Paradising Warum Wir eine alte Vorstellung für die Zukunft Zurückerobern Wollen! - Dr. Constantin Gröhn / Dr. Sarah Köhler
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Dr. Constantin Gröhn / Dr. Sarah Köhler Paradising Warum wir eine alte Vorstellung für die Zukunft zurückerobern wollen!
Worüber wir schreiben PARADISING: EINLEITENDE GEDANKEN 1 1 THEOLOGISCHE HINTERGRÜNDE: WO DIE VORSTELLUNG Wenn selbst ein Kind nicht mehr VOM PARADIES BEGINNT 3 lacht wie ein Kind, Dann sind Der Anfang: Paradising nach Eden 3 jenseits von wir Der Gewinn: Paradising als Aufgabe 4 Eden. 2 PARADISING IM ZEITALTER DES ANTHROPOZÄNS 7 Wenn wir nicht fühlen Herausforderung des kulturellen Wandels 8 Die Erde, sie weint Warum wir längst Gärtner:innen sind 8 Wie kein and'rer Planet, 3 PARADISING- EINE FRAGE DER KULTUR 11 Die Leere unserer Paradieskultur 11 Dann haben wir umsonst Die Sprache von Paradising 13 gelebt. Die Rückeroberung der Vorstellung vom Paradies: Ein Dialog 13 (LiedText Drafi Deutscher, jenseits von Eden.) 4 PARADISING LEBEN - WIE SIEHT DAS EIGENTLICH AUS? 17 Paradiese bewahren 19 Paradiese schaffen 21 Paradiese sind schon da 23 Paradiese entstehen 25 PARADISING: ABSCHLIeßENDE GEDANKEN 27
EInleitende GEdanken Am Anfang war die Verlockung: Eine Hand, ein Plan, eine Frucht. Oder war es die Flucht nach vorn? Die Idee von Paradising entstand während der des Paradiesgärtners, der Paradiesgärtnerin, Vorbereitung einer Tagung mit dem Titel: „Zukunft welches in der Bibel in Genesis 2-3 ausgeführt angesichts der ökologischen Krise. Theologie neu wird und worin wir – als Menschheit – in gewisser denken“.1 Eine Frage im Rahmen dieser Tagung Weise in die Welt entlassen worden sind. Nun war, ob unsere Bilder und Narrative von Gott, sind das Gärtnern und die Verbindung dazu vom Menschen, von der Mitschöpfung noch nicht für jeden alltäglich oder eindrücklich. Die stimmen. Vor allem das Selbstbild des Menschen gartenunabhängige Mitarbeit am Paradies löste in der kirchlich geprägten Chiffre „Bewahrung der die Kollegin Marianne Spieweg, Referentin für Schöpfung“ stand zur Diskussion. Ist beispielsweise Nachhaltigkeit der Diakonie Deutschland, daher die Schöpfung, wie die Begrifflichkeit suggeriert, auf den Menschen als Gegenüber angewiesen? mit dem Neologismus Paradising. Oder ist es nicht eher andersherum? Das, was wir Hierzu möchten wir im Folgenden ein Konzept retten, rettet letztlich uns, und hier müssen wir uns umreißen, das die Theologie und die Anthropozän- bewähren? Wo werden der Ruf zur Verantwortung Debatte als Basis nimmt und sich der Frage und die Frage nach Gerechtigkeit konkret? Und zuwendet, wie Menschsein im Garten Eden der welche Narrative erzeugen eindrückliche Bilder? Schöpfung gedacht werden kann. Dabei setzen Die Zeit ist reif, sich ureigene religiöse wir mehr noch als bei der Verantwortung bei der Vorstellungen zurückzuerobern und aus der Sehnsucht an, der Sehnsucht nach einer Welt, in narrativen Endlosschleife mit neuen Sprachbildern der Leben und Zerstören nicht mehr Hand in Hand auszubrechen. Dabei stießen wir auf das Bild gehen.2 „Die Zeit ist reif! Wir müssen uns unsere Vorstellung vom Paradies zurückerobern.“ Seite 1 2 Seite
1 Theologische Hintergründe gleicht. Mit ihr und den Tieren kann der Mensch, nun als Mann und Frau, friedlich zusammenleben.7 Erst in der Bestrafung der späteren Fallgeschichte die Geschlechter, wie in Genesis 1, gleichgestellt. Das ist ein theologischer und für die damalige und auch heutige Lebenswelt innovativer Gedanke. Die Bibel werden Mensch und Tier, bzw. Frau und Schlange, führt die Mensch-Mensch Beziehung immer weiter Wo die Vorstellung vom Paradies beginnt in Feindschaft gesetzt.8 aus und füllt sie vor allem mit dem Gedanken der Gerechtigkeit und Nächstenliebe.16 In den Genesistexten vom Anfang wird erzählerisch folgendes festgehalten. Theologisch Der Fokus der Geschichte liegt im Gott- sind Mensch und Tier gleichsam Schöpfungswerk Menschverhältnis. Dadurch erlangt der Mensch eine Theologisch gibt es hier gute Nachrichten: Das den prophetischen Utopieschilderungen in Jesaja Gottes, wodurch sie ihre Geschöpflichkeit teilen. Sonderstellung im Text.17 Der Mensch ist einerseits Paradies ist keineswegs verloren. Es ist nur noch oder Sacharja wird in Genesis 2-3 keine reine Utopie In der Realität des Alten Orients schließt das gleich mit Gott, denn in der Erkenntnisfähigkeit wird nicht gewonnen oder nur teilweise. Die ersten beschrieben, sondern die Erschaffung unserer aber nicht aus, dass der Mensch Tiere hält, für der Mensch gottgleich. Anderseits unterscheidet er Texte der Genesis bieten Ansatzpunkte für die Welt mit Pflanzen, Tieren und dem Menschen die Landwirtschaft nutzt und auch opfert und sich von Gott in Bezug auf die Unsterblichkeit (vgl. folgende Darstellung, die dann bis in das Konzept geschildert, in der wir auch weiterhin, auch heute isst. Das ist in der altorientalischen Lebenswelt Gen 3,22b). Gott ist der unsterbliche Gärtner der zum Reich Gottes weitergeführt wird. noch leben. Mit Eden wird der Schöpfungsakt des Alten und Neuen Testaments üblich. Welt, in der der sterbliche Mensch lebt, das ist eine an einen konkreten geografischen Ort versetzt.4 Gleichsam wird die Gewalt gegenüber Tieren Grundaussage der Erzählung von Eden. Eden war ein Dieser Ort „im Osten“ (Gen 2,4) ist umgeben von begrenzt.9 Der Mensch ist im Fokus der meisten Garten, griech. παράδεισος (paradeisos), woher der den Flüssen Pischon, Gihon und Hidekkel.5 Zwar literarischen Hinterlassenschaften aus dieser Zeit. Paradiesbegriff stammt. Dort wird der Schöpfungsakt Der Anfang: Paradising nach wird mit Eden der Ort der Schöpfung konkret Das erklärt auch, warum in der altorientalisch- der ganzen Welt lokalisiert, zu der wir gehören und in alttestamentlichen Welt, die Verhältnisse der wir auch heute noch leben in Form und Gestalt Eden lokalisiert. Dennoch gilt, dass der Kontext von der Erschaffung der Welt durch Gott zu erkennen gibt, Mensch-Tier und Gott-Tier nicht umfassend einer Menge von Gärten und Paradiesen. Es gibt eine Schöpfungsgeschichte im Garten dass die ganze Schöpfung der Rahmen ist, in dem beschrieben oder reflektiert worden sind. Das bleibt eine Aufgabe heutiger Theologie, die über Daher möchten wir hier mit einem Zitat von Eden ohne „Sündenfall“. Zumindest gab es sie die Erzählung vom Beginn der Menschheit gedacht Christoph Levin schließen: „Die Vertreibung aus dem aller exegetischen Wahrscheinlichkeit nach. So und geschildert wird. die Auslegung der Schrift hinausgreift. Paradising heißt auch, diese Defizite weiterzudenken und neu [sic. einen]18 Paradies ist unser aller Wahrheit. Die lässt sich eine Grunderzählung in Genesis 2-3 Wahrheit nämlich ist, dass es das Paradies tatsächlich Auch wenn zahlreiche Gemälde wie das zu füllen. ausmachen, die von der Menschenschöpfung und gibt – so wie die biblische Erzählung sogar dessen Paradiesgemälde vom Deckblatt, das von Peter einer fürsorglichen Entsendung des ersten Paares Das zwischenmenschliche Verhältnis ist ein Koordinaten zu nennen weiß (2,10-14). Es wird keine Wenzel stammt und in den Vatikanischen Museen in seine Lebenswelt handelt.3 In dieser heißt es, als weiteres Thema der ersten Erzählungen. Es wird Utopie gezeichnet, kein Schlaraffenland oder goldenes hängt, anderes vermuten lassen, gab es doch nie „alles Gesträuch des Feldes noch nicht auf der Erde in Genesis 1-3 recht innovativ diskutiert. Die Tiere Zeitalter, sondern mit einfachen Strichen nur dies: eine unbeschwerte Zeit im Paradies im Einklang war, da bildete Gott den Menschen vom Ackerboden entsprechen dem Menschen nicht als Hilfe.10 Also der Einklang des Menschen mit seinem Dasein, mit der Mitschöpfung und mit Gott. So etwas wird und blies in seine Nase den Lebensatem. Und Gott schafft Gott des Menschen Entsprechung, die Frau, mit seinem Gott, mit seiner Welt, mit seinem zumindest nicht erzählt. pflanzte einen Garten in Eden im Osten, und er aus dem Menschen, so dass Mann und Frau, die Mitmenschen und mit seiner Arbeit. setzte dorthin den Menschen,“ den er gebildet Gleichzeitig beschreiben die Genesistexte, wie Geschlechter, entstehen. Dass die Frau dem Mann Genau das gibt es. Es kann unsere hatte. Hier kürzen wir etwas ab: Gott erschafft dem Menschen miteinander, die Menschen und die untergeordnet wäre, davon ist hier keine Rede. Wirklichkeit sein und nicht selten Menschen Tiere und Vögel, die er benennt, und Tiere und Mensch und Gott aufeinander bezogen Im Gegenteil, sie ist eine mindestens ebenbürtige ist es sie auch.“19 Also haben eine Hilfe, die ihm gleicht. Durch die Erschaffung sind. Annette Schellenberg hat die Aussagen dazu „Hilfe“.11 Der Text hält gleichsam damit fest, wir noch gar nichts verloren, der Frau aus des Menschen Rippen entstehen die intensiv untersucht.3 Folgende Beobachtungen dass der Mensch in die soziale Beziehung hinein sondern nur noch nichts Geschlechter Mann und Frau. „Und der Mensch sind festzuhalten: Gott erschafft den Menschen geschaffen wird. Er allein kann nicht Mensch sein. gewonnen. gab seiner Frau den Namen Eva, denn sie wurde und seinen Lebensraum. Sowohl in Genesis 1 als Er braucht die Beziehung zu anderen Lebewesen die Mutter aller Lebenden. Und Jahwe, Gott, auch in Genesis 2-3 teilen sich Mensch und Tier und auch zu anderen Menschen.12 Zur biblischen machte Adam und seiner Frau Leibröcke aus Fell die Geschöpflichkeit. Die Tiere in Genesis 2-3 sind Paradiesvorstellung gehört es den Menschen als und bekleidete sie. Und der Mensch erkannte seine vor allem die, mit denen sich der Mensch das soziales Wesen in Interaktion mit anderen Tieren zu Frau und sie wurde schwanger und gebar Kain und Land teilt. Daher liegt der Fokus in Genesis 2-3 im denken.13 Und es ist ein fürsorgliches und friedliches sie sagt: Ich habe einen Mann hervorgebracht mit Gegensatz zu Genesis 1, wo die Tierwelt umfassend Miteinander zwischen den Menschen, Mann und dem HERRN (Gen 3,20; 4,1).“ ihren Arten nach betrachtet wird, auf den Land- Frau. Erst als die Menschen für den „Sündenfall“ und Lufttieren. Der Mensch benennt die Tiere, bestraft werden, soll plötzlich der Mann über Die Geschichte vom Anfang erzählt das Folgende: doch es gibt unter ihnen noch keine Hilfe, die ihm die Frau herrschen.14 Doch auch das gehört Das einzige Paradies, das es je gab und geben wird, entspricht, heißt es im Text.6 Erst mit Erschaffung nicht zur paradiesischen Grundordnung.15 In ist das auf der Erde konstituierte. Im Gegensatz zu der Frau erhält der Mensch eine Hilfe, die ihm der paradiesischen Welt und vor Gott sind Seite 3 4 Seite
Der Gewinn: Paradising als Aufgabe Die Vorstellung vom Anfang ist eine friedliche, in Biosphärengemeinschaft oder Mitschöpfung Genesis 1 noch mehr als in Genesis 2-3. In der erreichen. weisheitlichen Schöpfungsgeschichte in Genesis Durch ihre Höhe sind Bäume eine Achse zwischen 2-3 spricht Gott: „Und nun, dass er [sic. der Himmel und Erde. So wird neutestamentlich Mensch] nicht etwa seine Hand ausstrecke und der Baum des Lebens mit dem Kreuz und dem auch noch von dem Baum des Lebens nehme und Kommen des Reiches bzw. der Königsherrschaft esse und ewig lebe!“, bevor er aus dem Garten Gottes assoziiert (vgl. Off 2,7 und 22,2.14.19).25 Der vertrieben wurde. Es ist immer noch oft zu lesen, Baum im Paradies (Gen 2) und der Lebensbaum dass der Mensch in seinem Streben nach dem in der kommenden Stadt (Offb 21-22) bilden so Wie-Gott-sein-Wollen die Unsterblichkeit verlor. eine Rahmung der biblischen Erzählungen vom Das verfehlt den Kern des Textes. Der Mensch Anfang und Ende. Der Teminius βασιλεία τοῦ wollte nicht sein wie Gott, sondern klug werden. θεοῦ (basileia tou theou) meint die kommende, Er ist zwar sterblich geworden, aber den Zugang vollzogene Herrschaft Gottes und den Raum, in zu Lebensbäumen hat er nicht gänzlich verloren, dem sie sich ereignet.26 Die Diskussionen, ob sie wenn auch den zu einem bestimmten.20 Es gibt bereits begonnen hat oder zu erwarten ist, ob sie biblisch noch immer Lebensbäume, die wir allein von Gott kommt oder der Mensch Anteil hat, erreichen können.21 Hier kommen wir zu der sind noch nicht zur Gänze ausgefochten. Dennoch Aufgabe des Paradising, die auch nach Eden noch lässt sich einiges Grundsätzliches festhalten. In besteht. Der Lebensbaum bleibt ein paradiesisches den Reden über das Reich Gottes wird Gottes Motiv, ein irdisch paradiesisches, das in Bezug auf Wesen der Liebe beschrieben. Es ist eine Liebe, unsere Lebensgestaltung von Bedeutung bleibt. die auch jetzt schon die Welt durchdringt. Die Bäume im Alten Orient und heute spenden überall Herrschaft Gottes, die alles andere Herrschen Leben, indem sie uns, wie paradiesisch auch, mit beendet, ist etwas, das erst kommt und dass der Sauerstoff und Nahrung versorgen und meist Mensch nicht bewirken kann.27 Wenn das Reich das menschliche Lebensalter überschreiten.22 Gottes gekommen ist, dann ist es auch ein Baum Sie zeigen uns den Jahreszyklus und unsere des Lebens, der diesmal sogar zur Unsterblichkeit Sterblichkeit an und stehen metaphorisch in bei Gott im Himmelreich führt. Das Reich Gottes den alttestamentlichen Weisheitstexten für ist damit eine eschatologische Vorstellung. „Es gibt biblisch einen guten Lebensweg. So ist die Weisheit Gleichzeitig ist es aber etwas, das sich in Jesus selbst ein Baum des Lebens für jeden, der sie bereits in seiner Gegenwart, in seinem Reden ergreift.23 Mittels Tugenden der Weisheit, also und seinen Taten gezeigt hat.28 In der Verbindung noch immer Lebensbäume, die „[…] Fleiß (Prov 10,4-5), Schuldlosigkeit (Prov der Botschaft vom kommenden Reich Gottes und 4,14), Aufrichtigkeit (Prov, 6,19), Friedfertigkeit den Gleichnissen Jesu, die ein ethisches Handeln (Prov 3,29-31), Selbstbeherrschung (Prov 29,11), fordern, bildet die Herrschaft Gottes die Grenze wir erreichen können.“ Treue (Prov 6,32) Vorsicht beim Reden (Prov des menschlichen Einflusses, auf die hin der 14,3), Gottesfurcht (Prov 1,7), den Umgang mit Mensch in der aktuellen Lebenswelt handeln und Vermögen (Prov 28,22), den Armen (Prov 29,7), agieren und sein Leben gestalten soll.29 Es ließe mit Tieren (Prov 12,10) etc.“24 können wir aktiv sich also sagen: Das von Jesus gelernte Handeln ist „Lebensförderlichkeit“ für uns als Einzelne und das Paradising, zu dem wir befähigt sind. die Gemeinschaft, vielleicht auch die ganze Seite 5 6 Seite
2 Paradising im Zeitalter des Herausforderung des kulturellen Wandels Warum wir längst Gärtner:innen sind Anthropozäns Die Anthropozän-Debatte denkt die besondere Stellung des Menschen, die wir biblisch bereits Im Anthropozändiskurs kursieren verschiedene Begriffe zur Rolle des Menschen. Hier gibt es die diskutierten, im Großformat. Die aktuellen, Bezeichnungen Weltengärtner, Mitschöpfer oder gesellschaftlichen Debatten zu einer sozial- Erdsystemmanager.38 Wissenschaftlich ist klar: Wir ökologischen Transformation werden noch zu Menschen nehmen, wenn auch unterschiedlich, wenig erzählerisch, visionär und in Bildern geführt. Einfluss auf das gesamte Erdsystem und all unser Sie bleiben auf ökonomischer und technischer Handeln hat Auswirkungen auf unsere Um- und Ebene stecken. Damit sind sie im Hinblick auf Mitwelt. Im Anthropozän ist dieser Einfluss die Gestaltung zukünftiger Gesellschaftsformen erstmalig global und systemisch, erdsystemisch. defizitär, da sie die „Ziele, Motivationen und Die Frage ist, wie wir diese Macht gestalten.39 Glaubenssätze“, auf denen die Gestaltung der Dabei hat anthropogene Macht nicht nur Gegenwart für die Zukunft basieren, nicht unterschiedliche Formen: So unterscheidet beachten. Fehlen diese Betrachtungen und der deutsche Wirtschaftswissenschaftler und Ansätze, fehlt ein kultureller Ansatz des Wandels. Transformationsforscher Uwe Schneidewind etwa Ohne ein Hinterfragen der eigenen Auffassungen zwischen der „Macht mit“ oder „mitzureißen“, „werden neue Technologien [sic. und politische der „Macht zu“, um gestalterisch zu wirken, und Wege] mit genau demselben Menschen- und der „Macht über“.40 Sie ist auch unterschiedlich Weltbild erdacht und genutzt, das auch schon verteilt. Der niederländische Theologe Christoph vielen der Nachhaltigkeitsprobleme zu Grunde Baumgartner fragt: Wird es der menschliche Hirte liegt.“37 sein, der sich vor Gott und all seiner Schöpfung verantwortet oder der prometheische Mensch, der es nun erst recht in die Hand nimmt und die Macht, die Erde zu formen, ausdehnt?41 Wir wissen heute mehr über den menschlichen enthält neun zentrale ökologische Systeme und Einfluss auf die Erde und alles, was sie ausmacht, Prozesse der anthropogenen Einflussnahme als je zuvor. Der Planet Erde, unser Raum für das und deren Belastbarkeitsgrenzen. Werden diese Paradies, ist von Menschen, griech. Anthropos, überschritten, treten unaufhaltbare Prozesse, sog. in Beschlag genommen. Hierfür wurde ein neuer Kipppunkte, ein. Doch wir Menschen nehmen Begriff in die wissenschaftliche Debatte eingeführt: nicht nur Einfluss auf die irdischen Gegebenheiten, Das Anthropozän. Diese Bezeichnung kursiert sondern verändern auch unsere menschlichen.34 jedoch vor allem akademisch und wird dort Mittels Digitalisierung haben wir begonnen auch intensiv diskutiert.30 Sie hat derzeit noch wenig auf uns selbst zuzugreifen. Wir sind oft mehr Relevanz in gesellschaftlichen oder gar privaten mit unserem Smartphone verbunden als mit Debatten, denn es ist ein sperriger Begriff. Er unserer Mitwelt und beginnen uns Mikrochips zu vermittelt wenig anschaulich das vom Menschen implantieren und Cyborgs zu kreieren. Zum ersten gemachte Neue, so die adäquate Übersetzung. Mal in der Geschichte eröffnet sich damit ein Der Ausruf des Atmosphärenchemikers Paul J. „Möglichkeitsraum für die potenziell fundamentale Crutzen vor mehr als 20 Jahren: „Wir befinden Veränderung der conditio humana.“35 uns im Anthropozän“ etablierte den Begriff.31 Acht Jahre später, 2008, wurde er zur Bezeichnung Damit ist das Anthropozän eine gesellschaftliche einer geochronologischen Epoche und damit zum Umbruchszeit. In solchen Zeiten werden viele Eintritt in ein neues Erdzeitalter.32 Selbstverständlichkeiten auf den Prüfstand gestellt. Historisch betrachtet betreffen diese Umbrüche Gemessen wird der Einfluss heute vor allem in immer auch die Rolle des Menschen auf der Erde Bezug auf die sog. planetaren Grenzen. Hierbei und das vorherrschende Menschenbild,36 und handelt es sich um ein Modell, das dreißig diese vermitteln wir uns über Geschichten und in Wissenschaftler:innen rund um Johan Rockström Bildern. von 2009 bis 2015 entwickelt haben.33 Es Seite 7
Bildern.45 In ihr tritt der gesellschaftliche Individualismus der eigenen Selbstverwirklichung zugunsten einer Gemeinschaftsvision im Einklang mit der irdischen Lebenswelt zurück. Wie heilsam wäre es, solch eine gemeinschaftliche Vorstellung zu entwickeln? Sie sollte den Zustand unserer Erde und den menschlichen Einfluss darauf realitätsnah wiedergeben und gleichzeitig die Sehnsucht nach einer Welt wecken, in der wir ökologische Grenzen respektieren und den Lebensraum als ein gemeinsames Haus verschiedener Lebensformen begreifen. Insofern wir hier in Zukunft mit anderen Lebewesen gut auskommen müssen, dürfen wir auch unser Verständnis von Liebe und Unsere Eingriffe haben bereits Grenzen Nächstenliebe überprüfen.46 überschritten, deren Folgen wir vor allem in Paradising beschreibt, dass wir vieles in der Hand Bezug auf die Biosphäre und den Verlust von haben und hierin reichlich Potenzial liegt. Aber Biodiversität noch gar nicht abschätzen können. es beinhaltet auch, dass wir wissen, dass nicht Der Mensch als Art greift ein und ist derzeit die alles in unserer Hand liegt und wir einiges auch gestaltende Kraft auf der Erde; dahinter kommen aus der Hand geben müssen. Theologisch bleibt wir wohl nicht ohne Weiteres zurück. Auch wenn Gott unverfügbar, wenngleich er stets mit uns in wir entscheiden würden, weniger einzugreifen, Verbindung steht genauso wie mit seiner gesamten muss diese Entscheidung von uns getroffen und Schöpfung, der Erde, deren Lebenswelten und bewusst gestaltet werden, indem wir unsere Lebensformen, die auch ohne den Menschen menschlichen Systeme, Wirtschaftssysteme gedeihen und sich entwickeln würden.47 zuvorderst, umbauen. Sollte dies nicht geschehen, warnen Wissenschaftler:innen bereits länger, dass statt einer „transformation by design“ eine „transformation by disaster“ droht.42 Dass nämlich auch andere Lebensformen, wenn auch provoziert „Als ich mich ‚Mit-Schöpferin‘ nennen hörte, durch massive menschliche Eingriffe,43 auf die menschlichen Systeme einwirken können, hat das wurde ich mir der eigenen kreativen Kräfte Corona-Virus zuletzt sehr anschaulich gezeigt. bewusster, die wir ja alle haben, aber oft Daher möchten wir hier Offb 2,7 zitieren: „Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden vernachlässigen und ignorieren.“ sagt! Wer überwindet, dem will ich zu essen geben Dorothee Sölle, lieben und arbeiten, 1985, 55. von dem Baum des Lebens, der im Paradies Gottes ist.“ Hier drückt Johannes bildlich aus, was heute im Hinblick auf die sogenannte sozial-ökologische Transformation ausdeutbar ist. Gemäß den Zielen für Nachhaltige Entwicklung der UN müssen wir Soziales und Ökologisches zusammen denken.44 Die Fürsorge Gottes gilt in seiner Herrschaft allem Leben auf der Erde. Dabei zeugt der Geist von einem universal verbindenden Element, in dem sich die Menschheit als gemeinsame Größe und unterschiedlich handelnder globaler Akteur beweisen muss. Die verbreitete Vorstellung vom instrumentalen Materialismus als Sinnerfüllung des Lebens hat ausgedient. Wir glauben, es braucht eine neue Zielperspektive mit eindrücklichen Seite 9 10 Seite
3 paradising - eine Frage der Kultur Wenn wir von Kultur sprechen, dann meinen Doch anders als die Sonne auf Capri hinterlässt wir die Art und Weise, wie wir leben. Unsere „Capri Sonne“ oder „Capri Sun“ keinen still vor Kultur hat dabei nicht nur eine materielle Staunen machenden Sonnenuntergang, dafür Dimension.48 Ihr zugrunde liegen Vorstellungen, aber späteren Generationen den gut haltbaren Motivationen, Glaubenssätze und Werte, auf Müll einer 200 Milliliter-Tüte aus drei Schichten denen unser Handeln beruht. Im Anthropozän Aluminium und Kunststoff. Die Leere, die wir als gesellschaftlicher Umbruchszeit stehen diese mitunter verspüren, lässt sich nicht lösen mit dem alles bestimmenden Grundmuster und Zielbilder Beispiel von rund 21 aufgelösten Zuckerwürfeln in sieben kleinen Trinktüten Capri Sun. So mit auf dem Prüfstand. Wir erzählen sie uns fühlt sich auch ein Drugstore, ein Hotel oder in Geschichten. Derzeit folgen sie noch den kinderfreundliches Schwimmbad selten genug mythischen Grundannahmen: „Wir Menschen paradiesisch an, auch wenn es das Paradies im sind von der Natur getrennt“ und „Es braucht vor Namen trägt. allem Wachstum für die Wirtschaft, und das nützt allen.“ Diese Grundannahmen zu ändern und neue Geschichten zu erzählen, das hat sich Paradising Während die Erde voll von Menschen ist,49 ist die zur Aufgabe gemacht. Vorstellung vom Paradies zwar allgegenwärtig, jedoch leer und verwaschen. Googelt man das Stichwort „Paradies“ finden sich zwar himmlische Markenmatratzen und vermutlich der beste Dönerimbiss in Deutschland, aber keine Vision Die Leere unserer einer gemeinschaftlichen, friedvollen Welt. Hier haben wir nur noch leere Vorstellungen von dem, derzeitigen Paradieskultur was möglich ist. Mit dem Konzept vom Paradising wollen wir die Letztens an der Ampel steht ein junges Mädchen. Sie biblische Friedensvorstellung zurückerobern hat ein T-Shirt an, darauf steht: Paradise. Gerahmt und nicht nur darauf schauen, wie wir aktuell wird der Schriftzug von einem verwaschenen, handeln oder handeln sollten, sondern auch kaum erkennbaren Bild dreier Palmen und einer eine vorhandene kulturelle Prägung neu untergehenden Sonne am Strand im Nirgendwo. füllen. Paradising kann unsere Herzen und In der Werbung flimmern uns Urlaubsparadiese von einer rotleuchtenden untergehenden Sonne unseren Verstand erreichen und uns eine neue hinter dem mit Palmen gefüllten Strand entgegen. Zielvorstellung geben.50 „Die Leere, die wir mitunter verspüren, lässt sich nicht lösen mit dem Beispiel von rund 21 aufgelösten Zuckerwürfeln.“ 12 Seite
Die Sprache von Paradising Ich will auch wieder mit den Tieren sprechen Sprachliche Bilder sind die Eintrittstore in die am Ende des Dokuments. Können und ich will das Gras verstehn. Herzen der Menschen, damit der Verstand bereit Was es flüstert in den lauen Sommernächten. Ich habe mich so lang danach gesehnt. Constantin Gröhn und Sarah Köhler: Wir sind ist, in die Tiefe der Argumentation einzutreten beide Theologen, der eine Musikverliebter, die und der Mensch aktiviert wird. „Das Regiment andere Cineastin. Das Paradies hat, solange wir der Bilder hat seinen Grund.“51 Paradising ist eine uns erinnern können, seinen Platz schon immer in Wortneuschöpfung, die Handeln und Ruhenlassen gleichsam einschließt. Hier wird das Gärtnern mit verschiedenen Kulturen, verschiedenen Sparten Frag mich nicht wie der sabbatlichen Schöpfungslehre theologisch und auch in unseren Charts gehabt. Frag mich nicht wann, zusammengedacht. Erst der Sabbat segnet, So ist es etwa, als 1983 ein Gastarbeiter-Sohn eS ist doch nur n Lied, heiligt und offenbart die Welt als Schöpfung.52 Der Friedenszustand von Genesis 1 und Genesis 2 die deutschen Hitparaden mit Jenseits von Eden stürmte. Aus der Feder von Drafi Deutscher sang Aber mit m Lied macht die Ruhe und den zyklischen Einklang für Domenico Gerhard Gorgoglione, besser bekannt Fang ich erst mal an... alles Geschaffene universell. als Nino de Angelo, darin von der Ferne vom Paradies: „wenn selbst ein Kind nicht mehr lacht In der Corona-Krise lernten wir, wenn man so will, wie ein Kind“ und „wenn wir nicht fühlen die (Gundermann, Soll Sein-Liedtext) den Abschied vom Alten, doch der Ausblick auf Erde, sie weint“. Vier Jahre später macht Axl Rose das Neue bleibt fragmentiert, auch wenn die Rehe von Guns N‘ Roses mit Paradise City das Paradies im Frühjahr 2020 wieder mehr in den Vorstädten auch dem jüngeren – männlichen – Publikum mit ästen und das Wasser in Venedigs Lagune für hübschen Mädels und grünem Gras schmackhaft,57 kurze Zeit klarer wurde. Die Parole ist: Nur nicht auch wenn die ökologische Bedeutung dieser aufgeben! Schließlich wollen viele ein anderes Metapher zweifelhaft bleiben muss. Ein paar Jahre Leben: „eines, das nicht so schnell, nicht so zynisch, danach zeichnet Gerhard Gundermann in seinem vor allem: nicht so zerstörerisch ist“.53 Unsere Lied Soll Sein eine öko-soziale Vision von einer Sprache kann hier neue Bilder erzeugen, die uns Welt, in der er Freunde hat, Bäume seine Brüder unser Menschsein und unser anthropogenes sind und er wieder mit den Tieren sprechen kann. Handeln hinterfragen lassen. „Wenn wir Klarheit Das war lange nachdem 1976 der Soul mit Stevie wollen, [sic. wo wir hinwollen,]54 dürfen wir nie Wonder die Suche nach dem Paradies ausgerufen aufhören nachzudenken“.55 Mit Sprache erzeugen hatte. Nicht einem Pasttime Paradise und der wir Bilder. Diese Bilder zeigen nicht, wovon wir Glorifizierung vergangener Tage sollen wir diesem wegwollen, sondern worauf wir zulaufen und Song nach hinterherjagen, sondern unser Leben wofür wir einstehen. Sprache ist der Beginn einer für die Zukunft des Paradieses leben. Dass Coolio neuen Kultur. Mehr noch aber müssen wir uns die 1995 mit der Melodie von Pasttime Paradise dann wahren und schönen Religionswörter von denen einen Rap-Hit mit Gangstas Paradise landete, zurückholen, die sie für Verwertungslügen teils nahm in gewisser Weise den Trend der späten schamlos nutzen.56 2010er-Jahre und der provokanten Idealisierung des „Gangsta“-Images vorweg. Bei näherer Betrachtung entpuppt es sich jedoch womöglich Die Rückeroberung der nur als illegale Schattenseite des kapitalistischen Strebens nach Profit oder - mit Coolios Worten Vorstellung vom Paradies: - in Übersetzung: „Zu viel Fernsehen hat mich ein Dialog dazu gebracht, Träume zu verfolgen. Ich bin ein gebildeter Narr mit Geld im Kopf.“ Coldplay Wir wollen hier einigen Spuren unserer eigenen besingen 2011, wie das „Paradies“ entschwindet, Gedanken folgen, die Dinge, die uns zuerst in den wenn junge Menschen keinen gesellschaftlichen Sinn kamen. Wir streben keine Vollständigkeit an, Einfluss haben und „die Realität den Schmetterling sondern denken beispielhaft und bitten Sie, liebe tötet“.58 In ihrem Video, in dem ein Elefant die Leser:innen, ihren Gedanken und Assoziationen anderen sucht, deuten sie jedoch die Chance auf ebenso freien Raum zu lassen und sie uns gern Glück in der passenden sozialen Umgebung an. auch zu schicken. Sie finden eine Einladung dazu Mit über 16 Millionen Clicks wird das Paradies Seite 13
für alle „Bratans und Bratinas“ mit dem auf einmal in einem anderen Kontext ausdrückte,63 kommerziellen Erfolg angelegten Trio Capital im Ameisenhaufen melancholischer Einzelwesen Bra, hier als Joker Bra, Leony und Vize Ende 2020 gehören, können wir mit Konzepten von der wieder jenseitiger und trotz Corona-Krise zugleich sozial-ökologischen Transformation allein und mit deutlich profaner, 59 was auch das entsprechende der Konfrontation der planetaren Grenzen nicht Video mit Bikinishow am Swimmingpool zeigt, Herr oder Frau werden. Die Macht des Konsums ohne dabei auch nur eines der gängigen Klischees ist noch stärker als die der Konsumkritiker.64 Die auszulassen. So ist das Paradies in der Popkultur, biblischen Bilder des Paradieses könnten jedoch wie die Beispiele aus der Musik zeigen, nie ganz mehr Kraft besitzen als ihr warenästhetischer entschwunden und immer da, wenn auch in Abklatsch. Dazu müssen wir sie nur wieder in unterschiedlichen Deutungen und Ausprägungen. die Realität verpflanzen und in konkrete Bilder packen: In Form von Klee und Bäumen, freien Doch nicht nur die Musik nimmt uns in andere und glücklichen Menschen, mitten in einem Welten mit, auch Filme tun dies. In dem 2009 Eden-gleichen Garten oder in einer „himmlisch- erschienenen Film Avatar- Aufbruch nach irdisch“ begrünten Stadt, divers und biodivers, Pandora blicken wir in ein von uns entferntes friedlich, mit und ohne Feigenblatt, tatkräftig und Paradies. Der Begriff Pandora ist ebenso wie ruhenlassend, zusammen und einzeln. Das Vehikel paradeisos ein griechischer, er meint „Allgeberin”. ist die Sehnsucht. Die Reise geht zurück an den Alles ist uns gegeben, wie das Paradies, in dem vermeintlichen Anfang und wird somit zum Ziel. wir leben. Torsten Meireis diskutiert daher den Film Avatar als „ein kulturelles Zeugnis religiös Prägen wir also auch unsere Vision vom Paradies motivierter Nachhaltigkeit?”.60 Hier stehen sich die und finden dazu den passenden Sound, das menschliche Zivilisation, hoch technologisiert und passende Bild und die richtigen Worte! Denn auf Raubbau aus, und eine Kultur im Miteinander Paradising heißt auch, sich die Vorstellung vom von Umwelt und den Indigenen, den Na’vi, Paradies religiös zurückzuerobern. gegenüber. Gleichzeitig herrschen auch die Na’vi über die Tiere, indem sie diese töten, essen und nutzen. Jedoch ist die Gewalt hier in eine interessante Form einer „rituell- religiösen Bewältigung” eingepflegt.61 Diese versteht „die anderen Wesen in mythischer Weise als personelle oder spirituelle Gegenüber - man entschuldigt sich beim getöteten Tier.”62 Hier liegt jenseits von Eden eine Art Paradies, das die anfänglichen Friedensvorstellungen aus Genesis 2-3 aufgreift, ohne dass das explizit gemacht wird. Unsere kulturellen Vorstellungen vom Paradies sind divers, mal leer, mal gefüllt. Wir wollen die Sehnsucht nach dem Paradies wieder freilegen, „Der Reichtum dieser Welt liegt und Moral als Mittel sollte hier nicht nicht in der Erde, er umgibt uns die erste Wahl sein. Einer angesichts der großen ökologischen Krise vielfach überall.“ irrational handelnden Gesellschaft, zu der wir als in sich zerrissene oder (Aus dem Film Avatar: Aufbruch nach Pandora, verkrümmte Subjekte, wie es Luther Zitat von Jake Sully) Seite 15 16 Seite
berechtigt beim „Paradising“ die Begrenzung des Verantwortungsvermögens mitzudenken und im Lokalen anzusetzen.76 Das kommt vielen Kontexten kirchlicher Arbeit und zivilgesellschaftlichen Engagements entgegen. Lokale Angebote wie die Schaffung einer Bienen- und Insektenweide in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen sind auch im globalen Kontext mitzudenken. Der berühmt gewordene Butterfly- Effect der Chaostheorie, nachdem der Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien einen Tornado in Texas auslöst, hat, positiv und gesellschaftlich gewendet, sein Pendant in einer jungen Schülerin gefunden. Diese hatte sich mit einem Pappschild vor das schwedische Parlament auf die Straße gesetzt und wurde so zur Ikone einer weltweiten Bewegung für mehr Klimaschutz.77 In einem Video fordert sie uns auf: „Protect, Restore and Fund” und zwar lokal und global.78 Alles wird zweimal geschaffen: Einmal in der Vorstellung und einmal in der Umsetzung. 4 Paradising leben - Umbau des Sozialstaates, bei der Reform des Paradising beschreibt zunächst die Vision des Arbeitsmarkts, in der Erziehung oder in einer Wohin und lädt ein, bei der konkreten Umsetzung theologischen oder philosophischen Ethik neue Wie sieht das eigentlich aus? mitzudenken. Doch einen Hinweis wollen wir Verantwortlichkeiten eingefordert werden, sollten schon geben: Ohne eine politische Haltung und wir nach Ludger Heidbrink immer fragen: Handelt ganz gezieltes, steuerungspolitisches Handeln es sich hier um eine individuelle oder um eine kollektive Verantwortung und wo verschränken werden wir unser Paradies verlieren. Mit Regeln sich diese Verantwortlichkeiten?74 Wenn unsere umzugehen, die einzuhalten sind, gehört auch der Mit vier Porträts, Vorstellungen, Ansätzen wollen halten sie mit ironischem Unterton fest: „Der Forderungen nicht mit den gesellschaftlichen biblischen Erzählung vom Garten Eden nach zum wir eine Kultur des Paradising skizzieren, die den Mensch wird hier als Gärtner mit beschränkter Realitäten einhergehen und der Komplexität Paradieswerden oder Paradiessein. Und in dieser Menschen in seinem Wirken auf der Erde mit und Haftung installiert. Sein Eden ist nicht der unserer Welt Rechnung tragen, entsteht kein Wille Hinsicht sollten wir uns die mehr oder weniger paradiesische Urzustand der ganzen Welt, sondern zur Verantwortung.75 lustvollen Grenzübertritte von Adam und Eva durch den Heiligen Geist und „in Gnade“ in den Blick nimmt.65 ein abgegrenztes Gelände „gen Osten hin“ (Gen Regionales und globales Handeln sind also nicht unbedingt zum Vorbild nehmen, sondern 2,8), unweit des Euphrat.“69 Auf amüsante Weise zusammen zu denken und sollten aufeinander an die gewachsene Verantwortung in Christus Die Forschungsstätte Evangelischer wird hier die Begrenzung beschrieben: „Diesen bezogen werden. Es ist daher durchaus appellieren.79 Studiengemeinschaft (FEST) versteht die überschaubaren Garten soll er kultivieren. Sein Schöpfungsgeschichte lokal begrenzt.66 Auf Horizont und seine Verantwortung reichen bis Basis des griechischen Begriffs παράδεισος zum Gartenzaun“.70 Diese ist im Text aber nur (paradeisos), der einen umgrenzten Bezirk meint, bedingt angelegt. Wie zu Beginn erörtert, wird gilt in der zweiten Schöpfungsgeschichte, dass der der Schöpfungsakt zwar konkret lokalisiert, den Mensch diesen überschaubaren Bereich bebauen Denkrahmen bietet aber die Weltenerschaffung.71 und bewahren solle (Gen 2,15).67 Der Mensch darf Dennoch muss die Lokalisierung keine Schwäche sich beweisen oder wie es Thorsten Moos für das der biblischen Erzählung darstellen. Gerade die Umweltkonzept der Evangelisch Kirche in Berlin- überschaubare und regionale Ausrichtung kann Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) 2014 auch eine Stärke sein und ein Ansatzpunkt für formulierte: „Kaum ist der Lehm getrocknet, aus „Paradising im Anthropozän“ sein. Wir leben in dem der Mensch gemacht ist, wird er ökologisch einem System, dass wir allein systemisch nicht verpflichtet.“68 Ein Dorn im Auge ist den Theologen erfassen können und indem unser individueller der Forschungsstätte der Evangelischen Einflussbereich begrenzt ist.72 Dabei sind unsere Studiengemeinschaft (FEST) Heidelberg, die das Verantwortungsbereiche nicht nur individuell Konzept mit Thorsten Moos erarbeitet haben, aber divers, sondern unterscheiden sich auch in Bezug die Regionalität der Verantwortung. Angesichts auf gemeinschaftliches Handeln.73 Wenn also der globalen Anforderungen des Anthropozäns in der Umwelt-, in der Wirtschaftspolitik, beim Seite 17 18 Seite
Paradiese bewahren Die Idee vom Anfang setzt den Kulturmenschen, den Homo Faber, mit den Verben „bewahren und bebauen“ in eine Welt, in der Mann und Frau und Tiere und Pflanzen in Gemeinschaft und Beziehung existieren. Teil des Paradising ist es, Vorhandenes zu bewahren. Es ist eine Vorstellung, die sich zurückerobern ließe, wenngleich man das Ende der Geschichte mitlesen muss.80 Denn der Garten Eden wird am Schluss von den Cherubim oder auch Keruben bewacht (Gen 3,24). Zwar haben der Erzählung nach die Keruben flammende Schwerter, aber mit dem Gedicht von Rudolf Otto Wiemer wissen wir, „es müssen nicht Männer mit Flügel sein“, die Engel. Vielleicht sollten sie aber auch nicht ganz ungefährlich sein. Wenn wir beide daran denken, vorhandene Paradiese zu bewahren, kommen uns bestimmte Gedanken in den Sinn. Hier wollen wir Sie einladen, unseren ersten Assoziationen zu folgen und auch eigenen Vorstellungen Raum zu geben. Unwillkürlich kommen uns Bilder von Schildern vor Naturschutzgebieten und Naturparks in den Sinn: „Betreten verboten!“ Denn in Nationalparks, in denen Wilderer jagen, haben die Ranger zum Schutz auch entsprechende Waffen. Wer Paradiese bewacht und bewahrt, darf nicht wehrlos sein und erst recht nicht harmlos. „Wir gehen irgendwann an unserer eigenen Harmlosigkeit zugrunde“, sagte im Kreis der Gleichgesinnten ein ökoengagierter Theologe.81 Paradising klingt nach Harmonie und Einverständnis. Es meint aber auch Entschiedenheit im Einsatz für das, was bewahrenswert ist. In der Bibel sind die Boten Gottes selten bequem für ihre Umwelt. Die Propheten sagten, was niemand hören wollte, sie stritten und kämpften, mitunter resignierten sie, standen dann aber wieder auf.82 Wie schwer es ist, unbebautes Land zu schützen, werden auch viele in der Ein anschauliches Beispiel wie Kirchen auf aller Welt zum Erhalt der Gemeindearbeit erfahren haben, wenn es in Bauausschüssen Biodiversität mit ihren Liegenschaften beitragen können, bietet die und Kirchengemeinderatsentscheidungen um ökonomische und Äthiopisch-Orthodoxe Kirche Tewahedo. In der religiösen Lehre der Kirche bauliche Abwägungen ging. von Tewahedo hat sich eine Kirche als wahre Kirche darin zu erweisen, Zu Paradiesen gehören mitunter Mauern und Zäune, die klare dass sie von Wald umgeben ist und so dem Garten Eden ähnelt. So waren Grenzen ziehen. Das zeigt auch ein Ausflug in die Sprach- und in Äthiopien zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch 45 % der Fläche von Kulturgeschichte. Der Garten ist dem indogermanischen Wort Wald bedeckt. Inzwischen ist diese Fläche durch Entwaldung auf aktuell ,gher‘, auch ‚ghortos‘ entwachsen. Das bedeutet so viel wie nur noch 5% geschrumpft. Rund um die Äthiopisch-Orthodoxen Kirchen „Flechtwerk, Zaun, Hürde“ und spiegelt sich auch im griechischen wurde aber der Wald als Heiligtum erhalten, so dass sich der bunte Garten „Chórtos“ und im Lateinischen „hortus“.83 Auch das dem Eden mit diversen Tier- und Pflanzenarten auf dem Weg zum Gottesdienst Altpersischen entstammende Paradies bedeutet nichts anderes tummelt.86 als „Umzäunung, Umwallung“.84 Das Paradies ist mitunter also auch Garten mit Mauern oder Begrenzungen. Historisch Wie sehr die Kirchen im Speziellen und die Religionen im Allgemeinen entsprangen die Urbilder der Gärten dem Schutz gegen die für den Erhalt der Lebensgrundlagen von Bedeutung sind, zeigt auch Wüste. Entlang des Nils wurden Oasen der Wüste abgetrotzt, der Beitrag des malaysischen Wissenschaftlers Manoj Kurian für den so auch für die persischen Gärten. Heute müssen Paradiese vor Ökumenischen Rat der Kirchen zum Welttag der biologischen Vielfalt 2021. allem den städtischen Betonwüsten und den Monokulturen der Kurian stellt darin heraus, dass inzwischen 84% der Menschen auf der Erde industriellen Agrarwirtschaft entgegengestellt oder von ihnen einer Religion angehören. Vor allem aber befinden sich 7% der gesamten zurückerobert werden. Danach sollten sie dann doch besser Erdfläche im Besitz einer religiösen Institution, bei der die christlichen die durch Hecken begrenzt sein, damit die Pflanzen nicht zertrampelt dominierenden sind.87 Das birgt viel Verantwortung, aber bietet auch viel werden wie im Weinberglied Jesajas (Jes 5,5).85 Raum zum Träumen und Paradisieren. Seite 19 20 Seite
Paradiese schaffen Eden geht auch heute weiter. Wir sind angehalten in einem natürlichen Ökosystem alle Lebewesen Paradising, Mit-Schöpferin und Co-Creator zu sein, den Lebensbaum im Sinne eines gerechten und aufeinander bezogen erscheinen, hinterlässt den bedeutet dabei ein bisschen mehr, als den eigenen sozialen Lebens in Gemeinschaft mit Menschen Eindruck von gottdurchwirkter Vollkommenheit.95 Garten umzugraben. Das „Mit“ in „Mit-Schöpfer:in“ und Tieren anzustreben, es gilt: Paradiese Dabei wirken sich menschliche Eingriffe nicht nur drückt aus, dass wir an der schöpferischen müssen geschaffen werden. Die Evolution führt negativ auf die Biodiversität und das ökologische Tätigkeit Gottes partizipieren, nicht allein, nicht uns deutlich vor Augen, dass wir die Schöpfung Netzwerk aus. So gibt es Untersuchungen, untergeordnet, sondern in einer Art Partnerschaft. mitsamt ihres Garten Edens und ihrer „Paradiese“ die zeigen, dass die indigene Bevölkerung des Es bestätigt ebenso, dass die Zukunft offen und reduzieren, wenn wir sie nur als etwas verstehen, Amazonas-Regenwaldes die lokale Biodiversität nicht festgelegt ist. Wir können als Menschen das irgendwann einmal vor langer Zeit geschehen gezielt vermehrt hat.96 Ihr Lebensraum ist und Partner:innen oder Freund:innen Gottes, ist. Schöpfung geht weiter. Sie ist ein fortlaufender folglich das Ergebnis eines symbiotischen, wie Dorothee Sölle es ausdrückt, dieser Zukunft Prozess und selbst das Bewahren und Erhalten ökologischen Verhältnisses von Menschen in eine Richtung geben. Nicht umsonst zeigt uns derselben erfordert ein ständiges Weiterschaffen, ihrer Umwelt.97 Es könnte uns also durchaus unsere jüdische und christliche Tradition, dass das eine „creatio continua“, eine fortgesetzte möglich sein, als Mit-Schöpfende das Haus Paradies oder der „Garten-Eden“98 auch als Vision Schöpfung, wie es Thomas von Aquin einmal des Lebens wieder aufzubauen, selbst aus den für die Zukunft gelesen werden kann.99 zusammenfasste.88 Auch der Auftrag von Genesis Wüsten der Monokultur, der Boden-Versiegelung 2,5 bleibt bestehen und hat dabei ausdrücklich das und der fossilen Brennstoffe und CO2-Belastung bebauende und bewahrende Tun einer Gärtnerin, auszutreten, in denen wir heute hausen. eines Gärtners vor Augen. Der moderne Raubbau an der Natur kann hier selbstverständlich nicht intendiert sein. Wenn wir uns dieser Intention erneut bewusst werden, öffnet das den Horizont für den Gedanken der „Mit-Schöpfung“. Dass wir als Menschen geschaffen sind nach Gottes Bild, lässt sich als Hinweis auf die Phantasie und schöpferische Kraft des Menschen verstehen, die er zum Frieden und Einklang mit allem Leben nutzen kann. In ihrem sozio-ökotheologischen Entwurf „Lieben und Arbeiten. Eine Theologie der Schöpfung“ von 1985 schildert Dorothee Sölle ein Erlebnis, das sie nach einem Gottesdienst, den sie am Union Theological Seminary in New York“ gehalten hatte, hatte: Ein Kollege und Freund umarmte sie herzlich und sagte zu ihr: „Dorothee, my co-creator!“89 Sie schrieb dazu: „Als ich mich ‚Mit-Schöpferin‘ nennen hörte, wurde ich mir der eigenen kreativen Kräfte bewusster, die wir ja alle haben, aber oft vernachlässigen und ignorieren.“90 Die Autorin selbst definiert diese schöpferische Kraft als Fähigkeit, „für einen anderen Menschen oder für eine Gemeinschaft die Welt zu erneuern.“91 Der amerikanische Theologieprofessor Philip Hefner ergänzt dies in gewisser Weise und spricht vom „created co-creator“.92 Dabei macht er durch das Attribut „created“ die Aspekte von „Zugehörigkeit“ und „Empfänglichkeit, Resonanz“ deutlich.93 Wir leben in einem Netz von Wechselbeziehungen, „in dem wir hängen, mit anderen Wesen durch unsichtbare Fäden von Abhängigkeit und Einfluss verknüpft“.94 Hierin leben wir in Symbiose. Dass Seite 21 22 Seite
„Genieße deine Abhängigkeit von der Paradiese sind konkreten Umwelt um dich herum. schon da Mach dich schwer und verletzlich und beobachte, wer oder was dich Auch wenn wir vielleicht das Eden zwischen Himmel.“107 Sie fragt danach: „Was erzählen dir Euphrat und Tigris verlassen mussten, das Eden der Schöpfung bleibt unser Lebensraum. diese Gegebenheiten?“.108 Mit Witz, Ironie und Hintersinn gibt es aber auch noch die nicht ganz auffängt oder hält.“ Das sollten wir nicht vergessen. Der Titel eines ernst gemeinte Stadtwerden-Meditation: „Stelle Kilian Jörg, „Backlash“. Aufsatzes von Bärbel von Wartenberg-Potter dich einmal pro Woche an eine Straßenecke und beobachte nur die Tiere, die vorbeikommen.“109 Es Essays zur Resilienz der Moderne, 2020, 144. lautet: „Die Erde – ein verlorenes Paradies?“100 Die Erde als Paradies zu erkennen, bedarf manchmal werden andere und vermutlich mehr Zweibeiner des Abstands. Auf einer Raumfahrt sagte der sein, kommt drauf an, wo man steht. Astronaut Sultan Ben Salm Al Saud: „Am ersten Dass es auf der Erde Paradiese gibt, hat seinen Ort Tag deutete jeder auf sein Land. Am dritten oder gelebter Religion derzeit eher in den Bildern vom vierten Tag zeigte jeder auf seinen Kontinent. Ab „Klischee mit Kokosnuss“. Wir haben es bereits dem fünften Tag achteten wir auch nicht mehr auf erwähnt: Vom Urlaubsparadies ist die Rede, wenn die Kontinente. Wir sahen nur noch die Erde als Menschen Ferien unter Palmen machen. Doch wie den einen, ganzen Planeten.“ Hier kommen implizit wäre es, wenn wir die Vorstellung auch religiös eine ökologische und eine soziale Utopie unseres wieder stärker machen, dass wir auch können weltlichen Paradieses zusammen. Die Erde bietet „paradeisen – ohne zu reisen“! Je weiter das ihrem Leben alles, was es bedarf, damit dieses Ziel entfernt, desto leichter fällt es, die rosarote stattfinden kann. Dabei ist die Verkündigung des Brille zu tragen, ein lokales Erdverbundensein zu irdischen Paradieses nicht neu. Manchmal wurde negieren und desto fragwürdiger bleibt doch der sie allerdings ins Innere verlegt. Der Pietist und ökologische Fußabdruck. Viele Gegenden verloren Spiritualist Gottfried Arnold (1666-1714) sprach gerade nach dem Einsetzen des Tourismus nach einst vom „rechten Paradies“ im Leben, das und nach ihr paradiesisches Antlitz. Was da ist, wird allerdings erst durch den Heiligen Geist in der zerstört, innen wie außen. Hier soll inneres und Seele entstehe.101 Wildwuchs duldete Arnold dort äußeres Paradising, die Suche nach Gemeinschaft nicht. Er ist der Überzeugung, der Seelengarten sei des Einzelnen mit und in der Welt, deren Paradiese von Unkraut und Disteln zu säubern, so dass dort unser einziger Lebensraum sind, helfen. nur noch die herrlichsten Gewächse ihre Heimat hätten.102 Das Gewissen, ein göttliches Sprachrohr, An der Diesseitigkeit und konkreten Lokalität des war für ihn dabei der allerbeste Gartenrechen und Paradieses festzuhalten,110 bedeutet nicht den Unkrautstecher.103 Der mystisch-theosophische transzendenten Charakter des Paradieses in Frage Schriftsteller Valentin Weigel (1533-1588) ging zu stellen, den es weiterhin für die Zielvorstellung sogar so weit, die Gläubigen selbst als ein Paradies braucht. In seiner bekannt gewordenen Gottes zu bezeichnen.104 Schön wäre es ja! „Also ist Aufsatzsammlung „Religion und Alltag“ versteht das Paradies oder Christus oder das Reich Gottes der evangelische Theologe Henning Luther nicht außerhalb, sondern in uns.“105 Das Paradies religiöse Texte als eine Möglichkeit auf Distanz zur innerhalb und außerhalb des eigenen Selbst zu vorfindlichen Welt zu gehen. Aussagen über den suchen, könnte auch ein heilsamer Aspekt von Garten Eden bzw. das Paradies seien Befragungen Paradising sein. der vorfindlichen Welt. Sie seien wahr und illusionär zugleich. Wahr sei ihre Aussicht auf eine Man könnte Kilian Jörg folgen, wenn er schreibt: andere Welt, illusionär, wo sie leugne, dass dieses „Genieße deine Abhängigkeit von der konkreten Wahre die Wahrheit eines Versprechens sei.111 Das Umwelt um dich herum. Mach dich schwer deckt sich damit, dass sich Paradiesvorstellungen und verletzlich und beobachte, wer oder was in allen Kulturen finden lassen. Die in ihnen dich auffängt oder hält“.106 Dabei unterscheidet enthaltenen Versprechen stehen dafür, sich nicht er zwei Arten des meditativen Erlebens. Die mit den vorfindlichen Begebenheiten zufrieden zu Waldwerden-Meditation besagt: „Gehe einen geben, sondern den Blick in die Zukunft gerichtet Monat lang jede Woche einmal in den Wald. […] zu halten. Erkennst du die Bäume, den Boden, die Luft, den Seite 23 24 Seite
Eine erste Phase des Schaffens liegt immer Schonungslosigkeit einer aktuellen, historischen darin, die Vorstellung auszumalen, ein Bild, Situation offen und auch ihr Potenzial. Manemann ein Wort und einen Ton zu kreieren, die das meint daher: „Apokalyptik schafft Raum für Self- Ziel beschreiben. Im Alten Testament wird die Empowerment, durch das wir in die Lage versetzt mentale erste Phase der zu erreichenden Utopie werden, endlich das Menschenmögliche zu tun.“120 als Friedenreich in Jesaja gezeichnet. Wir sollten diese Vorstellungen wieder beleben und neu Mit Paradising wollen wir Vorstellungen von einer füllen. Auch die neutestamentliche Verkündigung Welt, die soziale und ökologische Paradiese bietet, baut darauf auf, denn „Jesus war Alttestamentler”, zurückzugewinnen und neue erarbeiten. Diese konstatiert Herbert Klement.116 Jürgen Manemann Bilder sind für uns die mentale Voraussetzung ergänzt: „Jesus selbst war Apokalyptiker.”117 für ein zielgerichtetes Handeln. Es macht auch Manemann kritisiert mit Recht eine christliche Freude, sich unsere Vorstellungen, die Wildnis „Apokalypse-Vergessenheit“, die zwar unzählige der Welt, und eine Radikalität im Träumen für das Papiere erzeugt hat, aber kein Handeln, das den Mögliche zurückzuerobern. Paradising heißt somit Herausforderungen unserer Zeit gerecht würde, auch, Geschichten vom „guten Umgang mit der Welt“ zu erzählen. Dabei geht es nicht nur um die Paradiese entstehen hervorbrachte.118 „Ohne die Apokalyptik wissen wir nicht, was es heißt, Christ*in zu sein.”119 Entgegen Entstehung sogenannter ökologischer Paradiese, den utopischen Zielvorstellungen des Jesaja wohnt sondern auch sozialer Fantasien und ökonomischer der Mehrzahl biblischer Apokalyptik eine Düsternis Kreativität, die hier womöglich weniger ausgeführt inne, die den realen Prognosen im Anthropozän wurden.121 Wie kann es sein, dass ein Abschnitt zum Entstehen Paradising denkt das menschliche Eingreifen von Paradiesen mit Braunkohle beginnt? Nun ja, genauso wie das Sich-Zurückziehen. Das Motiv, gleichkommt. Gleichzeitig legt die „Enthüllung”, so Braunkohle war und ist immer noch einer der dass vieles wie ein kleines Korn ganz von alleine eine mögliche Übersetzung von Apokalyptik, die größten Energieträger in unserem Land. Ihr Abbau wächst, ist ein essentieller Bestandteil der führt zur Umgestaltung ganzer Landstriche wie Jesus-Verkündigung vom Reich Gottes. Die bspw. der Lausitz. Kohlebagger fraßen sich hier damit einhergehende Haltung des Empfangens durch die Landschaft, Dörfer wurden verlegt, fordert der Menschen- und Gottessohn an Menschen umgesiedelt, und wo einst Hügel und ganz verschiedenen Stellen ein. Wie die Lilien Wälder waren, entstanden nun tiefe Löcher. „Gott auf dem Felde (Mt 6,28f.) entsteht so manche schuf die Lausitz, und der Teufel gab die Kohle Schönheit von ganz allein. Auch verkündet Jesus dazu“ lautet ein sorbisches Sprichwort.112 Seit 1840 Christus, dass der Mensch mit all seinem Willen wurden 110 Quadratkilometer Kulturlandschaft im und all seiner Kraft oder auch mit seinem Geld Raum Lauchhammer - Finsterwalde abgebaggert nicht einen Grashalm, eine Ähre wachsen lassen und umgelagert. Was einst an eine künstliche kann. Die Natur macht es „von selbst“. Dennoch Mondlandschaft erinnerte, wird in der Ruhe nun sollten wir bei all unserem Handeln schon zur Chance für die Natur. Die biblischen Texte vorher über das zu Erwartende, das Entstehende wissen um den Zyklus der Natur, das Wachsen und nachdenken. „Schon am Anfang das Ende im Sinn Ruhenlassen. So gibt es den Sabbat als Abschluss haben”, so lautet ein Gedanke von Stephen R. der Schöpfung und die Idee vom Sabbatjahr, die Covey.114 Doch gleichermaßen trifft dies auf die dem Boden und der Natur Raum gibt für ihre eigene alttestamentliche und neutestamentliche Literatur Entwicklung.113 Aus dem ehemaligen Tagebau wird, und ihre Protagonisten zu. Ohne bereits im geschützt durch den Aufkauf zur Renaturierung, Anfang das Ziel vor Augen zu haben, ließe sich die ein Projekt des Naturschutzbundes, nach und neutestamentliche Lesung der alttestamentlichen nach wieder ein kleines, wenn auch anderes Messiasankündigungen und ihre Übertragung auf Naturparadies, das ohne viel Gärtnerei nun ganz Jesus nicht verstehen. Als Logos wohnt er bereits von allein entsteht. Es bietet vielen bedrohten dem Anfang inne und führt den Menschen ins Tier- und Pflanzenarten ideale Lebensräume. Reich Gottes. Auch Genesis wohnt ein „utopisches Wenngleich die vorherige Landschaft verloren Potenzial” inne,115 das Paradies vom Anfang und ist, entsteht doch etwas wiederum einzigartiges Ende, das dem Menschen gleichsam ein Ziel ist. Neues. Dann entstehen neue Paradiese, ohne dass der Mensch viel hinzutun muss. Seite 25
Sie können auch lesen