Occupy Wall Street Die Handlungslogik hinter dem Mobilisierungserfolg von
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Hausarbeit für den M.A.-Studiengang Politikwissenschaft an der Ludwigs-Maximilians-Universität München Geschwister-Scholl-Institut für Politikwissenschaft Seminar: Debatten in der Demokratieforschung Dozentin: Prof. Dr. Petra Stykow Wintersemester 2013/2014 Die Handlungslogik hinter dem Mobilisierungserfolg von Occupy Wall Street von Maximilian Johann Gerl Dies ist eine Online-Version. Erstmalig hochgeladen am 30. November 2014. Die Originalversion wurde abgegeben am 07. März 2014.
S e i t e |2 Inhaltsverzeichnis 1. Occupy Wall Street – ein überraschender Erfolg .................................................................... 3 2. Die Logik des „konnektiven“ Handelns .................................................................................. 4 2.1 Die Ausgangslage: Grenzen kollektiven Handelns ........................................................... 4 2.2 Von Gruppen zu Frames: Grundannahmen „konnektiven“ Handelns .............................. 5 2.3 Kollektive vs. „konnektive“ Handlungsformen: eine Typologie ...................................... 7 3. Die Handlungslogik hinter Occupy Wall Street ...................................................................... 8 3.1 Analyserahmen .................................................................................................................. 8 3.2 Politische Memes in sozialen Netzwerken als Grundvoraussetzung ............................... 10 3.3 Einordnen der Handlungslogik........................................................................................ 11 4. Fazit ....................................................................................................................................... 14 Anhang: Literaturverzeichnis .................................................................................................... 16 Fachliteratur .......................................................................................................................... 16 Bücher und Websites von Aktivisten .................................................................................... 17 Zeitungen und Zeitschriften .................................................................................................. 17
S e i t e |3 1. Occupy Wall Street – ein überraschender Erfolg „Im Park hielten sich weiterhin tagsüber Tausende auf und blieben Hunderte über Nacht. Es begann sich eine regelrechte Gemeinde herauszubilden - mit Bücherei, Küche, kosten- loser medizinischer Versorgung, Livestream-Videoteams, Unterhaltungsausschüssen, Sa- nitärkommandos [...] Obwohl die Mainstream-Medien das Problem durch die Bank igno- rierten, begannen überall in Amerika ähnliche Camps zu entstehen; auch sie hielten Voll- versammlungen ab und versuchten sich an Handzeichen und anderen Werkzeugen einer auf Konsens begründeten Demokratie. Binnen einer Woche waren es 100, binnen eines Monats angeblich 600.“1 Als einige Aktivisten im September 2011 aus politischem Protest den Zuccotti-Park im Herzen New Yorks besetzten, hatten sie mit vielem gerechnet. Auf eines waren sie allerdings nicht vorbereitet: Dass sich ihre Kritik unter dem Motto Occupy Wall Street (OWS) wie ein Lauf- feuer verbreiten würde. Aber dann geschah genau das: Binnen kurzer Zeit begannen Men- schen erst in Amerika und dann auf der ganzen Welt, auf öffentlichen Plätzen Protestlager zu errichten und gegen Vermögensungleichheit und Politikversagen zu demonstrieren.2 Für die OWS-Aktivisten der ersten Stunde ein kleines Wunder, denn all ihre früheren Versuche, eine massentaugliche Bewegung zu inszenieren, scheiterten stets an mangelnder Beteiligung. „Was haben wir endlich richtig gemacht?“3, fragten sie sich verblüfft. Auch abseits der Aktivistenzirkel löste die plötzliche Schlagkraft von OWS große Über- raschung aus. Natürlich war es noch nicht lange her, dass der Arabische Frühling über den Nahen Osten hinweg gefegt war; und wenngleich sich die Aktivisten des Zuccotti-Parks durch die Besetzung des Kairoer Tahir-Platzes inspiriert fühlten,4 fand die Occupy-Bewegung doch unter ganz anderen Vorzeichen statt. Besonders bemerkenswert an den Protesten war zum Beispiel die Art ihrer Entstehung. Unterschiedliche Teile der Bevölkerung fanden sich in losen Strukturen zusammen, um für eine bessere Welt zu werben. Direkte Vorteile konnten sie dar- 1 Graeber, David: Inside Occupy. Campus Verlag, Frankfurt 2012, S53f. 2 Vgl. Kraushaar, Wolfgang: Der Aufruhr der Ausgebildeten. Vom Arabischen Frühling zur Occupy-Bewegung. Hamburger Edition: E-Book, Hamburg 2012, S.85ff. 3 Graeber: Inside Occupy, 2012, S.50 4 Vgl. Calhoun, Craig: Occupy Wall Street in Perspective, in: The British Journal of Sociology, Vol. 64, Nr. 1, 2013, S.27f.
S e i t e |4 aus nicht erwarten, stattdessen mussten sie mit Verhaftungen und Ähnlichem rechnen.5 Au- ßerdem gab es keine politische Partei, welche wie in den Staaten des Nahen Ostens die Protes- te zumindest mitorganisiert und sich auf das Engagement ihrer Mitglieder hätte verlassen kön- nen.6 Umso erstaunlicher ist es also, dass zum Höhepunkt von OWS mehrere Tausend Men- schen gemeinsam auf die Straße gingen, obwohl sie eigentlich nur wenig miteinander gemein hatten. Diesem Phänomen soll nun in der vorliegenden Hausarbeit auf den Grund gegangen werden: Wie schaffte es die aus dem Nichts kommende OWS-Bewegung, so viele Menschen politisch zu mobilisieren? Zur Klärung der Forschungsfrage wird eine qualitative Einzelfallstudie durchgeführt, die auf die Debatte um Mancur L. Olsons Logik des kollektiven Handelns zurückgreift. Ich stütze mich dabei mit W. Lance Bennett und Alexandra Segerberg auf die Entwickler einer Typolo- gie von heute möglichen Handlungslogiken. In der Analyse kommen sowohl Politik- und So- zialwissenschaftler als auch die Aktivisten selbst zu Wort. 2. Die Logik des „konnektiven“ Handelns 2.1 Die Ausgangslage: Grenzen kollektiven Handelns Der Gedanke, dass sich Menschen aufgrund gemeinsamer Interessen zu Gruppen zusammen- schließen, ist nicht neu: Schon laut Aristoteles suchen Gemeinschaften stets „einen partiellen Nutzen, so wie Fahrgenossen den Gewinn aus der Seefahrt in Geld.“7 Diese Kernannahme rationalen Handelns fasste Olson 1965 mit seiner Logic of collective action wieder auf, nur um zu zeigen, welche fatalen Konsequenzen sich daraus ergeben. Denn je größer die Gruppe ist, desto schwieriger ist es, einzelne Mitglieder dazu zu motivieren, sich bei der Bereitstellung des angestrebten Kollektivgutes zu beteiligen. Stattdessen versuchen sie, als Trittbrettfahrer 5 Vgl. Gitlin, Todd: Occupy's Predicament: The Moment and the Prospects for the Movement, in: The British Journal of Sociology, Vol. 64, Nr. 1, 2013, S.21ff. 6 Vgl. Cannistraro, Vincent: Arab Spring: A Partial Awakening, in: Mediterranean Quarterly, Vol. 22, Nr. 4, 2011, S.40ff. 7 Aristoteles: Die nikomachische Ethik. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1991 (Reprint), 7. Auflage, S.215, VIII.9.1160a.15
S e i t e |5 von den Erfolgen der Gruppe zu profitieren. Das Problem verschärft sich sogar noch, wenn die Gruppe unhierarchisch und dezentral organisiert ist und die Teilnehmer keine direkten Gewin- ne aus ihrer Beteiligung erwarten können.8 Wie sich später genauer zeigen wird, war die Occupy-Bewegung genau all das, was es ihr nach Olson eigentlich unmöglich machen müsste, überhaupt handlungsfähig zu sein – von der mangelhaften Mobilisierung ganz zu schweigen. Offenkundig reicht seine Logic of collec- tive action aufgrund der zweckrationalen Anreizbedingungen aller Akteure für den For- schungsfall nicht aus.9 Daher wird mit der Logic of connective action im Anschluss eine mo- derne Weiterentwicklung präsentiert. Sie ermöglicht es, OWS einzuordnen und den genauen Mechanismus aufzuzeigen, der zur Massenmobilisierung führte. 2.2 Von Gruppen zu Frames: Grundannahmen „konnektiven“ Handelns Der Schlüssel zum Verständnis „konnektiven“ Handelns liegt in der Anerkennung von „con- temporary large-scale networks of contentious action.“10 Dies ist insofern nachvollziehbar, als dass der Ökonom Olson die Rolle sozialer Netze und der darin ablaufenden Kommunikation vermutlich absichtlich unterschätzt.11 Hinzu kommen die veränderten gesellschaftlichen Rah- menbedingungen. Statt sich wie früher vor allem über Gruppen und Gemeinschaften zu identi- fizieren, individualisieren sich die Menschen heute zunehmend. Dieser Prozess wird durch die Verbreitung des Internets und der Entstehung neuer sozialer Netzwerke weiter vorangetrieben. Die Besprechung aller als interessant empfundenen Belange findet daher zunehmend auch im 8 Vgl. Olson, Mancur L., Jr.: The Logic of Collective Action. Public Goods and the Theory of Groups. Oxford University Press, London 1965, S.6ff.; vgl. Panther, Stephan: Soziale Netzwerke und die Logik des kollektiven Handelns, in: Pies, Ingo/Leschke, Martin (Hrsg.): Mancur Olsons Logik des kollektiven Handelns. J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), Tübingen 1997, S.71ff. 9 Vgl. Homann, Karl/Suchanek, Andreas: Grenzen der Anwendbarkeit einer "Logik des kollektiven Handelns", in: Schubert, Klaus (Hrsg.): Leistungen und Grenzen politisch-ökonomischer Theorie: eine kritische Bestandsauf- nahme zu Mancur Olson. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1992, S.14 10 Bennett, W. Lance/Segerberg, Alexandra: The Logic of Connective Action: Digital Media and the Personaliza- tion of Contentious Politics, in: Information, Communication & Society, Vol. 15, Nr. 5, 2012, S.743 11 „Soziale Netze“ im klassischen Sinn und „soziale Netzwerke“ im digitalen Sinn dürfen in dieser Arbeit nicht miteinander verwechselt werden. Mit „sozialen Netzen“ seien „die Menge von individuellen Akteuren und den zwischen ihnen bestehenden Beziehungen“ (Panther: Soziale Netzwerke und die Logik des kollektiven Han- delns, 1997, S.78) bezeichnet, also einfach alle Formen der sozialen Einbettung von Menschen. In Unterschei- dung dazu werde ich den Begriff der „sozialen Netzwerke“ ausschließlich für digitale Netzwerke wie Facebook oder Twitter verwenden und ansonsten von „sozialen Netzen“ sprechen.
S e i t e |6 digitalen Raum statt.12 Im Bereich politischer Gesprächsthemen entsteht eine Form personali- sierter Kommunikation, die sich nach Bennett und Segerberg wie folgt kennzeichnet: “(1) Political content in the form of easily personalized ideas [...] These frames require little in the way of persuasion, reason, or reframing to bridge differences with how others may feel about a common problem. These personal action frames are inclusive of differ- ent personal reasons for contesting a situation that needs to be changed. (2) Various personal communication technologies that enable sharing themes. [...] the communication process itself often involves further personalization through the spreading of digital connections among friends and others.”13 Natürlich tauchen personal action frames nicht von allein in den sozialen Netzwerken auf. Sie müssen vielmehr aktiv eingebracht werden, sei es über das Teilen eines Links auf Facebook oder dem Retweet einer Twitter-Nachricht. Die Menschen lassen sich so gegenseitig an ihren Ideen teilhaben: „Any person who has information can connect with any other person who wants it, and anyone who wants to make it mean something in some context, can do so.“14 Dadurch wird es auch möglich, Olsons Freerider-Problem zu überwinden. Denn soziale Netzwerke fördern die hierarchiefreie Kommunikation und Organisation, schaffen Anreize, seinen personal action frame mit anderen zu teilen und weiter zu entwickeln. Der Transport und damit die Beteiligung an einer politischen Idee wirken also selbstmotivierend auf die Teilnehmer. Die entstehende Eigendynamik kann dazu führen, dass sie sich allein aufgrund ihrer Ideen zu einer Gruppe zusammenschließen, um ein gemeinsames Ziel zu verfolgen.15 Online-Plattformen wie etwa Wikipedia existieren nur deshalb, weil Menschen mit gleichen Vorstellungen Konzepte entwickeln und in die Tat umsetzen, ohne für ihre teils aufwendige Arbeit eine monetäre Entlohnung zu erwarten.16 12 Vgl. Castells, Manuel: The Rise of the Network Society. Wiley-Blackwell, Chichester 2012, 2. Ausgabe, S.5ff. 13 Bennett/Segerberg: The Logic of Connective Action, 2012, S.744f. 14 Benkler, Yochai: The Wealth of Networks: How Social Production Transforms Markets and Freedom. Yale University Press, New Haven 2006, S.32 15 Vgl. ebd., S.3ff.; vgl. Bennett/Segerberg: The Logic of Connective Action, 2012, S.745ff. 16 Vgl. Joyce, Elisabeth/Pike, Jacqueline C./Butler, Brian S.: Rules and Roles vs. Consensus: Self-Governed Deliberative Mass Collaboration Bureaucracies, in: American Behavioral Scientist, Vol. 57, Nr. 5, 2013, S.577
S e i t e |7 2.3 Kollektive vs. „konnektive“ Handlungsformen: eine Typologie Die oben dargestellten Annahmen führen zwangsläufig dazu, dass vollkommen neue Formen der Gruppenorganisation denkbar sind. Olsons Logik des kollektiven Handelns wird jedenfalls durch die neuen Rahmenbedingungen konsequent geschwächt, schließlich spielt Rationalität nicht mehr die führende Rolle. An die Stelle der Kosten-Nutzen-Abwägung treten vielmehr immaterielle Anreize.17 Das heißt nicht, dass Menschen, die sich in sozialen Netzwerken zu gemeinsamen Positionen zusammenfinden, gänzlich auf die klassische Organisation durch Vereine und Verbände verzichten. Doch – und das ist der entscheidende Punkt – notwendig ist eine solche formale Mitgliedschaft nicht mehr.18 Bennett und Segerberg entwerfen dementsprechend eine Dreiertypologie, um die heute möglichen Formen gemeinsamen Engagements aufzuzeigen. Zum einen gibt es den von Olson inspirierten Typus kollektiven Handelns. Er zeichnet sich vor allem durch eine klare Organisa- tionsstruktur aus, Entscheidungen werden in einer kleinen Zentrale gefällt. Soziale Netzwerke helfen lediglich bei der Koordination. Dem Freerider-Problem tritt hier eine strenge Organisa- tion entgegen. Auf der anderen Seite findet sich der Typus des „konnektiven“ Handelns: Er ist durch sich selbst organisierende Netzwerke geprägt, die Kommunikation und Koordination zwischen den einzelnen Individuen findet frei auf Basis ihrer personal action frames über mo- derne Kommunikationskanäle statt. Das nachvollziehbare Bedürfnis, seine Idee zu verwirkli- chen, führt in diesem Fall zur Lösung des Trittbrettfahrerproblems. Der dritte und letzte Typus liegt zwischen den beiden Extrempunkten und weist lose Organisationsstrukturen auf, über die das gemeinsame Handeln koordiniert wird. Gleichzeitig ist aber keine formale Mitgliedschaft nötig; ob man sich an der Handlung beteiligt, hängt auch hier maßgeblich vom personal action frame ab. Aufgrund des großen Einfluss letzteren sehen Bennett und Segerberg den Mischty- pus als „konnektiv“ geprägt an.19 17 Olsons These der Eigennutzmaximierung stieß seit jeher auf viel Kritik. Zahlreiche Studien weisen daraufhin, dass verschiedene Arten von Anreizen existieren – etwa soziale oder moralische –mittels derer das Trittbrett- fahrerproblem gelöst werden kann. Vgl. hierzu Opp, Karl-Dieter: Politischer Protest als Rationales Handeln, in: Ramb, Bernd-Thomas (Hrsg.): Ökonomische Verhaltenstheorie. Vahlen, München 1993, S.209ff.; vgl. Pan- ther: Soziale Netzwerke und die Logik des kollektiven Handelns, 1997, S.77ff. 18 Vgl. Bennett/Segerberg: The Logic of Connective Action, 2012, S.752ff. 19 Vgl. Bennett, W. Lance/Segerberg, Alexandra: The Logic of Connective Action: Digital Media and the Per- sonalization of Contentious Politics. Cambridge University Press, 2014, 2. Auflage, S.45ff.
S e i t e |8 CONNECTIVE ACTION CONNECTIVE ACTION COLLECTIVE ACTION Crowd-enabled/Self organiz- Organizationally enabled Organizationally brokered ing networks networks networks Little or no organizational coor- Loose organizational coordina- Strong organizational coordina- dination of action tion of action tion of action Large-scale personal access to Organizations provide outlays Organizations use social tech- multi-layered social technologies for social technologies (custom nologies to manage participation and commercial) and coordinate goals Communication content centers on emergent inclusive personal Communication content centers Communication centers on col- action frames on organizationally generated lective action frames personal action frames Personal expression shared Organizational management of over social networks Some organizational moderation social networks (more emphasis of personal expression through on interpersonal networks to Collectivities often shun in- social networks build relationships for collective volvement of existing formal action) organizations Organizations in the background in loosely linked networks Organizations in the foreground as coalitions with differences bridged through high resource organization brokerage Abbildung 1: eine Typologie "konnektiven" und kollektiven Handelns sowie der jeweils entscheidenden Elemente. Grafik aus eigener Erstellung, nach Bennett/Segerberg: The Logic of Connective Action, 2014, S.47 Damit stehen zwei „konnektive“ Handlungsformen einer kollektiven Handlungsform gegen- über, wobei die Übergänge zwischen den Typen fließend sind. In der Realität liegen weitaus mehr Hybriden vor, als die Typologie aus praktischen Gründen abbilden kann.20 Die Einord- nung empirisch beobachtbarer Handlungsformen erfolgt damit immer nur näherungsweise. 3. Die Handlungslogik hinter Occupy Wall Street 3.1 Analyserahmen Allein die theoretische Existenz einer „konnektiven“ Handlungslogik sagt noch nicht aus, ob sie für den Mobilisierungserfolg von OWS auch tatsächlich zutreffend ist. Daher müssen aus 20 Vgl. ebd., S.48f.
S e i t e |9 den einzelnen Merkmalen jeder Handlungsform übergreifend Kategorien gebildet und operati- onalisiert werden, wofür wiederum die von Bennett und Segerberg vorgeschlagene Typologie in einigen Punkten zu modifizieren ist. OWS lässt sich dann sowohl für jede Kategorie als auch in der Summe einem der drei Handlungstypen zuweisen. Daraus wird deutlich, ob das Konzept als Erklärung geeignet ist – und wenn ja, welche Logik hinter dem Mobilisierungser- folg von OWS steckt. Um eine zufällige Übereinstimmung auszuschließen, sind jedoch erst die der Typologie zugrunde liegenden Annahmen zu prüfen. Der personal action frame muss demnach einen leicht verständlichen politischen Inhalt transportieren. Außerdem muss er über soziale Netz- werke mit anderen Menschen geteilt werden, um zur Massenmobilisierung beizutragen. Bei- des lässt sich daran messen, ob zu OWS sogenannte Memes – also wiederkehrende Slogans und Bilder – auftauchen, ob diese eine zentrale Rolle spielen und ob sie über die sozialen Netzwerke verbreitet werden. TYP 1 TYP 2 TYP 3 „konnektive“ Handlungslogik, „konnektive“ Handlungslogik, kollektive Handlungslogik, selbstorganisierend Organisation via Netzwerke Organisation via Hierarchien Freie Personal action frames Personal action frames Collective action frames Keine Moderation von personal Moderation von personal action Management der collective action frames frames action frames Ungesteuerte soziale Netzwerke Leicht gesteuerte Soziale Netz- Soziale Netzwerke zur Koordina- zum Ausdrücken von persönli- werke mit vielfältigen Verwen- tion von Interessen und Beteili- chen Inhalten und Ideen dungsmöglichkeiten gung Keine Hierarchien Schwache Hierarchien Starke Hierarchien Unter Umständen Beteiligung Organisationen im Hintergrund Organisationen zentral im Vor- von Organisationen dergrund Abbildung 2: die modifizierte Typologie der Handlungslogiken. Jede Zeile ist dabei als über- greifende Kategorie zu verstehen. Grafik aus eigener Erstellung. Anschließend werden die Kategorien hinzugezogen, wie Abbildung 2 sie darstellt. Das Vor- liegen von personal action frames fragen schon die Grundannahmen ab; hier gilt es festzustel- len, inwieweit bereits durch Organisationen ein Rahmen vorgegeben wird. Ähnliches gilt für die Frage, wie die personal action frames über soziale Netzwerke verbreitet werden. Wenn
S e i t e | 10 dabei keine oder nur eine schwache Moderation der Themen erkennbar ist, handelt es sich um eine „konnektive“ Handlungsform. Entsprechend sind auch die benutzten Kommunikations- kanäle an sich zu überprüfen: Werden sie nur zur Koordination von Interessen benutzt oder kommt ihnen gemäß der Logic of connective action tatsächlich die Funktion eines „important organizational agent“21 zu? Zu guter Letzt ist zu betrachten, wie stark Organisationshierarchien innerhalb von OWS ausgeprägt und ob Vereine und Verbände lediglich im Hintergrund tätig sind. Wenn sich beides bejahen lässt, spricht dies ebenfalls für einen „konnektiven“ Typus. 3.2 Politische Memes in sozialen Netzwerken als Grundvoraussetzung Der bekannteste Slogan von OWS fasste die Hauptkritik der Bewegung in einem Satz zusam- men. „We are the 99 Percent“22 richtete sich explizit sowohl gegen die Demokratische als auch die Republikanische Partei. Der Vorwurf: Beide machten nur Politik für das reichste Pro- zent der US-Amerikaner, das so immer reicher werde, während der Rest der Bevölkerung – die besagten 99 Prozent – an den erwirtschafteten Wohlfahrtsgewinnen nicht beteiligt werde. Eine solche Verteilung von unten nach oben führe zu Vermögensungleichheit und sei unge- recht.23 Der Slogan transportierte damit von Anfang an einen brisanten politischen Inhalt. Im- merhin befanden sich die USA gerade in der schwersten Wirtschaftskrise seit 1929, maßgeb- lich ausgelöst durch Finanzspekulationen einiger Großbanken, deren Mitarbeiter von den OWS-Aktivisten als Teil des einen reichen Prozents wahrgenommen wurden; „it summed up, albeit crudely, the sense that the wielders of power are at once arrogant, self-dealing, incompe- tent, and incapable of remedying the damage they have wrought.“24 Der Spruch von den „99 Percent“ entwickelte daher in den sozialen Netzwerken rasch ein Eigenleben. 25 Kurz vor der Besetzung des Zuccotti-Parks eröffnete zum Beispiel eine gleichnamige Tumblr-Webseite, auf der jeder ein Foto von sich hochladen und berichten 21 Bennett/Segerberg: The Logic of Connective Action, 2012, S.755 22 Entworfen wurde der Slogan zunächst als „We, the 99 Percent“ im August 2011, als einige der späteren OWS- Aktivisten per Flugblatt zu einer ersten Vollversammlung in New York aufriefen. Etwa einen Monat später ent- wickelten dieselben Aktivisten daraus das eingängigere „We are the 99 Percent“. Vgl. hierfür Graeber: Inside Occupy, 2012, S.36ff. 23 Vgl. Chomsky, Noam: Occupy. Penguin Books, London 2012, S.23ff. 24 Gitlin: Occupy's Predicament, 2013, S.9 25 Vgl. Gitlin, Todd: Occupy Nation. The Roots, the Spirit, and the Promise of Occupy Wall Street. HarperCol- lins, New York 2012, S.74ff.
S e i t e | 11 konnte, warum er die Occupy-Bewegung unterstützte.26 Aktuell zählt dieser Blog 231 Seiten mit 15 Einträgen pro Seite, also insgesamt über 3400 Einträge. 27 Auf Facebook wiederum wurde zum Höhepunkt der Besetzung die Zahl der US-Amerikaner auf drei Millionen ge- schätzt, die sich mit OWS identifizierten und das über Likes und Shares in ihrem Profil kund- taten.28 Auch auf Twitter tauschten sich Privatpersonen über das Thema rege aus, was dabei half, die zentrale Idee hinter Occupy zu verbreiten und bei den Usern zu verinnerlichen.29 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Slogan als Meme mit einer politischen Botschaft fungierte, die einfach zu verstehen war und auf große Resonanz stieß. Das „We are the 99 Percent“ bildete somit für die an diesem Thema per sozialen Netzwerken teilnehmen- den Menschen den entscheidenden personal action frame. Folglich können die Grundannah- men moderner Handlungslogiken für den Fall OWS als gegeben betrachtet werden. 3.3 Einordnen der Handlungslogik Die Einordnung von OWS in einen „konnektiven“ Handlungstyp ist aufgrund der Existenz von Memes plausibler geworden. Ob dem aber wirklich so ist, darüber können nur die einzel- nen Merkmalsausprägungen Aufschluss geben. In der ersten Kategorie kommt jedenfalls eine „konnektive“ Handlungslogik zum Tragen. Wie oben dargelegt, existieren personal action frames, die nicht zu collective action frames transferiert wurden. Jeder Occupy-Sympathisant brachte seine persönlichen Vorstellungen in die Bewegung ein, welche nur lose unter der Kritik der steigenden Vermögensungleichheit gebündelt wurden.30 Der Slogan der „99 Percent“ schuf also zwar einen Rahmen für alle Be- teiligten, der aber gleichzeitig so lose strukturiert war, dass eine Vielzahl von individuellen Inhalten darin versammelt werden konnte. Das zeigt sich ebenfalls in den Einträgen auf dem 26 Vgl. Bennett/Segerberg: The Logic of Connective Action, 2014, S.181 27 Vgl. Tumblr.com: We are the 99 Percent, unter: Tumblr-Blog zur Occupy-Bewegung, http://wearethe99percent.tumblr.com (letzter Zugriff am 07.03.2014) 28 Vgl. Gitlin: Occupy Nation, 2012, S.28 29 Vgl. Gleason, Benjamin: #Occupy Wall Street: Exploring Informal Learning About a Social Movement on Twitter, in: American Behavioral Scientist, Vol. 57, Nr. 7, 2013, S.972; vgl. Bennett, W. Lance/Segerberg, Al- exandra/Walker, Shawn: Organization in the Crowd: Peer Production in Large-Scale Networked Protests, in: Information, Communication & Society, Vol. 17, Nr. 2, 2014, S.242ff. 30 Vgl. Gitlin: Occupy's Predicament, 2013, S.18ff.
S e i t e | 12 Blog „We are the 99 Percent“, wo jeder User seine eigene Geschichte und damit seine eigene Sicht der Dinge präsentierte. Wegen des losen Rahmens fällt OWS hier Typ Zwei zu. Wenn man das „We are the 99 Percent“ als wegweisendes Motto betrachtet, scheint es wahrscheinlich, dass als Folge dessen irgendeine Art von Moderation der personal action fra- mes erfolgte. Es ist zum Beispiel kaum vorstellbar, dass der Ersteller des gleichnamigen Blogs nicht in manchen Fällen unpassende Beiträge von der Website entfernte und so in den ideen- und identitätsstiftenden Prozess eingriff. Auch die im Zuccotti-Park regelmäßig abgehaltenen Vollversammlungen mit teils mehreren Tausend Menschen kennzeichneten sich vor allem dadurch aus, dass Entscheidungen stets im Konsens gefällt wurden. Der deliberative Charakter der General Assembly machte daher eine Moderation durch vor der Sitzung ausgewählte Akti- visten nötig.31 Natürlich soll damit nicht unterstellt werden, dass sie in die Konsensbildung absichtlich verfälschend eingriffen; doch selbst eine gelungene Moderation führt zwangsläufig dazu, dass manche Inhalte in der Diskussion nicht weiter verfolgt werden, wenn sie unpassend oder nicht zielführend erscheinen. Weil dadurch die Gefahr besteht, dass gewisse personal action frames ausgeblendet werden, sollte OWS in dieser Kategorie ebenfalls Typ Zwei zuge- ordnet werden. Die Rolle sozialer Netzwerke lässt sich indes eindeutig Typ Eins zuweisen. Die Informa- tionsströme erfolgten völlig frei. Die Aktivisten kommunizierten vor allem via Twitter und nutzten den Kurznachrichtendienst als dezentrale Organisationsplattform.32 Gleason ermittelte, dass während eines OWS-Demonstrationszuges allein 48 Prozent aller mit Hyperlinks verse- henen Twitter-Nachrichten zu den Geschehnissen von Privatpersonen erstellt wurden, der Rest stammte von Medienunternehmen, die darüber berichteten.33 Eine Vorauswahl oder gar Len- kung der Kommunikation durch eine Organisation ist somit nicht nachweisbar. Dementsprechend ist eine lose Organisationshierarchie bei OWS zu erkennen – eine vollkommene Kontrolle der Organisation wäre schon technisch aufgrund des freien Kommu- nikationsflusses nur schwer möglich gewesen. Stattdessen hatte jeder die Möglichkeit, sich in die Bewegung einzubringen, entweder indem er online dem Protest folgte oder vor Ort in der 31 Vgl. Gitlin: Occupy Nation, 2012, S.80ff.. Die Website der General Assembly bietet einen guten Einblick, wie die Sitzungen organisiert und geleitet wurden: Vgl. hierzu NYCGeneralAssembly.net: # Occupy Wall Street: NYC General Assembly, unter: offizielle Website der OWS-Vollversammlung im Zuccotti-Park, http://www.nycga.net (letzter Zugriff am 07.03.2014) 32 Vgl. Bennett/Segerberg/Walker: Organization in the Crowd, 2014, S.242ff. 33 Vgl. Gleason: #Occupy Wall Street, 2013, S.972
S e i t e | 13 Vollversammlung sprach und einen der zahlreichen Arbeitsausschüsse besuchte. Zudem be- stand ein erheblicher Teil des inner circle der Bewegung aus Anarchisten, die vertikale Orga- nisationsstrukturen aus ideologischen Gründen ablehnten.34 Daher ist anzunehmen, dass die Masse als „weicher Kern“ in vielen Entscheidungen mehrheitlich den Vorschlägen des „harten Kerns“ folgte, zumal diese oft als Gruppenleiter oder Moderatoren tätig waren und damit un- beabsichtigt über größeren sozialen Einfluss verfügten.35 Dazu passt, dass die Vollversamm- lung Ende Oktober auf eine Größe angewachsen war, die ein produktives Arbeiten unmöglich machte. Als Lösung wurde ein Spoke Council für das Tagesgeschäft eingesetzt, bestehend aus Vertretern der Arbeitsgruppen. Auch wenn weiterhin jeder die Sitzungen des Gremiums ver- folgen und notfalls einschreiten durfte, nahmen die Mitglieder des Spoke Council letztendlich eine höherstehende Organisationsposition ein.36 Es erscheint daher logisch, OWS in dieser Kategorie zwischen dem ersten und nahe am zweiten Typus anzusiedeln. Hinzu kommt, dass einige Organisationen und Vereine in OWS eingebunden waren. Die politisch linksstehende Zeitschrift Adbusters beteiligte sich anfangs maßgeblich an der Orga- nisation des Protestes und trug so dazu bei, das Meme der „99 Percent“ überhaupt in den so- zialen Netzwerken publik zu machen.37 Des Weiteren nahmen sich gerade die anarchischen Aktivistengruppen vieler Aufgaben an: Sie implementierten die Vollversammlung als Ent- scheidungsgremium, formierten Protestzüge und erklärten den Demonstranten, wie sie gegen- über bestimmten polizeilichen Gegenmaßnahmen wie etwa einer Einkesselung reagieren soll- ten.38 Es ist nur schwer vorstellbar, dass der Protest organisatorisch so gut funktioniert hätte, wenn nicht erfahrene Aktivisten für ein auf Horizontalism aufgebautes Fundament gesorgt hätten.39 Zudem unterstützten im Laufe der Zeit Gewerkschaften und andere Verbände die Protestmärsche, selbst wenn sie formal nicht in die Organisationsstrukturen von OWS einge- bettet waren.40 Daher pendelt der Forschungsfall auch hier zwischen Typ Eins und Typ Zwei: Am Anfang war OWS noch durchaus von Organisationen aus dem Hintergrund begleitet, de- 34 Vgl. Gitlin: Occupy Nation, 2012, S.80ff.; vgl. Graeber: Inside Occupy, 2012, S.104ff. 35 Vgl. Gitlin: Occupy Nation, 2012, S.101ff. 36 Vgl. ebd., S.95f.¸vgl. Roberts, Alaisdar: Why the Occupy Movement Failed, in: Public Administration Review, Vol. 72, Nr. 5, 2012, S.757 37 Vgl. Kraushaar: Der Aufruhr der Ausgebildeten, 2012, S.68ff. 38 Vgl. Gitlin: Occupy Nation, 2012, S.113ff. 39 Vgl. Roberts: Why the Occupy Movement Failed, 2012, S.755f. 40 Vgl. Kraushaar: Der Aufruhr der Ausgebildeten, 2012, S.76ff.
S e i t e | 14 ren Einfluss sich aber mit steigender Teilnehmerzahl und dem damit einhergehenden Bedeu- tungszuwachs der Vollversammlung langsam verlor. Insgesamt ergibt die Analyse, dass zwei Kategorien in Typ Zwei und eine Kategorie in Typ Eins fallen. In zwei weiteren Kategorien bewegt sich die Beobachtung zwischen beiden Typen. Mehrheitlich lässt sich deshalb der Forschungsfall Typ Zwei zuordnen, wenn auch mit starken Tendenzen hin zu Typ Eins. Damit liegt der Mobilisierung von OWS eine „konnektive“ Hand- lungslogik zugrunde. 4. Fazit Wie sich gezeigt hat, ist die Logic of connective action bestens dazu geeignet, um den Mobili- sierungserfolg von OWS zu erklären. Der Slogan der „We are the 99 Percent“ transportierte eine politische Botschaft, die in ihrer Aussagekraft ebenso einfach zu verstehen wie eingängig war. Argumentativ freilich war sie deutlich überspitzt, doch das spielte keine Rolle, „it was brilliant framing.“41 Schließlich brachte sie nur auf den Punkt, was vielen Menschen wegen der Finanzkrise ohnehin tagtäglich vor Augen stand: die steigende Arbeitslosigkeit, die klaf- fende Schere zwischen Arm und Reich, das Gebahren der Banken und die Ohnmacht der Poli- tik demgegenüber. Hier ist die zentrale Ursache zu suchen, warum sich so viele Menschen mit der Bewegung identifizieren konnten, warum sie die Idee der „99 Percent“ zu der ihnen eige- nen machten – und warum sie sich innerhalb kürzester Zeit über soziale Netze und Netzwerke organisierten, um gegen die herrschenden Verhältnisse zu demonstrieren. Für den Mobilisierungserfolg ist außerdem entscheidend, wie eben diese Netze und Netzwerke benutzt werden. Wenn sie lose Strukturen vorgegeben, an denen sich die Menschen orientieren können, dann fördert dies offensichtlich die Selbstmotivation der Teilnehmer in einem ganz entscheidenden Maße. Soziale Netze und Netzwerke müssen damit mehr sein als nur Plattformen für persönliche Inhalte; sie selbst müssen zu Organisationskanälen werden, und sei es nur durch den Anstoß einiger – zumindest anfangs – weniger Aktivisten. 41 Calhoun: Occupy Wall Street in Perspective, 2013, S.33
S e i t e | 15 Das Ergebnis ist noch in einem weiteren Punkt interessant. Die hier durchgeführte Un- tersuchung ergab, dass OWS am ehesten dem Mischtypus zuzuordnen ist, wenn auch mit vie- len Anleihen des rein „konnektiven“ Typus. Bennett und Segerberg selbst wiederum kommen zu dem Schluss, dass es sich bei OWS um die rein „konnektive“ Handlungsform handele. Sie begründen das damit, dass die innere Organisation auf „networks of networks“ 42 aufbaue, sprich auf zwei unterschiedlichen Organisationsebenen: einmal offline, indem sich Aktivisten physisch in der Vollversammlung begegneten, und einmal online, indem sie sich digital über Twitter und andere Plattformen absprachen. Aufgrund der speziellen Dynamik müsse OWS daher dem ersten Typus zufallen.43 Eine solche Argumentation mag zwar schlüssig sein, ist aber nur möglich, weil Bennett und Segerberg nicht alle Elemente ihrer eigenen Typologie so gebildet haben, dass sich daraus stets vergleichbare Kategorien ergeben. Das spricht dafür, dass die Typologie der Autoren in ihrer derzeitigen Form nicht vollends ausgereift ist und in einigen Punkten wohl weiter modifiziert werden muss. Zudem ist nicht ganz klar, ob sie sich allein auf OWS oder die daraus entstandene globale Occupy-Strömung beziehen. Auch wenn sich trefflich darüber streiten lässt, wie „konnektiv“ OWS tatsächlich war, liegt dem Protest definitiv die Logic of connective action zugrunde. Nur durch sie war es möglich, der Bewegung zu solch einem Erfolg zu verhelfen. Selbst die Tatsache, dass sie mit der Räu- mung des Zuccotti-Parks am 15. November faktisch ihren Zenit überschritten hatte, konnte daran nichts ändern – das Schlagwort „Occupy“ taucht inzwischen überall dort als Synonym auf, wo sich einfache Bürger wehren wollen,44 denn: “The Occupy Wall Street mobilization may have been temporary but not without endur- ing effect. Its most important impact may lie in culture not movement organization. It may lie in readiness to look seriously and critically at inequality and at the question whether actual democratic institutions are working. It may lie in changing, at least a little, what the people think is possible.”45 42 Bennett/Segerberg: The Logic of Connective Action, 2014, S.161 43 Vgl. ebd., S.160ff. 44 Seit kurzem protestieren zum Beispiel polnische Bauern unter Occupy Chevron gegen den gleichnamigen Energiekonzern, nachdem dieser bei Probebohrungen ihre Quellen verschmutzte. Vgl. hierzu Brill, Klaus: Kleines Dorf kämpft gegen große Firma, in: Süddeutsche Zeitung, Vol. 70, Nr. 1, 02.01.2014, S.6 45 Calhoun: Occupy Wall Street in Perspective, 2013, S.37f.
S e i t e | 16 Anhang: Literaturverzeichnis Fachliteratur Aristoteles: Die nikomachische Ethik. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1991 (Re- print), 7. Auflage Benkler, Yochai: The Wealth of Networks: How Social Production Transforms Markets and Freedom. Yale University Press, New Haven 2006 Bennett, W. Lance/Segerberg, Alexandra: The Logic of Connective Action: Digital Media and the Personalization of Contentious Politics, in: Information, Communication & Society, Vol. 15, Nr. 5, 2012, S.739-768 Bennett, W. Lance/Segerberg, Alexandra: The Logic of Connective Action: Digital Media and the Personalization of Contentious Politics. Cambridge University Press, 2. Auflage, 2014 Bennett, W. Lance/Segerberg, Alexandra/Walker, Shawn: Organization in the Crowd: Peer Production in Large-Scale Networked Protests, in: Information, Communication & Soci- ety, Vol. 17, Nr. 2, 2014, S.232–260 Calhoun, Craig: Occupy Wall Street in Perspective, in: The British Journal of Sociology, Vol. 64, Nr. 1, 2013, S.26-38 Cannistraro, Vincent: Arab Spring: A Partial Awakening, in: Mediterranean Quarterly, Vol. 22, Nr. 4, 2011, S.36-45 Castells, Manuel: The Rise of the Network Society. Wiley-Blackwell, Chichester 2012, 2. Ausgabe Gitlin, Todd: Occupy Nation. The Roots, the Spirit, and the Promise of Occupy Wall Street. HarperCollins, New York 2012 Gitlin, Todd: Occupy's Predicament: The Moment and the Prospects for the Movement, in: The British Journal of Sociology, Vol. 64, Nr. 1, 2013, S.3-25 Gleason, Benjamin: #Occupy Wall Street: Exploring Informal Learning About a Social Movement on Twitter, in: American Behavioral Scientist, Vol. 57, Nr. 7, 2013, S.966- 982 Homann, Karl/Suchanek, Andreas: Grenzen der Anwendbarkeit einer "Logik des kollektiven Handelns", in: Schubert, Klaus (Hrsg.): Leistungen und Grenzen politisch-ökonomischer Theorie: eine kritische Bestandsaufnahme zu Mancur Olson. Wissenschaftliche Buchge- sellschaft, Darmstadt 1992, S.13-27
S e i t e | 17 Joyce, Elisabeth/Pike, Jacqueline C./Butler, Brian S.: Rules and Roles vs. Consensus: Self- Governed Deliberative Mass Collaboration Bureaucracies, in: American Behavioral Sci- entist, Vol. 57, Nr. 5, 2013, 576-594 Kraushaar, Wolfgang: Der Aufruhr der Ausgebildeten. Vom Arabischen Frühling zur Occupy- Bewegung. Hamburger Edition: E-Book, Hamburg 2012 Olson, Mancur L., Jr.: The Logic of Collective Action. Public Goods and the Theory of Groups. Oxford University Press, London 1965 Opp, Karl-Dieter: Politischer Protest als Rationales Handeln, in: Ramb, Bernd-Thomas (Hrsg.): Ökonomische Verhaltenstheorie. Vahlen, München 1993, S.207-246 Panther, Stephan: Soziale Netzwerke und die Logik des kollektiven Handelns, in: Pies, In- go/Leschke, Martin (Hrsg.): Mancur Olsons Logik des kollektiven Handelns. J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), Tübingen 1997, S. 71-94 Roberts, Alaisdar: Why the Occupy Movement Failed, in: Public Administration Review, Vol. 72, Nr. 5, 2012, S.754-762 Bücher und Websites von Aktivisten Chomsky, Noam: Occupy. Penguin Books, London 2012 Graeber, David: Inside Occupy. Campus Verlag, Frankfurt 2012 NYCGeneralAssembly.net: # Occupy Wall Street: NYC General Assembly, unter: offizielle Website der OWS-Vollversammlung im Zuccotti-Park, http://www.nycga.net (letzter Zugriff am 07.03.2014) Tumblr.com: We are the 99 Percent, unter: Tumblr-Blog zur Occupy-Bewegung, http://wearethe99percent.tumblr.com (letzter Zugriff am 07.03.2014) Zeitungen und Zeitschriften Brill, Klaus: Kleines Dorf kämpft gegen große Firma, in: Süddeutsche Zeitung, Vol. 70, Nr. 1, 02.01.2014, S.6
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