Piercing - Psychosoziale Perspektiven eines gesellschaftlichen Phänomens

Die Seite wird erstellt Eske Beckmann
 
WEITER LESEN
Formation continue / Fortbildung                                                 Vol. 14   No. 4     2003          28

Piercing – Psychosoziale Perspektiven
eines gesellschaftlichen Phänomens

Zusammenfassung

Die zunehmend populäre Praxis des Pier-
cing, mit der sich eine breite Anzahl unter-
schiedlicher Medizinberufe aufgrund von
Komplikationen in immer grösserem Um-
fang konfrontiert sehen, ist ein gesell-
schaftliches Phänomen, das im Allgemei-
nen Verwunderung, wenn nicht sogar Ab-
lehnung hervorruft. Die Vorurteile sind gross
und aufgrund fehlenden Wissens über die
psychosozialen Zusammenhänge und Mo-
tivationen Gepiercter wird die Praktik pa-
thologisiert. Dieser Beitrag möchte diese
Wissenslücke schliessen und um Verständ-
nis für die oftmals intensiven Motivationen,
die mit Piercing verbunden sein können,
werben.

Keywords
                                                wohl rezente forensisch-psychiatrische Stu-        nierender und ausschliesslich pathologi-
• Piercing                                      dien erheblich weniger von Vorurteilen             sierender Interpretationen nicht länger an-
• Psychologie                                   geprägt sind, bringen sie immer noch die           gebracht.
• Motivationen                                  kulturell sanktionierten Praktiken der Tä-
                                                towierung und des Piercings mit Selbst-            Gesellschaftliche Perzeption
Einleitung                                      verstümmelung in Zusammenhang und                  von «Piercing»
                                                bezeichnen diese z.B. als absichtliche
Literatur, die sich mit psychologischen und     nicht-suizidale Zerstörung des eigenen Kör-        Piercing ist definiert als «das Einbringen
soziologischen Aspekten von Körpermodi-         pergewebes2). Dies scheint auch die Ten-           von Schmuck in Öffnungen, die an Körper-
fikationen in den westlichen Gesellschaf-       denz in Artikeln zu sein, die sich an andere       teilen wie Augenbrauen, Ohrmuschel, Lip-
ten beschäftigt, ist noch spärlicher gesät      Mediziner wenden, in denen Piercing z.B.           pen, Zunge, Nase, Nabel, Brustwarzen und
als medizinische Abhandlungen zum The-          als «modebedingter Eingriff in die physi-          Genitalien erzeugt worden sind»6) 7). Pier-
ma. Es scheint ein gewisser Widerstand          sche Unversehrtheit» bezeichnet wird3),            cing des Ohrläppchens – das auch in der
gegenüber diesem Thema zu bestehen. So          oder behauptet wird, dass Piercing «den            westlichen Welt kulturell tradierte «Ohr-
ist die meiste noch bis vor einiger Zeit ver-   Körper verstümmelt»4). Leider jedoch schei-        lochstechen» – ist aus dieser Definition
öffentlichte Literatur von diskriminierenden    nen auch Arbeitgeber zu negativen Konno-           ausgeschlossen und von Praktiken, die kei-
Obertönen geprägt gewesen, indem die            tationen in Bezug auf gepiercte Individuen         nen kulturellen Hintergrund in westlichen
Präsenz von Körpermodifikationen wie Tat-       zu neigen5). In der heutigen Gesellschaft,         Gesellschaften haben, abgegrenzt. Muldoon
toos oder Piercings meist mit gewissen          in der sich Piercings und Tätowierungen            jedoch schlägt vor, dass das, was einst als
psychopathologischen oder antisozialen          über das gesamte soziale Spektrum ver-             «traditionell» erachtet wurde, z.B. einzelne
Verhaltensformen assoziiert wurde1). Ob-        teilt finden, ist die Anwendung diskrimi-          Ohrläppchen-Piercings, mittlerweile auch
Formation continue / Fortbildung                                                        Vol. 14    No. 4     2003          29

Piercings ober- und unterhalb des Halses       Beatles, lange Haare der Hippies, Punks                     Piercingschmuck: Metall – also eine «stahl-
beinhaltet8). Piercingstellen ausserhalb des   usw.). Piercing geht jedoch noch einen                      harte», «glatte» und «kalte» Substanz wird
Gesichts werden auch als «intim»9) oder        Schritt weiter und ist extremer, da es auch                 durch das weiche, «unantastbare», durch
«unkonventionell»10) bezeichnet. Ohr- und      die Grenzen des gesellschaftlich tradierten                 Nerven sensibilisierte Hautgewebe ge-
Körperpiercing wird normalerweise nicht        Körperbildes – im wahrsten Sinne des Wor-                   stossen. Die Assoziationen von Verletzung,
als permanente Körperveränderung erach-        tes – verletzt. Zunächst werden Körperteile                 Schmerz und dann, da es sich beim Pier-
tet, da sich die Löcher, gerade wenn sie       – im Gegensatz zu Tattoos, die nur die                      cing ja um eine freiwillige Handlung han-
klein sind, nach längerer Entfernung des       Hautschichten einritzen – durchbohrt. Dies                  delt, Perversion und Abartigkeit der Prak-
Schmucks wieder schliessen. In Artikeln je-    ist besonders provokant an tabuisierten                     tizierenden sind naheliegend. Mittlerweile
doch, die sich mit regulatorischen Fragen      Körperzonen wie den Brustwarzen oder                        scheint sich jedoch ein Wandel dieser Per-
des Piercings beschäftigen, sind die Defi-     dem Genitalbereich. Aber auch Piercings                     zeption abzuzeichnen, zumindest innerhalb
nitionen weiter gefasst und die Frage der      im Gesicht erzeugen aufgrund der Aufhe-                     ähnlicher Altersgruppen. So hat Armstrong
Permanenz wird anders beurteilt. Zum Bei-      bung der Einheitlichkeit des Gewebes, der                   festgestellt, dass nicht-tätowierte College-
spiel definiert die Legislative des ameri-     Unvorstellbarkeit des Gefühls, durch die                    Studenten ihre körpermodifizierten Kom-
kanischen Bundesstaates Virginia Piercing      sensiblen Gesichtszonen mimikbeeinflus-                     militonen neutral bis positiv wahrnehmen12).
als «Akt des Eindringens in die Haut, um       sende und -behindernde Schmuckstücke
ein Loch, ein Zeichen, eine Narbe von ge-      zu tragen, auf Seiten Nicht-Gepiercter Ab-                  Motivationen von Gepiercten
nerell permanenter Natur zu erzeugen»11).      lehnung. Hinzu kommt das Material von                       für ihre Körpermodifikationen

In der Definitionsfrage ist bereits das kon-                                                               Piercing stellt eine sichtbare, selbst bei-
fliktäre Potenzial von Piercing angelegt.                                                                  gefügte Verletzung der sozial definierten
Piercing, welches im Anglo amerikanischen                                                                  Schönheitsstandards und Körpergrenzen
wesentlich treffender als «Body Piercing»                                                                  dar und erzeugt daher soziale Provoka-
bezeichnet wird, schliesst die – wenigen –                                                                 tion1). Hierin liegt mit Sicherheit eine der
kulturell in der westlichen Welt tradierten                                                                Motivationen zum Piercing, zu der beson-
Praktiken der Körpermodifikation, welche                                                                   ders Teenager neigen. Neben dem Scho-
sich seit der griechischen Idealisierung                                                                   ckieren von anderen beinhalten deren
des Körpers und deren Konfiguration von                                                                    Gründe, sich piercen zu lassen, damit eine
Schönheit als standardisierte platonische                                                                  persönliche Aussage machen zu wollen,
Essenz auf das Ohrlochstechen beschrän-                                                                    Mut zu beweisen und mit der Mode zu ge-
ken, aus. Damit ist Piercing etwas Frem-                                                                   hen. Der Hintergrund hierzu ist oft Grup-
des, Andersartiges, Unbekanntes und birgt                                                                  pendruck und der Wunsch, einer Gruppe
somit bereits alle Grundlagen in sich für                                                                  anzugehören7). Es scheint, dass wenn
gesellschaftliche Ablehnung und Vorurtei-                                                                  Jugendliche eine Form der Körperkunst
le einerseits und persönliche Provokation                                                                  möchten (Tattoo, Piercing oder Bran-
andererseits. Insofern kann Piercing mit                                                                   ding*), sie diese oft durchsetzen und sich
anderen, schon immer wieder vorgekom-                                                                      dabei weder um die Regularien, die Risiken
menen gesellschaftlich provokanten Strö-                                                                   oder die Kosten kümmern13). Myers schlägt
mungen verglichen werden, die das tra-         *   Unter «Branding» versteht man «Brandmarken», das        vor, dass Körperkunst dem Zuwachs von
dierte «Mainstream»-Empfinden verletzt             Einbrennen von Mustern mittels eines glühenden Ei-      Selbstvertrauen diene10). Für Perkins stellt
                                                   sens, welches zu Vernarbungen der Haut führt. Die
haben (z.B. in der Neuzeit Rock ’n’ Roll,          Heilungszeiten sind mit 6 Monaten recht lang.           die Notwendigkeit für viele Jungendliche, ihr
Formation continue / Fortbildung                                                        Vol. 14    No. 4     2003          30

                                               – wichtige – für ein erfolgreiches Über-                    ideale und neuen Modewerten kann Pier-
                                               gangsritual notwendige Nebeneffekt ist.                     cing als eine der vielen Traditionen ver-
                                               Dieses Ritual stellt für ihn eines der wich-                standen werden, denen Menschen auf der
                                               tigsten Motivationen für Körpermodifika-                    ganzen Welt stets gefolgt sind, um ihren
                                               tionen sogar in westlichen Gesellschaften                   Körper in Richtung auf kulturell sanktio-
                                               dar10)**. Daher erscheint auch die gele-                    nierte Schönheitsstandards hin zu verän-
                                               gentlich geäusserte Verbindung zwischen                     dern1). Jedoch ist es nicht weitreichend ge-
                                               erotischen Piercings, Sadomasochismus                       nug, Piercing als reinen Modegag abzutun,
                                               und Fetischismus16) wahrscheinlich nicht                    da Mode per definitionem einen veränder-
                                               anwendbar auf die gegenwärtige Situation                    lichen und wechselhaften Zustand impli-
                                               und kann nicht länger als die einzig mög-                   ziert. Aus einer Interview-Studie, die Sweet-
                                               liche Erklärung des Phänomens gelten.                       man mit unterschiedlich stark gepiercten
                                               Eine Umfrage jüngeren Datums unter 134                      und tätowierten Individuen durchführte,
                                               Lesern eines Körperkunst-Magazins ergab,                    ging klar hervor, dass die meisten der Be-
                                               dass weniger als ein Fünftel sich als maso-                 fragten sich der Körperkunst zuwenden, um
                                               chistisch, sadistisch, fetischistisch, exhibi-              «etwas Anderes, Individuelles und Dauer-
                                               tionistisch oder narzisstisch ansahen. Ein                  haftes» auf ihnen selbst zu kreieren, wo-
                                               wenig mehr als die Hälfte hingegen hielt                    bei sie sich darüber bewusst sind, dass
                                               sich für «abenteuerlustig»17) 18). Innerhalb der            Piercing nicht als so permanent angesehen
                                               gleichen Studie berichteten einige Frauen,                  werden kann wie z.B. Tätowierungen22).
                                               dass sie nach Klitoris-Piercing ihren ersten                Dies widerspricht der Modethese – umso
Aussehen und ihr Selbstvertrauen durch         Orgasmus bei vaginalem Verkehr bekom-                       mehr, wenn auch der intensive Schmerz
extreme und sogar riskante Massnahmen          men hätten19). Traditionell sind Genital-                   beim Piercing bedacht wird.
zu verändern, eine regressive Tendenz in       piercings lange ausschliesslich mit homo-
unserer Kultur dar14). Jedoch berücksichtigt   sexuellen Männern in Verbindung gebracht                    Es ist eher anzunehmen, dass Piercings
diese Ansicht nicht, dass eine Menge der       worden; jedoch unterziehen sich Männer                      und Tattoos ihre Bedeutung aus beidem
Piercings von College-Studenten durchge-       wie Frauen Genital-Piercings aus ästheti-                   beziehen – dem Vorgang wie dem Ergeb-
führt werden, die sich in einer Art Über-      schen und sexuellen Gründen20). In einer re-                nis. Sweetmans Ergebnisse werden durch
gangssituation befinden – nicht mehr ganz      zenten Studie einer Klinik für Geschlechts-                 eine Fragebogenstudie der Autorin unter-
Kind und doch noch nicht ganz erwachsen.       krankheiten zeigte das Vorhandensein                        stützt, die ähnliche Ergebnisse an einer
So schlägt auch Sarnecki vor, dass gera-       eines Piercings keine Korrelation mit so-                   wesentlich grösseren Kohorte erbrachte
de für Studenten Körperkunst ein «Weg ist,     zioökonomischer Klasse, Verhütungs-                         (N = 104)23). Zusätzlich ergab die Umfrage
ihr eigenes Übergangsritual zu schaffen für    methode, multiplen Geschlechtspartnern                      jedoch, dass die Hauptmotivationen, sich
etwas, das unsere Gesellschaften für sie       oder dem Vorhandensein einer Genitalin-                     piercen zu lassen, der Individualitäts- und
nicht bereit halten» – womit sie eine um-      fektion21). Diese Studie unterstützte ausser-               sogar der persönlichen Identitätsfindung
fassende Vorbereitung auf das Leben als        dem die These, dass Piercings aus Gründen                   dienten. Die Befragten bezeichneten sich
Erwachsener meint15). Diese Sicht wird von     der Mode durchgeführt würden. Und tat-                      als durch die Piercings «ganz», «neu» oder
Myers geteilt, der hervorhebt dass Piercing    sächlich, innerhalb veränderter Schönheits-                 «selbstzufrieden» geworden zu sein – und
nichts mit einer pathologischen «Lust am                                                                   diese Gefühle würden mit jedem weiteren
Schmerz» zu tun hat, sondern dass der mit      ** In Stammesgesellschaften Asiens, Afrikas oder Süd-       Piercing noch stärker werden. Dazu pas-
                                                  amerikas sind diese Praktiken ja bis heute gang und
Piercing einhergehende Schmerz nur der            gäbe1).                                                  send berichteten dieselben Befragten,
Formation continue / Fortbildung                                               Vol. 14   No. 4     2003          31

dass sie sich ihre Piercings in besonderen    allem auf weibliche Genital-Piercings. Hier        suchtartige Charakter der Faszination, den
Lebensmomenten zugelegt hätten, um ei-        scheinen die Piercings unter Umständen             Piercing auf so viele auszustrahlen scheint,
ne spezielle Episode ihrer persönlichen       als eine Art Rückeroberung psychologisch           berücksichtigt wird7) 22) 28). So stellt der
Biographie zu kommemorieren oder deren        abgespaltener Organe zu dienen, da die             Wunsch, immer mehr Piercings haben zu
Ende oder Überwindung zu markieren, z.B.      traumatische Erfahrung zu schmerzhaft              wollen, mit an Sicherheit grenzender
nach einer Krise, aber auch anlässlich po-    war, um sich mit dem jeweiligen Körperteil         Wahrscheinlichkeit eine misslungene
sitiver Momente. Für Jugendliche sind ty-     noch verbunden zu fühlen – z.B. nach se-           Identitätssuche dar und kann als Symptom
pische «Piercing-Momente» z.B. der be-        xuellem Missbrauch26) 27). Durch das Wider-        für psychische Konflikte gewertet werden.
standene Schulabschluss, das Erreichen        erleben eines eher gewaltsamen Schmer-
der Volljährigkeit etc. Sarnecki fand einen   zes in einem kontrollierten Setting (die           Fazit
starken Zusammenhang zwischen Tattoos         Piercing-Sitzung), mit der sich das vorma-
und Piercings und Vorkommnissen in den        lige Opfer psychologisch mit dem Aggres-           Trotz der vielen Risiken und Komplikatio-
Leben der Tätowierten/Gepiercten – vor        sor identifiziert, wird die Wiedereingliede-       nen wird Piercing in westlichen Gesell-
allem traumatische Episoden14). Solch eine    rung der durch das Trauma abgespaltenen            schaften von mehr und mehr Menschen
Korrelation ist auch aus kleinen Interview-   Körperteile möglich. Daher kann auf der            praktiziert. Die Motivationen für Piercing
Studien bekannt geworden24) 25) und konn-     einen Seite Piercing als eine Praktik ver-         sind vielschichtig und reichen vom unter
te von der jüngsten Umfrage der Autorin       standen werden, die der Schaffung eines            Gruppendruck gefolgten Modetrend bis zur
bestätigt werden26). Interessanterweise be-   kohärenten Selbst dient. Die Semi-Per-             therapeutischen Handlung zur Überwin-
zieht sich diese Kommemoration des Über-      manenz von Piercing passt dabei zum Auf-           dung traumatischer Erlebnisse. Daher
windens persönlicher traumatischer Epi-       bau einer konsistenten persönlichen Ge-            macht ein Individuum, je nach Stelle sei-
soden durch Tätowieren oder Piercing vor      schichte21), indem gewisse Episoden im Le-         nes Piercings, mit seinem Körperschmuck
                                              ben durch Piercing markiert werden und             eine extrovertierte öffentliche wie eine
                                              indem das Piercing entfernt werden kann,           introvertierte, private Aussage gegenüber
                                              wenn die Episode überwunden ist – und              der Gesellschaft, die er/sie als «Main-
                                              daher das Piercing nicht länger gebraucht          stream» empfindet (womit die nicht-ge-
                                              wird. Auf der anderen Seite kann Piercing          piercten Individuen dieser Gesellschaft ge-
                                              auch als eine persönliche therapeutische           meint sind). Dies wird im Gegenzug von
                                              Handlung gesehen werden – dem Akt des              dieser Gesellschaft ambivalent, wenn
                                              Gepierctwerdens folgen während des Hei-            nicht sogar negativ aufgenommen. Jedoch
                                              lungsprozesses Wochen, wenn nicht Mona-            scheinen, generell gesprochen, weder die
                                              te der Pflege, die den Menschen zwingen,           kollektiven Vorurteile gegenüber Piercing
                                              sich für eine lange Zeit um seinen Körper          noch die mitunter ernsten Komplikationen
                                              zu kümmern und mit sich selbst beschäf-            Gepiercte auf eine Weise zu beeindrucken,
                                              tigt zu sein. Dieser Aspekt macht Piercing-        die sie bewegt, von ihrer Praxis abzulassen.
                                              Verhalten besonders bedeutsam und sollte           Im Gegenteil: diese scheinen eher sogar
                                              als aussagekräftiger Hinweis in einer anam-        Anreiz für die Praxis zu sein. Daher muss,
                                              nestischen Exploration gewertet werden,            ungeachtet persönlicher Wertschätzung,
                                              nicht nur auf den Gebieten der Psycho-             Piercing als soziale Realität akzeptiert wer-
                                              therapie oder psychosomatischen Medizin,           den, was sich auch aus dem rapide zu-
                                              sondern auch bei Hausärzten, Internisten           nehmenden Einfluss, den die Praxis auf
                                              oder Pädiatern – dies umso mehr, wenn der          das Gesundheitswesen hat, abgeleitet wer-
Formation continue / Fortbildung                                                            Vol. 14     No. 4      2003               32

den kann. Im Gesundheitssektor Tätige          Literaturverzeichnis                                             22) Sweetman P. Anchoring the (postmodern) self? Body
                                                                                                                    modification, fashion and identity. Body & Society
sollten mit den neuesten Forschungser-         1)   Stirn A. Vom Initiationsritual zur geschmückten Haut.           1999; 5 (2–3): 51–76.
                                                    Tätowierung im Spiegel von Stammestraditionen und
gebnissen auf diesem Gebiet vertraut sein,          neuem Kunstverständnis. Psychother Soz 2001; 3/4:           23) Stirn A. Tattooing and piercing as self-caring and self-
                                                    283–305.                                                        healing acts between symptom and therapy. Poster-
um sachadäquaten Rat aus informierter                                                                               präsentation auf der International Convention of the
                                               2)   Favazza AR. The coming age of self-mutilation. J Nerv           Society for Psychotherapy Research (SPR), Santa Bar-
Position heraus erteilen zu können und              Ment Dis 1998; 186(5): 259–68.                                  bara, California, 23.–27. Juni 2002. Abstract erhält-
kompetent mit den Nebenwirkungen und           3)   Krause H; Bremerich A; Sztraka M. Komplikationen                lich unter: URL: http://www.psychotherapyresearch.
                                                    nach Piercing in der Mund- und Gesichtsregion. Mund             org/sb/program/abs180.html. Aufgerufen am 18.
möglichen Komplikationen umgehen zu                 Kiefer Gesichtschir 2000; 4: 21–24.                             August 2002.
können. Um diesen Komplikationen vor-          4)   Ärztezeitung. Nach der ersten Freude fliessen oft Trä-      24) De Mello M. Bodies of inscription. A cultural history
                                                    nen. Einige Vertreter von Ärzteverbänden lehnen Pier-           of the modern tattoo community. Durham and Lon-
beugen zu können und die bereits spür-                                                                              don: Duke University Press, 2000.
                                                    cing als Körperverstümmelung strikt ab. Ärztezeitung
baren Auswirkungen auf das Gesundheits-             26.02.2001.                                                 25) Hewitt K. Mutilating the body. Identity in blood and
system möglichst gering zu halten, sollten     5)   Stuppy DJ; Armstrong ML; Casals-Ariet C. Attitudes of           ink. Bowling Green: Bowling Green State University
                                                    healthcare providers and students towards tattooed              Popular Press, 1997.
von beiden Seiten (Gesundheitsämter                 people. J Adv Nurs 1998; 27: 1165–70.                       26) Stirn A. «Meine Seele brennt in meiner Haut» – Kunst-
und -ministerien wie auch Tätowierer und       6)   Armstrong ML; Ekmark E; Brooks B. Body piercing:                volles Tätowieren und Piercing als selbstheilende
                                                    promoting informed decision making. J School Nurs               Handlung traumatisierter Menschen. Vortrag an der
Piercer) alle erdenklichen Anstrengungen            1995; 112: 20–25.                                               53. Tagung des Deutschen Kollegiums Psychosoma-
geleistet werden, einheitliche Regelungen                                                                           tische Medizin (DKPM). Ulm, 7. März 2002. Abstract
                                               7)   Armstrong ML. You pierced what? Ped Nurs 1996;                  in: Psychother Psychosom med Psychol, 2002; 52:
                                                    22: 236–38.
für das Piercing-Gewerbe zu schaffen (Aus-                                                                          119–120.
                                               8)   Muldoon KA. Body piercing in adolescents. J Pediatr         27) Stirn A. Trauma und Tattoo – Piercing, Tätowieren und
bildung, Fortbildung, Durchsetzen von Hy-           Health Care 1997; 11: 298–301.                                  verwandte Formen der Körpermodifikation zwischen
gienemassnahmen). Gleichermassen soll-         9)   Langford R. The hole truth. Nsg Times 1996; 92(40):             Selbstfürsorge und Selbstzerstörung traumatisierter
                                                    46–47.                                                          Individuen. Psychotraumatologie 2002; 2(3): 45. Ab-
ten im Gesundheitssektor Tätige vorur-                                                                              stract erhältlich unter: URL: http://www.thieme.de/
                                               10) Myers J. Non-mainstream body modification: genital
teilsfrei mit Gepiercten umgehen und sich          piercing, branding, burning and cutting. J Contemp
                                                                                                                    abstracts/psychotrauma/abstracts2002/index.html.
                                                                                                                    Aufgerufen am 18. August 2002.
bewusst über die Botschaften sein, die die-        Ethnography 1992; 213: 267–306.
                                                                                                                28) Vail D. A. Tattoos are like potato chips… you can’t
                                               11) Hardin B. Wearable Art: coming to grips with the en-
se vielleicht mit ihrer Körperkunst übermit-                                                                        have just one: the process of becoming and being a
                                                   during appeal of body piercing. NY Times 2002, Feb-
                                                                                                                    collector. Deviant Behaviour 1999; 20: 253–73.
teln wollen, da viele ihre Körpermodifika-         ruary 12th.

tionen als Versuch durchführen lassen, Iden-   12) Armstrong ML; Owen DC; Roberts AE; Koch JR. Col-                  Fotos: TätowierMagazin
                                                   lege students and tattoos. Influence of image, iden-
tität und ein kohärentes Selbst zu erlangen.       tity, family and friends. J PsychSoc Nurs 2002; 40
                                                   (10): 21–29.
                                               13) Armstrong ML; Kelly L. Tattooing, body piercing, and
  Vom selben Autor ist unter dem Titel             branding are on the rise: perspectives for school nur-
                                                   ses. J Sch Nurs 2001; 17(1): 12–23.
  «Body piercing: medical consequences         14) Perkins KC. Adolescent trends in the late 20th cen-
  and psychological motivations», The              tury: fad or societal alienation? W V Med J 1997;
                                                   93(6): 313–16.
  Lancet 2003; 361: 1205–15, ein Re-
                                               15) Sarnecki, J. Trauma and tattoo. Am Assoc Anthropol
  view-Artikel erschienen, welcher, neben          J Consciousness 2001; 12(2): 35–42.

  den im vorstehenden Artikel dargeleg-        16) Buhrich N. The association of erotic piercing with
                                                   homosexuality, sadomasochism, bondage, festishes
  ten psychosozialen Zusammenhängen                and tattoos. Arch Sexual Behavior 1983; 12: 161–
                                                   71.
  und Motivationen Gepiercter, auf die
                                               17) Reader survey. Body Art 1994; 19: 34–36.
  Geschichte, die Ursprünge und die ver-                                                                        Aglaja Stirn, Frankfurt am Main
                                               18) Reader survey. Body Art 1994; 20: 39–40.
  schiedenen Formen und Lokalisationen
                                               19) Ferguson H. Body Piercing. BMJ 1999; 319 (7225):
  von Piercing, auf die verwendeten Tech-          1627–29.                                                     Korrespondenzadresse:
                                                                                                                Dr. Aglaja Stirn
  niken, die legalen Aspekte sowie auf         20) Wright J. Modifying the body: piercing and tattoos.          Klinikum der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität
                                                   Nurs Stand 1995; 1011: 27–30.                                Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie I (Hs 93)
  Heilungszeiten, Komplikationen und                                                                            Heinrich-Hoffmann-Strasse 10
                                               21) Willmott FE. Body piercing: lifestyle indicator or fa-
  Nebenwirkungen eingeht. rs                       shion accessory? Int J STD AIDS 2001; 12(6): 358–            D-60528 Frankfurt am Main
                                                   60.                                                          stirn@em.uni-frankfurt.de
Sie können auch lesen