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Informationsdienst für Patientinnen, Patienten und Selbsthilfe der AOK – Die Gesundheitskasse in Hessen www.aok.de/hessen Titelinhalte s p e Alles anders! Forum z ia l Wie sich die Corona- der Selbsthilfe auswirkt Pandemie auf die Arbeit 1 | 2020
2 | In Kürze Zahl der Ausgabe Selbsthilfe-Realität im Jahr 2020: Videokonferenzen waren für viele Selbsthilfegruppen über Monate hinweg die einzige Möglichkeit, den Austausch in der Gruppe überhaupt aufrechtzuerhalten. Inhalt In Kürze..........................................................2 Rückblick.......................................................4 Corona – ein Virus schreibt Geschichte. . . . . . . . . 4 Digitaler Wandel .......................................8 Neue Kommunikationsformen gesucht . . . . . . . . 8 Aus der Praxis............................................10 „Die Uhr lässt sich nicht mehr zurückdrehen“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Wir bleiben zu Hause! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Nachgefragt............................................... 14 „Viele fühlten sich alleingelassen“ . . . . . . . . . . . . 14 Hilfe aus dem Netz................................. 16 Zusammen durch die Krise. . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Selbsthilfe per Mausklick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Corona – leicht verständlich. . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Digital gut vorbereitet. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Selbsthilfe geht online. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Fakten-Check............................................ 22 Fake News erkennen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Hilfe in der Not........................................ 24 Den Lockdown mit Ach und Krach überstanden . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Ausblick...................................................... 26 Was kann die Selbsthilfe aus der Coronakrise lernen?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 Web-Snacks...............................................27 Linktipps . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Impressum. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Illustration: iStock AOK Forum spezial | Jahrgang 2020 | Ausgabe 1
Editorial In Kürze | 3 Editorial Foto: AOK Hessen Liebe Leserinnen und Leser, die vergangenen Monate bleiben uns allen sicherlich als eine einschneidende und besorgnis- erregende Zeit in Erinnerung. Von einem Tag auf den anderen wurde das öffentliche Leben weitge- hend heruntergefahren: Veranstaltungen und auch die gewohnten Gruppentreffen der Selbsthilfe konnten nicht mehr stattfinden. Weil uns Ihre Gesundheit und die aller Beteiligten am Herzen liegt, haben auch wir unsere bereits geplante jährliche Veranstaltungsreihe „Selbsthilfe im Dialog“ auf das Jahr 2021 verschoben. Um Ihnen trotzdem die Möglichkeit der Weiterbildung geben zu können, bieten wir ab dem Herbst 2020 Online-Se- minare speziell für die Selbsthilfe an. Unser diesjähriges „Forum spezial“ widmen wir dem Thema „Selbsthilfe und Corona“. In dieser Ausgabe geben wir Ihnen eine Übersicht des aktuellen wissenschaftlichen Standes zur Pandemie, beleuchten aber auch Fake News und Verschwörungstheorien. Weil Menschen mit unterschiedlichen geistigen Fähigkeiten, Nicht-Muttersprachler oder auch Gehörlose entsprechend aufbereitete Informationen benötigen, geht es in einem eigenen Beitrag um das Thema „Corona in Leichter Sprache“. Natürlich kommen auch Selbsthilfegruppen in dieser Ausgabe zu Wort und berichten, wie es ihnen in den zurückliegenden Monaten ergangen ist. Für sie war und ist soziale Distanz nicht einfach, denn die Selbsthilfe lebt vom persönlichen Kontakt, von Zuspruch und Nähe. Nichtsdestotrotz haben viele Gruppen neue Möglichkeiten gefunden, um den Kontakt aufrechtzuerhalten. Wir danken Ihnen für Ihr Mitwirken in der Selbsthilfe und wünschen Ihnen weiterhin alles Gute – für Sie persönlich und für die wichtige Arbeit in Ihren Gruppen. Passen Sie auf sich und Ihre Mitmenschen auf – und bleiben Sie gesund! André Schönewolf Vorsitzender des Verwaltungsrates der AOK – Die Gesundheitskasse in Hessen AOK Forum spezial | Jahrgang 2020 | Ausgabe 1
4 | Rückblick Corona – ein Virus schreibt Geschichte Dezember 2019 Chronik I Das Virus, das 2019 in der chinesischen Stadt Wuhan ausbrach, hat in nur wenigen Erste Berichte kursieren über Monaten mehr als 25 Millionen Menschen infiziert und über 850.000 Menschen getötet. Der Blick eine mysteriöse Lungenkrankheit auf die vergangenen acht Monate zeigt, wie verletzlich unsere vernetzte Welt geworden ist. im chinesischen Wuhan. Die Ärzte vor Ort denken „Es ist ernst!“ Bundeskanzlerin Angela Merkel unteren Atemwegen und wird ausgestoßen, wenn zunächst an Sars, eine Virus- spart am 18. März 2020 nicht mit Warnungen, als Infizierte sprechen, atmen, singen, husten oder Erkrankung, die ebenfalls die sie in einer ungewöhnlichen TV-Ansprache die niesen. Wie genau und in welchem Maße erkrank- Atemwege befällt. Bundesbürger auf eine schwere Krise einstimmt. te und infizierte Menschen das Virus weitergeben, „Es geht um Menschenleben“, sagt die sonst so ist bis heute nicht restlos geklärt. Viele Forscher nüchterne Physikerin. Einige Wochen zuvor kann- glauben inzwischen, dass sich das Virus durch te in Deutschland kaum jemand die chinesische Aerosole, feine Schwebeteilchen in der Luft, ver- 23. Januar Stadt Wuhan. Das Wort „Coronavirus“ war allen- teilt. Solche Kleinstpartikel können lange in einem Die gesamte Stadt Wuhan falls Virologen und Medizinern ein Begriff. Doch Raum verweilen und von anderen eingeatmet mit elf Millionen Menschen im März ändert sich das schlagartig. Die Welt- werden. Krankheiten wie Masern oder Tuberkulo- wird abgeriegelt. gesundheitsorganisation (WHO) gibt dem neu- se verbreiten sich ebenfalls auf diesem Weg. Auch Vier Tage später gibt es artigen Coronavirus später den sperrigen Namen die große Bandbreite der Symptome stellt Ärzte auch in Deutschland Sars-CoV-2. Die Krankheit, die das Virus auslöst, und Forscher vor Rätsel. Manche Infizierte haben den ersten offiziellen wird Covid-19 genannt. Es ist ein Kurzwort aus keinerlei Beschwerden, andere nur milde Sym Corona-Fall in München. den Begriffen Corona, Virus und Disease (Krank- ptome wie Fieber und Husten. Wieder andere heit) und dem Jahr, in dem der Erreger erstmals Patienten erkranken lebensbedrohlich und müs- auftrat. sen künstlich beatmet werden. Um die Pandemie erfolgreich bekämpfen zu kön- Das öffentliche Leben steht still nen, ist es wichtig zu verstehen, wie sich das neue Während Forscher versuchen, den neuartigen Virus verbreitet. Doch dies zu klären, ist schwer. Krankheitserreger zu verstehen, breitet sich die Das Coronavirus vermehrt sich in den oberen und Infektion immer weiter aus. In Deutschland wer- AOK Forum spezial | Jahrgang 2020 | Ausgabe 1
Rückblick | 5 schen in der Öffentlichkeit werden untersagt. Ausgenommen sind Angehörige, die im selben Haushalt leben. „Abstand halten“ heißt jetzt die Devise. Hotspot USA 5. Februar Rund um den Globus steigen die Fälle rasant. Das Japan stellt ein Kreuzfahrt-Schiff Virus hat nun auch Russland, Lateinamerika, Af- wegen Corona unter Quarantä- rika und den Mittleren Osten erreicht. Viele Flug- ne. Die japanischen Behörden gesellschaften, darunter die Lufthansa, verlangen studieren den Ausbruch und das Tragen einer Maske. Doch die meisten Flug- kommen zum Schluss, dass das häfen bleiben menschenleer. Die USA entwickeln Virus sich in engen, schlecht sich unterdessen zu einem neuen Hotspot für gelüfteten Räumen mit vielen Corona. Am 26. März meldet das Land über Menschen besonders leicht 81.000 Coronafälle und 1.000 Tote – mehr Infek- verbreitet. Illustration: iStock tionen als jedes andere Land der Erde. Die US-Re- gierung unter Donald Trump, der das Virus erst leugnet und dann kleinredet, bekommt die Pan- demie nicht in den Griff. Weil die Wirtschaft blutet Mitte März Ein Virus erobert die Welt – und im November Wahlen anstehen, kehren vie- Italien, Iran und Spanien binnen weniger Monate hat sich le US-Bundesstaaten zur Normalität zurück, be- entwickeln sich zu neuen Corona über den gesamten vor die Infektionszahlen sinken. Proteste gegen Hotspots, während China am Erdball verbreitet. Lockdown-Maßnahmen und Maskenpflicht be- 19. März erstmals keine Neu fördern das Chaos. Mitte August verzeichnet das infektionen meldet. Doch für Land über fünf Millionen Infektionen und fast eine Entwarnung ist es zu früh. den ab Mitte März Versammlungen und Veran- 170.000 Tote. Etliche Länder führen nun staltungen verboten. Kitas und Schulen schließen. Corona-Schutzmaßnahmen ein, Es gibt keine Gottesdienste und keine Bundesliga In Europa ist Italien besonders schlimm betroffen. darunter Lockdowns, Reisesper- mehr. Binnen einer Woche steht das öffentliche Das liebste Urlaubsland der Deutschen geht im ren, Quarantäne für Infizierte, Leben still. Grenzen werden geschlossen, es gilt März in einen strengen Lockdown. In der nord- Schulschließungen, Versamm- eine weltweite Reisewarnung. Am 17. März stuft italienischen Lombardei wütet das Virus so lungsverbote und Smart- das Robert Koch-Institut (RKI) das Gesundheits- schlimm, dass in der Stadt Bergamo ein Militär- phone-Apps zur Kontaktwar- risiko durch das Coronavirus als hoch ein. Ge- konvoi Särge mit verstorbenen Corona-Opfern nung und -verfolgung. schäfte, Cafés und Restaurants, Kultur- und Sport- abholt, weil in Krankenhäusern und auf Friedhöfen einrichtungen schließen. Nur noch Läden der kein Platz mehr ist. Es sind Bilder wie im Krieg. Ein Grundversorgung bleiben geöffnet. Am 22. März unterfinanziertes, marodes Gesundheitssystem, einigen sich Bund und Länder auf ein Kontakt- gepaart mit einem Zuständigkeits-Hickhack zwi- verbot. Versammlungen von mehr als zwei Men- schen den Regional- und Zentralregierungen, be- Pandemie Am 12. März erklärt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) den Covid-19-Aus- bruch zur Pandemie. Anders als bei einer Epidemie mit zeitlicher und räumlicher Begrenzung ist eine Pandemie ein weltweiter Krankheitsausbruch. Über die neue Corona-Pandemie wissen die Forscher immer noch wenig. Die letzte Pandemie verkündete die WHO 2009, als die Schweinegrippe, eine neue Variante des Influenza-Virus H1N1, auftrat. Ein früherer Subtyp dieses Erregers hatte 1918 die Spanische Grippe ausgelöst, an der zwischen 50 und 100 Millionen Menschen starben. Gegenwärtig sterben an der saisonalen Grippe jährlich 0,1 Prozent der Menschen, die sich infiziert haben – also einer von tausend. Erste Studien aus China gehen beim Coronavirus von einer Todesrate von zwei Prozent aus. Die WHO spricht sogar von 3,4 Prozent, andere Studien IIlustration: iStock kommen auf über ein Prozent. Selbst dann wäre die neue Viruserkrankung immer noch zehnmal so tödlich wie die saisonale Grippe. AOK Forum spezial | Jahrgang 2020 | Ausgabe 1
6 | Rückblick 24. März Indien ordnet den größten Lockdown der Welt für seine gut Foto: iStock 1,3 Milliarden Einwohner an. Am gleichen Tag wird die Som- mer-Olympiade in Tokio Abstandsregelungen und Schutzmasken sollen die Ausbreitung des Virus verhindern. verschoben. Die USA entwickeln sich zum neuen Hotspot für Corona. feuert die Krise in Italien. Mitte August verzeichnet Marathon und kein Sprint“, verteidigt Schwedens Italien über 250.000 Fälle und mehr als 35.000 Regierung ihre ungewöhnliche Strategie. Im Au- Tote. Auch das Nachbarland Frankreich geht im gust kommt Regierungsberater Anders Tegnell in März in einen Lockdown. Besonders die hohen die Kritik, als E-Mails des Wissenschaftlers auf- 6. April Infektionszahlen in Alters- und Pflegeheimen sind tauchen, in denen er fragt, ob man nicht eine Der britische Premierminister besorgniserregend. Die Krise legt die Schwächen hohe Todesrate bei älteren Menschen einfach in Boris Johnson wird wegen einer des staatlichen Gesundheitssystems bloß. Es fehlt Kauf nehmen sollte, um so schneller eine Her- Corona-Infektion auf die an Intensivbetten, Masken, Schutzkleidung und den-Immunität der Bevölkerung zu erreichen. Intensivstation verlegt und Personal. Im Juni demonstrieren in Paris Tausende schwebt mehrere Tage in Ärzte und Pfleger gegen die Regierung. Berichte, Lockerungen und Ernüchterungen Lebensgefahr. wonach Beatmungsplätze in den Krankenhäusern In Deutschland werden ab Anfang Mai manche für jüngere Menschen freigehalten werden, sorgen Beschränkungen wieder gelockert. Die befürchte- für Aufruhr. Mitte August registriert Frankreich te Überlastung des Gesundheitssystems ist aus- über 220.000 Fälle und mehr als 30.000 Tote. geblieben. Die Bahn kehrt zum Regelfahrplan 13. Mai Deutschland hingegen hat die Krise bislang ver- zurück, auch Schulen öffnen langsam wieder. Die WHO warnt vor zu hohen gleichsweise gut überstanden. Mitte August ver- Doch viele Einschränkungen bleiben. Masken im Erwartungen an einen Impfstoff. zeichnet Deutschland 228.000 Fälle, hat aber Nahverkehr und in Geschäften sind in vielen Bun- Es sei unwahrscheinlich, dass ein „nur“ rund 9.200 Tote zu beklagen. desländern Vorschrift. Am 17. Mai stürzen solcher die Pandemie schnell Deutschland und Japan, zwei der größten Volks- und vollständig beenden werde. Schweden geht einen Sonderweg wirtschaften der Welt, in eine tiefe Rezession. Während Lockdown und Beschränkungen überall Deutschlands Bruttosozialprodukt bricht im zwei- in Europa zur neuen Normalität werden, macht ten Quartal um über zehn Prozent ein. Der Ab- Schweden alles anders. Schulen bleiben offen, sturz ist heftiger als in der Wirtschafts- und Fi- Cafés und Restaurants schließen nicht. Die Regie- nanzkrise 2008. Es ist eine Krise ohnegleichen. rung empfiehlt allerdings Abstandsregeln, Arbeit von zu Hause und verbietet Großveranstaltungen. Erste Medikamente machen Hoffnung Der Ansatz sorgt für Kritik innerhalb und außer- Während die Infektionszahlen weltweit steigen halb Schwedens. Mitte August verzeichnet das und der wirtschaftliche Schaden immer deutlicher Land mit rund 10 Millionen Einwohnern über hervortritt, bemühen sich Forscher und Ärzte, das 85.000 Infektionen und fast 6.000 Tote – eine Leben von Corona-Kranken zu retten. Doch es der höchsten Todesraten, gemessen an der Be- gibt keine Wundermittel. Kein bisher entwickeltes völkerungsgröße in Europa. „Die Pandemie ist ein Medikament kann eine Coronavirus-Erkrankung AOK Forum spezial | Jahrgang 2020 | Ausgabe 1
Rückblick | 7 heilen. Verschiedene Therapien werden getestet, getestet, nur sieben davon sind in der entschei- 3. Juni darunter das Antivirus-Mittel Remdesivir (Han- denden Phase 3. Hier scheitern aber die meisten Die Bundesregierung beschließt delsname Veklury), das ursprünglich gegen Ebola Impfstoffe. Russland sorgt am 11. August für Auf- ein Konjunkturpaket mit einem entwickelt wurde. Das Medikament kann helfen, sehen und Kritik, als es seinen Corona-Impfstoff Volumen von rund 130 Milliarden den Krankheitsverlauf abzukürzen, senkt aller- Sputnik V zulässt, ohne ihn in Phase 3 getestet Euro, um die Wirtschaft nach dings nicht die Zahl der Todesfälle. Andere Mittel zu haben. „Es geht ja nicht darum, irgendwie Ers- dem Lockdown anzukurbeln. konzentrieren sich darauf, die Entzündungsreak- ter zu sein, sondern es geht darum, einen wirk- tion im Körper zu begrenzen, um etwa schweren samen, einen erprobten und damit eben auch Lungenschäden vorzubeugen. Darunter ist auch sicheren Impfstoff zu haben“, kritisiert Bundes- 5. Juni der Entzündungshemmer Dexamethason, ein gesundheitsminister Jens Spahn. Die EU-Innenminister einigen Medikament, das unter anderem gegen Rheuma sich darauf, in Europa bis zum eingesetzt wird. Es sei kein Durchbruch, sagt RKI- Bislang haben die USA über 90 Milliarden Euro 1. Juli wieder volle Reisefrei Chef Lothar Wieler Anfang August vorsichtig, aber und Europa knapp drei Milliarden Euro in die Ent- zügigkeit herzustellen. die beiden Medikamente könnten „eine Verbes- wicklung einer Impfung gesteckt. Wissenschaftler serung des Ausgangs bewirken“. hoffen, dass eine Impfung Anfang 2021 zugelassen wird. Die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA 27. Juli Auf der Suche nach einem Impfstoff erklärt, dass ein Impfstoff mindestens 50 Prozent Die WHO bezeichnet die Die Arbeit an einem Impfstoff läuft derweil auf der geimpften Personen schützen muss, um zu- Coronavirus-Pandemie als den Hochtouren. In normalen Zeiten dauert die Ent- gelassen zu werden. „Wir alle wollen morgen schon schwersten globalen Gesund- wicklung einer Impfung 15 bis 20 Jahre. Die eine Impfung. Das ist unrealistisch. Und wir alle heitsnotstand in ihrer Geschichte. schnellste Entwicklungszeit bislang bei vier Jahren. wollen eine Impfung, die zu 100 Prozent wirksam Doch seit Anfang des Jahres sind Hunderte For- ist. Auch das ist unrealistisch“, sagt der Leiter der scherteams auf der Welt dabei, diesen Prozess auf Behörde, Stephen Hahn, Ende Juli. 27. August nur ein paar Monate zu verkürzen, um so schnell Bund und Länder einigen sich wie möglich eine Impfung auf den Markt zu brin- Angst vor der zweiten Welle auf ein Mindestbußgeld von gen. Dabei verfolgen die Forscher mehrere Strate- Während das Warten auf Impfstoffe und Therapien 50 Euro für Verstöße gegen die gien, darunter die klassische Technologie, in der weitergeht, benötigen weitere Herausforderungen Maskenpflicht – nur Sachsen-An- ein inaktives Virus, also ein abgetöteter Krankheits- eine Lösung. Viele Länder haben nach einem har- halt will bei dieser Regelung erreger, verwendet wird, um eine Immunreaktion ten Lockdown im März und April die Coro- nicht mitmachen. Großveranstal- hervorzurufen. Impfungen gegen Kinderlähmung na-Schutzmaßnahmen gelockert, um die Wirt- tungen, bei denen keine oder Keuchhusten basieren auf diesem Prinzip. schaft wieder anzukurbeln. Doch die Rückkehr in Kontaktverfolgung möglich ist, Andere Wissenschaftler setzen auf die Entwick- die Normalität ist voller Tücken: Im Juli und August sollen bis Ende des Jahres lung eines genbasierten Impfstoffs, der genetische steigen in Europa die Fallzahlen wieder rapide an. untersagt bleiben. Informationen des Coronavirus mithilfe eines Bo- Urlauber, die aus beliebten Reiseländern wie Spa- tenstoffs, der sogenannten messenger RNA, in nien oder Kroatien zurückkehren, sorgen für stei- Zellen einschleust, um einen Immunschutz auf gende Infektionsraten und schüren damit die zubauen. Bislang gibt es jedoch keine einzige Angst vor der zweiten Welle. Während im Früh- Impfung, die auf dieser Technik beruht. Wieder sommer das Virus in ganz Deutschland zurück- andere Wissenschaftler arbeiten an einem Vektor- gedrängt worden war und vereinzelte lokale Aus- viren-Impfstoff, in dem für Menschen harmlose brüche wie beim Schlachthof Tönnies schnell unter Viren so verändert werden, dass sie dem Körper Kontrolle gebracht werden konnten, steigen nun eine Coronavirus-Infektion vortäuschen, damit er die Infektionszahlen flächendeckend. Die Politik Antikörper bildet. Der erste, Ende 2019 zugelasse- bietet allen Urlaubsrückkehrern kostenlose Tests ne Ebola-Impfstoff funktioniert so. an und verhängt eine Testpflicht für Rückkehrer aus Risikogebieten. In der Folge stabilisieren sich Die schwierige Phase 3 die Infektionszahlen auf einem höheren, aber hän- Impfzulassungen unterliegen weit strengeren Auf- delbaren Niveau – doch die Angst vor der zweiten lagen als Medikamentenzulassungen. Weil hier Welle im Herbst bleibt. Ende August sagen erste gesunde Menschen einen Wirkstoff erhalten, Städte wie Köln Weihnachtsmärkte und Karnevals- muss sichergestellt werden, dass die Impfung si- veranstaltungen ab. Oberstes Ziel der Behörden ist cher, gut verträglich und wirkungsvoll ist. Um das es nun, durch wieder verschärfte Kontaktbeschrän- zu erreichen, sind umfangreiche Tests nötig. Kli- kungen einen zweiten Lockdown zu verhindern. nische Tests von Impfstoffen verlaufen in drei Erst wenn es neue, wirksame Medikamente oder Foto: iStock Phasen: In der letzten Etappe, der Phase 3, wird einen Impfstoff gibt, wird es eine Normalität geben die Impfung gewöhnlich an etwa 30.000 Freiwil- können, wie es sie vor der Pandemie gab. Aber ligen getestet. Im August sind über 160 Impfstof- selbst das ist fraglich – denn das Leben nach Co- Die Wissenschaft arbeitet mit fe in Entwicklung, 29 werden an Menschen rona wird sich verändert haben. Hochdruck an einem Impfstoff. AOK Forum spezial | Jahrgang 2020 | Ausgabe 1
8 | Digitaler Wandel Starker Interessenvertreter Die Bundesarbeitsgemeinschaft Foto: iStock Selbsthilfe von Menschen mit Behinderung, chronischer Erkran- kung und ihren Angehörigen e. V. Bleibt die Selbsthilfe nur mithilfe digitaler Kommunikation zukunftsfähig? (BAG SELBSTHILFE) ist die Vereinigung der Selbsthilfeverbände behinderter und chronisch kranker Neue Kommunikations Menschen und ihrer Angehörigen in Deutschland. Die BAG SELBSTHILFE vertritt die Interessen von Menschen mit chronischen Krankheiten und formen gesucht Behinderungen sowie deren Angehörigen in Politik und Gesellschaft. Sie setzt sich für die Digitalisierung I Die Corona-Pandemie bedeutet für die Selbsthilfe behinderter und chro- nisch kranker Menschen eine bislang nie dagewesene Herausforderung. Um die Arbeit der Selbst Förderung der Selbsthilfebewegung hilfegruppen vor Ort und auch die der Interessenvertretungen zu sichern, mussten in kurzer Zeit neue in Deutschland ein. Kompetenzen in der digitalen Kommunikation erworben werden. Die BAG Selbsthilfe vertritt nicht nur Der Informations- und Unterstützungsbedarf in Selbsthilfearbeit ohne internetbasierte Kommuni- die Interessen der Patientinnen und der Selbsthilfe sowie das Bedürfnis nach Aus- kation nicht zukunftsfähig ist. Denn nur über funk- Patienten im Gesundheitswesen, tausch und emotionaler Zuwendung sind enorm. tionierende Kommunikationswege können die sondern koordiniert für alle Deshalb orientieren sich die Arbeitsformen der notwendigen Informationen, die den betroffenen maßgeblichen Patientenorganisatio- Selbsthilfegruppen traditionell am direkten Aus- Menschen in der Krise zur Verfügung gestellt wer- nen die Patientenbeteiligung in tausch unter Betroffenen – was unter den gesetz- den müssen, auch die Betroffenen erreichen. gesundheitspolitischen Gremien. lichen Bedingungen der vergangenen Wochen Daher bestand während des Lockdowns großer nicht möglich war. Ähnliches gilt für die Arbeit der Beratungsbedarf, wie sich Web-Fortbildungen so- Selbsthilfeverbände, deren Gremienarbeit und wie Telefon- und Videokonferenzen organisieren Versammlungen sowie Beratungsangebote eben- lassen. Auch Online-Mitgliederbefragungen oder falls im Face-to-Face-Modus stattfinden. die digitale Barrierefreiheit waren wichtige The- men. Schon auf der Ebene der Kommunikations- Tücken der Technik technologien brauchten die Verantwortlichen in der Auch wenn in den vergangenen Jahren in der Selbsthilfe in größerem Umfang Beratung und Selbsthilfe erste digitale Arbeitsformen und Ange- Unterstützung. Denn viele digitale Anwendungen bote erfolgreich integriert wurden, gehören viele weisen massive Defizite bei der Datensicherheit Verantwortliche in der Selbsthilfe noch einer Ge- und bei der Barrierefreiheit auf. neration an, die nicht mit internetbasierten Techno- logien aufgewachsen ist. Zudem ist es schon ein Zudem ist es nötig, das Know-how vieler Aktiver Unterschied, ob man gewohnt ist, mit E-Mails oder in der praktischen Anwendung digitaler Kommu- Social Media umzugehen, oder ob man nun Video- nikationsmittel zu stärken. Die Umstellung von konferenzen moderieren oder Online-Mitglieder- Schulungen vor anwesendem Publikum auf versammlungen durchführen soll. Web-Fortbildungen erfordert wesentlich mehr Know-how als nur die Kenntnis einer bestimmten Spätestens seit März 2020 muss allen Verantwort- Software. Moderationstechniken und Präsentatio- lichen in der Selbsthilfe klargeworden sein, dass die nen sind auf die neuen Bedingungen umzustel- AOK Forum spezial | Jahrgang 2020 | Ausgabe 1
Digitaler Wandel | 9 len. Oft findet sich aber trotz digitaler Möglich- zehn Personen in einer Telefonkonferenz kontro- keiten keine vernünftige Alternative, um das vers diskutieren, wenn bei Hybridveranstaltungen Bedürfnis nach Nähe oder das Gruppengefühl zu die Telefon- und Videoteilnehmer das Nachsehen ersetzen. Auch dies gilt es zu erkennen, um auf gegenüber anwesenden Personen haben oder die neuen Situationen adäquat zu reagieren. wenn Ton- und Bildübertragungsprobleme hinzu- treten. Gerade die Patientenvertretung, die nicht Zu den aktuellen technischen Problem hinzu über Entscheidungsrechte verfügt und auf die Mit- kommt noch die finanzielle Unsicherheit. Viele beratung angewiesen ist, hat durch diese Ein- schon bewilligte Projekte konnten oder können schränkungen der strukturierten Diskussion mas- nicht umgesetzt werden. So stellten sich Fragen sive Nachteile. zu Stornokosten, zu möglichen Rückforderungen von Fördermitteln, zu möglichen Umwidmungen Beteiligung scheitert am Equipment von Mitteln und deren Begründung und letztlich Hinzu kommt, dass die Patientenvertreterinnen auch, wie bei ansonsten wegbrechenden Finanz- und -vertreter, wenn sie von zu Hause aus an ei- mitteln die Arbeit fortgesetzt werden kann. Vor ner Sitzung teilnehmen, auf das heimische Equip- diesem Hintergrund wird deutlich, dass es für die ment und die dortige Versorgung mit Internet- Selbsthilfe in dieser schwierigen Zeit besonders und Telefonanschlüssen angewiesen sind. Hier wichtig ist, in den gesetzlichen Krankenkassen bestehen häufig gravierende Probleme, so dass verlässliche und flexible Partner zu finden. sie nicht adäquat mitwirken können. Teilweise haben betroffene Personen ihre Mitwirkung schon Interessenvertretung unter Druck ganz aufgegeben. Diese Probleme verschärfen Die Corona-Pandemie verursacht zudem spezielle sich, wenn Patientenvertreterinnen und -vertreter Abgesagte Herausforderungen für die Selbsthilfe im Bereich nicht über das notwendige Know-how verfügen, Veranstaltungen der Interessenvertretung von Menschen mit einer um sich in digitale Diskussions- und Abstim- chronischen Krankheit, einer Behinderung oder mungsprozesse adäquat einzubringen. Auch in Pflegebedarf. Zum einen hat sich die Arbeitsweise schriftlichen Beschluss- und Stellungnahmever- Viele Veranstaltungen, die von den vieler Gremien massiv verändert. An die Stelle von fahren kann es an Möglichkeiten fehlen, Voten Selbsthilfegruppen geplant waren, regulären Präsenzsitzungen sind vielfach schriftli- genauso überzeugend einzubringen, wie dies in konnten nicht stattfinden. Die Mittel, che Beschlussfassungen, Videokonferenzen, Tele- einer mündlichen Diskussion der Fall wäre. die in der Pauschalförderung hierfür fonkonferenzen oder Hybridveranstaltungen ge- beantragt wurden, müssen in Hessen nicht zurückgezahlt werden, sondern treten, bei denen Menschen vor Ort gemeinsam Es wird deshalb eine zentrale Aufgabe der näheren können als Rücklage in das nächste mit Videoteilnehmern konferieren. Bei dieser neu- Zukunft sein, die Beteiligungsmöglichkeiten der Jahr mitgenommen werden. Sollten artigen Form der Gremienarbeit kommen die un- Selbsthilfeorganisationen auch unter den erschwer- Stornogebühren angefallen sein, terschiedlichsten Technologien zum Einsatz, ohne ten Bedingungen aufrechtzuerhalten. Dazu gehört wenden Sie sich bitte an die dass ausreichend Zeit für laienverständliche oder es auch, die entsprechenden Willensbildungsprozes- zuständige Krankenkasse. gar barrierefreie Einweisungen der Patientenver- se und Qualifikationsmaßnahmen zu organisieren. treterinnen und Patientenvertreter besteht. Oft sind die Moderatorinnen und Moderatoren solcher Sit- Dr. Martin Danner ist Bundesgeschäftsführer zungen überfordert, wenn beispielsweise mehr als der BAG SELBSTHILFE. Hochansteckend: Das Coronavirus verbreitet sich über feinste Aerosole in der Luft. Foto: iStock AOK Forum spezial | Jahrgang 2020 | Ausgabe 1
10 | Aus der Praxis Foto: privat Maren Kochbeck ist Geschäftsführerin der Selbsthilfe-Kontaktstelle in Frankfurt. „Die Uhr lässt sich nicht mehr zurückdrehen“ Kontaktstelle I Die Selbsthilfe-Kontaktstelle in Frankfurt hat die regionalen Selbsthilfegruppen in der Zeit des Lockdowns mit verschiedenen digitalen Angeboten unterstützt. Zudem startete sie eine Umfrage, um herauszufinden, wie die einzelnen Gruppen mit den Kontaktbeschränkungen umgegan- gen sind. 44 Gruppen meldeten sich zurück – mit teilweise erstaunlichen Ergebnissen. Wie haben die Corona-Kontaktbeschrän- Welche Angebote konnten Sie den Selbst- kungen Ihre Arbeit verändert? Selbsthilfe- hilfegruppen durch die Kontaktbeschrän- Kontaktstelle aus dem Home-Office – kungen nicht mehr machen? geht so was überhaupt? „Zu Beginn des Neben der Beratung und der Bereitstellung Kurz vor dem bundesweiten Lockdown haben wir günstiger Räume begleiten wir die Gruppen über Lockdowns bereits am 13. März unsere Kontaktstelle für die das ganze Jahr hinweg bei diversen Veranstaltun- Selbsthilfegruppen geschlossen. Ab dem 16. März gen. Der Frankfurter Selbsthilfemarkt beispiels- wollten wir die sind dann alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weise ist eine riesige Veranstaltung, bei der alle ins Homeoffice gegangen. Da wir keinerlei Gruppen ihre Arbeit der Öffentlichkeit präsentie- Selbsthilfegrup- technische Infrastruktur für diese Form der Arbeit ren können. Zusätzlich zu dieser Unterstützung hatten, mussten wir zunächst diverse technische bieten wir den Gruppen auch diverse Qualifizie- pen mit einer Umrüstungen vornehmen lassen. Telefonisch rungen für die Selbsthilfearbeit an. All diese waren wir vom ersten Tag an für Ratsuchende Angebote fielen durch die Kontaktbeschränkun- Sonderseite auf erreichbar und es ging auch erstaunlich schnell, gen komplett weg. dass wir von zu Hause aus voll arbeitsfähig unserer Website waren. In den ersten Wochen meldeten sich nur Welche Alternativen konnten Sie anbieten? wenig Ratsuchende bei uns. Ab Ostern änderte möglichst um- sich das wieder und das Tagesgeschäft normali- Zu Beginn des Lockdowns war es uns wichtig, sierte sich. Das Ganze hat erstaunlich gut die Selbsthilfegruppen mit einer Sonderseite auf fassend infor- funktioniert, was sicher auch damit zu tun hat, unserer Website möglichst umfassend zu dass die meisten Beratungen auch vor Corona informieren. Hier lieferten wir nicht nur fachlich mieren.“ schon telefonisch liefen. Wo die telefonische korrekte Infos rund um Corona. Interessierte Beratung nicht ausreichte, konnten wir sehr fanden auf der Seite auch die Kontaktdaten von Maren Kochbeck schnell auch auf Videomeetings ausweichen. Anlaufstellen, bei denen sie in akuten Krisensitu- AOK Forum spezial | Jahrgang 2020 | Ausgabe 1
Aus der Praxis | 11 ationen wie etwa bei psychischen Problemen diskutieren das Thema zurzeit durchaus kontro- oder häuslicher Gewalt schnelle Hilfe bekom- vers, weil nun mit den digitalen Formaten eine men. Wir haben auf der Seite aber auch neue Möglichkeit des Miteinanders hinzugekom- kulturelle Tipps für Eltern und Kinder hinterlegt, men ist. Einerseits spüre ich bei vielen Mitgliedern damit sie möglichst gut durch den Lockdown die Sehnsucht, dass „nach Corona“ alles wieder so kommen. Wir haben auch Informationen in sein soll wie zuvor: reale Gruppentreffen. Gebärdensprache und leichter Sprache angebo- Andererseits lässt sich die Uhr nicht zurückdrehen ten. Zudem haben wir eine laienverständliche und das einmal erlernte Rüstzeug für digitale „Die Selbsthilfe Schritt-für-Schritt-Anleitung erstellt, wie die Selbsthilfe wird sicher auch die weitere Arbeit in Gruppen datenschutzkonform Videomeetings den Gruppen prägen. Ich vermute, dass es künftig braucht jetzt organisieren können und was sie dafür brauchen. zum einen mehr reine Onlinegruppen geben wird Nach einigen Wochen haben wir uns per Mail an und dass zumindest einige Gruppen ein neben- klare Zusagen, alle Gruppen gewandt, um herauszufinden, wie einander von analogen Treffen und digitalen es ihnen geht, wie sie mit den aktuellen Angeboten aufbauen werden. dass die Basis Gegebenheiten klarkommen und ob sie Unterstützung benötigen. Brauchen die Selbsthilfeaktiven mehr finanzierung Unterstützung? Was sind die wichtigsten Ergebnisse? gesichert ist und Aus unserer Befragung ging hervor, dass sich die Auf unsere Umfrage meldeten sich 44 Gruppen Selbsthilfegruppen von der Politik vor allem klar coronabedingte zurück. Fast alle Gruppen waren auch ohne die formulierte und juristisch valide Informationen regelmäßigen Treffen miteinander in Kontakt darüber wünschen, was genau sie innerhalb Mehrkosten geblieben. 80 Prozent kommunizierten dafür verschiedener Settings eigentlich dürfen. Oft war zumindest per E-Mail, knapp die Hälfte der bei neuen Verordnungen – die kamen ja teilweise übernommen Gruppen griff auf Messengerdienste zurück und im Wochentakt – überhaupt nicht klar, zu welcher immerhin ein rundes Drittel der Gruppen Kategorie, zu welchen konkreten Paragrafen die werden.“ verwendete für den Gruppenkontakt Video- oder Selbsthilfe eigentlich zählt. Es gab beispielsweise Telefonkonferenzen. Die meisten Gruppen unterschiedliche Vorgaben für Kirchengemein- Maren Kochbeck nutzten mehrere Möglichkeiten parallel. Über die den, Vereine oder Autismustherapiezentren. Hälfte antwortete, dass die Stimmung in der Hinzu kam: In den Medien rieten Wissenschaftler Gruppe schlecht (12 Prozent) oder wechselhaft dazu, wegen der Aerosolbelastung möglichst (42 Prozent) gewesen sei, jedoch berichtete ein viele Aktivitäten ins Freie zu verlagern. Gleichzei- Drittel der Gruppen auch, dass die Stimmung tig stellte sich heraus, dass hier in Hessen für weiterhin gut sei. Wir bekamen Rückmeldungen Gruppentreffen im Freien die Vorgaben deutlich von Gruppenmitgliedern, die sich mit der strikter waren als für Gruppentreffen in einem digitalen Technik schwertaten oder diese gar geschlossenen Raum. Hier hätte man sich eine ablehnten. Neben vielen Fragen und Schwierig- bessere Informationspolitik gewünscht. Ein keiten kamen überraschenderweise aber auch weiterer großer Unterstützungsbedarf bestand positive Rückmeldungen. So verständigten sich natürlich rund um Fragen zur digitalen Technik. beispielsweise die Anonymen Alkoholiker (AA) Hier konnten wir als Kontaktstelle mit unseren weltweit darauf, für digitale Meetings dieselbe begrenzten Ressourcen leider keine individuelle Plattform zu nutzen. Es entstanden weltweite Beratung möglich machen. Meetinglisten, sodass jemand, der hier nachts um drei Uhr Suchtdruck hat, an einem AA-Mee- Was würden Sie sich für die Selbsthilfe- ting beispielsweise in Australien teilnehmen arbeit in der Nach-Corona-Zeit wünschen? kann. Andere Gruppen freuten sich darüber, dass an den digitalen Meetings wieder Menschen In der Selbsthilfe besteht die Sorge, dass sich die teilnahmen, die etwa wegen Mobilitätseinschrän- Kommunen unter der hohen finanziellen Last kungen schon länger nicht mehr zu den durch die Corona-Pandemie dazu entschließen, Präsenztreffen kommen konnten. bei freiwilligen Leistungen wie der Selbsthilfe- unterstützung zu sparen. Da würde ich mir von Stichwort Digitalisierung: Steht der Selbst- der Politik eine klare Positionierung wünschen, hilfe nach Corona ein Wandel bevor? dass bei der Selbsthilfe nicht gespart wird – im Gegenteil, die Selbsthilfe braucht jetzt klare Das ist schwer einzuschätzen. Ich vermute, dass Zusagen, dass die Basisfinanzierung gesichert ist das in den verschiedenen Gruppen künftig auch und coronabedingte Mehrkosten auf jeden Fall unterschiedlich gehandhabt wird. Viele Gruppen übernommen werden. AOK Forum spezial | Jahrgang 2020 | Ausgabe 1
12 | Aus der Praxis Wir bleiben zu Hause! Aus der Praxis I Unter dem Motto „Wir bleiben zu Hause“ startete die hessische Gruppe „Frauenselbsthilfe nach Krebs (FSH)“ während des Lockdowns im Frühling unter ihren Gruppenmit- gliedern eine kleine Umfrage. In ihren Antworten berichten die Frauen davon, wie sie mit den Kontaktbeschränkungen umgehen, was sie belastet und wie sie mit den Einschränkungen insgesamt zurechtkommen. Wir sind stark. Wir sind mutig. Wir feiern das Le- arbeit, Einkaufen, den Haushalt auf Vorder- ben. Wir haben Krebs! Unter diesem Motto hätte mann bringen, alles mal in Ruhe angehen. Da die 40-Jahr-Feier unserer Selbsthilfegruppe An- auch mein Mann mit seinen Herzproblemen zu fang Mai stehen sollen. Es sollte ein Fest für über einer Risikogruppe zählt, beachten wir alle 100 Menschen werden. Doch dann kam alles Schutzvorschriften und messen morgens und ganz anders. Unsere Treffen verlagerten wir we- abends Fieber. Mir fehlen die Besuche bei den gen der Corona-Pandemie in die digitale Welt. Wir Kindern und mein Aushilfsjob, der für Abwechs- telefonierten miteinander und besuchten uns zu- lung im Alltag sorgt. Zum Glück gibt es die weilen – Abstand haltend – an der Haustür. Ins- Video-Anrufe und die Kommunikation über besondere unsere neu gegründete Whatsapp- WhatsApp. Wichtig sind die Menschen, die sich Gruppe nutzten wir gern. Wenngleich dies die für uns einsetzen: Pfleger, Krankenschwestern, persönlichen Kontakte nicht ersetzen kann, blie- Ärzte und die vielen freiwilligen Helfer sowie ben wir so doch miteinander vernetzt. ehrenamtlich Tätige. Und wenn die Zeit gekom- men ist, dass wir abtreten müssen, dann ist es Agnes halt so. Ob mit oder ohne Corona. Beim Radfahren schaue ich, was am Wegesrand wächst, welche Kräuter, welche Gräser. Sternmie- Hannelore Webtipp re, Scharbockskraut, Knoblauchsrauke. Was kann Mir fehlen meine Enkelkinder, mein Sport, unse- man essen, sind es Heilpflanzen oder eignen sie re FSH-Gruppe. Mit den Einschränkungen kann sich für eine Jauchedüngung im Garten? Es macht ich umgehen. Immerhin darf ich mich im Freien mir Freude, meine Wissenslücken zu füllen. Jede bewegen. Viermal die Woche verabrede ich Tour wird so zu einem Erlebnis. mich mit einer Freundin zum Laufen in der wun- derschönen Natur. Ansonsten fahre ich mit dem Auf ihrer Website Angelika Fahrrad in meinen Garten. Ich hoffe, dass bald fsh-maintal.de/programm.html Ich gehe nur einmal die Woche einkaufen, nutze ein Impfstoff gegen Covid-19 hergestellt und zu- veröffentlicht die Gruppe Infos Gummihandschuhe und Mundschutz. Zum gelassen werden kann. Solange werden wir mit zu ihren Aktivitäten. Glück habe ich meinen kleinen Garten. Da meine dem Coronavirus leben müssen. Neu betroffene Frauen erhalten Nebenjobs weggefallen sind und meine Rente gerne Unterstützung: zum Leben nicht ausreicht, wird es finanziell sehr Steffi eng. Das ist im Moment mein größtes Problem. Da meine Leukos sehr niedrig sind, vermeide ich Nieves Schwierzeck Menschenansammlungen und halte mich eng E-Mail: nieves@schwierzeck.de Burgis an die Hygiene-Auflagen. Meine Familie und Tel.: 06181 493820 Ich habe keine Angst, mich anzustecken. Ich ge- Freunde nicht zu treffen ist belastend, auch dass nieße das schöne Wetter und die dank des ein- ich jetzt nicht wie geplant in die Selbsthilfegrup- Karin Daferner geschränkten Flug- und Autoverkehrs größere pe kommen kann. Ich versuche, es mir schön zu E-Mail: karin.daferner@gmx.de Ruhe. Meine Gymnastik, das Singen in der machen: Gehe mit dem Hund spazieren, lese, Tel.: 06181 850313 Gruppe fehlen mir. Geht zwar alles auch alleine häkle viel und wurschtle in der Wohnung. Leider oder mit Unterstützung von Apps, macht aber kann ich jetzt auch nicht wie geplant meine Susanne Hoffmann nicht so viel Spaß. Nicht ausgehen, reisen, kein Arbeit wieder aufnehmen, um meine Erwerbs- E-Mail: yaella@gmx.de Kino, Theater – alles Luxus, kann ich alles aus- minderungsrente aufzubessern. So bleibt nicht Tel.: 06181 497930 halten, wenn ich an Menschen denke, denen das viel zum Leben mit einem Sohn in der Schule Nötigste fehlt. Wenn ich jemandem helfen kann, und alleinerziehend. bin ich bereit. Marlene Gisela Seit meiner Krebserkrankung versuche ich Zu Anfang war alles gar nicht so schlimm. Zu mich gesund zu ernähren. Wir kochen jeden Hause bleiben war erstmal wie Urlaub: Garten- Tag frisch. Nun haben wir die Muße, neue Spei- AOK Forum spezial | Jahrgang 2020 | Ausgabe 1
Aus der Praxis | 13 Foto: FSH Bunt und vielfältig – die Frauenselbsthilfe nach Krebs sen und Zubereitungen auszuprobieren. Wir kann, vermisste sie meine Besuche und konnte backen Brot, machen dazu Sauerteig selbst, die Situation auch gar nicht verstehen. Die jet- sammeln Bärlauch und andere Kräuter für Pes- zige Besuchsregelung, die es mir erlaubt, meine to und Butter. Mutter eine Stunde in der Woche zu sehen, hilft etwas, macht die Situation aber auf Dauer im- Astrid mer noch sehr belastend. In den letzten Wochen mussten wir viel lernen im Umgang miteinander. Ich habe viel mehr Zeit Das Coronavirus hat die Welt verändert. Die Poli- mit meinem Partner verbracht als normalerwei- tik hat gezeigt, dass sie schnelle und einschnei- se. Das ständige Zusammensein hat zunächst dende Maßnahmen treffen kann. Wir alle haben auch Konflikte ausgelöst. Nun bemühen wir uns, die Maßnahmen mitgetragen und sind solida- einander mehr zuzuhören, die eigenen Wünsche risch. Wir haben erneut gemerkt, was uns wirklich genauer zu kommunizieren und dem anderen wichtig ist: Familie, Freunde, emotionale Nähe auch Raum für sich selbst zu lassen. und Gemeinschaft, Gesundheit, Radeln, Kochen und gemeinsames Essen. Karin Am meisten Sorgen mache ich mir um meine Und wir alle freuen uns, unsere Freunde und Mutter. Wenn das Virus im Altenheim aus- Freundinnen, unsere Kinder und Enkel – jetzt, wo bricht, werden viele Bewohner erkranken und die Beschränkungen wieder gelockert werden – vielleicht auch sterben. Schlimm war in dieser wiederzusehen. Wir freuen uns, wieder essen zu Situation das totale Kontaktverbot. Da meine gehen und einkaufen zu können – wenn auch Mutter dement ist und nicht mehr telefonieren weiterhin mit Einschränkungen. AOK Forum spezial | Jahrgang 2020 | Ausgabe 1
14 | Nachgefragt Foto:: W&B/Michael Hughes Gabriele Tammen-Parr leitet die Beratungsstelle „Pflege in Not“ in Berlin. „Viele fühlten sich alleingelassen“ Pflegende Angehörige I Isoliert, überfordert, ohne Unterstützung: Pflegende Angehörige hatten unter den Schutzmaßnahmen zur Eindämmung der Pandemie besonders zu leiden. Während das Thema in der Öffentlichkeit allerdings kaum Aufmerksamkeit fand, gingen die Anruferzahlen bei der Beratungsstelle „Pflege in Not“ innerhalb kürzester Zeit drastisch nach oben. Sie leiten in Berlin die Beratungsstelle klar: Die Rund-um-die-Uhr-Pflege, oft unter „Pflege in Not“. Wie hat sich die Situation Isolationsbedingungen, brachte viele Menschen der pflegenden Angehörigen in der Corona- an ihre Grenzen – und darüber hinaus. Die krise verändert? Auswirkungen der Coronakrise waren teilweise „Die Rund-um- dramatisch. In unseren Beratungsgesprächen Pflegende Angehörige meistern einen Alltag, der zeigte sich, dass Groll und Wut aufeinander die-Uhr-Pflege, ohnehin schon kompliziert und belastend ist. Die rasend schnell zunahmen – bis hin zur offenen mit der Corona-Pandemie einhergehenden Aggression und Gewalteskalation. Wir hatten oft unter Isola- Kontaktbeschränkungen und der Wegfall fast Anrufer, die in höchster Not waren und Angst aller Unterstützungsmöglichkeiten haben diese hatten, dass ihre Überforderung in Gewalt tionsbedingun- Menschen allerdings vor kaum zu bewältigende umschlagen könnte. In den Beratungsgesprä- Herausforderungen gestellt. Ohne Tagespflege, chen zeigte sich zudem, wie stark die Anrufer gen, brachte Betreuungsgruppen, Einzelbetreuung oder verunsichert waren: Während die gesamte Gesprächsgruppen für pflegende Angehörige unterstützende Infrastruktur zusammenbrach, viele pflegende waren die Betroffenen vollkommen auf sich bestellten sie aus Angst vor dem Virus auch gestellt. Sie waren plötzlich auf engstem Raum noch den ambulanten Pflegedienst ab. Alte Angehörige an mit den Pflegebedürftigen eingeschlossen, Menschen, die ihren Ehepartner nun ganz alleine fühlten sich überfordert und alleingelassen. pflegten, brachen am Telefon in Tränen aus, weil ihre Grenzen – sie das einfach nicht mehr leisten konnten. Viele Wie hat sich das bei Ihnen im Beratungs Anrufer waren völlig verzweifelt und sagten, dass und darüber alltag gezeigt? sie nicht wüssten, wie es weitergehen soll. hinaus.“ Als Mitte März die Kontaktbeschränkungen Auch jüngere Verwandte übernehmen oft griffen, gingen bei uns die Anruferzahlen sofort Pflegeaufgaben. Was wissen Sie über deren Gabriele Tammen-Parr drastisch nach oben. Wir haben darauf umge- Situation in der Zeit des Lockdowns? hend reagiert und unser Beratungsangebot vervielfacht. Anfangs drehten sich viele Anrufe Pflegende Kinder und Jugendliche sind in einer noch um praktische Fragen. Doch schnell wurde Lockdown-Situation ganz besonders hilflos. AOK Forum spezial | Jahrgang 2020 | Ausgabe 1
Nachgefragt | 15 Schätzungen zufolge haben etwa sechs Prozent von der Tagespflege, den Pflegebedürftigen der Berliner Schüler ein krankes oder beein- möglichst flexibel zur Verfügung gestellt werden trächtigtes Familienmitglied, um das sie sich könnten. Bislang ist die Zahlung finanzieller mitkümmern. Für sie ist es ganz selbstverständ- Hilfen oft daran gebunden, dass auch haushalts- lich, ihre kranken Eltern oder andere Angehörige nahe Dienstleistungen nur von zertifizierten zu pflegen, oft sind sie mit dieser Situation groß Pflegediensten erbracht werden dürfen. Es wäre geworden und empfinden das als völlig normal. extrem hilfreich, wenn die Menschen sich in Uns war völlig klar, dass wir uns um diese Zeiten von Corona-Kontaktbeschränkungen ihre Kinder sofort und intensiv kümmern müssen. Hilfen flexibler einkaufen könnten, etwa von „Lassen Sie Ihren Über das gesonderte Online-Angebot echt-un- einem Nachbarn. Hier würde ich mir auch von ersetzlich.de für junge Pflegende haben unsere den Kassen etwas mehr Flexibilität wünschen. Nachbarn nicht Berater und Psychologen bereits seit Jahren Vor allen Dingen brauchen wir aber von der Kontakte zu pflegenden Jugendlichen aufge- Politik ein detailliert ausgearbeitetes Notpro- allein. Eine halbe baut und konnten diese nun gezielt ansprechen gramm für die Zukunft. Sollte es im Rahmen und beraten. Auf der Website bieten wir zudem einer zweiten Infektionswelle zu einem erneuten Stunde Gespräch für die Jugendlichen einen gesonderten Lockdown kommen, müssen die Pflegenden zu Infobereich zu Corona – hier finden die jungen Hause von Beginn an wissen, welche Unterstüt- am Tag kann Pflegenden viele Infos rund um die Pandemie, zung sie bekommen können. Dieses Programm aber auch ganz praktische Tipps, wo sie Hilfe müsste natürlich auch ein Besuchskonzept Wunder bewir- finden können oder wie man einen Budenkoller enthalten, unter welchen Bedingungen vermeidet. Menschen ihre Angehörigen im Pflegeheim ken – ob am besuchen können. Eine komplette Kontaktsper- Und wie sah es in der stationären re, wie es sie im Frühling gab, sollte so auf Telefon oder mit Pflege aus? keinen Fall noch einmal passieren. Abstand im Für die Bewohner der Pflegeeinrichtungen war es Abgesehen von den politischen Vorgaben traumatisch, dass sie von einem auf den anderen – was kann jeder Einzelne tun? Hausflur.“ Tag keinen Besuch mehr erhalten durften. Für die dementen Bewohner war das besonders Wenn Sie in einem Haus mit Menschen leben, Gabriele Tammen-Parr schlimm, da sie die Hintergründe des Kontaktver- die auf Pflege angewiesen sind: Nehmen Sie bots nicht verstehen konnten. Der oft tägliche Kontakt auf, lassen Sie Ihren Nachbarn nicht Besuch ihres Ehepartners fiel plötzlich weg und allein. Eine halbe Stunde Gespräch am Tag die Pflegekräfte mussten diesen Ausfall trotz der kann Wunder bewirken – ob am Telefon oder hohen Belastung auch noch kompensieren. Das auch mit Abstand im Hausflur. Nachbarn ist mal mehr und mal weniger gut gelungen. könnten sich zusammentun und so die Last auf Einige Einrichtungen haben Handys und Tablets mehrere Schultern verteilen. Weisen Sie dabei für die Bewohner besorgt, damit zumindest auch auf lokale Hilfsangebote hin, oft verlassen Videotelefonate möglich waren. Obwohl die die Betroffenen kaum ihre Wohnung und Isolation eigentlich zum Schutz der Bewohner wissen nichts von Nachbarschaftshilfen oder gedacht war, starben überproportional viele Ähnlichem. Menschen in eben diesen Einrichtungen. Hier ist etwas grundlegend schiefgelaufen, das hätte die Sehen Sie die Coronakrise auch als Chance Politik anders regeln müssen. Man sollte davon für Verbesserungen in der professionellen ausgehen, dass insbesondere die Angehörigen Pflege? extrem umsichtig sind und alles dafür tun würden, ihre pflegebedürftigen Verwandten nicht Ja, denn die Wertschätzung für die Pflegeberufe zu gefährden. Mit der nötigen Schutzausrüstung war in der Corona-Pandemie sehr hoch. Das hat und konsequenten Hygienekonzepten wäre es sich anfangs auch durch das Klatschen am sicherlich möglich gewesen, zumindest einen Abend gezeigt. Pflege ist systemrelevant und eingeschränkten Kontakt zu ermöglichen. trotzdem wird der Pflegeberuf nach wie vor stiefmütterlich behandelt. Image und Bezahlung Welche Weichen muss die Politik jetzt sind schlecht, die Arbeitsbelastung zu hoch. Wir stellen, damit es bei einer zweiten Infek- müssen uns deshalb auch nach Corona weiter tionswelle besser läuft? dafür einsetzen, die neue Wertschätzung zu verstetigen, damit sich die Bedingungen für die Für die Betroffenen wäre es eine große Hilfe, Pflegenden nachhaltig verbessern. Klatschen wenn in der Krise nicht abgerufene Gelder, etwa allein reicht einfach nicht aus. AOK Forum spezial | Jahrgang 2020 | Ausgabe 1
16 | Hilfe aus dem Netz Zusammen durch die Krise Selbsthilfeförderung I Wenn es um das Thema Selbsthilfe in Hessen geht, ist die AOK für alle Interessierten eine kompetente Ansprechpartnerin. Ob finanzielle Förderung oder persönliche Beratung – das Büro für Patienten und Selbsthilfe unterstützt Selbsthilfeaktive seit vielen Jahren. Vor der Corona-Pandemie wurde das Büro für Die gewohnten Treffen der Selbsthilfegruppen Patienten und Selbsthilfe in Bad Homburg oft- waren nicht mehr möglich. Und auch die AOK mals für persönliche Beratungsgespräche von musste die große Veranstaltungsreihe „Selbsthilfe Selbsthilfegruppen in Anspruch genommen. im Dialog“ mit Rücksicht auf die Zielgruppe vor- Doch auch wenn der persönliche Kontakt teilwei- sorglich auf das Jahr 2021 verschieben. se nur eingeschränkt möglich war und ist, bleibt die AOK weiterhin für Anfragen erreichbar – Be- Online-Fortbildungen ratungen erfolgen gerne per Telefon und E-Mail. Doch die AOK Hessen möchte der Selbsthilfe Neben der finanziellen Förderung ist die Veran- trotzdem Fortbildungsmöglichkeiten anbieten. Da staltungsreihe „Selbsthilfe im Dialog“ seit 18 Jahren Präsenzveranstaltungen noch nicht ohne Weiteres ein fester Bestandteil der Weiterbildung für die möglich sind, besteht in diesem Jahr die Möglich- Selbsthilfe. Mitten in den Vorbereitungen für die keit zu Online-Fortbildungen. Derzeit sind sieben diesjährige Veranstaltungsreihe kam Corona – und verschiedene Online-Seminare geplant. Die The- von einem Tag auf den anderen war alles anders. men reichen von Humor als Krankheitsbewälti- gung über Resilienz, progressive Muskelentspannung, Gedächt- nistraining bis zum Datenschutz in der Selbsthilfe. Auch das wich- tige Thema „Wie richte ich da- tenschutzrechtlich konforme virtuelle Selbsthilfegruppentref- fen ein?“ wird im Angebot sein. Zusätzlich sind für den Jahres- wechsel 2020/2021 drei On- line-Seminare zur Selbsthilfeför- derung im Jahr 2021 geplant. Für die Teilnahme wird ein internet- fähiger Computer, ein Tablet oder ein Smartphone benötigt. Das Programm finden Interessierte im Herbst auf der Homepage der AOK Hessen – das Büro für Pa- tienten und Selbsthilfe erhofft sich eine rege Teilnahme. Gegenseitig unterstützen Solange es noch keinen Impf- stoff oder entsprechende Medi- kamente gibt, kann sich jeder nur durch die gängigen Schutz- maßnahmen vor gegenseitiger Ansteckung schützen. Mindes- tens genauso wichtig ist es aber, Illustration: NEL sich weiterhin gegenseitig zu unterstützen. Auch wenn dies streckenweise nur mental und digital möglich ist – das ist und bleibt eine Kernkompetenz der Selbsthilfe!!! AOK Forum spezial | Jahrgang 2020 | Ausgabe 1
Foto: iStock Hilfe aus dem Netz | 17 Die Pflege eines Familienmitglieds ist körperlich und seelisch sehr anstrengend. Selbsthilfe per Mausklick Onlineprogramme I Die Herausforderungen im Umgang mit der Corona-Pandemie setzen viele Menschen unter Druck und bringen sie an den Rand ihrer Kräfte. Die AOK hat verschiedene Online-Trainer im Angebot, die Betroffenen in unterschiedlichen Lebenslagen eine interaktive Hilfe zur Selbsthilfe bieten. Im Juni 2020 hat die AOK den „Familiencoach Selbsthilfeprogramm, wie negative Gefühle und Pflege“ gestartet. Das anonym nutzbare On- depressive Symptome zusammenhängen – und line-Programm zur Selbsthilfe für pflegende wie es gelingen kann, negative Gedankenmuster Angehörige ist ein kostenloses Angebot, das die durch neue zu ersetzen. Praktische Unterstützung Psyche von pflegenden Angehörigen stärken und bekommen die Programmteilnehmer dabei von sie vor Überlastung schützen soll. Aktuelle Ergeb- virtuellen Personen, die sie durch das Programm nisse einer repräsentativen Befragung zeigen den begleiten. Moodgym basiert auf der kognitiven Bedarf: Demnach ist jede vierte Person, die einen Verhaltenstherapie und wurde von australischen Angehörigen zu Hause pflegt, durch die Pflege Wissenschaftlern entwickelt. 2016 hat die Univer- hoch belastet. Die Befragungsergebnisse belegen, sität Leipzig mit Förderung der AOK das Programm dass die Pflege eines Familienmitglieds für viele ins Deutsche übersetzt. Weltweit nutzen es bereits Angehörige sehr anstrengend ist – nicht nur kör- mehr als eine Million Menschen. perlich, sondern auch seelisch. Mit Hinweisen, In- formationen, interaktiven Übungen, mehr als Hilfe für überlastete Eltern 40 Videos und 14 Audiodateien können die Nutzer Für Eltern, die ein Kind mit der Aufmerksamkeits- lernen, wie sie besser mit den seelisch belastenden defizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) haben, hat Herausforderungen der Pflege umgehen können. die Gesundheitskasse den ADHS-Elterntrainer entwickelt. Die betroffenen Kinder lassen sich Krisensituationen besser verstehen leicht ablenken und stören durch ihr Verhalten oft Weitere Infos zu den Ein weiteres Online-Trainingsprogramm der Ge- die Abläufe in der Familie. Eltern bereitet die zeit- Programmen: sundheitskasse richtet sich an Angehörige, Freun- intensive und kräftezehrende Betreuung perma- aok.de/hessen de und andere Bezugspersonen von depressiv nent Momente von Frust, Selbstzweifeln und >> Leistungen & Services erkrankten Menschen. Der Familiencoach Depres- Wut. Mit dem ADHS-Elterntrainer stellt die >> Onlineprogramme der AOK sion hilft dabei, den Alltag mit einem Betroffenen Gesundheitskasse ihnen ein kostenloses und besser zu bewältigen. Nutzer des Online-Pro- leicht zu nutzendes Hilfsangebot bereit. Das wis- gramms erfahren, wie sie ihre erkrankten Ange- senschaftlich fundierte Onlineprogramm vermit- hörigen, Freunde oder Bekannten unterstützen telt einfache, verhaltenstherapeutisch basierte und sich selbst vor Überlastung schützen können. Methoden zum Umgang mit problematischen Alltagssituationen wie Unruhe beim Essen, Das Coaching-Programm moodgym (deutsch: Fit- Geschwisterstreit, Chaos im Kinderzimmer oder ness für die Stimmung) hingegen richtet sich direkt Stress wegen Medienkonsums. Anhand von an Menschen mit einer Depression. Es ist für jeden 44 kurzen Videosequenzen können Eltern exem- kostenlos, zeitlich unbegrenzt und anonym nutz- plarisch lernen, wie sich die beschriebenen Me- bar. Auf verständliche Weise veranschaulicht das thoden im Alltag der Erziehung anwenden lassen. AOK Forum spezial | Jahrgang 2020 | Ausgabe 1
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