Pflegekongress 2018 Recht auf gute Pflege! Wege aus der Dauerkrise - Dokumentation Teil 1 - Der Paritätische
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Dokumentation Teil 1 Zusammenfassung, Plenum und Fachforum 1, 14. November 2018 Pflegekongress 2018 Recht auf gute Pflege! Wege aus der Dauerkrise. am 14./15. November 2018, Berlin
Die Dokumentation ist aufgrund des umfangreichen Materials in vier Teile aufgeteilt: Teil 1 beinhaltet die Einleitung und dokumentiert die Vorträge im Plenum und das Fachforum 1 am 14. November. Teil 2 befasst sich mit den Workshops am 14. November 2018. Teil 3 widmet sich dem Plenum und dem Fachforum 2 am 15. November. Teil 4 dokumentiert die Workshops und das Fachforum vonm 15. November Impressum Herausgeber Der Paritätische Gesamtverband Oranienburger Str. 13-14 10178 Berlin Tel.: 030 24636-0 Fax: 030 24636-110 info@paritaet.org www.paritaet.org Inhaltlich Verantwortlicher gemäß Presserecht: Ulrich Schneider Redaktion: Lisa Schmidt, Der Paritätische Gesamtverband, Berlin Gestaltung: Christine Maier, Der Paritätische Gesamtverband Bilder: Titel: pixabay, alle anderen © Der Paritätische Gesamtverband 1. Auflage, Januar 2019 Die Veranstaltung wurde: 2
„Ich will eine gute Pflege und dafür braucht es Zeit“ Die jüngsten Entwicklungen in der Pflege wurden im November 2018 mit rund 200 Teilnehmenden auf dem Paritätischen Pflegekongress diskutiert. Moderatorin Tamara Anthony, Prof. Dr. Rosenbrock Infomappe ARD-Hauptstadtstudio, Lisa Schmidt und Thorsten Mittag, Der Paritätische Gesamtverband Mit dem Motto: „Recht auf gute Pflege! Wege aus der Pflegekräfte, betonte Prof. Dr. Rosenbrock in seiner Er- Dauerkrise.“ hatte der Paritätische Gesamtverband am öffnungsrede und verwies auf den dringenden Hand- 14. und 15. November 2018 zu seinem Pflegekongress lungsbedarf: „Im Zentrum all unserer Kritik steht die Tat- geladen. An beiden Kongresstagen wurden anhand von sache, dass sich durch alle Pflegestärkungsgesetze die Fachvorträgen und Workshops aus Praxis, Wissenschaft finanzielle Situation der Pflegenden, der pflegenden und Politik der Stand der Umsetzung der jüngsten Ge- Einrichtungen und der Pflegebedürftigen kaum verbes- setzgebungen und Reformen sowie der weitere Hand- sert hat; dass es also wesentlich mehr Geld braucht, um lungsbedarf in der Altenhilfe und Pflege thematisiert. das menschenrechtlich begründete und gesellschafts- politisch hohe Versprechen einzulösen, dass würdige Bereits anlässlich des Anfang November 2018 verab- Pflege für alle Menschen bis zum Tod eine öffentliche schiedeten Pflegepersonal-Stärkungsgesetzes hatte Aufgabe ist.“ Die Veranstaltung hatte sich deshalb zum der Paritätische verdeutlicht, dass die Maßnahmen zur Ziel gesetzt, machbare Alternativen aufzuzeigen und ei- Verbesserung der Situation in der Altenpflege zu kurz nen Beitrag dazu zu leisten, dass sich die Kluft zwischen greifen und ein Konzept zur nachhaltigen Weiterent- diesem Anspruch und der Wirklichkeit verringert. wicklung der Rahmenbedingungen in der Altenpfle- ge, allen voran einen Gesamtplan zur Finanzierung der Für das Bundesministerium für Gesundheit skizzierte Dr. Pflege, vermissen lassen. Der Pflegenotstand ist zur Martin Schölkopf die Zielsetzung und Wirkung der ver- Dauerkrise geworden unter dem alle Beteiligten leiden, gangenen und anstehenden Pflegreformen. Dem folg- die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen sowie die te am ersten Kongresstag die Diskussion struktureller Prof. Dr. Rosenbrock Dr. Martin Schölkopf Blick ins Plenum 3
Thomas Kalwitzki Nadine-Michèle Szepan Achim Uhl Themen, wie die Neugestaltung der Pflegeversicherung einander abgestimmten, miteinander verzahnten Bera- sowie die Rolle der freien Wohlfahrtspflege in der kom- tungs-, Versorgungs- und Unterstützungslandschaft in munalen integrierten Sozialplanung. Eine machbare der Verantwortung der Kommunen zurück geblieben. Alternative zur Finanzierung der Pflege stellte Thomas Achim Uhl (Der Paritätische Baden-Württemberg) stellte Kalwitzki (Universität Bremen) aus der Studie „Alterna- in seinem Vortrag das Konzept der integrativen koope- tive Ausgestaltung der Pflegeversicherung“ vor. Bauli- rativen Sozialplanung vor, das eine ressortübergreifen- che Mängel der Pflegeversicherung könnten demnach de Vernetzung unterschiedlicher Fachbereiche und den durch den Abbau der Sektoren – ambulante und statio- Einbezug von Interessen- und Anspruchsgruppen am näre Pflege – sowie durch die Einführung einer Pflege- Planungsprozess vorsieht. Dass eine integrierte Sozial- vollversicherung zu mehr Verteilungsgerechtigkeit und planung, die sich an den Lebenswelten ältere Menschen der Realisierung innovativer Versorgungskonzepte füh- orientiert, funktionieren kann, berichtete Birgit Schaer, ren. Nadine-Michèle Szepan (AOK-Bundesverband), Sachgebietsleitung Altenhilfeplanung und -fachberatung legte den Fokus in ihrem Vortrag auf die Finanzierungs- des Landkreises Esslingen. Dort wurde in diesem Jahr ein zuständigkeit der medizinischen Behandlungspflege. Prozess angestoßen, der integrierte Sozialplanung mit Im Gegensatz zur Position des Paritätischen, die medi- einem kreisweiten Quartiersentwicklungsprozess ver- zinische Behandlungspflege komplett in die Finanzie- knüpfen und zur Gestaltung lokaler Altenhilfelandschaf- rungsverantwortung der gesetzlichen Krankenkassen ten führen soll. Die kreisangehörigen Kommunen werden zu legen, schlug Szepan vor, die Finanzierung in der dabei durch den Landkreis zum Beispiel darin unterstützt Pflegeversicherung analog den zusätzlichen Betreu- „Kümmerer“ zu qualifizieren und Beteiligungsverfahren ungskräften nach § 43b SGB XI zu regeln. in den Kommunen zu organisieren. Neben einer gelunge- nen Vernetzungs-, Koordinations- und Kommunikations- Mit dem dritten Pflegestärkungsgesetz wurde die Rolle arbeit, so Schaer, zählt auch das Sonderförderprogramm der Kommunen im Bereich der Pflege gestärkt. Dies er- zur Quartiersentwicklung des Ministeriums für Soziales folgte vor allem im Bereich der Beratung und ist damit und Integration Baden-Württemberg zu den Gelingens- hinter den Forderungen der Wohlfahrt nach einer auf- bedingungen des Vorhabens. Birgit Schaer Achim Uhl und Birgit Schaer diskutieren „Mensch du hast recht!” Kugelschreiber mit Tamara Anthony 4
Thomas Kalwitzki Dr. Tobias Viering Dr. Christiane Panka Weitere reformbedürftige Themen in der Altenpflege einheitliche Verfahren Korridore aufweisen und Substi- standen im Zentrum der Workshops und des Fachfo- tution im Sinne eines Professionenmixes ermöglichen. rums nach den Vorträgen im Plenum. In Kleingruppen diskutierten die Teilnehmenden zu den Fragen: Wie Einen weiteren Wendepunkt im Bereich der Pflege stellt können Pflegebedürftige Menschen in selbstverant- die neue Pflegeausbildung dar, nach der im Jahr 2020 worteten „neuen“ Wohnformen leben und gepflegt die Pflegeschulen Auszubildende zu Pflegefachfrauen werden? Welche Chancen und Herausforderungen und Pflegefachmännern qualifizieren. Gesonderte Ab- bringt die Digitalisierung und Technisierung in die schlüsse in der Altenpflege oder der Gesundheits- und stationäre und ambulante Altenpflege? Wie kann die Kinderkrankenpflege werden weiterhin möglich sein. Die Prävention und Gesundheitsförderung bei pflegebe- Umsetzung nannte Dr. Tobias Viering (Bundesministe- dürftigen Menschen noch stärker in den Pflegealltag rium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend) ein Groß- integriert werden? Wie kann gelungene offene Senio- projekt und skizzierte in seinem Vortrag die Ausbildungs- renarbeit aussehen und welche Wege können bei der abläufe, die Veränderungen für die Pflegeschulen und die Schnittstelle von Eingliederungshilfe und Pflege ge- Eckpunkte der Finanzierung. Eine geplante „Ausbildungs- gangen werden? offensive Pflege“, deren Konzept in einer der Arbeitsgrup- pen der Konzertierten Aktion Pflege erarbeitet wurde, soll Für eine gute Pflege braucht es viele Hände, die ge- die Umsetzung der Pflegeausbildungen begleiten. planten Maßnahmen der neuen Bundesregierung sind, nach Auffassung des Paritätischen, nicht ausreichend, Die vergangenen Entwicklungen in der Altenpflege, um den Pflegenotstand wirksam zu beheben. Mittel- wie die Maßnahmen zur Entbürokratisierung durch das fristig müssen deshalb 100.000 zusätzliche Pflegekräfte Strukturmodell und die Einführung des Pflegebedürf- gewonnen werden, um die Arbeitsverdichtung spür- tigkeitsbegriffs haben zu einer Steigerung der Fachlich- bar zu reduzieren. Zusätzliche Pflegekräfte können keit in der Pflege geführt, die das zum Teil in der Praxis nur durch verbesserte Arbeitsbedingungen und eine bereits gelebte Pflegeverständnis auch gesetzlich ver- bessere Bezahlung für den Beruf gewonnen werden. ankerten. Dr. Christiane Panka (Der Paritätische Berlin) Der zweite Kongresstag widmete sich deshalb vorran- stellte die Rahmenbedingungen vor, die zur Entwick- gig den Themen Personal und Ausbildung. Einblick in lung und Förderung der Fachlichkeit notwendig sind, die künftige Personalbemessung in der Langzeitpflege dazu gehören sowohl die Anpassung der Vertrags- gab Thomas Kalwitzki, der mit Prof. Heinz Rothgang grundlagen in den Ländern (Rahmenverträge, Vergü- (Universität Bremen und SOCIUM) derzeit den gesetz- tungssysteme, Personalschlüssel, Qualifikationsmix) als lichen Auftrag zur Entwicklung eines wissenschaftlich auch eine gezielte Nachwuchsförderung. Letztendlich, fundierten Verfahrens zur einheitlichen Bemessung des so Panka, zeige das Strukturmodell, dass sich die Wei- Personalbedarfs in Pflegeeinrichtungen, erarbeitet. Das terentwicklung der Pflegefachlichkeit lohnt und davon Verfahren hält demnach viele Chancen bereit: regio- alle profitieren: Pflegekräfte, Pflegebedürftige, ihre An- nale Unterschiede in der Personalausstattung könnten und Zugehörigen sowie die Pflegeeinrichtungen. abgebaut, eine ausreichende Mindestpersonalausstat- tung sichergestellt werden. Anstatt punktgenauen Wer- Gelegenheit für Diskussionen und einen intensiven ten, wie etwa bei der Fachkraftquote, könnte das neue Austausch zu den Schwerpunkten des zweiten Kon- 5
Diskussionsrunde mit Joachim Hagelskamp, Moderatorin Tamara Anthony, Prof. Dr. Frank Schulz-Nieswandt Staatssekretär Andreas Westerfellhaus Prof. Dr. Frank Schulz-Nieswandt und Jens Kaffenberger gresstages gaben die vertiefenden Workshops zum der pflegenden Angehörigen verstärkt in den Blick Personalmanagement, der Umsetzung des „neuen“ zu nehmen, indem beispielsweise die Leistung zur Pflegebedürftigkeitsbegriffs in der Praxis, zu Umset- Kurzzeitpflege im kommenden Jahr verbessert zungsfragen der neuen Pflegeausbildung sowie das werden sollen. Nicht alles, was aktuell notwendig und Fachforum zu dem neuen Verfahren zur Qualitätsbe- wünschenswert ist, kann sofort umgesetzt werden, urteilung in stationären Einrichtungen der Langzeit- aber der rote Faden ist da und mit dem Pflegepersonal- pflege. Stärkungsgesetz (PpSG) wurde ein Startpunkt gesetzt. Joachim Hagelskamp, Bereichsleiter für Gesundheit, In seiner Keynote referierte Prof. Dr. Frank Schulz-Nies- Teilhabe und Dienstleistungen beim Paritätischen Ge- wandt (Universität zu Köln, Kuratorium Deutsche Al- samtverband, stellte eindringlich fest, dass es in der tershilfe) zum Gestaltwandel der Pflege als Teil der Pflegeversicherung nicht mehr mit Stückwerk getan Sozialpolitik als Teil der Gesellschaftspolitik und lud ist, sondern der ganze Motor gewechselt werden muss. die Zuhörenden ein, die Pflege vor dem Hintergrund der Megatrends, wie dem demographischen und epi- Die Beiträge und Diskussionen auf dem Kongress zeig- demiologischen Wandel, dem siedlungsstrukturellen ten unverkennbar, dass die angeschobenen Verbesse- und auch dem digitalen Wandel, der Globalisierung rungen noch längst nicht durchgängig den Weg in die und dem Sozialstrukturwandel, auf der Makroebene Praxis gefunden haben und deren Umsetzung teilwei- zu betrachten. Aufgabe sei es, aus dem Konstrukt der se durch strukturelle, finanzielle oder personelle Eng- Lebensqualität heraus, in dem jeder Mensch als Teil des pässe erschwert werden. Die Rahmenbedingungen für Gemeinwesens wahrgenommen wird, einen gelingen- die Altenpflege nachhaltig weiterzuentwickeln, wird den Wachstumsprozess im Älterwerden zu gestalten. die Hauptaufgabe der kommenden Jahre bleiben. Da- Als wichtigsten Grundsatz stellte Schulz-Nieswandt bei spielt die Neuordnung der Finanzierung der Pflege dabei die Schaffung flächendeckender, dezentraler eine grundlegende Rolle. Davon wird es auch abhän- und lokaler Angebote im Sinne von lokal sorgenden gen, ob die Arbeitsbedingungen im geeigneten Um- Gemeinschaften heraus. Auf der institutionellen Ebene fang verbessert werden können. Die auf dem Kongress würde dies unter anderem eine Reform des SGB XI hin präsentierten Überlegungen zur Neustrukturierung zu einer echten Teilkaskoabsicherung bedeuten. der Pflegeversicherung bildeten damit den Anstoß zu einer breiten Diskussion und weiteren Vertiefung der Auch in der sich anschließenden Diskussionsrunde Thematik. stand die Frage nach der Zukunft der Pflegeversiche- rung im Mittelpunkt. Jens Kaffenberger (Sozialver- band VdK Deutschland) stellte die Reformnotwendig- keit der Pflegeversicherung heraus und betonte die Lisa Schmidt, Thorsten Mittag, sich sonst verschärfende finanzielle Situation für Pfle- Referat Altenhilfe und Pflege, gebedürftige und ihre Angehörigen. Auch der Pflege- Der Paritätische Gesamtverband, Berlin bevollmächtigte der Bundesregierung, Staatssekretär Andreas Westerfellhaus kündigte an, die Bedürfnisse 6
Dokumentation Mittwoch, 14. November 2018 Plenum Begrüßung und Einführung Prof. Dr. Rolf Rosenbrock, Vorsitzender, Der Paritätische Gesamtverband >> Link zur Rede, Seite 8 > Link zur Präsentation, Seite 14 > Link zur Präsentation, Seite 22 > Link zur Präsentation, Seite 32 > Link zur Präsentation, Seite 40 > Link zur Präsentation, Seite 53 > Link zur Präsentation, Seite 63 > Link zur Präsentation, Seite 71
Begrüßung und Einführung Prof. Dr. Rolf Rosenbrock, Vorsitzender, Der Paritätische Gesamtverband Mit den Pflegestärkungsgesetzen (PSG) I – III und dem Im Zentrum all unserer Kritik steht die Tatsache, dass Pflegeberufegesetz sind in den Jahren 2015, 2016 und sich durch alle Pflegestärkungsgesetze die finanzielle 2017 eine Reihe von Gesetzen mit großem Anspruch Situation der Pflegenden, der pflegenden Einrichtun- verabschiedet worden. Die Leistungsbeträge sind zum gen und der Pflegebedürftigen kaum verbessert hat, Teil erheblich angehoben und die Leistungen und die dass es also wesentlich mehr Geld braucht, um das Inanspruchnahme sind ein gutes Stück erweitert und menschenrechtlich begründete und gesellschaftspoli- flexibilisiert worden. Insbesondere wurde mit den Ge- tisch hohe Versprechen einzulösen, dass würdige Pfle- setzen Schritt für Schritt ein neues Konzept der Pflege- ge für alle Menschen bis zum Tod eine öffentliche Auf- bedürftigkeitsbegriff und damit auch der Pflege einge- gabe ist. Erst wenn wir über mehr Finanzen verfügen, führt. Die Pflege soll sich nun stärker als bisher auf die können wir auch mehr Personal finden und einstellen. Förderung der Fähigkeiten zum Erhalt der Selbststän- Und erst dann sind auch auf den anderen Reformbau- digkeit und die Verbesserung der Selbstpflegekompe- stellen wesentliche Fortschritte zu erzielen. Wir glau- tenzen ausrichten. Zudem ist das neue Pflegeverständ- ben, dass das möglich ist, wir arbeiten daran, und dem nis deutlich teilhabeorientierter und die pflegerischen soll auch unser diesjähriger Pflegekongress dienen. Problemlösungen sollen die gesamte Lebenswelt ein- Mehr Geld, das klingt weder modern noch originell, beziehen. Auch werden kognitiv eingeschränkte Men- aber manchmal ist die Wahrheit altbacken und nahezu schen besser einbezogen. Damit kommt die Jahrhun- trivial. dertinnovation der sozialen Arbeit nun auch offiziell in der Pflege an: der Wandel von der paternalistischen Der Paritätische Gesamtverband hatte bereits im Ge- Fürsorge hin zur Unterstützung der Selbstbestimmung. setzgebungsverfahren zum PSG II darauf hingewiesen, dass im Zuge der besseren Versorgung von Personen Mit diesen Reformen wurde auch der Beitragssatz ins- mit eingeschränkter Alltagskompetenz alleine mindes- gesamt um 0,55 Prozentpunkte angehoben, was circa tens 30.000 zusätzliche Pflegekräfte in Pflegeheimen sechs Milliarden € mehr pro Jahr in die Pflegekassen zum Einsatz kommen müssten2. Dabei wäre es noch bringt.1 Die Erwartungen sind entsprechend groß: nicht einmal um die eigentliche Anhebung der Per- Alle Pflegebedürftigen sollen eine bessere Versorgung sonalschlüssel gegangen, die für eine dem Stand des erhalten, niemand sollte im Zuge der Änderungen Wissens entsprechende Versorgung immer noch abso- schlechter gestellt werden. Dies ist das politische Ge- lut notwendig ist. Lediglich die auch von uns begrüß- neralversprechen. Und mit dem PSG III wurde sogar – te Verpflichtung der Pflegeheime, zusätzliche Betreu- endlich – die Refinanzierung „tarifähnlicher“ Bezahlung ungskräfte nach § 87b SGB XI3 grundsätzlich für alle von Pflegekräften durch die SPV eingeführt. Heimbewohner vorzuhalten, stellt eine wichtige Ent- lastung dar. Da diese Kräfte aber nicht für die reguläre Lauter Entwicklungen also, die auch vom Paritätischen Pflege eingesetzt und auch nicht mit Fachkräften ver- immer wieder gefordert wurden, lauter gute Nachrich- wechselt werden dürfen, lässt sich mit ihnen das neue ten also. Trotzdem redet der Paritätische in seinen Stel- Pflegeverständnis auch kaum umsetzen. lungnahmen immer wieder von Stückwerk, von sym- bolischer Politik, von dringendem Handlungsbedarf. Ist Die Einführung des neuen Konzepts der Pflegebedürf- es vielleicht so, dass wir gar nicht zufrieden sein kön- tigkeit und der Pflege ist ein zivilisatorischer Meilen- nen oder wollen? Ich möchte zeigen, dass das nicht so stein, ändert aber nichts am Pflegenotstand. Er vergrö- ist, dass unsere Kritik berechtigt ist und dass es mach- ßert derzeit allenfalls die Kluft zwischen Anspruch und bare Alternativen gibt. 2 Siehe Paritätischer Gesamtverband: „Personalschlüssel in Pflegehei- men: Paritätischer warnt vor prekärer Versorgungslage und fordert 30.000 zusätzliche Pflegekräfte“, Pressemeldung vom 12.11.2015. 1 Jüngst wurde eine weitere Anhebung des Beitragssatzes zur Pflegever- 3 Zusätzliche Betreuungskräfte werden durch die Pflegekassen zusätzlich sicherung zum 01.01.2019 um 0,5 Prozentpunkte angekündigt. Die letzte finanziert und gehen finanziell nicht zu Lasten des Heimbewohners. Mittler- bis zum Jahre 2022 festgeschriebene Erhöhung reicht jetzt schon nicht weile werden insgesamt 60000 zusätzliche Betreuungskräfte in Pflegeheimen mehr aus und die nächste Erhöhung dient lediglich der „Stabilisierung“. tätig sein. Damit hat sich die Anzahl seit Umsetzung des PSG II verdoppelt. 8
Wirklichkeit. Wir sehen nicht, wie das neue Pflegever- ab. DeStatis ist da eindeutig. Es gibt vier Quellen, um ständnis unter den geltenden Rahmenbedingungen das Erwerbspersonenpotenzial zu erhöhen: Gewinnung richtig umgesetzt werden kann. Und zwar vor allem zusätzlicher InteressentInnen durch verbesserte Arbeits- deshalb nicht, weil die Reformen nicht zu einer nach- bedingungen und bessere Bezahlung, Verlängerung des haltigen Personalsteigerung in den Heimen führen Verbleibs im Beruf durch bedürfnisgerechte Arbeitsor- konnte. Außerdem gilt: in der SPV, die ihrer Anlage ganisation, Erleichterung des Wiedereinstiegs nach der nach eine Teilleistungsversicherung, also keine Teilkas- salopp so genannten Kinderpause und Gewinnung von koversicherung ist, gehen alle Verbesserungen zu Las- Auszubildenden bzw. BewerberInnen aus dem Ausland. ten der Betroffenen. Ich komme darauf zurück. Die geplanten Maßnahmen der neuen Bundesregie- Es vergeht keine Woche, in der nicht ein Fachverband, rung sind nicht ausreichend, um den Pflegenotstand ein Politiker, ein Patientenvertreter oder eine Einrich- wirksam zu beheben. Es muss ein stimmiger Plan auf- tung neben mehr Personal eine bessere Bezahlung der gestellt werden, mit dem mittelfristig 100.000 zusätz- Pflegekräfte fordert. Dabei sind nach einer aktuellen Stu- liche Pflegekräfte gewonnen werden können. Dazu die des Institutes für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung gehören u.a. auch bessere Arbeitsbedingungen, eine (IAB) und der Bundesagentur für Arbeit (BA) die Löhne in bessere Bezahlung der Pflegekräfte und mehr Zeit für der Altenpflege in jüngster Zeit sogar überdurchschnitt- Pflege, Betreuung und Gespräche – also eine Arbeits- lich gestiegen, der Verbesserungsbedarf ist aber wei- entdichtung. Für die Pflegebedürftigen muss es gut terhin sehr hoch5. Während eine Altenpflegefachkraft ausgeschilderte und miteinander verknüpfte Leistun- durchschnittlich 2621 € Brutto verdient, sind es bei Kran- gen der Gesundheitsförderung, Aktivierung und der kenpflegefachkräften durchschnittlich: 3239 € Brutto – komplementären Leistungen (z.B. Tagespflege) geben. also immer noch fast 25 % mehr. Es wird nicht einfach Erst wenn dies alles gegeben ist, kann auch das neue werden, aber die Tarifverträge, die gem. Koalitionsver- Pflegeverständnis richtig umgesetzt werden. Die Krux trag flächendeckend in der Altenpflege zur Anwendung dabei ist, dass diese Verbesserungen nicht zu Lasten kommen sollen, müssen sich diesem Unterschied stel- der Pflegebedürftigen gehen dürfen und das kostet len – zum Wohle aller. Bis die Unterschiede irgendwann Geld aus den Pflegekassen. durch die neue und gemeinsame Ausbildung des Pfle- geberufs aufgehoben werden, ist es zu spät. Mit 13.000 zusätzlichen Fachkraftstellen für die medizi- nische Behandlungspflege in Pflegeheimen, die aus den Gleichzeitig wird es für die Betroffenen auch ohne die Mitteln der Krankenversicherung finanziert werden sol- hehren Forderungen nach mehr Personal und besserer len, will die neue Bundesregierung zu Beginn der Legis- Bezahlung immer schwieriger, eine bedürfnisorientierte latur ein Zeichen setzen: Wir kümmern uns und haben und bedarfsgerechte Pflege aus den Teilleistungen der verstanden – mehr Personal, dafür keine Zusatzkosten Pflegeversicherung und aus Direktzahlungen finanziell für die Versicherten und die Pflegekassen. Angesichts sicherzustellen. D.h., der Zugang zu einer selbstbestimm- der Tatsache, dass der Personalmangel und dass die Kos- ten umfassenden guten pflegerischen Versorgung ist ten zum Hauptproblem geworden sind, ist aber dabei maßgeblich abhängig vom Einkommen und Vermögen niemandem zum Jubeln zumute. Denn es gibt auch die der Pflegebedürftigen und Angehörigen. Der relative andere Seite: Derzeit sind 17.000 Stellen in Pflegehei- Anteil der Direktzahlungen an den rein pflegebedingten men und 21.000 Stellen in Ambulanten Pflegediensten Aufwendungen in vollstationären Einrichtungen ist in unbesetzt. Die Arbeitsbelastung steigt immer weiter an. den letzten Jahren kontinuierlich stark gestiegen: in PS Über 50 % der Pflegekräfte geben an, dass die Arbeits- 1 von 1999 bis 2013 um 16 % auf 28%, in PS 2 um 21 %, verdichtung und der Druck in allen Bereichen seit 2015 nämlich von 11 % auf 32 %, in PS 3 um 7 % von auch nochmal zugenommen haben4. Das sind genau die Jah- schon beachtlichen 28 % auf nunmehr 35 %. re der großen Pflegegesetze, die eigentlich Entlastung bringen sollten. Es herrscht also Fachkraftmangel und Der Deckungsgrad der Pflegeversicherungsleistungen das Erwerbspersonenpotential im Gesundheits- und hat also stark abgenommen. Das Bild würde noch dra- Sozialbereich nimmt ceteris paribus ab 2020 drastisch 5 Siehe Institutes für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB): Entgelte 4 Siehe Deutsches Institut für angewandte Pflegeforschung (DIP): Pfle- von Pflegekräften – weiterhin große Unterschiede zwischen Berufen und ge-Thermometer 2018 Regionen, 2018. 9
matischer ausfallen, wenn es eine den Notwendigkei- wird ergänzend Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII ge- ten entsprechende Erhöhung bei den Personalschlüs- leistet. Für den ambulanten Bereich bedeutet dies eine seln gegeben hätte und wenn die Entwicklung der Veränderung der Finanzierungslogik, weil immer Ei- Löhne in den letzten 20 Jahren mit der Preisentwick- genanteile anfallen würden und nicht erst dann, wenn lung Schritt gehalten hätte. Der Mittelwert der Selbst- die Sachleistungen ausgeschöpft sind. Der Eigenanteil zahlungen von Pflegeheimbewohnern liegt laut Bar- vermindert sich oder soll komplett wegfallen, wenn mer-BEK-Pflegereport 2012 mittlerweile bei deutlich Angehörige weiterhin Pflege und Betreuung sicher- über 50 % der Gesamtkosten6. stellen. Dies würde im ambulanten Bereich ein völlig neues Zusammenspiel aus familialer und professionel- Wer die Mittel nicht selber aufbringen kann, muss auf ler Pflege ermöglichen, welches sich eher am Bedarf Sozialhilfe im Sinne der Hilfe zur Pflege nach dem SGB und weniger an einer fixen Geld- oder Sachleistungs- XII zurückgreifen. Auf diese subsidiären Mittel ist be- höhe orientiert. Das Prinzip wäre auch im vollstationä- reits heute jeder Sechste, der Pflege erhält, angewie- ren Bereich denkbar. Insgesamt würden damit Grenzen sen. Pflege stellt also zunehmend ein Armutsrisiko dar7. zwischen ambulant und stationär aufgebrochen, Über- gänge erleichtert. Die Möglichkeiten der Tages- und Kurzzeitpflege könnten und sollten dabei weiterhin 1. Finanzierung in gewissem Umfang neben der „ambulanten“ Ver- sorgung erhalten bleiben. Ebenso sollte es weiterhin Die Belastung der Pflegebedürftigen muss also deut- möglich sein, ausschließlich Pflegegeld zu beziehen. lich und sie muss schnell gesenkt werden. Sie muss Der Einzug eines Deckungsgrades von 85% wäre auch solidarisch, zukunftsfest und gerecht gestaltet werden. finanzierbar, wie mehrere im Kern unstrittige Gutach- Aus unserer Sicht ist deshalb der Ausbau der Pflegever- ten von Heinz Rothgang u.a. gezeigt haben. Rothgang sicherung zu einer solidarischen Bürgerversicherung hat jüngst die Beitragssatzeffekte und Verteilungswir- unumgänglich, unter Einbeziehung aller Einkommens- kungen der Einführung einer „solidarischen Gesund- arten und unter Einbeziehung der Beamten und der heits- und Pflegeversicherung“ erforscht und kommt Selbständigen. Zudem wäre eine Anhebung der Bei- zum Ergebnis, dass es sogar zu einer Reduktion der tragsbemessungsgrenze auf das Niveau der Beitragsbe- Beitragssätze käme, wenn alle Einkommensarten bei messungsgrenze in der Gesetzlichen Rentenversiche- der Beitragsbemessung berücksichtigt würden. Eine so rung möglich und angemessen. Das wäre die Abkehr finanzierte Solidarische Pflegeversicherung würde so- von der bestehenden, lohneinkommensfixierten und gar Spielräume für Leistungsausweitungen eröffnen8. deshalb konjunkturabhängigen Beitragsbemessung Wenn man nicht den Weg der Rentenversicherung mit und eine Orientierung an der einkommenssteuerlichen ihren hohen und wachsenden Steueranteilen gehen Leistungsfähigkeit: Damit würde dem wachsenden will, ist der Übergang der SPV in eine echte Bürgerver- Stellenwert zusätzlicher Einkommensquellen neben sicherung in unserer Sicht der einzig gangbare Weg, Lohn und Rente und damit dem real stattfindenden um die enorme menschenrechtliche und gesellschaft- Wandel in der Arbeitswelt Rechnung getragen. Auf die- liche Herausforderung der Pflege in einer Gesellschaft se Weise wird die Pflegefinanzierung auf eine breitere des längeren Lebens zu bewältigen. Diese Herausfor- und gleichzeitig stabilere Basis gestellt. Das generiert derung bleibt auch dann gewaltig, wenn es gelingt, die dringend benötigten Mehreinnahmen und durch durch eine gesellschaftsweite Strategie der Gesund- diesen Schritt wird der solidarische Charakter der so- heitsförderung die Anzahl der Pflegebedürftigen, ins- zialen Pflegeversicherung zusätzlich betont. besondere bei sozial Benachteiligten, substanziell zu senken. Nur zur Erinnerung: jedes Jahr CoM bedeutet Die Pflegeversicherung soll nach Auffassung des Pa- 400.000 Pflegebedürftige weniger. Aber das ist eine an- ritätischen grundsätzlich 85% der Kosten für pfle- dere Baustelle, auf der kaum weniger Handlungsbedarf gebedingte Aufwände – ambulant und stationär – besteht als in der Pflege. In der Perspektive würde die übernehmen, so dass die Eigenanteilsquote in allen 8 Siehe Rothgang: Beitragssatzeffekte und Verteilungswirkungen der Pflegegraden 15 % beträgt. Je nach Einkommensstärke Einführung einer „solidarischen Gesundheits- und Pflegeversicherung“, 2017. Der gleiche Autor kommt in einer weiteren Studie für die Initiative 6 Siehe BARMER-GEK Pflegereport 2012. Pro Pflegereform zum Ergebnis, dass selbst eine Vollversicherung mit einer 7 Betrachtet man nur die Pflegeheimbewohner, sind dort 30 % auf Hilfe Erhöhung von 0,7 Prozentpunkten Beitragssatz möglich wäre (Rothgang: zur Pflege aus der Sozialhilfe angewiesen. Quelle: https://www.destatis.de/ „Alternative Ausgestaltung der Pflegeversicherung, Abbau von Sektoren- DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Gesundheit/Pflege/Pflege.html grenzen und bedarfsgerechte Leistungsstruktur“, 2017). 10
Pflegeversicherung als Bürgerversicherung den Über- wie es jetzt mit dem Pflegepersonal-Stärkungs-Gesetz gang von der Teilleistungsversicherung zu einer ech- (PpSG) beabsichtigt ist. ten Teilkaskoversicherung, je nach Ausgestaltung auch Vollversicherung bedeuten. Das wäre zugleich ein so- Für den Anfang könnte die Bundesregierung deut- lides Fundament, um auch die anderen Probleme der lich größere Maßnahmen mit ihrem Sofortprogramm Pflege zu lösen. Die Begrenzung auf einen Eigenanteil zur Verbesserung der Personalschlüssel ermöglichen, von 15 % ist in diesem Sinne eine Übergangslösung, wenn sie auf Mittel aus dem von uns stets kritisierten um schnell die Direktzahlungen zu begrenzen, Das Pflegevorsorgefonds zurückgreift, der mittlerweile ein würde nebenbei auch die Kommunen entlasten. angespartes Fondvolumen von über 3,7 Mrd. € auf- weist und im Falle einer Bürgerversicherung ohnehin Ein weiterer Zwischenschritt in dieser Richtung ist die obsolet würde. Übernahme der Finanzierung der Behandlungspflege in stationären Einrichtungen durch die Krankenkassen. Die “Konzertierte Aktion Pflege“ der Bundesregierung Rund 70% der Pflegebedürftigen im Heim sind auf Leis- muss darüber hinaus die vorhandenen unterschiedli- tungen der Behandlungspflege angewiesen. Schät- chen Möglichkeiten aufgreifen, die kurz und langfristig zungsweise wird dabei ein Betrag von rd. 3 Mrd. € für helfen können, dem Fachkraftmangel zu begegnen: Behandlungspflege durch die Pflegeversicherung und die Heimbewohner, statt durch die Krankenversiche- • Entzerrung der Arbeitsverdichtung. Es muss wieder rungen getragen9. Das ist ein Vielfaches dessen, was mehr Zeit für Pflege, Betreuung und Gespräche vor- die 13.000 Stellen kosten. handen sein. Zudem muss es eine verbindliche Übernahme der In- • Vollzeitstellen müssen die Regel, Teilzeitstellen die vestitionskosten durch die Länder geben. Mit Einfüh- Ausnahme sein, auch wenn das die Versorgungs- rung der Pflegeversicherung haben die Länder das planung vor neue Herausforderungen stellt. Versprechen abgegeben, dass sie im Gegenzug zur Entlastung bei der Sozialhilfe, die Investitionskosten • Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Be- der Einrichtungen finanzieren. Dieses Versprechen ist ruf. Hierzu wird es mit dem Sofortprogramm, dem nicht eingehalten worden, ganz ähnlich wie im Kran- PpSG, Fördermittel geben, doch ist abzuwarten, kenhausbereich. Würde es endlich umgesetzt, erhiel- wie diese tatsächlich ausgestaltet werden. ten die Länder ihrerseits dadurch Instrumente zur Ent- wicklung und Steuerung der Versorgungsstrukturen. • Ausbildungs- und Qualifizierungsoffensive: Das Schulgeld in der Pflegeausbildung muss sofort bundesweit abgeschafft werden, also echt jetzt. 2. Bessere Arbeitsbedingungen für mehr und Für das Gelingen der Umsetzung des Pflegeberu- besser bezahltes Pflegepersonal fereformgesetzes ist eine Anschubfinanzierung der Schulen erforderlich und die Arbeitsleistung Nur mit verbesserten Arbeitsbedingungen in der Pfle- der PflegeschülerInnen darf nicht angerechnet ge kann es gelingen, den Pflegenotstand abzuwenden. werden. Auch hierzu sieht die Bundesregierung in Dazu zählt – das ist trivial, muss aber immer wieder ihrem Sofortprogramm eine zeitlich befristete Aus- gesagt werden - eine nachhaltige Personalsteigerung, nahmeregelung vor. Es muss aber dauerhaft und und das kostet richtig Geld. Ohne eine angemessene für alle drei Lehrjahre gelten. Für die im Pflegebe- Vergütung nach tariflichen oder tarifähnlichen Be- rufegesetz vorbildlich verankerten vertikale und dingungen wird das angesichts des Arbeitsmarktes horizontale Durchlässigkeit müssen Fördermittel nicht gehen, auch der Koalitionsvertrag enthält ent- zur gezielten Umschulung und Weiterbildung be- sprechende Aussagen. Es muss allerdings sicherge- reitgestellt werden. stellt sein, dass dies nicht nur in der Stationären Pflege, sondern auch für die Häusliche Krankenpflege gilt, so • Betriebliche Gesundheitsförderung: Zur Stärkung der Verweildauer der Beschäftigten und zur Stei- 9 Siehe Leopold, David: „Medizinische Behandlungspflege Erhebung des Bedarfs beim Übergang in die stationäre Altenpflege“, Forschungsbericht gerung der Berufszufriedenheit braucht es mehr des Verbandes der Katholischen Altenhilfe Deutschland (VKAD), 2017. als Rückenschulen, Yoga und Stressbewältigungs- 11
training. Zielführend ist es, mit Gesundheitszir- • Es ist sicherlich ein richtiges und gutes Zeichen, keln und anderen partizipativen Methoden den dass mit dem Sofortprogramm eine Ko-Finanzie- Pflegenden selbst die Möglichkeit zu geben, ihre rung digitaler Anwendungen zur Entlastung der Lebenswelt ‚Pflegeheim‘ auch nach ihren Bedürf- Pflegekräfte bereitgestellt wird. Es bedarf aber ins- nissen zu gestalten – also auf bewährte Methoden gesamt einer gemeinsamen Strategie für eine gute der Verhältnisprävention zurückzugreifen, wie sie Digitalisierung in der Pflege. Unsere Hoffnung ist, auch das PrävG intendiert. Ich bin nicht sicher, ob dass die Konzertierte Aktion sich auch dieser Auf- die im Sofortprogramm der Bundesregierung be- gabe annimmt. nannten Schritte nicht doch weder bei den ach so beliebten, aber eben nicht nachhaltig wirkenden • Auch die Anwerbung von Pflegekräften aus Dritt- Gesundheitskursen bleiben. staaten ist unter Einhaltung ethischer Grundwerte sinnvoll und sie wird genauso Thema der Konzer- • Managementoffensive: Heim- und Pflegedienstlei- tierten Aktion. In der FW gibt es dazu viel Expertise, tungen sollen ihre Möglichkeiten in der Mitarbei- die zu nutzen wäre. terführung und Personalentwicklung ausüben und vertiefen können. Hierfür sind mehr Ressourcen – auch zum Erwerb weiterer Qualifizierungen – not- 3. Pflegende Angehörige unterstützen wendig. Angehörige und vergleichbar Nahestehende leisten • Fachlichkeit der Pflegenden fördern: Im Vorgriff auf einen wesentlichen Beitrag bei der Pflege und Betreu- das Pflegeberufegesetz braucht es Ressourcen zur ung pflegebedürftiger Menschen. Immer noch werden Umsetzung des neuen Pflegeverständnisses. Der ca. 60 % der Pflegeleistungen im familialen Kontext Pflegeberuf muss endlich auch in der Praxis als voll- erbracht. Nur durch den tagtäglichen Einsatz dieser wertiger Heilberuf anerkannt und behandelt wer- Menschen ist es möglich, dass der Wunsch der meisten den, einschließlich der Übertragung von ärztlichen pflegebedürftigen Menschen, trotz der persönlichen Tätigkeiten. Pflege ist kein medizinischer Assistenz- Einschränkungen weiter zu Hause leben zu können, beruf, das sagt der G-BA, aber in der Praxis muss erfüllbar ist. Pflegende Angehörige bedürfen besserer es sich noch herumsprechen. Dazu braucht es den fördernder und unterstützender Rahmenbedingun- fachlich nicht bezweifelten Anteil von mindestens gen, um den sich aus der Pflegesituation ergebenden 10% akademisch ausgebildeter Pflegefachkräfte, Belastungen gewachsen zu sein. Aus Sicht des Paritäti- auch um hier nicht völlig den Anschluss an die uns schen ist es deshalb u. a. erforderlich individuelle und umgebenden Länder zu verlieren. Das alles schafft unabhängige Beratungsleistungen flächendeckend si- Luft für andere und bessere Organisationsmodelle. cherzustellen. Der Leistungsberechtigte muss sich den Anbieter der Beratungsleistung aussuchen und bei Be- • Entbürokratisierung und Digitalisierung – auch so darf auch jeweils noch eine andere Perspektive, eine eine Dauerbaustellung mit viel Ankündigung und Zweitmeinung, einholen können z. B. mit einem Gut- weniger Umsetzung. Der ehemalige Ein-STEP-Len- scheinsystem. Trotz der Vorschrift in § 7a SGB XI wissen kungsausschusses hat hier einige Zeichen ge- viele Pflegeversicherte nicht, wie sie an gute und un- setzt, Machbar und nötig erscheinen etwa: Paral- abhängige Information und Beratung herankommen. lele Prüfverfahren vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen/dem Prüfdienst der PKV und den Zudem muss es flexiblere Möglichkeiten der Inan- Heimaufsichten; Vereinfachung der Verordnungs-, spruchnahme von Entlastungsangeboten geben, Bewilligungs- und Abrechnungsverfahren in der wie etwa der Verhinderungs- und Kurzzeitpflege Häuslichen Krankenpflege und bei der Vertrags- sowie der Tagespflege. Hier sieht der Koalitionsver- gestaltung und Verfahren im Kontext der Hilfsmit- trag ein jährliches Entlastungsbudget vor, wie vom tel gemäß SGB V, elastische Gestaltung der Inan- Paritätischen ursprünglich gefordert. Ob es reicht, wird spruchnahme und Finanzierung von Leistungen sich zeigen. an den Schnittstellen zwischen den Geltungsbe- reichen der Sozialgesetzbücher SGB V, SGB XI und Auch die soziale Sicherung der pflegenden Angehöri- SGB XII. gen muss verbessert werden, um das Engagement an- 12
zuerkennen und die anrollende Welle von Altersarmut die Situation, dass nur relativ wohlhabende Kommunen nicht noch mehr zu verstärken. Es ist zum Haare raufen, hierfür Geld ausgeben dürfen, die ärmeren Kommunen wie verschwindend gering die erzielbaren Rentenan- mit dem regelmäßig viel höheren Problemdruck aber sprüche derzeit sind: wer einen Angehörigen mit Pfle- nicht, weil ihre Ressourcen mit den Pflichtausgaben be- gegrad 5 de facto fulltime zuhause pflegt, erwirbt pro reits ausgeschöpft sind. Pflege-Jahr eine Rentenleistung von 29.90 € im Westen und im Osten von 28,60 €10. 5. Die Pflegereform nach vorne bringen Wie Großzügigkeit richtigerweise aussieht, sieht man an der Absicht der großen Koalition, die Heranziehung Ich habe versucht, die Vorstellungen des Paritätischen unterhaltspflichtiger Kinder zum Elternunterhalt in zu den Eckpunkten einer Pflegereform anzudeuten. Als der Sozialhilfe analog zu den Regelungen der Grund- Fundament braucht es eine bessere Finanzierung, also sicherung im Alter und bei Erwerbsminderung so aus- am besten die Pflege-Bürgerversicherung mit streng zugestalten, dass das Einkommen des Kindes nur noch begrenzten Direktzahlungen für die Versicherten, auf oberhalb von 100.000 € pro Jahr einbezogen wird. dieser Basis können auch die Leistungen sowie die ma- teriellen, physischen und psychosozialen Arbeitsbedin- gungen so verbessert werden, dass gute Chancen ent- 4. Kommunen befähigen und stärken stehen, mehr und gut qualifiziertes Pflegefachpersonal zu gewinnen. Das brauchen wir, um das neue Konzept Die Kommunen haben eine herausragende Verant- der Pflege und der Pflegebedürftigkeit mit Leben zu wortung für die Sicherung und Ausgestaltung der Da- erfüllen. Dieses Konzept braucht zu seiner Realisierung seinsvorsorge, insbesondere auch für ihre vulnerablen im Sozialraum finanziell handlungsfähige Kommunen. Bürgerinnen und Bürger wie z. B. ältere Menschen. Sie haben die Möglichkeit vor Ort passgenaue Lösungen Manches daran mag utopisch klingen, das verliert sich zu organisieren, um allen Menschen ein gutes Leben aber, wenn deutlich wird, dass es eigentlich anders gar eigenständig und selbstbestimmt zu ermöglichen, in nicht geht. Die Zeit des Löcher stopfens geht zu Ende. Selbst- und Mitverantwortung am gesellschaftlichen Auch noch mal 0,5 % Prozentpunkte Beitragserhöhung Leben teilzuhaben und dieses mitzugestalten. Hier- verschaffen allenfalls eine Atempause. Es muss sozial- für müssen die Kommunen jedoch befähigt werden, reformerisch neu und groß und über die Legislaturpe- indem sie neben dem politischen Willen ausreichend riode hinaus gedacht und gehandelt werden. Eine gute Mittel und Expertise zur Sozialraumgestaltung zur Ver- alte Losung mahnt uns: Seid realistisch, fordert das Un- fügung haben. Für Qualität, Wirksamkeit und Nach- mögliche. Das heißt ja nicht zu fordern, dass der Mond haltigkeit der Sozialraumgestaltung braucht es die aus Käse sein soll. Sondern es heißt, dass unsere politi- Partizipation der NutzerInnegruppen und die Koordi- schen Programme nicht einfach klein-klein und inkre- nation mit anderen Akteurgruppen, wie z.B. dem Quar- mental bleiben dürfen, sondern dass sie in der Lage tiersmanagement, den Präventionsprojekten aus dem sein müssen, unsere Probleme zu lösen. Präventionsgesetz, den Programmen zur Flüchtlings- integration und v.a. mit der lokalen Wirtschaft und der Dazu soll unser Pflegekongress einen bescheide- Zivilgesellschaft vor Ort. nen, aber hoffentlich verständlichen und unüberhör- baren Beitrag leisten. Dazu braucht es auf Seiten der Kommune Handlungs- fähigkeit, v. a. auch finanzielle Handlungsfähigkeit. Das setzt voraus, dass die Altenhilfe in § 71 SGB XII wieder als Pflichtaufgabe ausgestaltet wird. Derzeit haben wir Berlin, den 14. November 2018 10 Das Bündnis für gute Pflege rechnet vor: „Wird zum Beispiel ein Pflege- bedürftiger im neuen Pflegegrad 5 ein Jahr zu Hause ausschließlich durch ein Familienmitglied gepflegt und betreut, so liegt im Westen die maximal erreichbare monatliche Rentenleistung für die Pflegeperson aktuell bei 29,90 Euro (Ost 28,60 Euro). Wird zur Entlastung und zur Qualitätssicherung in der Pflege ein professioneller Pflegedienst ergänzend hinzugenommen, reduziert sich dieser monatliche Rentenbetrag auf 20,90 Euro im Westen (20,01 Euro Ost).“ Quelle: http://www.buendnis-fuer-gute-pflege.de/ 13 >> zurück zur Übersicht, Seite 7
Zielsetzung und Wirkung der Pflegestärkungsgesetze und die Ausrichtung der neuen Reform Dr. Martin Schölkopf, Leiter der Unterabteilung 41 – Pflegesicherung im Bundesministerium für Gesundheit Zielsetzung und Wirkung der Pflegestärkungsgesetze und die Ausrichtung der neuen Reformen Inhalt: 1. Ziele und Wirkungen der Gesetzgebung in der letzten Legislaturperiode 2. Umsetzung der Pflegestärkungsgesetze in der 19. Legislaturperiode 3. Reformvorhaben in der 19. Legislaturperiode Vortrag auf dem „Pflegekongress 2018: Recht auf gute Pflege! Wege aus der Dauerkrise“ des Paritätischen Gesamtverbands, Berlin, 14. November 2018 Dr. Martin Schölkopf Leiter Unterabteilung Pflegesicherung Bundesministerium für Gesundheit www.bmg.bund.de Pflegegesetzgebung in der letzten Legislaturperiode PSG I: Umfangreiche Leistungsverbesserungen ambulant/stationär, Stärkung tariflicher Bezahlung, Pflegevorsorgefonds, erste Beitragssatzanhebung - 1.1.2015 Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf: Pflegeunter- stützungsgeld, Verbesserungen bei Pflegezeit und Familienpflegezeit – 1.1.2015 Präventionsgesetz – 25.07.2015 Hospiz- und Palliativgesetz – 8.12.2015 Krankenhausstrukturgesetz – 1.1.2016 PSG II: Qualitätssicherung/-transparenz, Pflegeberatung – 1.1.2016, Einführung neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff, NBA, neues Leistungsrecht – 1.1.2017 PSG III: Stärkung der Kommunen, Hilfe zur Pflege, Abrechnungsbetrug etc. Pflegeberuferegesetz: generalistische Ausbildung, Direktbeteiligung der Pflegeversicherung an der Ausbildungsfinanzierung, Umlagefinanzierung, kein Schulgeld mehr www.bmg.bund.de 2 14
Erstes Pflegestärkungsgesetz Umfassende Leistungsverbesserungen: Dynamisierung der Leistungsbeträge (ambulant und stationär) um + 4 Prozent, neue Leistungen (PNG) um + 2,67 Prozent Bessere und flexiblere Kombination der Leistungsansprüche auf Kurzzeit- und Verhinderungspflege (6 bzw. 8 Wochen) Flexibilisierung bei der Tages- und Nachtpflege in Kombination mit dem Sach- bzw. Geldleistungsanspruch in der ambulanten Pflege, Verzicht auf 50%- Anrechnung Öffnung aller ambulanter Leistungen auch für PEA Höhere Zuschüsse zur Verbesserung des Wohnumfelds (von 2.557 auf 4.000 Euro je Maßnahme) + Verbesserungen beim Anspruch auf Pflegehilfsmittel Ausweitung Betreuung und Entlastung (ambulant und stationär) www.bmg.bund.de 3 Zweites Pflegestärkungsgesetz Stärkung der Beratung Deutlicher Ausbau der Beratungsansprüche für Betroffene und ihre Angehörigen Zeitnahe Pflegeberatung: Pflegekassen bieten automatisch einen Beratungstermin innerhalb von zwei Wochen nach Antragsstellung auf Leistungen an (bis Ende 2015 galt diese Frist nur bei Erstanträgen) Bei Beratung nach § 7a SGB XI muss auch über die Angebote zur Entlastung pflegender Angehöriger informiert werden. Verbesserung der Qualität der Pflegeberatung durch Richtlinien für Verfahren, Durchführung und Inhalte einschließlich Versorgungsplan Neue Bundesempfehlungen bis 31.07.2018 zu Anzahl, Qualifikation und Fortbildung von Pflegeberatern www.bmg.bund.de 4 15
Zweites Pflegestärkungsgesetz Stärkung der sozialen Absicherung pflegender Angehöriger Die Pflegeversicherung entrichtet nun für einen deutlich größeren Personenkreis Rentenbeiträge. Der Schutz wird für Pflegepersonen gewährt, die Pflegebedürftige ab Pflegegrad 2 pflegen. Voraussetzung ist, dass die Pflegeperson mindestens 10 Std. wöchentlich, an mindestens zwei Tage/Woche aufwendet (früher: 14 Std). Ergebnis: Deutlich mehr Pflegepersonen erhalten einen Anspruch, und dieser Anspruch fällt zum Teil deutlich höher als bisher aus (bis zu 100 % der Bemessungsgrundlage, vgl. RV-Beiträge für Kindererziehung) Auch der Schutz pflegender Angehöriger im Bereich der Arbeitslosenversicherung wurde deutlich erweitert. www.bmg.bund.de 5 Zweites Pflegestärkungsgesetz Leistungsverbesserungen Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs als zentrale Weiterentwicklung Ausweitung des Kreises der Anspruchsberechtigten: Mit dem neuen Pflegegrad 1 leistet die Pflegeversicherung deutlich früher als bisher; bis zu 500.000 neue Anspruchsberechtigte mit Anspruch auf wohnumfeldverbessernde Maßnahmen Betreuung ist Regelleistung der Pflegeversicherung und damit von allen ambulanten Pflegediensten anzubieten. Faktisch werden die Geld- und Sachleistungen deutlich erhöht und damit gerade auch die Angehörigen gestärkt Stationäre Pflege: Umstellung auf einheitlichen Eigenanteil als zentrale Neuerung www.bmg.bund.de 6 16
Wirkungen der Pflegestärkungsgesetze PSG I: Hinweise auf die Wirksamkeit der Verbesserungen (BMG-Evaluation) Der Zeitaufwand der Hauptpflegepersonen ist zwischen 1998 und 2016 in allen Pflegestufen gesunken Anteil der Hauptpflegepersonen, die gleichzeitig erwerbstätig sind, nimmt zu 18 % der Pflegebedürftigen bzw. ihrer Angehörigen meinen, die Pflege sei sehr gut zu bewältigen, 61 % meinen, sie sei „noch zu bewältigen“ Der Anteil der Hauptpflegepersonen, die die Pflege als sehr stark belastend empfinden, ist seit 1998 um 14 Prozentpunkte zurückgegangen Fast 80 % der Pflegebedürftigen oder ihrer Angehörigen gaben an, mit dem Umfang der Leistungen der Pflegeversicherung zufrieden oder sehr zufrieden zu sein. www.bmg.bund.de 7 Wirkungen der Pflegestärkungsgesetze Deutlicher Anstieg der Leistungsbezieher, Jahresende 2017: Ca. 3,5 Mio. (BMG) PSG II ist leistungsmäßig „eine sehr großzügige Reform“ (Pflegereport 2016). Erhebliche Leistungssteigerungen gleichen den gesamten Kaufkraftverlust aus, der seit Einführung der Pflegeversicherung durch fehlende (bis 2008) und begrenzte (ab 2008) Leistungsdynamisierung entstanden war (Pflegereport 2016) Die Soziale Pflegeversicherung hat im Jahr 2017 über 7 Mrd. Euro mehr für Leistungen ausgegeben als in 2016 (2013: 23 Mrd. Euro, 2017: 35,5 Mrd. Euro) Besonders hohe Ausgabensteigerungen 2017 zu 2016: die rd. 2,5 Mio. ambulant versorgten Pflegebedürftigen haben rd. 4,5 Mrd. Euro mehr für Pflegegeld und Pflegesachleistungen erhalten (+ 37 %), die Zahlung von Rentenbeiträgen für Pflegepersonen ist um rd. 600 Mio. Euro8 www.bmg.bund.de gestiegen (+ 56 %). 17
Wirkungen der Pflegestärkungsgesetze Einführung der einheitlichen Eigenanteile: sozialpolitisch wichtige Maßnahme, erhöhte Preistransparenz, Planbarkeit für die Betroffenen und die Einrichtungen Reformbedingte Mehrausgaben stationär lt. Pflegereport 2017: 2 Mrd. Euro, kommen zu 1/3 direkt den Heimbewohner zugute, reduzieren dort die Eigenanteile (v.a. für ehemalige PS 3, mehrheitlich auch für frühere PS 2) -> Entlastung HzP Rd. zwei Drittel der Mehrausgaben fließen den Pflegeeinrichtungen zu durchschnittliche Einnahmensteigerung von 8 Prozent (Vergleich 12/2015 zu 5/2017) Ausgleich „Zwillingseffekt“, Personalverbesserungen Zusätzliche Betreuungskräfte: von 2013 bis heute Verdoppelung (60.000) Anpassung Personalausstattung stationär: in 7 Ländern bereits 2017 hochrechenbar auf zusätzl. 10.400 VZ-Stellen (GKV-SV) + BMG evaluiert Gesamtergebnis www.bmg.bund.de 9 Umsetzungsaufgaben aus der letzten Legislaturperiode (Begleitung der) Umsetzung der Pflegestärkungsgesetze neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff: Begleitung der Umsetzung, vertragliche und leistungsrechtliche Folgen („lernendes System“ – Umsetzung Länderebene, Beirat § 18c SGB XI) Qualität: Entwicklung und Einführung des neuen Systems der Qualitätssicherung, -messung und –darstellung; + gesetzlicher Änderungsbedarf (im Verfahren zum PpSG) Personalbemessungsverfahren gem. § 113c SGB XI: Entwicklung, Erprobung, Umsetzung (!) www.bmg.bund.de 10 18
Umsetzungsaufgaben aus der letzten Legislaturperiode noch: (Begleitung der) Umsetzung der Pflegestärkungsgesetze Umsetzung der Regelungen an den Schnittstellen SGB XI – Eingliederungshilfe (SGB IX/SGB XII) – ambulant: Leistungen wie aus einer Hand (§ 13 Abs. 4 SGB XI – Empfehlung liegt vor), stationär: Definition der Räumlichkeiten wg. § 43a SGB XI – Richtlinie GKV-SV zum 1. Juli 2019, Genehmigung BMG Wissenschaftliche Evaluation der Pflegestärkungsgesetze – Aufträge vergeben, Begleitung und Koordination der Forschung, Bericht der Wissenschaft Ende 2019/Anfang 2020 www.bmg.bund.de * Erarbeitung gesetzlicher Regelungen in 2018 erforderlich 11 Umsetzung weiterer gesetzlicher Aufgaben Erarbeitung des 7. Pflegeberichts der Bundesregierung - im Jahr 2020 vorzulegen (§ 10 Abs. 1 SGB XI) Dynamisierung der Leistungsbeträge (§ 30 SGB XI) Prüfung von Notwendigkeit und Höhe der Anpassung in 2020, Bericht an Bundestag und Bundesrat Ggf. Anpassung der Leistungsbeträge durch Rechtsverordnung zum 1.1.2021 (zustimmungspflichtig) www.bmg.bund.de 12 19
Umsetzung von Aufgaben aus der Koalitionsvereinbarung Sofortprogramm Pflege – Pflegepersonal-Stärkungsgesetz Konzertierte Aktion Pflege bis Juni 2019, in der Folge Begleitung der Umsetzung der dort beschlossenen Maßnahmen; ggf. Gesetzgebung Kontinuierliche Anpassung der Sachleistungen an die Personalentwicklung „Entlastungsbudget“, das flexibel in Anspruch genommen werden kann (genannt werden: Kurzzeit- und Verhinderungspflege, Tages- und Nachtpflege, daher Klärung des Umfangs erforderlich) Stärkung der Kurzzeitpflege durch wirtschaftlich tragfähige Vergütung www.bmg.bund.de 13 Umsetzung von Aufgaben aus der Koalitionsvereinbarung Einführung von Mitgestaltungsmöglichkeiten für Kommunen (bei Versorgungsverträgen) Weiterentwicklung der Allianz für Menschen mit Demenz (Initiative im Rahmen der Demografiestrategie der BReg, zusammen mit BMFSFJ und Deutscher Alzheimer Gesellschaft) zu einer nationalen Demenzstrategie Stärkung der Verbraucherrechte bei Verträgen mit ambulanten Pflegediensten (BMG ist zu beteiligen; ff.: BMJV/BMFSFJ) Präventiver Hausbesuch zur Vermeidung von Pflegebedürftigkeit „aus Mitteln des Präventionsgesetzes“ www.bmg.bund.de 14 20
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