, auf der jeder ein Foto von sich hochladen und berichten

21
    Bennett/Segerberg: The Logic of Connective Action, 2012, S.755
22
    Entworfen wurde der Slogan zunächst als „We, the 99 Percent“ im August 2011, als einige der späteren OWS-
   Aktivisten per Flugblatt zu einer ersten Vollversammlung in New York aufriefen. Etwa einen Monat später ent-
   wickelten dieselben Aktivisten daraus das eingängigere „We are the 99 Percent“. Vgl. hierfür Graeber: Inside
   Occupy, 2012, S.36ff.
23
    Vgl. Chomsky, Noam: Occupy. Penguin Books, London 2012, S.23ff.
24
    Gitlin: Occupy's Predicament, 2013, S.9
25
    Vgl. Gitlin, Todd: Occupy Nation. The Roots, the Spirit, and the Promise of Occupy Wall Street. HarperCol-
   lins, New York 2012, S.74ff.
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konnte, warum er die Occupy-Bewegung unterstützte.26 Aktuell zählt dieser Blog 231 Seiten
mit 15 Einträgen pro Seite, also insgesamt über 3400 Einträge. 27 Auf Facebook wiederum
wurde zum Höhepunkt der Besetzung die Zahl der US-Amerikaner auf drei Millionen ge-
schätzt, die sich mit OWS identifizierten und das über Likes und Shares in ihrem Profil kund-
taten.28 Auch auf Twitter tauschten sich Privatpersonen über das Thema rege aus, was dabei
half, die zentrale Idee hinter Occupy zu verbreiten und bei den Usern zu verinnerlichen.29
       Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Slogan als Meme mit einer politischen
Botschaft fungierte, die einfach zu verstehen war und auf große Resonanz stieß. Das „We are
the 99 Percent“ bildete somit für die an diesem Thema per sozialen Netzwerken teilnehmen-
den Menschen den entscheidenden personal action frame. Folglich können die Grundannah-
men moderner Handlungslogiken für den Fall OWS als gegeben betrachtet werden.

3.3 Einordnen der Handlungslogik

Die Einordnung von OWS in einen „konnektiven“ Handlungstyp ist aufgrund der Existenz
von Memes plausibler geworden. Ob dem aber wirklich so ist, darüber können nur die einzel-
nen Merkmalsausprägungen Aufschluss geben.
       In der ersten Kategorie kommt jedenfalls eine „konnektive“ Handlungslogik zum Tragen.
Wie oben dargelegt, existieren personal action frames, die nicht zu collective action frames
transferiert wurden. Jeder Occupy-Sympathisant brachte seine persönlichen Vorstellungen in
die Bewegung ein, welche nur lose unter der Kritik der steigenden Vermögensungleichheit
gebündelt wurden.30 Der Slogan der „99 Percent“ schuf also zwar einen Rahmen für alle Be-
teiligten, der aber gleichzeitig so lose strukturiert war, dass eine Vielzahl von individuellen
Inhalten darin versammelt werden konnte. Das zeigt sich ebenfalls in den Einträgen auf dem

26
    Vgl. Bennett/Segerberg: The Logic of Connective Action, 2014, S.181
27
    Vgl. Tumblr.com: We are the 99 Percent, unter: Tumblr-Blog zur Occupy-Bewegung,
   http://wearethe99percent.tumblr.com (letzter Zugriff am 07.03.2014)
28
    Vgl. Gitlin: Occupy Nation, 2012, S.28
29
    Vgl. Gleason, Benjamin: #Occupy Wall Street: Exploring Informal Learning About a Social Movement on
   Twitter, in: American Behavioral Scientist, Vol. 57, Nr. 7, 2013, S.972; vgl. Bennett, W. Lance/Segerberg, Al-
   exandra/Walker, Shawn: Organization in the Crowd: Peer Production in Large-Scale Networked Protests, in:
   Information, Communication & Society, Vol. 17, Nr. 2, 2014, S.242ff.
30
    Vgl. Gitlin: Occupy's Predicament, 2013, S.18ff.
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Blog „We are the 99 Percent“, wo jeder User seine eigene Geschichte und damit seine eigene
Sicht der Dinge präsentierte. Wegen des losen Rahmens fällt OWS hier Typ Zwei zu.
      Wenn man das „We are the 99 Percent“ als wegweisendes Motto betrachtet, scheint es
wahrscheinlich, dass als Folge dessen irgendeine Art von Moderation der personal action fra-
mes erfolgte. Es ist zum Beispiel kaum vorstellbar, dass der Ersteller des gleichnamigen Blogs
nicht in manchen Fällen unpassende Beiträge von der Website entfernte und so in den ideen-
und identitätsstiftenden Prozess eingriff. Auch die im Zuccotti-Park regelmäßig abgehaltenen
Vollversammlungen mit teils mehreren Tausend Menschen kennzeichneten sich vor allem
dadurch aus, dass Entscheidungen stets im Konsens gefällt wurden. Der deliberative Charakter
der General Assembly machte daher eine Moderation durch vor der Sitzung ausgewählte Akti-
visten nötig.31 Natürlich soll damit nicht unterstellt werden, dass sie in die Konsensbildung
absichtlich verfälschend eingriffen; doch selbst eine gelungene Moderation führt zwangsläufig
dazu, dass manche Inhalte in der Diskussion nicht weiter verfolgt werden, wenn sie unpassend
oder nicht zielführend erscheinen. Weil dadurch die Gefahr besteht, dass gewisse personal
action frames ausgeblendet werden, sollte OWS in dieser Kategorie ebenfalls Typ Zwei zuge-
ordnet werden.
      Die Rolle sozialer Netzwerke lässt sich indes eindeutig Typ Eins zuweisen. Die Informa-
tionsströme erfolgten völlig frei. Die Aktivisten kommunizierten vor allem via Twitter und
nutzten den Kurznachrichtendienst als dezentrale Organisationsplattform.32 Gleason ermittelte,
dass während eines OWS-Demonstrationszuges allein 48 Prozent aller mit Hyperlinks verse-
henen Twitter-Nachrichten zu den Geschehnissen von Privatpersonen erstellt wurden, der Rest
stammte von Medienunternehmen, die darüber berichteten.33 Eine Vorauswahl oder gar Len-
kung der Kommunikation durch eine Organisation ist somit nicht nachweisbar.
      Dementsprechend ist eine lose Organisationshierarchie bei OWS zu erkennen – eine
vollkommene Kontrolle der Organisation wäre schon technisch aufgrund des freien Kommu-
nikationsflusses nur schwer möglich gewesen. Stattdessen hatte jeder die Möglichkeit, sich in
die Bewegung einzubringen, entweder indem er online dem Protest folgte oder vor Ort in der

31
   Vgl. Gitlin: Occupy Nation, 2012, S.80ff.. Die Website der General Assembly bietet einen guten Einblick, wie
   die Sitzungen organisiert und geleitet wurden: Vgl. hierzu NYCGeneralAssembly.net: # Occupy Wall Street:
   NYC General Assembly, unter: offizielle Website der OWS-Vollversammlung im Zuccotti-Park,
   http://www.nycga.net (letzter Zugriff am 07.03.2014)
32
   Vgl. Bennett/Segerberg/Walker: Organization in the Crowd, 2014, S.242ff.
33
   Vgl. Gleason: #Occupy Wall Street, 2013, S.972
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Vollversammlung sprach und einen der zahlreichen Arbeitsausschüsse besuchte. Zudem be-
stand ein erheblicher Teil des inner circle der Bewegung aus Anarchisten, die vertikale Orga-
nisationsstrukturen aus ideologischen Gründen ablehnten.34 Daher ist anzunehmen, dass die
Masse als „weicher Kern“ in vielen Entscheidungen mehrheitlich den Vorschlägen des „harten
Kerns“ folgte, zumal diese oft als Gruppenleiter oder Moderatoren tätig waren und damit un-
beabsichtigt über größeren sozialen Einfluss verfügten.35 Dazu passt, dass die Vollversamm-
lung Ende Oktober auf eine Größe angewachsen war, die ein produktives Arbeiten unmöglich
machte. Als Lösung wurde ein Spoke Council für das Tagesgeschäft eingesetzt, bestehend aus
Vertretern der Arbeitsgruppen. Auch wenn weiterhin jeder die Sitzungen des Gremiums ver-
folgen und notfalls einschreiten durfte, nahmen die Mitglieder des Spoke Council letztendlich
eine höherstehende Organisationsposition ein.36 Es erscheint daher logisch, OWS in dieser
Kategorie zwischen dem ersten und nahe am zweiten Typus anzusiedeln.
      Hinzu kommt, dass einige Organisationen und Vereine in OWS eingebunden waren. Die
politisch linksstehende Zeitschrift Adbusters beteiligte sich anfangs maßgeblich an der Orga-
nisation des Protestes und trug so dazu bei, das Meme der „99 Percent“ überhaupt in den so-
zialen Netzwerken publik zu machen.37 Des Weiteren nahmen sich gerade die anarchischen
Aktivistengruppen vieler Aufgaben an: Sie implementierten die Vollversammlung als Ent-
scheidungsgremium, formierten Protestzüge und erklärten den Demonstranten, wie sie gegen-
über bestimmten polizeilichen Gegenmaßnahmen wie etwa einer Einkesselung reagieren soll-
ten.38 Es ist nur schwer vorstellbar, dass der Protest organisatorisch so gut funktioniert hätte,
wenn nicht erfahrene Aktivisten für ein auf Horizontalism aufgebautes Fundament gesorgt
hätten.39 Zudem unterstützten im Laufe der Zeit Gewerkschaften und andere Verbände die
Protestmärsche, selbst wenn sie formal nicht in die Organisationsstrukturen von OWS einge-
bettet waren.40 Daher pendelt der Forschungsfall auch hier zwischen Typ Eins und Typ Zwei:
Am Anfang war OWS noch durchaus von Organisationen aus dem Hintergrund begleitet, de-

34
   Vgl. Gitlin: Occupy Nation, 2012, S.80ff.; vgl. Graeber: Inside Occupy, 2012, S.104ff.
35
   Vgl. Gitlin: Occupy Nation, 2012, S.101ff.
36
   Vgl. ebd., S.95f.¸vgl. Roberts, Alaisdar: Why the Occupy Movement Failed, in: Public Administration Review,
   Vol. 72, Nr. 5, 2012, S.757
37
   Vgl. Kraushaar: Der Aufruhr der Ausgebildeten, 2012, S.68ff.
38
   Vgl. Gitlin: Occupy Nation, 2012, S.113ff.
39
   Vgl. Roberts: Why the Occupy Movement Failed, 2012, S.755f.
40
   Vgl. Kraushaar: Der Aufruhr der Ausgebildeten, 2012, S.76ff.
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ren Einfluss sich aber mit steigender Teilnehmerzahl und dem damit einhergehenden Bedeu-
tungszuwachs der Vollversammlung langsam verlor.

Insgesamt ergibt die Analyse, dass zwei Kategorien in Typ Zwei und eine Kategorie in Typ
Eins fallen. In zwei weiteren Kategorien bewegt sich die Beobachtung zwischen beiden Typen.
Mehrheitlich lässt sich deshalb der Forschungsfall Typ Zwei zuordnen, wenn auch mit starken
Tendenzen hin zu Typ Eins. Damit liegt der Mobilisierung von OWS eine „konnektive“ Hand-
lungslogik zugrunde.

4. Fazit

Wie sich gezeigt hat, ist die Logic of connective action bestens dazu geeignet, um den Mobili-
sierungserfolg von OWS zu erklären. Der Slogan der „We are the 99 Percent“ transportierte
eine politische Botschaft, die in ihrer Aussagekraft ebenso einfach zu verstehen wie eingängig
war. Argumentativ freilich war sie deutlich überspitzt, doch das spielte keine Rolle, „it was
brilliant framing.“41 Schließlich brachte sie nur auf den Punkt, was vielen Menschen wegen
der Finanzkrise ohnehin tagtäglich vor Augen stand: die steigende Arbeitslosigkeit, die klaf-
fende Schere zwischen Arm und Reich, das Gebahren der Banken und die Ohnmacht der Poli-
tik demgegenüber. Hier ist die zentrale Ursache zu suchen, warum sich so viele Menschen mit
der Bewegung identifizieren konnten, warum sie die Idee der „99 Percent“ zu der ihnen eige-
nen machten – und warum sie sich innerhalb kürzester Zeit über soziale Netze und Netzwerke
organisierten, um gegen die herrschenden Verhältnisse zu demonstrieren.
         Für den Mobilisierungserfolg ist außerdem entscheidend, wie eben diese Netze und
Netzwerke benutzt werden. Wenn sie lose Strukturen vorgegeben, an denen sich die Menschen
orientieren können, dann fördert dies offensichtlich die Selbstmotivation der Teilnehmer in
einem ganz entscheidenden Maße. Soziale Netze und Netzwerke müssen damit mehr sein als
nur Plattformen für persönliche Inhalte; sie selbst müssen zu Organisationskanälen werden,
und sei es nur durch den Anstoß einiger – zumindest anfangs – weniger Aktivisten.

41
     Calhoun: Occupy Wall Street in Perspective, 2013, S.33
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      Das Ergebnis ist noch in einem weiteren Punkt interessant. Die hier durchgeführte Un-
tersuchung ergab, dass OWS am ehesten dem Mischtypus zuzuordnen ist, wenn auch mit vie-
len Anleihen des rein „konnektiven“ Typus. Bennett und Segerberg selbst wiederum kommen
zu dem Schluss, dass es sich bei OWS um die rein „konnektive“ Handlungsform handele. Sie
begründen das damit, dass die innere Organisation auf „networks of networks“ 42 aufbaue,
sprich auf zwei unterschiedlichen Organisationsebenen: einmal offline, indem sich Aktivisten
physisch in der Vollversammlung begegneten, und einmal online, indem sie sich digital über
Twitter und andere Plattformen absprachen. Aufgrund der speziellen Dynamik müsse OWS
daher dem ersten Typus zufallen.43 Eine solche Argumentation mag zwar schlüssig sein, ist
aber nur möglich, weil Bennett und Segerberg nicht alle Elemente ihrer eigenen Typologie so
gebildet haben, dass sich daraus stets vergleichbare Kategorien ergeben. Das spricht dafür,
dass die Typologie der Autoren in ihrer derzeitigen Form nicht vollends ausgereift ist und in
einigen Punkten wohl weiter modifiziert werden muss. Zudem ist nicht ganz klar, ob sie sich
allein auf OWS oder die daraus entstandene globale Occupy-Strömung beziehen.

Auch wenn sich trefflich darüber streiten lässt, wie „konnektiv“ OWS tatsächlich war, liegt
dem Protest definitiv die Logic of connective action zugrunde. Nur durch sie war es möglich,
der Bewegung zu solch einem Erfolg zu verhelfen. Selbst die Tatsache, dass sie mit der Räu-
mung des Zuccotti-Parks am 15. November faktisch ihren Zenit überschritten hatte, konnte
daran nichts ändern – das Schlagwort „Occupy“ taucht inzwischen überall dort als Synonym
auf, wo sich einfache Bürger wehren wollen,44 denn:

      “The Occupy Wall Street mobilization may have been temporary but not without endur-
      ing effect. Its most important impact may lie in culture not movement organization. It
      may lie in readiness to look seriously and critically at inequality and at the question
      whether actual democratic institutions are working. It may lie in changing, at least a little,
      what the people think is possible.”45

42
   Bennett/Segerberg: The Logic of Connective Action, 2014, S.161
43
   Vgl. ebd., S.160ff.
44
   Seit kurzem protestieren zum Beispiel polnische Bauern unter Occupy Chevron gegen den gleichnamigen
   Energiekonzern, nachdem dieser bei Probebohrungen ihre Quellen verschmutzte. Vgl. hierzu Brill, Klaus:
   Kleines Dorf kämpft gegen große Firma, in: Süddeutsche Zeitung, Vol. 70, Nr. 1, 02.01.2014, S.6
45
   Calhoun: Occupy Wall Street in Perspective, 2013, S.37f.
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Anhang: Literaturverzeichnis

Fachliteratur

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Bücher und Websites von Aktivisten

Chomsky, Noam: Occupy. Penguin Books, London 2012
Graeber, David: Inside Occupy. Campus Verlag, Frankfurt 2012
NYCGeneralAssembly.net: # Occupy Wall Street: NYC General Assembly, unter: offizielle
    Website der OWS-Vollversammlung im Zuccotti-Park, http://www.nycga.net (letzter
    Zugriff am 07.03.2014)
Tumblr.com: We are the 99 Percent, unter: Tumblr-Blog zur Occupy-Bewegung,
    http://wearethe99percent.tumblr.com (letzter Zugriff am 07.03.2014)

Zeitungen und Zeitschriften

Brill, Klaus: Kleines Dorf kämpft gegen große Firma, in: Süddeutsche Zeitung, Vol. 70, Nr. 1,
       02.01.2014, S.6
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