Protanopie und Protanomalie bei Berufskraftfahrern und Berufskraftfahrerinnen - Prävalenz und Unfallrisiko - Berichte der Bundesanstalt für ...

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Protanopie und
 Protanomalie bei
 Berufskraftfahrern und
 Berufskraftfahrerinnen -

Prävalenz und Unfallrisiko

 Berichte der
 Bundesanstalt für Straßenwesen
 Mensch und Sicherheit Heft M 319
Protanopie und
 Protanomalie bei
 Berufskraftfahrern und
 Berufskraftfahrerinnen -

Prävalenz und Unfallrisiko

 von

 Paula Friedrichs
 Paul Schmidt
 Kerstin Schmidt

 BioMath GmbH
 Angewandte Statistik und Informatik in den Biowissenschaften
 Rostock

 Berichte der
 Bundesanstalt für Straßenwesen
 Mensch und Sicherheit Heft M 319
Die Bundesanstalt für Straßenwesen
veröffentlicht ihre Arbeits- und Forschungs­
ergebnisse in der Schriftenreihe Berichte der
Bundesanstalt für Straßenwesen. Die Reihe
besteht aus folgenden Unterreihen:
A - Allgemeines
B - Brücken- und Ingenieurbau
F - Fahrzeugtechnik
M- Mensch und Sicherheit
S - Straßenbau
V - Verkehrstechnik
Es wird darauf hingewiesen, dass die unter
dem Namen der Verfasser veröffentlichten
Berichte nicht in jedem Fall die Ansicht des
Herausgebers wiedergeben.
Nachdruck und photomechanische Wiedergabe,
auch auszugsweise, nur mit Genehmigung
der Bundesanstalt für Straßenwesen,
Stabsstelle Presse und Kommunikation.
Die Hefte der Schriftenreihe Berichte der
Bundesanstalt für Straßenwesen können
direkt bei der Carl Ed. Schünemann KG,
Zweite Schlachtpforte 7, D-28195 Bremen,
Telefon: (04 21) 3 69 03 - 53, bezogen werden.
Über die Forschungsergebnisse und ihre
Veröffentlichungen wird in der Regel in Kurzform im
Informationsdienst Forschung kompakt berichtet.
Dieser Dienst wird kostenlos angeboten;
Interessenten wenden sich bitte an die
Bundesanstalt für Straßenwesen,
Stabsstelle Presse und Kommunikation.
Die Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt)
stehen zum Teil als kostenfreier Download im elektronischen
BASt-Archiv ELBA zur Verfügung.
https://bast.opus.hbz-nrw.de

Impressum

Bericht zum Forschungsprojekt 82.0712
Prävalenz und Unfallrisiko von Protanopie und
Protanomalie bei Berufskraftfahrern
Fachbetreuung
Nicole Gräcmann
Referat
Fahreignung, Fahrausbildung, Kraftfahrerrehabilitation
Herausgeber
Bundesanstalt für Straßenwesen
Brüderstraße 53, D-51427 Bergisch Gladbach
Telefon: (0 22 04) 43 - 0
Redaktion
Stabsstelle Presse und Kommunikation
Druck und Verlag
Fachverlag NW in der
Carl Ed. Schünemann KG
Zweite Schlachtpforte 7, D-28195 Bremen
Telefon: (04 21) 3 69 03 - 53
Telefax: (04 21) 3 69 03 - 48
www.schuenemann-verlag.de
ISSN 0943-9315
ISBN 978-3-95606-624-5
Bergisch Gladbach, November 2021
3

Kurzfassung – Abstract

Protanopie und Protanomalie bei Berufskraft- samtbevölkerung in Europa ermittelt und in einer
fahrern und Berufskraftfahrerinnen: Prävalenz Metaanalyse zusammengefasst werden. Die ermit-
und Unfallrisiko telten Werte bestätigen die allgemein verwendeten
 Werte. Innerhalb der männlichen Bevölkerung sind
Hintergrund der Studie war die Harmonisierung des ca. 1 % protanop und ca. 2 % protogestört, wohin-
europäischen Rechts zur Fahrerlaubnis-Verord- gegen die Prävalenzen beider Protostörungen bei
nung (FeV) bezüglich der Anforderungen an das Frauen deutlich unter 0,1 % liegen.
Farbsehvermögen von Berufskraftfahrern und Be-
rufskraftfahrerinnen. Mit der Umsetzung in deut- Eine Datengrundlage zur Schätzung des Unfallrisi-
sches Recht können seit dem 01.07.2011 Personen kos unter protogestörten Berufskraftfahrern und Be-
mit einer vorliegenden Rotblindheit oder Rotseh- rufskraftfahrerinnen konnte ausschließlich über die
schwäche in Deutschland auch sämtliche Fahrer- Literaturrecherche und lediglich in begrenztem Um-
laubnisse der Gruppe 2 (C1, C1E, C, CE, D1, D1E, fang geschaffen werden. Bis auf eine Studie, die
D, DE, FzF) erwerben (zuvor nur C1, C1E, C, CE), 1996 veröffentlicht wurde, wurden die identifizierten
bei Rotblindheit oder Rotschwäche mit einem Ano- Studien vor 1980 publiziert und es ist zweifelhaft, ob
malquotienten unter 0,5 ist jetzt lediglich eine Auf- die damaligen Bedingungen (Straßenverhältnisse,
klärung der betroffenen Person über die mögliche Verkehrsaufkommen, lichttechnische Ausstattung
Gefährdung erforderlich. Gegen diese gelockerte der Kraftfahrzeuge, technische Anforderungen an
Regelung werden von der Deutschen Ophthalmolo- die Verkehrszeichen usw.) mit heutigen Verhältnis-
gischen Gesellschaft und anderen Fachleuten Be- sen vergleichbar sind. Hinsichtlich des Unfallrisikos
denken geäußert. lässt sich übergreifend aus den identifizierten und
 eingeschlossenen Studien keine statistische Erhö-
Um eine Grundlage in der Argumentation zu zu- hung des Unfallrisikos bei oder durch protanope,
künftigen oder bestehenden gesetzlichen Regelun- protanomale oder protogestörte Kraftfahrzeugfüh-
gen zu schaffen, sollten in der vorliegenden Studie rende nachweisen, sodass die auf Basis dieser Stu-
belastbare epidemiologische Daten, die Rück- die ermittelten Daten keine Grundlage für eine
schlüsse auf das Ausmaß und die Relevanz von Rücknahme der im Rahmen der Harmonisierung
Protanopie und Protanomalie bei Berufskraftfahrern des europäischen Rechts zum 01.07.2011 erfolgten
und Berufskraftfahrerinnen für die Verkehrssicher- Änderung der Anlage 6 FeV bieten.
heit zulassen, recherchiert werden.

Die Datengewinnung erfolgte auf zwei Wegen. Zum Protanopia and protanomaly among
einen fand eine systematische Literaturrecherche professional drivers: Prevalence and
zur Identifizierung von Studien statt, wobei die Stu- accident risk
dien nach bestimmten Kriterien ausgewählt und an-
schließend die jeweiligen Daten extrahiert wurden. The background of this study was the harmonisation
Zum anderen erfolgte eine Datenrecherche bei Be- of European law on the driving license regulation
hörden, Fachgesellschaften, Versicherern und Be- regarding the requirements for colour vision of
rufsgenossenschaften. In der Datenrecherche wur- professional drivers. Since the implementation in
den veröffentlichte Zahlen recherchiert sowie Insti- German law on July 1st, 2011, red colour defectives
tutionen, Arbeits-/Betriebsmedizinpraxen und wei- may obtain all Group 2 (C1, C1E, C, CE, D1, D1E,
tere Fachleute nach Daten befragt. D, DE, FzF) driving licenses in Germany (previously
 only C1, C1E, C, CE). By now, a protanope or
Eine Datengrundlage zur Schätzung der aktuellen protanomal person with an anomalous quotient
Prävalenz speziell unter Berufskraftfahrern und Be- below 0.5 requires solely an elucidation on the
rufskraftfahrerinnen konnte weder über die Daten- resulting risks. The German Ophthalmological
noch über die Literaturrecherche geschaffen wer- Society (DOG) and other experts have expressed
den. Bei keiner der kontaktierten Institutionen liegen concerns about this less stringent regulation. To
strukturierte personenbezogene Daten zur Diagno- assess these concerns, reliable epidemiological
se von Farbsinnstörungen vor. In der Literaturre- data should be researched, which allow conclusions
cherche konnten jedoch Prävalenzen für die Ge- to be drawn about the extent and relevance of
4

protanopia and protanomaly in professional drivers
for road safety.

Data acquisition was performed in two different
ways. First, a systematic literature search was
carried out to identify relevant studies. This was
done by selecting studies according to specific
criteria and extracting respective data. In addition, a
data search was carried out by contacting
authorities, professional and scientific societies,
insurers, and employer’s liability insurance
associations. Furthermore, published figures were
searched and institutions, occupational and
company physicians as well as other experts were
asked for data.

Neither the data nor the literature search could
provide an adequate data basis for estimating the
current prevalence among professional drivers.
None of the institutions contacted had structured
personal data on colour vision defect diagnoses.
However, through the literature search data on
prevalence of protan colour vision defects in
European populations could be determined and
summarised in a meta-analysis. The values for the
prevalence estimated herein confirm the frequently
referred values with approx. 1% of male population
being protanopes and approx. 2% being protans,
whereas the respective prevalence in women are
both clearly below 0.1%.

A data basis for estimating the accident risk among
protan professional drivers could be established
through literature search and to a limited extent
only. Except on study, published in 1996, all studies
identified are published before 1980. Therefore, it
may be questioned whether the circumstances at
that time (road conditions, traffic volume, lighting
equipment of motor vehicles, technical requirements
for traffic signs etc.) are comparable to today‘s
conditions. The identified and included studies on
accident risk do not provide any overall statistical
proof of an increase in the accident risk for or due to
protanope, protanomal or protan motor vehicle
drivers, so that the current data situation does not
justify a withdrawal of the change to Appendix 6 of
the German driving license regulations as part of
the harmonisation of European law as of July 1st,
2011.
5

Summary synopsis and analysis (qualitative or quantitative;
 e.g. meta-analysis, best evidence synthesis).

 Three search questions were defined, all of the
Protanopia and protanomaly among PECO (Population – Exposition – Comparator –
professional drivers: Prevalence and Outcome) type, with Population being professional
accident risk drivers in Europe, Exposition being either protanope,
 protanomalous or generally protan drivers, the
The background of this study was the harmonisation Comparator being drivers without colour vision
of European law on the driving license regulation deficiency. The three search questions differ only in
regarding the requirements for colour vision of their outcome: Outcome I consider the prevalence,
professional drivers. Since the implementation in Outcome II the risk of having an accident and
German law on July 1st, 2011, red colour defectives Outcome III the ability to detect or react to red-
may obtain all Group 2 (C1, C1E, C, CE, D1, D1E, coloured signals/objects.
D, DE, FzF) driving licenses in Germany (previously
only C1, C1E, C, CE). By now, a protanope or Two multi-disciplinary/large databases (Scopus and
protanomal person with an anomalous quotient Web of Science Core Collection) as well as six more
below 0.5 requires solely an elucidation on the specialist/subject-specific databases (Cochrane
resulting risks. The German Ophthalmological Library, CRD Database, LIVIVO, PsycINFO,
Society (DOG) and other experts have expressed PubMed and TRID Database) were searched. The
concerns about this less stringent regulation. To search in electronic bibliographic databases was
assess these concerns, reliable epidemiological complemented with internet searches (checking
data should be researched, which allow conclusions the relevance of the first 50 results in Google and
to be drawn about the extent and relevance of Google Scholar) to identify potentially relevant
protanopia and protanomaly in professional drivers studies outside electronic bibliographic data­ -
for road safety. bases and to mitigate effects of publication bias.
 Additionally, backward search was performed for
 all included studies and all identified reviews.
Systematic literature review

A systematic literature search was carried out to Data search
identify scientific studies relevant to answer the
 The data research and query took place in two
following defined research questions:
 search areas. On the one hand, institutions were
I. What is the prevalence of protanopia and contacted that are somehow associated with
 protanomaly among professional drivers? professional drivers, such as insurance companies,
 professional organisations or institutions related to
II. Has a higher risk of traffic accidents caused by traffic safety. On the other hand, transport companies
 red vision deficient professional drivers com­ (bus and logistics companies) were contacted.
 pared to professional drivers with normal colour
 vision been proven?
 Statistical analysis
III. Do persons (especially professional drivers)
 with protanopia or protanomaly make more Before meaningful statistical tests can be carried
 flaws in recognising red signals or objects than out, practically relevant effect sizes for the
 persons (especially professional drivers) with parameters under investigation must be agreed by
 normal colour vision? experts and/or decision-makers. Regarding the
 context of this project, this raised the question on
The search was done according to the principles of how large the accident risk increase for protanope
a systematic review, i.e. via the following steps: or protanomalous drivers compared to drivers
preparation and creation of review protocol, without colour vision deficiency would need to be in
identification of studies, selection of studies order to justify a legislation with stricter regulations
according to inclusion and exclusion criteria, for the former. Since no such clear threshold was
extraction of the studies’ data/results, evaluation of given, estimating 95% confidence intervals was
the studies’ quality, charting the results and other done in lieu of carrying out statistical tests for all
descriptive summary measures, data synthesis/ parameters of interest.
6

Where possible, prevalence and traffic accident an increase in accident risk for or due to protanope,
data of several studies were synthesised in meta- protanomalous or protan motor vehicle drivers.
analyses to estimate general prevalence of pro­ While some study estimates for the prevalence of
tanopia and protanomaly in European population protanopes/protanomals/protans among drivers
and compare the accident risk of protans to those of that had an accident were larger than the prevalence
non-colour defectives. in the total population, the latter was always within
 the 95% confidence interval of the former, and
 therefore statistically not significant. None of the
Prevalence of protanopia/protanomaly
 study estimates for the risk of having an accident
Regarding the current prevalence among among protanopic/protanomalous/protan drivers
professional drivers, neither the data nor the was larger than the risk in the total population. One
literature search could provide a data basis. Data of the two study estimates for the odds ratio was
on prevalence in the total population in Europe significantly larger than 1, yet the weighted mean
could be determined through the literature search across both studies was not.
and summarised in a meta-analysis. The weighted
 It should be noted that only one of the studies had
average prevalences from a total of 17 published
 professional drivers as subjects, while the others
studies confirm the prevalences frequently referred
 sampled motor vehicle drivers in general.
in the literature with approx. 1% of male population
 Furthermore, only some of the extracted data was
being protanopes and approx. 2% being protans,
whereas the respective prevalence in women are explicitly for protanope drivers, while oftentimes the
both clearly below 0.1%. One may hypothesise that numbers were given for protan drivers as a whole.
the prevalence among professional drivers is lower Thus, the results only partially apply to answer the
than among the total population due to the potential specific question of whether protanope professional
applicants’ knowledge about past regulations and drivers have an increased risk of having an accident.
uncertainty about future regulations. However, by
reason of lack of data, this hypothesis can neither Red colour recognition by red vision deficient
be confirmed nor refuted. drivers

 In the literature search, 39 laboratory studies were
Risk of traffic accidents caused by red vision
 identified in which protan were compared to people
deficient drivers
 with normal colour vision in relation to various
It was possible to extract data on the accident risk of aspects of recognition/reaction to the colour red.
protan drivers from a total of six studies that were The laboratory studies were carried out on subjects
selected within the literature search, while no who were recruited in various ways without
additional data could be gained from the data considering their profession; no (professional)
search. All studies were published between 1961 drivers were studied.
and 1996 in either Germany, the UK or Switzerland.
 Various characteristics were measured: the spectral
Three measurements to evaluate accident risk sensitivity and visual acuity at different wavelengths,
were computed: (i) the prevalence of protanopes/ the error rate or proportion of correct answers when
protanomals/protans among drivers that had an recognising colour or coloured signals/objects, the
accident – which was compared to the prevalence response time to (coloured) signals/objects, the
in the total population, (ii) the risk of having an detection and recognition distance of signs/traffic
accident among protanope/protanomalous/protan signs/guide posts/taillights or self-assessment of
drivers – which was compared to the risk of having difficulties in coping with everyday tasks.
an accident in the total population and (iii) the odds
 Overall, the laboratory studies show a disadvantage
ratio of having an accident among protanope/
 of protans compared to people with normal colour
protanomalous/protan drivers and of drivers
 vision. The laboratory studies also showed that
without colour vision deficiency – which was
 there are clear tendencies in relation to the severity
compared to an odds ratio of 1 that would indicate
 of red-sight weakness. The results also suggest that
similar odds.
 a clear separation regarding their performance
Ultimately, the identified and considered studies on between protanomal and people with normal colour
accident risk do not provide any statistical proof of vision is not always possible.
7

However, a direct conclusion on an increased risk of long-term database that can also be used to analyse
accidents appears questionable since the laboratory interactions with other factors.
conditions are not comparable to real traffic
conditions.

Conclusion and recommendation

In our comprehensive analysis of studies on the risk
of traffic accidents caused by protans and an
assessment of the practical relevance of the study
results, an increase in the risk of accidents in or due
to protanopia, protanomals or proto-impaired could
not be proven statistically, neither for the accident
risk in general nor for the risk of a rear-end collision,
which is considered typical for protan people.
However, the identified studies are relatively old
and may not be applicable to today‘s circumstances.
The current data situation does not justify a
withdrawal of the changes to Appendix 6 of the
German driving license regulations that were made
as part of the harmonisation of European law on
July 1st, 2011.

It should be clearly emphasised that an approved
definition of a practically relevant increased accident
risk is missing. Before any future investigations,
such a critical threshold should be determined. In
addition, the low prevalence of protanopia and
protanomaly and the low proportion of rear-end
collisions in total severe accidents (13.2% for buses
and 23.4% for trucks) give an indication for the
proportionality of the issue.

Based on the accident statistics for Germany 2018,
it can be derived that, assuming that protanopes
have no increased risk of a rear-end collision, there
may have been approx. 4 rear-end collisions caused
by protan bus drivers and ca. 44 caused by protan
truck drivers. If a doubling were practically relevant,
one would speak of approx. and rounded up 7 bus
or 87 truck accidents in Germany per year (out of
2,628 accidents caused by buses and 18,594
accidents caused by trucks in total in 2018).

To sum up, there is a discrepancy between the
severity of the concerns and the corresponding
comprehensive investigation of the risk of accidents
and/or traffic conspicuousness. Regardless of the
difficult statistical validation of an increased risk of
accidents, there are no recent studies that take the
wider environment and today‘s technical standards
into account. Here it would be a good idea to collect
data from ongoing research projects such as GIDAS
(https://gidas.org/welcome/) in order to create a
9

Inhalt

Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 3.3.4 Metaanalyse mehrerer Studien zur
 Prävalenz und zum Unfallrisiko . . . . . . . 30
1 Hintergrund und Ziel der
 Studie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 4 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30

1.1 Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 4.1 In der Literaturrecherche
 identifizierte Studien . . . . . . . . . . . . . . . 30
1.2 Ziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
 4.2 Erkenntnisse aus der Daten-
 recherche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
2 Begriffsdefinitionen und
 Standards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 4.2.1 Kenntnis über Farbsinnstörungen
 bei Berufskraftfahrern und Berufskraft­
2.1 Protanopie und Protanomalie . . . . . . . . 14 fahrerinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
2.2 Berufskraftfahrer und Berufskraft- 4.4.2 Beschäftigungs- und Unfallstatistiken
 fahrerinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 zu Berufskraftfahrern und Berufskraft­
2.3 Regelungen zum Farbsehvermögen fahrerinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
 im Straßenverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 4.3 Prävalenz von Protanopie und
 Protanomalie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
3 Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 4.4 Unfallrisiko von Kfz-Führenden mit
3.1 Literaturrecherche . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Protostörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
 4.4.1 Anteil Personen mit Defekt unter
3.1.1 Definition der Fragestellungen der
 Kfz-Führenden mit Unfall . . . . . . . . . . . 38
 Literaturrecherche . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
 4.4.2 Unfallrisiko von Kfz-Führenden mit
3.1.2 Suchbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
 Defekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
3.1.3 Verwaltung der identifizierten
 4.4.3 Chancenverhältnis (Odds Ratio) . . . . . . 39
 Publikationen und Selektion
 relevanter Studien . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 4.4.4 Zusammenfassung Unfallrisiko . . . . . . . 40

3.1.4 Datenextraktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 4.5 Erkennen/Reaktion protanoper/
 protanomaler Personen auf rote
3.1.5 Studienbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Signale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
3.2 Datenrecherche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
 5 Fazit und Empfehlung . . . . . . . . . . . . . 49
3.2.1 Suchbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
 5.1 Prävalenz von Protanopie und
3.2.2 Verlauf der Identifizierung von
 Protanomalie bei Berufskraftfahrern
 Kontaktpersonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
 und Berufskraftfahrerinnen . . . . . . . . . . 49
3.2.3 Kontaktaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 5.2 Unfallrisiko von protanopen/
3.2.4 Telefoninterviews . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 protanomalen Kfz-Führenden . . . . . . . . 49

3.3 Statistische Auswertung . . . . . . . . . . . . 27 5.2.1 Anmerkungen zu den identifizierten
 Studien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
3.3.1 Statistische Maßzahlen zur
 Schätzung der Prävalenz und des 5.2.2 Einordnung der Ergebnisse . . . . . . . . . . 50
 Unfallrisikos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 5.2.3 Kommentar zur scheinbaren Evidenz . . 51
3.3.2 Statistischer Nachweis eines 5.3 Erkennen/Reagieren protogestörter
 erhöhten Unfallrisikos mit Konfidenz- Personen auf rote Signale . . . . . . . . . . . 52
 intervallen (KI) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
 5.4 Bewertung der Relevanz für die
3.3.3 Studiendesigns zum Unfallrisiko . . . . . . 29 Verkehrssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
10

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 Abkürzungen
Bilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59

Tabellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 AAD Ausbildung, Arbeitsstätte, Dienstfahrt
 BA Bundesagentur für Arbeit

 BASt Bundesanstalt für Straßenwesen
Anlagen
 BAV Berufsverband der Augenärzte
Anlage 1: Datenextraktion zu Prävalenz und
 Deutschlands e. V.
 Unfallrisiko aus der Literaturrecherche
 BKV Berufskraftfahrer-Ausbildungsverord-
Anlage 2: Qualitative Bewertung der Studien zum
 nung
 Unfallrisiko
 BKrFQG Berufskraftfahrerqualifikationsgesetz
Die Anlagen zum Bericht sind im elektronischen
 BKrFQG Berufskraftfahrerqualifikations-
BASt-­Archiv ELBA unter http://bast.opus.hbz-nrw.de
 verordnung
abrufbar.
 BVG Berliner Verkehrsbetriebe

 Destatis Statistisches Bundesamt

 DOG Deutsche Ophthalmologische
 Gesellschaft

 FeV Fahrerlaubnis-Verordnung

 Kfz Kraftfahrzeug

 KI Konfidenzintervall

 Lkw Lastkraftwagen

 OR Odds Ratio

 ZFER Zentrales Fahrerlaubnisregister
11

1 Hintergrund und Ziel der mentation wird in einem Artikel in der Zeitschrift für
 Praktische Augenheilkunde (LACHENMAYR 2012)
 Studie wiederholt:
1.1 Hintergrund „Der hochgradig Rotsinngestörte hat somit das
 Risiko, dass er einen potenziellen Vordermann
Hintergrund der Studie war die Harmonisierung des
 nicht oder zu spät erkennt und damit einen Auf-
europäischen Rechts zur Fahrerlaubnis-Verord-
 fahrunfall verursacht. […] Leider ist es nicht
nung (FeV) bezüglich der Anforderungen an das
 möglich das erhöhte Unfallrisiko der hochgradig
Farbsehvermögen von Berufskraftfahrern und Be-
 Rotsinngestörten durch unfallanalytische Daten
rufskraftfahrerinnen. Mit der Umsetzung in deut-
 zu belegen. Hierzu wären unrealistisch große
sches Recht können seit dem 01.07.2011 Fahrende
 Stichproben erforderlich, wie in einer Studie des
mit einer vorliegenden Rotblindheit oder Rotseh-
 Verfassers im Auftrag der Bundesanstalt für
schwäche auch in Deutschland sämtliche Fahr­
 Straßenwesen (BASt) in einer Abschätzung
erlaubnisse der Gruppe 2 (C1, C1E, C, CE, D1,
 nachgewiesen wurde (LACHENMAYR, BUSER
D1E, D, DE, FzF) erwerben (zuvor nur C1, C1E, C,
 & KELLER 1997)“ (LACHENMAYR 2012).
CE), bei Rotblindheit oder Rotschwäche mit einem
Anomalquotienten unter 0,5 ist jetzt lediglich eine In ebendieser Studie „Sehstörungen als Unfallursa-
Aufklärung des Betroffenen über die mögliche Ge- che“ (LACHENMAYR, BUSER & KELLER 1997)
fährdung erforderlich. Gegen diese gelockerte Re- wird ausgeführt:
gelung werden von der Deutschen Ophthalmolo­
gischen Gesellschaft und anderen Fachleuten Be- „Bei Farbsinnstörungen besteht nicht so sehr
denken geäußert. In der vorliegenden Studie sollten das Problem darin, die Ampellichter zu identifi-
belastbare epidemiologische Daten, die Rück- zieren: Jedermann weiß, daß Rot oben und
schlüsse auf das Ausmaß und die Relevanz von Grün unten ist. Es gibt jedoch Verkehrssituatio-
Protanopie und Protanomalie bei Berufskraftfahrern nen, bei denen ein Farbsinngestörter, speziell
und Berufskraftfahrerinnen für die Verkehrssicher- ein Fahrer, dessen Erkennungsfähigkeit für rote
heit zulassen, recherchiert werden, um eine Grund- Lichter eingeschränkt ist (Protanomalie und Pro-
lage in der Argumentation zu zukünftigen oder be- tanopie), einem erhöhten Risiko für einen Auf-
stehenden gesetzlichen Regelungen zu schaffen. fahrunfall ausgesetzt ist: unter schlechten Sicht-
 verhältnissen, z. B. bei Nebel, im dichten
Die Bedenken der DOG und des Berufsverbandes Schneetreiben oder Regen hat er als einzige In-
der Augenärzte Deutschlands e. V. (BVA) zur Ände- formationsquelle seines möglichen Vorderman-
rung der FeV vom Dezember 2010 wurden in einer nes dessen Rücklichter bzw. Bremsleuchten.
Stellungnahme (LACHENMAYR & FREISSLER Der typische Unfall, den ein Rotsinngestörter
2011) wie folgt formuliert: “Der Protanope und hoch- verursacht, ist daher ein Auffahrunfall unter un-
gradig Protanomale hat das erhebliche Risiko, bei günstigen Sichtverhältnissen.“
schlechten Sichtverhältnissen, wo die Fahrer nur
noch auf die Rücklichter des Vordermanns ange- Die Hypothese, dass Kraftfahrzeugführende mit ei-
wiesen sind, einen Auffahrunfall zu verursachen.“ ner Rotsinnstörung (Protanopie oder Protanomalie)
Begründet wird dieses mit Bezug auf ein erhöhtes Risiko haben, unter schlechten Sicht-
 verhältnissen einen Auffahrunfall zu verursachen,
 „zwei gravierende Flugunfälle, die durch Rot- wurde allerdings nicht untersucht, mit der folgenden
 sinngestörte verursacht wurden: Im Jahre 1984 Begründung:
 kam es zu einer Bruchlandung einer Phantom
 F4 bei Nachtflug, weil der Pilot die seitlichen Er- „Da eine Rotsinnstörung in der Bevölkerung nur
 kennungslichter anderer Flugzeuge verwechselt bei 2,2 % der Männer vorkommt, bei Frauen mit
 hat; im Jahre 2002 erfolgte eine weitere Bruch- vernachlässigbar geringer Häufigkeit […] sind
 landung einer FEDEX-Maschine, weil der prota­ unrealistisch hohe Fallzahlen nötig, um bei-
 nope Pilot die Landelichter falsch interpretiert spielsweise eine Risikoerhöhung um 50 % nach-
 hat“ (LACHENMAYR & FREISSLER 2011). zuweisen (2.000 bis 3.000 Verunfallte). Für eine
 Verdoppelung des Risikos bräuchte man immer
Weiterhin verweist die Stellungnahme auf „ähnlich noch 903 (1.227) Fahrer. Hier besteht mit die-
gravierende Beispiele“ (LACHENMAYR & FREISS- sem Ansatz wenig Aussicht auf Erfolg, da derar-
LER 2011) im Bereich der Schifffahrt. Diese Argu- tige Fallzahlen klinisch nicht verarbeitet werden
12

 können“ (LACHENMAYR, BUSER & KELLER Auch COLE kritisiert die europäische Lockerung
 1997). der Regelung bezüglich der Anforderungen an das
 Farbsehvermögen eines Berufskraftfahrers bzw. ei-
International haben sich einige Forschungsgruppen ner Berufskraftfahrerin:
besonders intensiv mit dem Thema beschäftigt. So
gründete Morley G. WHILLANS in Kanada das Co- „Verschiedene europäische Länder haben oder
lour Blind Committee, eine Gruppe, die sich der Be- hatten Standards für das Farbsehvermögen für
seitigung der Sicherheitsrisiken widmet, die von Kfz-Führende, aber die Europäische Union be-
farbsinngestörten Kfz-Führenden ausgehen. Sein rücksichtigt das Thema bei der Einrichtung eines
Interesse an dem Thema entstand nach seiner Pen- europaweiten Führerscheins nicht und scheint
sionierung als Beifahrer seiner Frau, die sich Am- keine Pläne zu haben, eine Diskussion darüber
pelkreuzungen immer mit ungewöhnlicher Vorsicht zu führen“ (COLE 2016).
näherte. Morley G. WHILLANS hat in einer Studie
17 farbsinngestörte (keine Spezifizierung der Farb- Tatsächlich wird das Thema Farbsehvermögen in
sinnstörung) Kfz-Führende zu ihrer Wahrnehmung dem Bericht der Europäischen Arbeitsgruppe Seh-
von Verkehrslichtern befragt, die mehrheitlich Prob- vermögen für den Europäischen Führerscheinaus-
leme mit Lichtsignalanlagen schilderten (WHILLANS schuss zur Überarbeitung der Standards zum Seh-
1983). Er führte dazu aus: vermögen von Kraftfahrenden nicht behandelt (van
 RIJN).
 „Das Argument, dass es für oder mit farbsinnge-
 störten Fahrenden kein Problem zu geben In Australien gibt es derzeit keine Anforderungen an
 scheint, scheint auf Unwissenheit und Selbstzu- das Farbsehvermögen für Berufskraftfahrer und
 friedenheit zu beruhen. Nützliche Informationen Berufskraftfahrerinnen, allerdings gab es diese in
 könnten gesammelt werden, wenn Aufzeichnun- der Vergangenheit. In Australien wurde 1994 ein
 gen über Fahrende mit bekannten Farbsinnstö- nationaler Standard für das Farbsehvermögen für
 rungen geführt, und diese in Bezug auf Unfälle Berufskraftfahrer und Berufskraftfahrerinnen einge-
 an Kreuzungen bewertet würden. Eine sorgfälti- führt, welcher protanopen Personen die Fahrer-
 ge Suche in der Literatur hat keine verlässlichen laubnis verweigerte. Dieser Standard rief Proteste
 Statistiken dieser Art ergeben” (WHILLANS bei Personen, denen aufgrund ihres Farbsehver-
 1979). mögens die Fahrerlaubnis verweigert wurde, hervor
 und wurde von den staatlichen Regulierungsbehör-
WHILLANS favorisierte statt Fahrverboten für farb- den wenig unterstützt, „höchstwahrscheinlich, weil
sinngestörte Personen technische Lösungen. Er sie ihn nicht verstanden hatten“ (COLE 2016). Der
plädierte für Änderungen in Design, Farbe und entscheidende Protest kam von einer familienge-
Form von Ampellichtern (WHILLANS 1979, 1989, führten Spedition, in der alle kraftfahrzeugführen-
1993; WHILLANS & ALLEN 1992). den Eigentümer einen Protan-Farbsehmangel hat-
Sehr umfangreiche Laborstudien zum Erkennen ten. Daraufhin wurde der Farbsichtstandard 2003
und zum Reagieren auf rotfarbige Signale – aber aufgegeben. COLE weist dazu auf den Konflikt zwi-
keine Feldstudien zum direkten Zusammenhang schen Fahrverboten und Diskriminierung hin:
zur Unfallhäufigkeit - wurden über viele Jahre hin-
weg in Australien von Barry L. COLE und seinem „Die Gesetzgebung verbietet Diskriminierung,
Team durchgeführt (COLE 2004; COLE & MAD- durch die eine Person mit einer körperlichen
DOCKS 1995; STEWARD & COLE 1989a; VER- oder geistigen Beeinträchtigung benachteiligt
RIEST et al. 1980; COLE & VINGRYS 1982, 1983; wird im Vergleich zu Personen ohne diese Be-
VINGRYS & COLE 1993; COLE 1972). COLE einträchtigung. Die Beweislast für Vorschriften,
schlussfolgert aus seinen Arbeiten: die Menschen mit Beeinträchtigungen an der
 Ausführung normaler menschlicher Aktivitäten
 „Die Unfallnachweise und die Kenntnis der Natur hindern oder ihre Beschäftigungsmöglichkeiten
 der Protostörung lassen den Schluss zu, dass einschränken, ist hoch. Zusätzlich zum Nach-
 eine Protostörung ein Risikofaktor für Verkehrs- weis, dass eine Person mit einer Beeinträchti-
 unfälle ist. Der Ausschluss von protogestörten gung, wie z. B. einer Farbsinnstörung, ein Risiko
 Personen vom Besitz eines kommerziellen Füh- für sich selbst und die Öffentlichkeit darstellt,
 rerscheins ist gerechtfertigt und dient der Verrin- muss auch nachgewiesen werden, dass keine
 gerung des Unfallrisikos“ (COLE 2002). angemessene Unterstützung bereitgestellt wer-
13

 den kann, um dem Risiko entgegenzuwirken“ HARTMANN 1977; MEYER 1976; ZEHNDER
 (COLE 2016). 1971). Eine Datenbasis für diese Gegenargumente
 ist genauso rar wie die für die Unfallhäufigkeit.
Resümierend wirft COLE Politik und Behörden
mangelndes Durchsetzungsvermögen von Fahrver- Tastsächlich wurden im deutschsprachigen Raum
boten für Personen mit Farbsinnstörungen vor: (Deutschland und Schweiz) Studien zur Unfallhäu-
 figkeit protogestörter Kfz-Führender vor allem in
 „Die Beweismittel und Indizien, die einen Stan- den 1960er und 1970er Jahren durchgeführt
 dard für das Farbsehvermögen für Fahrende (GRAMBERG-DANIELSEN 1961; HAGER 1963;
 rechtfertigen, sind sehr komplex und technisch. MEYER 1976; NEUBAUER 1979). NEUBAUER
 Das ist für Aufsichtsbehörden nur schwer zu er- (1979) stellte fest, dass „ein wissenschaftlich solider
 fassen. Sie sind auch abgeschreckt von der Aus- Beweis für eine unmittelbare Wechselwirkung zwi-
 sicht, die Fahrerlaubnis für bis zu acht Prozent schen Farbsinnstörung und einer wesentlich erhö-
 der Männer mit Farbsinnstörungen zu verwei- hen Unfallrate infolge der Komplexität des Unfallge-
 gern. […] Das Ergebnis ist eine Forderung nach schehens und der Seltenheit sowohl von Unfällen
 einer Erhebung von eindeutigen Unfalldaten, um als auch von Farbsinnstörungen äußerst schwer zu
 zu zeigen, dass es einen Zusammenhang zwi- erbringen sein dürfte“. Neuere Studien zur Unfall-
 schen Farbsinnstörungen und Verkehrsunfällen häufigkeit aus der deutschsprachigen Region sind
 gibt“ (COLE 2016). nicht veröffentlicht.
Die Commission Internationale de l‘Eclairage (CIE,
Internationale Behörde für Beleuchtung und Signal-
leuchten) hat im Jahr 2001 in ihrer Empfehlung von 1.2 Ziel
Standards für das Farbsehvermögen für gewerblich
Führende großer Fahrzeuge (mehr als acht Ton- Es war das Ziel dieser Studie, eine Datengrundlage
nen) sowie für Bus- und Taxiführender den Aus- zur Beantwortung der folgenden Fragestellungen
schluss protogestörter Berufskraftfahrer und Be- zu recherchieren:
rufskraftfahrerinnen empfohlen (International Com- I. Wie hoch ist die Prävalenz von Protanopie und
mission on Illumination 2001). Barry L. COLE hatte Protanomalie bei Berufskraftfahrern und Be-
den Vorsitz des Komitees, das die Empfehlungen rufskraftfahrerinnen?
verfasst hat.
 II. Inwiefern ist ein erhöhtes Unfallrisiko bei pro-
Daten, die den direkten Zusammenhang von Pro- tanopen oder protanomalen Berufskraftfahrern
tanopie und Unfallhäufigkeit untersuchen, wurden und Berufskraftfahrerinnen im Vergleich zu nor-
von keiner der zitierten Personen erhoben und sind malfarbsichtigen Berufskraftfahrern und Be-
insgesamt kaum vorhanden. Die einzigen Daten rufskraftfahrerinnen nachgewiesen?
stammen aus experimentellen Studien, welche die
Erkennung oder Reaktion auf rote Signale von pro- Da ein potenziell erhöhtes Unfallrisiko protanoper
togestörten Personen untersuchten. Aus diesen oder protanomaler Berufskraftfahrer und Berufs-
wurden mögliche Auswirkungen von Protanopie kraftfahrerinnen in der Literatur oftmals über den
bzw. Protanomalie auf das Unfallrisiko geschluss- Nachweis des fehlerhaften Erkennens der Farbe
folgert. Einzelbeispiele oder Laborexperimente Rot oder einer verzögerten Reaktion auf rote Signa-
dienten somit als Nachweis einer Gefährdung der le geschlussfolgert wird, wurde die Datenrecherche
Verkehrssicherheit oder mindestens als Rechtferti- dieser Studie um eine weitere Fragestellung erwei-
gung zur Anwendung des Vorsorgeprinzips. tert:

Dagegen wurde argumentiert, dass theoretisch vor- III. Inwieweit ist das Erkennen oder die Reaktion
handene Einschränkungen in der Erkennung roter auf die Farbe Rot bei Personen (insbesondere
Signale für den Straßenverkehr nicht relevant sind, Berufskraftfahrer und Berufskraftfahrerinnen),
da die Betroffenen die Farberkennung durch andere die unter Protanopie oder Protanomalie leiden,
Kodierungen kompensieren (z. B. Position der Am- im Vergleich zu normalfarbsichtigen Personen
pellichter, Luminanz oder Muster der Signale, drit- (insbesondere Berufskraftfahrer und Berufs-
tes Bremslicht). Weiterhin würden sie vorsichtiger kraftfahrerinnen) fehlerbehaftet?
fahren und sich am Verhalten anderer Verkehrsbe-
teiligter orientieren (FREY 1977; KALBERER 1971;
14

2 Begriffsdefinitionen und chung von der Normalfarbsichtigkeit, eine sog.
 Farbsinnstörung, vor. Farbsinnstörungen können
 Standards angeboren oder erworben sein (TREGEAR et al.
In dem vorliegenden Bericht wird die folgende No- 2008). Weiterhin können die angeborenen Farb-
menklatur zur Beschreibung des Farbvermögens sinnstörungen nach dem Fehlen bzw. der Anomali-
verwendet: tät der jeweiligen Zapfenarten (siehe Tabelle 2-1)
 klassifiziert werden (COLE 1972). Da Farbsinnstö-
• Eine Person mit Protanopie ist eine protanope rungen X-chromosomal rezessiv vererbt werden,
 Person. sind Männer häufiger betroffen als Frauen (SHAR-
 PE et al. 2001).
• Eine Person mit Protanomalie ist eine protano-
 male Person. Bei Personen mit einer Protanomalie (auch Rotseh-
 schwäche) sind alle drei Zapfenarten vorhanden,
• Bei einer Person mit Protanopie oder Protano-
 jedoch ist der spektrale Empfindlichkeitsbereich der
 malie liegt eine Protostörung vor und es handelt
 L-Zapfen verschoben. Bei Personen mit einer Pro-
 sich um eine protogestörte Person.
 tanopie (auch Rotblindheit) fehlen die L-Zapfen,
• Protanopie, Protanomalie bzw. Protostörung welche für Licht im langwelligen Bereich empfind-
 werden übergreifend als Defekt bezeichnet. lich sind. Protanomale bzw. protanope Personen
 können daher die Farben im Rotbereich nur mäßig
• Bei einer Person mit einer Farbsinnstörung han- bzw. schlecht unterscheiden. Der Goldstandard in
 delt es sich um eine farbsinngestörte Person. der Prüfung für die Farbunterscheidung beim Rot-
 Grün-Sehen, also zur Diagnose von Deuteranoma-
• Bei einer Person mit Normalfarbsichtigkeit han-
 lie (auch Grünsehschwäche) bzw. Deuteranopie
 delt es sich um eine normalfarbsichtige Person.
 (auch Grünblindheit) sowie Protanomalie bzw. Pro-
 tanopie, ist das Anomaloskop. Die Messungen mit
 dem Anomaloskop ergeben als quantitatives Maß
2.1 Protanopie und Protanomalie für die Art der Farbsinnstörung und der Stärke ihrer
 Ausprägung den Anomalquotienten (LACHEN-
Das Farbsehvermögen basiert auf der Fähigkeit zur
 MAYR 2008).
Unterscheidung von Objekten aufgrund der Wellen-
länge des Lichts, welches sie reflektieren oder ab- Farbsinngestörte Personen sind möglicherweise
geben. In der Retina des Auges befinden sich dazu mit Schwierigkeiten im Alltag konfrontiert, die nor-
spezielle Photorezeptoren, die sogenannten Zap- malfarbsichtige Personen nicht haben. Das betrifft
fen. Das menschliche Nervensystem nimmt Farben z. B. das Führen eines Kraftfahrzeugs (Kfz) im Stra-
wahr, indem es die Reize der drei verschiedenen ßenverkehr, da dies ein gutes Erkennen von Am-
Zapfenarten (S-, M- und L-Zapfen) miteinander ver- peln, Verkehrsschildern und farbkodierter Beleuch-
gleicht. Jede einzelne der drei Zapfenarten ist emp- tung (z. B. Rücklichter) erfordert (CHAKRABARTI
findlich für Licht in einem spezifischen Wellenlän- 2018).
genspektrum. Ist mindestens eine der Zapfenarten
anomal oder nicht vorhanden, liegt eine Abwei-

Anz. Zapfenarten Typ Untergruppe Fehlende/anomale Zapfenart

0 Monochromasie Stäbchenmonochromasie alle
1 Monochromasie Zapfenmonochromasie 2 versch.
 Protanopie L
2 Dichromasie Deuteranopie M
 Tritanopie S
 Protanomalie L
3 Anomale Trichromasie Deuteranomalie M
 Tritanomalie S

Tab. 2-1: Klassifizierung der angeborenen Farbsinnstörungen
15

2.2 Berufskraftfahrer und Für Bewerber und Inhaber der Klassen C, C1, D,
 Berufskraftfahrerinnen D1 und der zugehörigen Anhängerklassen E sowie
 der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung ist eine
In Deutschland ist „Berufskraftfahrer/Berufskraftfah- Eignungsuntersuchung nach Anlage 5 FeV gesetz-
rerin“ ein staatlich anerkannter Ausbildungsberuf lich vorgeschrieben. Bewerber um die Erteilung
(vgl. § 1 BKV). Die Ausbildung bzw. die Vorqualifika- oder Verlängerung einer Fahrerlaubnis der Klassen
tion ist in Deutschland in der Berufskraftfahrer-Aus- D, D1, DE, D1E sowie einer Fahrerlaubnis zur Fahr-
bildungsverordnung (BKV), in der Berufskraftfahrer- gastbeförderung müssen außerdem besondere An-
qualifikationsverordnung (BKrFQV) und im Berufs- forderungen hinsichtlich Belastbarkeit, Orientie-
kraftfahrerqualifikationsgesetz (BKrFQG) rechtlich rungsleistung, Konzentrationsleistung, Aufmerk-
geregelt. Laut BKrFQG sind Berufskraftfahrer und samkeitsleistung und Reaktionsfähigkeit erfüllen.
Berufskraftfahrerinnen Personen, welche Fahrten Auch müssen gemäß Anlage 6 FeV Mindestanfor-
im Güter- oder Personenkraftverkehr zu gewerbli- derungen an das Sehvermögen erfüllt werden, über
chen Zwecken auf öffentlichen Straßen mit Kfz, für die der Fahrerlaubnisbehörde ein Nachweis vorzu-
die eine Fahrerlaubnis der Klasse C1, C1E, C, CE, legen ist. Es werden genauer die zentrale Tageseh-
D1, D1E, D oder DE erforderlich ist, durchführen schärfe, das normale Farbensehen, das normale
(vgl. BKrFQG). Die Tabelle 2-2 gibt einen Überblick Gesichtsfeld und das Stereosehen geprüft. Können
über die Fahrzeuge, welche mit den einzelnen Fahr­ die Voraussetzungen für die einzelnen Merkmale
erlaubnisklassen C1, C1E, C, CE, D1, D1E, D und bei der Untersuchung nicht zweifelsfrei festgestellt
DE geführt werden dürfen. werden, ist eine zusätzliche augenärztliche Unter-
 suchung erforderlich (siehe Kapitel 2.3, vgl. Anlage
Die Fahrerlaubnis der Klassen C1, C1E, C, CE, D1,
 6 FeV).
D1E, D und DE ist für fünf Jahre gültig (vgl. § 23
FeV Abs. 1 Satz 2 FeV). Ihre Geltungsdauer wird Zur gewerblichen Nutzung einer Fahrerlaubnis der
auf Antrag des Inhabers verlängert, wenn der Inha- Klasse C1, C1E, C, CE, D1, D1E, D oder DE muss
ber u. a. seine Eignung nach Maßgabe der Anlage eine Grundqualifikation bzw. eine Weiterbildung
5 FeV und die Erfüllung der Anforderungen an das nachgewiesen werden. Die absolvierte Grundquali-
Sehvermögen nach Anlage 6 FeV nachweist (vgl. fikation bzw. Weiterbildung wurde bislang durch den
§ 24 Abs. 1 FeV). Eintrag der harmonisierten Schlüsselzahl 95 (gem.

Klasse Definition

C1 Kfz, ausgenommen Kfz der Klassen AM, A1, A2, A, D1 und D, mit einer zulässigen Gesamtmasse von mehr als
 3.500 kg, aber nicht mehr als 7 500 kg, und die zur Beförderung von nicht mehr als acht Personen außer dem Fahr-
 zeugführer ausgelegt und gebaut sind (auch mit Anhänger mit einer zulässigen Gesamtmasse von nicht mehr als
 750 kg).
C1E Fahrzeugkombinationen, die aus einem Zugfahrzeug
 • der Klasse C1 und einem Anhänger oder Sattelanhänger mit einer zulässigen Gesamtmasse von mehr als 750 kg
 bestehen, sofern die zulässige Gesamtmasse der Fahrzeugkombination 12.000 kg nicht übersteigt,
 • der Klasse B und einem Anhänger oder Sattelanhänger mit einer zulässigen Gesamtmasse von mehr als 3.500 kg
 bestehen, sofern die zulässige Gesamtmasse der Fahrzeugkombination 12.000 kg nicht übersteigt.
C Kfz, ausgenommen Kfz der Klassen AM, A1, A2, A, D1 und D, mit einer zulässigen Gesamtmasse von mehr als
 3.500 kg, die zur Beförderung von nicht mehr als acht Personen außer dem Fahrzeugführer ausgelegt und gebaut
 sind (auch mit Anhänger mit einer zulässigen Gesamtmasse von nicht mehr als 750 kg).
CE Fahrzeugkombinationen, die aus einem Zugfahrzeug der Klasse C und Anhängern oder einem Sattelanhänger mit
 einer zulässigen Gesamtmasse von mehr als 750 kg bestehen.
D1 Kfz, ausgenommen Kfz der Klassen AM, A1, A2, A, die zur Beförderung von nicht mehr als 16 Personen außer dem
 Fahrzeugführer ausgelegt und gebaut sind und deren Länge nicht mehr als 8 m beträgt (auch mit Anhänger mit einer
 zulässigen Gesamtmasse von nicht mehr als 750 kg).
D1E Fahrzeugkombinationen, die aus einem Zugfahrzeug der Klasse D1 und einem Anhänger mit einer zulässigen Ge-
 samtmasse von mehr als 750 kg bestehen.
D Kfz, ausgenommen Kfz der Klassen AM, A1, A2, A, die zur Beförderung von mehr als acht Personen außer dem Fahr-
 zeugführer ausgelegt und gebaut sind (auch mit Anhänger mit einer zulässigen Gesamtmasse von nicht mehr als
 750 kg).
DE Fahrzeugkombinationen, die aus einem Zugfahrzeug der Klasse D und einem Anhänger mit einer zulässigen Ge-
 samtmasse von mehr als 750 kg bestehen.

Tab. 2-2: Definition der Fahrzeugklassen (vgl. § 6 Abs. 1 FeV)
16

Anlage 9 zu § 25 Abs. 3 der FeV) der Europäischen 2.3 Regelungen zum Farbsehvermö-
Union auf dem Kartenführerschein nachgewiesen. gen im Straßenverkehr
Die Schlüsselzahl 95 wird durch die für die Erteilung
von Fahrerlaubnissen zuständige Behörde einge- Bezüglich der Anforderungen an das Farbsehver-
tragen und ist für 5 Jahre gültig (vgl. BKrFQG). Ab mögen von Berufskraftfahrern und Berufskraftfah-
Mai 2021 dient der Fahrerqualifizierungsnachweis rerinnen erfolgte im Rahmen der Harmonisierung
als Nachweis einer bestehenden Berufskraftfahrer- des europäischen Rechts zum 01.07.2011 eine Än-
qualifikation (vgl. BKrFQV) und löst die Eintragung derung der Anlage 6 zur FeV. Personen mit einer
der Schlüsselzahl 95 in den Führerschein ab. vorliegenden Protanopie oder Protanomalie können
 seit diesem Zeitpunkt sämtliche Fahrerlaubnisse
Aufgrund der Fahrerlaubnisklasse allein ist kein der Gruppe 2 (C1, C1E, C, C1, D1, D1E, D, D1,
Rückschluss darauf möglich, ob es sich um einen FzF) erlangen (zuvor nur C1, C1E, C, C1), bei Rot-
Berufskraftfahrer bzw. eine Berufskraftfahrerin han- blindheit oder Rotschwäche mit einem Anomalquo-
delt oder nicht, da die Fahrzeugklassen allein an tienten unter 0,5 ist eine Aufklärung der betroffenen
das Führen eine Kraftfahrzeugs der betreffenden Person über die mögliche Gefährdung erforderlich.
Fahrzeugklasse anknüpfen und nicht zwischen dem
Führen zu beruflichen, gewerblichen oder sonsti- Bewerber um die Erteilung oder Verlängerung der
gen Zwecken differenzieren. Rückschlüsse erlaubt Fahrerlaubnisklassen C1, C1E, C, C1, D1, D1E, D,
allerdings die Schlüsselzahl 95, die ab Mai 2021 D1 und der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung
durch den Fahrerqualifizierungsnachweis abgelöst müssen Mindestanforderungen an das Sehvermö-
wird. Die Schlüsselzahl 95 kennzeichnet alle Perso- gen erfüllen, diese sind durch „die Untersuchung
nen, die berechtigt sind, ein Fahrzeug der Klasse C durch einen Augenarzt, einen Arzt mit der Gebiets-
oder D zu gewerblichen Zwecken zu führen. Die Ta- bezeichnung „Arbeitsmedizin“, einen Arzt mit der
belle 2-3 gibt einen Überblick über die Anzahl der Zusatzbezeichnung „Betriebsmedizin“, einen Arzt
Personen mit eingetragener Schlüsselzahl 95, auf- bei einer Begutachtungsstelle für Fahreignung, ei-
geteilt nach Fahrerlaubnisklassen aus dem Zentra- nen Arzt des Gesundheitsamtes oder einen ande-
len Fahrerlaubnisregister (Zentrales Fahrerlaubnis- ren Arzt der öffentlichen Verwaltung“ nachzuwei-
register 2016). sen. Können die Voraussetzungen bei der Untersu-
 chung nicht zweifelsfrei festgestellt werden, ist zu-
Auf europäischer Ebene ist die Grundqualifikation sätzlich eine augenärztliche Untersuchung mit Be-
und Weiterbildung von Berufskraftfahrern und Be- stimmung des Anomalquotienten erforderlich (vgl.
rufskraftfahrerinnen in der RL 2003/59/EG und der FeV, Anlage 6). Entsprechend ist in der Anlage 6
RL 2018/645 geregelt. In Ländern der Europäischen der FeV der Erwerb der Fahrerlaubnisklassen C
Union üben Berufskraftfahrer und Berufskraftfahre- und D (zur Beförderung von mehr als 8 Personen,
rinnen ihren Beruf aufgrund einer nationalen Be- Fahrgastbeförderung) bei Vorliegen einer Rotblind-
rufsausbildung oder aufgrund der nationalen Um- heit oder Rotschwäche mit einem Anomalquotien-
setzung der Vorgaben aus der Berufskraftfahrer- ten unter 0,5 zulässig. Bei Vorliegen eines Anomal-
qualifikationsrichtlinie aus (vgl. RL 2003/59/EG).

Ablauf der Schlüsselzahl 95 C-Klassen1 D-Klassen2 C-Klassen und D-Klassen3
Insgesamt 928.815 19.335 168.340
davon (in %)
 2016 11,7 11,5 9,2
 2017 5,7 13,6 9,8
 2018 9,7 20,5 18,2
 2019 40,6 21,6 27,9
 2020 26,9 26,3 28,8
 2021 5,4 6,4 6,1
1
 Ausschließlich die Fahrerlaubnisklassen C1, C1E, C oder CE
2
 Ausschließlich die Fahrerlaubnisklassen D1, D1E, D oder DE
3
 Die Fahrerlaubnisklassen C1, C1E, C, CE in Kombination mit den Klassen D1, D1E, D oder DE

Tab. 2-3: Anzahl der Personen mit eingetragener Schlüsselzahl 95 am 1. Januar 2016 (ZFER)
17

quotienten unter 0,5 ist allerdings eine Aufklärung 3.1 Literaturrecherche
des Betroffenen über die durch die Farbsinnstörung
mögliche Gefährdung erforderlich. Die Literaturrecherche zur Beantwortung der defi-
 nierten Fragestellungen wurde nach den Prinzipien
Gegen diese Regelungen werden Bedenken sei- einer systematischen Übersichtsarbeit (Systematic
tens der DOG, aber auch anderer Fachleute geäu- Review) durchgeführt (VERBEEK, RUOTSALAI-
ßert (LACHENMAYR & FREISSLER 2011; LA- NEN & HOVING 2012). Der systematische Ansatz
CHENMAYR 2012; DOG 2019). wurde nicht nur in der Recherche nach wissen-
 schaftlichen Publikationen, sondern auch in der Su-
In vielen anderen Ländern stellt sich die Situation
 che nach sogenannter grauer Literatur angesetzt
ähnlich wie in Deutschland dar. Dort gibt es aktuell
 (GODIN et al. 2015), um Dokumente zu identifizie-
keine generellen Einschränkungen für Personen
 ren, die im Rahmen wissenschaftlicher oder prakti-
mit Farbsinnstörungen hinsichtlich des Führens von
 scher Tätigkeit entstanden und durch Institutionen
Fahrzeugen. Falls es Regelungen für farbsinnge-
 wie Universitäten, Verbände, Verwaltungsorgane,
störte Personen gibt, dann beschränken diese sich
 Vereine etc. herausgegeben wurden (wissenschaft-
z. B. in Kanada, in Neuseeland oder in den USA le-
 liche Qualifikationsarbeiten, unveröffentlichte Studi-
diglich darauf, dass die Kfz-führende Person in der
 en/Forschungsarbeiten, Projekt- und Arbeitsberich-
Lage sein sollte Signallichter, Verkehrszeichen und
 te, Konferenzberichte und -vorträge).
-ampeln sowie Stopplichter zu erkennen (NZ Trans-
port Agency 2018) oder die Lichter einer Ampelan-
lage zu unterscheiden (Canadian Medical Associa-
tion 2017, TREGEAR et al. 2008). In Australien gibt 3.1.1 Definition der Fragestellungen der
es ebenfalls keine Einschränkungen für Personen Literaturrecherche
mit Farbsinnstörungen bezüglich des Führens von
 Die Fragestellungen dieser Studie wurden zur Um-
Fahrzeugen auf öffentlichen Straßen. Jedoch soll-
 setzung der systematischen Recherche nach Lite-
ten farbsinngestörte Personen von Ärzten oder
 ratur und Daten nach dem PEO- bzw. PECO-Sche-
Ophthalmologen darüber aufgeklärt werden, dass
 ma (HIGGINS & THOMAS 2020) formuliert; dabei
die Farbsinnstörung möglicherweise ihre Reak­
 steht P für Population, E für Exposure (engl. für Ex-
tionsfähigkeit auf Signallichter beeinträchtigt (Aus-
 position), C für Comparator (engl. für Vergleich oder
troads 2016). Im Vereinigten Königreich (UK) müs-
 Gegenüberstellung) und O für Outcome (engl. für
sen Personen mit einer Farbsinnstörung diese nicht
 Ergebnis).
bei der britischen Fahrerlaubnisbehörde angeben.
Dementsprechend gibt es keinerlei Einschränkun- 1) Die erste Fragestellung ist vom PEO-Typ und
gen für das Führen eines Kfz für farbsinngestörte lautet: Wie hoch ist die Prävalenz (O I) von Pro-
Personen (Driver & Vehicle Licensing Agency tanopie und Protanomalie (E) unter Berufskraft-
2020). fahrern und Berufskraftfahrerinnen (P)?

 2) Die zweite, zentrale Fragestellung des Reviews
 ist vom PECO-Typ und lautet: Inwiefern ist bei
3 Methodik protanopen oder protanomalen (E) Berufskraft-
 fahrern und Berufskraftfahrerinnen (P) im Ver-
Die Datengewinnung erfolgte auf zwei Wegen. Zum gleich zu normalfarbsichtigen Berufskraftfahrern
einem fand eine Literaturrecherche zur Beantwor- und Berufskraftfahrerinnen (C) ein erhöhtes Un-
tung der Fragestellungen der vorliegenden Arbeit fallrisiko (O II) nachgewiesen?
statt. Die in der Literaturrecherche identifizierten
Studien wurden nach bestimmten Kriterien ausge- 3) Die dritte Fragestellung ist ebenfalls vom PECO-
wählt und anschließend wurden die Daten aus den Typ und lautet: Inwiefern ist bei Personen (ins-
ausgewählten Studien extrahiert. Des Weiteren er- besondere Berufskraftfahrer und Berufskraftfah-
folgte eine Datenrecherche bei Behörden, Fachge- rerinnen) (P), die unter Protanopie oder Protano-
sellschaften, Versicherern, Berufsgenossenschaf- malie leiden (E), im Vergleich zu normalfarbsich-
ten. In der Datenrecherche wurden veröffentlichte tigen Personen (insbesondere Berufskraftfahrer
Zahlen recherchiert sowie Institutionen, Arbeits-/ und Berufskraftfahrerinnen) (C), das Erkennen
Betriebsmedizinpraxen und weitere Fachleute nach oder die Reaktion auf die Farbe Rot (O III) einge-
Daten befragt. schränkt?
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