Ägyptens Unternehmerelite nach Mubarak - Stephan Roll SWP-Studie

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SWP-Studie
Stiftung Wissenschaft und Politik
Deutsches Institut für Internationale
Politik und Sicherheit

                                        Stephan Roll

                                        Ägyptens Unternehmer-
                                        elite nach Mubarak
                                        Machtvoller Akteur zwischen Militär
                                        und Muslimbruderschaft

                                        S 14
                                        Juli 2013
                                        Berlin
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ISSN 1611-6372
Inhalt

5    Problemstellung und Empfehlungen

7    Die Unternehmerelite und das Ende des
     Mubarak-Regimes
7    Hintergrund: Oligarchisierung der ägyptischen
     Wirtschaft unter Mubarak
9    Risse im Regime: Die Unternehmerelite,
     Gamal Mubarak und das Militär
11   »Fette Katzen« hinter Gittern?

13   Der Umgang der Muslimbruderschaft mit der
     etablierten Unternehmerelite
13   Die wirtschaftspolitische Agenda
     und ihre Umsetzung
15   Einstieg in die formelle Wirtschaft und
     Ausbau von Netzwerken zur etablierten
     Unternehmerelite
17   Aufarbeitung von Korruption und Misswirtschaft
     der Mubarak-Ära

19   Grenzen der Annäherung: Mitglieder der
     Unternehmerelite in der Opposition gegen
     die Muslimbrüder
19   Parteien- und Kampagnenfinanzierung
21   Finanzierung von Massenmedien
24   Investitionsverweigerung und Kapitalabzug:
     Der Fall OCI

27   Ausblick und Schlussfolgerungen

29   Anhang

30   Abkürzungen

30   Literaturhinweise
Dr. Stephan Roll ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im
SWP-Projekt »Elitenwandel und neue soziale Mobilisierung
in der arabischen Welt«.

Das Projekt wird gefördert aus Mitteln des Auswärtigen
Amtes im Rahmen der Transformationspartnerschaften mit
der arabischen Welt sowie der Robert Bosch Stiftung und
kooperiert mit dem Studienwerk der Heinrich-Böll-Stiftung
sowie dem Institut für Begabtenförderung der Hanns-Seidel-
Stiftung.
Problemstellung und Empfehlungen

Ägyptens Unternehmerelite nach Mubarak.
Machtvoller Akteur zwischen Militär und
Muslimbruderschaft

Im letzten Jahrzehnt der Mubarak-Ära hatten in
Ägypten wenige Großunternehmer Kontrolle über
weite Teile der Wirtschaft erlangt. Dadurch waren sie
auch Teil der politisch relevanten Elite geworden,
deren Mitglieder Einfluss auf grundlegende strategi-
sche Entscheidungen des Landes haben. Vor diesem
Hintergrund stellt sich die Frage, welche Rolle diese
Unternehmerelite im ägyptischen Transformations-
prozess einnimmt, der mit dem Sturz Husni Mubaraks
Anfang 2011 eingeleitet wurde. Gelingt es den Groß-
unternehmern, ihre Vormachtstellung in Ägyptens
Wirtschaft zu verteidigen? Vor allem aber: Kommt
ihnen auch in der Post-Mubarak-Ära eine gewichtige
politische Rolle zu?
   Die folgende Analyse zeigt, dass die ägyptische
Unternehmerelite bislang sehr erfolgreich darin war,
sowohl ihre wirtschaftliche Macht als auch ihren
politischen Einfluss zu bewahren. Obwohl sich der
Zorn vieler Ägypter, die 2011 gegen das Mubarak-
Regime auf die Straße gingen, auch gegen die als
korrupt geltende Unternehmerelite richtete, gelang
es den meisten ihrer Mitglieder, die eigenen Wirt-
schaftsimperien über den Sturz Mubaraks hinaus zu
erhalten. Nur sehr wenige Großunternehmer mussten
sich in den Monaten nach dem politischen Umbruch
vor Gericht verantworten. Die meisten profitierten
davon, dass Korruption und Misswirtschaft vom
Obersten Militärrat, der zunächst die Führung des
Landes übernommen hatte, nur in laxer Weise auf-
gearbeitet wurden und es dabei an Transparenz wie
an rechtsstaatlichen Standards mangelte.
   Auch die Muslimbruderschaft hielt an diesem
Vorgehen fest. Schon vor dem Sieg ihres Kandidaten
Mohammed Mursi bei den Präsidentschaftswahlen
2012 arbeitete sie auf eine Allianz mit der etablierten
Unternehmerelite hin. Die Forderung aus der Zivil-
gesellschaft, zurückliegendes Fehlverhalten von Wirt-
schaftsakteuren umfassend aufzuklären, wurde von
ihr nicht mitgetragen. Vielmehr setzte sie darauf,
außergerichtliche Einigungsverfahren anzuwenden
und die etablierte Unternehmerelite in ihre eigenen
Herrschaftsnetzwerke einzubeziehen. Vor allem aber
orientierte sie sich programmatisch an den Leitlinien
der wachstums- und privatsektororientierten Wirt-

                                                  SWP Berlin
                     Ägyptens Unternehmerelite nach Mubarak
                                                    Juli 2013

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Problemstellung und Empfehlungen

         schaftspolitik der Mubarak-Ära. Dieser Kurs, den die      Bezug auf staatliches Handeln in der Wirtschaft sowie
         internationale Gebergemeinschaft immer wieder             die Reform der Wettbewerbsordnung zu unterstützen.
         gelobt hatte, war insbesondere den Spitzenunterneh-       Außerdem sollte die Professionalisierung des ägyp-
         mern des Landes zugutegekommen.                           tischen Mediensektors vorangetrieben werden, damit
            Der Versuch, Ägyptens Unternehmerelite zu koop-        dieser künftig eine unabhängige Kontrollfunktion
         tieren, scheiterte allerdings ebenso wie die Bemühun-     ausüben kann.
         gen einiger Mitglieder der Bruderschaft, die eigenen         Zum anderen sollten Deutschland und Europa dem
         wirtschaftlichen Aktivitäten in nennenswertem Um-         Land dabei helfen, ein gerechteres Steuersystem und
         fang auszubauen. Nur wenige Großunternehmer               eine effizientere Steuerverwaltung aufzubauen. Es
         arrangierten sich mit der Bruderschaft und akzeptier-     wird dem Land keinen sozialen Frieden bringen, wenn
         ten deren politischen Machtanspruch. Der größere          die einseitige Wachstumspolitik der späten Mubarak-
         Teil unterstützte die Gegner der Bewegung – durch         Ära einfach fortgesetzt wird. Denn ohne eine aktivere
         Finanzierung von oppositionellen Parteien und Politi-     Umverteilungspolitik des Staates wird es künftig
         kern sowie über private Medien. Viele der meist säku-     kaum gelingen, eine stärkere Breitenwirksamkeit wirt-
         lar geprägten Großunternehmer hegten ein grund-           schaftlicher Entwicklung in Ägypten zu erreichen.
         sätzliches Misstrauen gegenüber Vertretern des
         politischen Islam, die in der Regel nicht ihren gesell-
         schaftlichen Kreisen angehörten. Dieser Argwohn
         wurde im Laufe von Mursis Präsidentschaft noch ver-
         stärkt, weil die Administration wirtschaftspolitisch
         äußerst unprofessionell agierte und ihre Signale an
         das Unternehmerlager immer widersprüchlicher
         wurden.
            Der Konflikt mit Teilen der Unternehmerelite trug
         dazu bei, dass es der Muslimbruderschaft nicht ge-
         lang, ihre durch Wahlen erlangte Macht zu konsoli-
         dieren. Mursis Absetzung durch das ägyptische Militär
         Anfang Juli 2013 erfolgte zwar auf Druck der Straße.
         Letztlich waren es aber etablierte Interessengruppen
         wie die Unternehmerelite, die monatelang auf das
         politische Scheitern der Bruderschaft hingearbeitet
         hatten. Die Mursi-Administration, deren politisches
         Taktieren in der Bevölkerung immer weniger Unter-
         stützung fand, hatte dem Widerstand dieser Inter-
         essengruppen und damit auch der Unternehmerelite
         kaum etwas entgegenzusetzen.
            Auch in Zukunft dürfte der Einfluss der Groß-
         unternehmer auf den politischen Entscheidungspro-
         zess erheblich sein. In der Übergangsregierung sind
         vorwiegend Politiker und Technokraten vertreten, die
         dem Unternehmerlager nahestehen. Schon dies lässt
         erkennen, dass die Interessen der Großunternehmer
         im weiteren Verlauf des Transformationsprozesses
         gewahrt sein dürften. Ungeachtet der aktuellen poli-
         tischen Turbulenzen sollten Deutschland und die EU
         bei ihrer langfristigen Zusammenarbeit mit Ägypten
         daher versuchen, den absehbaren Negativfolgen eines
         solchen Einflusses entgegenzuwirken. Zum einen soll-
         ten sie stärker als bisher eine Reform des regulativen
         Rahmens der ägyptischen Wirtschaft fördern. Dabei
         gilt es vor allem, die Schaffung von Transparenz in

         SWP Berlin
         Ägyptens Unternehmerelite nach Mubarak
         Juli 2013

         6
Hintergrund: Oligarchisierung der ägyptischen Wirtschaft unter Mubarak

Die Unternehmerelite und das Ende des Mubarak-Regimes

Die Proteste, die 2011 zum Zusammenbruch des                             allgemeinen Lebensverhältnisse nicht. Im Gegenteil –
Mubarak-Regimes führten, richteten sich nicht nur                        nach offiziellen Statistiken nahm die Armut insbeson-
gegen politische Unterdrückung und staatliche Will-                      dere unter der Landbevölkerung weiter zu. 2
kür, sondern ebenso gegen soziale Ungerechtigkeit                           Zugleich entsprach der weitverbreitete Eindruck,
und ausufernde Korruption. Im Vorfeld des Umsturzes                      eine kleine Unternehmerelite habe maßgeblich Kon-
hatte in der Bevölkerung auch die Wut auf Ägyptens                       trolle über die Wirtschaft des Landes erlangt, durch-
Unternehmerelite zugenommen, die von der Privati-                        aus der Realität. So hatte sich der private Unterneh-
sierungspolitik der vergangenen Jahrzehnte erheblich                     menssektor in der dreißigjährigen Amtszeit Husni
profitieren konnte. Ihren Vertretern – im Volksmund                      Mubaraks gleich in zweierlei Hinsicht grundlegend
oftmals »fette Katzen« genannt – wurde vorgeworfen,                      gewandelt. Zum einen spielten private Unternehmen
den eigenen Reichtum vor allem durch Vernetzung                          eine immer wichtigere Rolle in der ägyptischen Wirt-
mit der politischen Entscheidungsebene erlangt zu                        schaft. Bereits Mubaraks Vorgänger im Präsidenten-
haben. Die vielen Unternehmer, die in Ägypten seit                       amt, Anwar al-Sadat, hatte durch seine wirtschaftliche
der Jahrtausendwende wichtige politische Ämter                           Öffnungspolitik (Infitah) in den späten 1970er Jahren
bekleideten, wurden dafür als Beleg gesehen. Diesem                      bessere Rahmenbedingungen für privates Unterneh-
System des »Kumpelkapitalismus« (crony capitalism) 1                     mertum geschaffen. Mubarak setzte diese Politik zu-
ein Ende zu setzen und die mächtigen Unternehmer-                        nächst nur beschränkt fort, als er Anfang der 1990er
familien in die Schranken zu weisen wurde zu einer                       Jahre eine wirtschaftliche Strukturanpassung einlei-
zentralen Forderung der Protestbewegung. Zudem                           tete. Ab 2004 wurde der Privatisierungsprozess aller-
waren Risse im Herrschaftssystem entstanden. Beson-                      dings intensiviert. Allein zwischen 2004 und 2008
ders im Militär wurde der gestiegene politische Ein-                     erzielte der ägyptische Staat mehr als doppelt so hohe
fluss einiger Großunternehmer missbilligt. Zu einer                      Privatisierungseinnahmen wie in den zehn Jahren
Entmachtung der Unternehmerelite kam es in den                           davor. 3 Der private Unternehmenssektor verzeichnete
Folgemonaten des politischen Umsturzes allerdings                        gegenüber dem noch immer starken öffentlichen Sek-
nur bedingt.                                                             tor eine Bedeutungszunahme, die sich vor allem in
                                                                         der Entwicklung von Beschäftigung und inländischen
                                                                         Investitionen niederschlug. Während sich der Anteil
Hintergrund: Oligarchisierung der                                        des privaten Sektors an der Beschäftigung um über
ägyptischen Wirtschaft unter Mubarak                                     10 Prozentpunkte auf 73 Prozent erhöhte, erfuhr sein
                                                                         Anteil an den Investitionen nahezu eine Verdoppe-
Viele Ägypter fühlten sich in der Mubarak-Ära von der                    lung auf 62 Prozent (vgl. Abbildung S. 8). 4
wirtschaftlichen Entwicklung des Landes abgekoppelt
und sahen die Schere zwischen Arm und Reich immer                           2 Während 2005 noch 20 Prozent der Bevölkerung unter-
weiter auseinanderklaffen. Tatsächlich standen die                          halb der nationalen Armutsrate lebten, waren es 2008 bereits
zeitweise hohen wirtschaftlichen Wachstumsraten                             22 Prozent. Vgl. World Bank, World Development Indicators 2012,
seit der Jahrtausendwende im Widerspruch zur sozia-                          (Zugriff am 4.6.2013).
len Entwicklung des Landes. So verzeichnete Ägypten
                                                                            3 Vgl. Stephan Roll, Geld und Macht: Finanzsektorreformen und
zwischen 2005 und 2008 einen jährlichen Anstieg des                         politische Bedeutungszunahme der Unternehmer- und Finanzelite in
Bruttoinlandsproduktes (BIP) von durchschnittlich                           Ägypten, Berlin 2010, S. 120.
über 6 Prozent; gleichzeitig aber verbesserten sich die                     4 Der Anteil des Privatsektors am BIP blieb hingegen gleich.
                                                                            Allerdings ist die Entwicklung des BIP nur wenig aussagekräf-
                                                                            tig, da die Wertschöpfung des öffentlichen Sektors insbeson-
  1 Zum Konzept des »crony capitalism« vgl. u.a. Clement M.                 dere durch die Einnahmen aus dem Suezkanal und der ägyp-
  Henry/Robert Springborg, Globalization and the Politics of Develop-       tischen Rohstoffproduktion entsteht, die wiederum stark von
  ment in the Middle East, Cambridge: Cambridge University                  der Entwicklung des internationalen Güterverkehrs sowie den
  Press, 2012, S. 156ff.                                                    Weltmarktpreisen für Erdöl und Erdgas beeinflusst werden.

                                                                                                                               SWP Berlin
                                                                                                  Ägyptens Unternehmerelite nach Mubarak
                                                                                                                                 Juli 2013

                                                                                                                                           7
Die Unternehmerelite und das Ende des Mubarak-Regimes

          Abbildung:
          Bedeutung des Privatsektors in der ägyptischen Wirtschaft 1985–2011
          80%

          70%

          60%

          50%

          40%
                                                                                            Anteil an der Beschäftigung
          30%
                                                                                            Anteil am BIP
          20%
                                                                                            Anteil an den Investitionen
          10%

           0%
                       1985/86            1990/91             1995/96           2000/01           2005/06            2010/11

          Eigene Darstellung, Datenquelle: ägyptisches Planungsministerium

          Zum anderen fand eine bemerkenswerte Kapital-                       großen Teil der ägyptischen Wirtschaft erlangen
          konzentration innerhalb des privaten Unternehmens-                  konnte. Wie sich diese Gruppe genau zusammensetzt,
          sektors statt. Gab es noch zu Beginn der 1980er Jahre               wurde empirisch bislang nur begrenzt untersucht.
          keine nennenswerten Großunternehmen im privaten                     Schätzungen zufolge hatten Ende 2010 mindestens
          Besitz, wurden zum Ende der Mubarak-Ära zahlreiche                  21 Familien Nettovermögenswerte von jeweils über
          Wirtschaftsbereiche durch einzelne Privatfirmen do-                 100 Millionen US-Dollar (vgl. Tabelle 1, S. 29). Einige
          miniert. Diese Kapitalkonzentration war eine direkte                dieser Familien – allen voran die Sawiris und die
          Folge der Privatisierungspolitik unter Mubarak. Vor                 Mansour – waren sogar Milliarden US-Dollar schwer. 6
          dem Hintergrund allgegenwärtiger Korruption bei                     Besonders deutlich wurde die Vormachtstellung dieser
          staatlichen Unternehmensverkäufen und bei Vergabe                   »wirtschaftlichen Kernelite« an der ägyptischen Börse.
          öffentlicher Aufträge, begünstigt durch ein System                  2008 kontrollierten 11 Unternehmerfamilien mit
          präferentieller Kredite und das Fehlen staatlicher                  ihren Firmen über 30 Prozent der Marktkapitalisie-
          Marktaufsicht, gelang es einigen wenigen Unterneh-                  rung der Egyptian Exchange (EGX). 7 Eng verbunden
          mern, riesige Wirtschaftsimperien zu errichten. Zwar                mit diesen wenigen Oligarchen waren zahlreiche
          war der Unternehmenssektor nach wie vor durch                       Subunternehmer und Manager großer Privatfirmen,
          kleine und mittelgroße Betriebe geprägt – gerade ein-               die ihrerseits über erhebliche Vermögenswerte ver-
          mal 0,1 Prozent der Unternehmen in Ägypten hatten                   fügten. So schätzte das Consulting-Unternehmen
          2006 mehr als 100 Mitarbeiter. 5 Doch zumeist ver-                  Wealth-X, dass 2011 in Ägypten 490 Familien lebten,
          fügten die wenigen privaten Großunternehmen in                      deren Nettovermögen sich jeweils auf mindestens
          ihren jeweiligen Wirtschaftssektoren über eine markt-               30 Millionen US-Dollar belief. Zusammen besaßen
          beherrschende Stellung, wie Ezz Industries im Stahl-                diese Familien mehr als 65 Milliarden US-Dollar an
          sektor, Ghabbour Auto im Automobilsektor oder
          Juhayna Food Industries in der Molkerei-Industrie.
             Beide Entwicklungen zusammen – die Bedeutungs-
                                                                                6 Das Vermögen der Sawiris-Familie wurde vom Wirtschafts-
          zunahme des Privatsektors und die dortige Kapital-
                                                                                magazin »Forbes« 2012 auf rund 11 Milliarden US-Dollar ge-
          konzentration – führten dazu, dass eine kleine Grup-                  schätzt, das der drei Mansour-Brüder auf über 6 Milliarden
          pe von Personen bzw. Familien durch Eigentums- und                    US-Dollar. Vgl. Forbes, The World’s Billionaires 2012,  (Zugriff am 4.6.2013).
              5 Vgl. African Development Bank, Egypt Private Sector Country     7 Vgl. Stephan Roll, »›Finance Matters!‹ The Influence
              Profile 2009, S. 115,  (Zugriff am 2.6.2013).                               15 (2010) 3, S. 360.

          SWP Berlin
          Ägyptens Unternehmerelite nach Mubarak
          Juli 2013

          8
Risse im Regime: Die Unternehmerelite, Gamal Mubarak und das Militär

Vermögenswerten. 8 Gemessen am persönlichen Reich-                        Viele Großunternehmer vermieden allerdings das
tum umfasste die ägyptische Unternehmerelite zu                        direkte politische Engagement. Doch auch sie verfüg-
Beginn des politischen Umbruchs Anfang 2011 daher                      ten über eine Reihe von Einflusskanälen, um ihre
mehrere hundert Familien und Einzelpersonen. 9                         Interessen im politischen Entscheidungsprozess ab-
                                                                       zusichern. Am offensichtlichsten wurde dieser in-
                                                                       direkte Einfluss im Fall der koptischen Sawiris, der
Risse im Regime: Die Unternehmerelite,                                 wohl reichsten Familie des Landes. Sie ist im Bau-,
Gamal Mubarak und das Militär                                          Tourismus- und Telekommunikationssektor aktiv.
                                                                       Durch Geschäftsbeziehungen zu politischen Entschei-
Durch ihre dominante Stellung in der ägyptischen                       dungsträgern, Beteiligungen im ägyptischen Medien-
Wirtschaft waren Mitglieder der Unternehmerelite                       sektor sowie die Mitgliedschaft in wirtschaftsnahen
auch in den Kreis der politisch relevanten Elite auf-                  Organisationen und Interessenverbänden konnte
gestiegen. 10 Großunternehmer erlangten wichtige                       sie ihre Anliegen in den politischen Entscheidungs-
Ministerämter, darunter etwa Rachid Mohammed                           prozess einbringen. Besondere Bedeutung kam hier-
Rachid, lokaler Partner des internationalen Nahrungs-                  bei dem Egyptian Center for Economic Studies (ECES)
mittelkonzerns Unilever, oder Mohammed Mansour,                        zu, einem Wirtschaftsforschungsinstitut, das von
dessen Familienunternehmen der größte Vertriebs-                       mehreren einflussreichen Unternehmern Mitte der
partner von General-Motors-Fahrzeugen weltweit ist.                    1990er Jahre gegründet und 2001 durch die U.S.
Andere, allen voran der Stahlunternehmer Ahmed                         Agency for International Development (USAID) mit
Ezz, besetzten zentrale Positionen im Parlament und                    Fördergeldern in Höhe von über 10 Millionen US-
in der regierenden Nationaldemokratischen Partei                       Dollar bedacht worden war. 12 In den wissenschaft-
(NDP). Ezz, dessen Firmenkonglomerat nahezu über                       lichen Studien des Instituts wurden die Grundzüge
eine Monopolstellung im nationalen Stahlsektor ver-                    einer neoliberalen Reformpolitik auf die spezifische
fügte, war Vorsitzender des Haushaltsausschusses im                    Situation Ägyptens übertragen. 13 Im Vordergrund
ägyptischen Unterhaus und Mitglied aller Führungs-                     standen dabei die Entwicklung des privaten Unter-
gremien der Regierungspartei. 11                                       nehmenssektors sowie Ägyptens weitere außenwirt-
                                                                       schaftliche Öffnung. Allerdings findet sich in den
                                                                       ECES-Papieren auch die Forderung nach einer par-
  8 Vgl. Wealth-X, World Ultra Wealth Report 2012–2013, Singapur       tiell interventionistischen Wirtschaftspolitik wieder.
  2012, S. 91,  (Zugriff am 4.6.2013).                so groß, weil zu seinen Gründungsmitgliedern der
  9 In der sozialwissenschaftlichen Forschung gibt es keine
                                                                       Präsidentensohn Gamal Mubarak gehörte. Dieser
  klare Definition des Elitenbegriffs. In der neueren Forschung
  werden mit »Elite« meist Personengruppen bezeichnet, »die            wurde seit den späten 1990er Jahren sukzessive als
  über wichtige Machtressourcen verfügen, die es ihnen erlau-          Nachfolger seines Vaters aufgebaut. Die Beziehung
  ben, Einfluss auf gesellschaftlich bedeutende Entscheidungen         zwischen ihm und der Unternehmerelite bildete eine
  zu nehmen«. Ursula Hoffmann-Lange, Eliten, Macht und Konflikt        Zweckgemeinschaft. Weil Gamal Mubarak – anders
  in der Bundesrepublik, Opladen 1992, S. 83. Bei Unternehmern
                                                                       als Husni Mubarak und dessen Vorgänger im Präsi-
  stellt Kapital eine solche Machtressource dar. Ein individuel-
  les Vermögen von 30 Millionen US-Dollar als entsprechendes
                                                                       dentenamt – Zivilist war, verfügte er über keine ge-
  Zugehörigkeitskriterium ist willkürlich gewählt, bietet aber         wachsene Machtbasis im ägyptischen Militär. Er war
  einen gewissen Anhaltspunkt, um diese Akteursgruppe in               deshalb auf die Unterstützung anderer Akteure an-
  Ägypten einzugrenzen.
  10 Die Mitglieder der politisch relevanten Elite zeichnen              Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Juli 2007 (SWP-
  sich dadurch aus, dass sie »strategische Entscheidungen auf            Studie 20/2007), S. 24.
  nationaler Ebene treffen, an der Entscheidungsfindung                  12 Vgl. David B. Ottaway, Egypt at the Tipping Point?, Middle
  darüber teilhaben, die Definition politischer Normen und               East Program Occasional Paper Series, Summer 2010,
  Werte oder die Definition dessen, was als ›nationales Inter-           Washington, D.C.: Woodrow Wilson International Center
  esse‹ gilt, mitbestimmen oder die öffentliche Debatte über             for Scholars, S. 5.
  strategische Themen maßgeblich beeinflussen«. Volker Per-              13 Zur Rolle des ECES im wirtschaftspolitischen Entschei-
  thes (Hg.), Elitenwandel in der arabischen Welt und Iran, Berlin:      dungsprozess während der letzten Jahre der Mubarak-Ära
  Stiftung Wissenschaft und Politik, Dezember 2002 (SWP-                 vgl. Bruce K. Rutherford, Egypt after Mubarak. Liberalism, Islam,
  Studie 41/2002), S. 7ff.                                               and Democracy in the Arab World, Princeton: Princeton Univer-
  11 Vgl. Thomas Demmelhuber/Stephan Roll, Herrschaftssiche-             sity Press, 2008, S. 211ff. Zu den Investitionen der Sawiris
  rung in Ägypten. Zur Rolle von Reformen und Wirtschaftsoligarchen,     im Mediensektor siehe S. 22ff.

                                                                                                                             SWP Berlin
                                                                                                Ägyptens Unternehmerelite nach Mubarak
                                                                                                                               Juli 2013

                                                                                                                                             9
Die Unternehmerelite und das Ende des Mubarak-Regimes

          gewiesen, und dazu wählte er die finanzstarken Groß-                      vom Militär abhängig, wenn es um Landkäufe geht,
          unternehmer. Diese wiederum konnten mit Hilfe des                         etwa zum Bau neuer Fabriken oder für touristische
          Präsidentensohnes ihre Interessen politisch durch-                        Anlagen. Das Militär hat qua Gesetz die Befugnis,
          setzen. So war es Gamal Mubarak, der unter dem                            öffentliches Land zum Zweck der nationalen Sicher-
          Slogan »Neues Denken« die inhaltliche Neuausrich-                         heit jederzeit zu konfiszieren. 17 Dieses Vetorecht bei
          tung der Regierungspartei vorantrieb. Das Programm                        der Privatisierung von Bauland wurde von Mitgliedern
          der NDP, das in Teilen noch sozialistisch angemutet                       der Unternehmerelite scharf kritisiert. 18
          hatte, wurde entsprechend überarbeitet. Maßgeblich                           Zum Bruch zwischen beiden Akteursgruppen kam
          war dabei die vom ECES ausgegebene Leitlinie eines                        es allerdings nicht. Über Jahrzehnte hatten sich enge
          liberalen Wirtschaftssystems mit einem starken Staat.                     Netzwerke zwischen Militärs und verschiedenen Groß-
          Zudem holte Gamal Mubarak zahlreiche bekannte                             unternehmern etabliert. Letztere fungierten dabei
          Unternehmer in die von ihm geführten Vorstands-                           etwa als Berater und Dienstleister im Zusammenhang
          gremien der Regierungspartei. Besonders deutlich                          mit Rüstungsgeschäften. Beispielhaft dafür ist Shafiq
          aber wurde die Allianz zwischen Präsidentensohn                           Gabr, ein international bestens vernetzter Geschäfts-
          und Unternehmerelite bei der Regierungsumbildung                          mann mit eigenem Verbindungsbüro in Washington.
          2005. Sechs der Minister in der Regierung von Premier-                    Er vertrat über sein Unternehmenskonglomerat Artoc
          minister Ahmed Nazif (2004–2011) waren bekannte                           Group zahlreiche internationale Firmen in Ägypten
          Unternehmerpersönlichkeiten mit offenkundigen                             und versorgte das Militär mit den unterschiedlichsten
          Verbindungen zu Gamal Mubarak. 14 Diese setzten den                       zivilen und halbmilitärischen Gütern. 19 Zudem pfleg-
          wirtschaftsliberalen Kurs der Regierungspartei in die                     ten Firmen des Militärs Partnerschaften mit auslän-
          Praxis um, wobei sie durch ein selektives Vorgehen                        dischen Großunternehmen, in die ebenfalls Mitglie-
          sicherstellten, dass hauptsächlich die Mitglieder der                     der der ägyptischen Unternehmerelite eingebunden
          Unternehmerelite von der neuen Politik profitierten.                      waren. Die kuwaitische Kharafi-Gruppe etwa, die über
             Die Nähe der Großunternehmer zu Gamal Mubarak                          eine Vielzahl von Subunternehmen in Ägyptens Wirt-
          rief indes Widerstände bei anderen Teilen der poli-                       schaft tätig ist, ging seit 2001 verstärkt Joint-Ventures
          tisch relevanten Elite hervor. In der Bürokratie, vor                     mit dem Militär des Landes ein. 20 Eingefädelt wurden
          allem aber innerhalb des Militärs wuchs die Sorge,                        diese Aktivitäten durch den ägyptischen Geschäftsfüh-
          man könnte im ägyptischen Herrschaftssystem zuneh-                        rer der Gruppe, Moataz al-Alfi, einen der politisch ein-
          mend marginalisiert werden. Viele Offiziere sahen mit                     flussreichsten Wirtschaftsführer der Mubarak-Ära. 21
          Verbitterung, wie der Reichtum einer kleinen Unter-
          nehmerschicht zunehmend wuchs, während ihre                                 PepsiCo sowie mit privaten lokalen Anbietern, allen voran
                                                                                      Hayat, einer Marke der Mansour-Gruppe.
          eigenen Privilegien sowie die ausufernden Wirtschafts-
                                                                                      17 Vgl. Zeinab Abul-Magd, »The Army and the Economy in
          aktivitäten des Militärs öffentlich mehr und mehr in                        Egypt«, in: Jadalyyia, 23.12.2011.
          Frage gestellt wurden. Seit den späten 1970er Jahren                        18 »US Embassy Cables: Egyptian Military’s Influence in
          hatte das Militär sein Engagement auch in der zivilen                       Decline, US Told«, in: Guardian.co.uk, 03.02.2011, 
                                                                                      (Zugriff am 4.6.2013).
          Ausmaß dieser Tätigkeit nicht bekannt ist. Schätzun-
                                                                                      19 Artoc Group belieferte das Militär mit aller Art von Aus-
          gen zufolge erbringen Unternehmen, die vom Militär                          rüstungsgegenständen, von Schleudersitzen für Düsenjets
          kontrolliert werden, 5 bis 15 Prozent der ägyptischen                       (ARTOC Suez) bis hin zu Fitnessgeräten für die Sportstudios
          Wirtschaftsleistung. 15 Dabei stehen Unternehmen des                        der Armee (ARTOC Sports). Vgl. Artoc Group for Investment
          Militärs durchaus auch in Konkurrenz zu privaten                            and Development, .
          Firmen. 16 Vor allem aber sind private Unternehmen                          20 Vgl. Shana Marshall/Joshua Stacher, »Egypt’s Generals and
                                                                                      Transitional Capital«, in: MERIP Middle East Report, 42 (2012) 262.
                                                                                      21 Moataz al-Alfi zählte zum Unternehmernetzwerk Gamal
               14 Vgl. Demmelhuber/Roll, Herrschaftssicherung in Ägypten              Mubaraks. Er war Vizepräsident der Future Generation
               [wie Fn. 11], S. 22.                                                   Foundation, einer Wohltätigkeitsorganisation des Präsiden-
               15 Vgl. Chérine Chams El-Dine, The Military and Egypt’s Trans-         tensohns, und Mitglied des Egyptian Center for Economic
               formation Process. Preservation of the Military’s Reserve Domains,     Studies. Al-Alfis Bruder gehörte mehreren Führungsgremien
               Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Februar 2013                der Regierungspartei NDP an, die angeblich großzügige
               (SWP Comments 6/2013), S. 2.                                           Spenden der Kharafi-Gruppe erhielt. Vgl. Marion Dixon,
               16 Ein Beispiel ist der Markt für abgefülltes Trinkwasser.             The Corporate Standard and the Reproduction of the Dominant Class
               Hier konkurriert Safi, die Wassermarke des Militärs, mit               in Egypt, Konferenzpapier für die International Conference
               Flaschenwasser multinationaler Firmen wie Nestlé und                   on Global Land Grabbing II, Ithaca, NY, 17.–19.10.2002, S. 10.

          SWP Berlin
          Ägyptens Unternehmerelite nach Mubarak
          Juli 2013

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»Fette Katzen« hinter Gittern?

»Fette Katzen« hinter Gittern?                                   solchen Unternehmern, die nicht unter dem Schutz
                                                                 der Militärs standen, war es möglich, Ägypten zu
Den Forderungen der Protestierenden folgend, be-                 verlassen. Mit zahlreichen Privatjets brachten Groß-
gannen die ägyptischen Ermittlungsbehörden Ende                  unternehmer nicht nur ihre Familien, sondern auch
Januar 2011, nur wenige Tage nach Beginn der                     Vermögenswerte außer Landes. 25 Nach Angaben der
Massenkundgebungen gegen das Mubarak-Regime,                     Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ)
gegen Mitglieder der Unternehmerelite vorzugehen.                stiegen allein im ersten Quartal 2011 die Verbindlich-
Die Oberstaatsanwaltschaft leitete Ermittlungen                  keiten ausländischer Banken gegenüber ägyptischen
wegen Korruption und Amtsmissbrauch ein. Gegen                   Staatsbürgern um mehr als 6 Milliarden US-Dollar. 26
zahlreiche Großunternehmer wurden Ausreisesperren                   Auch in den Folgemonaten unterließ es die Militär-
verhängt. 22 Damit versuchte das Machtzentrum um                 führung, systematisch gegen Korruption vorzugehen.
Husni Mubarak offenkundig, den Protestierenden                   Zwar nahmen verschiedene staatliche Stellen Ermitt-
einen Schuldigen für die prekäre sozioökonomische                lungen auf; doch wurden diese wegen einer schwa-
Lage im Land zu präsentieren, um sich selbst aus der             chen Beweislage oftmals wieder eingestellt, oder ihr
Schusslinie zu bringen. Mit dem erzwungenen Rück-                Ende war nicht absehbar. So überwies die im Justiz-
tritt Mubaraks am 11. Februar 2011 wurde jedoch das              ministerium angesiedelte Abteilung für illegale Ge-
Scheitern dieser Strategie offensichtlich.                       winne bis September 2012 – über anderthalb Jahre
   Unmittelbar nach Mubaraks Sturz übernahm der                  nach Beginn des politischen Umbruchs – lediglich
Oberste Militärrat (Supreme Council of the Armed                 29 von insgesamt 597 angezeigten Fällen an die
Forces, SCAF) die Macht in Ägypten. Er regierte das              Gerichte. 27 Mit Rachid Mohammed Rachid, Ahmed
Land bis zum Amtsantritt von Präsident Mohammed                  al Maghrabi, Ahmed Ezz und Hussein Salem wurden
Mursi am 30. Juni 2012. Zunächst verschärften die                letztlich nur vier Akteure aus den 21 Familien der
Militärs die Strafverfolgung von Mitgliedern der                 Unternehmer-Kernelite zu Gefängnisstrafen verurteilt,
Unternehmerelite. Mit dem ehemaligen Wohnungs-                   wobei die Urteile bis Juli 2013 teilweise noch nicht
bauminister Ahmed al-Maghrabi, dem früheren                      rechtskräftig waren.
Tourismusminister Zuheir Garana und dem Stahl-                      Anfang 2012 ergänzte der Oberste Militärrat das
unternehmer Ahmed Ezz wurden gleich drei promi-                  ägyptische Investitionsgesetz um einen Zusatz, durch
nente Großunternehmer inhaftiert bzw. international              den die Möglichkeit entstand, einer Verurteilung
zur Fahndung ausgeschrieben. Zudem wurde eine                    wegen krimineller Handlungen wie Veruntreuung
»Blacklist« von Beschuldigten veröffentlicht, die nicht
mehr frei über ihre Vermögenswerte verfügen durf-                  25 Bekanntestes Beispiel ist der Unternehmer Hussein Salem,
                                                                   der den Gashandel zwischen Ägypten und Israel kontrollierte
ten. 23 Angesichts der beschriebenen Konkurrenz
                                                                   und dem massive Korruption zur Last gelegt wird. Unbestä-
zwischen Militär und diversen Großunternehmern                     tigten Pressemeldungen zufolge fand man im Gepäck des
nutzte der SCAF offenbar die Gunst der Stunde, um                  Unternehmers 500 Millionen US-Dollar, als er Ende Januar
alte Rechnungen zu begleichen. Ein systematisches                  2011 nach Dubai einreiste. Salem, der auch die spanische
Vorgehen gegen die ägyptische Unternehmerelite gab                 Staatsbürgerschaft besitzt, wurde im Juni 2011 in Spanien
                                                                   festgenommen, nachdem Ägypten einen internationalen
es allerdings nicht. Wer gute Beziehungen zum Militär
                                                                   Haftbefehl erwirkt hatte. Eine Auslieferung an Ägypten kam
unterhielt, hatte wenig zu befürchten. 24 Und selbst               bislang jedoch nicht zustande. Vgl. »Spain Refuses Extra-
                                                                   dition of Mubarak’s Right-hand Man«, in: Daily News Egypt,
  22 Allerdings war es vielen bekannten Mitgliedern der            24.12.2012.
  Unternehmerelite in letzter Minute gelungen, das Land zu         26 Vgl. Bank for International Settlements, BIS Quarterly
  verlassen. Vgl. »Families of Egypt’s business elite leave«,      Review, September 2011, S. 18,  (Zugriff am 4.6.2013). Bereits in der Vergangen-
  23 Diese Liste wurde in den folgenden Monaten sukzessive         heit war illegale Kapitalflucht ein Problem für die ägyptische
  erweitert; am 30. November 2011 umfasste sie die Namen von       Volkswirtschaft. Nach Schätzungen der Organisation Global
  262 Beschuldigten und ihren Familienangehörigen. Die Liste       Financial Integrity gelangten zwischen 2001 und 2010 jähr-
  ist (im arabischen Original) einsehbar unter  (Zugriff am 4.6.2013).                            27 Vgl. »›One Year On, Egyptian Corruption Cases Still in
  24 Die Einrichtungen von Geschäftspartnern wurden vom            Limbo‹: IGA Head«, in: Ahram Online, 24.9.2012, 
  Transitional Capital« [wie Fn. 20].                              (Zugriff am 3.7.2013).

                                                                                                                      SWP Berlin
                                                                                         Ägyptens Unternehmerelite nach Mubarak
                                                                                                                        Juli 2013

                                                                                                                                11
Die Unternehmerelite und das Ende des Mubarak-Regimes

          öffentlicher Gelder, Korruption oder Steuervergehen                    Umfeld vertreten. Die ökonomischen Folgen waren
          durch außergerichtliche Einigung zu entgehen. Kauf-                    indes begrenzt. Zwar blieben auch die Firmen der
          verträge, die unrechtmäßig zustande gekommen sind,                     Großunternehmer von den unmittelbaren wirtschaft-
          etwa infolge von Korruptionsdelikten, lassen sich dem-                 lichen Konsequenzen des politischen Umbruchs nicht
          nach durch finanzielle Kompensation nachträglich                       verschont, wie sie sich in Form von Streiks und Pro-
          legitimieren; veruntreute Gelder wiederum können                       duktionsunterbrechungen bemerkbar machten. 30
          zurückgezahlt werden. Der erste Großunternehmer,                       Doch im Gegensatz zu kleinen und mittleren Betrie-
          der davon Gebrauch machte, war Yassin Mansour von                      ben konnten die großen Privatfirmen ihre Verluste
          der Mansour Group. Er konnte die Einstellung mehre-                    im Inland nicht zuletzt durch das Auslandsgeschäft
          rer Verfahren erwirken, indem er umgerechnet über                      zumindest teilweise kompensieren. Außerdem hatten
          40 Millionen US-Dollar zahlte. 28                                      sie einen ausreichenden finanziellen Spielraum, um
             Da der juristischen Ahndung durch eine meist                        konjunkturelle Durststrecken zu überstehen. 31 Die
          schwierige Beweislage erkennbar Grenzen gesetzt                        Vormachtstellung der etablierten Unternehmerelite
          waren, forderten auch Experten immer wieder außer-                     in Ägyptens Wirtschaft blieb daher bestehen.
          gerichtliche Lösungsansätze. Allerdings genügte das
          von der Militärführung etablierte Verfahren keiner-
          lei rechtlichen Standards. Zum einen wurde mit der
          Durchführung nicht etwa eine unabhängige Kommis-
          sion beauftragt, sondern die General Authority for
          Investment (GAFI), deren Aufgabe es ist, Investitionen
          in Ägypten anzukurbeln. Vor allem gegenüber aus-
          ländischen Investoren hatte die Behörde kein Interes-
          se an einer Konfrontation, denn dadurch wäre wohl
          das Investitionsklima verschlechtert worden. Das in-
          transparente Verfahren, bei dem letztlich nur der
          GAFI-Chef die nötige Übereinkunft mit dem betreffen-
          den Unternehmer unterzeichnen musste, öffnete über-
          dies Manipulationen Tür und Tor. Zum anderen be-
          schränkt sich die Amnestie-Regelung nicht auf zurück-
          liegende Verstöße, vielmehr kann sie auch bei künfti-
          gen Verfehlungen angewandt werden. Unternehmer
          dürften aber wenig Interesse haben, sich bei Investi-
          tionen gesetzeskonform zu verhalten, wenn sie sich
          darauf verlassen können, dass sich Verstöße notfalls
          im Nachhinein durch außergerichtliche Einigungen                         30 Bereits vor 2011 hatte es immer wieder Streiks und spon-
          aus der Welt schaffen lassen. 29                                         tane Arbeitsniederlegungen in der ägyptischen Wirtschaft
                                                                                   gegeben. Im Zuge des politischen Umbruchs jedoch nahmen
             Der Sturz Mubaraks hatte somit zunächst vor allem
                                                                                   solche Aktionen sprunghaft zu. Zwischen Mai 2011 und April
          Auswirkungen auf den direkten politischen Einfluss                       2012 kam es schätzungsweise zu über 1100 Arbeiterprotes-
          der etablierte Unternehmerelite. So war in den Regie-                    ten. Vgl. Nadine Abdalla, Egypt’s Workers – From Protest Move-
          rungen, die der Militärrat zwischen Februar 2011 und                     ment to Organized Labor. A Major Challenge of the Transition Period,
          August 2012 einsetzte, mit Mounir Fakhry Abdel Nour                      Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Oktober 2012
          nur noch ein einziges bekanntes Gesicht aus diesem                       (SWP Comments 32/2012), S. 2.
                                                                                   31 Beispielhaft dafür ist der Fahrzeughersteller Ghabbour
                                                                                   Auto, der mehrheitlich der Ghabbour-Familie gehört und den
               28 Vgl. »PHD’s Mansour Cleared in State-land Sale Cases«,           ägyptischen Markt für Personenwagen dominiert. Das Unter-
               in: Mubasher.info, 2.7.2012.                                        nehmen konnte seine Autoverkäufe trotz der politischen
               29 Vgl. Shereen Zaki, »How SCAF is seeking to resolve cor-          Turbulenzen sukzessive steigern und verzeichnete insbeson-
               ruption cases behind closed doors«, in: The Arabist, 28.2.2012;     dere wegen eines hervorragenden Auslandsgeschäfts (vor
               Egyptian Initiative for Personal Rights, Memorandum bezüglich       allem im Irak) im ersten Quartal 2013 das beste Ergebnis der
               des Erlasses des Militärrats zur Genehmigung der Aussöhnung bei     Firmengeschichte. Vgl. »Egypt’s GB Auto Enjoys Record Sales
               Verbrechen gegen öffentliches Eigentum (arab.), Februar 2012,       Revenues«, in: Ahram Online, 16.5.2013,  (Zugriff am 3.7.2013).

          SWP Berlin
          Ägyptens Unternehmerelite nach Mubarak
          Juli 2013

          12
Die wirtschaftspolitische Agenda und ihre Umsetzung

Der Umgang der Muslimbruderschaft mit der
etablierten Unternehmerelite

Der Zusammenbruch des alten Regimes eröffnete               auf- und auszubauen sowie ihr Ansatz, Korruption
der Muslimbruderschaft die Chance, in Ägypten die           und Misswirtschaft der Mubarak-Ära aufzuarbeiten.
Regierung zu übernehmen. Als größte und am besten
organisierte Oppositionskraft der Mubarak-Ära konnte
die Bruderschaft auf einen leichten Wahlsieg hoffen.        Die wirtschaftspolitische Agenda
Die Bewegung unterstützte daher den von der Militär-        und ihre Umsetzung
führung forcierten graduellen Transformations-
prozess, der zunächst die Durchführung von Wahlen           Im Frühjahr 2011 beauftragte die Führung der
und erst in einem zweiten Schritt die Ausformulie-          Bruderschaft Kheirat al-Shater damit, das politische
rung einer neuen Verfassung vorsah. Tatsächlich             Programm der Bewegung umfassend zu überprüfen
konnte die von der Bruderschaft gegründete Freiheits-       und zu überarbeiten. Al-Shater, der stellvertretende
und Gerechtigkeitspartei (Freedom and Justice Party –       spirituelle Führer der Bruderschaft, war erst im März
FJP) bei den zum Jahreswechsel 2011/2012 abgehalte-         des Jahres vom Hohen Militärrat vorzeitig aus dem
nen Parlamentswahlen einen deutlichen Sieg errin-           Gefängnis entlassen worden. Selbst Großunterneh-
gen. Sie vereinigte mehr als 40 Prozent der Stimmen         mer, verwaltete er seit der Jahrtausendwende die
auf sich. Allerdings waren Wahlsiege im Post-Mubarak-       Finanzen der Organisation und war so zum mächtigs-
Ägypten auch für die Muslimbruderschaft keineswegs          ten Strippenzieher innerhalb der Bruderschaft auf-
garantiert. Das verdeutlichten die ersten freien Präsi-     gestiegen. 32 Vor allem aber hatten über ihn Mitglie-
dentschaftswahlen, die im Mai und Juni 2012 statt-          der des wirtschaftsliberalen Unternehmerflügels maß-
fanden, sowie das Referendum über eine neue, von            geblich an Einfluss unter den Führungskadern der
der Muslimbruderschaft maßgeblich forcierte Verfas-         Gruppe gewonnen, darunter al-Shaters langjähriger
sung, das im Dezember 2012 abgehalten wurde. Bei            Geschäftspartner Hassan Malek sowie Mitglieder der
den Präsidentschaftswahlen konnte sich der Kandidat         einflussreichen Al-Haddad-Familie aus Alexandria. 33
der Bruderschaft, Mohammed Mursi, erst im zweiten              Unter al-Shaters Führung wurden im Rahmen des
Wahlgang und nur mit geringem Vorsprung gegen-              »Renaissance-Projekts« (Mashru’a al-Nahda) mehrere
über seinem Konkurrenten durchsetzen. Beim Refe-            Arbeitsgruppen gebildet, die zu verschiedenen Politik-
rendum stimmten zwar über 60 Prozent für die neue           feldern langfristige Strategien für die
Verfassung. Doch die Abstimmungsbeteiligung lag             Muslimbruderschaft entwickeln sollten. 34 Zudem
unter einem Drittel, und gerade in den urbanen Zent-        wurden Expertenteams in andere Länder entsandt, um
ren gelang es den Muslimbrüdern nicht, eine Mehr-
                                                              32 Kheirat al-Shater wurde von der Bruderschaft auch zum
heit zu organisieren.
                                                              Kandidaten für die Präsidentschaftswahl ernannt. Wegen
   Nicht zuletzt angesichts dieser Erfahrungen schien         einer Verurteilung in der Mubarak-Ära lehnte die Wahlkom-
sich die Führung der Bruderschaft darüber im Klaren           mission seine Nominierung jedoch ab. Daraufhin nahm der
zu sein, dass künftige Wahlsiege greifbare Erfolge            in der Bevölkerung wesentlich unbekanntere Mohammed
im sozialen und ökonomischen Bereich voraussetzen             Mursi seinen Platz ein.
würden. Der Entwicklung von Ägyptens Wirtschaft               33 Zu Hassan Malek siehe auch S. 16ff. Mitglieder der
                                                              Haddad-Familie finden sich in zentralen Positionen wieder:
nach dem Zusammenbruch des Mubarak-Regimes
                                                              Gehad al-Haddad wurde Mitglied des fünfköpfigen Leitungs-
wurde daher hohe Priorität eingeräumt. Die etablierte         komitees des Nahda-Projekts, sein Vater Essam al-Haddad
Unternehmerelite sah man in diesem Prozess keines-            wurde der wichtigste Berater des (späteren) Präsidenten
wegs als Gegner. Im Gegenteil: Die Bruderschaft arbei-        Mursi und gehört, ebenso wie sein Bruder Medhat al-Haddad,
tete darauf hin, diesen Teil der alten Eliten als Partner     dem Shura-Rat der Muslimbruderschaft an.
                                                              34 »Khairat al-Shater on ›The Nahda Project‹. Complete
im Transformationsprozess des Landes zu gewinnen.
                                                              Translation«, in: Current Trends in Islamist Ideology, 13 (2012),
Das verdeutlichten – wie im Folgenden gezeigt wird –           (Zugriff am
ihre Bemühungen, Netzwerke ins Unternehmerlager               3.6.2013).

                                                                                                                  SWP Berlin
                                                                                     Ägyptens Unternehmerelite nach Mubarak
                                                                                                                    Juli 2013

                                                                                                                             13
Der Umgang der Muslimbruderschaft mit der etablierten Unternehmerelite

          die Übertragbarkeit der dort praktizierten Entwick-                  wurde unterdessen nicht müde, öffentlich die Bedeu-
          lungsmodelle auf Ägypten zu prüfen. 35 Die Ergebnisse                tung der unter Mubarak begonnenen und im Inland
          des Nahda-Projekts gingen sowohl in die Programma-                   höchst umstrittenen Politik öffentlich-privater Part-
          tik der FJP als auch in Mursis Präsidentschafts-                     nerschaften (Public Private Partnerships) für die
          Wahlprogramm ein. 36 Auffällig war, dass beide                       Entwicklung der Infrastruktur zu betonen. 39 Und
          Dokumente in ihrer grundsätzlichen wirtschaftspoli-                  Hassan Malek lobte sogar ausdrücklich die Anstren-
          tischen Ausrichtung keine gravierenden Unterschiede                  gungen des ehemaligen Industrieministers Rachid
          gegenüber jener des alten Regimes aufwiesen. 37 Zwar                 Mohammed Rachid, insbesondere mit Blick auf die
          grenzten sich die Programme in Einzelpunkten                         Generierung ausländischer Direktinvestitionen. 40
          explizit von der Politik der Mubarak-Ära ab. So                         Die grundsätzliche konzeptionelle Nähe zur Wirt-
          wurden etwa Änderungen bei der Privatisierung                        schaftspolitik des alten Regimes und die damit ver-
          öffentlicher Unternehmen angekündigt, da die                         bundene Hinwendung zur Privatwirtschaft spiegelten
          bisherige Politik zu wenig auf die Generierung neuer                 sich in den Entscheidungen der Mursi-Administration
          Investitionen ausgerichtet gewesen sei. Doch eine                    wider. Per Dekret nahm der Präsident im November
          Abkehr von der unter Mubarak eingeschlagenen                         2012 Einfluss auf die Besetzung von Führungspositio-
          Privatsektor-Orientierung wurde nicht gefordert.                     nen bei der staatlich kontrollierten Gewerkschaft
          Vielmehr wurde dem privaten Sektor die zentrale                      Egyptian Trade Union Federation (ETUF), anstatt sich –
          Rolle im Entwicklungsprozess des Landes eingeräumt,                  wie aus der Zivilgesellschaft gefordert – für eine um-
          bei gleichzeitigem Weiterbestehen eines starken                      fassende Reform des Gewerkschaftssystems in Ägypten
          öffentlichen Sektors – eine Sprachregelung, die der                  einzusetzen. 41 Auch die Änderungen im Steuerrecht,
          unter Mubarak entspricht.                                            welche der von der Muslimbruderschaft dominierte
             Auch sahen die Programme – entgegen manchen                       Shura-Rat im Mai 2013 verabschiedete, blieben margi-
          Erwartungen – keineswegs vor, ein islamisches Wirt-                  nal und trugen keineswegs zu einer höheren sozialen
          schaftssystem zu errichten, etwa durch Einführung                    Ausgewogenheit der Wirtschaftspolitik bei. Zwar
          eines islamischen Bankensystems, mit dem sich das                    wurden die bestehenden Stufensätze im Einkommen-
          im Koran verankerte Zinsverbot durchsetzen ließe.                    steuersystem von der Mursi-Administration gering-
          Den Interessen ausländischer Investoren, aber auch                   fügig modifiziert. Dies bedeutete jedoch kaum, dass
          der westlich geprägten Unternehmerelite würde dies                   dem Prinzip der steuerlichen Leistungsfähigkeit nun
          zuwiderlaufen. Und selbst bei den Punkten Armuts-                    stärker Rechnung getragen wurde. Gleiches galt für
          bekämpfung und Stärkung unterprivilegierter Bevöl-                   die Unternehmensbesteuerung. Die Mursi-Adminis-
          kerungsgruppen wurden keine grundsätzlich neuen                      tration setzte zwar eine Steuererhöhung um fünf Pro-
          Akzente gesetzt. Zwar kündigte man eine massive Stei-                zentpunkte durch, für sämtliche Unternehmen gilt
          gerung staatlicher Aktivitäten an, gleichzeitig aber                 allerdings die gleiche Steuerrate (von 25 Prozent).
          wurde die herausragende Rolle von Stiftungen und
          Wohltätigkeitsorganisationen betont. Eine Umvertei-                    Nahda-Projekts siehe auch Peter Volkmar/Rachel Scheier,
          lung durch eine konsequente Reform des ägyptischen                     »In Depth Q-A. The ›Renaissance‹ Plan, Explained«, in: Business
                                                                                 Monthly, August 2012.
          Steuersystems – die insbesondere die Unternehmer-
                                                                                 39 Vgl. etwa die Rede Kheirat al-Shaters vor der amerikani-
          elite treffen würde – war nicht vorgesehen. 38 Al-Shater               schen Handelskammer in Ägypten (AMCHAM) am 7.5.2012,
                                                                                  (Zugriff am 4.6.2013) und sein Videointer-
               und Strategie der Muslimbrüder in der ägyptischen Revolu-         view mit Reuters am 8.4.2012,  (Zugriff am
               lution und Regimewandel in Ägypten, Baden-Baden 2013, S. 253.     4.6.2013).
               36 Vgl. »Dr. Morsi’s Electoral Program – General Features         40 »Egypt Brotherhood Businessman: Manufacturing Is Key«,
               of Nahda (Renaissance) Project«, in: FJPonline, 28.4.2012,        in: Reuters, 28.10.2011, 
               4.6.2013); FJP, Party Platform 2011,  (Zugriff am 4.6.2013).                       41 Durch Dekret Nr. 97/2012 wurde unter anderem das
               37 Vgl. Mohammed El Dahshan, »Where Will the Muslim               Höchstalter für Mitglieder der Gewerkschaftsführung auf
               Brotherhood Take Egypt’s Economy?«, in: YaleGlobal, 6.2.2012,     60 Jahre gesenkt. Vgl. Dina Bishara, »Egyptian Labor Be-
                (Zugriff am 3.6.2013).                             (Zugriff am 4.6.2013).

          SWP Berlin
          Ägyptens Unternehmerelite nach Mubarak
          Juli 2013

          14
Einstieg in die formelle Wirtschaft und Ausbau von Netzwerken zur etablierten Unternehmerelite

Auch bei der Besteuerung von Kapitalerträgen gab es                Frage gestellt. Durch die von der Muslimbruderschaft
keine umfassenden Änderungen. Noch 2011 hatte die                  forcierte neue Verfassung erhielt der von Militärs
FJP in ihrem Wahlprogramm angekündigt, eine Steuer                 dominierte »Nationale Verteidigungsrat« die alleinige
auf Aktiengewinne einführen zu wollen. Entsprechen-                Kontrolle über die ökonomischen Aktivitäten des Mili-
de Steuern, die bereits von der Regierung unter dem                tärs. 44 Die Militärunternehmen konnten zudem auch
SCAF angekündigt worden waren, implementierte die                  nach Mursis Machtübernahme von der engen Koope-
Mursi-Administration Ende 2012 in abgeschwächter                   ration mit den zivilen Ministerien und der damit ein-
Form. Nach Protesten aus dem Finanzsektor machte                   hergehenden Vergabe öffentlicher Aufträge profitie-
die Regierung allerdings einen Rückzieher – sie schaff-            ren. 45
te die Steuer nur zwei Wochen nach ihrer Einführung
wieder ab. 42
   Auch gegenüber den internationalen Geberinstitu-                Einstieg in die formelle Wirtschaft und
tionen, allen voran dem Internationalen Währungs-                  Ausbau von Netzwerken zur etablierten
fonds, änderte sich die ägyptische Politik unter Mursis            Unternehmerelite
Präsidentschaft nicht. Bereits 2011, unter der vom
Obersten Militärrat eingesetzten Regierung, begannen               Parallel zur Ausarbeitung der wirtschaftspolitischen
Verhandlungen mit dem IWF über einen Beistands-                    Agenda durch die Muslimbruderschaft begannen
kredit zur Bekämpfung von Ägyptens steigendem Zah-                 die Unternehmer der Bewegung damit, ihre eigenen
lungsbilanzdefizit. Die Muslimbruderschaft verknüpf-               Aktivitäten auszuweiten. Unter Mubarak hatte sich
te damals ihre Zustimmung mit der Forderung, vom                   Ägyptens Regime bemüht, die wirtschaftliche Basis
Militärrat an der Regierung beteiligt zu werden, was               der Bruderschaft möglichst klein zu halten. Vor allem
dieser allerdings ablehnte. Nach Mursis Wahlsieg                   bei der letzten großangelegten Verhaftungswelle Ende
wurden die Kreditverhandlungen wieder aufgenom-                    2006 waren wirtschaftlich aktive Führungspersonen
men. Allerdings befürchtete die Mursi-Administration               im Visier der Sicherheitskräfte. Zahlreiche kleinere
offenbar, eine Einigung mit dem IWF könnte sich                    Unternehmen und Unternehmensbeteiligungen wur-
negativ auf die Chancen der FJP bei den kommenden                  den damals beschlagnahmt. Um sich vor Zugriffen
Parlamentswahlen auswirken. Die Regierung versuch-                 des Staates zu schützen, waren die Unternehmer der
te daher zunächst, sich durch eine exzessive Kredit-               Bruderschaft allerdings kaum in der formellen Wirt-
aufnahme bei befreundeten islamischen Ländern,                     schaft tätig gewesen, zumindest nicht im großen Stil.
allen voran Katar, Zeit zu verschaffen. 43 Dass es bis             Aus diesem Grund gibt es auch nur wenig verlässliche
zum Sturz Mursis durch das Militär zu keiner Eini-                 Informationen über die Aktivitäten von Mitgliedern
gung auf einen Kreditvertrag mit dem IWF kam, resul-               der Bruderschaft in der ägyptischen Wirtschaft. An-
tierte somit keineswegs aus grundsätzlichen ideologi-              schuldigungen politischer Gegner, wonach Muslim-
schen Bedenken der Regierung, sondern war vor allem                brüder Milliarden US-Dollar schwere Unternehmens-
ihrem realpolitischen Taktieren geschuldet.
   Realpolitik prägte auch das Verhalten der Mursi-                  44 Vgl. Chams El-Dine, The Military and Egypt’s Transformation
                                                                     Process [wie Fn. 15], S. 6.
Administration gegenüber dem Wirtschaftsimperium
                                                                     45 Beispiele dafür sind die Entwicklung eines Tablet-Compu-
des Militärs. Obwohl sich die Regierungspolitik grund-               ters durch ein Unternehmen des Militärs in Kooperation mit
sätzlich am Privatsektor orientierte, wurde die Rolle                dem Informationsministerium sowie die Übertragung der
des Militärs in der ägyptischen Wirtschaft nicht in                  bekannten El Nasr Automotive Manufacturing Company,
                                                                     eines staatlichen Unternehmens, an das Ministerium für
                                                                     Militärproduktion. Das defizitäre Automobilunternehmen
  42 Dabei war die Steuer von der Mursi-Administration bereits       soll vom Militär restrukturiert werden und einen Personen-
  auf Gewinne aus Unternehmensübernahmen beschränkt wor-             wagen für den ägyptischen Markt produzieren. Vgl. »Minis-
  den, obwohl sie zunächst als allgemeine Steuer auf Kapital-        ter für Militärproduktion: Ägypten ist fähig, die Selbstversor-
  gewinne angedacht war. Vgl. Noha Mustafa, »Scrapped Capi-          gung von Waffen zu erreichen … und die Präsentation des
  tal Gains Tax Another Sign of Slapdash Economic Policies«,         ersten Tablets am 25 Juni« (arab.), in: Al-Ahram, 4.6.2013
  in: Egyptian Independent, 8.4.2013,  (Zugriff am 4.6.2013).                          Automobil in die Militärproduktion in diesen Tagen, um
  43 Für eine Übersicht zu der Kreditaufnahme vgl. Rebecca M.        das erste ägyptische Auto zu produzieren« (arab.), in Al-Ahram,
  Nelson/Jeremy M. Sharp, Egypt and the IMF: Overview and Issues     27.6.2013, 
  for Congress, Congressional Research Service, 29.4.2013, S. 8.     (Zugriff am 1.7.2013).

                                                                                                                        SWP Berlin
                                                                                           Ägyptens Unternehmerelite nach Mubarak
                                                                                                                          Juli 2013

                                                                                                                                 15
Der Umgang der Muslimbruderschaft mit der etablierten Unternehmerelite

          imperien kontrollierten, dürften jedenfalls stark über-                der Bruderschaft zum privaten Unternehmerlager zu-
          trieben sein.                                                          ständig war. Die Vereinigung wurde nach dem Vorbild
             Nachdem sie im Zuge des politischen Umbruchs                        des türkischen Unternehmerverbandes MÜSIAD ge-
          aus dem Gefängnis entlassen worden waren, bemüh-                       gründet, der eng mit der regierenden AKP verbunden
          ten sich die Unternehmer der Bruderschaft erfolgreich                  ist. 49 Für eine Mitgliedschaft wurde die Zugehörigkeit
          darum, konfiszierte Vermögenswerte zurückzuerlan-                      zur Bruderschaft keineswegs zur Voraussetzung ge-
          gen und den Ausbau ihrer Firmen voranzutreiben. 46                     macht. Bis Februar 2013 konnte der Verband 600 Mit-
          Beispielhaft dafür war die Gründung der Supermarkt-                    glieder gewinnen, darunter auch einige Christen. 50
          kette Zad Markets durch die Familie Kheirat al-Shaters.                Ziel von EBDA war somit nicht nur, den Unterneh-
          Der Discounter soll nach dem Vorbild des deutschen                     mern der Bruderschaft beim Einstieg in den formellen
          Aldi-Konzerns mit einem großen Filialnetz preiswerte                   Wirtschaftssektor zu helfen, sondern auch ein der
          Lebensmittel anbieten. 47 Für die etablierte Wirtschafts-              Organisation freundlich gesinntes Unternehmerlager
          elite waren solche Projekte allerdings kaum eine Be-                   aufzubauen. 51 Dabei war der Verband nicht als Kon-
          drohung. Zum einen beschränkten sich die unterneh-                     kurrenz zu anderen Unternehmervereinigungen kon-
          merischen Aktivitäten von Muslimbrüdern vor allem                      zipiert. Im Gegenteil: Unter den Führungsmitgliedern
          auf den Einzelhandelssektor. 48 Zum anderen waren                      von EBDA waren auch Vorstände anderer Verbände,
          die Mitglieder der traditionellen Elite in der ägypti-                 wie der Agrargroßhändler Samir al-Naggar, der den
          schen Wirtschaft zu dominant, als dass neugegründe-                    Verband für Agrarwirtschaft führt, oder Mohammed
          te Firmen eine direkte Konkurrenz darstellen konn-                     Mo’men, der dem Vorstand des Verbands der Lebens-
          ten. Auch angebliche Versuche von Muslimbrüdern,                       mittelindustrie angehört. 52 Dennoch hatte EBDA
          sich bestehende Großunternehmen anzueignen,                            offenbar einen exklusiveren Zugang zum politischen
          blieben – sofern es diese Versuche überhaupt gab –                     Machtzentrum um Präsident Mursi als andere Ver-
          erfolglos.                                                             bände, was sich insbesondere bei Auslandsreisen des
             Flankiert wurden die Bemühungen, in den formel-                     Staatschefs zeigte: In den Wirtschaftsdelegationen,
          len Wirtschaftssektor zu expandieren, mit dem Auf-                     die Mursi begleiten durften, waren vor allem Mitglie-
          bau eines der Bruderschaft nahestehenden Unter-                        der der neuen Vereinigung vertreten, was wiederum
          nehmerverbandes, der Egyptian Business Develop-                        Kritik im restlichen Unternehmerlager hervorrief. 53
          ment Association (EBDA). Vorsitzender von EBDA, die
          offiziell im März 2012 ihre Arbeit aufnahm, wurde                        49 Zur Entstehung und Ausrichtung von MÜSIAD vgl. Günter
          Hassan Malek, der maßgeblich für die Beziehungen                         Seufert, Außenpolitik und Selbstverständnis. Die gesellschaftliche
                                                                                   Fundierung von Strategiewechseln in der Türkei, Berlin: Stiftung
                                                                                   Wissenschaft und Politik, Juni 2012 (SWP-Studie 11/2012),
               46 »Muslim Brotherhood Seeks to Re-open Members’                    S. 12ff.
               Companies«, in: Egypt Independent, 6.3.2011,  (Zugriff am 5.6.2013).                           51 Allerdings werden von Seiten der Muslimbruderschaft
               47 Im Sommer 2012 wurden die ersten 15 Filialen eröffnet.           jegliche Beziehungen zu EBDA abgestritten. Vgl. »Mahmoud
               Bis Mitte 2018 will das Unternehmen 2500 Filialen im gan-           Hussein: Muslim Brotherhood Will Not Stage Street Protests
               zen Land betreiben; damit wäre es der mit Abstand größte            Against President, in: IkhwanWeb.com, 9.10.2012,  (Zugriff am 5.6.2013).
               Marktinsider in Interviews mit dem Autor starke Zweifel             52 Al-Naggar ist einer der bedeutendsten Unternehmer im
               daran, dass eine solche Expansion gelingen kann.                    ägyptischen Agrarbereich. Sein Unternehmen Daltex ist
               48 Dabei profitierten die Unternehmer der Bruderschaft              der mit Abstand größte Kartoffelexporteur in Ägypten. Vgl.
               offenkundig von guten Kontakten zu Investoren aus den Golf-         Johann Kirsten/Rashid Hassan/Khabbab Abdalla, Creating a
               staaten und der Türkei. Kheirat al-Shater und sein Geschäfts-       Competitive Strategy to Improve the Performance of an Agricultural
               partner Hassan Malek etwa hatten bereits seit Jahren die loka-      Chain. A Case Study of Potatoes in Egypt, Pretoria, S.A.: University
               le Vertriebslizenz für den türkischen Möbelhersteller Istikbal.     of Pretoria, S. 11,  (Zugriff am 5.6.2013). Mohammed
               der Bruderschaft Abdel Rahman Seoudi ging eine Vertriebs-           Mo’men ist Eigentümer der Mo’men Gruppe, die Fast-Food-
               partnerschaft mit der türkischen Möbelkette Dogtas ein.             Restaurants in Ägypten und anderen Ländern der Region be-
               Vgl. »First Doğtaş Store Opens in Egypt«, in: Daily News Egypt,     treibt und Tiefkühlkost herstellt. Vgl. Mo’men Group, Brands
               21.12.2012, S. 8; »Al-Shater Inaugurates Zad Retail Chain«,         and Services, 
               in: Daily News Egypt, 16.7.2012,  (Zugriff        53 Vgl. »Morsi’s Trip to India Creates Conflict With Some
               am 4.6.2013).                                                       in Business Community«, in: Daily News Egypt, 13.3.2012,

          SWP Berlin
          Ägyptens Unternehmerelite nach Mubarak
          Juli 2013

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