Desaster im Dutzend: Zwölf Autobahnen, die kein Mensch braucht
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Inhalt Vorwort Olaf Bandt 3 Hintergrund: Die Methode hinter dem Straßenbauwahn in Deutschland 5 • Überblickskarte Neubau und Erweiterung von Bundesautobahnen gemäß Bedarfsplan 13 • Asphalt statt Wald: Die A 49 durch den Dannenröder Wald – Ein Lehrstück für die Durchsetzung eines Autobahnneubaus 14 Desaster im Dutzend: Ausgewählte Autobahnen und autobahnähnliche Bundesstraßen • Die A 20 Küstenautobahn: Ein sieben Milliarden teures ökologisches Desaster 16 • B 96 – Neubrandenburg–Oranienburg: Acht Ortsumfahrungen als Schnellstraße zwischen zwei Autobahnen 18 • A 39 Lüneburg–Wolfsburg: Milliardenprämie für Naturzerstörung in Niedersachsen 20 • B 190: Leere Straße, große Schäden 22 • Und ewig grüßt die A 46. Die teuerste Ortsumfahrungsautobahn Deutschlands 24 • Achtspuriger Ausbau der A 3 von Leverkusen bis Oberhausen: Flächen sparen und intelligente Lösung streng untersagt 26 • A 553 – Neue Rheinspange südlich Köln: Vorrang für die Wirtschaft 28 • A 100 – Eine Stadtautobahn für eine autogerechte Stadt, die Berlin weder braucht noch will 30 • B 10 – Transitautobahn durch das Biosphärenreservat Pfälzerwald 32 • Hochrheinautobahn A 98: Eine Sackgassen-Autobahn am Schwarzwaldhang 34 • B 26n Würzburg – Unnötiger geht’s nicht: Verkappte neue Autobahn in Salamitaktik 36 • B 15n Landshut–Rosenheim: Eine fiktive Autobahn zerschneidet wertvolle, bayerische Kulturlandschaft 38 Lösungen: Die Bedarfsplanüberprüfung 2022 als Schritt zu einer nachhaltigen Verkehrs- und Mobilitätsplanung des Bundes nutzen 40 Literatur 42 Abkürzungen 43 Impressum 44 2 Desaster im Dutzend
Vorwort Olaf Bandt Den CO2-Ausstoß schnell absenken und wertvolle Ökosysteme schützen: Zu diesen Zielen hat sich die Bundes- regierung international und national verpflichtet. Angesichts der sich zuspitzenden Klimakrise und des drama- tischen Verlusts der Artenvielfalt sind sie eigentlich alternativlos. Das ist in den Köpfen der maßgeblichen Ver- kehrspolitiker nicht angekommen. Die heftigen Proteste gegen den Bau der A 49 durch den jahrhundertealten Dannenröder Wald machten diesen Konflikt deutlich. Doch es gibt noch viele weitere klimaschädliche, natur- zerstörende, überteuerte und unnötige Fernstraßenprojekte, die noch verhindert werden können. Insgesamt ist bis zum Jahr 2030 der Neu- oder Ausbau von sage und schreibe 1.360 Bundesfernstraßenprojekten, also Autobahnen und Bundesstraßen, als „Bedarf“ anerkannt. Darunter 850 Kilometer Autobahnneubau. Das darf so nicht kommen. Der BUND stellt in dieser Broschüre, zwölf desaströse, d. h. besonders umweltschädliche, überdimensionierte und auch verkehrlich sinnlose Straßenbauprojekte vor. Bei jedem von ihnen gibt es einfach umsetzbare, kostengünstige und problemlösende Alternativen. Diese wurden aber von den jeweiligen Bundes- ländern, vom Bundesverkehrsministerium sowie vom Bundestag schlichtweg ignoriert. Der BUND hatte die meis- ten dieser Alternativen bereits 2013 bei den zuständigen Länderbehörden angemeldet und anschließend bei der Öffentlichkeitsbeteiligung auf Bundesebene. Wir stellen sie erneut dar und fordern deren Umsetzung; statt weiterhin Wälder, Felder und Wohngebiete zuzubetonieren und dem Klima zu schaden. Wir zeigen auch, wie in Deutschland ein Planungssystem für Fernstraßen aufgebaut wurde, das als einziges Ziel hat, das Verkehrsaufkommen von Pkw und Lkw zu steigern und dafür Klima- und Biodiversitätsziele systematisch ignoriert. Das Planungssystem ist skandalös: Es setzt sowohl geltendes europäisches Naturschutzrecht außer Kraft, begünstigt Rechentricks und Manipulationen zur Anhebung des Nutzens sowie zur Senkung der Kosten von Straßenneubauten, während gleichzeitig die realen Baukosten durch die Decke gehen. Zudem höhlte es die gerichtlichen Kontrollmöglichkeiten systematisch aus und führt Öffentlichkeitsbeteiligung nur als Pseudo- Partizipation durch. Die verkehrspolitischen Probleme bleiben indessen ungelöst. Die des Straßenerhalts, des europäischen Güter- verkehrs, der Überlastung von Infrastrukturen und den Verkehrssicherheitsproblemen in unseren Städten. Eine Lösung dieser Probleme wird, wie hier gezeigt, nur mit einer integrierten Verkehrs- und Mobilitätsplanung, einer verkehrssparenden Raum- und Stadtentwicklung und fairer Öffentlichkeitsbeteiligung auf einem „Level Playing Field“ mit Alternativenprüfung zu erreichen sein. Die Bundestagswahl 2021 bietet die Chance, die zerstörerische und teure Straßenbauorgie in Deutschland endlich zu stoppen. In den Koalitionsvertrag einer künftigen Regierung gehören die Verpflichtung, dass sich die Planung des Fernstraßenbaus in Deutschland künftig an den internationalen und nationalen Klima- und Natur- schutzzielen ausrichtet. Dafür braucht es einen sofortigen Neubaustopp für Fernstraßen. Die 2022/23 fällige Überprüfung des aktuellen Bedarfsplans muss für eine Neu-Ausrichtung des Verkehrswege- investitionen genutzt werden. Europarechtlich zwingend ist dafür die Durchführung einer Strategischen Umwelt- prüfung“ (SUP) der Netze und der Projekte. Die wurde beim letzten Bedarfsplan unterlassen. Bis zu dieser Über- prüfung brauchen wir ein Moratorium für Neubauplanungen von Bundesfernstraßen. Olaf Bandt Vorsitzender des BUND e. V. Desaster im Dutzend 3
Schleswig- Holstein A 20 Bad Segeberg–Westerstede Länge: ca. 200 km Kosten: ca. 7 Mrd. Euro A 39 Lüneburg –Wolfsburg Mecklenburg- Länge: 105 km Vorpommern B 96 Neubrandenburg-Oranienburg Kosten: Hamburg1100 Mio. Euro Länge: 95 km meist 3-streifiger Neubau Bremen Kosten: 408 Mio. Euro. B 190 B 4 (Niedersachsen) – Niedersachsen Seehausen (Sachsen-Anhalt) Berlin Länge: 89 km Kosten: 294 Mio. Euro A 100 AD Neukölln –Frankfurter Allee Länge: 7,3 km A3 Kosten: 848 Mio. Euro Brandenburg AK Leverkusen–AK Oberhausen Nordrhein-Westfalen Länge: 52,7 km Sachsen-Anhalt Kosten: 861 Mio. Euro A 46 Hemer–Neheim Länge: 19,4 km Kosten: 610 Mio. Euro Hessen A 49 Neuental– Gemünden Länge: 42 km Kosten: 550 Mio. Euro Sachsen Thüringen A 553 AK Köln-Godorf (A 555)–AD Köln-Lind (A 59) Länge: 10,2 km B 26n Westtangente Würzburg Kosten: 361 Mio. Euro Länge: 41,5 km Rheinland-Pfalz Kosten: 172 Mio. Euro Saarland B 10 Hinterweidenthal–Landau Länge: 31,1 km Kosten: ca. 670 Mio. Euro Bayern B 15n Landshut–Rosenheim Länge: 132 km Kosten: bis zu 1,2 Mrd. Euro A 98 Rheinfelden–Tiengen Baden-Württemberg © BUND e.V. 2021 Länge: 40,8 km Kosten: 882 Mio. Euro 4 Desaster im Dutzend
Hintergrund: Die Methode hinter dem Straßenbauwahn in Deutschland Im Folgenden wird aufgezeigt, welche methodischen 1. Setze milliardenschwere Fehlanreize zum Kniffe beim 2016 vorgelegten „Bundesverkehrswege- Bau unnötiger Autobahnen plan (BVWP) 2030“ und dem daraus abgeleiteten Fern- Ganze 120 Milliarden Euro will die Bundesregierung straßenausbaugesetz angewendet wurden, um einen von 2015 für Erhalt, Aus- und Neubau von Bundes- Straßenbaumaximalplan zu verabschieden und diesen fernstraßen (Autobahnen und Bundesfernstraßen) aus- gegen alle Widerstände durchzusetzen. Der nahelie- geben.2 Diese Kosten trägt zu 100 Prozent der Bund. gende Gedanke von Bürger*innen, es gäbe in einer Auf dem Papier wählt der Bundestag zwar die Projekte rechtsstaatlichen Demokratie ausreichende „checks aus, es sind aber die Länder, die die Straßenbauprojekte and balances“, um einen 270 Milliarden Euro teuren anmelden. Wenn diese viele, große und teure Vorhaben Plan für alle Verkehrsträger auf vernünftige Ziele aus- in den Bedarfsplan bekommen, fließen mehr Bundes- zurichten, um Alternativen zu prüfen, Umweltfolgen mittel in ihr Land und in Aufträge für „ihre“ Bauin- zu berücksichtigen, die Öffentlichkeit ernsthaft zu dustrie. Der Freistaat Bayern brachte im Jahr 2015 ins- beteiligen und um notfalls vor Gericht sicher zu stellen, gesamt 277 Fernstraßenprojekte in den Bedarfsplan dass die gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden, und bekommt dafür nun zwölf Milliarden Euro allein erweist sich im Bereich des Fernstraßenbaus leider als für den Fernstraßenaus- und -neubau in Bayern. Wei- falsch.1 Hier deshalb ein Praxisleitfaden, wie derzeit tere Milliarden fließen für den Erhalt. Die Länder mit mit Rechentricks, falschen Prognosen und der Miss- den überteuertsten Bauvorhaben werden belohnt. Mit achtung geltenden Rechts wertvolle Naturräume für diesem Planungs- und Finanzierungssystem stimuliert nutzlose, klimaschädliche und völlig überteuerte Auto- die Bundesregierung den Bau vieler unnötiger und bahnen und Bundesstraßen zubetoniert werden: überdimensionierter Straßen. Bau-Investitionen BVWP 2030 80 Bundesfernstraßen Schienenwege Bundeswasserstraßen 70 67,0 60 58,4 50 40 Mrd. EUR 30 19,6 19,7 20 16,2 15,8 1 Um den Text lesbar zu halten, 18,3 18,3 werden nur Arbeiten mit 10 grundsätzlichem Charakter in 8,4 3,5 Fußnoten aufgeführt. 0,9 1,8 0 Erhaltung Fest disponiert VB und VB-E „Schleppe“ VB/VB-E 2 Bundesministerium für Verkehr = im Bau bis 2030 nach 2030 und digitale Infrastruktur (BMVI) (2016): Bundesverkehrswegeplan 2030, S. 14. Abbildung 1: Bau-Investitionen BVMP 2030 Quelle: Grünbuch nachhaltige Planung der Verkehrsinfrastruktur, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e. V., Berlin 2018, Seite 4. Desaster im Dutzend 5
2. Plane nach dem Motto: „Höheres Tempo, angeblich wirtschaftliche Investition. Straßenbau Wirtschaftlichkeit: geschenkt, eigene Ziele: leicht gemacht! Denn die Summe des in Geld bewer- egal“ teten Nutzens im Zähler muss die Summe der Bau und Das Ergebnis dieser Wunschlistenpolitik: Der gesetzlich Unterhaltskosten im Nenner übertreffen und über 1,0 fixierte Bedarfsplan bis zum Jahr 2030 enthält 1.360 kommen. Um sicher zu gehen, dass es sehr viele Pro- Fernstraßenvorhaben – von 200 Kilometer langen jekte in den Bedarf schaffen, werden vier weitere Fak- Autobahnen bis zu zwei Kilometer langen Ortsumfah- toren, die auf Zeitgewinne zurückgehen als Nutzen rungen. Davon können 1.085 sofort und parallel in der bewertet (Betriebskosteneinsparungen, schnellere ganzen Republik planerisch vorangetrieben werden.3 Ladungstransportzeiten, mehr „Zuverlässigkeit“ durch Die Auftragsverwaltungen der Länder beginnen mit Staubeseitigung und „Impliziter Nutzen durch zusätz- dem Bau möglichst vieler Projekte gleichzeitig, oft mit liche Mobilität“, was immer damit gemeint ist)5. den Unnötigsten zuerst, um diese gegen eine Strei- Eigentliche Funktion der NKA ist, aus der Flut der Vor- chung zu immunisieren. Denn peinliche Investitions- haben, die die Länder anmelden, die Besten auszu- 3 Vgl. die Anlage zum sechsten Gesetz zur Änderung des ruinen wie „Soda“-Brücken, die nur „so da stehen“, gilt wählen, die auch finanzierbar sind. Allerdings wurden Fernstraßenausbaugesetzes (6. es zu vermeiden. die Projektschleusen im Jahr 2016 dadurch weit geöff- FStrAbÄndG) vom 23.12.2016. net, dass die Wirtschaftlichkeitsschwelle für Bedarfs- 4 Vgl. das BUND Grünbuch Dem Fernstraßen-Bedarfsplan und dem „Bundesver- projekte von 4,0 im Jahr 2003 auf 1,0 im Jahr 2016 „Nachhaltige Planung der Verkehrsinfrastruktur“ (2018), kehrswegeplan (BVWP) 2030“ liegen, anders als bei gesenkt wurde. Und nicht nur das: Falls ein Projekt die S. 6: den Schieneninvestitionen keine Netzkonzeption und Wirtschaftlichkeitsschwelle des Nutzen-Kosten-Ver- https://www.bund.net/fileadmin/u ser_upload_bund/publikationen/ auch keine Verkehrsträger übergreifende Strategie hältnisses (NKV) von 1,0 zu verfehlen droht, bietet die mobilitaet/mobilitaet_gruenbuch zugrunde. Die in diesem Plan aufgeführten Ziele „Treib- intransparente NKA zahlreiche Möglichkeiten, das _bvwp.pdf. hausgas- und Schadstoffemissionen reduzieren“, Ergebnis schön zu rechnen (z. B. Absenkung der Bau- 5 Beim Nutzenfaktor „impliziter „Begrenzung der Inanspruchnahme von Natur und kosten oder Erhöhung der Geschwindigkeit und damit Nutzen“, für den die BMVI- Gutachter zugeben, dass es „keine Landschaft“, „Lebensqualität in Regionen und Städten der Zeitgewinne). Empirik“ gibt, bewerten sie verbessern“ wurden nie konkretisiert, sondern dienten zusätzliche Fahrten, längere Wege und den Umstieg von der Bahn der Außendarstellung. Ausschlaggebend für die Fest- Das Ziel einer sinnvollen Projektauswahl wird mit einer auf die Straße positiv. Die legung von Bedarf und Dringlichkeit der Projekte solchen Nutzen-Kosten-Untersuchung verfehlt. Erfüllt Definition: „Die Reise wird unternommen, waren die Ergebnisse der Nutzen-Kosten-Untersu- hingegen wird das Ziel des damaligen Verkehrsministers wenn der Nutzen am Zielort chung, kurz NKU. Die NKU reagiert jedoch zu 90 Pro- Alexander Dobrindt, einen Straßenbaumaximalplan abzüglich des Aufwands der Hin- und Rückfahrt größer ist als der zent nicht auf die genannten Ziele – sondern fast aus- aufzustellen. Weniger als ein Prozent bzw. 15 der ange- Nutzen am Startort“. Der schließlich auf monetarisierte, in Geld bewertete meldeten 1.600 Projekte fielen durch die NKA und lan- autofahrende Homo Öconomicus kalkuliert alle Fahrten vorab Zeitgewinne.4 (siehe Abbidlung 2) deten im Töpfchen „kein Bedarf“. Ein Verfahren, das die durch und die Gutachter für ihn: eigenen Ziele nicht misst und einen Nutzenfaktor „Der implizite Nutzenzuwachs durch den Ortswechsel für den Das geht so: Werden durch höhere Geschwindigkeiten mehrfach wertet, ist wissenschaftlich unzulässig. Die ‚durchschnittlichen Wechsler‘ oder kürzere Neubau-Fahrstrecken Minuten einge- Bundestagsabgeordneten der Großen Koalition können entspricht 34 EUR.“ Damit wird der durch Straßenbau erzeugte spart, werden diese Zeitgewinne privater Pkw-Fahrer sich hinter der vermeintlich objektiven Kosten-Nutzen- und eigentlich problematische mit bis zu 25 Euro pro Stunde als fiktiver Geldnutzen Analyse gut verstecken und vor Ort verkünden, ein Neuverkehr zur Begründung für mehr Straßenbau. Vgl. Intraplan berechnet. Fünf Minuten Zeiteinsparung pro Pkw investierter Euro bringe z. B. vier Euro gesellschaftlichen Consult u. a. (2014) multipliziert mit 15.000 Pkw am Tag auf 80 Jahre Nutzen. Gleichzeitig handelten sie hinter verschlosse- Bewertungsmodul A – Entwurf Endbericht Grundsätzliche Lebensdauer der Straße hochgerechnet, „rechtfertigen“ nen Türen die Projektlisten für ihre Länder und Wahl- Überprüfung der Nutzen-Kosten- schon alleine den Bau von 30 Kilometer Autobahn als kreise mit befreundeten Verbänden aus. In Wahrheit Analyse, Teil2, S. 319. 6 Desaster im Dutzend
glichen, so die Beobachtung eines erfahrenen Abge- Wie groß der Beitrag der Infrastrukturplanung zum ordneten, die Verhandlungen über die Auswahl der Klimaschutz sein könnte, wenn Verkehr auf die Schie- Straßenprojekte einem „orientalischen Basar“. ne verlagert wird, belegt ein Gutachten für das Bun- desministerium für Verkehr und Infrastruktur (BMVI) aus dem Jahr 2016 (vom Deutschen Zentrum für Luft- 3. Ignoriere den Klimaschutz komplett und Raumfahrt, DLR u. a.): Eine Verdoppelung der Die Umsetzung des BVWP 2030 und des Bedarfsplans Schienengüterverkehrsanteile bis 2030 wäre möglich, erhöht die CO2-Emissionen. Das bestätigten die Ver- mit dem Effekt einer Minderung der CO2-Emissionen kehrsgutachter bei der Bundestagsanhörung am um acht bis zehn Millionen Tonnen. Dazu wären drin- 7.12.2016 auf Nachfrage. Laut Prognosen im BVWP gend ein Paradigmenwechsel in der Verkehrsinfra- sollen bis 2030 die Verkehrsanteile des Straßengüter- strukturpolitik und eine Politik der Verkehrsver- verkehrs von 72 auf 73 Prozent ansteigen, während lagerung nötig. der Güterverkehr der Bahn bei 18 Prozent stagniert. Auch im Personenverkehr soll der Bahnanteil laut BVWP-Prognosen bei sieben bis acht Prozent bis 2030 4. Mache geltende Verfahren zum Schutz stagnieren (vgl. Abbildung 4). Das Klimaschutzgesetz von Umwelt und Natur wirkungslos. vom 12.12.2019 verlangt aber eine Reduzierung der Kooperiere nicht mit dem CO2-Emissionen im Verkehr um 42 Prozent bis 2030 Umweltministerium beziehungsweise um 68 Millionen Tonnen (von derzeit Durch die Umsetzung des BVWP 2030 beziehungsweise 163 Millionen Tonnen).6 des Fernstraßenbedarfsplans werden laut offiziellem Wieviel tragen einzelne Aspekte zum Nutzen der Straßenprojekte bei? Quelle: Umweltbericht BVWP 2030 -20 0,0 20,0 40,0 60,0 80,0 100,0 Reisezeitgewinne 90,1 (Kosteneinsparung NfZ, Pkw, Zuverlässigkeit) Verkehrssicherheit 9,5 CO2-Emissionen -2,01 Schadstoffemissionen -0,03 Lärm 0,01 Ergebnis der Nutzen-Kosten-Analyse des BVWP: Anteiliger Nutzen am Gesamtnutzen in Prozent 6 Gesetz zur Einführung eines Bundes-Klimaschutzgesetzes und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 12.12.2019, Anlage 2. Abbildung 2: Wieviel tragen die einzelnen Aspekte zum Nutzen der Straßenprojekte bei? Quelle: Grünbuch nachhaltige Planung der Verkehrsinfrastruktur, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e. V., Berlin 2018, Seite 9. Desaster im Dutzend 7
Umweltbericht zum BVWP in Deutschland 171 Natura- 5. Baue auch dort, wo du nachgewiesen 2000-Gebiete „wahrscheinlich erheblich beeinträch- hast, dass das Straßennetz völlig tigt“. Diese Gebiete entsprechen der höchsten europäi- ausreichend ist: Der Beitrag der schen Naturschutzkategorie. Zudem werden 1.000 Raumordnung Kilometer schützenswerter, großer Lebensräume (wie Das Gutachten des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- Wälder, Feucht- und Trockengebiete) durchschnitten und Raumforschung zur Raumwirksamkeitsanalyse und 22.000 Hektar Fläche beansprucht.7 Obwohl erst- (RWA) im BVWP ermittelte, dass die 84 deutschen mals die europarechtlich geforderte Strategische Oberzentren bei der Straßen-Verbindungsqualität in Umweltprüfung (SUP) durchgeführt werden musste, keinem einzigen Fall als „ungenügend“, in drei Fällen wurden vom Bundesverkehrsministerium natur- und als „mangelhaft“, in zehn als „ausreichend“ und in allen flächenschonende Alternativen nicht geprüft, Straßen- anderen Fällen als sehr gut bis befriedigend angebun- projekte nicht geringer dimensioniert, Ausbaualterna- den seien. Deutschland ist also durch Fernstraßen tiven ignoriert und groß dimensionierte, autobahnähn- praktisch vollständig erschlossen. Im „Methodenhand- liche Ortsumfahrungen zugelassen, ohne innerörtliche buch zum BVWP 2030“9 heißt es, „Handlungsbedarf“ Alternativen zu prüfen. bestehe dann, wenn die Bewertung „ausreichend oder schlechter“ sei. Die meisten Straßenprojekte des Wie kann das passieren? Das Verkehrsministerium Bedarfsplans werden aber trotzdem auch dort gebaut, konnte oder wollte sich mit dem Umweltministerium wo „sehr gute“ und „gute“ Verbindungsqualitäten (BMU) über die Umweltprüfung nicht einigen. Der bestehen.10 Denn in der Raumordnungsbewertung der damalige Verkehrsminister Alexander Dobrindt veröf- Projekte wurden diese Erkenntnisse ausgeblendet. 7 Vgl. Arge Bosch, Baader. GFP fentlichte 2016 den BVWP ohne BMU-Zustimmung in Stattdessen wurden mit Hilfe idealer Luftlinienge- (2016): Umweltbericht zum Bundesverkehrswegeplan. i.A. der Gewissheit, dass die ebenfalls reich mit Infrastruk- schwindigkeiten ohne Berücksichtigung von realem BMVI, S.134 ff. turprojekten beschenkten SPD-Länder ausreichend Verkehrsaufkommen und Topographie Hunderte 8 Das Umweltbundesamt Druck auf das BMU ausüben, dem Plan zuzustimmen. zusätzlicher Straßenprojekte begründet. errechnete, dass der BVWP zu Ausgeschaltet wurde die Umweltbewertung dadurch, einen täglichen Flächenneuverbrauch von 2,9 ha dass sie nur auf die Ausbauprojekte der Engpassbesei- Nachdem einige politisch gewollte Projekte das Prä- führe und damit doppelt so hoch tigung angewendet wurde, nicht aber auf die viel dikat „hohe Raumbedeutung“ durch die RWA verfehl- sei wie vereinbart. Die „Begrenzung des umweltkritischeren Neubauvorhaben. Die Prüfung von ten, senkte das BMVI zudem nach der Beteiligungs- Flächenverbrauchs“ war offizielles Umweltalternativen wurde quasi auf spätere Projekt- phase der Öffentlichkeit und ohne fachliche Planungsziel des BVWP und des Ausbaugesetzes. Vgl. planungsphasen verschoben. Die Stellungnahme des Begründung 2016 die Schwellenwerte für eine „hohe“ Stellungnahme des Umweltbundesamts vom 29.4.2016 zum Entwurf des Raumwirksamkeit ab. So konnten zum Beispiel die Umweltbundesamtes zum Entwurf des BVWP 2030 mit BVWP und zum Umweltbericht kritisierte, das Flächen- A 20-Küstenautobahn und 40 weitere Straßenprojekte Umweltbericht (2016), S. 3. einsparziel,8 die Ziele der Lärm-, Schadstoff- und nachträglich höher bewertet werden. 9 PTV-Group u. a. (2016): Treibhausgasminderung sowie der Schonung von Methodenhandbuch zum Naturschutzgebieten und von unzerschnittenen Räu- Ein weiteres Manko: Der RWA liegt ein fast 100 Jahre Bundesverkehrswegeplan 2030. Entwurfsfassung. Karlsruhe u. a. men würden verfehlt. Außerdem würden die Verein- altes System zugrunde, indem Ober- und Mittelzentren S. 286 barungen zur Prüfung vernünftiger Alternativen nicht durch Versorgungsfunktionen Verkehr erzeugen, das 10 Bundesinstitut für Bau-, Stadt- eingehalten. Die Kritik blieb ebenso folgenlos wie eine jedoch heute weitgehend durch den allgemeinen und Raumforschung/BMVI ähnliche des BMU. Online-Handel und den Online-Fachhandel mit ihrer (2015): Entwurf der Methodik für die Raumwirksamkeitsanalyse ausgeklügelten Lieferlogistik ersetzt wurde. Die RWA der Bundesverkehrswegeplanung ignoriert die Digitalisierung komplett. 2015, S. 18., (vgl. Abbildung 3) 8 Desaster im Dutzend
Abbildung 3: Verbindungsqualität zwischen Oberzentren im Straßenverkehr Quelle: BBSR/BMVI (2014): Methodik für die Raumwirksamkeitsanalyse Bundesverkehrswegeplanung 2015, S. 18. Desaster im Dutzend 9
6. Sorge für dauerndes Wachstum von projekte erstellen – herrscht eine symbiotische Bezie- Straßenverkehr und Straßenbau und hung. In dem Geschäftsmodell von Verkehrswissen- dafür, dass Gutachter Ergebnisse liefern, schaftlern machen Staatsaufträge von der Bundes-, die passen Landes-, Kreis- und Kommunalebene einen höchst Straßeninfrastruktur und Straßenverkehrswachstum beachtlichen Teil des Marktes aus. Städtebau- oder werden von der Straßenbaulobby, dem BMVI und ihren Umweltgutachter könnten für Wissenschaftspluralis- Gutachtern als unabdingbare Voraussetzungen für mus sorgen. Aber auch sie sind vom Wohlwollen der Wirtschaftswachstum angesehen. Daraus folgt: Je Auftraggeber abhängig. Letztere kontrollieren nicht mehr Straßen, desto besser. Was für sich noch entwi- nur die Aufgabenstellung, sondern auch die Veröffent- ckelnde Ökonomien zutrifft, gilt kaum für das voll- lichungen. Unabhängige Projektevaluationen nach ständig durch Straßen erschlossene Deutschland. Bei Inverkehrsnahme, die das Erreichen der Planungsziele Bauvorhaben, die keine Mängel beseitigen, sinkt hier- überprüfen, werden nicht beauftragt, sind nicht zulande der ökonomische Nutzen gegen Null – das erwünscht. Güterverkehrsanteile 2010, Prognosen 2030: Verkehrsleistung in Prozent 80 72 73 70 2010 Ist 56 60 2030 laut BVWP 50 2030 laut DLR u. a. 2016 40 35 30 18 18 20 10 9 8 10 0 Straße Schiene Binnenschiff Abbildung 4: Entwicklung Güterverkehrsanteile im BVWP laut BVWP 2030 und bei Verlagerung auf die Schiene wollen die Planer des BVWP jedoch nicht wahrhaben. Die Forschungsgesellschaft für das Straßen- und Ver- Ihre heimliche Agenda ist die Erzeugung von Neuver- kehrswesen, die FGSV, ist eine technische Organisation kehr durch immer weiteren Straßenbau. Der Teufels- mit spezialisierten Wissenschaftler*innen, die insbe- kreis „Mehr Straßen -> erzeugen mehr Autoverkehr sondere die Richtlinien für die Ausgestaltung der Stra- und Staus -> mehr Geld fließt in Straßenbau -> der ßen erlässt. Die Wissenschaftler legen die Fahrbahn- erzeugt mehr Verkehr“ wird vorangetrieben. breite, Spurbreiten und weitere technische Trassierungsmerkmale (Querschnitte, Kurvenradien, Zwischen den Auftraggebern und Auftragnehmern, die Neigungen, etc.) fest. Diese baulichen Standards zielen die bundesweiten Prognosen und auch für Einzel- auf hohe Geschwindigkeiten und große Entfernungen, 10 Desaster im Dutzend
haben aber große Eingriffe in Natur- und Landschaft Der Verkehrsausschuss des Bundestages lehnte mit zur Folge. Wird eine Straße als „kontinentale“ Verbin- CDU/CSU/SPD-Mehrheit die Beratung über bedarfs- dung eingestuft (Verbindungsfunktionsstufe, VFS „0“) und umweltgerechte Alternativen ab, die Umweltver- muss sie als Autobahn gebaut werden. Für „großräum- bände und Bürgerinitiativen eingebracht hatten. Die liche“ Verbindungen, die „VFS I“, müssen Kraftfahr- Mehrheit der Großen Koalition beschloss schließlich straßen ausgewiesen werden für Fahrzeuge, die über am 23.12.2016 den gesetzlichen Bedarfsplan mit 1.360 60 km/h fahren können und die mindestens eine Bundesfernstraßen – ohne eine einzige umweltfreund- Durchschnittsgeschwindigkeit von 80 km/h erreichen. lichere Alternative aus der Öffentlichkeitsbeteiligung Mit der Ausweisung als VFS 0/1 wird ein Ausbau vor- aufzugreifen. handener Bundesstraßen mit zusätzlichen, wechseln- den Überholspuren (2 plus 1-Lösung) verunmöglicht Der Bedarfsplan legt die Knotenpunkte, den ungefäh- und ein Neubau erzwungen, oft parallel zur vorhan- ren Trassenverlauf und die Zahl der Spuren fest. Aus denen Bundesstraße. Letztere muss die Langsamver- diesem Grund, so die herrschende und vom Bundes- kehre aufnehmen. Im BVWP 2016 wurden auch Bun- verwaltungsgericht geteilte Rechtsmeinung, dürfen desstraßen mit sehr geringer Verkehrsbelastung – zum auf den nachfolgenden Planungsstufen Alternativen Beispiel mit nur 3.000 Kraftfahrzeugen pro Tag – und wie Ausbau statt Neubau nicht mehr und nur noch nur regionalen Verkehren als VFS I ausgewiesen. Mit Trassenverschiebungen diskutiert werden. solchen ungerechtfertigten Ausweisungen werden landschaftsschonende und flächensparende Ausbau- Der BUND kritisiert die Beteiligung der Öffentlichkeit alternativen verhindert. Die VFS II für „überregionale“ im Fernstraßenbau als: Verkehre ermöglicht dagegen landschaftlich und ver- • nicht ergebnisoffen: Ausbau statt Neubau, Redimen- kehrlich angepasste Lösungen.11 sionierungen, etc. sind ausgeschlossen. • nicht effektiv: Verbindlichkeit der Verhandlungen 11 In der Praxis wenden die und Ergebnisse wird nicht angestrebt. Straßenverwaltungen die 7. Beteilige die Öffentlichkeit nur zum Schein • nicht dialogisch: Die Straßenverwaltung bestimmt Richtlinien nicht flexibel, sondern dogmatisch an. Der und verhindere, dass Alternativen geprüft Geschäfts- und Tagesordnung/Themen, etc. FGSV wird vorgeworfen, sie werden • nicht fair: Die Expertise ist bei den Straßenbauver- gehöre „zu den etablierten Organisationen im Politikfeld Im Rahmen der EU-rechtlichen Strategischen Umwelt- waltungen monopolisiert. Verkehr, die sich bis heute gegen prüfung (SUP) muss eine frühe Öffentlichkeitsbeteili- • unverständlich: Statt nachvollziehbarer Argumente Reformen stemmen.“ Sie sei der ‚Closed Shop‘ einer Expertokratie, gung durchgeführt werden, weil Alternativen zur offi- werden Zahlenfriedhöfe vorgelegt (NKA, Verkehrs- die sich immer wieder ziellen Planung nur an einem frühen Zeitpunkt noch prognosen). Sie verschleiern mehr, als sie klären. Es selbstrekrutiert“. Ihr fehle „das Sensorium, um neue möglich sind. Zum BVWP 2030 wurde im Jahr 2016 fehlen zum Beispiel Angaben zum Neuverkehr, kon- zivilgesellschaftlichen eine Öffentlichkeitsbeteiligung durchgeführt. Das krete Informationen zu Stauzeiten, zum Durchgangs- Strömungen wahrzunehmen und angemessen darauf zu Ergebnis: 39.000 Eingaben von Bürger*innen und Ver- verkehr bei Ortsumfahrungen, zu den realen Zeitge- reagieren.“ Udo Becker/Oliver bänden erhielten nicht mehr als eine Eingangsbestä- winnen Minuten/Sekunden, den Geschwindigkeiten. Schwedes (2020): Zur Reformbedürftigkeit der tigung und kompostieren heute im BMVI vor sich hin. Diese Vorgehensweise widerspricht allen Grundsätzen Forschungsgesellschaft für Ein Bericht über die Beteiligung des BVMI stellte fest, des Handbuchs für eine gute Bürgerbeteiligung des Straßen- und Verkehrswesen e. V., S. 25. dass die Verwaltungen und ihre Gutachter mit ihren BMVI von 2014. Gute Öffentlichkeitsbeteiligung, die Planungen angeblich immer recht hatten und führte früh Alternativen prüft und Konflikte bereinigt, wie es 12 BMVI: Bericht zur Behörden- und Öffentlichkeitsbeteiligung des Veränderungen einzelner Projekteinstufungen auf, ver- die DB AG in ihren Dialogforen praktiziert, sind auch BVWP 2030, Berlin 2016 mutlich infolge von Verhandlungen mit den Ländern.12 eine Chance für echte Planungsbeschleunigung. Desaster im Dutzend 11
8. Minimiere die gerichtliche Kontrolle mit Hilfe ßenbaumaßnahmen die Strategie des aktuellen gesetzlicher Eingriffe und regiere so mit 9. Senats des BVerwG maßgeblich, jede Diskussion über gerichtlichem Segen durch Verkehrsprognosen abzulehnen. Straßen können damit Politiker von CDU/CSU, FDP und der SPD haben die auch gebaut werden, wenn der Verkehr faktisch und rechtlichen Möglichkeiten der Umweltverbände, gegen in Zukunft stark rückläufig ist. besonders umweltschädliche Straßenprojekte gericht- lich vorzugehen, extrem eingeschränkt. Mit den soge- Den letzten Baustein für die Durchsetzung von nannten Planungsbeschleunigungsgesetzen wurden Straßenprojekten lieferte der Bundestag. Die prozes- seit Anfang der 90er Jahre Gerichtsverfahren und die sualen Chancen von Klägern wurden durch eine Ände- Beteiligungsrechte der Umweltverbände verkürzt. rung des Umweltrechtsbehelfsgesetzes im Jahr 2017 Zudem wurde die Revisionsinstanz, das Bundesverwal- minimiert. Wenn in der Gerichtsverhandlung ein The- tungsgericht (BVerwG), für ca. 100 benannte größere ma für die Beklagten gefährlich wird, können diese Verkehrsinfrastrukturprojekte zur ersten und dann neue Abhilfemaßnahmen wie eine zusätzliche Grün- auch einzigen Gerichtsinstanz erklärt und von einer brücke, Heckenpflanzung oder einen Zaun vorschlagen, Revisions- in eine Tatsacheninstanz umfunktioniert. die sie zuvor weder in der Planung noch in der Öffent- Der für Straßenvorhaben zuständige 9. Senat des lichkeitsbeteiligung angeboten hatten. Ein massiver BVerwG legt die herrschende Rechtsmeinung und - Verstoß gegen die prozessuale Fairness und Waffen- praxis nun im Alleingang fest. gleichheit. Dadurch wird das Bundesverwaltungsge- richt zum Reparaturbetrieb der Fehler der planenden Ein wichtiger Eingriff des BVerwG bestand darin, das Verwaltungen. europäische Naturschutzrecht, das vermeidbare Ein- griffe durch Straßenbau durch ein Tötungsverbot Das Umweltrechtsbehelfsgesetz verbietet seit 2017 geschützter Arten verhindern soll, durch die soge- den Umweltverbänden auch, gegen den Bedarfsplan nannte Signifikanztheorie in Deutschland zu entker- zu klagen. Das Bundesverwaltungsgericht sieht den nen. Dadurch wurde das Risiko für geschützte Indivi- Bedarfsplan – genauer: die Anlage zum 6. Fernstra- duen, durch Kollision mit Kfz umzukommen, pauschal ßenausbauänderungsgesetz vom 23.12.2016 – als die nicht für höher als deren allgemeines Lebensrisiko im allein maßgebliche und nicht zu hinterfragende Naturraum eingestuft. Prüfkriterien wurden dafür Bedarfsfestlegung und Planrechtfertigung für die Stra- nicht entwickelt. Zweitens verzichtet das BVerwG ßenbauprojekte bis zum Jahr 2030. So wird politisches regelmäßig auf die im EU-Naturschutzrecht erforder- Durchregieren möglich, kann praktisch jede Straßen- liche vertiefte Prüfung zumutbarer Alternativen wie baumaßnahme auch gegen Widerstände mit gericht- zum Beispiel Straßenausbau statt Neubau im Falle lichem Segen durchgesetzt werden. erheblicher Beeinträchtigungen von Natura-2000- Gebieten. Stattdessen beruft es sich regelmäßig auf die nicht näher begründete Annahme eines zwingen- den öffentlichen Interesses am Straßenbau, die in den Bedarfsplangesetzen dokumentiert sei. Ein öffentliches Interesse am Naturschutz, ein klassisches „öffentliches Gut“, das in europäischen Gesetzen und der Gebiets- ausweisung dokumentiert ist, sieht das Gericht dage- gen kaum. Drittens ist für die Durchsetzung von Stra- 12 Desaster im Dutzend
Überblickskarte Neubau und Erweiterung von Bundesautobahnen gemäß Bedarfsplan ' b 1 ( 0 $ 5 . 5 ( 3 8 % / , . 1 , ( ' ( 5 3 2 / ( 1 / $ 1 ' ( % ( / * , ( 1 7 6 & + ( & + , 6 & + ( 5 ( 3 8 % / , . / 8 ; ( 0 % 8 5 * ) 5 $ 1 . 5 ( , & + g 6 7 ( 5 5 ( , & + 6 & + : ( , = .QRWHQSXQNWH %HVWDQG 1HW]VFKOXVV 9HUNHKUVIUHLJDEH 9RUGULQJOLFKHU :HLWHUHU %HGDUI .QRWHQSXQNWH 1HXEDX (UZHLWHUXQJ JHSODQW %HGDUI PLW 3ODQXQJVUHFKW 9% :% VWUHLILJ VWUHLILJ VWUHLILJ 9RUDXVVLFKWOLFKH 9HUNHKUVIUHLJDEH VWUHLILJ VWUHLILJ VWUHLILJ JHSODQWH 9RUKDEHQ JHPl %HGDUIVSODQ 9RUKDEHQ PLW EHVRQGHUHP QDWXUVFKXW]IDFKOLFKHQ 3ODQXQJVDXIWUDJ ,Q %DX VLQG LQ GHU .DUWH QLFKW JHVRQGHUW DXVJHZLHVHQ (LQIlUEXQJ VLHKH 'HILQLWLRQ GHU %DXOHLVWXQJHQ XQG 'ULQJOLFKNHLWHQ Abbildung 4: Neubau und Erweiterung von Bundesautobahnen gemäß Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen: 01.01.2019. Quelle: Verkehrsinvestitionsbericht für das Berichtsjahr 2018, S. 169. Desaster im Dutzend 13
Asphalt statt Wald: Die A 49 durch den Dannenröder Wald – Ein Lehrstück für die Durchsetzung eines Autobahnneubaus Die Kampfszenen rund um die Rodung im Dannenröder Wald gingen bundesweit durch die Medien. Der Neubau des Teilstücks der A 49 in Hessen symbolisiert überdeutlich die Folgen des Straßenbaus für die Natur und für das Klima. Deshalb hat sich durch die brutale Durchsetzung der A 49 eine breite Bewegung für einen bundesweiten Stopp des Autobahnneubaus formiert. Doch der Bau wurde auf Bundesebene mit der Regierungsmehrheit von CDU/CSU und SPD beschlossen und er wird fertiggestellt, allen sachlichen Argumenten und den Notwendigkeiten für mehr Klimaschutz und den Schutz der Natur zum Trotz. Die von BUND zusammen mit Bürgerinitiativen entwickelten umweltverträglichen Alternativen durch kleinere Ausbaumaßnahmen und Ortsumfahrungen, wurden dabei dauerhaft ignoriert. Neuental HESSEN in Bau Schwalmstadt Stadtallendorf Neustadt Marburg in Planung © BUND e.V. 2021 Gießen 14 Desaster im Dutzend
Keine verkehrspolitische Notwendigkeit? Egal! durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 40 Kilometer lang ist das Teilstück der A 49 von Neuental 23.6.2020 wurde endgültig der Bau des letzten Abschnitts bis zur A 5 bei Gemünden, das mitten durch den Dan- von Stadtallendorf zur A 5 durch den Dannenröder Wald nenröder Wald führt. Verkehrspolitisch gibt es keinen freigegeben.14 Dem Gericht genügt die Tatsache, dass der Bedarf dafür. Denn parallel verlaufen die A 7 und die A 5, Bundestag den Bau beschlossen hat. Die Umweltfolgen die nicht überlastet sind. Der mögliche Ausbau dieser haben in der gerichtlichen Urteilsfindung keine Relevanz. Alternativstrecken wurde beim letzten Verkehrswegeplan 2016 aus politisch-taktischen Gründen nach hinten Fazit geschoben, um den A 49-Neubau nicht infrage zu stellen. Für die Durchsetzung von Autobahnen wie der A 49 steht Die A 49 verkürzt zwar die Fahrtstrecke von Kassel nach ein System, das Straßenbau verewigt und die Mobilitäts- Gemünden zur A 5 um 20 Kilometer, die Fahrtzeit aber wende verhindert. Straßenbau macht Autofahren attrak- nur um etwa zehn Minuten, gleichzeitig führt sie aber tiver und erzeugt zusätzlichen Verkehr, den sogenannten durch ein bisher wenig belastetes Mittelgebirge. Neuverkehr: Der Zeitgewinn durch neue und ausgebaute Straßen wird in häufigere und längere Fahrten „reinves- Da es keinen verkehrlichen Bedarf gab, wurde dieses A 49- tiert“, der Verkehr und der CO2-Ausstoß nehmen zu. Geht Teilstück bei der Bundesverkehrswegeplanung 2003 vor- es nach Union und SPD, haben Straßenbau und Wachstum sorglich einer ergebnisoffenen Bedarfsüberprüfung ent- des Straßenverkehrs auch künftig Vorrang. Bis 2030 wol- zogen: Wörtlich wurde damals argumentiert: „Wegen des len sie bundesweit noch weitere 850 Autobahnkilometer weit vorangeschrittenen Planungsstandes und der netz- neu bauen. Und Hessen? Das Land hatte beim Bund neben konzeptionellen Wirkung wird dieses Projekt teilweise für der A 49 noch 165 weitere Bundesfernstraßen angemel- den Vordringlichen Bedarf vorgesehen.“13 Auch das hohe det. Nur ein einziges wurde von der großen Koalition Umweltrisiko war bestens bekannt: Diese Strecke wurde abgelehnt mit dem Verdikt: „Kein Bedarf“. 116 hessische mit einem „besonderen naturschutzfachlichen Planungs- Straßenbauprojekte sollen noch vor 2030 umgesetzt wer- auftrag“ belegt, der im weiteren Planungsverfahren abzu- den. Das Land bekommt für diese Ausbaumaßnahmen arbeiten war. Statt diesen Konflikt tatsächlich planerisch über acht Milliarden Euro aus der Bundeskasse, die sie an zu lösen, wurde dieser Planungsauftrag von der ab 2005 die Bauindustrie weiterreichen kann. regierenden Großen Koalition still und heimlich gestrichen. Alternativen? Nein Danke! Zusammen mit Bürgerinitiativen schlug der BUND bereits 2013 eine umweltschonende Alternative vor, mit Orts- umfahrungen, die – anders als Autobahnen – keinen zusätzlichen Verkehr erzeugen. Wir empfahlen lokale Lösungen für lokale Probleme und für eine wirksame Ent- lastung der Orte entlang der Bundesstraße 3, die die neue, weiter entfernte Autobahn nicht erreicht. Obwohl sie europarechtlich vorgeschrieben ist, verweigerte die Lan- desverwaltung, das Bundesverkehrsministerium und die Große Koalition im Bundestag eine Alternativenprüfung generell und setzten den Bau des Teilstücks durch. 13 PRINS Klagen gegen Autobahneubau? Keine Chance. (Projektinformationssystem) des 1994 wurde der Autobahnabschnitt zwischen den BMVI zur A 49. Damit lagen in der Beratungsphase keine Daten Anschlussstellen Borken und Neuental freigegeben. Drei und Bewertungen vor. Abschnitte stehen noch aus. Mehrere Abschnitte wurden vom BUND beklagt. Der von Neuental nach Schwalm- 14 Vgl. Bundesverwaltungsgerichts- stadt, der von Schwalmstadt nach Stadtallendorf Nord urteil vom 23.6.2020: https://www.bverwg.de/230620 und auch der letzte Abschnitt von Stadtallendorf Nord U9A22.19.0 nach Gemünden (zur A 5) ist weiter umstritten. Doch Desaster im Dutzend 15
Die A 20 Küstenautobahn: Ein sieben Milliarden Euro teures ökologisches Desaster Klimaschädlich, naturzerstörend, unwirtschaftlich und ohne Nutzen: Die A 20 ist ein Paradebeispiel für die unverant- wortliche Betonpolitik Deutschlands. Den außergewöhnlich hohen Umweltschäden, dem niedrigen verkehrlichen Nutzen und den explodierenden Kosten zum Trotz, soll der neue Autobahnabschnitt zwischen Bad Segeberg und Westerstede gebaut werden. Dem Bauvorhaben liegen Rechentricks, unrealistische Annahmen und das Ignorieren sinnvoller Alternativen zugrunde. Es widerspricht dem EU-Ziel, Verkehr „from road to sea“ zu verlagern. Für keinen der 15 geplanten Abschnitte liegt ein vollziehbarer Planfeststellungsbeschluss vor. Für den BUND steht fest: Die A 20 darf auf keinen Fall gebaut werden. Nor Ostsd- Bad Segeberg Kanael e- Cuxhaven in Planung SCHLESWIG- HOLSTEIN HAMBURG Elbe Westerstede W Lüneburg es BREMEN er © BUND e.V. 2021 Oldenburg NIEDERSACHSEN Kurzsteckbrief In Betrieb ist die A 20 Küstenautobahn bereits von südlich Stralsund über 200 Kilometer bis Bad Segeberg in Schles- wig-Holstein und hat es als „Pannen-Autobahn“ wegen eingebrochener Fahrbahnen in die Schlagzeilen bundesweiter Medien geschafft. Geplant ist die Weiterführung des seit Jahrzehnten umstrittenen vierspurigen Autobahnneubaus (zzgl. Standstreifen) über 214 weitere Kilometer durch Niedersachsen nach Westen mit einem Tunnel unter der Elbe bis Westerstede in Niedersachsen kurz vor der niederländischen Grenze. Länge: 214 km Kosten (2014): 3,7 Mrd. € Vordringlicher Bedarf Realist. Kosten (2020): 7 Mrd. € Nutzen-Kosten-Verhältnis: 1,9 Neubau 4 Fahrstreifen VFS 0/1*: Ja Kfz/24 h in 2030: 19.000 + Standstr. Umweltbetroffenheit: Raumordn. Bedeutung: Keine städtebaul. Bedeutung „hoch“ „hoch“ *VFS: Verbindungsfunktionsstufe 0 = „kontinental“; I = „großräumlich“; II = „überregional“ 16 Desaster im Dutzend
Explodierende Kosten Mythos „fehlende Hinterlandanbindung“ und „Eng- Das Nutzen-Kosten-Verhältnis (NKV) der A 20 war bereits passbeseitigung“ 2016 mit 1,9 sehr niedrig. 2020 korrigierte die Bundes- Ein Ziel der A 20 ist angeblich die verbesserte Hinterland- regierung die Kosten von ursprünglich 1,9 auf sechs Mil- anbindung der Seehäfen. Doch nur etwa vier Prozent der liarden Euro nach oben.15 Rechnet man noch die Bau- straßengebundenen Verkehre aus den Seehäfen würden kostensteigerungen bis zur Realisierung und den extrem durch sie schneller abgewickelt. Die für die Häfen maß- schwierigen Bauuntergrund mit ein, wird die A 20 min- gebliche Nord-Süd-Achse ist durch die vorhandenen destens sieben Milliarden Euro kosten.16 Damit sinkt das Autobahnen A 29, A 27, A 1 und A 7 ausreichend abge- NKV deutlich unter Eins. Schon aus wirtschaftlichen deckt. Die A 20 würde Güterströme aus den niederländi- Gründen muss die A 20 gestoppt werden. Zudem beruht schen Häfen über Land an den deutschen Seehäfen vor- die Nutzen-Kosten-Analyse auf einer überhöhten Prog- beileiten. nose von 19.000 Kraftfahrzeugen pro 24 Stunden im Jahr Die A 20-Trasse wäre keine Entlastung für die Knoten- 2030. Selbst für diesen Bedarf reicht eine zweispurige punkte Bremen und Hamburg. Sie ist auch keine euro- Bundesstraße gegebenenfalls mit dreispurigen Abschnit- päische Verbindung und zu Recht nicht im Kernnetz der ten (2+1-Lösung) aus. transeuropäischen Verkehrsnetze enthalten. Trotzdem wurde dieser Strecke im BVWP die Verbindungsfunktions- Klima- und Naturkiller stufe 0/1 zugeordnet. Laut Umweltbericht zum BVWP 2030 ist die A 20 dessen Die Raumwirksamkeit der A 20 war ursprünglich als mittel umweltschädlichstes Straßenbauprojekt. Dabei wurde bis gering eingestuft. Durch nachträgliche Änderung der dort der Flächenverbrauch sogar um den Faktor zwei zu Bewertungskriterien wurde sie jedoch auf „hoch“ ange- niedrig angesetzt. In mehreren Klageverfahren hat zudem hoben. das Bundesverwaltungsgericht Verstöße für drei Abschnitte der Autobahn gegen das Wasser- beziehungs- Alternative weise Artenschutzrecht festgestellt. Rund 80 Prozent der Eine Alternative für den Güterverkehr ist bereits vorhan- geplanten Trasse verläuft durch Moore und Marschböden. den: der Wasserweg zwischen den norddeutschen Häfen Deren Fähigkeit, CO2 zu binden, wird zubetoniert. Durch Wilhelmshaven, Bremerhaven und Hamburg. Dieses Aushub und Mineralisierung wird außerdem gebundenes „Short Sea Shipping“ sollte weiter gefördert werden. Für CO2 freigesetzt. Moore sind Lebensraum für zahlreiche eine weitere Verlagerung von der Straße auf die Schiene seltene Tierarten, insbesondere Insekten und angepasste müssen Engpässe im Schienennetz, besonders in den Pflanzenarten wie Torfmoose. Zudem dürfte die A 20 wei- überlasteten Bahnknoten Hamburg und Bremen beseitigt teren Güterverkehr auf die Straße ziehen, anstatt diesen und die Güterstrecken nach Hannover ausgebaut werden. auf Wasserstraßen und Schienen zu verlagern. Der zu Auf der Straße gibt es mit der jüngst ausgebauten A 1 erwartende Neuverkehr auf der A 20 stößt zusätzliche bereits eine leistungsfähige Ost-West-Verbindung. Der 50.000 Tonnen CO2 jährlich aus. Stau im Hamburger Elbtunnel ist ein Engpass, den die geplante A 20 nicht auflösen kann. Bei nachgewiesenem Pannenautobahn Bedarf wäre ein Ausbau bereits vorhandener Bundesstra- Eine Autobahn durch Moorgebiete trifft auf einen Unter- ßen, gegebenenfalls mit Ortsumfahrungen, ausreichend. grund, der in weiten Bereichen nicht tragfähig ist. Der schon bestehende Teil der A 20 in Mecklenburg-Vorpom- Fazit 15 Nach Angaben des mern wurde zur Pannenautobahn: Neben „Brüllbeton“ Der BUND fordert, alle Planungen zum Bau der A 20 zwi- Finanzierungs- und und Blasenwurf im Fahrbahnbelag ist zwischen Tribsees schen Bad-Segeberg und Hamburg sofort zu stoppen. Es Realisierungsplans (FRP) 2021- 2025 der Autobahn-GmbH vom und Bad Sülze die Fahrbahndecke durch Absackung des braucht eine echte Alternativenprüfung unter Berücksich- 17.09.2020 Untergrundes auf rund 100 Meter eingebrochen und seit tigung zukunftsfähiger Transport- und Logistikkonzepte. 2017 nicht mehr befahrbar. Eine Behelfsbrücke wurde 16 Koordinationskreis der errichtet. 2019 wurde bekannt, dass der Untergrund diese Kontaktpersonen Initiativen und Umweltverbände gegen die A 20 (2020): Die auf zwei weiteren Streckenabschnitten absackt und nur Susanne Grube, Mail: susanne.grube@bund-ammerland.de Kosten der Autobahn A 20 noch eingeschränkt befahrbar sind. Volker Sokollek, Mail: volkersokollek@gmail.com Desaster im Dutzend 17
B 96 – Neubrandenburg – Oranienburg: Acht Ortsumfahrungen als Schnellstraße zwischen zwei Autobahnen Offizieller Grund für die Aufnahme der B 96 in den 20 Bedarfsplan 2016 war die bessere Verbindung zwischen der Metropolregion Berlin und Neubrandenburg sowie zwischen Berlin und Stralsund an der Ostsee. Acht Orts- umfahrungen sollen zwei-, drei- und vierspurig in einer in Planung Länge von 47 Kilometer neu gebaut werden. Zwischen Neubrandenburg den Ortsumfahrungen sollen weitere 48 Kilometer aus- Warlin gebaut werden, zum größten Teil dreispurig. Häufig wer- den dabei die drei neuen Spuren parallel zur alten Fahr- bahn gebaut. Auf der B96 soll man mit einer in Planung Durchschnittsgeschwindigkeit von 80 km/h fahren kön- in Planung Usadel nen. Damit werden umfangreiche Neubaumaßnahmen mit massiven ökologischen Eingriffen nötig. Dieser Weisdin © BUND e.V. 2021 Neustrelitz umfangreiche Ausbau der B 96 für den Fernverkehr ist überflüssig, weil bereits zwei Autobahnen zwischen Berlin und der Ostsee existieren. In Fürstenberg wird die Notwendigkeit einer Entlastung vom Durchgangsverkehr nicht bestritten. Die beim Bau der Ortsumfahrung vorgesehene Zerschneidung des in Planung Fürstenberg Naturpark Stechlin/Ruppiner Land widerspricht allerdings an der Havel allen Grundsätzen zur Erhaltung unzerschnittenen Räume. 96 in Planung Altlüdersdorf Gransee in Planung Löwenberg Teschendorf Nassenheide 24 Oranienburg 10 Kurzsteckbrief Länge: 95 km Kosten (2014): 408 Mio. EUR Vordringlicher Bedarf davon 47 km im BVWP davon 183 Mio. EUR im BVWP NKV Ortsumfahrungen: 4,0–4,6 NKV Gesamtprojekt: 2,8 Neubau 2/3/4 Fahrstreifen VFS 0/1*: Ja Kfz/24 h in 2030: 10.000 Umweltbetroffenheit: Raumordn. Bedeutung: „hoch“ Städtebaul. Bedeutung: „hoch“ (nach Korrektur der Bewertung) „nicht bewertungsrelevant“ *VFS: Verbindungsfunktionsstufe 0 = „kontinental“; I = „großräumlich“; II = „überregional“ 18 Desaster im Dutzend
Bundesstraßenkonkurrenz zu Autobahnen? Erreichen einer Durchschnittsgeschwindigkeit von Die „Fernstraße 96“ verbindet Berlin mit dem Ober- 60 km/h verlangen, wodurch ganz erheblich geringere zentrum Neubrandenburg in Mecklenburg-Vorpommern. Ausbaumaßnahmen erforderlich wären und die Land- Seit 1978 verbinden die Autobahn A 19 und A 24 west- schaft viel weniger beeinträchtigt würde. lich der B 96 und seit 2005 die A 11 und A 20 östlich der B 96 Berlin mit der Ostsee, nämlich Rostock und Stral- Der Konflikt um Fürstenberg sund. Die Raumwirksamkeitsanalyse zum Bundesver- Die Notwendigkeit einer Entlastung der Ortsdurchfahrt kehrswegeplan bewertete deshalb die bestehende Ver- von Fürstenberg im Zuge der B 96 wird nicht bestritten. bindungen Berlin–Neubrandenburg und Berlin–Ostsee Das vom Landesbetrieb Straßenwesen geplante Projekt als „gut“. Die „Verbesserung der Verbindung zwischen der sieht den Bau einer weiträumigen Westumfahrung vor Metropolenregion Berlin und den Oberzentren Neubran- mit einer 9,5 Kilometer langen Schneise durch den Natur- denburg und Stralsund in Mecklenburg-Vorpommern“ park Stechlin/Ruppiner Land. Er würde zu einer Fällung wurde dennoch als offizielles Planungsziel für den Neu- von ca. 20 Hektar Wald führen. Die Havel mit ihrem natio- bau der B 96 genannt zusammen mit der Verbesserung nal bedeutsamen Lebensraumkorridor für Feuchtlebens- der „Ortsverträglichkeit“. räume müsste gequert, mehrere ökologisch wertvolle Derzeit benutzen täglich zwischen 6.000 Kfz bei Fürs- Lebensräume, auch für Großsäuger, ein bisher unzer- tenberg und 14.000 Kfz bei Nassenheide die B 96 in schnittener, verkehrsarmer Raum zerschnitten werden. Brandenburg. Auch nach Fertigstellung wird die B 96 Der BUND schlägt eine innerstädtische Trasse in Bünde- kaum zusätzlichen Fernverkehr aufnehmen, weil die lung mit der Bahn vor. Das wäre nicht nur landschafts- parallelen Autobahnen die schnelleren Strecken zur Ost- schonend, sondern würde die heutige durch die Stadt- see bleiben. Daher ist der geplante Ausbau der B 96 deut- mitte führende B 96 wesentlich stärker entlasten als eine lich überdimensioniert. Umfahrung mit sehr großem Umweg. Die B 96 soll direkt neben der Bahn liegen und in einem Tunnel die Havel Nur die Hälfte der Ausbaustrecke im Bedarfsplan queren. Im Bundesverkehrswegeplan und im Bedarfsgesetz sind nur die geplanten acht Ortsumfahrungen (Usadel, Weis- Alternative din, Fürstenberg, Altlüdersdorf, Gransee, Löwenberg, Die B 96 ist als Verbindungsfunktionsstufe II statt VFS I Teschendorf und Nassenheide) mit einer Länge von einzustufen. Dadurch wird die zu erreichende Durch- 47 Kilometer und Kosten von 184 Millionen EUR dekla- schnittsgeschwindigkeit von 80 km/h auf 60 km/h redu- riert. Zusätzlich wird aber der Ausbau der zwischen den ziert. Maximal dreistreifige Ausbauten mit wechselnden Ortsumfahrungen gelegenen Strecken auf einer Länge Überholstreifen auf der vorhandenen Strecke genügen, von 48 Kilometer mit Kosten von 225 Millionen EUR statt wie bisher geplant, dreispurigen Strecken neben geplant. Diese „Ausbau“strecken sollen häufig als drei- der alten Straße neu zu bauen. Verträgliche und bedarfs- spurige Straße „neu“gebaut werden. 15 Kilometer sollen gerechte Ortsumfahrungen bei nachgewiesenem Bedarf. vierspurig, 53 Kilometer dreispurig und 27 Kilometer Den gibt es nicht in Weisdin und Usadel. Die Lösungen zweispurig aus- bzw. neugebaut werden. sind unter intensiver Einbeziehung und im Dialog mit den Bürger*innen und Stakeholdern zu erarbeiten. Bahn- Straßenrichtlinien gegen Umwelt verbesserungen: Anschluss des Oberzentrums Neubran- Die B 96 wurde von den BMVI als „großräumliche“ Ver- denburg an das IC/ICE-Netz, IC-Halt in Fürstenberg, bindung eingestuft (VFS I). Daraus resultierte die über- Halbstundentakt auf dem Regionalexpress RE 5. dimensionierte Planung, weil für diese Kategorie eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 80 km/h erreicht und Kontaktpersonen sie als Kraftfahrstraße ausgewiesen werden muss. Lang- Bernhard Hoffmann, Mail: bernhard.hoffmann@berlin.de samverkehre müssen die alte B 96 oder neuzubauende Annett Beitz, Mail: annett.beitz@bund.net kleine Straßen nutzen. Um diese Durchschnitts- geschwindigkeit zu erreichen, ist der dreispurige Ausbau großer Strecken und die Streichung zahlreicher Zufahr- ten erforderlich. Die tatsächliche Funktion der B96 besteht dagegen in der Verbindung der Mittelzentren Neustrelitz und Gran- see mit Berlin und Neubrandenburg. Die B 96 hat damit höchstens eine überregionale Bedeutung als Verbindung der Stufe II. Eine Einstufung als VfS II würde nur das Desaster im Dutzend 19
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