Positionen Dialogforen 2021 Kleine Dinge, große Wirkung

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Dialogforen 2021
Kleine Dinge,
große Wirkung

Positionen
Inhalt   3    Vorwort                                 16   CO2-Staubsauger —
                                                           die Lösung aller Klimaprobleme?
         4    Nach der Seuche ist vor der Seuche           Christoph Beuttler
              Prof. Armin Nassehi
                                                      18   Klimakiller als Wertstoff
         6    Das Ringen um die richtige Strategie         Dr. Barbara Olfe-Kräutlein
              Prof. Melanie Brinkmann
                                                      20   Mobilfunk: Grenzwerte beachten
         8    Allgegenwärtig und doch unsichtbar           Dr. Inge Paulini
              Nadja Ziebarth
                                                      22   Irrationale Ängste versus Wissenschaft
         10   Großer Wurf statt kleiner Schritte           Prof. Achim Enders
              Dr. Lars Gutow
                                                      24   Programm
         12   Je kleiner, desto schädlicher
              Peter Sänger                            26   Impressum, Quellen, Bildnachweis

         14   Wir haben ein Recht auf saubere Luft!
              Dr. Alexandra Schneider

                                                                                                    2
Vorwort         Die Münchener Rück Stiftung setzt sich mit den Risiken der Men-
                schen auseinander. Es war deshalb unvermeidlich, dass wir in den
                Dialogforen das Pandemiethema aufgreifen. Die jetzige Pandemie ist
Kleine Dinge,   nicht nur eine gesundheitliche und menschliche Tragödie. Sie lähmt
große Wirkung   auch die Wirtschaft in vielen Teilen, verschärft weltweit die soziale
                Ungleichheit und ist eine Bewährungsprobe für unsere Gesellschaft,
                wie sie viele von uns noch nicht erlebt haben.
                Aber es gibt noch weitere „kleine Dinge mit großer Wirkung“, die auf-
                grund der Pandemie in den Hintergrund gerückt sind. Die globale
                Umweltverschmutzung und der Klimawandel schreiten auch im Lock-
                down weiter voran. Die jüngsten Fluten und riesigen Waldbrände in
                aller Welt sind eine deutliche Mahnung, dass wir Umwelt- und Klima-
                schutz endlich ernst nehmen müssen.
                Die vorliegende Publikation der Dialogforen 2021 fasst die wichtigsten
                Positionen der fünf Veranstaltungen zu Pandemie, Feinstaub, CO2,
                Mikroplastik und Strahlung zusammen. An dieser Stelle bedanken wir
                uns noch einmal herzlich bei den Referentinnen und Referenten der
                diesjährigen Reihe.
                Eine informative Lektüre wünscht Ihnen
                Ihr Team der Münchener Rück Stiftung
                                                                                         3
Dialogforum 26. Januar 2021                Für Seuchenexperten und Virologen steht fest: Es ist nur         Um auf die nächste Pandemie möglichst gut vorbereitet zu
Viren und Bakterien — seit Jahrtausenden   eine Frage der Zeit bis zur nächsten Pandemie. Das in vielen     sein, hat eine Reihe von Ländern auf der Jahrestagung der
eine weltweite Bedrohung                   Ländern übliche soziale Miteinander auf engem Raum und           WHO im Mai 2021 einen internationalen Pandemievertrag
                                           der globale Flugverkehr machen es Viren und Bakterien            ins Spiel gebracht, der auf eine bessere internationale

Nach der Seuche ist                        leicht, sich rasch über den ganzen Globus zu verbreiten.
                                           „Wir wissen bereits seit langem, dass von den vermutet
                                                                                                            Kooperation abzielt. Dadurch hofft man, früher warnen und
                                                                                                            schneller handeln zu können, um eine beginnende Pande-

vor der Seuche                             ungefähr 300.000 Viren im Tierreich einige auf den Men-
                                           schen überspringen können“, hebt Prof. Philipp Osten wäh-
                                                                                                            mie im Keim zu ersticken. Außerdem soll der Pandemiever-
                                                                                                            trag verhindern, dass ärmere Staaten beim Kampf um
                                           rend des Dialogforums im Januar 2021 hervor. Er steht dem        knappe Güter wie Schutzausrüstung oder Impfstoffe auf
                                           medizinhistorischem Museum in Hamburg vor.                       der Strecke bleiben.

                                           Experten der Weltgesundheitsorganisation WHO vermuten,           Doch ein Problem kann auch ein internationaler Pandemie-
                                           dass sich COVID-19 mit großer Wahrscheinlichkeit in einem        vertrag nicht aus der Welt schaffen. „Bei Dingen wie Viren,
                                           Tier durch natürliche Evolution entwickelt hat und dann auf      die man nicht sehen kann, dauert es lange, bis bei den Men-
                                           den Menschen übergesprungen ist. Solche sogenannten              schen und in der Gesellschaft ein Umdenken stattfindet“,
                                           zoonotischen Infektionen sind nicht ungewöhnlich. Aller-         weiß der Soziologe Prof. Armin Nassehi. „Wir tun uns
                                           dings hat jede Pandemie ihren eigenen Verlauf: „Beim Aids-       schwer damit, von jetzt auf gleich eine neue Situation zu
                                           virus HIV vergingen vom Auftreten der ersten Krankheits-         akzeptieren und reagieren psychologisch gesehen mit Ver-
                                           fälle 1981 mehrere Jahre, bis das Virus identifiziert war“,      drängung.“ Sein Ratschlag: Man müsse den Menschen
                                           erinnert sich Osten. Bei COVID-19 hingegen stand bereits         während einer Pandemie eine positive Zukunft aufzeigen,
                                           nach wenigen Wochen das PCR-Testverfahren zum Nach-              gleichzeitig aber eine gewisse Grundspannung in der
                                           weis einer Infektion zur Verfügung. „Das ist nicht zuletzt der   Gesellschaft aufrechterhalten. Denn die Erfahrung mit
„Pandemien können jederzeit                ‚Coalition for Epidemic Preparedness Innovations‘ zu ver-        COVID-19 habe gezeigt: Wenn die Infektionszahlen sinken
                                           danken“, ergänzt Prof. Melanie Brinkmann vom Helmholtz-          und die gefühlte Bedrohung abnimmt, gerät das Thema für
und überall auftreten. Es hängt
                                           Zentrum für Infektionsforschung. Diese Koalition für Inno-       viele Menschen wieder in den Hintergrund.
viel an der Lebensweise der                vationen in der Epidemievorbeugung ist eine weltweite
Menschen, mit welchen Erregern             Allianz zum Aufbau eines Forschungsnetzwerks für Impf-
wir es zu tun bekommen und wie             stoffe und virale Infekte. Ohne die dort entwickelten Platt-
                                           formen hätte es vermutlich deutlich länger gedauert, bis
sie sich verbreiten.“
                                           Impfstoffe zur Bekämpfung der Corona-Pandemie zur Ver-
                                           fügung gestanden hätten.
Prof. Armin Nassehi
Ludwig-Maximilians-Universität

                                                                                                                                                                          4
Dialogforum 26. Januar 2021
Viren und Bakterien — seit Jahrtausenden
eine weltweite Bedrohung
                                                                                      Ressourcen-

One-Health-Ansatz für
                                                                                       einteilung

effizientes Gesundheits-                                   Verstädterung                                        Klimawandel

management
Zunehmend setzt sich die Erkenntnis durch, dass
die menschliche Gesundheit nicht nur vom Men-                                           Umwelt                                Lebensmittel-
                                                  Wasser
schen selbst und der ihn umgebenden medizini-                                                                                   sicherheit
schen Infrastruktur abhängt. Vielmehr spielen
auch Faktoren wie eine intakte Umwelt sowie
Berührungspunkte mit der Tierwelt eine wichtige
Rolle. Diese ganzheitliche Betrachtung wird im
One-Health-Ansatz hervorgehoben. Für effiziente
Vorsorge müssen wir mehrdimensional denken.                                Menschen                     Tiere
                                                                                                                           Land-
                                                   Ökosysteme
                                                                                                                         wirtschaft

                                                                           Energie                  Gerechtigkeit

Quelle: Global Risk Forum GRF Davos                                                                                                           5
Dialogforum 26. Januar 2021                „Das Virus ist da und entfaltet seine zerstörerische Kraft,      Für den israelischen Weg zur Eindämmung der Corona-
Viren und Bakterien — seit Jahrtausenden   aber wir müssen nicht mit ihm leben, auch wenn wir es            Pandemie findet Nassehi lobende Worte: „Als Gesellschaft,
eine weltweite Bedrohung                   nicht ausrotten können,“ ist Prof. Melanie Brinkmann über-       die unter ständiger Bedrohung von außen steht, war Israel
                                           zeugt. Allerdings, so die Virologin, erfordere das ein konse-    rasch in der Lage, wissenschaftliche, kulturelle und politi-

Das Ringen um                              quentes proaktives Verhalten. Sie plädiert für eine langfris-
                                           tige No-Covid-Strategie ohne Neuinfektionen mit strenger
                                                                                                            sche Steuerungsformen aus einem Guss zu entwickeln und
                                                                                                            sehr rational mit dem Virus umzugehen.“ Man solle das

die richtige Strategie                     Quarantäne, lokalen Mobilitätskontrollen und Massentes-
                                           tungen. „Wir dürfen das Virus nicht an der langen Leine las-
                                                                                                            nicht als Plädoyer für einen ständigen Kriegszustand verste-
                                                                                                            hen. Aber in der modernen Gesellschaft sei es bislang nur
                                           sen. Denn je mehr es zirkuliert, desto eher können sich Vari-    unter solch drastischen Voraussetzungen möglich gewesen,
                                           anten bilden, gegen die Impfstoffe nicht mehr richtig            dass die unterschiedlichen gesellschaftlichen Kräfte an
                                           wirken“, befürchtet Brinkmann.                                   einem Strang zögen. Nassehi’s Rat für die nächste Pande-
                                                                                                            mie lautet daher: „Wir müssen Instanzen in Wissenschaft,
                                            „Ob wir schlauer als das Virus sind hängt davon ab, inwie-      Kultur und Gesellschaft schaffen, die ständig im Dialog mit-
                                           weit die Gesellschaft sich modellkonform verhält“, meint         einander stehen. Dann sind die unterschiedlichen Akteure
                                           dagegen der Soziologe Prof. Armin Nassehi. Er ist skep-          bereits gewohnt, miteinander zu reden, wenn die nächste
                                           tisch, inwieweit das gelingt: „Soziologisch betrachtet ist die   Krise vor der Tür steht. Wenn wir das hinbekommen, dann
                                           moderne Gesellschaft keine Organisation, in der sich die         hätte die Corona-Pandemie zumindest etwas Positives
                                           Menschen genau an Skripte halten. Was wir tun, ist nicht         bewirkt.“
                                           unbedingt vom Verstand geprägt, sondern von dem, was im
                                           Alltag funktioniert.“ Da stünden uns auch unsere Gewohn-
                                           heiten im Weg.

„Wir sind schlauer                         „Jede Gesellschaft hat ihre eigene Kultur, mit einem Über-
                                           griff der Natur umzugehen“, erläutert der Medizinhistoriker
als das Virus.“
                                           Prof. Philipp Osten. Impfgegner seien dabei kein neues Phä-
                                           nomen. Schon 1796, als der englische Landarzt Edward Jen-
Prof. Melanie Brinkmann
                                           ner eine Schutzimpfung gegen Pocken mittels eines Kuh-
Helmholtz-Zentrum
                                           pockenvirus entwickelt hatte, formierte sich Widerstand in
für Infektionsforschung
                                           der Bevölkerung. „Die Impfung mit einem tierischen Virus
                                           wurde sogar teilweise mit Sodomie verglichen“, so Osten.
                                           „Dieser ganze Sumpf, den wir auch heute sehen bei den
                                           Corona-Leugnern, den gibt es leider schon sehr lange. Das
                                           ist ein fruchtbarer Boden, der nie austrocknet.“
                                                                                                                                                                           6
Dialogforum 26. Januar 2021                         Corona-
Viren und Bakterien — seit Jahrtausenden            Fallzahlen
eine weltweite Bedrohung

Vorsorge verhindert
Katastrophen

                                                                 Ohne schützende
Katastrophenvorsorge ist wichtig. Das gilt                       Maßnahmen
auch in der Gesundheit. Einfache Dinge wie das
Tragen von Masken können die Verbreitung von                                                         Kapazität des
Krankheiten vielleicht nicht ganz aufhalten, aber                                                    Gesundheitssystems
spürbar verlangsamen. Das gleiche gilt für die
Reduzierung von Kontakten. Es mag lästig sein,
aber dadurch gewinnen wir Zeit, Belastungs-
spitzen werden vermieden und Gesundheits-
systeme nicht überlastet.                                                          Mit schützenden
                                                                                   Maßnahmen

                                                                                                                   Zeit

Quelle: Bundesregierung                                                                                              7
Dialogforum 11. Februar 2021                  Ob im Meer oder auf den abgelegensten Schneefeldern               Auch bioabbaubare Kunststoffe bieten keinen Ausweg, wie
Mikroplastik — klein, schädlich und überall   in der Arktis, kleinste Plastikpartikel finden sich überall auf   BUND-Expertin Ziebarth verdeutlicht. „Bioabbaubar bedeu-
                                              der Erde. „Nicht alle Kunststoffe sind gleich bedenklich.         tet, dass es Bakterien gibt, die den Kunststoff auflösen,
                                              Es hängt davon ab, welche Art von Additiven wie Weich-            wofür allerdings eine bestimmte Temperatur und Feuchtig-

Allgegenwärtig                                macher, UV-Stabilisatoren oder Flammschutzmittel sie
                                              enthalten“, verdeutlicht Dr. Lars Gutow vom Alfred-Wegener-
                                                                                                                keit nötig sind“, erläutert sie. Insofern sei es ein irreführen-
                                                                                                                des Wort, das man keinesfalls so verstehen dürfe, den Kaf-

und doch unsichtbar                           Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresfor-
                                              schung während des Dialogabends im Februar 2021.
                                                                                                                feebecher einfach in der nächsten Hecke entsorgen zu
                                                                                                                können. Ebenfalls keinen Ausweg bieten Kunststoffe aus
                                              Das Schlimme daran sei, so der Meeresbiologe, dass uns            nachwachsenden Rohstoffen wie Maisstärke oder Zucker.
                                              Mikroplastik bis in die Ewigkeit begleite und die Menge           „Ob Sie Polyethylen aus Erdöl oder Zucker herstellen, macht
                                              nicht linear, sondern exponentiell steige. Denn Mikroplastik      beim Abbau des Kunststoffs für die Umwelt keinen Unter-
                                              entsteht auf vielerlei Art: Beim Waschen von Textilien, durch     schied“, verdeutlicht ECOFARIO-Gründer Porkert.
                                              den Reifenabrieb von Fahrzeugen oder durch Kunstrasen
                                              auf Sport- und Spielplätzen. Außerdem ist es als Reibkörper       Weil man nicht genau weiß, wie schädlich Mikroplastik
                                              in Kosmetika enthalten. Über Abwässer gelangen die Parti-         langfristig für Flora und Fauna ist, tritt Meeresbiologe
                                              kel in die Flüsse und schließlich ins Meer. „Wir wissen nicht     Gutow dafür ein, nach dem Vorsorgeprinzip zu handeln, um
                                              genau, welche Mengen sich tatsächlich in den Ozeanen              den Eintrag zu verringern. Immerhin hat die EU mit ihrer
                                              befinden und welche Schäden die Mikropartikel in Lebewe-          2019 verabschiedeten Einweg-Plastik-Richtlinie die rechtli-
                                              sen anrichten“, räumt Gutow ein.                                  chen Grundlagen für einen nachhaltigeren Umgang mit
                                                                                                                Kunststoffen geschaffen. Das entbindet uns aber nicht, so
                                              Will man Mikroplastik vermeiden, muss man umfassend               viel wie möglich Plastikabfall und Plastikabrieb zu
                                              dagegen vorgehen. „Wir brauchen einen gesellschaftlichen          vermeiden.
„Mikroplastik ist überall,                    Aufbruch, es reicht nicht, hier und da ein wenig zu schrau-
                                              ben“, ist Nadja Ziebarth vom Bund für Umwelt und Natur-
und die Quellen sind vielfältig.“
                                              schutz Deutschland (BUND) überzeugt. Das sei eine politi-
                                              sche Frage, an den Konsumenten werde es nicht scheitern.
Nadja Ziebarth
                                              Das Problem dabei: „Die Politik muss gegen eine starke
Bund für Umwelt und Naturschutz
                                              Lobby seitens der Chemie- und Ölindustrie ankämpfen“,
Deutschland (BUND)
                                              beklagt Dr. Sebastian Porkert, Geschäftsführer und Grün-
                                              der von ECOFARIO, einem Startup, das sich der Entfernung
                                              von Mikroplastik aus dem Abwasser verschrieben hat.

                                                                                                                                                                                   8
Dialogforum 11. Februar 2021                       Mikroplastik
Mikroplastik — klein, schädlich und überall        Jährlich pro Person in Deutschland freigesetzte Mengen

Mikroplastik in
Deutschland — die zehn
wichtigsten Quellen                                1.229 g                   302 g                     228 g               182 g
                                                   Reifenabrieb              Freisetzung bei           Bitumenabrieb von   Granulat und
                                                   (davon 81 % PKW)          Abfallentsorgung          Asphalt             Pelletverluste bei
Die Quellen für Mikroplastik sind vielzählig.                                                                              Kunststoffproduktion
Pro Land und Region unterscheiden sie sich auch
deutlich. Analysen für Deutschland zeigen ein
klares Bild: Die große Masse an Mikroplastikpar-
tikeln wird durch den Straßenverkehr verursacht.

                                                   132 g                     117 g                     109 g               99 g
                                                   Verwehungen an Sport-     Freisetzung               Abrieb              Abrieb Kunststoff-
                                                   und Spielplätzen          auf Baustellen            Schuhsohlen         verpackungen

                                                   91 g                      77 g
                                                   Abrieb Fahrbahn-          Faserabrieb bei der
                                                   markierungen              Textilwäsche
Quelle: Fraunhofer UMSICHT (2018)                                                                                                                 9
Dialogforum 11. Februar 2021                  Die Weltmeere sind einer der letzten Speicher für das           Auf intelligente technologische Lösungen setzt Dr. Sebas-
Mikroplastik — klein, schädlich und überall   gesamte Mikroplastik, das die Menschheit produziert.            tian Porkert, Geschäftsführer und Gründer von ECOFARIO.
                                              Angesichts des Ausmaßes der Verschmutzung werden                Das Startup hat eine Anlage gebaut, die Mikroplastik effizi-
                                              die Ozeane bereits als „Plastiksuppe“ bezeichnet. Nach          ent und günstig aus dem Abwasser entfernt. „Im Durch-

Großer Wurf                                   Schätzungen der Weltnaturschutzunion IUCN kommen
                                              jährlich zwischen 0,8 und 2,5 Millionen Tonnen Mikroparti-
                                                                                                              schnitt gelangen 7000 Partikel pro Kubikmeter Wasser
                                                                                                              nach der Reinigung aus den Kläranlagen in die Umwelt.

statt kleiner Schritte                        kel dazu. Selbst wenn man diesen Eintrag stoppen könnte,
                                              wäre das Problem nicht gelöst. „Mittlerweile befinden sich
                                                                                                              Jetzt kann man sich ausrechnen, was zusammenkommt,
                                                                                                              wenn allein in München etwa 14 Kubikmeter Abwasser pro
                                              geschätzt 150 bis 200 Millionen Tonnen Kunststoffabfälle        Sekunde anfallen“, erklärt der Ingenieur. Er sieht die Politik
                                              in den Ozeanen. Die bekommen wir nicht mehr heraus, so          in der Bringschuld, die mit einer konsequenten Gesetzge-
                                              dass das Material durch die UV-Strahlung spröde wird und        bung das Problem entschärfen könnte.
                                              nach und nach zu Mikroplastik zerfällt“, verdeutlicht der
                                              Meeresbiologe Dr. Lars Gutow. Ganz langfristig sei damit        Letztlich ist das Plastik in der Umwelt ein Spiegel unserer
                                              zu rechnen, dass die Partikel auf den Meeresgrund sinken        gesellschaftlichen Einstellung und sichtbares Zeichen für
                                              und sedimentieren. „Aber wir sollten es nicht herausfischen,    das Verhalten des Menschen gegenüber der Natur. Statt
                                              weil wir dann auch einen großen Teil der Pflanzen- und Tier-    eines einfachen „weiter so“ mit kleineren Korrekturen sei
                                              welt dort unten schädigen.“                                     eine „Meereswende“ nötig, die unter anderem eine drasti-
                                                                                                              sche Reduzierung der Einträge garantiere, fordert Ziebarth.
                                              „Plastik hat in den Meeren nichts zu suchen“, pflichtet Nadja   Es brauche einen gesellschaftlichen Aufbruch, eine Trans-
                                              Ziebarth vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutsch-           formation mit einem umfassenden sozialen und ökologi-
                                              land (BUND) bei. Neben Vermeidung neuer Plastikabfälle          schen Wandel. „Wir können nicht hier und da ein wenig
                                              würde es viel helfen, Kunststoffe konsequent zu recyceln.       schrauben, sondern brauchen den großen Wurf“, lautet das
„Wenn wir substanzielle Mengen                Ein großer Teil werde zwar energetisch verwertet, also ver-     Fazit der Umweltexpertin.
                                              brannt, aber dadurch auch nicht mehrfach genutzt, kritisiert
an Mikroplastik aus dem Meer
                                              sie. „Entscheidend ist, aus welchen Verbundstoffen etwa
fischen wollen, leidet der sensible           eine Verpackung besteht, damit nicht nur minderwertiger
Lebensraum darunter. Der Scha-                Kunststoff nach dem Aufbereiten entsteht, sondern eine
den ist größer als der Nutzen.“               sinnvolle Wiederverwertung möglich ist. Da ist noch Luft
                                              nach oben“, urteilt Ziebarth. Um Mikroplastik zu vermeiden,
Dr. Lars Gutow                                müsse man bereits beim Produktdesign ansetzen. „Oder wir
Helmholtz-Zentrum für Polar-                  bemühen uns um technische Lösungen wie Filter für
und Meeresforschung                           Waschmaschinen, um den textilen Abrieb zurückzuhalten.“

                                                                                                                                                                               10
Dialogforum 26. Januar 2021                                                                                    Mikroplastik entsteht durch
                                                                                                               Zersetzung von größeren
Mikroplastik — klein, schädlich und überall
                                                                                                               Plastikteilen (z.B. Autoreifen-
                                                                                                               abrieb oder Verpackungen)
                                                                                                               oder wird gezielt von der

Der gefährliche Weg
                                                                                                               Industrie hergestellt (z.B.
                                                                                                               für Kosmetika oder Wasch-
                                                    Fische und Meeresfrüchte                                   mittel).

von Mikroplastik
                                                    landen als Nahrung
                                                    wieder beim Menschen.

Kunststoffteilchen, die kleiner als 5 mm sind,
werden als Mikroplastik bezeichnet. Es befindet
sich heute fast überall. In Böden, auf Bergen, im                                  Mikroplastik gelangt ins
                                                                                   Abwasser. Kläranlagen
Eis von Gletschern, in Flüssen, Seen und Meeren.                                   können die Teilchen nicht
                                                                                   komplett herausfiltern.
Der Mensch ist Verursacher der Plastikflut, über
seine Nahrung wird er jedoch auch wieder zum
Absorber – mit bisher nicht ausreichend erforsch-
ten Gefahren für die Gesundheit.

                                                       Teile des Plastiks enden                                        Das Mikroplastik gelangt
                                                       in riesigen Müllstrudeln,                                       in Flüsse und Meere.
                                                       sinken auf den Meeres-
                                                       boden oder werden von
                                                       Meeresbewohnern mit der
                                                       Nahrung aufgenommen.

Quelle: Umweltbundesamt, dpa (MDR) (2019)                                                                                                         11
Dialogforum 16. März 2021              Laut Weltgesundheitsorganisation WHO ist Luftver-                Analog zur angestrebten CO2-Neutralität spricht sich Peter
Feinstaub — das unsichtbare Gift       schmutzung das größte Risiko für unsere Gesundheit.              Sänger, Geschäftsführer des Berliner Startup Green City
                                       Etwa sieben Millionen Menschen sterben demnach welt-             Solutions, für eine Feinstaubneutralität aus. Sein Vorschlag:
                                       weit jedes Jahr, vor allem an Feinstaub aus Verbrennungs-        „Feinstaubemissionen müssen einen Preis bekommen,

Je kleiner,                            prozessen, Industrie und Landwirtschaft. Warum das so ist,
                                       erläutert die bundespolitische Sprecherin für Umweltpolitik
                                                                                                        damit man erkennt, wie hoch der wirtschaftliche Schaden
                                                                                                        durch vorzeitige Todesfälle oder mehr Erkrankungen ist.“

desto schädlicher                      und Umweltgesundheit der Grünen, Dr. Bettina Hoffmann:
                                       „Bei Luftschadstoffen gibt es keine Grenze zwischen schäd-
                                                                                                        Sein Unternehmen beschäftigt sich mit der Frage, wie Inno-
                                                                                                        vationen und Technologien dazu beitragen können, den
                                       lich und unschädlich. Schon kleinste Mengen können die           Feinstaub in der Atmosphäre zu verringern und hat dafür
                                       Gesundheit gefährden.“                                           einen speziellen Luftfilter entwickelt.

                                       Dabei kommt es nicht nur auf die Größe der Partikel an, die      Noch besser wäre es natürlich, wenn erst gar keine Schad-
                                       von weniger als einem Mikrometer (Millionstel Meter) bis zu      stoffe in die Luft gelangten. Manch eine Feinstaubquelle
                                       10 Mikrometer reicht. Entscheidend ist auch die Zusam-           haben die Menschen dabei gar nicht auf dem Schirm, seien
                                       mensetzung: „Feinstaub aus biologischem Material wie             es die Rauchgase von privaten Holzöfen, das Abbrennen von
                                       Saharastaub entfaltet eine ganz andere toxische Wirkung          Räucherstäbchen und Kerzen oder das Düngen in der Land-
                                       als Ruß aus dem Auspuff“, erklärt Dr. Alexandra Schneider,       wirtschaft. „Wir brauchen eine Kultur der Schadstoffvermei-
                                       Leiterin der Arbeitsgruppe „Environmental Risks“ am Insti-       dung“, fordert die Umweltpolitikerin Hoffmann. Andernfalls
                                       tut für Epidemiologie des Helmholtz Zentrum München.             würde Deutschland das selbstgesteckte Ziel verfehlen, den
                                       „Je kleiner sie sind, desto tiefer dringen die Partikel in die   Schadstoffausstoß bis 2030 gegenüber 2005 um 45 Pro-
                                       Lunge ein und können von dort direkt in den Blutkreislauf        zent zu senken. „Wir sollten mutig vorangehen und keine
                                       und in die Zellen wandern oder die Blut-Hirn-Schranke            Angst vor zu ambitionierten Zielen haben, die sich letztlich
„Kontinuierlich schlechte Luft         passieren“, ergänzt sie. Schneider fordert strengere Grenz-      als Treiber für Innovation und technischen Fortschritt erwei-
                                       werte und moniert, dass für ultrafeine Partikel, die kleiner     sen können“, meint sie.
einzuatmen hat seine Folgen.
                                       als 0,1 Mikrometer sind, noch überhaupt keine Grenzwerte
Ein Jahr in London zu leben ist        existieren.
etwa so schädlich, wie 300
Zigaretten zu rauchen.“

Peter Sänger
Geschäftsführer des Berliner Startup
Green City Solutions

                                                                                                                                                                        12
Dialogforum 16. März 2021                             Feinstaubanteile nach Quellen in Deutschland
Feinstaub — das unsichtbare Gift                      in Prozent (auf ganze Werte gerundet)

Die größten
Feinstaub-Sünder

                                                                                Landwirtschaft
Das Umweltbundesamt veröffentlicht regelmäßig                                                                         Industrie
                                                                                    18 %
                                                                                                                      38 %
Zahlen und Fakten zur Feinstaubbelastung in
Deutschland. Mittels hunderter Messstationen in
städtischen und ländlichen Regionen (das soge-
nannte Ländermessnetz) werden die Emittenten
analysiert. Für Deutschland ergibt sich ein relativ
klares Bild: Über ein Drittel des Feinstaubs
stammt aus der Industrie. Verkehr und Landwirt-              Heizung/Öfen/Kamine
schaft steuern ebenfalls erhebliche Anteile bei.
                                                                     12 %                            Straßenverkehr

                                                                                                        15 %

                                                                                     Seeverkehr

                                                                                       10 %
                                                             Kraftwerke

                                                               6%
Quelle: Umweltbundesamt (getair) (2019)                                                                                           13
Dialogforum 16. März 2021                   Die gute Nachricht: In Deutschland nehmen die Feinstaub-       Schon lokal begrenzte Maßnahmen wie etwa eine Verringe-
Feinstaub — das unsichtbare Gift            emissionen stetig ab. Laut Umweltbundesamt werden die          rung des Verkehrs können Schneider zufolge rasche Ver-
                                            Grenzwerte für die Partikelgrößen 10 und 2,5 Mikrometer        besserungen bringen. Denn ein großer Teil des Feinstaubs
                                            (PM 10 bzw. PM 2,5) seit Jahren so gut wie überall eingehal-   stammt vom Abrieb von Bremsen, Reifen und der Straße.

Wir haben ein Recht                         ten. Die schlechte Nachricht: „Im Vergleich zu den USA
                                            oder zu den Vorgaben der Weltgesundheitsorganisation
                                                                                                           Diesen verursachen alle Fahrzeuge - egal ob Diesel, Benzi-
                                                                                                           ner oder Elektroantrieb. Auch auf Bundesebene existieren

auf saubere Luft!                           WHO sind die Grenzwerte in Deutschland und Europa sehr
                                            hoch angesetzt“, bemängelt die Gesundheitsexpertin Dr.
                                                                                                           wirksame Ansatzpunkte, etwa Gesetze zur Luftreinhaltung
                                                                                                           wie die Bundesimmisionsschutzverordnung. „Die Bundes-
                                            Alexandra Schneider.                                           regierung nimmt da aber immer nur die schwächstmögli-
                                                                                                           chen Werte, damit die Verordnung gerade noch so erfüllt
                                            „Alle Bürger haben ein Recht auf saubere Luft, das aber        wird“, kritisiert Hoffmann.
                                            nicht verwirklicht ist“, stellt die Grünen-Bundestagsabge-
                                            ordnete Dr. Bettina Hoffmann fest. Ein Grund für das eher      Neben Verordnungen und Gesetzen sind lokale technische
                                            zaghafte Vorgehen der Politik könnte darin liegen, dass der    Lösungen denkbar. Dazu gehört der City Tree des Berliner
                                            Zusammenhang von Luftverschmutzung und Todesfällen             Startup Green City Solutions. Es ist nach Unternehmensan-
                                            der Öffentlichkeit nicht richtig bekannt ist. So werden häu-   gaben der erste Bio-Tech-Filter auf Basis von Mooskulturen,
                                            fig Lungenkrebs oder Herzerkrankungen als Todesursache         der in Verbindung mit smarter IoT-Technologie (Internet of
                                            genannt, auch wenn sie möglicherweise auf Mikropartikel        Things) die Luftqualität nachweislich verbessert. Der City
                                            zurückzuführen sind. Und weil Luftverschmutzung ein kom-       Tree ist etwa 3 Meter hoch und sieht aus wie ein mit Holzla-
                                            plexes Thema mit vielen Ursachen ist, gibt es keine einfa-     mellen besetzter Kubus. Umgebungsluft wird angesaugt,
                                            chen Lösungen. Denn mit jedem Emittenten, ob im Trans-         Moose filtern Schadstoffe und Feinstoff heraus, saubere
                                            portwesen, der Industrie oder der Landwirtschaft, muss         und kühlere Luft strömt wieder aus. „Es ist klar, dass wir mit
„Wir sind nicht machtlos. Mit               man jeweils aushandeln, wieviel er zu einer besseren Luft-     einen oder zwei City Trees die Welt nicht retten werden“,
                                            qualität beitragen kann. „Wir können mehr und die Bevölke-     räumt Geschäftsführer Peter Sänger ein. Aber sie können
lokalen Maßnahmen lassen sich
                                            rung will auch mehr“, ist sich Hoffmann sicher.                die Luftqualität an Feinstaub-Hotspots in den Städten ver-
die Luftqualität und damit                                                                                 bessern. Langfristig kann sich Sänger eine Art Vertical Far-
die Gesundheit rasch verbessern.“                                                                          ming vorstellen, bei der die City Tree-Technologie im Fassa-
                                                                                                           denbau eingesetzt wird. Der City Tree mag ein Baustein für
Dr. Alexandra Schneider                                                                                    bessere Luft sein, an einer Reduktion des Feinstaubeintrags
Leiterin der Arbeitsgruppe „Environmental                                                                  führt aber kein Weg vorbei.
Risks“ am Institut für Epidemiologie des
Helmholtz Zentrum München

                                                                                                                                                                            14
Dialogforum 16. März 2021                           Mittlere PM10-Konzentration (µg/m3)
Feinstaub — das unsichtbare Gift                    in Deutschland

Feinstaubkonzentrationen                                                rs   na
                                                                               h

im Abwärtstrend                                     50         Ve
                                                                  r keh

                                                    45                                            d
                                                                                                 n
                                                                                             gru
                                                                                       n  ter
                                                                                r   Hi
                                                    40                   c   he
PM10 sind Feinstaubpartikel mit einem aero-                          tis
                                                               St äd
dynamischen Durchmesser von 10 Mikrometern
oder kleiner. Diese werden in verschiedenen         33                                         nd
                                                                                            gru
Kategorien gemessen: verkehrsnah, städtisch                                          n   ter
                                                    30                        r   Hi
und ländlich. In allen drei Bereichen sehen                                he
                                                                       lic
                                                                   nd
wir einen erfreulichen Abwärtstrend der Luft-                  Lä
belastung in den letzten gut 20 Jahren in           22
Deutschland. Jetzt gilt es, diesen Trend ambitio-                                                                          19
                                                    20
niert fortzusetzen.
                                                                                                                           15

                                                                                                                           12

                                                    10

                                                    1995                       2000                   2005   2010   2015   2019

Quelle: Umweltbundesamt (2019)                                                                                              15
Dialogforum 15. April 2021           Im Mai 2021 wurde mit 419 pro Million Luftteilchen (ppm)         Doch ohne finanzielle Unterstützung oder eine angemes-
CO2 — Wertstoff oder Klimakiller?    die höchste Kohlendioxid-Konzentration in unserer Atmo-          sene CO2-Bepreisung werden CCU und CCS wohl nicht die
                                     sphäre seit Beginn der Aufzeichnungen Ende der 1950er-           erforderliche Dynamik erreichen. „Auf längere Sicht wäre es
                                     Jahre gemessen. Damals lag sie noch bei weniger als              sinnvoll, CCU in das Emissionshandelssystem einzubin-

CO2-Staubsauger —                    320 ppm. Mit CO2-Einsparungen alleine, etwa durch den
                                     Ausbau der Erneuerbaren Energien oder durch mehr Ener-
                                                                                                      den“, empfiehlt Prof. Sabine Fuss, Leiterin der Arbeits-
                                                                                                      gruppe Nachhaltiges Ressourcenmanagement und globaler

die Lösung                           gieeffizienz, lassen sich die Klimaziele von Paris kaum errei-
                                     chen. Denn dafür müsste allein die EU ihre Treibhausgas-
                                                                                                      Wandel beim Mercator Research Institute on Global Com-
                                                                                                      mons and Climate Change (MCC). Letztlich müsse man

aller Klimaprobleme?                 Emissionen bis 2030 um mindestens 40 Prozent im
                                     Vergleich zu 1990 senken.
                                                                                                      eine CCU-Förderung aber immer ganzheitlich betrachten.
                                                                                                      „Die CO2-Nutzung kann ein Beginn für ambitionierte Klima-
                                                                                                      schutzpfade sein, doch sollten finanzielle Anreize stets auf
                                     Laut Umweltbundesamt ist das gleichbedeutend damit, die          Vermeidung oder Entnahmen von CO2 gerichtet sein.“
                                     geplanten jährlichen Minderungen um den Faktor 3 zu
                                     erhöhen. Für die angestrebte Gesamtminderung von 95              Dass die Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre keine
                                     Prozent bis 2050 müssten die CO2-Einsparungen sogar              perfekte Lösung ist, darüber gibt sich Beuttler keinen Illusi-
                                     fast um den Faktor sieben steigen. Deshalb empfehlen etwa        onen hin. „Natürlich kann es sein, dass das eine oder andere
                                     die Experten von der Deutschen Akademie der Technikwis-          Kohlekraftwerk durch CCS länger am Netz bleibt.“ Aber
                                     senschaften acatech, flankierend die Nutzung und Speiche-        wenn das Ziel eine CO2-neutrale Welt sei, komme man an
                                     rung von CO2 mit Hilfe sogenannter CCUS-Technologien             der Technologie nicht vorbei, weil es immer bestimmte Rest-
                                     (Carbon Capture, Usage and Storage oder Kohlenstoffab-           emissionen gebe. „Es ist keine Frage von wollen, sondern
                                     scheidung, -verwendung und -speicherung) voranzutreiben.         wir müssen jetzt loslegen“, appelliert er und fügt hinzu:
                                                                                                      „Die Technologien sind da, jetzt müssen wir sie möglichst
„Das Herausfiltern von CO2           Die große Frage lautet, wie wirtschaftlich das ist. Christoph    schnell in großem Maßstab zur Anwendung bringen.“
                                     Beuttler von der Firma Climeworks, einem der weltweit füh-
aus der Atmosphäre ist essenziell,
                                     renden Unternehmen zur Entfernung von CO2 aus der
um die globalen Klimaziele zu        Atmosphäre mittels containergroßer „Staubsauger“, räumt
erreichen.“                          ein: Mit Kosten von 600 bis 800 Dollar pro Tonne sei man
                                     derzeit noch zu teuer. „Wir stehen aber erst am Anfang der
Christoph Beuttler                   Technologie und dürften im Lauf der Zeit in den Bereich von
Climeworks                           100 Dollar pro Tonne vorstoßen.“ Das so gewonnene Koh-
                                     lendioxid kann entweder durch Speicherung vollständig aus
                                     der Luft entfernt (Carbon Capture and Storage, CCS) oder
                                     als Rohstoff (Carbon Capture and Utilization, CCU) verwen-
                                     det werden.
                                                                                                                                                                       16
Dialogforum 15. April 2021                          Jährliche globale Treibhausgasemissionen (Gt/Jahr)
CO2 — Wertstoff oder Klimakiller?

                                                                                                                 Traditionelle
CO2-Entnahme                                        70                                                           Klimaschutztechnologien

als letzter Ausweg                                  60
                                                                          Ohne Maßnahmen
                                                                                                                  Vermiedenes
                                                                                                                      CO2

                                                    50

Die Menschheit muss ihre CO2-Emissionen dras-
tisch reduzieren, um das 2-Grad-Limit einzuhal-     40
ten. Wir sind jedoch zu langsam in unseren welt-
weiten Bemühungen. Die Einsparungen werden
                                                    30
nicht ausreichen. Selbst bei einer hundertprozen-
tigen Umstellung unserer Energiewirtschaft auf
erneuerbare Energieträger sowie einer weitge-       20
                                                                                                                 Emittierende
                                                                                               2°C-Pfad
henden Dekarbonisierung weiterer Sektoren,                                                                       Technologien
werden weiterhin Emissionen entstehen: In der       10
                                                                                                                 +CO2
Landwirtschaft und in manchen Industriesparten,
aber auch über natürliche Prozesse. Diese unver-
                                                    0                                                            Technologien zur
meidbaren Emissionen müssen über CO2-Ent-
                                                                                                                 Kohlenstoffentfernung
nahme-Verfahren ausgeglichen werden. Spre-
chen wir von 1,5-Grad, müssen negative              –10
                                                                                                                 – CO2
Emissionen noch viel früher realisiert werden.

                                                          2010                 2050                       2100

Quelle: UNEP (2017)                                                                                                                        17
Dialogforum 15. April 2021                 Was tun mit dem Kohlendioxid, das mithilfe technischer        Daneben lässt sich CO2 auch für die Herstellung von Kunst-
CO2 — Wertstoff oder Klimakiller?          Verfahren der Atmosphäre entzogen wird? Eine Möglichkeit      stoffen, Chemikalien, Dünger oder sogar Proteinen für Nah-
                                           wäre, es in unterirdische Speicher, zum Beispiel in ehema-    rungsmittel verwenden. „Man kann keine pauschale Ant-
                                           lige Öl- oder Gaslagerstätten, zu verpressen – auch bekannt   wort über Sinn oder Unsinn der CCU-Technologie geben,

Klimakiller                                als Carbon Capture and Storage (CCS). Doch hierzulande
                                           sind die Vorbehalte dagegen groß, wie Dr. Barbara Olfe-
                                                                                                         sondern muss jede Anwendung einzeln betrachten“, gibt
                                                                                                         Olfe-Kräutlein zu bedenken. Vor allem komme es darauf an,

als Wertstoff                              Kräutlein vom Institute for Advanced Sustainability Studies
                                           erläutert: „Die Speicherung von CO2 in Deutschland trifft
                                                                                                         wie langlebig das Produkt sei, ergänzt Sabine Fuss vom
                                                                                                         Mercator Research Institute on Global Commons and Cli-
                                           auf wenig gesellschaftliche Akzeptanz. Irrationalen Ängsten   mate Change (MCC). Zum Beispiel entlässt ein syntheti-
                                           vor Lecks oder Erdbebengefahr ist schwer beizukommen.“        scher Kraftstoff das gebundene CO2 rasch wieder in die
                                                                                                         Atmosphäre. „Man muss genau messen, wieviel Treibhaus-
                                           Eine noch wenig bekannte Alternative ist die Nutzung des      gas in den einzelnen Phasen vermieden oder entzogen wird,
                                           gewonnenen CO2 als Rohstoff für andere Produkte – Car-        damit CCU als Klimaschutzmaßnahme auch tatsächlich
                                           bon Capture and Usage (CCU). Die relevanten Technologien      wirkt.“
                                           stehen zwar noch am Anfang ihrer Entwicklung, könnten
                                           langfristig aber durchaus eine Rolle im Stoffkreislauf des    Ohne Förderung, so Doris Hafenbradl, hätte man die Power-
                                           CO2 spielen. „Die Vorstellung, dass man aus dem hässlichen    to-Gas-Technologie von Electrochaea nicht bis zur Markt-
                                           Klimagas etwas Nutzbares machen kann, ist natürlich sehr      reife entwickeln können. Aber auch die Photovoltaik hätte
                                           attraktiv“, schwärmt die Wissenschaftlerin Olfe-Kräutlein.    ohne großzügige Einspeisevergütung in Deutschland kaum
                                           Zum Beispiel, um umweltfreundlicher hergestelltes Gas zu      den Durchbruch geschafft. „Das breite Spektrum der För-
                                           erhalten gegenüber fossilen Quellen. Wie das funktioniert,    derlandschaft zeigt, dass die Politik erkannt hat, welches
                                           erläutert Dr. Doris Hafenbradl, Geschäftsführerin bei der     Potenzial in der CCU-Technologie steckt“, ist Olfe-Kräutlein
„CO2 lässt sich vielfältig                 Electrochaea GmbH in Planegg bei München. Das Startup         überzeugt. Ohne gleichzeitige Verringerung der CO2-Emis-
                                           hat eine Power-to-Gas-Technologie entwickelt, bei der mit     sionen werden uns aber weder CCS noch CCU vor dem Kli-
verwenden.“
                                           Stromüberschüssen aus Erneuerbaren Energien und Was-          makollaps retten.
                                           ser zunächst Wasserstoff hergestellt wird. Im Anschluss
Dr. Barbara Olfe-Kräutlein
                                           helfen Mikroorganismen dabei, CO2 mit dem Wasserstoff in
Forschungsgruppenleiterin beim Institute
                                           Methan umzuwandeln. Dieses wiederum kann direkt ins
for Advanced Sustainability Studies
                                           Gasnetz eingespeist werden. „Wir können unseren Prozess
                                           als Speichertechnologie verwenden, bei der grüner Strom in
                                           Gas umgewandelt und im Gasnetz gespeichert wird. Bei
                                           Bedarf lässt sich dieser Prozess dann wieder umkehren.“
                                           Oder man verwertet das Gas auf herkömmliche Art zum
                                           Heizen oder Kochen.
                                                                                                                                                                        18
Dialogforum 15. April 2021
CO2 — Wertstoff oder Klimakiller?                                                 CO                                       CO                                           CO
                                                                                    2                                        2                                            2

CO2-Entnahme-Verfahren

                                                                                        Aufforstung und                          Bioenergie mit CO2-Abscheidung               Ozeandüngung
                                                                                        Wiederaufforstung                        und -Verpressung (BECCS)                     Eisen oder andere Nährstoffe
Heute wird bereits eine Vielzahl an CO2-Ent-                                            Baumwachstum entzieht                    Pflanzen wandeln CO2 in Biomasse um,         werden dem Ozean zugesetzt, um
nahme-Verfahren erforscht und vielerorts prak-                                          der Atmosphäre CO2.                      die Energie liefert. CO2 wird aufge-         die CO2-Aufnahme zu erhöhen.
                                                                                                                                 fangen und im Boden gespeichert.
tisch getestet. Sie lassen sich unter anderem in
biologische, chemische oder technische Verfah-
ren unterteilen. Die verschiedenen Verfahren                                      CO                                       CO                                           CO
                                                                                    2                                        2                                            2
bedeuten teils massive Eingriffe in Ökosysteme,
so dass eine Kosten-Nutzen-Analyse nicht nur
unter wirtschaftlichen Aspekten unbedingt nötig
ist. Die Grafik zeigt einige Beispiele, die heute
diskutiert werden.

                                                                                        Biokohle                                 Enhanced Weathering                          Luftfilter (DAC)
                                                                                        Teilverbrannte Biomasse wird den         Bei der chemischen Verwitterung von          CO2 wird der Umgebungsluft durch
                                                                                        Böden zugefügt und absorbiert            Gesteinen wird der Atmosphäre CO2            chemische Prozesse entzogen und im
                                                                                        zusätzlich CO2.                          entzogen. Um diesen Vorgang zu               Boden gespeichert.
                                                                                                                                 beschleunigen, werden dem Boden
                                                                                                                                 zerkleinerte Mineralien zugesetzt.

Quelle: Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (2019)                                                                                                                                19
Dialogforum 20. Mai 2021              Die Frage nach den gesundheitlichen Folgen der Handynut-        Eine gänzlich andere Meinung vertritt der Physiker und
5G, WLAN und Infrarot — unsichtbare   zung ist so alt wie der Mobilfunk selbst. Immerhin handelt      Mediziner Prof. Achim Enders, Leiter des Instituts für Elekt-
Strahlung, unsichtbarer Feind?        es sich um hochfrequente elektromagnetische Strahlung,          romagnetische Verträglichkeit an der Technischen Universi-
                                      der wir uns körpernah aussetzen. Auch in der Wissenschaft       tät Braunschweig. Wenn das Thema wirklich relevant wäre,

Mobilfunk:                            gibt es dazu konträre Meinungen, denn: „Die Nichtexistenz
                                      eines Risikos lässt sich wissenschaftlich nicht beweisen“,
                                                                                                      so seine Argumentation, würden sich viel mehr Wissen-
                                                                                                      schaftler mit den Auswirkungen von Elektrosmog befassen.

Grenzwerte beachten                   umreißt die Präsidentin des Bundesamts für Strahlenschutz
                                      (BfS), Dr. Inge Paulini, die Problematik. „Aber eine entspre-
                                                                                                      „Ich kann mit der Fragestellung, inwieweit technische
                                                                                                      Geräte durch Funkstrahlung gestört und damit indirekt
                                      chende Studienlage erlaubt, das Ausmaß eines möglichen          Menschen gefährdet werden, wesentlich mehr für die
                                      Risikos einzugrenzen.“ Deshalb nimmt ihre Behörde eine          Sicherheit bewirken“, ist er überzeugt.
                                      Gesamtschau der weltweiten Studien vor. Und auch wenn
                                      es keine wissenschaftlich gesicherten Belege für gesund-        Mögliche biologische Auswirkungen der Mobilfunkstrah-
                                      heitliche Schäden unterhalb der Grenzwerte gebe, schränkt       lung bei Einhaltung der Grenzwerte hält er für minimal.
                                      Paulini ein: „Weil es sich um eine relativ junge Technologie    Und da solche Effekte bislang nicht real nachgewiesen
                                      handelt, müssen wir bezüglich Aussagen über die Langzeit-       seien, sollte man sich um dringendere Probleme der Strah-
                                      gefährdung etwa hinsichtlich Krebs vorsichtig sein. Dazu        lungssicherheit kümmern. „Die Studien, die wissenschaft-
                                      betreiben wir laufend Forschung.“                               lichen Standards folgen, belegen meine Aussagen nach-
                                                                                                      drücklich“, betont Enders. „Auch bei 5G geht die größte
                                      „Es gibt sehr wohl eine Reihe von Studien, die jenseits der     Strahlungsbelastung mit einem Anteil von 90 bis 95
                                      Erwärmung von Köpergewebe, auf die das BfS Bezug                Prozent vom Handy selbst aus, egal wieviel Basisstationen
                                      nimmt, gesundheitsschädliche Effekte nachweisen“, ent-          sich in der Nähe befinden.“
                                      gegnet Jörn Gutbier, Vorsitzender des Vereins „diagno-
„Es gibt keine wissenschaftlich       se:funk“. Er bezieht sich auf 94 Reviews, in denen soge-
                                      nannte athermische Wirkungen wie gentoxische Effekte,
gesicherten Belege für negative
                                      Fruchtbarkeitsschäden oder neurologische Effekte wie Stö-
Gesundheitseffekte durch Mobil-       rungen der Gedächtnisleistung betrachtet werden. Zudem
funk unterhalb der geltenden          zitiert er die Internationale Agentur für Krebsforschung
Strahlungsgrenzwerte.“                (IARC), eine Einrichtung der Weltgesundheitsorganisation
                                      WHO: Sie hat 2011 Hochfrequenzfelder von Mobiltelefonen
Dr. Inge Paulini                      als „möglicherweise krebserregend“ eingestuft. Allerdings
Präsidentin des Bundesamts für        ist das auf der IARC-Skala die geringste Gefährdungsein-
Strahlenschutz                        stufung, in die auch Extrakte von Ginkgo oder Aloe-Vera,
                                      sauer eingelegtes Gemüse oder Nickel bzw. Nickellegierun-
                                      gen fallen.
                                                                                                                                                                      20
Dialogforum 20. Mai 2021                              Darstellung des elektromagnetischen
5G, WLAN und Infrarot — unsichtbare                   Spektrums mit Frequenz und Wellenlänge
Strahlung, unsichtbarer Feind?

Elektromagnetische                                    Gammastrahlung
                                                      Radioaktive Stoffe
                                                                                               Ionisierende
                                                                                               Strahlung
                                                                                                                   10 21

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Strahlung und Felder                                  Röntgenstrahlung
                                                                                                                   10 19

                                                                                                                   10 18
                                                                                                                            10 –11

                                                                                                                            10 –10
                                                      Röntgengerät                                                          10 –9     1 nm
                                                      Linearbeschleuniger                                          10 17
                                                                                                                            10 –8
                                                                                                                   10 16
                                                      Optische Strahlung                       Nichtionisierende            10 –7     100 nm
                                                                                                                   10 15
                                                      UV-Strahlung                             Strahlung
Elektromagnetische Strahlung umfasst ein              Sichtbares Licht                                             10 14
                                                                                                                            10 –6

                                                                                                                            10 –5
weites Spektrum. Von gefährlicher radioaktiver        Infrarot-Strahlung                                           10 13
                                                                                                                            10 –4     0,1 mm
Strahlung bis hin zum Erdmagnetfeld. Der neue                                                                      10 12
                                                      Hochfrequente Felder                                                  10   –3

Mobilfunkstandard 5G gehört zu den hochfre-           Radar
                                                                                                                   10 11

                                                                                                                   10 10    10 –2
quenten Arten. In der Übersicht ist er zwischen       Mikrowellen
                                                                                                                            10 –1     10 cm
                                                      Mobilfunk (GSM, UMTS, LTE)                                   10 9
Radiowellen und Mikrowellen anzusiedeln, bei-         Ultrakurzwelle
                                                                                                                            10   0
                                                      Kurzwelle                                                    10 8
des Strahlungsarten, die längst in unseren Alltag     Mittelwelle                                                  10 7     10 1
integriert sind. 5G ist nicht ionisierend, d.h. die   Langwelle
                                                                                                                   10 6     10 2      100 m
Energie reicht nicht aus, Erbgut direkt zu schädi-                                                                 10 5     10 3
                                                      Niederfrequente Felder
gen. Eine detaillierte Forschung zu 5G steht          Wechselstromleitungen                                        10 4     10 4

jedoch noch aus. Daran entzünden sich Debatten.       Elektrogeräte                                                10 3     10 5      100 km

                                                                                                                   10   2   10   6

                                                                                                                   10   1
                                                                                                                            10 7

                                                      Statische Felder                                             Frequenz Wellenlänge
                                                      Erdmagnetfeld                                                Hz       m
                                                      Leitungen zur Hochspannungs-
                                                      Gleichstrom-Übertragung

Quelle: Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) (2021)                                                                                            21
Dialogforum 20. Mai 2021                       Warum wird Elektrosmog als allenfalls minimale hypotheti-    „Wir können Kopfschmerzen und Krebs nicht in einen Topf
5G, WLAN und Infrarot — unsichtbare            sche Gefahr so breit in der Öffentlichkeit diskutiert? Der   werfen“, entgegnet BfS-Prasidentin Inge Paulini. Bei Krebs
Strahlung, unsichtbarer Feind?                 Physiker Achim Enders unternimmt einen Erklärungsver-        werde aber genau hingesehen, ob eine Kausalität auf der
                                               such: „Wissenschaft kann versuchen, die Menschen mit         Zell- oder Körperebene bestehe und entsprechende Zahlen

Irrationale Ängste                             Fakten, Wissen und Bewertungen aufzuklären. Aber die
                                               Corona-Pandemie hat gezeigt, dass bei alledem eine höchst
                                                                                                            in den Krebsregistern der Länder das auch untermauern.
                                                                                                            „Unser Verständnis von Vorsorge ist Folgendes: Wenn die

versus Wissenschaft                            emotionale Komponente mitschwingt, die die Menschen
                                               gegenüber rationalen Argumenten taub macht.“ Auch, dass
                                                                                                            Gesellschaft flächendeckend eine Technologie mit Frequen-
                                                                                                            zen etablieren will, die noch nicht so gut erforscht sind,
                                               das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) von Amts wegen        dann müssen wir mehr Forschung dazu betreiben. Das
                                               offenen Fragestelllungen zu möglichen Gefahren nachgeht,     machen wir, und wir schließen dabei nichts von vornherein
                                               würde zur Verunsicherung der Menschen beitragen.             aus,“ so Paulini. Die Frage nach Vertrauen in die Institutio-
                                                                                                            nen könne man nur mit Transparenz und Offenheit lösen.
                                               Für die Wissenschaft selbst sei das Thema aber ohne große
                                               Relevanz, weil das Ergebnis meist unergiebig sei und der     Bei allen unterschiedlichen Positionen: Dass die Bevölke-
                                               Aufwand sich nicht lohne. Enders macht noch eine andere      rung einen Anspruch auf Aufklärung hinsichtlich möglicher
                                               Rechnung auf: „In Europa gibt es jedes Jahr rund 800 Tote    Risiken hat, ist unumstritten. Gesundheitliche Gefahren
                                               infolge von schwarzem Hautkrebs allein durch die Nutzung     durch Mobilfunk sind nicht völlig auszuschließen, doch hat
                                               von Solarien, hierzulande sterben schätzungsweise 1000       die Forschung dazu derzeit keine belastbaren Erkenntnisse.
                                               bis 2000 Menschen durch Radonbelastung in den Häusern.       Schlafstörungen und auch Kopfschmerzen etwa werden
                                               Die Forschungsfragen bezüglich eines hypothetischen          wahrscheinlicher physiologisch durch Überanstrengung der
                                               Restrisikos bei Mobilfunk sind da doch ein Luxusproblem.“    Augen („Office-Eye-Syndrom“) verursacht. Sicher ist jedoch
                                                                                                            auch: Die Nutzung von Mobilfunk hat unbestrittene Vorteile
„Wie bei der Corona-Pandemie                   Nach Ansicht von Jörn Gutbier, Vorsitzender des Vereins      und ist aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken. Jeder hat
                                               „diagnose:funk“, desinformieren staatliche Stellen die       es in der Hand, sein Mobiltelefon von Zeit zu Zeit auszu-
schwingt auch bei der Diskussion
                                               Legislative und die Öffentlichkeit und verweigern so eine    schalten und die individuelle Strahlenbelastung deutlich zu
um Risiken des Mobilfunks eine                 wirksame Vorsorgepolitik. Weder bei massiven Zunahmen        minimieren.
höchst emotionale Komponente                   von Schlafstörungen, der Verdoppelung von Lymphdrüsen-
mit.“                                          krebs bei jungen Frauen in den vergangenen 14 Jahren oder
                                               dem verstärkten Auftreten von Kopfschmerzen bei Kindern
Prof. Achim Enders                             würden öffentliche Untersuchungen angestoßen. „Dabei ist
Leiter des Instituts für Elektromagnetische    Vorsorge möglich. Wir hätten jetzt schon die Möglichkeit,
Verträglichkeit an der Technischen Universi-   mit der bestehenden Technologie anders umzugehen und
tät Braunschweig                               strahlungsarme Konzepte mit weniger Leistung
                                               umzusetzen.“
                                                                                                                                                                            22
Dialogforum 20. Mai 2021                             Von 1G bis 5G
5G, WLAN und Infrarot — unsichtbare
Strahlung, unsichtbarer Feind?

Generationen
der Mobilfunkstandards                                  1G                          2G                          2,5G                        2,75G

Die Entwicklung des Mobilfunks begann bereits        1958                        1992                          2001                         2006
in den 1920er-Jahren. Es dauerte jedoch bis in die   Mobiles Telefonieren        Mobiles Telefonieren mit      Digitale Datenübertragung    Weiterentwicklung der
                                                     mit analoger Sprachüber-    digitaler Sprachübertragung   (GPRS)                       digitalen Datenübertragung
50er, bis nennenswerte Nutzerzahlen zu sehen         tragung                     (GSM)                                                      (EDGE)

waren. Ab hier nahm die Entwicklung einen
immer schnelleren Verlauf. Heute ist der Mobil-
funk aus kaum einer Region unserer Erde mehr
wegzudenken. Er übernimmt nicht nur Kommu-              3G                          4G                            5G
nikationsaufgaben, sondern spielt eine wichtige
Rolle in der Bildung, beim Daten- und Wissens-
transfer und sogar bei Zahlungsströmen. Um das
zu leisten, mussten zwingend neue Mobilfunk-
standards entwickelt werden.                         2004                        2010                          2020
                                                     Gleichzeitiges Senden und   Weiterentwicklung von         Intelligente Echtzeit- und
                                                     Empfangen mehrer Daten-     UMTS; höhere Download-        Massenkommunikation
                                                     ströme (UMTS)               Geschwindigkeiten (LTE)

Quelle: dpa, Nordwestzeitung (2019)                                                                                                                                 23
Programm   Dialogforum 26. Januar 2021                                  Dialogforum 11. Februar 2021

           Viren und Bakterien —                                        Mikroplastik —
           seit Jahrtausenden                                           klein, schädlich und überall
           eine weltweite Bedrohung                                     Ob in den Weltmeeren, in unseren Flüssen, in Böden oder in
                                                                        Kosmetika: Mikroplastik ist inzwischen überall und verän-
           Die Corona-Krise ist nur das jüngste Beispiel: In unserer
                                                                        dert die gesamte Biosphäre unseres Planeten. Die wasser-
           globalisierten Welt können sich winzige Krankheitserreger
                                                                        unlöslichen Kunststoffpartikel sind kleiner als fünf Millime-
           rasend schnell über alle Erdteile ausbreiten – mit fatalen
                                                                        ter und sind längst auch in unserer Nahrungskette
           Konsequenzen. Wie unterscheiden sich Viren, Bakterien
                                                                        angekommen. Wie können wir die Mikroplastikflut eindäm-
           und Parasiten und was macht uns überhaupt krank, wenn
                                                                        men? Wie gefährlich ist Mikroplastik in unserer Nahrung?
           sie uns befallen? Wie können wir uns effektiver schützen
                                                                        Was muss an unseren nationalen und internationalen
           und auf zukünftige Pandemien besser vorbereiten? Und wie
                                                                        Umweltgesetzen geändert werden? Können Mikro-
           verändern Pandemien menschliches Verhalten und unser
                                                                        organismen beim Abbau von menschengemachten Kunst-
           gesellschaftliches Zusammenleben?
                                                                        stoff wie etwa PET zum Einsatz kommen?

           Prof. Melanie Brinkmann
           Infektionsbiologin am Helmholtz-Zentrum                      Dr. Lars Gutow
           für Infektionsforschung und an der Technischen               Meeresbiologe beim Alfred-Wegener-
           Universität Braunschweig                                     Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und
                                                                        Meeresforschung, Bremerhaven
           Prof. Armin Nassehi
           Soziologe an der Ludwig-Maximilians-                         Dr. Sebastian Porkert
           Universität München                                          Geschäftsführer und Gründer von
                                                                        ECOFARIO, München
           Prof. Philipp Osten
           Medizinhistoriker und Direktor des Medizin-                  Nadja Ziebarth
           historischen Museums Hamburg                                 Mikroplastikexpertin beim Bund für Umwelt
                                                                        und Naturschutz Deutschland (BUND), Bremen

            Mehr zum Dialogforum am 26. Januar 2021                       Mehr zum Dialogforum am 11. Februar 2021                      24
Dialogforum 16. März 2021                                       Dialogforum 15. April 2021                                   Dialogforum 20. Mai 2021

Feinstaub —                                                     CO2 —                                                        5G, WLAN und Infrarot —
das unsichtbare Gift                                            Wertstoff oder Klimakiller?                                  unsichtbare Strahlung,
Feinstaub ist ein natürlicher Bestandteil unserer Luft. Durch   Kohlendioxid – ein kleines Molekül im Zentrum der gegen-
                                                                                                                             unsichtbarer Feind?
Verbrennungsmotoren, Reifenabrieb, Industrie und Kraft-         wärtigen Klimawandel-Debatte. Der CO2-Gehalt der Erdat-
                                                                                                                             5G ist das neue Zauberwort. Nicht nur die Mobilfunkbran-
werke steigt die Konzentration von Feinstaub in unserer         mosphäre steigt kontinuierlich an und daran hat unsere
                                                                                                                             che ist davon elektrisiert, sondern auch ein großer Teil unse-
Umwelt jedoch enorm an – und kann massive Gesundheits-          Lebensweise einen wesentlichen Anteil. Die Erhöhung der
                                                                                                                             rer Gesellschaft. Mit moderner Technik erhofft man sich
probleme auslösen. So ist es Wissenschaftlern bereits           CO2-Konzentration in der Atmosphäre ist eng mit dem
                                                                                                                             eine ungeahnte Geschwindigkeitszunahme bei der Daten-
gelungen, Feinstaub in menschlichen Zellen nachzuweisen.        beobachteten Anstieg der globalen Durchschnittstempera-
                                                                                                                             übertragung. Informationsaustausch soll noch besser, rei-
Zusätzlich sind in Feinstaub enthaltene Rußpartikel extrem      tur verknüpft – auch mit der Veränderung klimatischer Mus-
                                                                                                                             bungsfreier und schneller funktionieren. Kritiker hingegen
schädlich für das Klima weltweit. Wer sind die größten          ter. Wie beeinflusst CO2 das Klima genau? Welche Möglich-
                                                                                                                             sehen noch große Mängel bei der Infrastruktur. Viele fürch-
Feinstaubemittenten und wie lässt sich die Belastung redu-      keiten bieten Ingenieurlösungen wie etwa Carbon Dioxide
                                                                                                                             ten die neue Technik auch wegen potenzieller Gesundheits-
zieren? Brauchen wir strengere Grenzwerte – in der EU und       Removal (CDR) oder Carbon Capture and Storage/Usage
                                                                                                                             risiken. Aber auch Infrarotstrahlung, die wir längst einset-
weltweit? Wie kann ich mich vor Fein- und Ultrafeinstaub        (CCS/CCU)? Sind solche Ansätze sinnvoll und zielführend?
                                                                                                                             zen, beeinflusst unsere Umwelt. Wie wirken Infrarotstrahlen
schützen?                                                       Und welches Potenzial bieten natürliche CO2-Senken?
                                                                                                                             eigentlich genau? Können Handystrahlung oder WLAN im
                                                                                                                             Alltag tatsächlich krank machen? Und wie genau macht
Dr. Bettina Hoffmann MdB                                        Christoph Beuttler                                           sich die Medizin „gefährliche“ Arten der Strahlung zunutze?
Sprecherin für Umweltpolitik und Umwelt-                        Carbon Dioxide Removal Manager bei
gesundheit von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN                            Climeworks Zürich
im Bundestag, Berlin                                                                                                         Prof. Achim Enders
                                                                Prof. Sabine Fuss                                            Leiter des Instituts für Elektromagnetische
Peter Sänger                                                    Leiterin der Arbeitsgruppe Nachhaltiges                      Verträglichkeit an der Technischen Universität
Geschäftsführer von Green City Solutions, Bestensee             Ressourcenmanagement und globaler Wandel                     Braunschweig
                                                                beim Mercator Research Institute on Global
Dr. Alexandra Schneider                                         Commons and Climate Change (MCC), Berlin                     Jörn Gutbier
Leiterin der Arbeitsgruppe „Environmental Risks“                                                                             Vorsitzender des Vereins „diagnose:funk“,
am Institut für Epidemiologie des Helmholtz Zentrum             Dr. Doris Hafenbradl                                         Stuttgart
München – Deutsches Forschungszentrum für                       Mikrobiologin und Geschäftsführerin bei der
Gesundheit und Umwelt                                           Electrochaea GmbH, Planegg                                   Dr. Inge Paulini
                                                                                                                             Präsidentin des Bundesamts für Strahlen-
                                                                Dr. Barbara Olfe-Kräutlein                                   schutz, Salzgitter
                                                                Forschungsgruppenleiterin beim Institute for
                                                                Advanced Sustainability Studies, Potsdam

 Mehr zum Dialogforum am 16. März 2021                           Mehr zum Dialogforum am 15. April 2021                        Mehr zum Dialogforum am 20. Mai 2021                           25
Impressum, Quellen, Bildnachweis   © 2021                             Quellen:                                    Bildnachweis:
                                   Münchener Rück Stiftung            Global Risk Forum Davos (2020)              Hans-Günther Kaufmann (Seite 4), Verena Meier
                                   Königinstraße 107                  Seite 5                                     (Seite 6), Nadja Ziebarth (Seite 8), Lars Gutow
                                   80802 München                                                                  (Seite 10), Peter Sänger (Seite 12), Alexandra
                                   Telefon +49 (0) 89/38 91-88 88     Bundesregierung (2021)                      Schneider (Seite 14), Christoph Beuttler (Seite
                                   Telefax +49 (0) 89/38 91-7 88 88   Seite 7                                     16), Barbara Olfe-Kräutlein (Seite 18), Inge
                                   info@munichre-foundation.org                                                   Paulina (Seite 20), Achim Enders (Seite 22)
                                   www.munichre-foundation.org        Fraunhofer UMSICHT(2018)
                                                                      Seite 9
                                   Redaktion:                                                                     Anmerkung der Redaktion:
                                   Christian Barthelt,                Umweltbundesamt, dpa (MDR) (2019)           Im Interesse einer besseren Lesbarkeit wird
                                   Dirk Reinhard,                     Seite 11                                    davon abgesehen, bei Fehlen einer geschlechts-
                                   Dr. Angelika Sturny,                                                           neutralen Formulierung sowohl die männ-
                                   Bettina Winkler                    Umweltbundesamt, getair (2019)              liche als auch weitere Formen anzuführen. Die
                                   (Münchener Rück Stiftung)          Seite 13                                    gewählten männlichen Formulierungen gelten
                                   Andreas Schuck, München                                                        deshalb uneingeschränkt auch für die weiteren
                                                                      Umweltbundesamt (2019)                      Geschlechter.
                                   Gestaltung:                        Seite 15
                                   Keller Maurer Design, München
                                                                      UNEP (2017)
                                                                      Seite 17

                                                                      Mercator Research Institute on Global
                                                                      Commons and Climate Change (2019)
                                                                      Seite 19

                                                                      Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) (2021)
                                                                      Seite 21

                                                                      Dpa, Nordwestzeitung (2019)
                                                                      Seite 23

                                                                                                                                                                    26
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