POLITIKMONITOR NACHHALTIGKEIT - akzente
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
POLITIKMONITOR NACHHALTIGKEIT 2 0 1 9 I 0 4 Menschenrechte in der Globalisierungsfalle Der Glaube, dass die Globalisierung mit ihrer internationalen Arbeitsteilung für alle zu mehr Demokratie, Wohlergehen und Wohlstand führt, ist durch Studien teilweise widerlegt und bei vielen Menschen tief erschüttert. Während in den Industrieländern nun ein Gesetz nach dem anderen für mehr Menschenrechte in den Lieferketten sor- gen soll, drohen populistische Handelszölle nationale Märkte abzuschotten und die Globalisierung abzuwürgen. Darunter leidet vor allem die deutsche Wirtschaft. Mit einem Exportüberschuss von 260 Mrd. Euro war sie im letzten Jahr wieder der große Gewinner der Globalisie- rung, nun sieht man allenthalben einen Abschwung kommen. Ökonomische Interessen und der Wunsch, zu einer besseren Durchsetzung der Menschenrechte beizutragen, kollidieren in der Wirtschaft und in der Regierung. Die Förderung der Menschenrech- te bedarf, so scheint es, einer florierenden globalen Wirtschaft. Immerhin kam das Thema erst nach einem langanhaltenden Boom ernsthaft auf die Agenda. Wird es nun wieder abgeräumt? Liebe Leserinnen und Leser, mit dem Politikmonitor Nachhaltigkeit berichten wir seit 2015 regelmäßig zu The- men, Veranstaltungen und regulatorischen Entwicklungen aus Brüssel und Berlin. Denn politische Diskussionen und Rahmenbedingungen bestimmen immer stärker, wie eine nachhaltige Entwicklung in Wirtschaft und Gesellschaft ausgestaltet wird. Mit unserem Politikmonitor wollen wir Einblicke geben, Überblick schaffen und Aus- blicke versuchen. Ihr -Team
Schwerpunkt Wirtschaft Politikmonitor Na chha ltigkeit 2019 I 04 Interview S eite 2 Kurz berichtet Wieviel Macht hat die Wirtschaft? Internationalen Gewerkschaftsverbunds (IGB) aus dem Jahr 2016. Trotzdem stoßen sie bei der Durchsetzung der Menschrechte, selbst wenn sie dies ernsthaft wollen, rasch an Am 10. Dezember 1948 verabschiedeten die Vereinten Nationen die Allgemeine die Grenzen ihrer Macht. Für mittelständische Unternehmen, die global agieren, gilt Erklärung der Menschenrechte. Seither hat sich manches getan, doch immer noch dies nur umso mehr. Der Schutz der Menschenrechte ist nämlich zunächst Sache der bleiben vielen Menschen elementare Grundrechte vorenthalten. Die 2011 durch nationalen Regierungen, die dafür einen Rahmen setzen und Mindeststandards defi- den Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen verabschiedeten Leitprinzipien nieren müssen. Da viele Länder aber erst einmal von der Globalisierung profitieren für Wirtschaft und Menschenrechte wollen in einer globalisierten Wirtschaft die wollen und – übrigens zurecht – Sorge haben, dass die Produktion weiterzieht, wenn Kraft der Unternehmen nutzen, um sie durchzusetzen. Diese aber ist begrenzt. Arbeit teurer wird, unterbleibt dies oft oder es werden Verletzungen nicht sanktioniert. Mit zunehmenden gesellschaftlichen Erwartungen konfrontiert, haben viele GLOBALE ARBEITSTEILUNG: WER PROFITIERT? Schon 1958 beschrieb der Wirt- Unternehmen aber erkannt, dass ein „Weiter so“ im globalen Arbeitskarusell nur den schaftswissenschaftler Leonard E. Read in einem Essay, wie weit sich die Lieferketten al- Ruf schädigt. Der Sportartikelkonzern Nike musste dies bereits Ende der 1990er Jahre lein für die Herstellung eines Bleistifts verzweigen. 60 Jahre später ist die globale Arbeits- erfahren. Nach dem Unglück Rana Plaza 2013 setzte sich diese Erkenntnis auch in teilung für nahezu jedes Produkt Realität. An der Produktion eines Herrenhemds breiten Kreisen der Wirtschaft durch. Doch zwischen der Anerkennung der eigenen beispielsweise sind bis zu 140 Akteure beteiligt: vom Baumwollbauern in Burkina Faso über Verantwortung und der tatsächlichen Durchsetzung von Menschenrechten liegt ein Näherinnen in Bangladesch bis hin zu philippinischen Matrosen auf dem Containerschiff. weiter Weg durch die Lieferkette. Zunächst hält man Lieferanten zur Verpflichtung Diese internationale Arbeitsteilung wirkt sich aber nicht für alle gleichermaßen ihrer Sublieferanten an, es folgen Schulungen, Audits und Projekte vor Ort. Interna- positiv aus. Einige Länder Asiens und Lateinamerikas profitierten zwar von der daraus tionale oder europäische Brancheninitiativen wie sie für die Wirtschaftszweige Textil, resultierenden Industrialisierung. Doch die großen Wohlstandsgewinne verzeichnen die Chemie und Automobil inzwischen existieren, helfen, die Abdeckung zu erhöhen, Ver- Industrieländer, so das Ergebnis des Globalisierungsreports 2018 der Bertelsmann lässlichkeit zu schaffen und Trittbrettfahrerei einzuschränken. So weit, so gut? Stiftung. In Deutschland stieg das reale Bruttoinlandsprodukt je Einwohner, also die Wirtschaftsleistung pro Kopf unabhängig von Preisschwankungen, infolge der fort- schreitenden Globalisierung zwischen 1990 und 2016 jährlich um rund 1.150 Euro. In DIE GEWINNER DER GLOBALISIERUNG Indien fiel der Zuwachs in derselben Zeit mit durchschnittlich 20 Euro pro Jahr weit Durchschnittliche jährliche Einkommensgewinne je Einwohner durch Globalisierung in Euro 1990-2016 geringer aus, auch China lag mit jährlich rund 80 Euro deutlich darunter. 1. Schweiz 1993 Dass von der Wertschöpfung aus globalen Produktionsnetzen 76 Prozent auf die 2. Japan 1502 Industriestaaten der OECD-Staaten entfallen und nur 33 Prozent auf die Schwellen- 3. Finnland 1410 Quelle: Prognos 2018, Bertelsmann-Stiftung und Entwicklungsländer, hat einen einfachen Grund: Der größte Teil der Wertschöp- 4. Irland 1261 fung entsteht nicht in der Produktion selbst, sondern in den vor- und nachgelagerten 5. Israel 1157 Stufen wie Forschung und Entwicklung, Vermarktung und Kundenservice. 6. Deutschland 1151 7. Dänemark 1150 8. Niederlande 1080 LIEFERKETTEN: WER IST VERANTWORTLICH? Die ungleiche Verteilung der 9. Slowenien 953 Wertschöpfung beruht im „erheblichen Maße auf der Macht transnationaler Konzer- 10. Südkorea 908 ne“, so die Autoren der Studie Gerechtigkeit 4.0 des evangelischen Hilfswerks Brot für … die Welt. Und der Erfolg der Konzerne speist sich eben daraus, dass sie die globale 41. China 79 Arbeitsteilung inklusive dieser Unwucht perfektioniert haben. Ganze 60 Prozent des 42. Indien 22 Welthandels sind von den Lieferketten großer Konzerne abhängig, so eine Studie des 0 250 500 750 1000 1250 1500 1750 2000 22…
Schwerpunkt Wirtschaft Politikmonitor Na chha ltigkeit 2019 I 04 Interview S eite 3 Kurz berichtet UN-LEITPRINZIPIEN FÜR WIRTSCHAFT UND MENSCHENRECHTE Google, Amazon, Alibaba und andere fast alle in den Industrieländern oder China beheimatet sind, haben Indien, die Philippinen, Pakistan oder Bangladesch einen be- UN LEITPRINZIPIEN FÜR WIRTSCHAFT UND MENSCHENRECHTE sonders hohen Anteil an Crowdworkern. Selbst gut ausgebildete Menschen reißen sich dort um einfache und monotone Tätigkeiten wie das Hochtreiben von Klickzahlen Quelle: Inception Report, Auswärtiges Amt 2018 kommerzieller Webseiten. Dass selbst ein großes Plattform-Unternehmen wie Google, PROTECT RESPECT REMEDY das einer freiheitlichen Grundhaltung entsprungen ist, einst seine Suchmaschine zen- sieren ließ, um in China Fuß zu fassen, stimmte viele skeptisch. Inzwischen hat das Unternehmen seinen Kurs geändert. 2018 bestätigte Google-Chef Sundar Pichai, dass der Zugang zu Informationen ein wichtiges Menschenrecht sei und das Unternehmen für China keine Pläne mehr verfolge. Staatliche Pflicht zum Unternehmerische Verant- Zugang zur Abhilfe für DEUTSCHE WIRTSCHAFT: WAS IST UND WAS KOMMT? Während in einigen Schutz der Menschenrechte wortung zur Achtung der Betroffene von Menschen- europäischen Ländern Gesetze zum Thema Menschenrechte erlassen wurden, hat die Menschenrechte rechtsverstößen Bundesregierung sich solche Maßnahmen im 2016 verabschiedeten Nationalen Aktions- plan Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) offen gehalten für den Fall, dass freiwillige Maßnahmen nicht greifen. Deshalb werden derzeit 1.800 Unternehmen befragt, ob und MENSCHENRECHTE: WAS ZÄHLT? Dass gesunde und menschenwürdige Arbeits- wie sie ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht in der Lieferkette freiwillig nachkom- bedingungen zu einer besseren Produktqualität führen, ist nachvollziehbar. Der Ein- men. Unter dem Eindruck der aktuell wenig erfreulichen wirtschaftlichen Entwicklung satz dafür liegt deshalb im eigenen Interesse der Unternehmen. Doch Menschenrech- wurden die Fragen so formuliert, dass die Ergebnisse möglichst befriedigend ausfallen. te sind mehr, nämlich moralisch begründete Freiheits- und Autonomieansprüche, die Entwicklungsminister Gerd Müller, der sich mit dem Textilbündnis und nun mit jedem Menschen zustehen. Es gehören dazu beispielsweise auch Meinungs-, Rede- der Einführung des Textillabels „Grüner Knopf“ leidenschaftlich für das Thema Ar- und Versammlungsfreiheit. Wie schwierig dieses Thema ist, konnte Bundeskanzlerin beitsbedingungen und Menschenrechte in der Lieferkette einsetzt, möchte eine ge- Angela Merkel bei ihrer jüngsten Reise nach China erleben. Viele erwarteten von ihr setzliche Regelung dagegen lieber heute als morgen. In Arbeitsminister Hubertus Heil ein klares Statement zum Anliegen der Demonstranten in Hongkong. Doch die hat er einen Verbündeten gefunden. Unterstützt wird das Anliegen von der Initiative deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen sollten darunter auch nicht allzu sehr Lieferkettengesetz, der 64 Gewerkschaften, Umwelt-, Menschenrechts-, Entwicklungs- leiden. Immerhin ist China Deutschlands größter Warenlieferant und Handelspartner. hilfe- und kirchliche Organisationen angehören. Sie haben das Herumeiern satt und Und aktuell sind viele deutsche Unternehmen, die dort Produktionsstätten haben, in wollen die deutschen Unternehmen bis 2020 zu mehr Verantwortung in der Lieferket- großer Sorge ob der für 2020 geplanten Einführung eines Sozialkreditsystems, das te gesetzlich verpflichten. mehr Big Brother als freiheitliche Demokratie ist. Dass sich übrigens auch 20 Prozent Sollte die exportabhängige deutsche Wirtschaft in den kommenden Monaten der Deutschen ein solches System wünschen, wie eine Umfrage des Meinungsinstituts noch weiter abrutschen, stünden die Zeichen für eine gesetzliche Verpflichtung aber HEUTE UND MORGEN unter 3.200 Personen ergab, zeigt, wie brüchig der Konsens auch unabhängig vom Ausgang des Monitorings schlecht. Fraglich ist zudem, ob die zu westlichen Werten auch hierzulande geworden ist. Gewerkschaften ihren unternehmenskritischen Kurs aufrechterhalten können, wenn Apropos Digitalisierung: Die bereits erwähnte Studie „Gerechtigkeit 4.0“ warnt es massiv an den Abbau von Arbeitsplätzen geht. Das Argument, durch die Rückver- hier vor neuem „Kolonialismus“. Die transnationalen Konzerne würden ihr Produktions- lagerung von Arbeitsplätzen letztlich zur Wahrung der Menschenrechte beizutragen, wissen vor dem Abfluss in Schwellen- und Entwicklungsländer schützen durch Patente, wäre zwar populistisch wirksam, aber genauso absurd wie der Aufruf „Deutsche – Urheberrechte und Markenzeichen. Während die großen Plattform-Unternehmen wie kauft deutsche Bananen“.
Schwerpunkt Wirtschaft Politikmonitor Na chha ltigkeit 2019 I 04 Interview S eite 4 Kurz berichtet INTERVIEW MENSCHENRECHTE | GESETZLICHE REGELUNGEN Kein Hexenwerk 2012 | US California Transparency in Supply Chains Act: Verpflichtet große, in Kalifornien tätige Einzelhändler und Produzenten ihren Einsatz Mit dem Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) be- gegen Sklaverei und Menschenhandel in der Lieferkette offenzulegen. schreibt die Bundesregierung ihre Erwartung an Unternehmen menschenrechtli- che Sorgfaltspflichten in ihren Lieferketten wahrzunehmen. Der Stand der Umset- 2014 | US Dodd-Frank Act: Die Artikel 1502 bis 1504 fordern von börsen- zung wird aktuell im Rahmen eines Monitorings bei den Unternehmen abgefragt. notierten Unternehmen, über den Umgang mit Konfliktmineralien aus der Wir sprachen dazu mit Irene Plank vom Referat Wirtschaft und Menschenrechte Demokratischen Republik Kongo und ihren Anrainerstaaten zu berichten. des Auswärtigen Amts. 2015 | UK Modern Slavery Act: Unternehmen, die im Vereinigten König- reich Waren oder Dienstleistungen vertreiben, müssen offenlegen, wie sie Mit dem Monitoring erheben Sie erstmals gegen Menschenhandel und Zwangsarbeit in ihrer Lieferkette vorgehen. repräsentative Daten zum Stand der men- schenrechtlichen Sorgfaltspflicht in der 2017 | FR Loi de Vigilance: Durch das Gesetz können die 100 bis 150 größ- deutschen Wirtschaft. Welche Erwartungen ten Unternehmen Frankreichs für schwere Menschenrechtsverletzungen haben Sie an Unternehmen hinsichtlich der oder Umweltschäden haftbar gemacht werden. Berichterstattung jenseits des Monitorings? 2017 | EU Verordnung zu Konfliktmineralien: Festlegung von Pflichten für Wir erwarten vor allem, dass jedes Unter- EU-Importeure zur Erfüllung der Sorgfaltspflichten in der Lieferkette von nehmen – egal ob 100.000 oder 20 Mitar- bestimmten Mineralien und Metallen aus Konflikt- und Hochrisikogebieten. beiter – seine menschenrechtlichen Risiken kennt und mit ihnen angemessen umgeht. 2019 | AUS Modern Slavery Act: In Australien tätige Unternehmen mit Wichtig ist also, dass Unternehmen einen einem Jahresumsatz von mind. 100 Millionen australischen Dollar müssen Überblick darüber haben, was sie wo mit berichten, wie sie gegen Menschenhandel und Zwangsarbeit vorgehen. welchen Auswirkungen tun. Die Bericht- erstattung selbst steht dabei nicht so sehr 2019 | NL Wet zorgplicht kinderarbeid: Unternehmen, die in den Nieder- im Vordergrund. Und für große, kapitalmarktorientierte Unternehmen ist die Bericht- landen Waren verkaufen oder Dienstleistungen erbringen, müssen prüfen, erstattung über das CSR-Richtlinienumsetzungsgesetz ausreichend geregelt. Eine ob in ihren Lieferketten Kinderarbeit auftritt und dann ge gebenenfalls Pflicht zur Berichterstattung konstituiert der Nationale Aktionsplan also nicht. Aber einen Aktionsplan erstellen. natürlich ist es begrüßenswert, wenn man diesbezüglich Transparenz schafft. Und wenn ein Unternehmen sich eh schon auf den Weg macht, menschenrechtliche Sorg- falt umzusetzen, dann ist das auch etwas, das man teilen sollte.
Schwerpunkt Wirtschaft Politikmonitor Na chha ltigkeit 2019 I 04 Interview S eite 5 Kurz berichtet Kann Transparenz Unternehmen also auch helfen, voneinander zu lernen? ein und kriegen eine erste Einschätzung, wo Ihre Hauptrisiken liegen könnten. Auch das Deutsche Global Compact Netzwerk (DGCN) bietet unter anderem Schulungen Ich halte es für sehr wichtig, dass Erfahrungen geteilt werden. Dabei kann und sollte an („Fit für den NAP“). Es gibt außerdem eine Vielzahl privater Anbieter. Reporting helfen. Eine noch größere Rolle sehen wir aber auch bei den Branchen- verbänden. Diese sind ideale Plattformen für einen geschützten Raum, um Wissen Deutschland setzt bislang auf die Selbstverpflichtung von Unternehmen. Wie stehen auszutauschen und Herausforderungen zu diskutieren. Und sie können spezifisch Sie zum Thema Regulierung? Braucht es mehr als die Selbstverpflichtung, um Men- Hilfestellung leisten – zum Beispiel indem sie Branchenleitfäden veröffentlichen. Die schenrechte zu wahren? Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE) hat das in vorbildlicher Weise gemacht und einen Leitfaden veröffentlicht. Beispielhaft ist auch der Leitfaden In Deutschland werden wir die Debatte um eine gesetzliche Regulierung ab 2020 auf des Verbands der Chemischen Industrie (VCI). Das wünschen wir uns von noch mehr Grundlage der Ergebnisse der NAP-Monitorings führen. Diese werden uns zeigen, was Branchenverbänden, und die Bundesregierung unterstützt deswegen den Aufbau von unsere im NAP geäußerten Erwartungen bei den Unternehmen bewirken. Wichtig ist Branchendialogen. aber auch der Blick über Deutschland hinaus: Allein in unserem europäischen Umfeld haben wir bereits Gesetzgebung zu Sorgfaltspflichten im Vereinigten Königreich, in Gerade beim Mittelstand, der mit knappen Ressourcen haushalten muss, nehmen wir Un- Frankreich und jetzt auch bald in den Niederlanden. Wir hören von unseren finnischen sicherheiten wahr, wie bei komplexen Lieferantenstrukturen Menschenrechtverletzun- Kollegen, dass da auch so was angedacht wird. Das heißt, ein deutsches Unternehmen, gen ausgeschlossen werden können. Was würden Sie diesen Bedenken entgegnen? welches im europäischen Kontext tätig ist, arbeitet ohnehin schon in Bereichen, wo es Regulierung gibt. Wichtig ist meines Erachtens, dass Regulierung auch wirklich Klar- Ja, die Problematik ist komplex. Aber wenn man sich damit beschäftigt, dann stellt heit und Rechtssicherheit für Unternehmen schafft und nicht jedes Land sein eigenes man sehr schnell fest: Es ist kein Hexenwerk. Und es gibt viele Unterstützungsangebo- Süppchen kocht. Und dafür braucht es standardisierende Vorgaben auf EU-Ebene. te, wie zum Beispiel den NAP-Helpdesk. Wenn Sie als kleines oder mittelständisches Was mich an der aktuellen Debatte um passende Regulierung stört, ist, dass sie Unternehmen nicht so richtig wissen, wie Sie das Thema anpacken sollen, kann ich nur oft sehr ideologisch geführt wird und eigentlich kaum auf überprüften Grundannah- empfehlen: Rufen Sie den NAP-Helpdesk an, dort kriegen Sie eine maßgeschneiderte men beruht. Um hier zu guten Lösungen zu kommen, braucht man Daten. Das Beratung. Das heißt, man sollte einfach mal anfangen. Und anfangen bedeutet in der NAP-Monitoring ist die weltweit erste Untersuchung dieser Art, die versucht, Daten Regel zu schauen, wo mögliche Risiken für Menschenrechtverletzungen liegen könnten. zum Thema Menschenrechte in der Lieferkette in einem nennenswerten Umfang zu erheben. Und die Erkenntnisse werden helfen, besser zu verstehen, wo Unternehmen Erwarten Sie von allen Unternehmen eine Risikoanalyse – also auch von jenen, die aus- stehen und was ihre Herausforderungen sind. Daher kann ich Unternehmen nur er- schließlich in Ländern wie Deutschland mit entsprechenden gesetzlichen Rahmenbedin- mutigen, beim Monitoring mitzumachen, sofern sie in die Stichprobe gezogen wurden. gungen tätig sind? Denn die Debatte wird weitergehen und das Monitoring ist eine große Chance, sie besser und sachlicher zu führen. Selbstverständlich. Es reicht nicht aus zu sagen: Wir agieren nur in Deutschland, wir haben eine deutsche Arbeitsgesetzgebung und damit kein Risiko. Jedes Unterneh- men ist mittlerweile global so vernetzt, dass man pauschal keine menschenrechtlichen Risiken ausschließen kann. Und auch beim Punkt Risikoanalyse kann ich nur dazu aufrufen, einfach mal anzufangen. Auf der Seite des NAP-Helpdesk finden Sie zum Beispiel den Risk Checker. Da geben Sie einfach die Rahmendaten Ihrer Lieferkette
Schwerpunkt Wirtschaft Politikmonitor Na chha ltigkeit 2019 I 04 Interview S eite 6 Kurz berichtet Kurz berichtet reduzieren. Dass der geplante CO2-Preis viel zu niedrig definiert Standards für Haltung, Transport und Schlach- sei, um eine Lenkungswirkung zu entfalten, ist der größte tung von Schweinen und wird in drei Stufen mit unter- Weltklimarat kritisiert Landnutzung Kritikpunkt. Während die SPD für eine Steuer geworben schiedlichen Anforderungen unterteilt, die vom Platzan- Der Weltklimarat (Intergovernmental Panel on Clima- hatte, setzte sich die Union mit einem Zertifikatehandel gebot bis zu Vorgaben für die Schlachtung reichen. te Change, IPCC) hat im August einen Sonderbericht für den Transport- und Gebäudesektor durch. Von 2021 über Klimawandel und Landsysteme vorgestellt, der die bis 2026 soll es einen Fixpreis auf jede ausgestoßene Ton- Auswirkungen des Klimawandels beschreibt und schnel- ne CO2 geben, der anfangs bei zehn Euro liegt und bis Wohn- und Mietenpaket vorgelegt le Veränderungen bei der Landnutzung fordert. Diese 2025 auf 35 Euro steigt. Ab 2026 soll eine Versteigerung Die Bundesregierung hat am 18. August als Konsequenz umfasst Land- und Forstwirtschaft sowie das gesamte der Emissions-Zertifikate in einem Preiskorridor zwischen des Wohngipfels im September vergangenen Jahres ein Ernährungssystem und macht rund 23 Prozent der ge- 35 und 60 Euro erfolgen. Danach soll die maximale Zerti- Maßnahmenpaket zum bezahlbaren Wohnen und der samten Treibhausgasemissionen aus. fikatemenge jährlich reduziert werden. Durchsetzen konn- Schaffung zusätzlichen Wohnraums vorgelegt. Es sieht te sich Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) aber mit unter anderem Vorgaben zur Verlängerung der Mietpreis- ihrem Vorschlag, den einzelnen Sektoren ein jährliches bremse und zur Begrenzung der Umwandlung von Miet- UN zieht Fazit zu SDGs CO2-Budget vorzugeben. Überschreitet ein Sektor sein wohnungen in Eigentumswohnungen vor. Bis zum Jah- Mit dem Sustainable Development Goals Report 2019 Emissionsbudget, muss das zuständige Ministerium künf- resende soll zudem ein Gesetzesentwurf zur Reform des zeigen die Vereinten Nationen (UN), in welchen Berei- tig Zertifikate aus anderen EU-Staaten kaufen. Mietspiegelrechts vorgelegt werden. Anreize für den Um- chen der globalen Nachhaltigkeitsziele Fortschritte er- stieg auf klimafreundliche Heizsysteme und die energe- reicht wurden. So ist die extreme Armut in den letzten tische Gebäudesanierung sollen weiter diskutiert werden. Jahren zurückgegangen, die Sterblichkeitsrate gesunken Textilsiegel eingeführt und die Mehrheit der Weltbevölkerung hat einen Zu- Am 9. September stellte Entwicklungsminister Gerd Mül- gang zu Strom. Daneben gibt es jedoch in vielen ande- ler das neue staatliche Gütesiegel für nachhaltige Be- Gesetz puffert Kohleausstieg ab ren Bereichen Handlungsbedarf, insbesondere mit Blick kleidung vor: Der „Grüne Knopf“ wird zum Start von 27 Am 28. August hat das Bundeskabinett einen Gesetz- auf den Klimawandel. Der Meeresspiegel steigt, die letz- Unternehmen eingesetzt, darunter Aldi, Lidl, Rewe, Hess entwurf für den Strukturwandel in den Braunkohle- ten vier Jahre waren die wärmsten seit Beginn der Auf- Natur, Tchibo und Vaude. Weitere haben ihr Interesse Regionen beschlossen. Das „Strukturstärkungsgesetz“ zeichnungen und eine Million Pflanzen- und Tierarten daran bekundet. Kleidung mit dem eingenähten Siegel soll die Unterstützung der vom Kohleausstieg betroffe- sind vom Aussterben bedroht. soll in den Produktionsschritten „Bleichen und Färben“ nen Regionen gewährleisten. Bis 2038 erhalten sie Fi- sowie „Zuschneiden und Nähen“ Mindeststandards er- nanzhilfen von bis zu 14 Milliarden Euro für „besonders füllen, die über die gesamte Lieferkette geprüft werden. bedeutsame Investitionen“. Dazu zählen die Verbesse- Klimagesetz und Maßnahmenpaket beschlossen rung des öffentlichen Nahverkehrs, die Breitband- und Am 20. September hat die Große Koalition nach zähen Mobilitätsinfrastruktur und der Umweltschutz. Außer- Verhandlungen die Eckpunkte für das Klimagesetz be- Tierwohllabel beschlossen dem unterstützt der Bund die Regionen durch weitere schlossen und ein Maßnahmenpaket verabschiedet: In Das Bundeskabinett hat am 4. September die Einführung Maßnahmen in eigener Zuständigkeit, etwa der Er- den kommenden vier Jahren sollen 54 Milliarden Euro in eines freiwilligen staatlichen Tierwohlkennzeichens be- weiterung von Forschungs- und Förderprogrammen. In die Sektoren Verkehr, Gebäude und Landwirtschaft flie- schlossen: Verbraucher sollen ab 2020 auf einfache Weise Kraft treten soll das Gesetz erst, wenn auch das Kohle- ßen, um die Klimaziele für 2030 zu erreichen, das heißt, erkennen können, bei welchen Produkten höhere als die ausstiegsgesetz verkündet ist. die CO2-Emissionen gegenüber 1990 um 55 Prozent zu gesetzlichen Vorgaben eingehalten wurden. Das Label
Schwerpunkt Wirtschaft Politikmonitor Na chha ltigkeit 2019 I 04 Interview S eite 7 Kurz berichtet Klimaschutz ist Jugendlichen wichtig Bußgelder von bis zu zehn Prozent des Jahresumsatzes TERMINE Jugendliche in Deutschland zeigen eine hohe Bereit- möglich sein. Bei systematischen Straftaten soll die Ver- schaft, sich für den Klimaschutz einzusetzen. Das ist antwortung zudem nicht mehr auf einzelne Beschäftigte 24.-25.9.2019, New York: UN-Gipfel zu Nachhal- eines der Ergebnisse der Studie „Zukunft? Jugend fra- abgewälzt werden können. tigkeit und Klima (SDG Summit) gen!“ von Bundesumweltministerium und Umweltbun- 30.9.2019, Berlin: Sustainable Consumption for desamt,die im August veröffentlicht wurde. Über 1.000 Mehr Transparenz staatlichen Handelns Biodiversity and Ecosystem Services Worldwide, junge Menschen zwischen 14 und 22 Jahren wurden zu Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und wichtigen Zukunftsfragen und ihrem Engagement zum Am 4. September hat das Bundeskabinett den zwei- nukleare Sicherheit Klimaschutz befragt. Die Ergebnisse der Studie werden ten nationalen Aktionsplan für die sogenannte „Open Anfang 2020 bei einer Jugendkonferenz vorgestellt. Government Partnership“ verabschiedet. Darin beken- 10.10.2019, Berlin: Global Goals Forum, Deutsches nen sich 79 Staaten weltweit zu einem transparenten Global Compact Netzwerk und offenen Regierungs- und Verwaltungshandeln. Sie Umfrage zur Lebensmittelkennzeichnung setzen sich dafür ein, die Zivilgesellschaft in politische 13.11.2019, Berlin: Ecolution 2019, econsense - Das Forsa-Institut hat im Auftrag von foodwatch und Entscheidungen einzubinden. Im Aktionsplan sind ins- Forum Nachhaltige Entwicklung der Deutschen weiteren Verbänden eine Verbraucherumfrage zu Mo- gesamt neun Verpflichtungen der Bundesregierung ent- Wirtschaft e. V. (Anmeldung hier) dellen der Nährwertkennzeichnung durchgeführt. Be- halten. So sollen neue Gesetze künftig verständlicher trachtet wurde der Nutri-Score und der „Wegweiser formuliert oder Jugendliche an politischen Entschei- Ernährung“, der von Bundesernährungsministerin Julia dungsprozessen stärker involviert werden. IMPRESSUM Klöckner in Auftrag gegeben wurde. Rund zwei Drittel der befragten Personen bevorzugen nach Angaben der akzente kommunikation und beratung GmbH (Hrsg.), Studie den Nutri-Score, der „Wegweiser Ernährung“ gel- Aktionsprogramm für den Insektenschutz Sabine Braun (ViSdP), Corneliusstraße 10, D-80469 te im Vergleich dagegen als eher verwirrend und kom- Um das Insektensterben zu stoppen und die Artenviel- München pliziert. Auch das Bundesernährungsministerium führt falt zu schützen, hat das Bundeskabinett am 4. Sep- derzeit eine Verbraucherbefragung durch, um ein ge- tember das „Aktionsprogramm Insektenschutz“ verab- akzente berät Unternehmen, Marken und Organisatio- eignetes Modell zu ermitteln, das dann zur freiwilligen schiedet. Es schränkt den Einsatz glyphosathaltiger und nen seit über 25 Jahren zu Nachhaltigkeit und Verant- Kennzeichnung eingesetzt werden soll. wirkungsgleicher Pflanzenschutzmittel ab 2020 deutlich wortung — in Strategie, Management, Reporting und ein und sieht bis Ende 2023 den Verzicht auf Glyphosat Kommunikation. Gemeinsam mit unseren Kunden arbei- in Deutschland vor. Jährlich wird der Bund zudem 100 ten wir an Lösungen zur Zukunftsfähigkeit, Transparenz Sanktionierung von Wirtschaftskriminalität Millionen Euro für die Förderung des Insektenschutzes und Glaubwürdigkeit ihrer Unternehmen. Das Bundesjustizministerium hat am 22. August den Ent- zur Verfügung stellen, ein Aktionsplan soll die Lebens- wurf für ein Gesetz zur Bekämpfung der Unternehmens- räume für Insekten fördern, wiederherstellen und die www.akzente.de kriminalität vorgestellt. Bei kriminellem Verhalten wie Einträge von Nähr- und Schadstoffen in Böden und Ge- Betrug, Korruption oder Umweltdelikten sollen künftig wässer reduzieren.
Sie können auch lesen