POTENZIALE UND HERAUS FORDERUNGEN EINER NEUEN DATENORIENTIERUNG IM KONTEXT ÖFFENTLICHER AUFGABENWAHRNEHMUNG - BERICHTE DES NEGZ NR. 16

 
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POTENZIALE UND HERAUS FORDERUNGEN EINER NEUEN DATENORIENTIERUNG IM KONTEXT ÖFFENTLICHER AUFGABENWAHRNEHMUNG - BERICHTE DES NEGZ NR. 16
BERICHTE DES NEGZ   NR. 16

POTENZIALE UND HERAUS­
FORDERUNGEN EINER
NEUEN DATENORIENTIERUNG
IM KONTEXT ÖFFENTLICHER
AUFGABENWAHRNEHMUNG

Stephan Löbel
Tino Schuppan
Für einen modernen Staat

Das Nationale E-Government Kompetenzzentrum
vernetzt Experten aus Politik, Verwaltung, Wissenschaft
und Wirtschaft und ist die zentrale, unabhängige
Plattform für Staatsmodernisierung und Verwaltungs-
transformation in Deutschland.

Herausgegeben und gefördert vom
Nationalen E-Government Kompetenzzentrum e. V.
Berlin 2021

2             Berichte des NEGZ
INHALT

       Zusammenfassende Empfehlungen                                                                        4

1.     Einleitung: Gegenstand und Motivation                                                                 5

2.     Wissenschaftlicher und praktischer Hintergrund –
       Grundlagen zur Datenorientierung                                                                     6
        2.1    Definitorische Annäherung                                                                      6
        2.2    Perspektive Wirtschaftsinformatik                                                              7
        2.3    Rechtliche Perspektive                                                                         7

3.     Ergebnisse – Datenorientierung in der
       Verwaltung(swissenschaft)                                                                             8
        3.1    Ressourceneinsatz                                                                              11
        3.2    Verhaltensbeeinflussung                                                                        11
        3.3    Positionszuweisung                                                                            13
        3.4    Leistungsgewährung                                                                            14
        3.5    Umweltgestaltung                                                                              15

4. Ergebnisse – Fallstudie: KrimPro                                                                         16
        4.1    Berliner Polizei und KrimPro                                                                  16
        4.2    Projektentstehung und -entwicklung                                                            17
        4.3    Beschreibung der Funktionen                                                                   17
        4.4    Organisatorische Umsetzung                                                                    18
        4.5    Wirkungen in der Praxis                                                                       19
        4.6    Weitergehende Analysen und Reflexionen                                                       20

5.     Handlungsempfehlungen – Organisatorische
       Gestaltungsperspektiven, weitere
       Handlungsanforderungen                                                                               22

6.     Zusammenfassungen – Weiterer Handlungs-
       und Forschungsbedarf                                                                                 24

       Literatur                                                                                            27
       Über die Autoren                                                                                     33
       Impressum                                                                                            34

Potenziale und Herausforderungen einer neuen Datenorientierung im Kontext öffentlicher Aufgabenwahrnehmung          3
ZUSAMMENFASSENDE
EMPFEHLUNGEN

•   Viele Umsetzungs- und Gestaltungsanfor-           •   Humanzentrierung könnte erreicht werden,
    derungen bei neuer datenzentrierter                   indem beispielsweise menschliche Entschei-
    ­Aufgabenerledigung bleiben auch weiterhin            dungen im Zweifelsfall Vorrang haben. Liegt
     erhalten.                                            der Mensch falsch, entsteht hieraus kein er-
                                                          höhter/zusätzlicher Rechtfertigungszwang.
•   Die neue Datenzentrierung bringt weitere
    und tiefergehende Gestaltungsanforder­            •   Was auch schon bisher bei IT-Anwendungen,
    ungen mit sich, die deutlich über die Technik-        wie z.B. der eAkte galt, nämlich dass eine
    gestaltung hinausgehen. Oder anders formu-            nutzer- und beteiligungsorientierte Einfüh-
    liert, damit die neue Datenorientierung               rung zu favorisieren ist, um Akzeptanz
    gelingt, sind im hohen Maße menschliche               ­herzustellen und eine echte Verbesserung
    Ressourcen / Fähigkeiten / Fertigkeiten zu             öffentlicher Aufgabenerledigung zu errei-
                                                           ­
    berücksichtigen, weil es vielfach deren
    ­                                                      chen, gilt umso mehr für die Einführung
    ­Kernprofession verändert.                             ­datenzentrierter Anwendungen.

•   Damit die Potenziale der neuen Daten­             •    Je mehr Technik/datenzentrierte Anwen-
    zentrierung für die öffentliche Aufgabenerle-          dungen, Mensch und Organisation eng
    digung zum Tragen kommt, sind der organi-              ­gekoppelt ins Zusammenspiel gehen, wird
    satorische und kulturelle Kontext einer                 eine b
                                                                 ­ eteiligungsorientierte Vorgehensweise
    jeweiligen Behörde zu berücksichtigen.                  konstitutiv für die Funktionsweise von
                                                          ­Verwaltung.
•   Konkret ist eine datenzentrierte Organi­
    sationsgestaltung so vorzunehmen, dass            Schlagworte: datenzentrierte Aufgabenerledi-
    Vertrauen und Nachvollziehbarkeit bei den         gung, Humanzentrierung, algorithmenbasierte
    ­Beschäftigten steigen und keine Gefühle von      Entscheidungen, Datenzentrierung
     Ohnmacht, Entfremdung und Demotivation
     eintreten. Letzteres tritt auf, wenn algorith-
     mische Ergebnisse nicht mehr nachvollzieh-
     bar sind.

•   Vereinfacht formuliert: Wird die Gestaltung
    nicht menschenzentriert vorgenommen,
    ­besteht das Risiko der Technokratisierung,
     Entfremdung und letztlich schlechteren
     und weniger akzeptierten Verwaltungs­
     entscheidungen; innerhalb wie außerhalb
     der Verwaltung.

4               Berichte des NEGZ
1. EINLEITUNG: GEGENSTAND
UND MOTIVATION

In den letzten Jahren hat die Datenmenge, die              Bildung, Klimaschutz, Energieeffizienz etc., die
im Kontext von IT-Einsatz und öffentlicher Auf-            dann potenziell für eine veränderte/verbesserte
gabenwahrnehmung entstanden ist, enorm                     staatliche Steuerung zur Verfügung stehen.
­zugenommen. Digitalisierte Prozesse, Sensoren,
 Internet der Dinge etc. generieren neue Daten              Für die öffentliche Aufgabenwahrnehmung sind
 und Datenmengen, die zugleich neue Möglich-                Daten zudem relevant, weil es seit jeher daten-
 keiten für die Gestaltung von Verwaltungs­                 intensive Aufgabenfelder gibt, d.h. Aufgaben-
 handeln schaffen. Im Privatsektor wird von so              gebiete, wo die Verarbeitung und Nutzung von
 ­genannten datengetriebenen Geschäftsmodel-                Daten schon immer wichtig war, wie z.B. in der
  len und Plattformökonomie (Hagiu/Wright                   planenden Verwaltung (Stadtplanung oder
  2015) gesprochen, die insbesondere mit großen             ­diverse Fachplanungen, wie z.B. Gesundheits-
  und globalen Internetfirmen, allen voran Google,           oder Bildungsplanung). Mit der neuen Daten-
  Apple, Facebook und Amazon (so genannte                    orientierung könnte sich auch die öffentliche
  GAFA), verbunden werden. Für diese Firmen                  Aufgabenwahrnehmung stärker als bisher
  ­liefert unser „Surfverhalten“ im Internet (digital        ­ändern; auch grundlegendere Änderungen sind
   exhausts) oder verfeinerte wissenschaftliche               möglich. Insbesondere algorithmischen Anwen-
   Methoden des Erfassens von menschlichem                    dungen wird eine solche (disruptive) Wirkung
   ­Verhalten einen Zugang zu bislang verborgenen             bzw. ein solches Wirkungspotenzial zuge­
    Daten und Zusammenhängen. Die Konsequen-                  schrieben. Letzteres wird heute für die
    zen sind bislang nur in Ansätzen absehbar.                ­öffentliche ­Verwaltung noch sehr aus techni-
    ­Große Potenziale werden etwa im Bereich der               scher Sicht b ­ etrachtet. Folglich ist Zielsetzung
     Medizin durch die Nutzung von Big Data und KI             des ­  vor­liegenden Papiers, grundlegende
     gesehen, die durch die selbstständige Erfassung       ­Zusammen­hänge zwischen Datenorientierung
     und Verknüpfung von Daten Informationen in                (­datafication) mit dem Schwerpunkt der algo-
     einer hohen Quantität generieren und filtern              rithmischen Anwendung zur verbesserten
     können. Daraus ergeben sich z.B. Befunde aus              ­öffentlichen Aufgabenerledigung herauszuar-
     der Bildgebung, mikrobiologische Befunde oder              beiten und diese mit Anwendungsbeispielen
     Laborwerte der klinischen Chemie in Kombina-               sowie einer Fallstudie zu unterlegen. Hieraus
     tion mit automatisierten Blutdruck- oder EKG-              werden dann weitere Empfehlungen für die
     Messungen, Angaben zur Medikation und zur                  ­Gestaltung datenorientierter Aufgabenerledi-
     künstlichen Beatmung etc. (vgl. Scherag 2019,               gung gezogen.
     S. 3).
                                                           Das Papier ist wie folgt aufgebaut:
Bezogen auf die öffentliche Aufgabenerledi-
gung werden Daten mehr oder weniger en pas-                •   Zunächst wird eine begriffliche Einordnung
sant beim digitalisierten Verwaltungs­handeln                  der Datenorientierung für die öffentliche
generiert, so dass sie dann als Entscheidungs-                 Aufgabenerledigung unter Einbezug der
und Handlungsgrundlage für die öffentliche                     Ursprünge der Datenorientierung vorge-
                                                               ­
Aufgabenwahrnehmung neu zur Verfügung                          nommen.
­stehen. Das gilt jedoch nicht nur für verwal-
 tungsinterne Daten, sondern auch für das staat-           •   Danach werden Möglichkeiten algorithmi-
 liche Wirken nach außen (gesellschaftliche                    scher Anwendungen im Kontext öffentlicher
 Steuerung). Hintergrund ist, dass die Durch­
 ­                                                             Aufgabenwahrnehmung dargestellt und mit
 dringung der Gesellschaft mit IT dazu geführt                 Beispielen unterlegt.
 hat, dass auch hier immer größere Datenmen-
 gen und neuartige Daten in den unterschied-               •   Im Fallstudienkapitel wird aus dem Bereich
 lichsten ­Themen-/Politikfeldern außerhalb der                der Berliner Polizei vertieft dargestellt,
 Verwaltung vorliegen, wie Verkehr, Gesundheit,                ­welche Anforderungen und Veränderungen

Potenziale und Herausforderungen einer neuen Datenorientierung im Kontext öffentlicher Aufgabenwahrnehmung           5
im Zuge einer datenzentrierte Aufgaben-          •   Im abschließenden Kapitel wird reflektiert,
    wahrnehmung einhergehen. Es werden Mög-              welche weiteren Möglichkeiten und Anforde-
    lichkeiten, Grenzen und Gestaltungsan­               rungen sich aus einer Datenorientierung
    forderungen im Kontext algorithmisierter             ­ergeben, um so weitergehende Perspektiven
    Aufgabenwahrnehmung diskutiert.                       zur Verbesserung öffentlicher Aufgaben-
                                                          wahrnehmung abzuleiten.

2. WISSENSCHAFTLICHER UND
PRAKTISCHER HINTERGRUND –
GRUNDLAGEN ZUR
DATENORIENTIERUNG

2.1 Definitorische Annäherung                        ­enutzten Zeichen auch eine semantische
                                                     g
                                                     Dimension; sie weisen hin auf bestimmte
                                                     ­
Obwohl der Datenbegriff aus unterschiedlichen        Begriffe, die entweder Objektbegriffe oder
                                                     ­
Sichten betrachtet werden kann, gehen die            ­imaginäre Begriffe sein können. Hier wird dann
meisten Definitionen von einer Unterscheidung         von Information gesprochen. Informationen sind
zwischen Zeichen, Daten und Information aus.          Zeichen mit Bedeutung (Modelle von materiel-
Zeichen werden zuerst zu Daten und damit zu           len oder imaginären Gegenständen oder Bezie-
Trägern von Informationen, wenn ihnen eine Be-        hungen). Der Vollständigkeit halber kann auf der
deutung zugeordnet wird. Hinter eingängigen           vierten Stufe schließlich noch Wissen eingefügt
Definitionen „Information = Daten + Bedeutung“        werden, das sich durch einen pragmatischen
verbergen sich schwierige Zusammenhänge, die          Bezug auszeichnet; Wissen ist handlungs­
hier nicht vertieft zu betrachten sind (vgl. näher    relevant. Durch Vorwissen wird dem Informati-
Lenk 2017). Die gängigen Begriffe nehmen eine         onssubjet ermöglicht, Information zu verstehen
Art semiotische Leiter an. Auf der untersten          und in seinen Wissensbestand einzubauen.
Stufe steht der Gebrauch von physisch (mate-          ­Wissen kann daher primär als ein aus Informa-
riell oder energetisch) wahrnehmbaren Zeichen          tionen und aus Beobachtungen erarbeiteten
in der menschlichen Verständigung. Zeichen             Gedächtnisbestand gesehen werden, der lau-
stehen dabei nicht für sich selbst, sondern sie        fenden ­Änderungen unterliegt.
werden kombiniert nach bestimmten Regeln.
Sie haben somit eine Syntax, womit die zweite        Bei Informationen ist v.a. der menschliche Inter-
Stufe der Daten bezeichnet ist. Mit anderen          pretant in der Betrachtung das Entscheidende,
Worten, in syntaktischen Zusammenhang                denn wenn nun Informationen dem Computer
­stehende Zeichen werden dabei als Daten be-         übergeben werden, dann wird der Objektbezug
 zeichnet. Unabhängig davon, ob es sich um           gekappt. Dadurch wird aus dem triadischen ein
 ­digitale oder analoge Daten handelt, sind Daten    dyadisches Zeichen, indem die Semantik
  als Beobachtungen lediglich ein Rohstoff für ein   ­verschwindet. Was aus der maschinellen Daten-
  Subjekt, das daraus Information erzeugt (vgl.       verarbeitung herauskommt, muss in einen voll-
  Siemens AG 1989). Sie sind damit zunächst ohne      ständigen Zeichenprozess in die (Verwaltungs-)
  eine Interpretation lediglich „syntaktische         Praxis eingebettet werden. Mit anderen Worten,
  ­Informationsruinen“ (Steinmüller 1993). Damit      die Ergebnisse der Datenverarbeitung müssen
   haben die in der menschlichen Verständigung        wieder in die Realität zurückgeholt werden, um

6              Berichte des NEGZ
ihnen einen Sinn zu geben. Grundproblem ist,               2.3 Rechtliche Perspektive
das Daten für andere Zwecke erhoben werden
können als sie anschließend verwendet werden.              Der Versuch einer juristischen Annährung zeigt,
Pointiert formuliert: Die Daten an sich müssen             dass der Datenbegriff nur spärlich im deutschen
nicht zwangsläufig zu einer verbesserten öffent-           Recht behandelt wird. Im Strafrecht sind Daten
lichen Aufgabenerledigung führen, wenn Daten               beispielsweise gemäß § 202a Abs. 2 Strafge-
fehlinterpretiert bzw. falsch gedeutet werden,             setzbuch (StGB) „nur solche, die elektronisch,
wenn sie beispielsweise für einen anderen                  magnetisch oder sonst nicht unmittelbar wahr-
­Zusammenhang als den vorliegenden erhoben                 nehmbar gespeichert sind oder übermittelt
 wurden.                                                   werden.“ Hier werden Daten nicht definiert,
                                                           ­
                                                           ­sondern lediglich eingegrenzt. Darüber hinaus
                                                            sind nach § 4 Nr. 1 DSGVO personenbezogene
2.2 Perspektive Wirtschaftsinformatik                       Daten „alle Informationen, die sich auf eine
                                                            identifizierte oder identifizierbare natürliche
                                                            ­
Aus Sicht der Wirtschaftsinformatik bilden                  Person […] beziehen;“ Eine grundlegende
­Daten die Grundlage für IT-Anwendungen und                 ­Definition von Daten, die für alle Rechtsbereiche
 Werkzeuge. Hieraus entsteht die Anforderung                 gültig ist, wurde bisher nicht verankert.
 Daten auszutauschen, so dass Standardisierung
 und Interoperabilität wichtige Themen der Wirt-           Mit der Entwicklung der elektronischen Daten-
 schaftsinformatik sind. Ein standardisierter              verarbeitung und dem einhergehenden Anstieg
 ­Datenaustausch bezieht sich auf die elektroni-           von digitalen Daten, die von privaten Personen,
  sche, regelmäßige und wechselseitige Übermitt-           öffentlichen Einrichtungen und Unternehmen
  lung von Daten zwischen verschiedenen IT-­               generiert werden, ist aus rechtlicher Perspektive
  Systemen. Auf der technischen Ebene stellen              insbesondere der Datenschutz relevant. Dabei
  sich Fragen bezüglich der Datenformate (xml,             geht es um Datenerhebung, Datenverarbeitung
  csv usw.) und der Zeichencodierung (ASCII,               und Datennutzung. Für natürliche Personen gilt
  UTF-8 usw.). Kulturelle Unterschiede, die den            in Deutschland das Recht auf informationelle
  Kontext berühren, in dem Daten vorliegen,                Selbstbestimmung als Datenschutz-Grundrecht
  können zudem praktische Probleme auf der
  ­                                                        (BVerfG 1983) und ist Teil der allgemeinen Per-
  ­semantischen Ebene verstärken. Zudem wird               sönlichkeitsrechte und der Menschenwürde.
   häufig zwischen Eingabedaten, Ausgabedaten,             Informationeller Selbstschutz bedeutet, dass
                                                           ­
   Stammdaten, Bewegungsdaten, numerische                  Personen grundsätzlich selbst über die Erhe-
   Daten und alphanumerischen Daten unterschie-            bung, Speicherung, Verwendung und Weiterga-
   den (vgl. Wohltmann et al. 2019). Nach ISO/IEC          be ihrer persönlichen Daten bestimmen dürfen.
   2382 (2015) sind Daten „Gebilde aus Zeichen             Daneben sind personenbezogene Daten u.a.
   oder kontinuierliche Funktionen, die aufgrund           durch Art. 8 der EU-Grundrechtecharta und die
   bekannter oder unterstellter Abmachungen In-            Datenschutz-Grundverordnung geschützt. Die
   formation darstellen, vorrangig zum Zwecke der          Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personen-
   Verarbeitung und als deren Ergebnis.“                   bezogener Daten durch öffentliche Stellen ist
                                                           u.a. im Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) und
Für die Verarbeitung digitaler Informationen               in Landesdatenschutzgesetzen geregelt. Betrof-
werden als kleinste Informationseinheit nur                fene haben das Recht, über die erhobenen
zwei Zeichen genutzt: 0/1 (Bit). Dabei bedeutet            ­Daten Auskunft zu erlangen sowie diese berich-
1 wahr, und 0 unwahr. Dieser Binärcode lässt                tigen und in bestimmten Fällen löschen oder
sich technisch sehr leicht abbilden. Höherwer-              sperren zu lassen. Dies gilt auch gegenüber dem
tige ­Informationen können durch unterschied-               Staat, der jedoch auf gesetzlicher Grundlage
liche Codes festgelegt werden. Diese legen für              oder Anordnung bei überwiegendem Allgemein­
­bestimmte Bit-Abfolgen eine bestimmte Inter-               interesse darin eingreifen darf, insbesondere,
 pretation fest, z.B. einen Buchstaben. Die durch           wenn er personenbezogene Daten zur Erfüllung
 Binärcodes entstehenden Daten sind mit                     seiner staatlichen Aufgaben benötigt (Zweck-
 komplexen Algorithmen verarbeitbar und
 ­                                                          bindung). Zudem gilt das Prinzip der Datenspar-
 ­werden von diesen gelesen und interpretiert.              samkeit und Datenvermeidung (§ 3 BDSG).
  Ein Code kann nur dann richtig interpretiert              ­Danach dürfen öffentliche und nichtöffentliche
  werden, wenn bekannt ist, mit welchem Pro-                 Stellen nur so viele Daten erheben, speichern
  gramm d ­ ieser entschlüsselt werden kann.                 und verwenden, wie sie für den jeweiligen Zweck
                                                             benötigen.

Potenziale und Herausforderungen einer neuen Datenorientierung im Kontext öffentlicher Aufgabenwahrnehmung       7
Mit der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO)           ­erarbeitet werden, die eine angemessene
                                                     v
wurde 2018 eine neue Governance für perso-           Sicherheit der personenbezogenen Daten
                                                     ­
nenbezogene Daten eingeführt, um einerseits          ­gewährleistet, einschließlich Schutz vor unbe-
Persönlichkeitsrechte und Privatsphäre von            fugter oder unrechtmäßiger Verarbeitung und
Bürgerinnen und Bürgern zu schützen und               vor unbeabsichtigtem Verlust, unbeabsichtigter
­andererseits den freien Datenverkehr innerhalb       Zerstörung oder unbeabsichtigter Schädigung
 des euro­päischen Binnenmarktes zu ermögli-          durch geeignete technische und organisatori-
 chen. Die DSGVO erfordert als EU-weiter,             sche Maßnahmen („Integrität und Vertraulich-
 ­einheitlicher Datenschutzrahmen, sich aktiv mit     keit“)“ (Art. 5 Abs. 1f DSGVO). Erhobene Daten
  Daten- und Informationssicherheitsniveau aus-       müssen also vertraulich, integer, verfügbar und
  einanderzusetzen. Aus der DSGVO ergeben             kontrollierbar sein. Personenbezogene Daten
  sich für öffentliche Verwaltungen organisatori-     sind sensibel und müssen vor ungemäßer Ver-
  sche und technische Implikationen, wie z. B. die    wendung oder Diebstahl geschützt werden.
  Benennung einer/s Datenschutzbeauftragten           ­Öffentliche und private Stellen sind verpflichtet,
  oder ein wirksames Informations- und Daten-          unter Berücksichtigung des Stands der Technik,
  schutzmanagement mit entsprechend ange-              der Implementierungskosten, Art der Daten,
  passten Verwaltungsprozessen und einer               Eintrittswahrscheinlichkeit und Risikoabwägun-
  ­datenschutzkonformen technischen Infrastruk-        gen „geeignete technische und organisatori-
   tur (vgl. Brüstle/Ehneß 2018).                      sche Sicherheitsmaßnahmen“ (Art. 32 DSGVO)
                                                       zu treffen, um ein „dem Risiko angemessenes
Teil des Datenschutzes ist die Datensicherheit.        Schutzniveau zu gewährleisten“ (Ebd.).
Diese besagt, dass Daten „in einer Weise

3. ERGEBNISSE –
DATENORIENTIERUNG IN DER
VERWALTUNG(SWISSENSCHAFT)

Daten sind als Informationsquelle der Grund-         die den öffentlichen Verwaltungen/Verwal-
stock des Handelns und des Wissens öffentli-         tungseinheiten zugänglich sein sollten, so dass
cher Verwaltungen – Formulare, Akten und Be-         öffentliche Verwaltungen wichtige Grunddaten
scheide enthalten Daten. Sowohl Verfahren wie        und Wissensbestände nicht immer neu erfragen
auch das Ergebnis von Verwaltungen basieren          müssten und die Daten für alle möglichen Pro-
auf Daten/Informationen, so dass die öffentliche     jekte und Aktivitäten zur Verfügung ständen.
Verwaltung per se als „Datenverarbeitungsbe-         Spätestens mit dem Aufkommen von Daten-
trieb“ zu bezeichnen ist. Daher ist es auch nicht    banken in den 1970iger Jahren wurde schon
verwunderlich, dass in der Verwaltungsinforma-       frühzeitig das Potenzial von Daten erkannt, wie
tik die Datensicht schon vor einem halben Jahr-      beispielsweise das Leitbild der „Integrierten
                                                     ­
hundert aufkam und mit dem Aufkommen wahl-           Datenhaltung“, das aus jener Zeit stammt.
                                                     ­
freien Zugriffs auf gespeicherte Daten zur Idee      Ebenfalls zu erwähnen ist das Anfang der
der Datenbank führte (vgl. Brinckmann et al.         1970er Jahre aufgekommene Leitbild „die ­Daten
1974). Die Idee eines National Data Center, wel-     sollen laufen und nicht der Bürger“, dass inter-
che schon 1961 von amerikanischen Statistikern       essanterweise 30 Jahre später die Bundes­
angeregt wurde, sollte drei große Datenbanken        regierung ihrer E-Government-Strategie zu
schaffen, mit Basisdaten über „Erde, Einwohner,      Grunde legte. Damit gab es schon vor fast
                                                     ­
Einkommen“ und weiteren Wissensbeständen,            ­einem halben Jahrhundert die Vorstellung, dass

8              Berichte des NEGZ
bürokratischer Aufwand mit integrierter Daten-             ­dministrativer Lasten und Belästigungen“
                                                           a
haltung für Bürger reduziert werden kann. Aller-           (Brüggemeier/Lenk 2011: 11) zu ermöglichen.
dings gibt es in der öffentlichen Verwaltung seit          Die Besinnung auf die ubiquitäre Verfügbarkeit
jeher datenintensive Aufgabenfelder, wie                   ­ausgewählter oder aller Verwaltungsdaten führt
beispielsweise die diversen Fachplanungen
­                                                           schon seit Jahrzehnten zu interessanten
(Schulplanung, Krankenhausplanung, Infrastruk-              ­Konzepten; auch die Vorstellung der Bündelung
turplanung etc.), wo von jeher eine gewisse                  des Bürgerkontakts in One-Stop-Shops wiesen
­Datenorientierung wichtig ist. Zum Teil sind die            in diese Richtung. Selbst die neueren Umset-
 Ideen der Evidenzorientierung, wie sie sich im              zungsideen und Pilotprojekte für solche Kon-
 Kontext algorithmischer Anwendungen zeigen,                 zepte sind in Deutschland mehr als zehn Jahre
 schon aus den späten 1970er/frühen 1980er                   alt, wie das Datenpointernetzwerk (DPN). Da-
 Jahren, wenngleich seinerzeit die Technik noch              hinter liegt die alte Idee, Daten nicht redundant
 nicht so weit war. Pointiert könnte man sagen,              zu halten. Stattdessen soll dort wo Zugriffe not-
 dass seinerzeit das Denken der Technik voraus               wendig bzw. rechtlich zulässig sind, statt Daten
 war und heute die Technik dem Denken. Über                  zu übertragen lediglich auf die vorhandenen
 die Ursachen kann man unterschiedlicher                     Daten referenziert werden (vgl. Brüggemeier/
 ­Meinung sein, aber der beschleunigte techno-               Schulz 2011: 195-210). Durch optimierte Verwal-
  logische Wandel, mag ein maßgeblicher Grund                tungsangebote, wie die Behördenrufnummer
  sein. Die hohe Relevanz von Daten in öffentli-             115, länderspezifische Portallösungen, Online-
  chen Verwaltungen wurde also schon vor der                 Antragsformulare oder elektronische Ver­
  Verbreitung des Internets erkannt. Reinermann              fahrensabwicklung unterbreiten öffentliche
  beispielsweise prognostizierte Mitte der 1980er            Verwaltungen neuartige Informations- und
                                                             ­
  Jahre die Durchsetzung der Datenwirtschaft                 Kommunikationskanäle, die wiederum selbst
  ­öffentlicher Verwaltungen, in der ­Datenbestände          Daten erzeugen. Auch verwaltungsintern zeich-
   verbessert werden, Daten zum Gemeineigen-                 net sich ein veränderter Umgang mit Daten ab.
   tum statt Eigentum einzelner Behörden, Stellen            Beispielsweise werden mit dem Leistungs­
   oder Programme werden und daraus letztlich                katalog der öffentlichen Verwaltung (LeiKA),
   eine kooperativ nutzbare Infrastruktur, wie               der Nationalen Prozessbibliothek oder dem
   ­beispielsweise Basisregister für Einwohner, für          ­Föderalen Informationsmanagement (FIM), ein-
    das Verwaltungshandeln zur Verfügung stehen               heitliche Pools und Verzeichnisse mit Informa-
    würde (vgl. Reinermann 1986: 115). Durch den              tionen geschaffen, die von allen Verwaltungs-
    Einwand von Datenschützern gibt es bis heute              akteuren genutzt werden können.
    keinen einheitlichen Datenbestand über alle
    Bürger. Jedoch bietet Deutschlands Register-           Pointiert formuliert eröffnet die heutige Daten-
    landschaft neben den Daten aus Fachverfahren           vielfalt neue Pfade um Altbewährtes zu verbes-
    heute Datensätze aus über 200 Verwaltungs-             sern und neue Wege für neue Aufgaben bzw.
    und Statistikdatenbanken (Nationaler Normen-           neuer Aufgabenerledigung. Einerseits können
    kontrollrat 2017). Dabei sind Register nicht nur       sie als Entscheidungs- oder Analysegrundlage
    physische oder digitale Speicherorte, sondern          Verwaltungshandeln effektiver und effizienter
    auch Orte, an denen Daten zu Informationen             gestalten, indem die Konfiguration von Organi-
    ­zusammengeführt und analysiert werden (vgl.           sationsstruktur und Prozessen mit der Opti­
     Wein/Lorentz 2010). Register dienen nicht nur         mierung der Informationsflüsse verschmilzt.
     als Informationsquelle und Dokumentationsort,         Andererseits bieten sie die Möglichkeit, neue
     sondern auch dem Berichtswesen und der Sta-           Verwaltungsbereiche und Leistungen zu
     tistik, bei denen Daten verdichtet und in Kontext     ­entwickeln. Durch die Vernetzung von Daten
     gesetzt werden.                                        entstehen neue Möglichkeiten im Umgang mit
                                                            Informationen, die der Schlüssel zu neuen
Bislang standen in der Verwaltung selbstabge-               ­organisatorischen (datenbasierten) Modellen
speicherte, in Verwaltungsprozessen generierte               sind. Beispielsweise fallen Verwaltungsprozesse
Daten im Mittelpunkt. Nunmehr aber sind mit                  weg, können zusammengefasst werden oder
der Digitalisierung vieler Lebensbereiche eine               verändern sich gänzlich. Ein solcher datenzen-
Vielzahl von Daten verfügbar. Mit der heute                  trierter Modernisierungsansatz ist das Once-
­nahezu grenzenlosen Verfügbarkeit von Daten                 Only, das dem Prinzip der einmaligen Erfassung
 bricht ein Zeitalter der Datenorientierung an               von Daten folgt. Dabei sollte im Idealfall der
 und eröffnet Potenziale, um einen „echten“                  Bürger beim Erstkontakt mit der Verwaltung
 Bürokratieabbau, also das „Zurückdrängen
 ­                                                           seine Daten (elektronisch) angeben, die dann

Potenziale und Herausforderungen einer neuen Datenorientierung im Kontext öffentlicher Aufgabenwahrnehmung       9
(mit Freigabe) bei jeder weiteren Interaktion         •     Die Analyse großer Datenmengen als Infor-
mit jeder staatlichen Stelle genutzt werden                 mations- und Wissensgrundlage
­können. Damit sparen sowohl Verwaltung als
 auch ­Bürger Zeit und Geld, die Daten mehrmals       •      Maschinelle Entscheidung nach vorgege­
 eingeben bzw. verarbeiten zu müssen. Die neue               benen Mustern und mehr oder weniger
 Datenorientierung bietet demnach die Möglich-              ­maschineninduzierten Lernvorgängen
 keit ältere Ideen des Bürokratieabbaus und der
 Effizienzsteigerung, aber auch neuere Ansätze        •     Selbsttätige Ausführung von Handlungen
 der Entscheidungsunterstützung umzusetzen,                 (einschließlich der Datenübertragung)
 wie sie beispielsweise im Zusammenhang mit
 einer Algorithmisierung stehen.                      Mit dieser Einteilung ist zunächst eine wesent-
                                                      liche an der Aufgabenausführung orientierte
Eine Datenorientierung öffentlicher Aufgaben-         Beschreibung/Analyse möglich, welche Poten-
wahrnehmung ist als solches nichts Neues. Neu         ziale datenzentrierte Ansätze bilden. Konkret
sind hingegen die heute verfügbare Datenmen-          ist zu fragen, ob und wie weit mit einer ständig
ge, Datentiefe und Auswertungstechniken.              verfeinerten Datenbasis und ihrer Auswertung
­Zurecht kann damit auch für die öffentliche          öffentliche Aufgaben besser erledigt und
 Aufgabenwahrnehmung von einer neuen
 ­                                                    gesellschaftliche Probleme gelöst werden
                                                      ­
 Daten­­zentrierung gesprochen werden, die v.a.       ­können, ohne sie verstehen zu müssen, im ­Sinne
 im Zusammenhang mit algorithmischen An-               einer „Governance by numbers“.
 wendungen gesehen werden. Um entsprechen-
 de Potenziale zu erschließen, ist das Verwal-        Die neuen Nutzungsmöglichkeiten von Daten-
 tungshandeln als solches näher zu analysieren.       orientierung in der öffentlichen Aufgabenwahr-
 Es besteht nicht nur auf (vor-)programmierte         nehmung sind vielfältig. Sie lassen sich im
 Verwaltungsentscheidungen, wie es häufig im          ­Kontext algorithmischer Anwendungen grob in
 „klassischen E-Government“ wahrgenommen               vier Kategorien einteilen (s. Tab. 1), wobei ein­
 wird (vgl. hier und im ff. Lenk 2016; Lenk            zelne Anwendungen mehr als einer ­Kategorie
 2018a,b). Menschliche Tätigkeit kann in allen         ­zugeordnet werden können (vgl. hier und im
 Stadien eines Handlungsprozesses („observe             Folgenden Lenk 2018b).
 – think – act“) der öffentlichen Aufgabenwahr-
 nehmung maschinell und datenzentriert                Deutlich wird, dass es ganz unterschiedliche
 ­ergänzt und/oder ersetzt werden. Dazu zählen        Formen der Unterstützung bei der öffentlichen
  folgende:                                           Aufgabenwahrnehmung gibt, die nicht unbe-
                                                      dingt in eine „simple Automatisierung“ von
•   Beobachtung im Sinne maschineller Gene-           „everything“ mündet. Vielmehr werden sehr
    rierung von Daten, so wie die Systement-          ­unterschiedliche Nutzungsmöglichkeiten deut-
    wickler sie konzipieren                            lich, die im Einzelnen diffizile ethische und

                                                                                                           Tabelle 1 Typologie
                                                                                                           algorithmisierter Auf-
                                        Nutzungsmöglichkeiten                                              gabenwahrnehmung

        Ressourcen­       Verhaltens­          Positions­           Leistungsge­         Umwelt­
          einsatz        beeinflussung         zuweisung              währung           gestaltung

    •    Wieviel?       •   = „Steue-      •   „Gefährder“      •    Geldleistun-   •   Raum­
    •    Wo?                rung“          •   aufgrund von          gen                planung

    •    Wann?          •   Kontinuum          Personalis.   •       Personenbe- •      Land­
                            von zwin-          nach DSGVO            zogene             nutzung
    •    Kontroll-          gender             nicht auto-           Dienstleis-
         dichte,                                                                 •      Öffentliche
                            Steuerung          mat. zulässig         tungen             Infrastruktur
         Inspektions-       bis zu
         intervalle,                                                                •   Architektu-
                            ­Nudging
         etc.)                                                                          ren

10               Berichte des NEGZ
rechtliche Fragen aufwerfen, was großen For-               sind miteinander und lassen diese untereinander
schungsaufwand erfordert (z.B. von Grafenstein             und mit M   ­ enschen kommunizieren. Sie können
et al. 2018). Zum einen sind Fragen von Daten-             sich so selbst steuern und sowohl bei der Infor-
schutz und -sicherheit wohl das am breitesten              mationsgewinnung und Analyse unterstützen,
diskutierte Feld. Jedoch beinhalten algorithmi-            als auch automatisch agieren. Im Falle der
sierte Aufgabenwahrnehmungen auch Fragen,                  ­Feuerwehr können intelligent vernetzte Objekte
die die freiheitlich-demokratische Grund­                   wie Rauchmelder, Überwachungskameras und
ordnung betreffen, z.B. Überlegungen zu                     Drohnen zusammenarbeiten und etwa bei
­„personalized law“ (Hacker 2017) oder „Big Data            der Über­    wachung von Brandherden helfen.
 Nudging“ (u.a. Helbing 2017). Insbesondere                 ­Sensoren können bestimmte Daten automatisch
 brauchen die einzelnen Nutzungsbereiche und                 erfassen und melden. Zudem kann „smarte“
                                                             ­
 -Kontexte ein entsprechendes Legitimations­                 Ausrüstung wie Brillen oder Helme die Einsatz-
 niveau, wo letztlich auch Menschen weiterhin                kräfte mit Z ­ usatzinformationen und Vorhersa-
 zentraler Handlungsträger sein müssen, je nach              gen versorgen, um sie etwa durch unübersicht-
 Aufgabenstellung.                                           liche E
                                                                   ­ insatzorte zu führen oder mit kurzen
                                                             „Tutorials“ per App auf bestimmte Aufgaben wie
                                                             Rettungsschnitte an Kraftfahrzeugen vorzube-
3.1 Ressourceneinsatz                                        reiten. Z
                                                                     ­ udem können sie durch eingebautes
                                                             GPS ­geortet oder bei Großeinsätzen aus der
Ein häufiges Anwendungsfeld ist der Bereich                  Ferne gesteuert werden und in gefährlichen
Ressourceneinsatz, wonach eine Datenorientie-                Situationen zusätzliche Unterstützung der
                                                             ­
rung bei der Verteilung von Ressourcen helfen                Einsatz­kräfte durch Drohen und Roboter bieten.
soll. Algorithmen können große Datenmengen,
die über längere Zeiträume entstehen inzwi-
schen besser auswerten und zum Teil interpre-              3.2 Verhaltensbeeinflussung
tieren als menschliche Analysten. Sie können
daher Empfehlungen geben oder automatische                 Datenorientierung kann in der Verhaltensbeein-
Entscheidungen zum Einsatzort, -menge und                  flussung mit verschiedenen Zielen verfolgt
-zeitpunkt treffen. Zudem können sie eine Kon-             werden. Im Prinzip meint Verhaltensbeein­
                                                           ­
trollfunktion haben und fehleranfällige Bereiche           flussung eine mehr oder weniger direkte Steue-
identifizieren sowie dort gezielt Kontrollen               rung von Menschen. Diese kann zwingend sein,
anregen. Am Beispiel von datengetriebener
­                                                          dem Menschen also keine eigene Entschei-
­Instandhaltung, z.B. bei Maschinen, lässt sich            dungsmöglichkeit, die von der vorgegebenen
 ­erkennen, dass komplexe Entscheidungen wie               abweicht, zu ermöglichen (z.B. automatisierte
  idealer Eingriffszeitpunkt, der sowohl den pro-          Arbeitseinteilung). Eine leichtere Form der Ver-
  gnostizierte Ausfallzeitpunkt, Ressourcenein-            haltensbeeinflussung sind verschiedene Formen
  satz für die Inspektion und den geplanten                von „Nudging“. Nudging meint auf Englisch
  ­Produktionsplan berücksichtigt, von Algorith-           ­„anstupsen“, also einen Anreiz für ein b
                                                                                                   ­ estimmtes
   men berechnet werden können. (vgl. Frauen­               Verhalten setzen. Dies geschieht z.B. indem ein
   hofer Austria 2019). Ein Beispiel für eine voraus-       akuter Mangel, etwa bei „knapp verfügbaren“
   schauende Kontrolle (Prediction) mag das                 Hotelzimmern auf Buchungsportalen, sugge-
   Predictive Policing dienen (vgl. Fallstudie Krim-        riert wird. Dadurch wollen die Anbieter darauf
   Pro in Kapitel 5), das für Verbesserung der prä-         einwirken, dass möglichst schnell (etwa ohne
   ventiven Maßnahmen bei Verbrechen, etwa in               den Preis noch einmal zu vergleichen) ein
   der der Einbruchsbekämpfung sorgen soll.                 ­Zimmer gebucht wird. (vgl. u.a. von Grafenstein
                                                             et al. 2018)
Feuerwehr 4.0 – Vernetzung von Dingen
                                                           Social-Credit-System in China
Im Bereich Ressourceneinsatz gibt es Über­
legungen, wie die Feuerwehr der Zukunft                    Derzeit befindet sich China in der Pilotphase,
­(Feuerwehr 4.0) (vgl. von Lucke 2015) ­intelligent        um ein umfassendes Social-Credit-System
 vernetzte Objekte nutzen kann, indem ­diese in            (SCS) zu etablieren. In vielen Pilotprojekten
 größere cyberphysische Systeme (CPS) einge-               ­werden unterschiedliche private Unternehmens-
 bettet werden (vgl. Tabelle 2). CPS verbinden              Social-Credit-Systeme sowie staatliche Social-
 unterschiedliche „smarte“ Objekte, die mit Sen-            Credit-Systeme in verschiedenen Regionen und
 soren, Aktoren oder Funkchips ausgestattet                 Städten Chinas getestet (Kostka 2019). Private

Potenziale und Herausforderungen einer neuen Datenorientierung im Kontext öffentlicher Aufgabenwahrnehmung       11
Tabelle 2: Feuerwehr
                                                                                                             4.0: Neuartige
   Information und Analyse                          Automation und Steuerung                                 ­Gestaltungsoptionen
                                                                                                              durch das Internet
                                                                                                              der Dinge (Quelle:
   Verhaltensverfolgung                             Prozessoptimierungen
                                                                                                              von Lucke 2015, S.
                                                                                                              26)

   •   Erfassung & Ortung von Rettungs­             •    Rasche geobasierte Ortung und
       kräften: Armband, Uhr, Smartphone &               ­Steuerung von Einsatzkräften in
       Wearables                                          ­Notfällen
   •   Überwachungsdrohnen zur Beobach-             •    Anforderung von Spezialkräften bei
       tung & Messung bei Gefahren & Brand-              ­Bedarf
       herden                                       •    Warnung vor Großschadenereignissen

   Verbesserte Situationswahrnehmung                Optimierter Ressourcenverbrauch

   •   Intelligent vernetzte Feuerwehrbrille        •    Einsatzplanungen und Einsatz­
       und -helme mit Informationen zum                  vorhersagen
       ­Einsatzort, zur Gefahrenlage & zur          •    Intelligent eingreifendes Einsatz­
        ­Einsatzsteuerung                                lagezentrum
   •   Auswertung der Brandmelderzentrale           •    Tablets mit Informationen & Apps
                                                         für Einsatz
                                                    •    Intelligent vernetzter Feuerwehr-
                                                         schlauch

   Sensorgestützte Entscheidungsanalysen            Komplexe autonome Systeme

   •   Intelligente Kleidung mit Warnfunktion       •    Steuerung chaotischer Menschen­
       bei gefährlicher Hitze & Gaskonzen­               ströme bei Großereignissen und Groß-
       tration                                           schäden
   •   Analyse der Gefährdungslage mit              •    Autonome Roboter und Drohnen bei
       zeitigen Vorschlägen zur Gefahren­                gefährlichen Rettungseinsätzen
       beseitigung

Unternehmens-SCS funktionieren ähnlich wie                 roten Ampel, bei dem das Bußgeld direkt vom
Treuepunkte und sollen das Kaufverhalten der            Konto abgebucht wird. Offiziell nicht einbe­
Kunden beeinflussen. Sie sind jedoch umfassen-          zogen werden Religionszugehörigkeit und
der als geläufige Treuepunktesysteme in                 gesundheitliche Daten. Auch Unternehmen
                                                        ­
Deutschland, da sie u.a. die Rückzahlung von            werden bewertet. Hier spielen Indikatoren wie
Krediten, Kaufverhalten und Aktivität auf S
                                          ­ ocial       Produktqualität, Kundenzufriedenheit und stei-
Media miteinbeziehen. (Jetzt und im Folgenden           gende Wirtschaftskraft eine Rolle. Die Bewer-
Sartorius 2020; Ramadan 2018) Bei den staat-            tungsgrundlage variiert je nach SCS. (Kostka
lichen SCS können weitere Daten, etwa über              2019) Insbesondere die staatlichen SCS haben
Vorstrafen, Beschäftigungsverhältnis und                für die Nutzerinnen Konsequenzen. Hohe Scores
­Parteizugehörigkeit einfließen. Je nach Famili-        ­bringen etwa eine bevorzugte Behandlung bei
 enstand, freiwilligem Engagement und Ausbil-            der Suche nach einem Kindergartenplatz,
 dung erhalten oder verlieren die Nutzer Punkte.         ­vergünstigte Nutzung von Bike-Sharing-Diens-
 Punkte werden auch für erwünschtes Verhalten             ten und Gehaltserhöhungen. Niedrige Scores
 wie etwa beim Windelkauf vergeben, sodass                ­dagegen erschweren den Zugang zu öffent­
 Familien mit Kindern einen Vorteil erhalten.              lichen und privaten Dienstleistungen. Z.B. kann
 ­Abzug gibt es etwa bei der Überquerung einer             ein Reiseverbot für Schnellzüge und Flugzeuge

12             Berichte des NEGZ
erfolgen. Davon erfährt der Nutzer jedoch erst,            Einfluss von Werten oder Vorurteilen der aus-
wenn er versucht, die entsprechenden Dienste               wählenden Person zu gelangen, birgt aber auch
zu buchen. (Sartorius 2020; Ramadan 2018)                  Risiken, dass bewusste oder unbewusste Vor-
Dies ist möglich, da viele Privatunternehmen,              urteile in die Anwendungen einprogrammiert
wie etwa die Handelsplattform Alibaba, das u.a.            („inscribed“) werden und die Auswahl für
das Bezahlsystem AliPay mit 1 Milliarde Nutzern            ­sowohl Bewerber als auch Bewerter intranspa-
betreibt, mit staatlichen Institutionen zusam-              rent verläuft, da die Ergebnisse aufgrund der
menarbeiten. (Sartorius 2020; Kayser-Bri 2019)              komplexen Berechnungen und ggf. selbstler-
Schlechte Social Scores beeinträchtigen jedoch              nender Programme nicht nachvollziehbar sind.
nicht nur die Betroffenen, sondern auch ihr
­soziales Umfeld: bei Treffen mit Freunden und             Rückfälligkeitsprognosen mit COMPAS für
 Angehörigen können diese ebenfalls Punkte                 Straftäter in den USA
 verlieren.
                                                 Die Software Correctional Offender Manage-
Die Testphase der unterschiedlichen staatlichen  ment Profiling for Alternative Sanctions (COM-
SCS soll Ende 2020 abgeschlossen werden.         PAS) wurde als Anwendung im Fallmanage-
­Danach soll ein einheitliches SCS landesweit    ment und in der Entscheidungsunterstützung
 eingeführt werden. Jeder Bürger mit seinen
 ­                                               entwickelt. Sie soll das Risiko berechnen, ob
 ­Social-Credit-Informationen in einer nationaleneine ­        verurteilte Person weitere Straftaten
  Datenbank aufgelistet werden. Derzeit wird die ­begehen wird. Das Programm berechnet seinen
  Idee verfolgt, jeden Bürger entweder auf eine   Score aus insgesamt 137 Fragen, u.a. den
  rote (positiv) oder schwarze (negativ) Liste zu ­persönlichen Vorstrafen des Angeklagten, aber
  setzen. Je nach Listenzugehörigkeit erhalten die auch Vor­strafen naher Verwandter, ­Erkenntnisse
  Bürger Vor- oder Nachteile. (Sartorius 2020)     über ­Alkohol- oder Drogenmissbrauch, sozialen
  Unklar ist noch, wie das SCS in ländlichen       ­Bindungen, Schulden, häufige Wohnort- und
  ­Regionen ohne Internet implementiert werden      Beschäftigungswechsel sowie einer kognitiven
   soll. Für Unternehmen soll es ebensolche Listen  Verhaltensprognose (TAB 2018). Die Daten
   geben. Die Begründung der Chinesischen           ­werden z.T. automatisiert aus verschiedenen
   ­Regierung ist, mit dem SCS Zusammenhalt und      Quellen zusammengeführt oder durch Fragen
    Vertrauen der Bevölkerung zu fördern, indem      an die Angeklagten direkt erhoben. Welche
    Verstöße und Straftaten landesweit überblickt    ­Daten wie gewichtet werden ist nicht bekannt.
    werden können. Dafür sollen bis zu 75 Prozent     Am Ende wird die Rückfallwahrscheinlichkeit
    der hinterlegten Daten öffentlich einsehbar sein. auf einer Skala von 1 bis 10 bewertet. Dabei
    (Kostka 2018)                                     ­bezieht sich der Score sowohl auf eine Flucht-
                                                       gefahr vor dem eigentlichen Verfahren (pretrial
                                                       release risk scale), eine allgemeine Rückfallge-
3.3 Positionszuweisung                                 fahr (general recidivism scale) und eine Rück-
                                                       fallgefahr für G­ ewaltverbrechen ­(violent recidi-
Eine rein automatisierte, datenorientierte Posi-       vism scale) (Northpointe 2015). Das Ergebnis
tionszuweisung ist im deutschen Recht nach             wird in e­ inigen Bundesstaaten dem Haftrichter
den Bestimmungen der DSGVO zur Personali-              als Entscheidungshilfe bei der Urteilsverkün-
sierung verboten. Die Positionszuweisung zielt         dung zur Verfügung gestellt. Die kann dadurch
darauf ab, Menschen automatisch nach                   z.B. die Länge von Bewährungsauflagen oder
­bestimmten Kategorien einzuteilen, etwa bei           Haftstrafen beeinflussen. Diese Form der
 Bewerbern für die Personalauswahl, aber auch          ­Prediction ist durchaus kritikwürdig. Ein 2016
 bei Gefährdern, wie es u.a. schon im US-­ veröffentlichter Artikel von ProPublica, für den
 amerikanischen Justizsystem geschieht. In der          10.000 COMPAS-­       Prognosen ausgewertet
 Regel bezieht ein Algorithmus verschiedene             ­wurden, beschreibt, dass People of Colour, ins-
 Parameter mit ein und verarbeitet auf deren             besondere schwarze Menschen tendenziell eine
 Grundlage personenbezogene Daten, um zu                 höhere Risikoeinstufung haben als weiße Men-
 einem Ergebnis zu kommen. In der Bewerbung              schen, auch wenn ­diese bei näherer Betrach-
 kann etwa nach Schlüsselbegriffen gesucht               tung unbegründet sind (vgl. Angwin et al. 2016).
 ­werden, Alter, Ehestatus, Ausbildungsort etc.          Damit reproduziert COMPAS in der B ­ evölkerung
  einbezogen werden. Dies birgt Chancen, große           vorhandene Vorurteile wider. Da Schwarze
  Datenmengen zu verarbeiten, um zu einer                Menschen in den USA öfter in ­prekären Lebens-
  ­„objektiven“ Entscheidung ohne persönlichen           verhältnissen ­leben und ­vergleichsweise öfter

Potenziale und Herausforderungen einer neuen Datenorientierung im Kontext öffentlicher Aufgabenwahrnehmung   13
verurteilt ­werden, ergibt sich aus der Daten-       die Hälfte aller Steuererklärungen automatisiert
grundlage von COMPAS eine höhere Rückfall-           und ohne Belege abgewickelt werden. (Algo-
quote. Ein w   ­ eiterer Kritikpunkt ist, dass der   rithmenethik 2018) Automatisierte Bearbeitung
­Algorithmus keiner ­öffentlichen Überwachung        soll die Bearbeitungszeit einzelner Steuererklä-
 ausgesetzt ist. Da COMPAS von einem Privat-         rungen verringern und die Finanzbeamten von
 unternehmen betrieben wird, sind die Inhalte        Massenverfahren entlasten.
 der Software durch das Betriebsgeheimnis
 ­geschützt. Dies könnte außerdem eine Verlet-       Eine Zukunftsvision der „Finanzverwaltung 4.0“
  zung des in den USA ­etablierten „due process“     beschreibt von Lucke (hier und im Folgenden
  sein, der vorgibt, dass niemand ohne proze­dural   von Lucke 2015). Diese befindet sich in einigen
  und inhaltlich korrektes rechtsstaatliches Ver-    Bereichen schon in der Umsetzung, teilweise
  fahren verurteilt w
                    ­ erden darf. Dennoch wird die   sind jedoch weitere CPS sowie neue Software-
  Software bis heute zur Entscheidungsunter-         entwicklung notwendig, um zukünftig Aufgaben
  stützung eingesetzt.                               in den Bereichen Steuererhebung, Steuererklä-
                                                     rung, Steuerberechnung und Steuerrücker­
                                                     stattung übernehmen zu können. Z.B. können
3.4 Leistungsgewährung                               durch eine vertiefte Vernetzung der ­Finanzämter
                                                     mit Arbeitgebern oder Banken Steuern auto­
Die Algorithmen unterstützte Leistungsgewäh-         matisiert zum Zeitpunkt einer Transaktion
rung ist ein breites Feld, das von der Gewährung     ­erhoben und direkt eine Steuermeldung statt-
von Geldleistungen bis zu personenbezogenen           finden. Darüber hinaus können eingehende
Dienstleistungen reicht. Bei der Gewährung von        ­Buchungen direkt automatisch verbucht und
Geldleistungen etwa können Algorithmen auto-           zugerechnet werden. Zudem wird die Vernet-
matisiert Daten aus verschiedenen Quellen              zung weiter zunehmen. Ein Anfang für diese
­ziehen, diese zusammenführen, analysieren und         Vernetzung ist auf internationaler Ebene bereits
 überprüfen, ob eine bestimmte Person einen            gemacht: Seit 2017 haben 90 Staaten einen
 Anspruch auf Geldleistungen hat und wie hoch          Common Reporting Standard (CRS) etabliert,
 dieser ist. Personenbezogene Dienstleistungen         der es ermöglicht, Finanzkonteninformationen
 können z.B. über Sprachassistenten bezogen            grenzübergreifend auszutauschen (Bundeszen-
 werden, bei dem der Sprachassistent auf die           trale für Steuern o.J.). Für den Bürger können
 ­Bedürfnisse von Kunden eingeht. Personenbe-          komplett elektronische Steuererklärungen, wie
  zogene Dienstleistungen stehen in der öffentli-      sie bereits durch ELSTER möglich sind, durch
  chen Verwaltung noch relativ am Anfang. In der       CPS weitere erleichtert werden. Durch eine
  Privatwirtschaft sind insbesondere intelligente      Vernetzung von ELSTER mit verschiedenen
                                                       ­
  Assistenzsysteme wie Sprachassistenten, Chat-        ­externen Datenbanken können erhebungsrele-
  Bots etc. weiterverbreitet.                           vante Daten automatisiert abgerufen und in die
                                                        Steuererklärung eingefügt werden. Digitale
Vollständig automatisierter Verwaltungsakt in           Steuerbescheide können den Nutzern eine
Deutschland                                             automatische Prüfung ermöglichen und für
                                                        ­
                                                        ­weitere Antrags- und Prüfungswünsche direkt
Die Finanzverwaltung in Deutschland gilt als             verwendet werden. Bei einer vollständigen
Verwaltung mit einem hohen Digitalisierungs-             ­Digitalisierung und weitgehenden Vernetzung
grad. Bereits heute können Bürger ihre Steuer-            zwischen öffentlichen und privaten Daten­
erklärung mit ELSTER vollständig digital vor-             beständen könnte so die komplette Steuer­
nehmen und an das Finanzamt übermitteln.                  verwaltung papierlos und weitestgehend auto-
Grundlage ist § 35a VwVfG, der besagt, dass ein           matisiert arbeiten. Zu beachten dabei ist, dass
Verwaltungsakt „vollständig durch automati-               den Menschen weiterhin Wege garantiert
sche Einrichtungen erlassen werden [kann],                ­werden müssen, die Kontrolle über ihre Daten
­sofern dies durch Rechtsvorschrift zugelassen             zu behalten sowie mit einem verantwortlichen
 ist und weder ein Ermessen noch ein Beurtei-              Menschen zu sprechen, wenn sich Unstimmig-
 lungsspielraum besteht.“ Bereits heute werden             keiten oder Nachfragen ergeben. Darum ist es
 in im Finanzamt eingereichte Steuererklärungen            wichtig, dass Menschen weiterhin in die Steuer-
 durch ein Risikomanagementsystem (RMS) auf                verwaltung integriert sind, um Transparenz und
 Plausibilität überprüft. Derzeit wird in einigen          Verantwortung zu garantieren. Eine weitere
 einfachen Fällen bereits automatisiert die Steu-          Stufe in Richtung algorithmisierter Verwal­
                                                           ­
 erschuld eines Bürgers festgelegt. Bis 2022 soll          tungsakt wäre ein Szenario, bei dem vermehrt

14             Berichte des NEGZ
große Datenmengen ausgewertet werden, wo                   liert die Merkmale eines jeden Baumes. Bei ihren
­Umfelddaten, z.B. Planungsinformationen bei               Rundgängen stellen sie etwa illegale Baumfäl-
 auswegewertet werden, um hieraus Genehmi-                 lungen oder sich ausbreitende Krankheiten und
 gungen zu erteilen.                                       Schädlinge fest. Um dieser Aufgabe nachzu-
                                                           kommen nutzt die Urban Forestry Administra-
                                                           tion (UFA) (zu Deutsch etwa Städtische Forst-
3.5 Umweltgestaltung                                       verwaltung) seit 2014 ein Geoinformationssystem
                                                           (GIS) (DeMeritt 2016). GIS sind Informations­
Umweltgestaltung durch datenorientierte An-                systeme, die räumliche Daten erfassen, bearbei-
wendungen ist besonders durch das Konzept                  ten, organisieren, analysieren und präsentieren
„Smart City“ bekannt. Es gibt bereits vielfältige          können (Burrough 1998). Das heute genutzte
Anwendungen, von Raumplanung über Land-                    GIS ermöglicht es, über eine Software dem
nutzung zur Planung/Gestaltung Öffentlichen                Baumbestand direkt vor Ort zu inventarisieren
Infrastrukturen und Architekturen, die als daten-          und über Webanwendungen mit anderen Daten
orientierte Umweltgestaltung einzuordnen sind.             zu verknüpfen. Mithilfe eines KI-Filter- und Ver-
Kern der Konzepte einer Smart City ist eine                arbeitungssystems werden die Bäume schnell
Sammlung und Analyse von Daten, welche                     und zuverlässig gezählt und durch die Auswer-
­laufend von den Sensoren in Straßen, Beleuch-             tung von Bilddaten die Höhe und Kronenbreite
 tungskörpern, Versorgungsleitungen, aber auch             ermittelt (Accenture 2018). Darüber hinaus kann
 von den Smartphones der Bürger und ihren                  der Datenbestand nach verschiedenen Kriterien
 Autos sowie von Überwachungskameras erfasst               organisiert und gefiltert werden. Die Ergebnisse
 werden. Wenn unterschiedliche Datenkate­                  werden in detaillierten Karten für das gesamte
 gorien nicht in fachspezifischen Silos einzelner          Stadtgebiet angezeigt. Die Karten zeigen u.a.
 Behörden oder Versicherungsgesellschaften                 anstehende und bereits geschehende Baumar-
 verschwinden, sondern auf einer Datendreh-                beiten, geplante Baumpflanzungen, Vandalis-
 scheibe zusammengeführt werden, dann                      mus an Bäumen und Notfallbaumfällungen, die
 ­werden sie der Analyse zugänglich. Die Daten             für die tägliche Arbeit der Förster wichtig sind.
  können z.B. für die Stadtplanung verwendet               Darüber hinaus gibt es spezifische Karten, die
  werden oder für eine bessere Auslastung des              den Baumbestand nach Vierteln gefiltert über
  öffentlichen Personennahverkehrs genutzt                 einen längeren Zeitraum darstellen und so u.a.
  werden. Große Datenmengen bzw. deren
  ­                                                        Rückschlüsse auf die Erfolge von Aufforstungs-
  ­Verarbeitung können auch unmittelbar für die            bemühungen oder die Auswirkungen von
   Infrastrukturen von Bedeutung sein, wie etwa            Baumfällungen durch Schädlingsbefall geben.
   bei der Verkehrslenkung durch mit Sensoren              (Urban Forestry Administration 2020)
   ausgerüsteten Ampeln oder einer Empfehlung
   an Straßennutzer, eine andere Route zu wählen.          Das KI-Filter- und Verarbeitungssystem unter-
   Viele dieser Daten können sehr nützlich sein,           stützt die Behörde bei Entscheidungsfindungen
   wenn sie im Internet der Dinge dem besseren             zum Ressourceneinsatz und der Umweltgestal-
   Management einzelner Versorgungsinfrastruk-             tung (Accenture 2018). Dies geschieht, indem
   turen dienen. Das wird aber in der Regel ­weniger       es Rohdaten eigenständig aus unterschied­
   herausgestellt, weil dafür die Vernetzung der           lichen Quellen zieht, diese bewertet und in Kar-
   unterschiedlichen Datenkategorien untereinan-           ten mit unterschiedlichen Schwerpunkten visu-
   der nicht erforderlich ist. Solche Nutzungsfor-         alisiert. Derzeit werden die tatsächlichen
   men sind dann auch mit einer die Verwundbar-            Entscheidungsvorschläge aufgrund der Daten-
   keit minimierenden Entnetzung kompatibel.               auswertung noch von Menschen getroffen. Es
                                                           ist jedoch denkbar, dass das System in Zukunft
Verwaltung des Baumbestandes mithilfe von KI               eigene Vorschläge zu Bepflanzung und Rodung
in Washington D.C.                                         von Bäumen aufgrund seiner Datengrundlage
                                                           liefert oder mithilfe von historischen Daten etwa
Washington D.C. „The City of Trees“ will bis 2032          Gefahrengebiete für Schädlingsbefall oder
einen Überschirmungsgrad von 40% der                       ­Vandalismus vorhersagt. So könnte das System
­städtischen Fläche erreichen. Dafür muss die               eine aktivere Rolle in der Entscheidungsfindung
 Fläche, die Baumkronen abdecken, um etwa 2%                einnehmen und langfristige Planung gezielter
 erhöht werden (Urban Forestry Administration               unterstützen.
 2020). Förster und Baumpfleger kontrollieren
 den urbanen Baumbestand und erfassen detail-

Potenziale und Herausforderungen einer neuen Datenorientierung im Kontext öffentlicher Aufgabenwahrnehmung     15
Autonome Taxis in Tokio                                    meisterte (Kölling 2020). Neben den autono-
                                                           men Taxis wurden in Vorbereitung auf die Olym-
Japan hat noch mehr als viele europäische                  pischen Spiele 2020 weitere autonome Fortbe-
­Länder mit Überalterung der Bevölkerung zu                wegungsmittel getestet, darunter eine Art
 kämpfen. Dies betrifft auch die Taxibranche und           autonomen Rollstuhl, der als „Robocar Walk“
 die Fahrer öffentlicher Verkehrsmittel. Der               Fahrgäste in der Fußgängerzone befördert. Die
 Altersdurchschnitt der Taxifahrer in Tokio
 ­                                                         autonomen Fahrgestelle werden unter dem
 ­beträgt derzeit 60 Jahre (Kölling 2020). Der             ­Slogan „Mobilität als Dienst bis zur letzten M
                                                                                                         ­ eile“
  ­Roboterentwickler ZMP testet am Tokioer Flug-            vermarktet (Tsukimori 2020). Die Entwickler
   hafen „Robotertaxis“, die ohne Fahrer autonom            können sich vorstellen, dass vollständiges auto-
   fahren. Zahlende Gäste können das Taxi über              nomes Fahren auf relativ leeren Strecken in der
   eine App buchen, werden am Flughafen abge-               Nacht oder am frühen Morgen bereits ab 2025
   holt und dann zu ihrem Ziel gefahren. Der                möglich ist. Für die Innenstädte erhoffen sich
   ­komplette Vorgang läuft automatisiert ab (ebd,          Taxi- und Busunternehmen bis 2050 vollfunk-
    2020). Die Taxis können in Testumgebungen               tionsfähige Robotertaxis (Kölling 2020).
    ­bereits komplett autonom fahren, jedoch sind in
     der Testphase auf Tokios Straßen derzeit noch         Die Taxonomie der neuen datenangereicherter
     menschlichem Fahrer anwesend, die bei Bedarf          und algorithmischer Aufgabenerledigung zeigt,
     auf manuelle Steuerung umstellen können.              welche Verbesserungen im Kontext neuer
     ­Gerade in der belebten Innenstadt müssen ­diese      Datenanalyse für die öffentliche Aufgaben­
                                                           ­
      das Steuer immer wieder übernehmen. Trotz-           erledigung möglich sind. Diese Taxonomie dient
      dem wird das Experiment als Erfolg verbucht,         dazu, systematisch Verbesserungen bei der
      da gerade die Strecke vom Flughafen in die           ­öffentlichen Aufgabenerledigung zu erschließen,
      ­Innenstadt sehr komplex ist. Trotzdem kam es         wenngleich sich die Gestaltungsprobleme und
       schon vor, dass das Test-Taxi den Parkour alleine    -anforderungen vielfach erst im Detail z
                                                                                                   ­ eigen.

4. ERGEBNISSE – FALLSTUDIE:
KRIMPRO

Die Fallstudie entstand auf der Basis von um-              schließend werden die Interviews hinsichtlich
fangreichen Experteninterviews. Die Interviews             der Nutzung und weiteren Anforderungen mit
wurden 2019 teils als Einzel-, teils als Gruppen-          Bezug zu Skills (Kompetenzen) und Akzeptanz
interviews mit insgesamt 12 Personen in unter-             analysiert.
schiedlichen Bereichen (u.a. mit Entwicklern aus
dem LKA St14, Analysten aus der Analyseein-
heit, Führungskräfte in den lokalen Direktionen            4.1 Berliner Polizei und KrimPro
und Kommissariaten) der Berliner Polizei durch-
geführt. Zusätzlich wurde von der Berliner Poli-           Die Berliner Polizei wird von der Polizeipräsiden-
zei eine Reihe von internen Dokumenten (Be-                tin geführt (seit 2018 Barbara Slowik). Ihr
richte, interne Evaluationen und Präsentationen)           ­unmittelbar nachgeordnet sind die Landespoli-
bereitgestellt, die vorliegend mit ausgewertet              zeidirektion mit ihren sechs Direktionen mit
wurden. In der Auswertung werden zuerst die                 ­örtlicher Zuständigkeit sowie die Direktion Ein-
Entwicklung und Funktionsweise von KrimPro                   satz/Verkehr, das Landeskriminalamt (LKA) und
– KrimPro ist ein algorithmisches System, das                die Polizeiakademie Berlin. Die Direktion Einsatz
sich speziell mit der Vorhersage von Einbrüchen              (Direktion E) ist überörtlich tätig. Insbesondere
in Wohnhäuser beschäftigt – dargestellt. An-                 hat sie die Aufsicht über drei Bereitschafts­

16               Berichte des NEGZ
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