Power-2-Heat IMPULS Erdgaseinsparung und Klimaschutz in der Industrie - Agora Energiewende
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Power-2-Heat IMPRESSUM IMPULS DANKSAGUNG Power-2-Heat: Erdgaseinsparung und Dieses Projekt wurde im Austausch mit Betei- Klimaschutz in der Industrie ligten aus Wirtschaft und Wissenschaft erar- beitet. Mit dieser Publikation danken wir allen Beteiligten für ihre Unterstützung, ihre fachliche ERSTELLT VON Expertise und für konstruktive Diskussionen. Die Schlussfolgerungen und Ergebnisse dieser Studie Agora Industrie spiegeln dabei nicht notwendigerweise die Posi- Anna-Louisa-Karsch-Straße 2 | 10178 Berlin tionen der Beteiligten wider. Die Verantwortung T +49 (0)30 700 14 35-000 für die Ergebnisse liegt bei Agora Industrie und F +49 (0)30 700 14 35-129 FutureCamp. www.agora-industrie.de info@agora-industrie.de Für die tatkräftige Unterstützung bei der Erstel- lung dieser Publikation bedanken wir uns bei unseren Kolleginnen und Kollegen, insbesondere PROJEKTPARTNER bei Frank Peter, Simon Müller, Ada Rühring, Urs Karcher, Anja Werner, Oliver Sartor, Utz Tillmann, FutureCamp Climate GmbH Olaf Malden, Nina Zetsche, Helen Burmeister, www.future-camp.de Mareike Herrndorff, Alexandra Langenheld, munich@future-camp.de Thorsten Lenck, Uta Weiß, Matthias Deutsch, Jahel Mielke, Janne Görlach (alle Agora Energiewende); Dietmar Schüwer, Alexander PROJEKTLEITUNG Jülich, Alexander Scholz (alle Wuppertal Institut). Paul Münnich Paul.Muennich@agora-energiewende.de AUTORINNEN UND AUTOREN Unter diesem Scan-Code steht diese Publikation als PDF zum Paul Münnich, Julia Metz, Download zur Verfügung. Philipp D. Hauser (alle Agora Industrie); Andreas Kohn, Thomas Mühlpointner (FutureCamp) Satz: Urs Karcher Korrektorat: Infotext GbR Bitte zitieren als: Titelbild: DIPA | iStock Agora Industrie, FutureCamp (2022): Power-2-Heat: Erdgaseinsparung und Klimaschutz in der Industrie 269/05-I-2022/DE Version: 1.0, September 2022 www.agora-industrie.de
Vorwort Liebe Leserin, lieber Leser, Durch eine Umstellung der Wärmeerzeugung auf strombasierte Verfahren sinken sowohl der Erdgas- der Angriff Russlands auf die Ukraine hat die verbrauch als auch die Treibhausgasemissionen in Notwendigkeit, den Verbrauch fossiler Energien der Industrie deutlich. Zudem unterstützen diese und insbesondere von Erdgas schnell zu reduzieren, Verfahren durch die Möglichkeit eines flexiblen deutlich verschärft. Neben kurzfristigen Sparmaß- Betriebs die Integration Erneuerbarer Energien. nahmen als Reaktion auf die Energiekrise muss ein Fokus darauf gelegt werden, dass der Erdgasver- Um den Markthochlauf dieser Verfahren durch brauch der Industrie strukturell sinkt. eine Kombination von Fördern und Fordern zu ermöglichen, muss eine Reihe regulatorischer Im Kontext des REPowerEU-Plans der EU-Kommis- Hemmnisse beseitigt werden. In unserer Studie sion ist die Industrie dazu angehalten, ihren Erdgas- zeigen wir, wie dies gelingen kann. verbrauch bis zum Jahr 2030 in etwa zu halbieren. Das Bundes-Klimaschutzgesetz erfordert eine Ich wünsche eine angenehme Lektüre! Minderung der industriellen Treibhausgasemissionen um rund ein Drittel bis zum Jahr 2030. Ihr Frank Peter, Direktor, Agora Industrie Diese Studie zeigt auf, welche Potenziale der Elektrifizierung (Power-2-Heat) der industriellen Prozesswärme bis 500 Grad Celsius etwa in der Papier-, Lebensmittel- oder Kunststoffindustrie bestehen, um diese Ziele zu erreichen. Ergebnisse auf einen Blick: Eine zügige industrielle Wärmewende trägt zum Klimaschutz bei und ist notwendig, um den deutschen Beitrag zur Minderung des Erdgasverbrauchs im Rahmen des REPowerEU zu erfüllen. Bis 2030 können Industriestandorte in Deutschland 90 TWh Erdgas durch die 1 Elektrifizierung industrieller Prozesswärme einsparen. Das entspricht bis zu drei Viertel der in der Industrie notwendigen Einsparung gemäß REPowerEU-Plan und mindert 12,5 Millionen Tonnen CO₂ – 18 Prozent des deutschen Sektorziels für die Industrie. Der Einsatz von Wärmepumpen und Elektrodenkesseln in der Industrie muss im Einklang mit der Dekarbonisierung des Stromsektors erfolgen. Ein flexibler Stromverbrauch hilft, 2 hohe Anteile Erneuerbarer Energien zu integrieren und deren volatile Erzeugung besser zu nutzen. Diese Flexibilität ermöglicht es, die Zielvorgabe der Bundesregierung von 80 Prozent Erneuerbaren bis 2030 effizient zu erreichen. Durch den Abbau regulatorischer Hemmnisse und Fehlanreize wird Elektrifizierung attraktiver und Flexibilität ermöglicht. Um Verbrauchsflexibilitäten anzureizen, muss die 3 Einführung zeitlich differenzierter Netzentgelte politische Priorität werden. Ebenso muss die Privilegierung erdgasbasierter Technologien gegenüber direktelektrischen Anwendungen beendet werden. Im Energiesicherungsgesetz sollte das Jahr 2035 für einen Ausstieg aus fossilen Energieträgern für Prozesswärme bis 500 Grad verankert werden. Ein Sonderförderprogramm 4 kann die Kostenlücke bei strombasierten Technologien schließen und ein gesetzlicher Zero- Carbon-Standard für Neuinvestitionen schafft Planungs- und Investitionssicherheit. 3
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Inhalt 1 Executive Summary 7 2 Industrielle Prozesswärme: Status quo und Strategien zur Transformation 11 2.1 Effizienz: Verbesserte Abwärmenutzung 13 2.2 Erneuerbare Wärme: Schlüsseltechnologien für die Industrie 13 2.3 Flexibilitäten: Direkte Elektrifizierung im klimaneutralen Stromsystem 16 2.4 Synergien zwischen elektrifizierter flexibler Wärme und direkten Investitionen in Erneuerbare Energien 18 3 Technologieoptionen zur direkten Elektrifizierung 21 3.1 Technische Beschreibung von Elektrodenkesseln 21 3.2 Technische Beschreibung von Wärmepumpen 22 3.3 Ökologische Prinzipien für den Betrieb von Elektrodenkesseln und Wärmepumpen 24 3.4 Wirtschaftlichkeit von Elektrodenkesseln: Die Netzentgeltstruktur als zentraler Schlüssel 26 3.5 Wirtschaftlichkeit von Wärmepumpen: Reduktion von Kapitalkosten und fossilen Subventionen als Weichensteller 29 3.6 Marktpotenzial von Wärmepumpen 32 4 Markthochlauf-Szenario: Potenziale zur Erdgas- und zur Treibhausgasminderung 35 5 Handlungsempfehlungen 41 5.1 Bestehende Regulierung und Fehlanreize 41 5.2 Ein Maßnahmenpaket für den Markthochlauf 42 Literaturverzeichnis47 5
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IMPULS | Power-2-Heat: Erdgaseinsparung und Klimaschutz in der Industrie 1 Executive Summary Der Angriff Russlands auf die Ukraine hat aus Energieversorgung entfallen etwa zwei Drittel der energiepolitischer Sicht die große Abhängigkeit industriellen Treibhausgasemissionen. Deutschlands von russischen Energieimporten verdeutlicht. Die stark reduzierten Erdgas-Lieferun- Eine rasche Wärmewende ist daher zentral, um den gen erfordern rasche Einsparmaßnahmen, aber auch Erdgasverbrauch und die Treibhausgasemissionen strukturelle Veränderungen in unserer Energiever- kurz- bis mittelfristig substanziell zu verringern. Ins- sorgung. Die Industrie ist hierbei besonders unter besondere für den Temperaturbereich unterhalb von Druck: Mit einem Verbrauch von zuletzt 245 TWh LHV 500 Grad Celsius, auf den knapp die Hälfte des indus- nutzt die Industrie knapp 30 Prozent des in Deutsch- triellen Wärmebedarfs entfällt, sind verschiedene land verbrauchten Erdgases. Davon werden effiziente Verfahren verfügbar. 209 TWh LHV rein energetisch zur Produktion von Prozesswärme genutzt – in einigen Fällen in Dampf- Häufig steht Wasserstoff auf Basis von erneuerbarem kesseln, meist jedoch in KWK-Anlagen, die einen Teil Strom im Fokus politischer Diskussionen zur Dekar- dieser Prozesswärme in Strom umwandeln. Die bonisierung der Industrie. Was dabei übersehen wird: verbleibenden 36 TWh LHV werden stofflich zur Erneuerbarer Strom ist knapp und muss daher Produktion von Ammoniak, Methanol und in Raffi- möglichst effizient eingesetzt werden. Die Herstel- nerien genutzt (Agora Energiewende 2022b). lung von Wasserstoff ist sehr stromintensiv, weshalb Wasserstoff auf absehbare Zeit knapp und teuer sein Der von der EU-Kommission am 18. Mai 2022 wird – deshalb ist es wichtig, die Nutzung von vorgestellte REPowerEU-Plan zielt darauf ab, die Wasserstoff in der Industrie auf stoffliche Anwen- Abhängigkeit von fossilen Energieimporten aus dungen zu fokussieren. Ähnliche Prinzipien gelten Russland schnell zu verringern. In besonderem für die Nutzung von Biomasse, welche nur begrenzt Umfang betrifft das Erdgaseinsparungen in der zur Verfügung steht und primär der höherwertigen Industrie, die europaweit bis zuletzt 108 Milliarden stofflichen Nutzung zugeführt werden muss. Ziel Kubikmeter Erdgas (1060 TWh LHV) verbraucht hat: muss sein, Nutzungskonkurrenzen gering zu halten zusätzlich zu den in Fit for 55 vorgesehenen 8 Milli- und Technologieoptionen zu stärken, die aus System- arden Kubikmeter (81 TWh LHV) sollen mit dem Plan sicht geeignet sind. Bei der Wärmeproduktion gibt es europaweit weitere 35 Milliarden Kubikmeter insbesondere für die unteren Temperaturbereiche bis (342 TWh LHV) bis zum Jahr 2030 eingespart werden. 500 Grad Celsius effizientere und ressourcenscho- nendere Optionen, die der Nutzung alternativer Prozesswärme wird in der Industrie an vielen Stellen Brennstoffe vorzuziehen sind. gebraucht, zum Beispiel bei Trocknungsprozessen in der Papier- und Lebensmittelbranche oder für Sämtliche Klimaneutralitätsszenarien sehen in der Prozessdampf, der für die Produktion von Kunststof- direkten Elektrifizierung industrieller Prozesswärme fen benötigt wird. Neben Erdgas werden auch noch eine zentrale Strategie zur Dekarbonisierung der große Mengen anderer fossiler Energieträger, wie Industrie (Prognos et al. 2022). Ein großes Potential Kohle oder Heizöl für die Bereitstellung von Prozess- bei niedrigen Temperaturen wird außerdem erneuer- wärme genutzt. Insgesamt werden für die Bereitstel- baren Wärmequellen wie (Tiefen-) Geothermie und lung von Prozesswärme 510 TWh benötigt, was (konzentrierender) Solarthermie beigemessen 22 Prozent des deutschen Endenergieverbrauchs (IN4climate.NRW 2021, Fraunhofer & Helmholtz entspricht (BMWK 2022). Auf diese Prozesse zur 2022). Vor dem Hintergrund des ambitionierten Ziels 7
Agora Industrie | Power-2-Heat: Erdgaseinsparung und Klimaschutz in der Industrie der Bundesregierung für den Ausbau der Erneuerba- 2021). Der Ersatz von erdgasbasierten KWK-Anla- ren Energien hat die Integration der volatilen Erzeu- gen oder Dampfkesseln durch Wärmepumpen und gung erneuerbaren Stroms eine besondere Rolle. Da Elektrodenkessel zur Erzeugung von industrieller die Elektrifizierung der Nachfrageseite hierfür Prozesswärme im Temperaturbereich bis 500 Grad zentral ist, fokussiert sich diese Studie darauf, wie Celsius kann bis zum Jahr 2030 insgesamt circa Synergien zwischen der Dekarbonisierung der 12,5 Millionen Tonnen CO2-Äq einsparen. Das Industriewärme und des Stromsektors geschaffen entspricht in etwa 18 Prozent der notwendigen werden können. 68 Millionen Tonnen THG-Einsparungen, um das Klimaschutzziel des Industriesektors für das Jahr Unsere Studie zeigt: Die direkte Nutzung von Strom 2030 zu erreichen. zur Erzeugung von Prozesswärme in der Industrie hat einen dreifach positiven Effekt auf zentrale klima- 2. Erdgaseinsparung: Der Einsatz von Wärmepum- und energiepolitische Ziele: 1) Sie trägt zur schnellen pen und Elektrodenkesseln zur Erzeugung von Reduktion der Treibhausgasemissionen und zum industrieller Prozesswärme kann einen zentralen Erreichen der Klimaneutralität 2045 bei. 2) Sie spart Beitrag zur Erreichung der REPowerEU-Ziele bis Erdgas und andere fossile Energieträger und hilft 2030 leisten und hilft, die strukturelle Abhängig- damit, die strukturelle Abhängigkeit von russischen keit von russischen Gasimporten zu beenden Gasimporten zu beenden. 3) Durch eine Flexibilisie- Durch den Einsatz von Wärmepumpen und rung des Stromverbrauchs unterstützt sie den Ausbau Elektrodenkesseln zur Erzeugung von industrieller und die Integration von Erneuerbaren Energien und Prozesswärme können in Deutschland bis zum Jahr damit den Aufbau eines vollständig erneuerbaren 2030 insgesamt etwa 9,5 Milliarden Kubikmeter Energiesystems. (90 TWh LHV) Erdgas eingespart werden. Zusammen mit der stofflichen – und bei hohen Temperaturen 1. Klimazielerreichung: Durch eine Elektrifizierung auch energetischen – Nutzung von erneuerbarem ihrer Prozesswärme kommt die Industrie ihren Wasserstoff und anderen innovativen Anwendun- Klimazielen einen substanziellen Schritt näher. gen kann die deutsche Industrie ihren Erdgasver- Laut Bundes-Klimaschutzgesetz soll Deutschland brauch bis 2030 halbieren und so einen wichtigen in spätestens 22 Jahren klimaneutral sein. Der Beitrag zur europäischen Energieautonomie Industriesektor ist nach der Energiewirtschaft der leisten. Sektor mit den zweithöchsten Treibhausgasemis- sionen. Im Jahr 2021 ist er mit 181 Millionen 3. Flexibilisierung: Wärmepumpen und Elektroden- Tonnen CO2-Äq knapp unter seiner im Bundes- kessel können ihren Stromverbrauch flexibilisie- Klimaschutzgesetz festgeschriebenen Jahresemis- ren. Flexible Stromverbraucher sind von zentraler sionsmenge von 182 Millionen Tonnen CO2-Äq Bedeutung für hohe Erneuerbaren-Anteile im geblieben. Zuletzt sind die Emissionen – auch Stromsystem und damit wichtig für das Ziel der infolge der wirtschaftlichen Erholung nach dem Bundesregierung, bis zum Jahr 2030 mindestens pandemiebedingten Lockdown – stark gestiegen. 80 Prozent des Bruttostromverbrauchs aus Erneu- Wie sich die Treibhausgasemissionen kurzfristig erbaren Energien zu beziehen. In Zeiten besonders infolge der aktuellen Energiekrise entwickeln großer Stromeinspeisung durch Windkraft und werden, ist noch ungewiss. Klar ist jedoch, dass Solarenergie können flexible Verbraucher zusätzli- strukturelle Maßnahmen ergriffen werden müssen, che Lasten mobilisieren. In Zeiten besonders damit die im Projektionsbericht 2021 prognosti- geringer Stromproduktion durch die Erneuerbaren zierten jährlichen Zielüberschreitungen im Indust- können flexible Verbrauchseinrichtungen Lasten riesektor ab 2023 nicht eintreten (Bundesregierung reduzieren. Diese Verbraucher können so die 8
IMPULS | Power-2-Heat: Erdgaseinsparung und Klimaschutz in der Industrie volatile Erneuerbaren-Erzeugung auf der Ver- Erneuerbaren besonders hoch ist. Ein flexibler und brauchsseite variabel „nachfahren“. Dadurch somit marktdienlicher Stromverbrauch ist jedoch mit werden die Produktion der Erneuerbaren und auch niedrigen Volllaststunden verbunden, was bei der die Strompreise abgesichert. Insgesamt senken geltenden Regelung allerdings zu hohen Netzentgel- flexible Verbraucher so effektiv Kosten im Erneu- ten führt. Damit ist die systemdienliche Elektrifizie- erbare-Energien-Gesetz (EEG) und verringern den rung im Vergleich zum Grundlastbetrieb einer Bedarf für zusätzliche Stromspeicher. KWK-Anlage aus betriebswirtschaftlicher Perspek- tive bislang uninteressant. Um diese positiven Effekte einer zügigen Transfor- mation der industriellen Prozesswärme zu ermögli- Im Gegensatz zu Elektrodenkesseln können Wärme- chen und damit Wärmepumpen und Elektrodenkessel pumpen durch die effiziente Nutzung von Ab- und schnell zum neuen Standard der Wärmeerzeugung in Umweltwärme auch heute schon im Grundlastbetrieb der Industrie werden, muss die Politik ein Maßnah- Kosten und Emissionen senken. Der Nachteil dieser menpaket aufsetzen. Im Energiesicherungsgesetz Anlagen sind allerdings die hohen Investitionskosten. sollte das Ziel verankert werden, dass alle Prozesse Um dennoch erste Projekte anzuregen und die zur Herstellung industrieller Prozesswärme bis positiven Effekte eines raschen Markthochlaufs zu 500 Grad bis zum Jahr 2035 fossilfrei sind. Hierdurch mobilisieren, muss ein befristetes Sonderförderpro- kann die notwendige Erdgasreduktion im Industrie- gramm aufgesetzt werden. Um die Wärmewende in bereich zur Erreichung der REPowerEU-Ziele der Breite der Industrie zu ermöglichen, müssen der sichergestellt und Deutschland seiner Verantwortung Hochlauf der Liefer- und Installationskapazitäten, zur Reduktion der Abhängigkeit von russischen der schnelle Ausbau der Erneuerbaren sowie der Gasimporten im europäischen Kontext gerecht Zugang zu notwendiger Netzinfrastruktur sicherge- werden. stellt werden. Zur Erreichung dieses Ziels müssen zum einen Schließlich ist die gesetzliche Einführung eines bestehende Fehlanreize durch kostenfreie Zuteilun- Zero-Carbon-Standards für Neuinvestitionen in der gen im EU-ETS und eine Reihe von Subventionstat- Prozesswärme bis 500 Grad Celsius unabdingbar, um beständen zugunsten fossiler Anlagen abgebaut Planungs- und Investitionssicherheit zu schaffen. werden. Zum anderen müssen durch eine Kombina- Gerade in den Temperaturbereichen, für die es heute tion von Fördern und Fordern vor allem erste Investi- schon marktgängige CO₂-freie technologische tionen unterstützt und durch Standards klare Orien- Lösungen gibt, sollte es einen gesetzlichen Standard tierung gegeben werden. für alle Neuinvestitionen geben. Das schafft Pla- nungssicherheit bei industriellen Anwendern und bei Darüber hinaus ist die Reform der Netzkostenalloka- Anlagenherstellern und vermeidet Fehlinvestitionen tion ein zentrales Element, um eine Elektrifizierung in fossile Strukturen. und die Flexibilität im Verbrauch anzureizen und muss zur politischen Priorität dieser Legislaturperi- ode werden. Denn die Vereinbarkeit von Wirtschaft- lichkeit und Flexibilität beim Stromverbrauch wird derzeit vor allem durch die geltende Netzkostenallo- kation ausgebremst, welche einen flexiblen Strom- verbrauch bestraft. Insbesondere Elektrodenkessel eignen sich, um günstige Strompreise zu nutzen, welche dann auftreten, wenn die Einspeisung der 9
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IMPULS | Power-2-Heat: Erdgaseinsparung und Klimaschutz in der Industrie 2 Industrielle Prozesswärme: Status quo und Strategien zur Transformation Die Bereitstellung von Prozesswärme hatte im Jahr Eine solche Elektrifizierung der Prozesswärme – weg 2020 einen Anteil von 22 Prozent am gesamtdeut- von Erdgas und anderen fossilen Energieträgern und schen Endenergieverbrauch. Zu 41 Prozent wurde hin zu erneuerbaren, strombasierten Technologien – diese Prozesswärme mit Erdgas produziert (BMWK ist dringend erforderlich, um den Gasverbrauch zu 2022). In der Industrie kommen dafür häufig Gaskes- senken und gleichzeitig die deutschen Klimaschutz- sel zum Einsatz - in der Regel werden aber Anlagen ziele gemäß dem Bundes-Klimaschutzgesetz errei- zur Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) genutzt, die einen chen zu können. Die energetische Nutzung von Teil der Wärme in Strom umwandeln. Auch Kohle Erdgas in der Industrie zur Bereitstellung von Wärme spielt mit 20 Prozent eine wichtige Rolle. Mineralöle und Strom hat im Jahr 2020 mit 211 TWh LHV einen mit 4 Prozent sind weniger bedeutend, könnten aber Anteil von 24 Prozent am Erdgasverbrauch in in der herrschenden Energiekrise wieder verstärkt Deutschland ausgemacht. Der REPowerEU-Plan der zum Einsatz kommen. Strom ist mit 16 Prozent bereits EU-Kommission sieht für die Industrie auf europäi- eine relevante Energiequelle, doch kann seine Rolle scher Ebene eine Minderung des Erdgasverbrauchs für die Produktion von Prozesswärme noch deutlich um 35 Milliarden Kubikmeter (342 TWh LHV) vor, was ausgebaut werden (vgl. Abb. 1). in etwa einer Reduktion von 41 Prozent entspricht. Die Rolle von Prozesswärme im deutschen Energiesystem und ihr Anteil am deutschen Erdgasverbrauch Abbildung 1 Anteil der Anwendungsbereiche Endenergieverbrauch Primärenergieverbrauch Erdgas am Endenergieverbrauch (2020) Prozesswärme (2020) (2020) insgesamt 871 TWh 4% 4% 42 % 6% 22 % 20 % 41 % (510 TWh) 76 % 24 % (211 TWh) 3% 9% 6% 28 % 16 % Prozesswärme Mineralöl Kohle energetische Nutzung in der Industrie Wärmwasser Erdgas Erneuerbare Sonstige Raumwärme Strom Sonstige Kälteanwendungen Fernwärme Sonstige BMWK (2022), Agora Energiewende (2022a) 11
Agora Industrie | Power-2-Heat: Erdgaseinsparung und Klimaschutz in der Industrie Damit Deutschland seinen Anteil zur Zielerreichung industriellen Lebensmittelherstellung oder zur Trock- beitragen kann, sind grundlegende strukturelle nung von Papier. Insgesamt liegen etwa 37 Prozent Veränderungen der industriellen Energieversorgung des Wärmebedarfs bei unter 200 Grad Celsius. nötig. Eine rasche Wärmewende in der Industrie ist Wärme bei 200 bis 500 Grad Celsius macht knapp dafür eine Voraussetzung. 10 Prozent des Bedarfs in der Industrie aus. Insbe- sondere für diese geringen und mittleren Temperatu- Für die Wahl geeigneter Transformationsstrategien ren bieten Wärmepumpen und Elektrodenkessel und technologischer Lösungen ist die Temperatur der effiziente und marktreife Technologieoptionen. benötigten Prozesswärme entscheidend. Wie in Abbildung 2 dargestellt, benötigt die Industrie Geeignete Transformationsstrategien und technolo- Prozesswärme auf unterschiedlichen Temperaturni- gische Lösungen zur Dekarbonisierung der Prozess- veaus. Insbesondere bei der Stahlherstellung und in wärme lassen sich grundsätzlich in zwei Bereiche anderen metallurgischen Prozessen, aber beispiels- unterteilen. Erstens: Maßnahmen zur Energieeinspa- weise auch bei der Glasproduktion, werden hohe rung und -effizienz durch verstärkte Abwärmenut- Temperaturen von über 500 Grad Celsius benötigt. zung (Efficiency first). Dieser Grundsatz trifft auf Auch in der chemischen Industrie wird Hochtempe- sämtliche Temperaturbereiche zu. Zweitens: Maß- raturwärme beispielsweise zur Aufspaltung chemi- nahmen zur Umstellung der energetischen Basis scher Moleküle (cracken) benötigt. beispielsweise auf strombasierte Technologien (Energie- beziehungsweise Wärmewende). Die Wärme bis 200 Grad Celsius wird insbesondere in der geeigneten technologischen Lösungen und Transfor- Lebensmittelindustrie, im Papiergewerbe und in der mationspfade können sich je nach Temperaturbereich chemischen Industrie eingesetzt. Dazu gehören unterscheiden. Prozesse zum Erhitzen, Einkochen oder Backen in der Endenergieverbrauch zur Erzeugung industrieller Prozesswärme nach Temperaturniveau Abbildung 2 > 500 °C 200–500 °C 100–200 °C < 100 °C 0 50 100 150 200 250 300 [TWh] Grundstoffchemie sonstige chemische Industrie Ernährung und Tabak Metalle, Maschinen- und Fahrzeugbau Papiergewerbe andere Fraunhofer ISI (2016), Werte entnommen aus UBA (2017) 12
IMPULS | Power-2-Heat: Erdgaseinsparung und Klimaschutz in der Industrie 2.1 Effizienz: Verbesserte 2.2 E rneuerbare Wärme: Schlüssel Abwärmenutzung technologien für die Industrie Oberste Priorität für die Wärmewende hat das Prinzip Für die Dekarbonisierung der Prozesswärme steht Efficiency first, also die Minderung des Primärener- eine Reihe möglicher Ansätze und Technologien zur giebedarfs. Je weniger Energie verbraucht wird, desto Verfügung. Eine langfristig nachhaltige, wirtschaftli- weniger muss mithilfe Erneuerbarer Energien und che und damit erfolgreiche Wärmewende hat unter Elektrifizierung dekarbonisiert werden. Seit jeher Berücksichtigung limitierter Ressourcen und künfti- wird ein großer Anteil der in der Industrie anfallen- ger Nutzungskonkurrenzen zu erfolgen. Passgenaue den Abwärme genutzt. Überall dort, wo Prozesse bei und möglichst energie- und ressourceneffiziente hohen Temperaturen ablaufen, fällt auch Abwärme Lösungen stehen im Fokus. an. Diese Abwärme kann für die Wärmeversorgung von Prozessen genutzt werden, die bei geringeren Nutzung alternativer Brennstoffe Temperaturen ablaufen. Diese sogenannte Wärme- Eine naheliegende Option zum Ersatz fossiler Ver- oder Energieintegration kann durch den Einsatz von brennungsprozesse zur Wärmeerzeugung ist die Wärmepumpen noch einmal verbessert werden, was Nutzung alternativer Brennstoffe. Die Verbrennung die Energieeffizienz erhöht. Wärmepumpen heben von Kunststoffabfällen oder Biomasse erfordert im das Temperaturniveau von Abwärme an und machen Vergleich zu konventionell genutzten erdgasbasierten so die Abwärme besser nutzbar.1 Auf diese Weise Prozessen nur geringe Anpassungen in der techni- ermöglichen Wärmepumpen das Upcycling von schen Umsetzung und im Betrieb. Vor dem Hinter- Wärme, was zur Minderung des Primärenergiebe- grund möglicher Nutzungskonkurrenzen ist die rein darfs beiträgt. Neben direkt am Industriestandort energetische Nutzung alternativer Brennstoffe jedoch anfallender Abwärme können auch die Nutzung von keine sinnvolle und nachhaltige Strategie zur Dekar- regional verfügbarer Industriewärme aus anderen bonisierung der Prozesswärme. Betrieben, die Einbindung in Wärmenetze sowie die Nutzung von Wärmequellen in der Umwelt in Die Nutzung von Kunststoffabfällen als alternative Betracht gezogen werden. Brennstoffe beispielsweise steht in Konkurrenz zu den Zielen einer energie- und ressourceneffizienten Die Erfassung und Mobilisierung bestehender Kreislaufwirtschaft. Die begrenzten Mengen von Effizienzpotenziale sind das Kernstück einer nach- Kunststoffabfällen werden in Zukunft prioritär für haltigen Strategie zur Transformation der Industrie- eine höherwertige stoffliche Nutzung benötigt (Agora wärme. Zur Dekarbonisierung des nach der Durch- Industrie 2022). Die Verbrennung von klassischen führung von Effizienzmaßnahmen verbleibenden Kunststoffabfällen setzt zudem große Mengen an CO₂ Primärenergiebedarfs kommen – je nach Tempera- frei und ist deshalb mit der Klimaneutralität nicht turniveau und Anwendungsfall – verschiedene kompatibel. Schlüsseltechnologien in Betracht. Auch die Verwendung von Biomasse als alternativer, erneuerbarer Brennstoff wird viel diskutiert. Die Nutzung von Biomasse darf jedoch nicht zulasten anderer Nachhaltigkeitsziele gehen, etwa der globalen Nahrungsmittelversorgung oder dem Schutz der Biodiversität. Idealerweise kann ihre Produktion und 1 In Kapitel 3.2 wird auf die Funktionsweise und den Stand Nutzung einen Beitrag zum dringend benötigten der Technik von Wärmepumpen eingegangen. Umbau der Wälder und der Landwirtschaft hin zu 13
Agora Industrie | Power-2-Heat: Erdgaseinsparung und Klimaschutz in der Industrie mehr Klimaresilienz und Biodiversität leisten. Aber geringe Relevanz zur Minderung von Erdgasver- auch das Verfeuern von nachhaltiger Biomasse brauch und Emissionen haben. verursacht direkte biogene CO₂-Emissionen, die bezogen auf die bereitgestellte Wärme über den Eine weitere Option zur Produktion von Niedertem- fossilen CO₂-Emissionen der Referenzanlagen peraturwärme ist die (konzentrierende) Solarthermie (beispielsweise des Erdgaseinsatzes in einem Dampf- (Concentrated Solar Power, CSP). In Kombination mit kessel) liegen können. CO₂-Emissionen aus nachhal- Wärmespeichern und anderen Technologien kann die tigen biogenen Brennstoffen sind zwar als klimaneu- Wärmeversorgung auch über eine hohe Zahl von tral zu bilanzieren, doch ihre Nutzung für Prozesse, Volllaststunden sichergestellt werden. Ein Nachteil die auch anderweitig dekarbonisiert werden können, der Solarthermie ist ihr hoher Flächenbedarf vernachlässigt ihren Wert als Quelle von erneuerba- (IN4climate.NRW 2021). Damit ist die Solarthermie rem Kohlenstoff für das Schaffen langfristiger vor allem für kleine und mittlere Wärmemengen CO₂-Senken. Die bauliche oder stoffliche Nutzung sowie für den Einsatz im ländlichen Raum geeignet. von Biomasse im Bausektor oder als Kohlenstoffquelle Gerade dort, wo die Netzinfrastruktur zur direkten für die Herstellung von langfristigen Produkten der Elektrifizierung begrenzt ist, dafür aber ausreichend Chemie kann die natürliche CO₂-Senkenleistung des freie Flächen zur Verfügung stehen, kann die Solar Waldes im Gegensatz zur rein energetischen Nutzung thermie für die Industrie eine sinnvolle erneuerbare konservieren. Wärmequelle darstellen. Einsatz erneuerbarer Wärmequellen Erneuerbare Wärmequellen wie Solar- oder Geother- Eine Alternative bietet der direkte Einsatz erneuer- mie sind wichtige Bausteine einer industriellen barer Wärmequellen: Die Erzeugung von Prozess- Wärmewende. Aufgrund der technischen, geologi- wärme erfolgt dabei nicht mehr über die Nutzung von schen oder räumlichen Erfordernisse ist jedoch davon Energieträgern, wie Erdgas oder Biomasse, sondern auszugehen, dass sie eher für spezifische Anwen- über den Einsatz von lokalen erneuerbaren Wärme- dungsfälle geeignet sind und nicht in der Breite der quellen – insbesondere der Geothermie und Solar industriellen Wärmewende zur Umsetzung kommen thermie. können. Durch Tiefengeothermie wird die Erdwärme tiefer Einsatz strombasierter Verfahren Gesteinsschichten von 1.000 bis 4.000 Metern Strombasierte Verfahren, wie Wärmepumpen und mittels Tiefenbohrungen nutzbar gemacht. Aufgrund Elektrodenkessel sind ein zentrales und universelles seiner geologischen Gegebenheiten wird Deutschland Element der industriellen Wärmewende. Darüber ein großes Potenzial zur Gewinnung von Wärme bei hinaus gibt es branchenspezifisch zahlreiche weitere Temperaturen bis zu 180 Grad Celsius zugeschrieben Optionen zur direkten Elektrifizierung der Wärme- (Fraunhofer & Helmholtz 2022). Die Kosten und produktion. Beispiele sind die Nutzung von Lichtbo- Risiken der Bohrungen für die Exploration und den gen-, Induktions- oder Infrarot-Anwendungen Betrieb der Anlagen sind jedoch hoch. Sofern es (Maddedu et al. 2020). Wegen ihrer breiten Einsetz- gelingt, diese Hürden durch mehr Erfahrungswerte barkeit konzentriert sich diese Studie auf den Einsatz und bessere Instrumente zum Management der von Wärmepumpen und Elektrodenkesseln, doch die finanziellen Risiken zu überwinden, könnte Tiefen- daraus erwachsenen Erkenntnisse und Prinzipien geothermie einen wichtigen Beitrag zur industriellen lassen sich auf diese anderen Technologien zur Wärmewende und zur Energiewende generell leisten. direkten Stromnutzung übertragen. Kurzfristig dürfte die Tiefengeothermie jedoch nur 14
IMPULS | Power-2-Heat: Erdgaseinsparung und Klimaschutz in der Industrie Neben der direkten Nutzung von Strom, die hier im Darüber hinaus wird für die Nutzung von Wasserstoff Fokus steht, wird die indirekte Elektrifizierung der Aufbau einer Produktions-, Speicher- und durch die Produktion und Nutzung von strombasier- Transportinfrastruktur benötigt. Das ist mit hohen tem Wasserstoff intensiv diskutiert. Wasserstoff hat Kosten verbunden, die unter anderem über erhebliche den Vorteil, dass er Erdgas in vielen Anwendungen öffentliche Investitionen finanziert werden müssen. mit nur geringen prozesstechnischen Änderungen in allen Temperaturbereichen ersetzen kann.2 Allerdings Mit Blick auf eine ressourcen- und kosteneffiziente ist seine Nutzung energetisch ineffizient. Transformation sollte bei der Dekarbonisierung von Prozesswärme – insbesondere bei niedrigen und Durch Effizienzverluste bei der Produktion und mittleren, aber auch bei hohen Temperaturen – der Verwendung von strombasiertem Wasserstoff ergibt Fokus auf effizienten direkt-elektrischen Anlagen sich ein hoher Strombedarf. Im Vergleich zur direkten liegen. Das spart gegenüber Wasserstoff Strom und Elektrifizierung mit Elektrodenkesseln benötigt entlastet so die Dekarbonisierung des Stromsektors. Wasserstoff-basierte Wärme etwa 60 Prozent mehr Je geringer der Strombedarf, desto schneller können Strom. Gegenüber einer effizienten Wärmepumpe hat fossile Kraftwerke durch Erneuerbare Energien die Nutzung von Wasserstoff zur Bereitstellung von verdrängt werden. Niedertemperatur-Prozesswärme einen bis zu sechs- fach höheren Bedarf an erneuerbarem Strom Abbildung 3 stellt den erreichbaren Temperaturbe- (vgl. Abb. 3). reich dem Stromverbrauch ausgewählter Technolo- gien gegenüber. Neben dem absoluten Stromver- brauch, der möglichst geringgehalten werden sollte, 2 Daher könnte der Einsatz von Wasserstoff auch im ist in einem Energiesystem, das auf volatilen Erneu- Absatz „Nutzung alternativer Brennstoffe“ (s. o.) behan- erbaren beruht, die Betriebsweise entscheidend. Eine delt werden. Aufgrund der starken Implikationen flexible Stromnutzung, die sich der Produktion strombasierten Wasserstoffs für das Stromsystem und anpasst, kann die Stromnutzung erleichtern und den der Infrastruktur behandelt diese Studie den Einsatz von Wasserstoff an dieser Stelle. Ausbau der Erneuerbaren unterstützen. Mögliche Temperaturbereiche und Strombedarfe strombasierter Technologieoptionen für klimaneutrale Wärme Abbildung 3 Wasserstoffbasierte Wärme Elektrodenkessel Höchsttemperatur- wärmepumpe Hochtemperatur- wärmepumpe 0 100 200 300 400 500 600 0,0 0,5 1,0 1,5 2,0 erreichbarer kWh Erneuerbarer Strom-Input Temperaturbereich in °C pro kWh Wärme-Output Agora Industrie (2022) 15
Agora Industrie | Power-2-Heat: Erdgaseinsparung und Klimaschutz in der Industrie 2.3 F lexibilitäten: Direkte Elektrifizierung werden. Wenn dieser ambitionierte Ausbaupfad auch im klimaneutralen Stromsystem nach 2030 linear fortgeschrieben wird, ist ein klimaneutrales Stromsystem im Jahr 2035 möglich. Der zusätzliche Strombedarf durch Wärmepumpen Wie dieses Szenario erreicht werden kann, beschreibt und Elektrodenkessel muss keine Mehrbelastung für Agora Energiewende mit der Studie Klimaneutrales die Dekarbonisierung des Stromsystems bedeuten, Stromsystem 2035 (Agora Energiewende, Prognos, sondern kann den Ausbau und die Integration der Consentec 2022). Erneuerbaren Energien sogar stützen: Durch eine systemdienlich flexible Fahrweise kann die Elektrifi- Eine Herausforderung auf dem Weg zu einem zierung der Prozesswärme die Nutzung von erneuer- klimaneutralen Stromsystem ist, dass im Zuge der barem Strom erleichtern und dazu beitragen, dass Transformation die Stromverbräuche einzelner steigende Anteile Erneuerbarer Energien im Strom- Sektoren wie Industrie und Verkehr anwachsen netz effizient genutzt werden. werden. Wie in Abbildung 4 dargestellt, kann in einem klimaneutralen Stromsystem ein Anstieg des Laut Koalitionsvertrag der Bundesregierung und Stromverbrauchs durch zusätzliche Verbraucher bis jüngster EEG-Novelle sollen bis zum Jahr 2030 zum Jahr 2030 auf insgesamt 726 TWh und im Jahr mindestens 80 Prozent des Stromverbrauchs in 2035 auf insgesamt 884 TWh erwartet werden. Die Deutschland über Erneuerbare Energien bereitgestellt Elektrifizierung industrieller Prozesswärme, welche Bruttostromverbrauch im Szenario Klimaneutrales Stromsystem 2035 Abbildung 4 1.000 884 850 21 816 18 783 17 87 800 751 726 17 81 16 75 70 Bruttostromverbrauch in TWh 685 15 68 67 654 13 61 63 626 53 60 604 11 45 55 111 580 581 579 589 8 37 51 97 600 6 30 46 67 83 5 5 3 4 23 36 41 37 53 21 5 8 12 17 30 7 12 21 12 10 11 13 17 13 16 19 24 3 3 5 6 400 557 553 545 543 541 543 549 553 558 557 561 564 569 574 200 0 2022 2025 2030 2035 konventioneller Strombedarf flexible Elektrokessel Strom für H₂-Elektrolyse Wärmepumpen (inkl. Großwärmepumpen) Elektromobilität (exkl. schwerer Güterverkehr) Pumpspeicher & Batteriespeicher Agora Energiewende, Prognos, Consentec (2022) 16
IMPULS | Power-2-Heat: Erdgaseinsparung und Klimaschutz in der Industrie heute etwa ein Fünftel des gesamtdeutschen direktelektrischen Anlagen können Stromverluste Endenergiebedarfs ausmacht, stellt einen großen durch Ein- und Ausspeichern vermieden und zusätzlichen Strombedarf und somit eine große Infrastrukturkosten verringert werden. Flexible Herausforderung für das Stromsystem dar. Ziel muss Stromanwendungen wie Wärmepumpen, Elektroden- es deshalb sein, den Markthochlauf von Elektrifizie- kessel, Elektrofahrzeuge oder Elektrolyseure können rungs-Technologien mit dem Ausbau der Erneuerba- somit volkswirtschaftliche Kosten für den Erneuer- ren abzugleichen, um damit Konflikte zu vermeiden baren-Ausbau und für zusätzliche Stromspeicher und Synergien zu steigern. verringern und geringe Stromkosten ermöglichen. Abbildung 5 stellt die für das Agora-Szenario Klima- Sofern sie flexibel betrieben werden, können zusätz- neutrales Deutschland 2035 modellierten Strompreise liche Stromverbraucher ein zunehmend erneuerbares als Jahresdauerkennlinie dar. Stromsystem effizient modulieren: In Zeiten mit hoher Stromeinspeisung durch Sonne und Wind Für die Flexibilisierung des Strombezugs in der können flexible Verbraucher zusätzliche Lasten Industrie bestehen zahlreiche, aber in vielen Fällen generieren. Wenn erneuerbarer Strom knapp ist, sehr branchen- und prozessspezifische Optionen.3 können flexible Verbrauchseinrichtungen Lasten Die Elektrifizierung von Prozesswärme stellt eine reduzieren. So stützen flexible Verbraucher den verhältnismäßig niedrigschwellige und in der Breite Ausbau der Erneuerbaren Energien, da sie die anwendbare Möglichkeit dar, Flexibilitäten im Variabilität ihrer Stromproduktion durch ihren Stromverbrauch zu generieren. Neben der grundsätz- flexiblen Bedarf kompensieren. lichen Möglichkeit, Wärmespeicher einzusetzen, um Strom- und Wärmeverbrauch voneinander zu Der verbesserte Abgleich von Stromproduktion und entkoppeln, bietet sich auf dem Weg zur Klimaneu -nachfrage wirkt sich positiv auf die Dekarbonisie- tralität besonders der hybride Betrieb mit bestehen- rung des Stromsystems aus. Der flächendeckende den fossilen Anlagen an. Beispielsweise können Einsatz flexibler Stromverbraucher zur Nutzung Back-up- oder Sicherheitskapazitäten elektrifiziert eines zeitweise hohen Angebots an Erneuerbaren und hybrid mit den fossilen Primärkapazitäten Energien hebt die in diesen Zeiten typischerweise betrieben werden. Auch wenn keine Back-up-Kapa- sehr geringen Strommarktpreise an. Dadurch wird zitäten benötigt werden, kann der Zubau von die Wirtschaftlichkeit für den Ausbau zusätzlicher Elektrodenkesseln oder Wärmepumpen wirtschaft- Erneuerbarer Energien verbessert. Gleichzeitig lich und strategisch sinnvoll sein. Zum einen kann so können die Kosten für das EEG gesenkt werden, da die Energieversorgung diversifiziert werden, zum ein Anheben der Strompreise zu geringeren Aufwen- anderen kann sich ein flexibler Strombezug im dungen für Marktprämien führt. Durchschnitt geringere Stromkosten zunutze machen. Wenn wenig erneuerbarer Strom eingespeist wird und Strompreise hoch sind, können flexible Verbrau- Elektrodenkessel haben verhältnismäßig geringe cher ihre Last reduzieren. Kurz- und mittelfristig Investitionskosten. Aus wirtschaftlicher Perspektive kann so der Einsatz emissionsintensiver und teurer kann daher auch ein Betrieb bei geringen Volllast- Grenzkraftwerke auf dem Strommarkt vermindert werden. Flexible Verbraucher können zudem lang- fristig den Bedarf an zusätzlichen Stromspeichern 3 Ein Beispiel dafür ist die besonders s tromintensive mindern, da sie für den Abgleich von Angebot und Herstellung von Aluminium, bei der durch Nachfrage mit dem Einsatz von Stromspeichern Prozessanpassungen Flexibilitäten zur Verfügung gleichwertig sind. Durch den Einsatz von effizienten gestellt werden können (SynErgie 2019). 17
Agora Industrie | Power-2-Heat: Erdgaseinsparung und Klimaschutz in der Industrie Strompreise für das Szenario Klimaneutrales Stromsystem 2035 Abbildung 5 250 Lastreduktion von Wärmepumpen 200 Börsenstrompreis in € pro MWh Betrieb von Elektrodenkesseln 150 100 50 0 0 1.000 2.000 3.000 4.000 5.000 6.000 7.000 8.000 -50 Jahresstunden 2035 Agora Energiewende, Prognos, Consentec (2022) stunden und dafür mit geringen Strompreisen 2.4 S ynergien zwischen elektrifizierter sinnvoll sein.4 flexibler Wärme und direkten Inves- titionen in Erneuerbare Energien Wärmepumpen sind im Vergleich zu Elektrodenkes- seln kapitalintensiver, benötigen dafür aber weniger Neben dem primären Ziel, Kosten und direkte Emis- Strom. Aus wirtschaftlicher Perspektive ist daher ein sionen zu senken, wollen Unternehmen zunehmend Betrieb bei hohen Volllaststunden – auch bei höheren auch ihre indirekten Emissionen mindern, die Strompreisen – sinnvoll. In Bezug auf Flexibilitäten beispielsweise durch die Erzeugung der eingesetzten besteht bei Wärmepumpen die Möglichkeit der Energie entstehen. Das lässt sich durch Investitionen Lastreduktion in Stunden besonders geringer in den Aufbau von Erneuerbaren Energien oder den EE-Einspeisung und bei entsprechend hohen Einkauf des generierten Stromes durch langfristige Strompreisen.5 Grünstrom-Power-Purchase-Agreements (PPAs) erreichen. Im Prinzip haben Unternehmen dadurch auch Zugang zu den geringen Stromgestehungskosten der Erneuerbaren Energien. Diese liegen im Jahres- durchschnitt weit unter den Preisen des Strommark- 4 Die Wirtschaftlichkeit sowie bestehende Fehlanreize tes, die für Strom, der über das Netz bezogen wird, im Betrieb von Elektrodenkesseln werden in Kapitel 3.4 maßgeblich sind.6 untersucht. 5 Die Wirtschaftlichkeit von Wärmepumpen wird in 6 Die Preisbildung am Strommarkt ist primär durch Kapitel 3.5 untersucht. die Kosten des genutzten Grenzkraftwerks bestimmt: 18
IMPULS | Power-2-Heat: Erdgaseinsparung und Klimaschutz in der Industrie In der Praxis ergibt sich jedoch das Risiko, dass das immer dann produziert, wenn auch der Anteil der eigene Portfolio aus Wind- und Sonnenenergie Erneuerbaren an der Stromproduktion hoch ist und die Preise niedrig sind. Wenn im Gegenzug Strom knapp ist und die Marktpreise entsprechend hoch Während die Gestehungskosten von erneuerbarem Strom sind, ist die Produktion des eigenen Portfolios häufig nur durch die Verzinsung seiner Investitionskosten definiert sind, wird der Marktpreis zu jeder Zeit durch ebenfalls gering. das Gleichgewicht von Nachfrage und Angebot bestimmt. Ist das Stromangebot der Erneuerbaren Energien größer Diese Risiken für Unternehmen, die direkt in den als der Bedarf, so geht der Marktpreis gegen null, da Ausbau Erneuerbarer Energien oder PPA investieren, ihr Betrieb keine zusätzlichen Kosten verursacht. Ist lassen sich durch eine Kombination mit Elektrifizie- der Bedarf jedoch größer als das Angebot, muss diese Nachfrage mit thermischen Kraftwerken, die unter rungsmaßnahmen minimieren. Um das Prinzip anderem mit Erdgas betrieben werden, gedeckt werden. darzustellen, visualisiert Abbildung 6 die Jahres Die Kosten für den Betrieb dieser teuren Kraftwerke dauerkennlinie der Stromproduktion eines hypothe- definieren dann den Strommarktpreis und damit auch tischen Portfolios aus je 10 Megawatt Photovoltaik, den Wert einer Erzeugung aus Erneuerbaren Energien zu Windkraft an Land und Windkraft auf See. Die dieser Zeit. Das Engagement der Industrie im Strommarkt im Rahmen der Investitionen zum Aufbau Erneuerbarer Abbildung zeigt, dass sich ein solches Portfolio mit Energien oder durch den Betrieb flexibler Lasten Elektrodenkesseln mit einer Kapazität von etwa ändert nichts an diesem Mechanismus, eröffnet aber 7,5 MW kombinieren lässt, die es erlauben, recht Möglichkeiten, Risiken zu managen und durch markt- große Strommengen in bis zu 4.000 Volllaststunden dienliches Verhalten betriebs- und volkswirtschaftliche pro Jahr zu nutzen. Darüber hinaus lassen sich Wertschöpfung zu betreiben. Stromproduktion eines Erneuerbaren-Portfolios aus je 10 MW Photovoltaik, Windkraft an Land und Windkraft auf See Abbildung 6 25 20 Produktion in MWh 15 Elektrodenkessel 10 Stromnutzung durch Wärmepumpen 5 elektrifizierte Prozesse in Grundlast 0 0 1.000 2.000 3.000 4.000 5.000 6.000 7.000 8.000 Jahresstunden Datengrundlage für den Ertrag nach Erzeugungstechnologie ist die bundesweite Produktion aus dem Jahr 2020 bezogen auf die bundesweit installierte Leistung entsprechend dem Agorameter (Agora Energiewende, 2022a) Agora Industrie (2022) 19
Agora Industrie | Power-2-Heat: Erdgaseinsparung und Klimaschutz in der Industrie weitere 7 MW Wärmepumpen nutzen, die mit 4.000 bis zu 8.000 Volllaststunden effizient betrie- ben werden können. Weitere 2,5 MW lassen sich im Grundlastbetrieb in Prozessen nutzen, die keinen flexiblen Strombezug ermöglichen. Die Investitionen in die direkte Elektrifizierung und in den Ausbau Erneuerbarer Energien sichern sich somit gegenseitig ab: Für Wärmepumpen und Elekt- rodenkessel wird der Zugang zu kalkulierbar niedri- gen Stromkosten gesichert. Für die Erneuerbaren Energien wird die Nutzung des produzierten Stroms zu planbar wirtschaftlichen Erlösen sichergestellt – auch in Zeiten mit einer hohen Einspeisung der Erneuerbaren ins Stromnetz und geringen Strom- preisen. Darüber hinaus behält das Unternehmen die Flexibi- lität, im Falle von niedrigen Marktpreisen Strom zuzukaufen oder aber seine Flexibilität zu nutzen, um im Rahmen von hohen Preisen seinen Strom am Markt zu veräußern. Durch eine geeignete Konzeption des Portfolios aus flexiblen Lasten und Erzeugungskapazitäten und ein dynamisches Engagement am Strommarkt kann sich ein Unternehmen so auch den Raum verschaffen, elektrifizierte Prozesse in der Grundlast mit günsti- gem erneuerbarem Strom zu betreiben. 20
IMPULS | Power-2-Heat: Erdgaseinsparung und Klimaschutz in der Industrie 3 Technologieoptionen zur direkten Elektrifizierung Um Prinzipien, Chancen und Herausforderungen der Entwicklung und Umsetzung anderer Technologien direkten Elektrifizierung von Prozesswärme zu und Konzepte. veranschaulichen, fokussiert sich diese Studie auf Elektrodenkessel und Wärmepumpen als Quer- schnittstechnologien mit einer breiten Anwendung. 3.1 T echnische Beschreibung von Elektrodenkesseln Wärmepumpen und Elektrodenkessel unterscheiden sich in ihren Betriebskonzepten: Elektrodenkessel Elektrodenkessel nutzen elektrische Energie mittels sind recht einfache Heizsysteme, die zu relativ Elektroden zur Erwärmung eines Wärmeträgermedi- niedrigen Kosten installiert und flexibel und system- ums. Die unter Spannung stehenden Elektroden dienlich betrieben werden können. Sie sind effizient werden direkt in Kontakt mit dem Wärmeträger in der direkten Umwandlung von Strom in Wärme bei gebracht. Bildlich gesprochen funktionieren sie wie Temperaturen bis zu 500 Grad Celsius, benötigen aber Tauchsieder, die früher zum Wasserkochen verwen- viel Strom und damit auch eine hohe Anschlussleis- det wurden. Es können verschiedene Wärmeträger- tung. medien erhitzt werden wie beispielsweise Wasser, Dampf oder Wärmeträgeröle. In Kombination mit Wärmepumpen sind dagegen innovative und teil- nachgeschalteten elektrischen Überhitzern können weise komplexe Anlagen mit höheren Investitions- Temperaturbereiche bis circa 500 Grad Celsius kosten, die es aber erlauben, mit relativ wenig Strom erreicht werden (Agora Energiewende und Wuppertal die Abwärme aus Industrieprozessen oder Umwelt- Institut 2019). Gegenüber Wärmepumpen haben wärme zu nutzen. Durch diese elektrifizierte Abwär- Elektrodenkessel damit den Vorteil, dass höhere menutzung sind Wärmepumpen hocheffizient und Temperaturen erreicht werden können und für deren eignen sich insbesondere für den Temperaturbereich Nutzung keine Abwärmequelle benötigt wird. bis zu 200 Grad Celsius. Die Wirkungsgrade eines Elektrodenkessels liegen Elektrodenkessel und Wärmepumpen lassen sich in nahe 100 Prozent. Das bedeutet, dass mit jeder verschiedenen Industrieprozessen einsetzen und mit eingesetzten kWh Strom bis zu eine kWh Wärme anderen Systemen der Wärmeerzeugung integrieren. bereitgestellt werden kann. Die Auslegungskapazitä- Es handelt sich somit um Querschnittstechnologien ten für Elektrodenkessel zur industriellen Dampfer- von hoher Relevanz für viele Branchen. Obwohl wir zeugung liegen typischerweise im Bereich von 10 bis uns aus dem genannten Grund auf diese Technologien 40 MW (AGFW, Hamburg Institut, Prognos, 2020). fokussieren, lassen sich viele Erkenntnisse dieser Größere Leistungen können durch Parallelschaltung Studie auch auf andere Technologien übertragen. mehrerer Einzelkessel abgedeckt werden. Beispiele sind Induktionsöfen in der Metallurgie, Infrarot-Anwendungen und E-Cracker in der Im Vergleich zu Wärmepumpen zeichnen sich chemischen Industrie. Direktelektrische Leucht- Elektrodenkessel durch geringe Investitionskosten turmprojekte mit Elektrodenkesseln und Wärme- aus. Neben der reinen Anlageninvestition können pumpen und die hier diskutierten regulatorischen jedoch zusätzliche Kosten für die Anlagenintegration Lösungen leisten somit auch einen Beitrag für die sowie für den Ausbau des Netzanschlusses anfallen. 21
Agora Industrie | Power-2-Heat: Erdgaseinsparung und Klimaschutz in der Industrie Über den Kostenfaktor hinaus kann die Verfügbarkeit elektrischer Kapazität angesetzt. Zudem wird ein der benötigten Stromnetzinfrastruktur der raschen Integrationsfaktor von 1,5 angesetzt, um die Netz Realisierung von Elektrodenkessel-Projekten im anschluss- und Integrationskosten abzubilden. Wege stehen: Elektrodenkessel erhöhen den Strom- bedarf der entsprechenden Industriestandorte zum Teil stark. Daher müssen der Netzausbau und die Pro- 3.2 T echnische Beschreibung von zesse für den Aufbau entsprechender Netzanschlüsse Wärmepumpen beschleunigt werden, um den Ausbau dieser Projekte nicht zu verzögern. Der Einsatz von Wärmepumpen ist eine sehr effiziente Form der Wärmebereitstellung. In einem geschlossenen Wegen der im Vergleich zu Wärmepumpen niedrige- Kreislauf zirkuliert ein Betriebsmittel, das bei geringem ren Investitionskosten eignen sich Elektrodenkessel Druck Wärme bei niedrigen Temperaturen aus einer insbesondere für eine flexible Fahrweise. Für die geeigneten Wärmequelle aufnimmt. Als Wärmequelle Berechnungen in dieser Studie wird ein Elektroden- kann industrielle Abwärme oder Umweltwärme kessel mit einer Leistung von 25 MW betrachtet. genutzt werden. Mit einem elektrisch angetriebenen Dabei gehen wir davon aus, dass der Elektrodenkessel Kompressor wird das erwärmte Betriebsmittel ver- in Kombination mit einer existierenden KWK-Anlage dichtet, wodurch auch die Temperatur angehoben wird. oder einem schon vorhandenen Gaskessel flexibel Die Wärme kann anschließend bei hohen Temperatu- eingesetzt wird. Für die Investitionskosten des ren übernommen und genutzt werden. Nach dieser Kessels werden in dieser Studie 175 Euro pro kW an Wärmeentnahme wird das Betriebsmittel entspannt. Funktionsschema einer Wärmepumpe Abbildung 7 erneuerbarer Strom Kompressor Wärmesenke/ Wärmequelle Prozesswärme Expansionsventil Agora Industrie, FutureCamp (2022) 22
IMPULS | Power-2-Heat: Erdgaseinsparung und Klimaschutz in der Industrie Dadurch fällt seine Temperatur nochmals und es kann raturen von Wärmequelle und Wärmesenke im wiederum Wärme aus der Wärmequelle aufnehmen. geeigneten Verhältnis stehen. Abbildung 7 zeigt schematisch die Funktionsweise einer Wärmepumpe. Neben ihrer Funktion, Prozess- Die hohe Effizienz der Wärmepumpentechnologie wärme bereitzustellen, kann eine Wärmepumpe durch liegt darin begründet, dass Ab- oder Umweltwärme die Abwärmenutzung den Abwärmestrom kühlen und auf einem niedrigen Temperaturniveau genutzt und so eine Kühlleistung erbringen. In vielen Industrie durch den Einsatz elektrischer Energie auf einem standorten ist die Erbringung dieser Kühlleistung höheren Temperaturniveau in Form von Prozess- erforderlich und kann dementsprechend zusätzlich zur oder Nutzwärme abgegeben wird. Die Temperaturdif- Wärme monetarisiert werden. ferenz zwischen der Wärmequelle und der Wärme- senke ist entscheidend für die Effizienz des Systems. Mit derzeit verfügbaren Anlagen lässt sich je nach Die Leistungszahl (Coefficient of Performance, COP) Abwärmequelle ein Temperaturhub im Bereich von definiert hierbei das Verhältnis zwischen der einge- 50 bis 100 Grad erzielen. Im Standardprozess kann setzten elektrischen Energie und der gewonnenen damit Prozesswärme bis etwa 150 Grad Celsius Nutzwärme. Die Leistungszahl bestimmt, wie viele generiert werden. Durch den Einsatz nachgeschalte- Kilowattstunden Wärmeoutput mit einer Kilowatt- ter Verdichter können auch höhere Temperaturni- stunde Strom bereitgestellt werden können. veaus bis etwa 200 Grad Celsius abgedeckt werden. Im Prinzip können Wärmepumpen auch bei höheren Abbildung 8 stellt das für die Leistungszahl theoreti- Temperaturen eingesetzt werden, solange die Tempe- sche Maximum (COP Carnot) sowie real erzielbare Die Leistungszahl einer Wärmepumpe in Abhängigkeit der Temperaturdifferenz und des Gütegrades Abbildung 8 10 9 kWhth Output pro kWhel Strom Input 8 7 Leistungszahl (COP) 6 5 4 3 2 1 0 1 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 110 120 130 140 150 Temperaturdifferenz in °C COP Gütegrad 40 % COP Gütegrad 50 % COP Gütegrad 60 % COP Carnot Agora Industrie, FutureCamp (2022) 23
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