ZIEL-VEREINBARUNGEN Marktorientierte Leistungssteuerung im Betrieb - Aus der Broschürenserie Gewerkschaft GPA - Abteilung Arbeit & Technik
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ZIEL- VEREINBARUNGEN Marktorientierte Leistungssteuerung im Betrieb Aus der Broschürenserie Gewerkschaft GPA – Abteilung Arbeit & Technik 1
IMPRESSUM: Herausgeber: Gewerkschaft GPA, 1030 Wien, Alfred-Dallinger-Platz 1 Redaktion: Alexander Pichler, Gewerkschaft GPA – Grundlagenabteilung Layout: Christina Schier, Gewerkschaft GPA – GB Organisierung und Marketing Bilder/Fotos: iStock, Michael Mazohl ÖGB ZVR-Nr.: 576439352 Stand: Juni 2021
AUTORiNNEN Dr.in Eva Angerler Abteilung Arbeit & Technik der Gewerkschaft GPA Mag.a Andrea Komar Leiterin der Bundesrechtsabteilung der Gewerkschaft GPA Verena Spitz ZBR- & BR-Vorsitzende BAWAG P.S.K., Vorsitzende des Beirates für Arbeit und Technik (BAT) Mag. Fritz Spinka ehem. BR-Vorsitzender Atos IT Solutions and Services GmbH, BAT-Mitglied Helmut Wolff ehem. BR-Vorsitzender Unify GmbH, BAT-Mitglied Unter Mitarbeit von weiteren BAT-Mitgliedern, die in der Arbeitsgruppe mitgearbeitet und/oder betriebliche Praxisbeispiele beigesteuert haben, insbesondere: Margit Hahn, BR-Vorsitzende UniCredit Business Integrated Solutions Austria GmbH Andreas Rauch, BR Generali Versicherung, Informatik GmbH Mag.a Franziska Fallmann, BR-Vorsitzende Stv. SVS Mag. Dr. Roland Widowitsch, Regionalsekretär in der Gewerkschaft GPA Die Inhalte sind nach bestem Wissen erstellt und sorgfältig geprüft. Es besteht jedoch keine Haftung seitens der Autor oder der Gewerkschaft GPA. Inhalte dürfen unter Angabe der Autor weiterverbreitet werden (CC-Urheberrecht). 3
VORWORT 4 © MichaelMazohl
VORWORT Wer das Wissen und die Kreativität seiner Beschäftigten optimal nutzen will, braucht deren Beteiligung. Aus- gehend von dieser Erkenntnis werden immer wieder neue Managementansätze eingeführt, die mehr Beteiligung versprechen. Ein Beispiel dafür sind Zielvereinbarungen, die in den 90er Jahren als neues partnerschaftliches Führungs- instrument eingeführt wurden. Ziele mit dem Vorgesetzen auf gleicher Augenhöhe vereinbaren und nicht vorgeben, sich gegenseitig Feedback geben und Unterstützung durch die Führungskräfte wurden versprochen. Mittlerweile sind Zielvereinbarungen zum Standard geworden, die versprochenen beteiligungsorientierten Qualitäten lassen aber immer mehr zu wünschen übrig. Vielfach sind Zielvereinbarungen zu aufwändigen Planungs- und Kontrollsystemen geworden. Verbunden mit Anreiz- und Wettbewerbsstrukturen erhöhen sie den Druck auf die Beschäftigten. Digitale Technologien ermöglichen permanentes Monitoring und Benchmarking der Leistungsergebnisse. Da solche Zielsysteme mit einem hohen Aufwand und einem langen Planungshorizont verbunden sind, sind sie in Zeiten, die immer schnelleres Agieren verlangen, nicht mehr angemessen. Agiles Arbeiten gilt als Erfolgsrezept in Krisenzeiten. Schnell auf Veränderungen reagieren, auch komplexe Herausforderungen gemeinsam durch gute, selbstorganisierte Teamarbeit bewältigen ist das Gebot der Stunde. Dies erfordert auch Anpassungen bei den Zielvereinbarungssystemen. Die eingesetzten Leistungssteuerungsver- fahren dürfen die Kooperation in und zwischen den Teams nicht durch individuellen Wettbewerb und Rankings untergraben. Arbeits- und Leistungssteuerung ist ein Thema, das viele Mitbestimmungsbereiche berührt, die sofort genutzt werden können. Auch dafür will diese Broschüre sensibilisieren. Barbara Teiber, MA Vorsitzende 5
INHALT Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Mechanismen der indirekten Steuerung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Beispiele für teilstrukturierte Märkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 „Vermarktlichung“ und „Finanzialisierung“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Steuerung der Intensität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Beispiel Cloudworking mit der Strategie „Generation Open“ von IBM. . . . . . . . . . . . . . . . 15 Unternehmerfunktion und Gruppendruck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Die Auswirkungen der indirekten Steuerung auf die Arbeitszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Die Kontrolle über die eigene Arbeitszeit zurückgewinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Das HR-Instrument Zielvereinbarung als Teil des betrieblichen Leistungsmanagements . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Zielvereinbarung als Klassiker. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Legitimation durch Partizipation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Umsetzungsprobleme bei „echten“ Zielvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 „Materielle Anreizsysteme“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Zielvereinbarung und Digitalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Beurteilungsverfahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Evidenzbasiertes HRM/Data Mining in HR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 Data Mining – „Graben nach Daten“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 Woher können die Daten kommen?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Was geschieht beim Data Mining?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Anwendungsgebiete im HRM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 6
INHALT Checkliste Datenschutz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Rechtliche Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 Grundsätzlich geht den Betriebsrat alles, was im Betrieb bzw. Unternehmen geschieht, etwas an. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 Welche Informationen benötigt der Betriebsrat zur rechtlichen Einordnung des Zielvereinbarungs-Konzepts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 Welche Mitbestimmungsmöglichkeiten hat der Betriebsrat? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 Die „Werkzeuge“ in Zielvereinbarungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 Rating, Ranking, Benchmarks. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 Prozess-, Zeit- und Dokumentationsvorgaben. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 Big Data, Profiling, Verhaltensforschung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 Betriebsvereinbarungen – Vorschläge zur Regelung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 Zusammenfassung von Handlungsansätzen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 ? Reflexionsfragen Praktische Beispiele Wertvolle Tipps Wichtige Hinweise 7
EINLEITUNG A ls vor mehr als 15 Jahren die Broschüre „Ziel- ● t rotz zunehmender Digitalisierung werden die Kon- vereinbarungen“ der Gewerkschaft GPA erar- zepte immer intransparenter und damit subjektiv beitet und herausgegeben wurde, war schon vom Management gestaltbar abzusehen, dass dieses Managementinstrument zu- ● Zielvereinbarungen bzw. -vorgaben werden immer nehmend Verbreitung und Anwendung, in einer schnell mehr zu einem Instrument der Risikoabwälzung auf wachsenden Zahl von Arbeitsverhältnissen, finden die Beschäftigten (immer mehr Unternehmens- würde. Parallel zu dieser Ausbreitung war aber auch oder sogar Konzernziele, die individuell nicht be- ein nicht zu übersehender Wandel in der Bedeutung einflussbar sind). und der Zielsetzung bei der Anwendung zu beobach- ten. Manche der damals bereits angeführten Gefahren Viele dieser Entwicklungen bergen nicht unwesentli- sind mittlerweile zur gängigen Praxis – zum Nachteil che Gefahren und Risiken für die ArbeitnehmerInnen der ArbeitnehmerInnen – geworden. Eine schlagwort- bzw. bedeuten sogar massive Verschlechterungen im artige Auflistung von Veränderungen, die in der ersten Arbeitsverhältnis. Deshalb war es hoch an der Zeit, GPA-Broschüre teilweise schon antizipiert wurden, soll die vielen neuen Aspekte zu berücksichtigen und zu das verdeutlichen: bewerten. Das Ergebnis ist die vorliegende Broschüre, die weniger eine Überarbeitung der bestehenden, als ● zunehmende Verknüpfung mit variablen Entgelt- vielmehr eine Neufassung ist. Das soll auch durch den bestandteilen bzw. Boni Untertitel „Zielvereinbarung und marktorientierte Leis- ● aus Vereinbarungen werden immer öfter Vorgaben tungssteuerung im Betrieb“ deutlich gemacht werden. ● Mitsprachemöglichkeiten, auch des Betriebsrats, werden immer häufiger umgangen Arbeits- und Leistungssteuerung im Betrieb spielt sich ● kürzere Perioden (statt jährlich nun halbjährlich in einem vielschichtigen Umfeld ab. Einige wichtige oder noch kürzer) und damit verbunden mehr Faktoren, die die Leistungssteuerung beeinflussen bzw. Administrationsaufwand treiben, haben wir in der nachstehenden Grafik zu- ● rückwirkende Zielvorgaben sammengefasst. ● statt zur inhaltlichen Steuerung werden Zielvor- gaben immer häufiger zur Erhöhung des Arbeits- In dieser Broschüre können wir nicht auf alle diese Ein- drucks, also zur Steuerung der Intensität, genutzt flüsse eingehen, zu vielen Themen, wie z. B. Personalent- ● Verschiebung von quantitativen Zielen, deren Er- wicklung in der digitalen Arbeitswelt, Verarbeitung und reichung objektiv feststellbar und nachvollziehbar Speicherung von MitarbeiterInnendaten sowie Daten- ist, hin zu qualitativen Vorgaben, die oft mit einer schutz, gibt es aber bereits spezielle Broschüren oder MitarbeiterInnen-Beurteilung verbunden sind Beratungsunterlagen der Gewerkschaft GPA. 8
EINLEITUNG ÜBERBLICK ARBEITS- UND LEISTUNGSSTEUERUNG ● Digitalisierung ● Elektronische Speicherung ● Top-Down ● Elektronische Systeme ● Prozessvorgaben ● Arbeitsorgaisation ZIELVORGABEN ● Leistung ● Variable Entlohnung ● Verhalten ● Performance ● Compliance ● Kennzahlen ● Motivation ● EDV-Systeme ● Führungsverhalten ZIELMESSUNG MITARBEITER- ARBEITS- & BEURTEILUNG LEISTUNGS- STEUERUNG ARBEITSZEIT- & FEHLZEITEN- TALENT- MANAGEMENT MANAGEMENT & MITARBEITER-GESPRÄCHE ● Krankenstandsrückkehr ● Workforce-Management ● Skills ● Fähigkeiten und Fertigkeiten ● Ausbildung ● Personalentwicklung Autorin: Verena Spitz, ZBR- & BR-Vorsitzende BAWAG P.S.K. 9
EINLEITUNG Einer der Schwerpunkte dieser Broschüre ist die Dar- einordnen zu können ist es wichtig, die hier hinterlegte stellung von Mechanismen und auch von Praxisbeispie- Bedeutung zu kennen. Die folgenden Begriffsdefiniti- len der indirekten Steuerung, die das psychologische onen erheben nicht den Anspruch auf Allgemeingül- Fundament aller dieser Konzepte bildet. Dabei geht es tigkeit, sondern sind Vorschläge die beschreiben, wie um die Setzung von Rahmenbedingungen mittels Ziel- sie in dieser Broschüre gemeint sind. Es geht dabei vorgaben, unter denen die Arbeitsleistung zu erbrin- in erster Linie um das Begriffspaar „quantitative und gen ist, was einerseits großes Konfliktpotential enthält, qualitative Ziele“. aber auch zunehmend zu massiven gesundheitlichen Auswirkungen führt. Quantitative Ziele: Darunter sind Ziele zu verstehen, bei denen die Zieler- Ein weiterer Abschnitt beschäftigt sich mit Zielverein- reichung eindeutig und nicht interpretierbar zu ermit- barungen bzw. -vorgaben als Teil des betrieblichen teln ist. Das sind in der Regel Mengen, die gemessen Leistungsmanagements. Hier geht es vor allem um das (analoge Ziele) oder gezählt (diskrete Ziele) werden Aufzeigen von praktischen Umsetzungsproblemen, die können. Voraussetzung ist eine eindeutige Zielformu- Darstellung und Bewertung von Beurteilungsverfahren lierung, z. B. der Jahresumsatz einer genau umgrenz- und die damit verbundenen Probleme, bei denen die ten wirtschaftlichen Einheit. Der Vorteil ist die Objektivi- Beschäftigten tendenziell meist in einer schwierigen tät der Ermittlungsmethode der Zielerreichung. Position sind. Schließlich werden die rechtlichen Rahmenbedingun- Qualitative Ziele: gen besonders in Hinblick auf die neuen Entwicklungen Damit sind Ziele gemeint, bei denen die Zielerrei- und auf Basis der aktuellen Rechtslage neu beleuchtet. chung quantitativ nicht feststellbar ist, und die daher Dabei geht es vor allem um Einfluss- und Kontrollmög- auf subjektiver Basis bewertet bzw. mittels Beurteilung lichkeiten für den Betriebsrat und Perspektiven für die festgelegt werden muss. Der Nachteil dieses Typs ist die Mitgestaltung. bereits erwähnte Subjektivität (der bewertenden bzw. Ergänzt werden die Kapitel durch Reflexionsfragen. beurteilenden Führungskraft) und auch die Gestalt- Diese sollen Beschäftigte und Betriebsräte dabei un- barkeit mittels Weisung. Als Vorteil kann hier die Not- terstützen, die Betroffenheit im eigenen Unternehmen wendigkeit der intensiven Beschäftigung mit der Ar- zu bewerten und die Maßnahmen rechtlich einordnen beitssituation angeführt werden. Üblicherweise erfolgt zu können. das im Rahmen einer MitarbeiterInnen-Beurteilung, wobei auf die Notwendigkeit der Regelung durch eine Den Abschluss bildet eine Zusammenfassung von Betriebsvereinbarung zu achten ist. Handlungsansätzen und Werkzeugen dazu. Dabei wird das Augenmerk nicht nur auf die betrieblichen Quantifizierbare Ziele: Möglichkeiten, sondern auch auf Zusammenhänge Darunter sind Ziele zu verstehen, die vom Typ her zu auf politischer Ebene gelegt. Immer mehr geht es da- den qualitativen Zielen gehören, bei denen aber die rum, Hintergründe und verborgene Zielsetzungen von Zielerreichung mit einem genau festgelegten Modus Managementinstrumenten zu erkennen und auch in festgestellt werden kann. Ein Beispiel ist das Ziel Kun- der Belegschaft bewusst zu machen. Nur so gibt es die denzufriedenheit. Die kann beispielsweise durch eine Chance, in einer immer stärker individualisierten und jährliche Kundenbefragung nach einer vorab definier- egozentrierten Arbeitswelt den Solidaritätsgedanken ten und festgelegten Vorgangsweise festgestellt wer- wieder zu stärken und auf diese Weise ein Gegenge- den. Entscheidend dabei ist die klare und eindeutige wicht zum neoliberalen „Wirtschaftsfaustrecht“ zu Beschreibung dieser Vorgangsweise. schaffen. Dabei soll diese Broschüre einen kleinen Bei- trag leisten. Grundsätzlich ist anzumerken, dass alle Ziele letztlich operationalisiert werden müssen, um das Ausmaß der Zum besseren Verständnis: Zielerreichung feststellen zu können. Unverzichtbare Bei der Beschreibung von Zieltypen werden einige gän- Forderung dabei ist die Transparenz der Methode der gige Begriffe sehr unterschiedlich verwendet und ver- Quantifizierung, die möglichst objektiv und nachvoll- standen. Um die Aussagen in dieser Broschüre richtig ziehbar sein sollte. 10
EINLEITUNG © iStock 11
MECHANISMEN DER INDIREKTEN STEUERUNG D ie indirekte Steuerung funktioniert nicht über bedienen. Unternehmensberater untersuchten diese direkte Anweisungsstrukturen per „Befehl und neu entstandenen Arbeitsformen und entwickelten ein Gehorsam“ (Command and Control), sondern Bewusstsein dafür. Sie versprachen, „an das Gold in durch Rahmenbedingungen und „Unternehmensum- den Köpfen der Beschäftigten heranzukommen“, um welten“, die von den Unternehmensleitungen geschaf- dieses Wissen und die Kreativität der Beschäftigten fen werden und innerhalb derer die Beschäftigten für das Unternehmen optimal nutzen zu können. Der mehr oder weniger selbständig arbeiten können bzw. Schlüssel, um an die Energien und Fähigkeiten der müssen. Die schrittweise Einführung der „indirekten Menschen heranzukommen, liege in der indirekten Steuerung“ hat in den 50er Jahren begonnen. Als Ge- Steuerung anstatt direkten Anweisungen. burtsort dieser Entwicklung gilt das Silicon Valley, wo Seit den 1990er Jahren hat sich diese Form der Arbeits- Computer in Form von Hardware und entsprechender organisation flächendeckend durchgesetzt. Ihr Erfolg Software entwickelt und produziert wurden, mit Kapi- zeigt sich in der enormen Steigerung der Produktivtät tal, das hauptsächlich vom Pentagon zur Verfügung der Beschäftigten. So ist die reale Arbeitsproduktivität gestellt wurde. Die Arbeit in diesen frühen Software- pro Erwerbstätigen/Erwerbstätiger in Österreich von Unternehmen bestand in einer Aneinanderreihung von 1995 bis 2017 um 23,8 % gestiegen. Die reale Arbeitspro- Erfindungen durch die Beschäftigten selbst. Während duktivität pro Arbeitsstunde in Österreich ist von 1995 bis Ende des 19. Jahrhunderts die großen Unternehmer- 2017 um 32,5 % gestiegen.1 Diese Steigerung hat zwar persönlichkeiten häufig Arbeitgeber, Unternehmer auch mit den Veränderungen durch die Technologien und Erfinder zugleich waren, sind es jetzt die Beschäf- zu tun, für die Innovationsfähigkeit in den Unternehmen tigten, die gemeinsam technologische Entwicklungen spielt die Arbeitsorganisation jedoch eine wichtige Rolle. vorantreiben. Diese neuen Kooperationsformen kommen auch in den sozialen Medien zum Ausdruck. Seit zirka 2005 findet Ab den 1970er Jahren entwickelten die Beschäftigten eine Umgestaltung in Richtung Enterprise 2.0 statt, wo- im Silicon Valley Kooperationsformen, die es ihnen er- mit ein mit „Social Intranet“ organisiertes Unternehmen möglichten, technisch innovativ in einer Organisation gemeint ist. Dabei werden virtuelle Teams gebildet und dauerhaft zusammenzuarbeiten. Die so entstandenen mit Aufgaben versorgt. Die Beschäftigten müssen ein Unternehmen erwiesen sich als sehr profitabel, was eigenes Profil ähnlich wie bei Facebook erstellen, und das Interesse von Unternehmen anderer Branchen können oder sollen sich als Expert für bestimmte The- weckte. Auch sie wollten sich dieser neuen Formen men profilieren. Sowohl die Zusammenarbeit zwischen der Arbeitsorganisation zur Steigerung ihrer Gewinne den Beschäftigten als auch die Arbeitsergebnisse sind 1 https://www.oenb.at/dam/jcr:f1c3657a-8a65-4bd7-9b34-e02b778396aa/06_MOP_Q1_2_20_Entwicklung-von-Produktivitaet.pdf, 21.06.2021 12
MECHANISMEN DER INDIREKTEN STEUERUNG © iStock in diesen Plattformen transparent und können potentiell sind daher mit „teilstrukturierten Märkten“ konfrontiert, von den Unternehmensleitungen kontrolliert werden. sie müssen sich am Markt bewähren, allerdings mit Vorgaben des Unternehmens. Die indirekte Steuerung aus Sicht der Beschäftigten haben Klaus Peters (Philosoph) und Wilfried Glißmann ● Die Unternehmensleitung eines Konzerns bietet ih- (IBM-Betriebsrat) am Beispiel IBM Deutschland analy- ren Niederlassungen in verschiedenen Ländern ein siert und im 2001 erschienen Buch „Mehr Druck durch Projekt an, ein bestimmtes Produkt zu produzieren. mehr Freiheit“ zusammenfassend dargestellt. Nach Die Niederlassungen können sich für dieses Projekt dieser Analyse treten die ArbeitgeberInnen im Rahmen bewerben und müssen dafür Kosten, Termin, Ge- der indirekten Steuerung aus der Zwischenstellung winne und Investitionen festlegen. So entsteht ein zwischen Markt und den Beschäftigten heraus. Sie tre- unternehmensinterner Wettbewerb. ten zur Seite und konfrontieren die Beschäftigten mit ● Aus der Sicht der Kunden und der Beschäftig- den Marktbedingungen ihrer Arbeit und setzen selbst ten schienen sich die Unternehmen Saturn und eine Marktbedingung hinzu, und zwar einen bestimm- Mediamarkt bis aufs Messer zu bekämpfen. Aus der ten Prozentsatz an Gewinnerwartung. Die Teams von Sicht des Metrokonzerns, dem beide Unternehmen Beschäftigten, die in sogenannten „Business Units“ gehören, handelt es sich um eine Kooperation, die oder „Profit Centers“ zusammenarbeiten, setzen sich als Konkurrenz organisiert wird, einer sogenannten mit dem Markt bzw. den teilstrukturierten und zugewie- „Coopetition“. senen Märkten selbst auseinander. ● In einem IT-Konzern wurde eine Abteilung, die für die IT-Schulung von MitarbeiterInnen ihrer Kun- ? dInnen zuständig war, als selbständige Unterneh- menseinheit geführt. Von heute auf morgen wur- Sind die Mechanismen der indirekten Steuerung den die Führungskräfte dieser Einheit entfernt und dem Betriebsrat und den MitarbeiterInnen in die Beschäftigten hatten nun ihre Arbeit selbst zu meinem Betrieb bewusst? organisieren. Sie bekamen die Anweisung: „Ihr habt ein Budget, ihr habt Sachmittel – tut, was ihr wollt, aber seid profitabel“. Die Rahmenbedingungen, z. B. Kosten für Räume und Geräte, wurden von der BEISPIELE FÜR TEILSTRUKTURIERTE MÄRKTE Unternehmensleitung vorgegeben. Als die Unter- nehmenseinheit begann rote Zahlen zu schreiben, Die folgenden betrieblichen Beispiele zeigen auf, wie fand die Gruppe schnell zwei MitarbeiterInnen, durch Unternehmensleitungen Marktbedingungen die ausscheiden mussten. Nach einiger Zeit wurde bzw. künstliche Wettbewerbsstrukturen für die Arbeit- diese reduzierte Einheit wieder ins Stamm-Unter- nehmerInnen vorgegeben werden. Die Beschäftigten nehmen integriert. 13
MECHANISMEN DER INDIREKTEN STEUERUNG ● In einem Unternehmen waren kleine bauliche anderen zu erwartenden Kosten sind daran auszurichten. Veränderungen erforderlich. Die Unternehmens- Unternehmensteile werden nur dann als solche wei- leitung holte sich für diese Maßnahme einen tergeführt, wenn sie diese – jährlich steigende – Ge- Kostenvoranschlag von einem externen Anbieter ein winnerwartung erfüllen. Kann eine solche Steigerung und legte ihn dem Facility Management vor mit der nicht eingeplant werden, so „passt der Unternehmens- Frage, ob der Auftrag zum gleichen Preis und zum teil über kurz oder lang nicht mehr ins Portfolio“. selben Termin durchgeführt werden kann. Denn nur Die Gewinnerwartungen, die dabei den Unterneh- unter dieser Voraussetzung könnte der Auftrag im menseinheiten aufgenötigt werden, haben nichts mit Haus ausgeführt werden. der Arbeitsproduktivität zu tun. Sie richtet sich nach ● In einem Architekturbüro hatte sich eingebürgert dem Kräfteverhältnis zwischen der Unternehmens- bis 19:00 oder 20:00 Uhr zu arbeiten. Um an einem leitung, die auch die Erwartungen der Shareholder Nachmittag Zeit für ihre Kinder zu haben, reduzier- umsetzt, und den Unternehmenseinheiten. Durch die te eine Architektin ihre Arbeitszeit um 20 %. Obwohl regelmäßige Androhung, sich von Unternehmens- die Arbeitszeitreduktion ihren Kolleg bekannt ist, einheiten zu trennen, welche die Gewinnerwartungen muss sie sich an jedem dieser „freien“ Nachmittage nicht erfüllen, wird der Druck erhöht. Da die Beziehun- Bemerkungen anhören, die suggerierten, dass sie gen der Unternehmenseinheiten untereinander meist ihre KollegInnen im Stich lässt, wie „Gehst du schon?“ als Konkurrenz organisiert sind, verhalten sich diese oder „Heute halbtags?“. zueinander nur selten solidarisch. Die Kunst der indirekten Steuerung besteht darin, die Forderungen des Unternehmens als Forderungen von STEUERUNG DER INTENSITÄT Kolleg oder von Kund an einzelne Beschäftigte heran- treten zu lassen. Unter diesen Umständen ist es sehr Vielfach dienen Leistungssteuerungssysteme dazu die schwierig, die eigenen individuellen Interessen zu er- Intensität zu erhöhen, ganz nach dem Motto: „höher, fassen oder gar durchzusetzen. schneller, weiter“. Wurden etwa Benchmarkings ur- sprünglich zur Qualitätsverbesserung eingesetzt, wer- den sie heute häufig zum Monitoring der Konkurrenz „VERMARKTLICHUNG“ UND zwischen Filialen oder zwischen anderen Unterneh- „FINANZIALISIERUNG“ menseinheiten verwendet. Der Druck auf Unterneh- menseinheiten wird z. B. dadurch erhöht, dass Be- Leistung wird zunehmend als das definiert, was am schäftigte in Subunternehmen ausgelagert werden, Markt zu verwerten ist. Die Aufwandsseite gerät unter in denen sie zu reduzierten Gehältern dieselbe Arbeit Druck. Die vorhandenen Ressourcen sind nicht mehr verrichten. Diese Subunternehmen werden im nächs- Bezugspunkt, sondern Benchmarks, abstrakte Rendi- ten Schritt zu den im Unternehmen Beschäftigten in teerwartungen, Vorgaben pauschaler Produktivitäts- Konkurrenz gesetzt. steigerungen oder Kostensenkungen. Erst wird das Die sogenannte „Intensivierungspflicht“ wird über ver- erwünschte Ergebnis definiert, dann der Aufwand va- schiedene Managementmaßnahmen an die Mitarbei- riabel angepasst. Arbeitsbedingungen und Gehälter terInnen herangetragen, etwa über Beurteilungssys- werden zu Restgrößen, zu abhängigen Variablen der teme oder direkten Weisungen – indirekte und direkte Marktpreise und Gewinnerwartungen. Formen der Steuerung kommen durchaus nebenei- Die Unternehmensleitungen bedienen sich immer öf- nander zum Einsatz, mit wechselseitigem Einfluss. In ter einer Strategie der „Finanzialisierung“, was ge- diesen Formen wird der Druck auf einzelne Beschäf- genüber der Vermarktlichung einen weiteren Schritt tigte auch persönlich und gezielt von Führungskräften in der Entwicklung der indirekten Steuerung darstellt. ausgeübt. Begleitet werden solche personenorientierte Die Unternehmensleitungen verhalten sich dabei ih- Maßnahmen meist mit unternehmensweiten Kampag- ren Unternehmenseinheiten gegenüber wie Banken. nen gegen „Low Performer“. Sie stellen Budgets zur Verfügung und stellen dafür die Sogenannte „Rankings“ gehören heute in vielen Un- Bedingung, dass ein bestimmter Prozentsatz an Profit ternehmen zum Alltag. Es geht dabei darum, dass Leis- erarbeitet wird. Es werden nur Projekte akzeptiert, in tungen oder Verhaltensweisen von MitarbeiterInnen denen die Gewinnerwartung vorher definiert ist. Alle verglichen werden und der betrieblichen Öffentlichkeit 14
MECHANISMEN DER INDIREKTEN STEUERUNG zugänglich gemacht werden. Beispiele dafür sind Aus- Arbeit und Kommunikation erfolgt vollständig elek- wertungen von Krankenständen, von erreichten Um- tronisch basiert. Tools für Projektmanagement und satzzielen im Außendienst, der Anzahl der erledigen Arbeitsplanung werden in der Cloud zur Verfügung Anrufe im Call-Center, der Gesamtnoten in Beurtei- gestellt. Eine Kollaborationsplattform nach dem Vor- lungssystemen. Allen gemeinsam ist, dass sie neben bild von Social Media stellt die Grundlage für Wissen- dem – mitunter vorgeschobenen – Ziel der betriebsin- saustausch und kommunikativen Austausch dar und ternen Transparenz auch einem Konkurrenzdruck und integriert Intra- und Internetforen, Sofortnachrichten- – im Extremfall – dem „Verabschieden“ von Arbeitneh- dienste, Bibliotheken, Blogs und Wikis. Komplexe Auf- merInnen Vorschub leisten. Vergleiche dazu Abschnitt gaben – früher dauerte eine Software-Entwicklung „Rating, Ranking, Benchmarks“ im Kapitel „Die Werk- zirka 18 Monate – wurden in kleine Teilschritte von zeuge in Zielvereinbarungen“ (Seite 38). maximal 60 Arbeitsstunden zerlegt, wodurch die ein- Mit Zielvorgaben verbunden ist Ergebniskontrolle oder zelnen Entwickler detailliert analysierbar und auch er- „Output Control“. Elektronische Systeme machen es setzbar wurden. Innerhalb der weltweiten Projektteams möglich, Leistungsergebnisse – soweit messbar – zu herrscht absolute Transparenz über den Status der erfassen. Aber auch die „klassische Verhaltenskontrol- Arbeitsabläufe für alle Community-Mitglieder. Leis- le“ kommt - begünstigt durch digitale Kontrollmöglich- tungs- und Verhaltensdaten werden ausgewertet, um keiten – zum Einsatz. Dies reicht bis hin zum sogenann- Leistungsmuster der Communities zu kartografieren ten „Tracking“ – der laufenden Überwachung. Damit und zu vergleichen. Diese Daten bilden die Grundlage ist aber weder eine Hilfestellung bei der Realisierung für Verhaltens- und Motivationssteuerung der Wissens- des Ergebnisses noch eine konkrete Anweisung, wie arbeiterInnen. Die Kollaborationsplattform wird so zum das Ergebnis zu erreichen sei, verbunden. Daher han- Arbeits-, Kooperations- und Kontrollmittel. Zusätzlich delt es sich nicht um eine Rückkehr zur alten Form der gibt es auch direkte Steuerungsmöglichkeiten, so hat Arbeitsorganisation, sondern um eine Erhöhung des der/die ProjektmanagerIn eine starke Stellung und äußerlichen Drucks durch engmaschige Ergebniskon- kann jederzeit in die Arbeitsabläufe eingreifen. trollen mit Konsequenz-Androhung. Vergleiche dazu Abschnitt „§ 96 Abs 1 Z 3 ArbVG (Kontrollmaßnahmen, Fast alle Beschäftigten haben sogenannte „Blue die die Menschenwürde berühren)“ im Kapitel „Recht- Cards“, welche die aktuellen Leistungsauswertungen liche Rahmenbedingungen“ (Seite 34). über ihre Arbeitsergebnisse enthalten, und die Grund- lage für das Rating der MitarbeiterInnen bilden. Diese „Digital Reputation“ ist der Leistungsausweis, der für fix BEISPIEL CLOUDWORKING MIT DER STRATEGIE Angestellte genauso wie für Freelancer gilt. Um Free- „GENERATION OPEN“ VON IBM lancer anzuheuern, arbeitet IBM mit dem Unterneh- men Top Coder als strategischem Partner zusammen. Die Ankündigung eines globalen IBM-Managers, die Interessierte Expert können sich über das unterneh- Anzahl der Festangestellten bei IBM von 400.000 auf menseigene Liquid-Portal bewerben. Voraussetzung zirka 100.000 zu reduzieren, hat vor einigen Jahren für deren Teilnahme ist, dass sie die Rechte am Arbeits- Aufsehen erregt. Die Kernbelegschaft soll nur mehr zur ergebnis an IBM abtreten und die totale Transparenz Aufrechterhaltung der Kundenbeziehungen und für die akzeptieren. Dann können sie an den Ausschreibungen Steuerung und das Management des Unternehmens auf der Liquid-Plattform teilnehmen. Die kleinteiligen zuständig sein. Die MitarbeiterInnen sollen nur mehr für Aufträge werden im Wettbewerbsmodus bearbeitet, Projekte über Plattformen im Internet weltweit angeheu- wobei nur das eingereichte Ergebnis bezahlt wird. ert werden. Eine deutsche Studie beleuchtet die Strate- Durch die strukturelle Gleichstellung von fix Angestell- gie, mit der sich IBM dieser „Vision“ annähert, und wirft ten und Freelancern im Informationsraum werden zwei kritische Fragen für die Zukunft der Arbeit auf. 2 unterschiedliche Rechtssysteme zueinander in Kon- Bei IBM arbeiten weltweite Projektteams, sogenannte kurrenz gebracht. Die Freelancer stellen ein ständiges „Blue Communities“ – allerdings hierarchisch struk- Drohpotential für die IBM-Beschäftigten dar, und das turiert – mit operationalen und finanziellen Zielvor- Verhältnis von innen und außen verflüssigt sich. gaben. Dieses Beispiel ist eine sehr weitgehende Form der 2 http://www.isf-muenchen.de/pdf/IBM-Gutachten_E-Mail.pdf, 21.06.2021 15
MECHANISMEN DER INDIREKTEN STEUERUNG indirekten Arbeitssteuerung über Unternehmensgren- behaupten kann. Dafür nehmen sie Einschränkungen zen hinaus. In Österreich konnte diese weitgehende ihrer Rechte und verlängerte Arbeitszeiten in Kauf. Wettbewerbssteuerung, wo fix Angestellte und Free- Unternehmerisches Denken wird von jedem als wichti- lancer auf gemeinsamen Plattformen in Konkurrenz ge Schlüsselqualifikation verlangt und hat längst Ein- stehen, durch unser Arbeitsrecht und durch die kriti- gang in betriebliche Beurteilungssysteme gefunden. In sche öffentliche Diskussion verhindert werden. Dieses diesem Zusammenhang ist auch von Arbeitssteuerung Produktionsmodell zeigt jedoch auf, wie weit indirek- durch „Normativ Control“ die Rede. Dabei geht es da- te Steuerung mithilfe von Digitalisierung gehen kann rum, dass die Beschäftigten organisationale Ziele über und wie wichtig sozialverantwortliche Gestaltung von Normen und Werte verinnerlichen und als persönliche Arbeitsorganisation ist. Ziele wahrnehmen. Unter diesen Voraussetzungen üben KollegInnen untereinander soziale Kontrolle aus. Indirekt werden dabei nicht nur die einzelnen Beschäf- UNTERNEHMERFUNKTION UND tigten gesteuert, sondern Teams und Gruppen, also GRUPPENDRUCK Arbeitsbeziehungen von KollegInnen. Das führt häufig in eine widersprüchliche Situation zwischen den (ge- Die Auswirkungen der indirekten Steuerung bringen werkschaftlichen) Maßstäben des Individuums und der neue Herausforderungen für Teams und dem einzel- Unternehmerfunktion, die als Team-Mitglied wahrge- nen/der einzelnen ArbeitnehmerIn. nommen wird. Dem einzelnen Teammitglied fällt es Mit der indirekten Steuerung überlassen die Unter- schwer, dem Gruppendruck des Teams zu widerste- nehmen den Beschäftigten und ihren Teams mehr hen, denn Teammitglieder helfen sich gegenseitig. und mehr Unternehmerfunktionen. Die KollegInnen Wie Forschungen aus der Arbeits- und Organisations- sollen sich in ihrem Handeln vorrangig am Unterneh- psychologie zeigen, stärkt gegenseitige Hilfeleistung mensgewinn orientieren. Dazu setzen Unternehmens- die Identität des Teams. Das erhöht das WIR-Gefühl. leitungen auf sich selbst steuernde Teams in teilauto- Unternehmensleitungen nutzen diese Erkenntnisse, nomen Unternehmenseinheiten, Subunternehmen und wenn sie die Anforderungen an die Gruppen hoch- Profit-Centern. Die Beschäftigten müssen sich in diesen schrauben oder die Ressourcen verknappen, sodass „Umwelten“ – der konstruierten Konkurrenz von unter- gegenseitige Hilfeleistung oft notwendig ist. Das WIR nehmensinternen Märkten – behaupten. kann stärker sein als das ICH. Das kann dazu führen, Die Rahmenbedingungen der indirekten Steuerung dass die Teams alles tun, um ihre Ziele zu erreichen, haben oft den psychologischen Nebeneffekt, als un- gleichgültig, ob diese Ziele selbst gesetzte oder vom veränderlicher Sachzwang erlebt zu werden. Ziele, Unternehmen vorgegebene Ziele sind.3 Kennzahlen und Benchmarking-Ergebnisse prägen das Bewusstsein der Beschäftigten entscheidend. Dass da- ? hinter ausgefeilte Controlling-Systeme stehen, in denen an verschiedenen Rädchen gedreht wird, um die Mitar- ● Welche konkrete Formen/Ausprägungen beiterInnen optimal zu steuern, wird oft als nicht (mit) nimmt die indirekte Steuerung bei mir im gestaltbare Vorgabe erlebt. Vergleiche dazu Abschnitt Betrieb an? „Prozess-, Zeit- und Dokumentationsvorgaben“ im Ka- ● Welche konkrete negative Auswirkungen hat pitel „Die Werkzeuge in Zielvereinbarungen“ (Seite 40). das? ● Welche Vorteile könnte es aus Sicht der Mitar- Die Beschäftigten kommen in eine Doppelrolle, da sie beiterInnen geben? neben ihrer ArbeitnehmerInnenfunktion auch eine ● Wie bewerte ich als Betriebsrat die subjekti- UnternehmerInnenfunktion übernehmen. Sie machen ven Vorteile für einzelne MitarbeiterInnen im einerseits ihre Arbeit, haben u. a. das Interesse an ei- Verhältnis zu möglichen negativen Auswir- ner geregelten Arbeitszeit, andererseits haben sie in kungen auf die gesamte Belegschaft? ihrer Unternehmerfunktion das Interesse, dass ihr Team ● Mit welchen innerbetrieblichen Maßnah- profitabel genug ist, um im Unternehmen gehalten men kann ich die Bewusstseinsbildung in der zu werden und dass ihr Unternehmen sich am Markt Belegschaft unterstützen? 3 Siemens/Frenzel, Indirekte Steuerung von Gruppen. Neue Formen des Arbeitsdrucks. 16
MECHANISMEN DER INDIREKTEN STEUERUNG Bereichen eine faktische Verlängerung der Arbeitszei- ten fest. Eine wichtige Rolle spielt dabei die sogenannte Vertrauensarbeitszeit. Dabei verzichtet der/die Arbeit- ● Von AbteilungsleiterInnen nicht steuerbare geberIn auf die Kontrolle der Arbeitszeit und verein- Risiken wie Personal- und technische Ausfälle bart stattdessen Ziele (oder gibt Ziele vor), welche die gefährden die volle Auszahlung ihrer Zulagen. Beschäftigten zu einem gesetzten Termin zu erfüllen ● Ist die Abteilung im Verhältnis zur zu bewälti- haben. Eine ähnliche Funktion haben die in Österreich genden Verwaltungsarbeit unterbesetzt, wird sehr verbreiteten All-In-Verträge. ArbeitnehmerInnen das Augenmerk der Aktivitäten primär auf das können arbeiten wann sie wollen, haben aber auch Erreichen der Zielvereinbarungen gelegt. Ziel selbst auf die Einhaltung von kollektivvertraglichen ist, die Menge zu schaffen – die Qualität kann und gesetzlichen Arbeitszeiten zu achten. Durch die selten gemessen werden. Vernachlässigung der Arbeitszeitaufzeichnung, die ● Eine Belohnung gibt es also, wenn die Grup- unter diesen Rahmenbedingungen von vielen als sinn- pe das vorgegebene Ziel erreicht bzw. über- los empfunden wird, kommt es in der Praxis gerade da- schreitet. Hier ist die Tendenz erkennbar, dass durch zum Kontrollverlust über die eigene Arbeitszeit. innerhalb der Gruppe Diskussionen entstehen, Viele Betriebsräte verteidigen daher die elektronische wer für das Nichterreichen des Ziels verant- Zeiterfassung bzw. fordern deren Wiedereinführung. wortlich ist (jung-alt, gesund-krank, schnell- langsam, Raucher-Nichtraucher etc.). So Beispiele: kommt es auch leicht zu Vergleichen zwischen ● Die Arbeit in einer Station im Krankenhaus wird von Abteilungen und Landesstellen. Ob diese Ver- einem Team selbständig organisiert. Die Arbeitneh- gleiche offiziell oder inoffiziell erfolgen, macht merInnen müssen dabei sicherstellen, dass die Stati- für die Drucksituation, die entstehen kann, kei- on 24 Stunden am Tag besetzt ist, die Krankenakten nen großen Unterschied. bearbeitet werden und auch die Urlaubsplanung ● Ja, Beschäftigte werden angehalten, unter- erledigt wird. Wer was wann macht, ist dem Team nehmerisch zu denken und sich persönlich für überlassen. Da das Krankenhaus profitabel arbeiten die Zielerreichung verantwortlich zu fühlen. Mit bzw. Kosten sparen soll, wird die Personaldecke mög- der selbständigen Arbeitsweise ist es allerdings lichst knapp gehalten. Wird ein Teammitglied krank, zu Ende, sobald die Vorgaben nicht erreicht so ist es die Aufgabe der anderen Teammitglieder, werden. Dann gibt es direkte Weisungen. für Ersatz zu sorgen. Sie rufen sich dann gegenseitig ● Die Überwälzung der unternehmerischen Ver- in der Freizeit an und fordern sich auf für das kran- antwortung ist in einem Bereich sehr deutlich, ke Teammitglied einzuspringen. Für das einzelne in anderen Bereichen geschieht das versteckt Teammitglied ist es in der Regel sehr schwer, diese durch Weitergabe des Auslastungsdrucks. „freiwillige“ Arbeitszeitverlängerung abzulehnen. Neben dem Gruppendruck im Team spielt hier auch das Berufsethos eine Rolle, wonach die notwendige Versorgung der Patienten sicherzustellen ist. ● Die Projektplanung in einer Softwareentwicklung DIE AUSWIRKUNGEN DER INDIREKTEN läuft wie folgt ab: Ein Entwicklungsteam soll unter- STEUERUNG AUF DIE ARBEITSZEIT nehmensintern selbst ein Angebot, ein bestimmtes Programm zu entwickeln, unterbreiten. Die Rahmen- Die Mitglieder der Gruppe erarbeiten sich in diesen bedingungen werden vom Unternehmen vorgege- Stresssituationen gemeinsam, was sie zu tun haben. Mit ben: ein bestimmtes Budget, ein bestimmter Quali- der indirekten Steuerung nutzen die Unternehmen die- tätsstandard und der Termin zur Fertigstellung. Das se produktive Kraft der KollegInnen. Die Arbeitszeiten Team setzt sich selbst ein sehr anspruchsvolles Ziel scheinen sich in diesen Gruppenprozessen wie von selbst und verzichtet auf die Einplanung von Pufferzeiten, zu verlängern. Oft müssen sich die Beschäftigten selbst denn alle wissen um die Konkurrenz durch andere um ihre Qualifizierung kümmern, wenn sie nicht Gefahr Teams. Hat sich das Team verpflichtet, das Angebot laufen wollen, nicht mehr konkurrenzfähig zu bleiben. umzusetzen, wird im nächsten Schritt jedes einzelne Seit den 1980er Jahren stellen Betriebsräte in vielen Teammitglied auf ein bestimmtes Teilziel verpflichtet. 17
MECHANISMEN DER INDIREKTEN STEUERUNG Ist die Erreichung des Zieles in der Arbeitszeit nicht individuellen Rechte ungewollt in eine Erhöhung des möglich, ist davon auszugehen, dass Arbeit in der Gruppendrucks umschlagen, indem die KollegInnen Freizeit nötig wird. Dies wird in Kauf genommen, da ihre individuellen Rechte gegeneinander ausspielen. es ja einen gemeinsamen Team-Beschluss gibt, der die Rahmenbedingungen im Bewusstsein der Be- teiligten zweitrangig werden lässt. ● Vielfach wird die Erledigung von Verwal- ● Ein wesentlicher Faktor ist die Einhaltung von tungsaufgaben (Berichtswesen, Urlaubspla- Arbeitszeitgrenzen der MitarbeiterInnen, die nung, Einteilung der Rotation) an das Team seitens HR streng überwacht wird. Da jedoch delegiert. Diese Arbeit wird oft von Teammit- öfters mehr Arbeit vorhanden ist als benötig- gliedern neben ihrer eigentlichen Arbeit ge- te DienstnehmerInnen, werden alle Möglich- macht. Die Teammitglieder erhalten zwar dafür keiten zur Umgehung von Arbeitszeitüber- einen Arbeitszeitausgleich, dieser reicht allerdings schreitungen kreativ ausgeschöpft. meist nicht aus. Dies führt dann entweder zu einer ● Die Führungskräfte sollen durch das Arbeitsverdichtung, also einer Intensivierung der „Management by Objectives (MBO)“ un- Arbeit in der Arbeitszeit selbst, oder einer Ausdeh- ternehmerisch denken und handeln, daraus nung der Arbeitszeit, sofern möglich. Für diese Pro- resultierende Mehrarbeit/Überstunden sind zesse spielt es eine untergeordnete Rolle, ob die großteils durch Überstundenpauschalen bzw. Ziele vom Team selbst oder von der Unternehmens- All-In-Vereinbarungen abgedeckt. leitung gesetzt werden. Die Team-Ziele werden von ● Auch Gleitzeitvereinbarungen beinhalten den „notwendigen“ Unternehmenszielen hergelei- Komponenten betrieblicher Leistungssteu- tet, dabei werden Kennzahlen verwendet, die ob- erung. Mit weit ausgedehnten Gleitzeitrah- jektiv klingen, und dies wird argumentiert mit einem men wird erwartet, dass MitarbeiterInnen ihre Krisenszenario, wonach die Existenz des Unterneh- Arbeitszeit dem Arbeitsanfall entsprechend mens auf dem Spiel steht, der Kunde es erwartet flexibel einsetzen. So müssen keine Überstun- und dass die Arbeitsplätze andernfalls gefährdet den angeordnet oder ausbezahlt werden. sind oder dass die Konkurrenz nicht schläft. Die vielfach geltende Norm der „ständigen Erreich- barkeit“ führt zu einem „Autonomie-Paradoxon“, DIE KONTROLLE ÜBER DIE EIGENE was bedeutet, dass die Autonomie aufgrund der ARBEITSZEIT ZURÜCKGEWINNEN Konformität mit der vorherrschenden Norm nur be- dingt gegeben ist. Die Grenzen zwischen Arbeit und Jedes Teammitglied sollte nach jedem Arbeitsprozess Freizeit verschwimmen, durch die hohe Identifikation seine wirklich aufgewendete Arbeitszeit erfassen. Da- und „freiwillige Arbeitsintensivierung“, zunehmend. rüber sollte im Team gemeinsam reflektiert werden. Negative Auswirkungen auf die Gesundheit, emoti- Dies ist wichtig, weil in der ungeplanten zusätzlichen onale Erschöpfung bis hin zum Burnout sind immer Arbeitszeit Probleme zum Ausdruck kommen, die in der öfter die Folge. Die indirekte Steuerung kann nur so Planung nicht berücksichtigt wurden. Ursachen für lange funktionieren, wie sie den Beschäftigten nicht solche Probleme können z. B. sein: bewusst wird. Viele KollegInnen fühlen sich dem Un- ternehmen oder dem eigenen Team gegenüber mehr ● Die Ressourcen waren nicht ausreichend verpflichtet, als sich selbst und ihrer Gesundheit. Die ● Das Projekt ist falsch angegangen worden, und Auseinandersetzung mit der Verselbständigung der eventuell wäre das Ziel auf anderem Wege besser Gruppendynamik im Team ist daher eine Grund- erreicht worden. voraussetzung für die Interessenpolitik. Denn die Mit- ● Die Teammitglieder haben sich nicht ausreichend arbeiterInnen stehen im Widerspruch zwischen der eingesetzt unternehmerischen Solidarität in ihrem Team einer- seits und der gewerkschaftlichen Solidarität anderer- Ist die tatsächliche Arbeitszeit erfasst worden, kann seits. Wird der unbewusst vorhandene Gruppendruck das Team auch den angemessenen Personalbedarf nicht bewusst gemacht, laufen sie Gefahr, dass die ermitteln. Entsprechende Reflexionen sollten möglichst 18
MECHANISMEN DER INDIREKTEN STEUERUNG PLANUNG ZIELE ABLAUF ERFOLG ZEIT MANAGEMENT AUFTEILEN KONTROLLE AUFGABEN PRIORITÄTEN DELEGIEREN SETZEN in allen Teams und Arbeitsbereichen durchgeführt ? werden. Für die Durchsetzung der Forderung nach besserer Personalbemessung können sich die Teams ● Gibt es bei uns Bereiche die zueinander in an den Betriebsrat wenden. Dieser kann sein Be- Wettbewerb gestellt werden? Welche? ratungsrecht mit der Geschäftsleitung in Anspruch ● Wodurch wird bei uns die Konkurrenz zwi- nehmen, um die Forderung vorzubringen. Stehen die schen einzelnen Bereichen gefördert? Teams hinter dem Betriebsrat, wird es dem Unterneh- ● In welchen Bereichen kommt es häufig zu men jedenfalls schwerer gemacht, sich den Forderun- Arbeitszeit-Überschreitungen? gen zu entziehen. ● Bekomme ich überhaupt diese Informationen? ● Was sind die Gründe für häufige AZ-Über- Der Erfassung der Arbeitszeit kommt also im Vergleich schreitungen? zu früher eine völlig neue Bedeutung zu. Denn es geht nicht darum, dass der/die ArbeitgeberIn kontrolliert, ob die Beschäftigten bei der Arbeit sind. Im Zusam- menhang mit der indirekten Steuerung geht es darum, die Kontrolle über die eigene Arbeitszeit zurückzuge- …. die große Herausforderung der Entgrenzung winnen. Sollte sich die Unternehmensleitung nicht ko- der Arbeitszeit: von MitarbeiterInnen, die ein operativ zeigen, kann als weiteres Argument die Ar- Smartphone oder Handy zur Verfügung gestellt beitsinspektion eingeschaltet werden. Vergleiche dazu bekommen, wird zusehends erwartet, dass sie Abschnitt „Grundsätzlich geht den Betriebsrat alles, auch außerhalb ihrer Arbeitszeit erreichbar sind was im Betrieb bzw. Unternehmen geschieht, etwas und ihre E-Mails möglichst vor Arbeitsantritt (also an.“4 Siehe Kapitel „Rechtliche Rahmenbedingungen“ Sonntag abends oder vor der Rückkehr aus dem (Seite 30 ff.). Urlaub) checken. 4 Siemens/Frenzel, Das unternehmerische Wir. Formen der indirekten Steuerung in Unternehmen 19
DAS HR-INSTRUMENT ZIELVEREINBARUNG ALS TEIL DES BETRIEBLICHEN LEISTUNGSMANAGEMENTS ZIELVEREINBARUNG ALS KLASSIKER ihre Ziele vorschlagen und diese dann mit den Vorge- setzten vereinbart werden, was durch die beidseitige Den Angelpunkt der indirekten Steuerung bildet das Unterschrift bestätigt wird. Managementinstrument „Zielvereinbarung“, das bereits zum klassischen leistungspolitischen Instru- Das HR-Instrument Zielvereinbarung kann je nach mentarium gehört. Eine bahnbrechende Rolle für die Managementkonzept verschiedene Funktionen im Un- Entwicklung der Aktivitäts- und Verhaltenssteuerung ternehmen erfüllen. Diese können von der Personal- mittels Zielen hatte die Konzeption des „Management entwicklung, der Personalbeurteilung, der Unterneh- by Objectives (MBO)“, die in den 50er Jahren in den mensführung bis zur Entgeltdifferenzierung reichen. USA entwickelt wurde. Dabei werden in Zahlen aus- Werden neben der Personalentwicklungsfunktion gedrückte Ziele zum zentralen Steuerungsmechanis- (Aufgabenklarheit, Feedback, Weiterbildung) weitere mus der Unternehmensaktivitäten, ausgehend von Funktionen wie Personalbeurteilung und/oder Entgelt- der Unternehmensführung, kaskadenförmig auf die differenzierung in das MitarbeiterInnengespräch hin- untergeordneten Organisationseinheiten (Sparten, eingepackt, kann es zur Funktionsüberfrachtung und Hauptabteilungen, Gruppen, einzelne Stellen) her- zu Zielkonflikten kommen. Das Ziel, dass Führungskraft untergebrochen. Im Unternehmen gibt es demnach und MitarbeiterIn sich im MitarbeiterInnengespräch neben einer Aufgaben- und Personenhierarchie auf gleicher Augenhöhe begegnen und sich echtes auch eine Zielhierarchie. Im ursprünglichen MBO- Feedback geben, kann durch eine Personalbeurtei- Ansatz werden die Ziele Top-Down vorgegeben. Die lung, an die variables Entgelt geknüpft ist, konterka- Kontrolle der MitarbeiterInnen wird nach Ablauf riert werden. einer entsprechenden Periode (z. B. ein Jahr) an- hand eines „SOLL-/IST-Vergleiches“ vorgenommen. Denn eine Personalbeurteilung stellt wieder die hier- Danach werden die neuen Ziele für die kommende archische Beziehung zwischen Vorgesetzten und Mit- Periode festgelegt. arbeiterInnen in den Mittelpunkt, und die Aussicht auf variables Entgelt fördert die Tendenz, sich einseitig im Angelpunkt für das Steuern mit Zielen ist das Mitar- besten Licht darzustellen. beiterInnengespräch, das als „partnerschaftliches“ Führungsinstrument gilt und quer durch alle Branchen Vergleiche dazu Checkliste im Abschnitt „Welche In- weit verbreitet ist. Damit verbunden ist die Betonung formationen benötigt der Betriebsrat zur rechtlichen der „Zielvereinbarung“ im Gegensatz zur „Zielvorga- Einordnung des Zielvereinbarungs-Konzepts?“ Siehe be“. Die Idee dabei ist, dass die MitarbeiterInnen selbst Kapitel „Rechtliche Rahmenbedingungen“ (Seite 30 ff.). 20
DAS HR-INSTRUMENT ZIELVEREINBARUNG © iStock ● In den Anfängen hatte das MitarbeiterInnenge- kenne ich die Inhalte nicht offiziell. Sie bein- spräch den Charakter eines Bewertungs-/Beno- halten jedoch Ansätze von Zielvereinbarungen, tungssystems und SOLL-/IST-Vergleichs durch deren Inhalte mitunter von Stellenbeschreibun- die Führungskraft. Somit war der/die Arbeitneh- gen bzw. Tätigkeitsbeschreibungen abweichen. merIn sehr häufig der Führungskraft „ausgelie- Kurz gesagt: MitarbeiterInnen arbeiten zu fert“. Auf Druck der Betriebsräte wurde dieses günstig, weil sie nach ihrer faktisch verrichte- System in Richtung eines Feedback-Gesprächs ten Arbeit im Gehaltsschema zu niedrig ein- mit gemeinsamen „Meilensteinvereinbarungen“ gestuft sind. und Schulungsbedarfserhebung (fachlich und persönlichkeitsbildend) entwickelt. ● Obwohl gerade vom neuen Management der Begriff „Teamwork“ sehr oft strapaziert wird, ● Auf SachbearbeiterInnen-Ebene gibt es die- wirkt sich das auf die Auswahl der Ziele nicht se Form der Zielvereinbarung nicht. Sehr wohl aus. D. h. Ziele für gesamte Teams und Ziele, die finden jährliche MitarbeiterInnengespräche auf guter Zusammenarbeit beruhen, gibt es nur zwischen dem/der Vorgesetzten und dem/ für den/die jeweilige/n Team- oder Projektleite- der MitarbeiterIn statt. Da sie vertraulich sind, rIn, nicht aber für die MitarbeiterInnen selbst. 21
DAS HR-INSTRUMENT ZIELVEREINBARUNG LEGITIMATION DURCH PARTIZIPATION Mit dieser Entwicklung verbunden ist auch ein Trend zurück zu Zielvorgaben, echte Zielvereinbarungen Mit Zielvereinbarungen verbunden ist auch eine Ver- kommen immer seltener vor. Speziell im Vertriebsbe- änderung der Legitimation von Leistungsanforde- reich sind Vorgaben für Verkaufsmengen, Umsatzziele, rungen. Wurden diese im tayloristischen Zeitalter mit bzw. betriebswirtschaftliche Erfolgskennzahlen die Re- der Berufung auf „Wissenschaftlichkeit“ der Berech- gel. Das hängt zusammen mit dem betriebswirtschaft- nungsverfahren und „Objektivität“ der Normalleistung lichen Konzept des Shareholder-Value (= „Wert für den argumentiert, werden heute die anspruchsvollen Leis- Aktionär“), was bedeutet, dass die Unternehmenslei- tungsanforderungen durch Partizipation legitimiert. tung die Shareholder- bzw. Aktionärsinteressen in den Leistungsziele gelten als ausgehandelter Kompromiss, Mittelpunkt aller Entscheidungen stellt und das unter- als Ergebnis fairer Verhandlungen, auch wenn die Pra- nehmerische Hauptziel darin besteht, die Börsenkurse xis oft anders aussieht. zu steigern. Diese Form der Unternehmenssteuerung ist z. B. im Bankenbereich sehr verbreitet und in inter- Werden Ziele in einem kooperativen Prozess vereinbart, nationalen Konzernen die Regel. Ziele sind dort nur in so wird dem eine höhere Identifikation der Beschäftig- seltenen Fällen Ergebnisse von Aushandlungsprozes- ten mit den Zielen zugesprochen. Zielvereinbarungen sen zwischen den beteiligten AkteurInnen und spiegeln gelten als motivierend für MitarbeiterInnen. Die Mitar- damit nicht systematisch Veränderungen von KundIn- beiterInnen sollen sich selbst „in die Pflicht nehmen“ nenerwartungen oder spezielle Erfahrungen der Ver- und sich für die Zielerreichung verantwortlich fühlen. triebsbeschäftigten wider. Es ist zwar nach wie vor von Wie Erfahrungen etwa aus japanischen Unternehmen Zielvereinbarungen die Rede, Größen zur Leistungsori- zeigen, fallen die Kostensenkungsziele, die von Arbeits- entierung werden allerdings eindeutig als Zielvorga- gruppen selbst ausgearbeitet werden, normalerweise ben umgesetzt. weit aggressiver aus als ursprünglich geplant. Qualitative Ziele werden meist nicht ausreichend spezi- Weiters gehört es zu den Grundsätzen des Manage- fiziert. Aber Beurteilungssysteme, die das WIE der Leis- mentkonzepts Zielvereinbarung, dass die Beschäftig- tungserbringung erfassen sollen, sind stark verbreitet ten auch Selbstkontrolle und Freiräume bei den Wegen und dienen als Ergänzung zur Zielmessung. der Zielerreichung haben sollen. Dabei wird Zielerrei- chung und Erfolg zum Problem der Beschäftigten. Und Die Steuerung durch Ziele und deren Erfassung mit dadurch kommt es zum Kerneffekt der indirekten Steu- Kennzahlen wird ergänzt durch die Etablierung in- erung im Gegensatz zur klassischen Fremdsteuerung: terner und externer Konkurrenzmechanismen. Dabei Das Problem der systematischen Überlastung wird von werden die Bereiche des Wettbewerbsvergleichs defi- der Organisation auf die einzelnen MitarbeiterInnen niert, wie etwa Vertrieb, Produktion, Servicemanage- übertragen. Das ist auch der Kern der Entgrenzung der ment und Administration sowie Mitbewerber am Markt. Arbeit, was nichts anderes bedeutet, als dass die bishe- Wird z. B. die Leistungsfähigkeit des Rechnungswesens rigen Begrenzungen von Verfügbarkeit und Leistungs- kontrolliert, so werden in der Regel Prozesskosten (Per- bereitschaft aufgehoben werden. sonalaufwand und Sachkosten) erfasst, die zur Bear- beitung von Eingangs- und Ausgangsrechnungen auf- gewendet werden. Wird dieser Aufwand ins Verhältnis UMSETZUNGSPROBLEME BEI „ECHTEN“ zur Zahl der bearbeiteten Rechnungen gesetzt, erhält ZIELVEREINBARUNGEN man eine Leistungskennziffer, die mit jenen in anderen Unternehmen verglichen werden kann. Weiters werden In der Praxis hat sich das Arbeiten mit Zielen weitge- auch Kennzahlen zur Messung der Prozessdurchlauf- hend durchgesetzt, die Zielvereinbarung ist die wich- zeiten erhoben. tigste Funktion des MitarbeiterInnengesprächs. Am Anfang standen freiwillige Vereinbarungen zu Aufga- Durch die ständige Präsenz von Kennzahlen zum Leis- benschwerpunkten, schrittweise wurden die Zielverein- tungsvergleich kommen die Beschäftigten in einen Ra- barungen verbindlicher, vielfach kamen standardisierte tionalisierungswettbewerb und müssen sich wie in einer Beurteilungen dazu und schließlich variable Entgelte Endlosspirale dauerhaft bewähren. mit quantifizierten oder auch qualitativen Vorgaben. 22
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