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PRESS REVIEW Daniel Barenboim Stiftung Barenboim-Said Akademie & Pierre Boulez Saal Friday, July 2, 2021
PRESS REVIEW Friday, July 2, 2021 Süddeutsche Zeitung Bayern, DB, DIVAN Nirit Sommerfeld ist Israelin, Rihm Hamdan Palästinenserin. Beide leben heute bewusst in München. Auf Demonstrationen begegnen sie sich immer wieder Die Welt So gut klingen erholte Stimmen nach der Zwangspause: Krzysztof Warlikowski begeistert in München mit „Tristan und Isolde“ zur Eröffnung der Münchner Opernfestspiele Frankfurter Allgemeine Zeitung Richard Strauss bleibt ein Faszinosum: Uraufführungen in Garmisch-Partenkirchen und ein Film des DSO mit Reinhold Messner Rbb Inforadio Novoflot: Beethoven hat den Blues Süddeutsche Zeitung Das Jüdische Museum Berlin zeigt eine große Werkschau der israelischen Künstlerin Yael Bartana Süddeutsche Zeitung Theater braucht Wagnis, davon erlebt man auf den deutschen Bühnen derzeit wenig Frankfurter Allgemeine Zeitung Fatima Daas und Sina de Malafosse erhalten in diesem Jahr den Internationalen Literaturpreis
Print Quelle: Süddeutsche Zeitung Bayern vom 02.07.2021, S.48 (Tageszeitung / täglich ausser Sonntag, München) Auch in: 14 weiteren Quellen » Reichweite: 334.187 Auflage: 155.436 Autor: Martina Scherf Ressort: Leute Zwei, die zurückkamen Nirit Sommerfeld ist Israelin, Rihm Hamdan Palästinenserin. Beide leben heute bewusst in München. Auf Demonstrationen begegnen sie sich immer wieder. Dem Nahostkonflikt entkommen sie auch hier nicht VON MARTINA SCHERF rin, war entsetzt. Aber die Tochter Ramallah und zog mit ihrer Tochter setzte sich durch. ein. "Ramallah ist toll, da pulsiert das D ie beiden Frauen teilen einen Traum. Den Traum von einem Doch von da an war sie nicht mehr nur in der kleinen Welt rund um das Leben", sagt Hamdan. "Wie in Tel Aviv", wirft Nirit Sommerfeld an die- Land, in dem ihre Familien in Frieden leben. In dem sie feiern, reisen, sich Haus ihres Onkels unterwegs. In der ser Stelle ein. "Ja genau", sagt Rihm besuchen können, frei und unbe- Schule traf sie auf Söhne und Töchter Hamdan. "Aber weil ich jetzt einen schwert. Dieses Land heißt Israel. höherer Beamter der palästinensi- Wohnsitz dort hatte, begannen neue Oder Palästina. schen Autonomiebehörde. Die frag- Probleme", erzählt sie und kramt in Nirit Sommerfeld trägt einen klei- ten: Was machst du als Deutsche ihrer Handtasche. Sie holt ein Doku- nen goldenen Davidstern am Hals. Ihr hier? Sie war ein Sonderling. Und ment mit grünem Plastikeinband he- dunkles Haar fällt in Locken über die gleichzeitig mit ihrem Pass privile- raus. "Ich bekam einen palästinensi- Schultern, sie gestikuliert oft, wenn giert. "Wenn ich mit meiner Freundin schen Ausweis, damit war meine Be- sie spricht. Das hat sie mit Rihm zum Shoppen nach Jerusalem wollte, wegungsfreiheit plötzlich genauso ein- Hamdan, die ihr gegenübersitzt, ge- konnte ich einfach den Checkpoint geschränkt wie die aller anderen." meinsam. Ihre Geschichten könnten passieren, sie wurde aufgehalten." "Mein israelischer Ausweis ist hell- kaum unterschiedlicher sein. Som- Von Ramallah nach Jerusalem sind es blau", sagt Nirit Sommerfeld, "sollen merfeld ist Israelin, Hamdan Palästi- nur 20 Kilometer, weniger als von wir mal tauschen?" Die beiden lachen. nenserin. Die eine ist in Eilat am Ro- München nach Starnberg. Doch der Es ist ein eher sarkastisches Lachen. ten Meer geboren, die andere in Mün- Weg führt über die Mauer. Israelische Eines Tages starb Rihm Hamdans chen. Vom Alter her könnten sie Mut- Soldaten sortieren die Leute aus – du Cousin. Die israelische Armee hatte ter und Tochter sein. Doch je länger darfst, nein, du nicht. Die Angst, nicht wieder Häuser kontrolliert, "das pas- das Gespräch dauert, desto klarer pünktlich zur Arbeit zu kommen, zum siert zu jeder Tages- und Nachtzeit". wird, wie sehr die beiden Frauen der- Arzt, zu den Verwandten, ist immer Ihr Cousin floh übers Dach, ein Soldat selbe Konflikt geprägt hat. Und neuer- dabei, erzählt die junge Frau. verfolgte ihn, am Ende lag er tot am dings treffen sie sich öfter auf De- "Die Mauer ist allgegenwärtig und Boden. Hamdan war zu jung, um zu monstrationen. sie ist massiv", sagt sie und unter- verstehen, was damals passierte. Rote Fingernägel, kurzes Top, eine streicht die Aussage, indem sie ihre "Aber das Foto vom blutigen Fußab- Mähne mit blonden Strähnen, so sitzt Arme ausbreitet. Die Mauer haben die druck auf dem Dach ging durch die Rihm Hamdan an diesem Sommertag Israelis rund um das Westjordanland sozialen Medien." Daran erinnert sie in Noah’s Bar am Jakobsplatz und gebaut. Sie ist höher als die Berliner sich noch. Sie fand das alles immer sprudelt los. Sie erzählt von ihrer Mauer war und trennt nicht nur Israe- bedrückender. Am Ende des Schuljah- Kindheit, von ihrer ersten heimlichen lis und Palästinenser, sondern auch res flog sie nach München und sagte Liebe – und von ihrem Papa, "mein Freunde und Familien. Das Westjor- zu ihrem Papa: "Ich bleib wieder hier bester Freund". Ihr Vater stammt aus danland wurde nach dem Osloer Frie- und geh in meine alte Schule." Der Palästina, kam einst zum Studium densabkommen 1995 in drei Zonen Papa seufzte und war froh. nach München und blieb. Hier ist geteilt, erklärt Sommerfeld, die bis Nirit Sommerfeld nimmt einen Rihm Hamdan vor 26 Jahren gebo- dahin still zugehört hat. Zone A, die Schluck ihrer Rhabarberschorle und ren. Die Ferien verbrachte sie jedes größeren Städte, verwaltet die palästi- nickt. Sie hat 40 Jahre früher eine Jahr in Palästina, im Flüchtlingslager nensische Autonomiebehörde allein. ähnliche Erfahrung gemacht, sagt sie. Qalandia in der Westbank, vor den Zone B wird von Palästinensern ver- "Echt?", fragt Rihm Hamdan, "erzähl Toren Jerusalems. waltet und vom israelischen Militär mal." Als sie zwölf war, wollte sie dort kontrolliert. Zone C, der größte Teil, Die Jüdin, 59, ist in Israel geboren, bleiben. "Ich hatte mich ein bisschen wird ganz von Israel kontrolliert, dort als Tochter einer marokkanisch-jüdi- verliebt in einen Jungen", sagt sie, werden immer noch israelische Sied- schen Mutter und eines deutsch-jüdi- "aber es war nicht nur das. Ich fand lungen gebaut. Auf der Landkarte schen Vaters. Ihr Großvater wurde im einfach alles toll, die Menschen, das sieht das Land aus wie ein einziger KZ Sachsenhausen ermordet. Seinen Essen, die Freiheit der Kinder auf der Flickenteppich und zwischen jedem Sohn konnte er vorher nach Palästina Straße." Ihr Onkel fand eine Privat- Flicken gibt es Kontrollen. "Man muss schicken. Ahuva Sommerfeld, Nirits schule mit internationalem Standard es mit eigenen Augen gesehen haben, Mutter, war zehn Jahre alt, als unweit in Ramallah. Ihr Vater war skeptisch, um zu begreifen, was das bedeutet", ihres Hauses in Jerusalem eine Bom- aber er gab nach. "Dann lernst du we- sagt Sommerfeld. be explodierte. "Der sechsjährige Sha- nigstens richtig Arabisch", sagte er. Rihm Hamdans Mutter war das lom, der jüngste Bruder meiner Mut- Ihre Mutter, ebenfalls Palästinense- damals jedenfalls nicht geheuer. Sie ter, der Großvater und ein Onkel ka- mietete kurzerhand eine Wohnung in men ums Leben." Die kleine Ahuva 3
war kurz zuvor mit ihrer Freundin un- Mauer. Sie sehen nicht, wie es dort Shisha?" Über Politik kann sie mit terwegs gewesen. Die Freundin hatte aussieht." Nach der verheerenden ihm nicht reden. Sie sind trotzdem ihre Puppe vergessen, war zurückge- Bombardierung des Gazastreifens noch befreundet. laufen. "Ein Granatsplitter bohrte sich durch die israelische Luftwaffe im Vor mehr als 30 Jahren hatte Fuad in ihre Lunge, sie verbrannte inner- Winter 2008/2009 kehrte sie nach Hamdan, Rihms Vater, in München lich." Die Geschichte wurde in der Fa- München zurück. die jüdisch-palästinensische Dialog- milie immer wieder erzählt. Seither organisiert sie Reisen nach gruppe gegründet. Er ist "der friedlie- Als Nirit Sommerfeld acht Jahre alt Israel, um Menschen beide Seiten die- bendste Mensch, den ich kenne", sagt war, zogen die Eltern mit ihr nach ses zerrissenen Landes näher zu brin- seine Tochter. Er glaube nicht an eine Bayern. Sie wollten die Vergangenheit gen. Und beim letzten Mal sagte eine Zwei-Staatenlösung. Er wolle ein hinter sich lassen. Die Ferien ver- Cousine zu ihr: Nimm mich mal mit Land, in dem Menschenrechte für alle brachte sie fast jedes Jahr in Israel. rüber, ich trau mich alleine nicht. gelten, wie auch immer dieses Land Nicht im Flüchtlingslager, wie Rihm Auch Rihm Hamdan fliegt jedes dann heißt. Aber Frieden könne es Hamdan, sondern bei der Familie in Jahr nach Palästina. Doch mit ihrem nur gegeben, wenn auch über das Leid Tel Aviv. "Sie leben dort unbeschwert grünen Ausweis kann sie nicht mehr der Palästinenser gesprochen werde, und ohne Kontakt zu Palästinensern, mit ihrem Vater im gleichen Flugzeug über die vielen zivilen Opfer. "Kinder mal abgesehen vom Gärtner oder sitzen. Anders als sie, hat er nur den und Zivilisten können sich nicht weh- Müllmann", sagt sie. 1972, da war sie deutschen Pass und kann nach Tel ren", sagt Nirit Sommerfeld, "nicht in elf, verübte die PLO das Attentat auf Aviv fliegen. Sie muss den Umweg Jerusalem, nicht in Gaza, nirgendwo." die israelische Olympiamannschaft in über Jordanien nehmen, mit dem Bus Die Traumata würden von Generation München. Es war furchtbar, "und spä- zur Grenze fahren und dort im Som- zu Generation vererbt. testens ab da galten auch in meiner mer bei 40 Grad Hitze stundenlang Hoffnung zu haben in der heutigen Familie alle Palästinenser als Terro- warten, "bevor ich über den Jordan Situation sei naiv, sagte Daniel Baren- risten. Halt nicht der eigene Gärtner. gehen darf", sagt sie in Anspielung auf boim nach der jüngsten Eskalation Aber alle anderen." das biblische Sinnbild. der Gewalt. Der Dirigent hat 1999 das Als sie 17 war, verliebte sie sich in Hass, sagen beide Frauen, spüren West Eastern Diwan Orchestra ge- den Ferien. Sie wollte in Tel Aviv blei- sie nicht unter ihren Freunden und gründet, mit jüdischen und palästi- ben. Ihr Vater überzeugte sie, das Abi- Familien. Eher Fatalismus. Ihre Tan- nensischen Musikern. Stimmt, sagt tur in München zu machen. Sie folgte, ten, sagt Rihm Hamdan, rieten ihr: Sommerfeld. "Vielleicht müssen wir doch die Sehnsucht im Herzen blieb. Lass die Politik, heirate und kriege an Wunder glauben, wie beim deut- Sie studierte, heiratete, bekam zwei Kinder, dort drüben, in deinem siche- schen Mauerfall." Aber solange sich Töchter, arbeitete als Schauspielerin ren Deutschland. auch in Deutschland Menschen ge- und Sängerin. Sie gründete 1999 die Aber so einfach will sie es sich genseitig ausgrenzten und die Realität Band "Klezmorim", die jetzt "Orches- nicht machen. Als vor wenigen Wo- ausblendeten, gebe es keine Verstän- ter Shlomo Geistreich" heißt und mit chen wieder der Gaza-Krieg auf- digung. Im Hintergrund leuchtet das der sie bis heute auftritt. Sie singt auf flammte, nachdem die israelische Ar- Dach der Synagoge in der Sonne. Zur Deutsch, Hebräisch und Jiddisch, kri- mee angedroht hatte, palästinensische Eröffnung vor 15 Jahren hatte sie tisch, mitunter provozierend, von ih- Häuser in Ost-Jerusalem zu räumen, noch dort gesungen. Seit ihrem Enga- rer Familie und dem Jüdisch-Sein, da haben beide Frauen in München gement für die Rechte der Palästinen- wie sie es erlebt. demonstriert, zusammen mit Vertre- ser werde sie nicht mehr eingeladen, 2007 war die Sehnsucht nach Isra- tern verschiedener politischer Grup- sagt sie. el so groß, dass sie mit ihrem Mann pierungen. Es waren friedliche Protes- Die beiden Frauen wollen, dass alle und ihrer jüngeren Tochter noch ein- te, ohne Häme, ohne Ideologie. Sie Seiten gehört werden, auch in mal nach Tel Aviv zog. Sie ging auch nannten nur die traurige Bilanz: 248 Deutschland. Es sei der einzige Weg in die Palästinensergebiete. "Manche Palästinenser und zwölf Israelis getö- zum Verständnis: Sich einmal in die Frauen berührten mich ungläubig wie tet, mehrere tausend Menschen ver- Schuhe der Anderen stellen. Damit ein Wesen von einem anderen Stern. letzt. der Traum kein Traum bleibt. Sie kannten bis dahin nur israelische Rihm Hamdan engagiert sich jetzt Als Rihm Hamdan den grünen Soldaten." Sie sprach auch mit jüdi- im Verein "Palästina spricht". Sie ist palästinensischen Ausweis be- schen Siedlern. "Manche sagen einem in Verbindung mit dem Verein "Jüdi- kam, begannen die Probleme ins Gesicht, das Land sei ihnen von sche Stimme für einen gerechten Frie- Die Traumata werden von Gene- Gott gegeben, deshalb müssten die den", bei dem sich sowohl Nirit Som- ration zu Generation vererbt, Palästinenser weichen." Sie sprach merfeld als auch ihre Tochter Lili en- sagt Nirit Sommerfeld mit Müttern auf beiden Seiten, die ih- gagieren. Einer ihrer jüdischen Freun- (Abbildung) re Söhne verloren hatten. In ihrer Fa- de, sagt Rihm Hamdan, stammt aus Rihm Hamdan (links) und Nirit Sommerfeld set- milie fand sie dafür kein Verständnis. Aserbaidschan. "In der Shisha-Bar zen sich von München aus für den Frieden zwi- "Manche betrachten mich als Verräte- scherzen wir immer: Rauchen wir ei- schen Israelis und Palästinensern ein. Foto: Ro- bert Haas rin. Aber sie gehen ja nie durch die ne jüdische oder eine palästinensische 4
22 FEUILLETON DIE WELT FREITAG, 2. JULI 2021 gelbe Seidenschluppenbluse und schwarze Hosen mit weitem Schlag zu etwas tantiger Hochtoupier-Frisur, dann in ein langes rotes Kleid gesteckt, ist erst die Schnippisch-Wütende, die mit ihrem Schicksal hadert. Ihrer noch tantiger mit einem blauen, später grü- nen Kleid ausstaffierten Freundin Bran- gäne (großartig orgelnd: Okka von der Damerau) geht sie damit gewaltig auf die Nerven; deshalb serviert die dann auch in Kelchgläsern Liebes- statt To- destrank. Die Harteros klingt ideal weiblich und weich im Parlando, wenn Petrenko auf Piano schaltet. Fährt Pe- trenko hoch und peitscht, verliert ihre Stimme die Farben, kommt durch, wird aber schrill. So ist sie Isolde, die schlecht gezähmte Widerspenstige. Jonas Kaufmann schlurft mit seinem lottrigen Pastorenkumpel Kurwenal (muss man in München aushalten: Wolf- gang Koch) erst als Schluffi durch den halbhohen, getäfelten Einheitsraum mit seinen sechs Durchgängen und zwei als Möge diese Musik Kinoleinwand sich senkenden Raumtei- lern. Der Saal bleibt vage im Vierziger- jahre-Ambiente zwischen Schiffskabine, Reichskanzlei und Psychiaterzimmer, wo rechts Freuds Couch mit der Orient- niemals enden teppichbedeckung wartet. Kaufmann kann die hohen Töne, lässt sich Zeit, spart im Mittelakt, wo es nur kontaktlose Liebe zwischen zwei Leder- sesseln gibt, während beide Protagonis- ten sich hinten per Video in einem Ho- telzimmer auf dem Bett liegend verdop- peln. Der dritte Akt ist dann seiner, den gestaltet er souverän an seine Grenzen kommend, aber endlich wieder hell sin- gend, nicht bellend. Ein anrührender Held, nicht schwer, sondern nachhaltig traumatisiert. Er liegt mal auf der Freudcouch, mal sitzt er zwischen kahlköpfigen Dum- mies bei einer Tea Party. Ein weiteres ir- gendwie chemotherapiegezeichnetes Avatar-Pärchen in blauen und rosa © WILFRIED HÖSL Die Sehnsucht, nicht die Erfüllung: Jonas Kaufmann Baseballblousons hat schon das Vor- und Anja Harteros als Tristan und Isolde in München spiel bebildert, sie starb in seinen Ar- men, und taucht auch jetzt wieder auf. D Krzysztof Warlikowski spielt das ruhig und genau ausgemessen mal surreal, mal So gut klingen erholte Stimmen nach der Zwangspause: Krzysztof Warlikowski begeistert trivial durch, selten erhellend, meist enervierend. Da scheint es in Etappen in München mit „Tristan und Isolde“ zur Eröffnung der Münchner Opernfestspiele zum Selbstmord zu gehen, auf den ver- meintlichen Todestrank wird mit dem auch stimmlich bieder-braven König Marke (Mika Kares) mit Champagnerkel- ie Geschichte einer ganz Kuss von Tristan auf die Stirn Isoldes Und die es doch erst schafft, wenn sediert, verärgert, Nähe nicht zulassen de Staatsintendant Nikolaus Bachler chen angestoßen, im zweiten Akt wird großen Liebe, die so über- im zweiten Akt. nach dem längst schon nicht mehr nach will als kaum selig machendes, ewiges startete seine ersten Festspiele 2009 das Heroinbesteck ausgepackt. Tristan wältigend ungewöhnlich Christoph Marthaler und Katharina dieser Welt klingenden Liebestod der Herauszögern. Bei ihm ist alles bewusst, mit Wagners „Lohengrin“, das – damals stürzt sich ganz klar in das Schwert von ist, dass sie nicht sein Wagner haben das zuletzt sogar in Bay- Isolde alles ertrinkt und versinkt „in ohne Lust. Petrenko ergibt sich in diese noch unter dem indifferenten Dirigat Merlot (Sean Michael Plumb). kann, weil Tristan schon reuth so exerziert, viele andere davor dem wogenden Schwall, / in dem tönen- Deutung samt strenger Optik, aber er von Kent Nagano und mit einer eben- Am Ende liegen beide da, sie steht längst auf der dunklen Seite steht, wohin und danach auch. Man würde diese den Schall, / in des Welt-Atems / wehen- unterwirft sich ihr nicht. Das macht falls schwachen Inszenierung von Ri- wie die Primadonna zur Finalarie auf Isolde ihm folgt. So lautet längst das Re- grandios nach innen gestülpte Love- dem All“, wenn – „unbewusst / höchste dann doch den Reiz dieses über weite chard Jones – erstmals das spätere und singt ernüchternd den Liebestod, gietheaterklischee von Richard Wagners story also gern einmal wieder etwas lei- Lust!“– sich diese Klangwelt endlich Strecken intellektuell drögen Opern- Münchner Operntraumpaar Anja Harte- wofür der viel zu schade ist. Und wieder aktionsloser, aber gefühlssatter „Hand- denschaftlicher und dann umso nach Dur wendet, zärtlich geformt, lang abends aus. Er arbeitet mit dem aller- ros und Jonas Kaufmann gemeinsam kommt das Hotelvideo: Jetzt liegen bei- lung in drei Akten“, uraufgeführt 1865 schrecklicher umschlagen sehen, wenn anhaltend nachklingend. feinsten Chirurgenbesteck, dringt fast präsentierte. Zwölf Festspiel-Ausgaben de zwischen Tablettenröhrchen auf am Münchner Hof- und Nationaltheater. der tagesgrausame König Marke in diese In seiner letzten Münchner Premiere invasiv in Wagners verzweigt zuckende später singen diese beiden Ausnahmein- dem spießigen Doppelbett, schlagen die amouröse Nachtverstricktheit ein- als Längst-nicht-mehr-Generalmusikdi- Klangnervenenden vor. terpreten, die sich auch bei Verdi und Augen auf und blicken sich verliebt an. VON MANUEL BRUG bricht, um seinen besten Freund mit rektor der Bayerischen Staatsoper, son- Und so erfährt wenigstens der Hörer Giordano vereint haben, nun als Rollen- „Tristan und Isolde“, alles nur gelogen? seiner Gattin zu erwischen. dern Coronagestählter Chefdirigent der einen intensiv orgasmischen Taumel in debüts Tristan und Isolde. Beider Stim- Eine schwache Warlikowski-Finte. Dort erfuhr das immer noch uner- Zum Glück aber gibt es ja noch Ri- Berliner Philharmoniker aber lassen Ki- einer Art Fruchtblase aus Klang, in der men sind dafür nicht geboren, aber sie Aber wie wusste es schon der theater- hörte Werk 156 Jahre später seine chard Wagners chromatikverschlunge- rill Petrenko und das nach seinem Wil- sich wunderbar wohlig schwimmen und sind gewachsen und wurden intelligent praktische Richard Wagner? „Dieser neunte Neuinszenierung durch den Po- ne Wunderpartitur, die schwelgt und len perfekt geformte Staatsorchester dämmern lässt. Petrenkos Dirigat ist ele- auf die ganz große Wagnerspur gesetzt. Tristan wird was Furchtbares! Vollstän- len Krzysztof Warlikowski, der genau lüstern ausschlägt, in Wallung gerät und dieser Musik Gerechtigkeit widerfahren. gant, erlesen und lyrisch, kann auch stür- Sie hat die vergangenen 15 Monate ge- dig gute Aufführungen müssen die Leu- diesem ausgetretenen Deutungspfad doch auch in transzendente Welten jen- Sie schmiegt sich eng an das Bühnen- misch werden, brodeln und tosen. Doch schwiegen, er hat ebenfalls viel weniger te verrückt machen“, orakelte er noch folgt. Lustverweigerung, Berührungs- seits jeder irdischen Emotion zu ent- geschehen, atmet intuitiv richtig mit immer wieder treibt es mild dahin, man gearbeitet, klingt ausgeruht. vor der Uraufführung. Mit Kirill Petren- verbot auf der Bühne – bis auf eine mo- führen weiß. Die anheizt und anmacht, den Sängern, bewahrt aber doch in jeder möchte es nie enden lassen, ertrinken, Die Harteros, von der Warlikowski- ko und diesen Sängern hätte solches mentkurze beiderseitige Annäherung a sich aber dauernd stöhnend in Harmo- Note ihre Eigenständigkeit, kommen- versinken. So schließt sich in München Dauerausstatterin und Gattin Małgor- passieren können. Die Regie hat es ver- tergo im ersten und einen keuschen nie auflösen möchte. tiert, tröstet, wühlt auf, wo Warlikowski – wieder mal – ein Kreis. Der scheiden- zata Szczęśniak zunächst in eine knall- hindert. Vielleicht besser so. Der letzte Held der DDR H Andreas Kleinert hat das Leben des Schriftstellers Thomas Brasch verfilmt. Und läutet so die dritte Phase der DDR-Filmvergangenheitsbewältigung ein einrich Breloer hat seine Witwe Helene Weigel, die nun das Berli- Regisseur Andreas Kleinert jobbte „Lieber Thomas“ (und Andreas Dre- jetzt einmal eingeführt werden, ein Al- Schießerei. In solchen Sequenzen geht Schriftsteller-Familiensaga „Die ner Ensemble (BE) regierte. Sandas erst als Transportarbeiter. Er hatte ge- sens „Gundermann“) stehen hingegen brecht-Schuch-Held. Albrecht Schuch der Film weit über das handelsübliche Manns“ genannt. Andreas Klei- Bruder, der Schauspieler Vladimir rade sein Regiestudium in Babelsberg für das Erzählen über die DDR aus der spielt seit einigen Jahren jede gute Rol- Biopic hinaus, ein Film über einen Un- nert hätte das volle Recht gehabt, seine Weigl, hat eine Tochter mit der blutjun- beendet, als die Mauer fiel. Man kann in Post-DDR heraus: durch eine Generati- le, die es im deutschen Film zu geben angepassten muss Unkonventionelles Künstler-Familiensaga „Die Braschs“ zu gen Katharina Thalbach, Tochter des seinen Filmen viel Autobiografisches on dort geborener Filmemacher, die ih- scheint: Bennis Anti-Aggressionstrainer wagen. nennen, denn die Braschs sind für den BE-Hausregisseurs Benno Besson. Die- entdecken. Der unerschütterlich an den re Karriere erst nach der Wende began- in „Systemsprenger“, Franz Biberkopfs Darin liegt der Unterschied zu Anne- Osten das, was die Manns für den Wes- se Katharina wiederum verliebt sich Sozialismus glaubende Horst Brasch ist nen. Es geht, wie in den Kolonialismus- Verderber in „Berlin Alexanderplatz“, katrin Hendels Kinodokumentation ten waren. Aber Kleinerts Film heißt Hals über Kopf in Thomas. Sanda heira- auch Kleinerts Vater, der stets uner- debatten, um die Formung des Narra- den haltlosen Freund von „Fabian“ in „Familie Brasch“ von vor drei Jahren, „Lieber Thomas“, denn es ist vor allem tet dann den Autor Klaus Pohl, der viel schütterlich an die 98-Prozent-Wahler- tivs durch die Betroffenen selbst bezie- Dominik Grafs neuer Kästner-Verfil- die auf viele Zeitzeugen zurückgreifen eine kritische Liebeserklärung an Tho- später einen Schüsselroman über diese gebnisse in dem SED-Staat glaubte. hungsweise deren Kinder, um die Rü- mung, den Gestapo-Chef in der neuen konnte. „Lieber Thomas“ ist einer von mas Brasch – ausnahmetalentierter Ly- Braschs schreiben wird. Ausgerechnet bei den manipulierten ckeroberung der Geschichtshoheit „Schachnovelle“ und kommendes Jahr jenen „Basierend auf realen Ereignis- riker, Filmregisseur mit zwei Cannes- Schon dieser ziemlich kursorische Kommunalwahlen von 1989, die das En- durch die Unterlegenen der Geschichte. einen der Weltkriegssoldaten im Re- sen“-Filmen, die sich Freiheiten heraus- Einladungen, Frauenmagnet, System- Überblick über Braschsche Familien- de der DDR einleiteten, war er Mitglied Dazu gehört, wie es auch in der make von „Im Westen nichts Neues“. nehmen und die Wahrheit der Fakten sprenger, Romantiker der Revolution, bande lässt erahnen, welche Kräfte in der Wahlkommission und musste sich schwarzen Bürgerrechtsbewegung ge- „Lieber Thomas“ scheut sich nicht, durch eine Wahrheit der Sinnhaftigkeit Kokainist. Bewegung gesetzt werden, wenn einer wegen der Fälschungen vor Gericht schieht, das Erfinden von Helden. Tho- Schuchs Brasch zu mögen. Seine Wi- ersetzen. Vielleicht kam deshalb das da nicht mitspielen will. Und Thomas verantworten. mas Brasch ist, diese Kategorie muss derspenstigkeit und Unbeugsamkeit, Drehbuch von Klaus Pohl nicht zum Zu- VON HANNS-GEORG RODEK ist kein Mitspieler. Er ist auch kein Dis- „Lieber Thomas“ läutet ei- Widersprüchlichkeit und Un- ge, was dem Film einige Skepsis von sident, kein Oppositioneller, er ist ein ne neue, die dritte Phase der stetheit, seine unermessli- Seiten der zahlreichen Braschisten ein- ZEITSPRUNG PICTURES/WILD BUNCH GERMANY/PETER HARTWIG Man muss heute, zwanzig Jahre nach radikaler Individualist. Das geht gut, so- DDR-Filmvergangenheitsbe- chen Ansprüche an sich bringen dürfte. seinem frühen Tod, das Geflecht Brasch lange er in der Prenzlauer Berg-Bohème wältigung ein. Die begann selbst. Sein Starsein und sein Doch sie bekommen stattdessen ei- kurz aufdröseln. Der Vater Horst, ein unter dem Radar bleibt, wo man Che einst mit depperten Vopos Gefallen daran, Star zu sein. nen wahren Filmhelden, einen besesse- Jude, wird 1939 durch einen der Kinder- Guevara statt Walter Ulbricht an der und Spreewaldgurken in „Son- Brasch kokettierte mit dem nen Autor, der einst ein Stück schrieb, transporte nach England gerettet und Wand hängen hat. nenallee“ und „Good Bye, Le- Verbrechen als der einzig das nur aus Sätzen des Neuen Deutsch- kehrt nach dem Krieg als überzeugter Das geht schrecklich schief, als er nin!“. Das frisch vereinte Land ernsthaften Negierung der land bestand (aber trotzdem nicht auf- Sozialist zurück. Natürlich in die DDR, und Sanda nach der Prager Invasion musste sich erst den Schre- bürgerlichen Existenz; Jahr- geführt werden durfte), sowie einen wo er mit der Seilschaft Honecker Kar- 1968 Flugblätter in die Briefkästen cken der Diktatur aus den Kla- zehnte lang schrieb er an ei- Charismatiker und einen vom wahren riere macht und Vize-Kulturminister stopfen: Stasi. Hohenschönhausen. motten lachen. Mit dem „Le- nem Roman über einen Seri- Sozialismus träumenden Idealisten – wird. Thomas’ kleiner Bruder Klaus ist „Bewährung“ in der Produktion, weil ben der Anderen“ begann die enmörder, doch die 16.000 der sich nicht zu schade dafür ist, mit ein talentierter Schauspieler mit Bran- der Vater interveniert hat, den der filmische Aufarbeitung des Schreibmaschinenseiten wur- kapitalistischen Verlegern um Hundert- do-Allüren. Starrsinn des Sohnes die Parteikarriere Überwachungssystems, die bis den nie veröffentlicht. Klei- tausende zu pokern. Ach ja, und auf der Thomas Brasch ist liiert mit der ru- kostet. Immerhin, Thomas lernt unter heute andauert; im August nert visualisiert solche Fant- Abschiedsfeier vor seiner Übersiedlung mänischen Sängerin Sanda Weigl, die dem Proletariat des Kabelwerks doch kommt „Nahschuss“ in die Ki- asien, mit einer schockieren- in den Westen soll er den vernich- bei der Ankunft in Schönefeld von ihrer so einiges, was er für das Leben und die nos, über das letzte vollstreck- Albrecht Schuch ist Thomas Brasch in Andreas Kleinerts den Mord/Selbstmordszene tendsten aller DDR-Witze geprägt ha- Tante abgeholt worden war, der Brecht- Lyrik brauchen kann. te Todesurteil in der DDR. „Lieber Thomas“ und einer Bonnie-and-Clyde- ben: „Der Letzte macht das Licht aus.“ © WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten (einschl. Text und Data Mining gem. § 44 b UrhG) - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exclusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung
2.7.2021 https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/467229/11 F.A.Z. - Feuilleton Freitag, 02.07.2021 Präzise, kristallklar und unsentimental Richard Strauss bleibt ein Faszinosum: Uraufführungen in Garmisch-Partenkirchen und ein Film des DSO mit Reinhold Messner. Richard Strauss als „Spätromantiker“ zu bezeichnen, der im zwanzigsten Jahrhundert nie heimisch geworden sei, ist grob fahrlässiger Unsinn. Konsequenter als Gustav Mahler oder Arnold Schönberg hatte der reflektierte Ironiker Strauss sich von aller Romantik losgesagt und anders als diese beiden Fundamentalisten begriffen, dass er Kunst im nachmetaphysischen Zeitalter mache, weil es keine tran- szendente „Hinterwelt“ mehr gebe, die den Wahrheitsanspruch von Kunst verbürgen könne. Doch die Konsequenz bei Strauss ist eben nicht, larmoyante Abschiede zu feiern, sondern diese Welt ohne Letzt- begründungen zu bejahen als jene, in der nun gelebt werden müsse. Wer die von Dominik Šedivý intelligent programmierten Richard-Strauss-Tage in Garmisch-Partenkir- chen besucht, stößt genau auf diesen Strauss: einen Mann, der künstlerisch klarsichtig, unsentimental und modern war. „Schauen Sie sich nur einmal seine Einrichtung der großen g-Moll-Symphonie von Mozart an: Stricharten und Dynamik, die er in die Partitur eingetragen hat, entsprechen dem, was man heute – nach modernen Erkenntnissen – ,historische Aufführungspraxis‘ nennen würde“, erklärt Šedivý, als wir im Arbeitszimmer von Strauss’ Garmischer Villa stehen. In Beethovens neunter Sympho- nie habe Strauss, einer der führenden Dirigenten seiner Zeit, an allen Höhepunkten ein „senza espres- sione“ verlangt: „ohne Ausdruck“. Die Musik selbst war ihm stark genug, als dass die Spieler noch ihren Empfindungssirup drüberpinseln sollten. Am Abend spielt die Camerata Salzburg im Garmischer Kongresszentrum Beethovens vierte Symphonie exakt nach der Partitureinrichtung von Richard Strauss, mit dessen Stricharten, Dynamik und Metro- nomzahlen. Auch wenn das Orchester einen Dirigenten gebraucht hätte, um noch exakter, plastischer zu agieren, ist das Ergebnis verblüffend: schnelle Tempi, lebhafte Strichwechsel, knisternde Elektrizität, sprudelnde Klarheit. Der Unterschied zu den Lesarten von Nikolaus Harnoncourt und Paavo Järvi ist gering, jener zum Strauss-Zeitgenossen Wilhelm Furtwängler gewaltig. Strauss scheute Erhabenheit, bei der nachgeholfen wurde. Seine Leidenschaft kam aus Präzision, Klarheit und Zuspitzung. Die Strauss-Tage in Garmisch haben ein gewaltiges Kapital: Sie finden an einem authentischen Ort statt und sind philologisch nah an den Quellen. Natürlich ist es für das Publikum etwas Besonderes, sich morgens vor der Villa zu versammeln, in der Strauss vierzig Jahre gelebt hat, und dann zu einer Wande- rung aufzubrechen, wie sie der Komponist täglich mit seiner Frau Pauline unternahm. Und natürlich profitiert das Komponistenfestival davon, wenn es durch Dominik Šedivý direkten Zugang zum Nach- lass im Archiv der Familie hat. So gibt es bei diesen Strauss-Tagen die Uraufführung eines Klavierstücks in d-Moll und einer Konzertouvertüre in h-Moll, beide aus der Kindheit des Komponisten und beide sehr deutliche Belege, wie stark Strauss ursprünglich durch den Klassizismus Carl Maria von Webers, Louis Spohrs, Felix Mendelssohn Bartholdys und Franz Lachners geprägt ist. Die tumultösen Gesten seines nachwagnerianischen Vitalismus ruhen auf dem Fundament einer luziden Satztechnik. So bewahrt er sich noch in dem, was er selbst „Nervenkontrapunktik“ und „Neuro-Mantik“ nannte, Leich- tigkeit und Grazie. Deshalb ist es wichtig, diese kindlichen Anfänge des Komponisten Richard Strauss öffentlich zu machen. Johannes Hinterholzer stellt im Kurpark zudem das Horn von Franz Strauss vor, dem Vater Richards, einem führenden Hornisten der Zeit und Mitwirkenden der Uraufführung von Wagners „Tristan und Isolde“. Christian Hörburger, ein Urgroßcousin von Richard Strauss, hat es dem Strauss-Institut zugänglich gemacht. Es sei ein zierliches und filigranes Instrument, erzählt Hinterholzer. Die Mensur des Mundstücks sei so eng, dass langes Blasen darauf die Schmerzgrenze überschreite. So sei schon rein physisch zu erklären, warum Franz Strauss ein entschiedener Gegner der langen Opern Richard Wagners gewesen sei, für die er sich trotzdem mit all seinem Können einsetzte. https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/467229/11 1/2
2.7.2021 https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/467229/11 Als Hinterholzer dann mit dem Pianisten Venelin Filipov das Notturno Des-Dur op. 7 von Franz Strauss spielt, hört man eben einen instrumentalen Belcanto mit mendelssohnischer Tönung, der zu den früh- kindlichen Eindrücken des Sohnes Richard gehört haben muss. Šedivý übernahm die Leitung der Strauss-Tage recht kurzfristig im vergangenen Jahr, nachdem Alexan- der Liebreich sie nach nur zwei Festivalausgaben niedergelegt hatte: erstens, weil er wegen der Pande- mie keine Genehmigung für die Saison 2020 bekommen hatte, und zweitens, weil er nicht länger vergeblich auf seinen unterzeichneten Vertrag warten musste. Aus dem Innern des Gemeinderats hörte man allerdings auch Äußerungen eines hässlichen und engstirnigen Provinzialismus, dass man kein Festival für hochnäsige Münchner und internationale Gäste ausrichten wolle, die auf die Einheimischen herabsähen. Dominik Šedivý ging pragmatisch damit um, akzeptierte vorerst die Drittelung des Etats und bezog die Bläser der Musikkapelle Partenkirchen ins Eröffnungskonzert ein. Dass die künstlerische Qualität dabei nicht auf der Strecke bleibt, beweist nicht nur ein erlesen schönes Parkkonzert mit dem Salzburg Ensemble und Bläserserenaden von Strauss und Mozart. Für Klugheit und Finesse steht vor allem ein Liederabend mit Julian Prégardien, der Beethovens Zyklus „An die ferne Geliebte“ mit den Liedern op. 10 nach Hermann von Gilm von Richard Strauss sowie verinnerlicht-kargen Liedern nach Christian Morgenstern vom finnischen Strauss-Zeitgenossen Yrjö Kilpinen konfrontiert. Prégardien versteht das Leise nicht als Reduktion, sondern als Verdichtung, als Steigerung von Intensität. Kota Sakaguchi folgt ihm am Klavier ungeheuer achtsam, wenn er den melodischen Aufschwung bei den „letzten roten Astern“ im Strauss-Lied „Allerseelen“ mit einer leichten Verzögerung verbindet. Das eben macht die Zerrissenheit dieses Liedes aus: Aufschwung und Zögern sind eins – weil man weiß, dass die Geliebte nicht mehr, wie bei Beethoven, fern, sondern tot ist. Strauss fasziniert unsere Gegenwart. Man sieht es auch in dem ganz neuen Film, den Frederic Wake- Walker und Andreas Morell zur „Alpensinfonie“ gedreht haben. Das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin (DSO) spielt darin unter seinem Chefdirigenten Robin Ticciati das Werk komplett, dazwischen reflektiert – sinnfällig im Timing zur Musik – Reinhold Messner über das Bergsteigen: über Erfahrun- gen der Wehrlosigkeit, über ein intensives Licht und über den Tod als beständige Möglichkeit, über das Erhabene, dessen Akteur nicht der Mensch, sondern das Gebirge sei. Wie in Messners Reflexionen ist auch in Strauss’ Musik, wenn das Oboensolo auf dem Gipfel kleinlaut in die Knie geht, der Mensch plötzlich Nebensache: Abschied vom Anthropozentrismus. Am Sonntag wird der Film um 22 Uhr im RBB ausgestrahlt. Er bebildert Strauss’ Musik nicht, er erkundet deren Bedeutung. Jan Brachmann https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/467229/11 2/2
2.7.2021 Novoflot: Beethoven hat den Blues | Inforadio Startseite > Programm > Kultur Fr 02.07.2021 | 07:55 | Kultur Novoflot: Beethoven hat den Blues Durch Corona konnte der 250. Geburtstag von Ludwig van Beethoven nicht richtig gefeiert werden. Das hat die Opernkompagnie "Novoflot" jetzt nachgeholt – mit einer ganzen eigenen Hommage an den Klassiker im Berliner Admiralspalast. Von Barbara Wiegand Stand vom 02.07.2021 Beitrag hören https://www.inforadio.de/programm/schema/sendungen/kultur/202107/02/581866.html 1/1
2.7.2021 https://epaper.sueddeutsche.de/webreader-v3/index.html#/809955/12 Und erlöse uns von der Geschichte Das Jüd is che Mus eu m Berl in zeigt ein e groß e Werks chau der isr ael is chen Künstl er in Yae l Bart a n a. Die Auss tell ung ist ein Coup, auch int ell ekt ue ll VON S ON J A Z E K R I Neb en der Tür des Atel iers hängt der schneeweiß e Mant el von Malk a Germ an ia, der Kön ig in Germ an ia. Yael Bar- ta n as Film „Malk a Germ an ia“ ist abg ed reht und der Höh ep unkt ihrer groß en Werks chau im Jüd is chen Mus eu m Berl in. Aber ein paar Req uis it en der and rog yn en Mess ias-Fig ur steh en noch heru m, hier in ihrem Kreuzb erg er Atel ier, und auch in der Auss tell ung. Wenn es um Deuts che, Jud en und Israe l geht, um Traum at a und um Schuld, dann bleibt imm er etwas übr ig, und oft ist es gerad e das, was man gern saub er vers taut hätt e. Das Ung ewöhnl i- che bei Yael Bart a n a ist, dass dies e Überrest e zwar meist in die Verg ang enh eit weis en, aber manchm al auch in die Zuk unft. An ein er Atel ierwand leucht et in blaue r Neo ns chrift „Tremb ling times“, von ein em Fot o dan eb en blickt Yael Bart - an a als Theod or Herzl, der Beg ründ er des Zion ism us – oder, wie sie scherzh aft sagt, Theod or Herzl als Yael Bart - an a –, mit heit erer Grav it as hera b. In der Ecke steht ein Schreibt isch mit groß en Bilds chirm en: „Hier ents teht die ganz e Mag ie“, sagt Bart a n a. Hier ents tand „Malk a Germ an ia“. Die Vid eoi ns tall at io n war ein e Auft ragsa rb eit für das Jüd is che Mus eu m, die Dreha rb eit en unt er pand em is chen Bed ing ung en waren, wie man so sagt, hera usford ernd, und die Erö ffn ung der Auss tell ung „Redempt io n Now“ wurd e zigm al vers chob en. Man kann die 40 Min ut en über ein e plat inb lond e Erl ös er in wörtl ich nehm en und sich dann schön aufreg en: Ein Skand al, dies e Bild er! Man kann sie aber auch and ers auff ass en – als hum orvoll e Ein- lad ung zur Selbste rfors chung. Dab ei sind die Anf äng e pen et rant arisch. Auf drei groß en Leinwänd en im Jüd is chen Mus eu m wird die Ank unft der Tild a-Swint on-haft en Kön ig in in ein em Wäldc hen bei Berl in gez eigt. Weiß gek leid et e Tänz er inn en bieg en die Leib er im Sonn enl icht, Athl et en hec heln vorb ei. Gleichz eit ig erreicht ein Trupp israel is cher Sold at en Berl in. Dann zieh en all e nach Ost en, die Sold at en zu Fuß, Malk a auf ein em ges checkt en Esel, vorb ei an der Sieg ess äul e, Richt ung Brand enb urg er Tor. Und nichts bleibt, wie es ist. Erst seg elt aus ges chnieg elt en Altb aut en deuts ches Kult urg ut auf die Straß e, Rec lamh eft e, Goet he-Büst en, ein e Kuc kucksu hr. Dann tauscht an ein er Kreuz ung ein Mann mit Kipp a deuts che Straß enn am en geg en heb räis che aus. Die Sold at en laufen auf den Reichst ag zu, ein er von ihn en trägt Geb etsr iem en. Schließ l ich das bomb ast is che Fin al e am Wanns ee: Vor den Aug en Malk as und der ung läub ig en Bad eg äst e steigt unt er Braus en und Summ en die gig ant is che Kupp el von Alb ert Speers „Welth aupts tadt“ Germ an ia emp or. In ein er Art Epil og sieht man schließ l ich Mens chen mit Koffern Bahng leis e entl angg eh en. So weit die Schlüss els zen en. Man muss dan ach erst mal Luft hol en und sort ieren, was gen au man da eig entl ich ges eh en hat. Ein e ant is em it i- sche Fant as ie? Ein e zion ist is che Fant as ie? Beid es? Keins davon? Und ist das nicht abs ol ut ung eh eue rl ich, Speers volle ndet e Ruhm esh all e und dan ach Deuts che mit Koffern auf Gleis en zu zeig en wie einst die jüd is chen Opfer der Shoa h? Yael Bart a n a kennt dies es Ers chrec ken über die Bild er, sie hat es bea bs icht igt, sie spielt dam it: „Ach- ten Sie dara uf, was Sie wirkl ich seh en“, sagt sie: „Wir wiss en nicht, woh in die Mens chen mit den Koffern geh en, es gibt kein e Gewalt. Wir all e trag en das koll ekt ive Wiss en aus dem Kin o, aus Arc hiven, von hist or is chen Fot os und Dok um ent at ion en in uns. Dies e Bild er bring en wir mit. Desh alb denken wir, dass wir etwas seh en, das es im Film gar nicht gibt.“ Hat man aber den Film als vis ue ll e Übung akz ept iert, als Schul e des Seh ens, ges chieht zweie rl ei. Selbst die ass o- ziat ivst en Bild er werd en plötzl ich von ihrer hist or is chen Last bef reit. Mens chen auf Gleis en könnt en tats ächl ich nur Mens chen auf Gleis en sein. Und israel is che Sold at en, die aus dem Dunkel zur Sieg ess äul e emp ors chaue n, könn en zwar an das ikonis che Bild israel is cher Falls chirmj äg er an der Klag em aue r im Sechs-Tag e-Krieg eri n- nern, aber sie müss en es nicht. Seh en die Berl in er Invas oren nicht sog ar etwas verl oren aus? Wollt en sie wirkl ich einm ars chieren oder hab en sie sich nur verl aufen? https://epaper.sueddeutsche.de/webreader-v3/index.html#/809955/12 1/3
2.7.2021 https://epaper.sueddeutsche.de/webreader-v3/index.html#/809955/12 Dies e Bef reiu ng der Bild er wied eru m ist das Ins trum ent ein er viel umf ass end eren, ges chichtso pt im ist is chen In- terp ret at io n. Mag sein, dass aus den Tiefen des Wanns ees der verd rängt e Größ enwahn der Deuts chen in Ges talt der Ruhm esh all e aufs teigt. Aber was gen au würd e das bed eut en? Die Bild er lass en offen, ob die Strandg äst e die Konf ront at io n bej ub eln oder verf luc hen werd en. Wicht ig er ist ohn eh in die Frag e, welc he Gef ühl e das Bild im Zu- schaue r ausl öst. In ein em Dep ot neb en der Leinwand sind Req uis it en zu seh en, daru nt er ein e gold en e Malk a-Fig ur, die den Reichsa dl er in die Freih eit flieg en lässt – und mit ihm wom ögl ich den deuts chen Größ enwahn. Die Zuk unft hat noch nicht stattg ef und en und ist schon ein Fall fürs Mus eu m: So könnt e es sich abs piel en, und das blieb e davon übr ig. Bart a n as Film hand elt von der Erl ös ung durch Kunst. Nicht nur die Bild er, sond ern auch die Ges chicht e kann neu ges chrieb en werd en. Selbst das schuldb el ast et e, oft so una ufr icht ig e Verh ältn is der Deuts chen zu Jud en und zu Israel is könnt e and ers bef ragt, and ers gel ebt werd en. Im Idea lf all wirke ihre Kunst wie ein e Psyc hoa nalys e, die den Mens chen hilft, aus den ewig en eng en Zyk len ausz ub rec hen, sagt Bart a n a. In „Malk a Germ an ia“ zieht gel eg entl ich ein Kam el durchs Bild, kein Ress ent im ent, kein ruh el os „wand ernd er Jud e“, sond ern ein e Erm unt e- rung an die Deuts chen: Traut euch, bewegt euch, es kann bess er werd en. Kunst als Beweg ungst herap ie. Bart a n a lebt seit zehn Jahren in Berl in, sie sieht sich selbst als Auß ens eit er in, die imm er da sein möcht e, wo sie gerad e nicht ist. Viel e ihrer Werke, auch in der Berl in er Auss tell ung, enth alt en Krit ik an der israel is chen Pol it ik, der Bes atz ung, der Zur ücks etz ung der Arab er, den Siedl ern. Das hat ihr selbst schon den Vorw urf eing eb racht, sie sei ant iz ion ist isch oder sog ar ant is em it isch. Am Anf ang von „Malk a Germ an ia“ aber stand die Sehns ucht nach der heb räis chen Sprac he, erz ählt sie: Ein es Nachts hab e sie davon get räumt, dass all e Straß ens child er in Prenzl aue r Berg heb räi sch seie n: „Viell eicht hatt e ich Heimweh.“ Wenn man im Film sieht, wie unb ee ind ruckt die zuf äll ig in die Dreha rb eit en gerat en en Berl in er sind – ganz die abg eb rüht en Haupts tädt er –, dann ist das schon all ein sehr hübsch. Für Israel is ist die Szen e noch unt erh alts am er, denn die Berl in er Straß en heiß en jetzt „Reh ov Geu l a“, Straß e der Erl ös ung, und „Reh ov Hakovsh im“, Straß e der Ero berer, es sind mart ial is che Nam en ein er völl ig allt ägl ic hen Kreuz ung in Tel Aviv. Dass Bart a n a ganz and ers ang ef ang en hat, ant hrop ol og is cher, dok um ent ar is cher, kann man in ihrer Auss tell ung „Redempt io n Now“ gut verfolg en. Zwar ist die Werks chau nicht chron ol og isch geo rdn et, aber zu Beg inn find en sich ein ig e ihrer früh en Vid eo s wie „Kings Of The Hill“ von 2003, wo Männ er monst rös e SUVs den Strand hina uf- und heru nt erq uäl en. Oder „When Adar Ent ers“ aus dems elb en Jahr, ein Bes uch zum Pur im-Fest bei den Ort ho- doxen in Mea Shear im in Jer us al em und Bnei Brak bei Tel Aviv. All e verk leid en sich, die Mädc hen trag en weiß e Kleid er wie Bräut e, ein Jung e ein e Gasm aske. Auf der Straß e tanz en Männ er mit Fake-Fez. Es ist ein e Welt, die der säk ul aren Bart a n a halb fremd, halb vert raut ist. Aber dass der And ere una bd ingb ar ist, um die eig en e Ident it ät zu form en, geh ört ja gerad e zu ihren Kernt hes en. Israel is wie sie beis pielsweis e werd en sich erst in Europ a ihrer jüd is chen Ident it ät bew usst, sagt sie. Aber was ist, wenn dies er And ere fehlt als Folg e von Vern icht ung? Wie umg eh en mit ein em so vers törend en Vakuu m? Ein e Antwort dara uf gibt in Berl in ihr be- kannt est es Werk, das vielg es talt ig e Proj ekt „And Europ e Will Be Stunn ed“. Es kreist um ein e fikt ive poln is che Beweg ung, die 3,3 Mill ion en Jud en – so viel e wie vor der Shoa h in Pol en lebt en – zur Rückkehr beweg en will. Das „Jew ish Ren aiss ance Movement in Pol and“ war – heut e schwer vors tellb ar – Pol ens Beit rag zur Bie nn al e in Vene- dig 2012, es ber ührt Frag en von Zug eh ör igkeit, von Heim at, auch von Erl ös ung. Die Rea kt ion en in Israe l waren stürm isch, sagt Bart a n a: Poln ischs tämm ig e Jud en weint en, als sie die Sprac he ih- rer Kindh eit hört en. And ere waren fass ungsl os: „Willst du uns zur ück in die Gask amm er schic ken?“ Und dann gab es noch ein e Lesa rt, pol it is cher, akt ue ll er: „Wenn die Jud en nach Pol en zur ückkehren, müsst en dann nicht die Pal äst in ens er nach Israe l zur ückkehren dürfen?“, fragt Bart a n a. Ihre Antwort: „Ja, das müsst en sie.“ „Redempt io n Now“ ist die erst e Auss tell ung der neue n Mus eu msd irekt or in Hett y Berg, gep lant lang e bevor sie ihren Post en ant rat, nun aber ein künstl er is cher und int ell ekt ue ll er Coup. Man find et die Fot os von Herzl als Bart a n a wied er, auch ein Vid eo mit dem Tit el „Tremb ling Time“. Es zeigt in Zeitl up e den einf rierend en Verkehr während der Schweig em in ut e für die israel is chen Kriegsg ef all en en. Bart a n a hat zion ist is che Jub elb ild er aus den Dreiß ig erj ahren mit Arab ern nachg es tellt und ein e israel is che Fried ensd em onst rat io n als ant ikes Rel ie f gef ilmt. https://epaper.sueddeutsche.de/webreader-v3/index.html#/809955/12 2/3
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