ZIEL-VEREINBARUNGEN Marktorientierte Leistungssteuerung im Betrieb - Aus der Broschürenserie Gewerkschaft GPA - Abteilung Arbeit & Technik

 
WEITER LESEN
ZIEL-
VEREINBARUNGEN
Marktorientierte Leistungssteuerung
im Betrieb

Aus der Broschürenserie
Gewerkschaft GPA – Abteilung Arbeit & Technik   1
IMPRESSUM:
Herausgeber: Gewerkschaft GPA, 1030 Wien, Alfred-Dallinger-Platz 1
Redaktion: Alexander Pichler, Gewerkschaft GPA – Grundlagenabteilung
Layout: Christina Schier, Gewerkschaft GPA – GB Organisierung und Marketing
Bilder/Fotos: iStock, Michael Mazohl
ÖGB ZVR-Nr.: 576439352

Stand: Juni 2021
AUTORiNNEN

Dr.in Eva Angerler
Abteilung Arbeit & Technik der Gewerkschaft GPA

Mag.a Andrea Komar
Leiterin der Bundesrechtsabteilung der Gewerkschaft GPA

Verena Spitz
ZBR- & BR-Vorsitzende BAWAG P.S.K., Vorsitzende des Beirates für Arbeit
und Technik (BAT)

Mag. Fritz Spinka
ehem. BR-Vorsitzender Atos IT Solutions and Services GmbH, BAT-Mitglied

Helmut Wolff
ehem. BR-Vorsitzender Unify GmbH, BAT-Mitglied

Unter Mitarbeit von weiteren BAT-Mitgliedern, die in der Arbeitsgruppe mitgearbeitet und/oder betriebliche
Praxisbeispiele beigesteuert haben, insbesondere:

Margit Hahn, BR-Vorsitzende UniCredit Business Integrated Solutions Austria GmbH
Andreas Rauch, BR Generali Versicherung, Informatik GmbH
Mag.a Franziska Fallmann, BR-Vorsitzende Stv. SVS
Mag. Dr. Roland Widowitsch, Regionalsekretär in der Gewerkschaft GPA

Die Inhalte sind nach bestem Wissen erstellt und sorgfältig geprüft. Es besteht jedoch keine Haftung seitens der Autor
oder der Gewerkschaft GPA. Inhalte dürfen unter Angabe der Autor weiterverbreitet werden (CC-Urheberrecht).

                                                                                                                         3
VORWORT

4
    © MichaelMazohl
VORWORT

Wer das Wissen und die Kreativität seiner Beschäftigten optimal nutzen will, braucht deren Beteiligung. Aus-
gehend von dieser Erkenntnis werden immer wieder neue Managementansätze eingeführt, die mehr Beteiligung
versprechen.

Ein Beispiel dafür sind Zielvereinbarungen, die in den 90er Jahren als neues partnerschaftliches Führungs-
instrument eingeführt wurden. Ziele mit dem Vorgesetzen auf gleicher Augenhöhe vereinbaren und nicht vorgeben,
sich gegenseitig Feedback geben und Unterstützung durch die Führungskräfte wurden versprochen.

Mittlerweile sind Zielvereinbarungen zum Standard geworden, die versprochenen beteiligungsorientierten
Qualitäten lassen aber immer mehr zu wünschen übrig. Vielfach sind Zielvereinbarungen zu aufwändigen
Planungs- und Kontrollsystemen geworden. Verbunden mit Anreiz- und Wettbewerbsstrukturen erhöhen sie den
Druck auf die Beschäftigten. Digitale Technologien ermöglichen permanentes Monitoring und Benchmarking der
Leistungsergebnisse.

Da solche Zielsysteme mit einem hohen Aufwand und einem langen Planungshorizont verbunden sind, sind sie in
Zeiten, die immer schnelleres Agieren verlangen, nicht mehr angemessen. Agiles Arbeiten gilt als Erfolgsrezept in
Krisenzeiten. Schnell auf Veränderungen reagieren, auch komplexe Herausforderungen gemeinsam durch gute,
selbstorganisierte Teamarbeit bewältigen ist das Gebot der Stunde.

Dies erfordert auch Anpassungen bei den Zielvereinbarungssystemen. Die eingesetzten Leistungssteuerungsver-
fahren dürfen die Kooperation in und zwischen den Teams nicht durch individuellen Wettbewerb und Rankings
untergraben.

Arbeits- und Leistungssteuerung ist ein Thema, das viele Mitbestimmungsbereiche berührt, die sofort genutzt
werden können. Auch dafür will diese Broschüre sensibilisieren.

Barbara Teiber, MA
Vorsitzende

                                                                                                               5
INHALT

 Einleitung .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 8

 Mechanismen der indirekten Steuerung.  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 12
     Beispiele für teilstrukturierte Märkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
     „Vermarktlichung“ und „Finanzialisierung“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
     Steuerung der Intensität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
     Beispiel Cloudworking mit der Strategie „Generation Open“ von IBM. . . . . . . . . . . . . . . .  15
     Unternehmerfunktion und Gruppendruck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
     Die Auswirkungen der indirekten Steuerung auf die Arbeitszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
     Die Kontrolle über die eigene Arbeitszeit zurückgewinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

 Das HR-Instrument Zielvereinbarung als Teil des betrieblichen
 Leistungsmanagements .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 20
     Zielvereinbarung als Klassiker. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  20
     Legitimation durch Partizipation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  22
     Umsetzungsprobleme bei „echten“ Zielvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  22
     „Materielle Anreizsysteme“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  23
     Zielvereinbarung und Digitalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  23
     Beurteilungsverfahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

 Evidenzbasiertes HRM/Data Mining in HR .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 26
     Data Mining – „Graben nach Daten“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  26
     Woher können die Daten kommen?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  27
     Was geschieht beim Data Mining?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  28
     Anwendungsgebiete im HRM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  28

                                                                                                                                                                                                                           6
INHALT

Checkliste Datenschutz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29

Rechtliche Rahmenbedingungen .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 30
    Grundsätzlich geht den Betriebsrat alles, was im Betrieb bzw. Unternehmen
    geschieht, etwas an. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  30
    Welche Informationen benötigt der Betriebsrat zur rechtlichen Einordnung
    des Zielvereinbarungs-Konzepts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  32
    Welche Mitbestimmungsmöglichkeiten hat der Betriebsrat? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  33

Die „Werkzeuge“ in Zielvereinbarungen. .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 38
    Rating, Ranking, Benchmarks. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  38
    Prozess-, Zeit- und Dokumentationsvorgaben. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  40
    Big Data, Profiling, Verhaltensforschung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

Betriebsvereinbarungen – Vorschläge zur Regelung. .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 42

Zusammenfassung von Handlungsansätzen. .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 46

Anhang .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 48
    Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  48

                                                                                                                                                                    ?       Reflexionsfragen

                                                                                                                                                                            Praktische Beispiele

                                                                                                                                                                            Wertvolle Tipps

                                                                                                                                                                            Wichtige Hinweise

                                                                                                                                                                                                                              7
EINLEITUNG

A
        ls vor mehr als 15 Jahren die Broschüre „Ziel-     ●   t rotz zunehmender Digitalisierung werden die Kon-
        vereinbarungen“ der Gewerkschaft GPA erar-              zepte immer intransparenter und damit subjektiv
        beitet und herausgegeben wurde, war schon               vom Management gestaltbar
abzusehen, dass dieses Managementinstrument zu-            ●    Zielvereinbarungen bzw. -vorgaben werden immer
nehmend Verbreitung und Anwendung, in einer schnell             mehr zu einem Instrument der Risiko­abwälzung auf
wachsenden Zahl von Arbeitsverhältnissen, finden                die Beschäftigten (immer mehr Unternehmens-
würde. Parallel zu dieser Ausbreitung war aber auch             oder sogar Konzernziele, die individuell nicht be-
ein nicht zu übersehender Wandel in der Bedeutung               einflussbar sind).
und der Zielsetzung bei der Anwendung zu beobach-
ten. Manche der damals bereits angeführten Gefahren        Viele dieser Entwicklungen bergen nicht unwesentli-
sind mittlerweile zur gängigen Praxis – zum Nachteil       che Gefahren und Risiken für die ArbeitnehmerInnen
der ArbeitnehmerInnen – geworden. Eine schlagwort-         bzw. bedeuten sogar massive Verschlechterungen im
artige Auflistung von Veränderungen, die in der ersten     Arbeitsverhältnis. Deshalb war es hoch an der Zeit,
GPA-Broschüre teilweise schon antizipiert wurden, soll     die vielen neuen Aspekte zu berücksichtigen und zu
das verdeutlichen:                                         bewerten. Das Ergebnis ist die vorliegende Broschüre,
                                                           die weniger eine Überarbeitung der bestehenden, als
●   zunehmende Verknüpfung mit variablen Entgelt-          vielmehr eine Neufassung ist. Das soll auch durch den
    bestandteilen bzw. Boni                                Untertitel „Zielvereinbarung und marktorientierte Leis-
●   aus Vereinbarungen werden immer öfter Vorgaben         tungssteuerung im Betrieb“ deutlich gemacht werden.
●   Mitsprachemöglichkeiten, auch des Betriebsrats,
    werden immer häufiger umgangen                         Arbeits- und Leistungssteuerung im Betrieb spielt sich
●   kürzere Perioden (statt jährlich nun halbjährlich      in einem vielschichtigen Umfeld ab. Einige wichtige
    oder noch kürzer) und damit verbunden mehr             Faktoren, die die Leistungssteuerung beeinflussen bzw.
    Administrationsaufwand                                 treiben, haben wir in der nachstehenden Grafik zu-
●   rückwirkende Zielvorgaben                              sammengefasst.
●   statt zur inhaltlichen Steuerung werden Zielvor-
    gaben immer häufiger zur Erhöhung des Arbeits-         In dieser Broschüre können wir nicht auf alle diese Ein-
    drucks, also zur Steuerung der Intensität, genutzt     flüsse eingehen, zu vielen Themen, wie z. B. Personalent-
●   Verschiebung von quantitativen Zielen, deren Er-       wicklung in der digitalen Arbeitswelt, Verarbeitung und
    reichung objektiv feststellbar und nachvollziehbar     Speicherung von MitarbeiterInnendaten sowie Daten-
    ist, hin zu qualitativen Vorgaben, die oft mit einer   schutz, gibt es aber bereits spezielle Broschüren oder
    MitarbeiterInnen-Beurteilung verbunden sind            Beratungsunterlagen der Gewerkschaft GPA.

                                                                                                                  8
EINLEITUNG

    ÜBERBLICK ARBEITS- UND LEISTUNGSSTEUERUNG

        ●    Digitalisierung
        ●    Elektronische
             Speicherung                                  ●     Top-Down
                                                          ●     Elektronische Systeme
                                                          ●     Prozessvorgaben
                                                          ●     Arbeitsorgaisation

                                                                ZIELVORGABEN
                                                                                                      ●   Leistung
●   Variable Entlohnung                                                                               ●   Verhalten
●   Performance                                                                                       ●   Compliance
●   Kennzahlen                                                                                        ●   Motivation
●   EDV-Systeme                                                                                       ●   Führungsverhalten

     ZIELMESSUNG                                                                                          MITARBEITER-
                                                           ARBEITS- &                                     BEURTEILUNG

                                                           LEISTUNGS-
                                                           STEUERUNG

            ARBEITSZEIT- &
             FEHLZEITEN-                                                                              TALENT-
            MANAGEMENT                                                                             MANAGEMENT &
                                                                                               MITARBEITER-GESPRÄCHE
    ●       Krankenstandsrückkehr
    ●       Workforce-Management                                                        ●   Skills
                                                                                        ●   Fähigkeiten und Fertigkeiten
                                                                                        ●   Ausbildung
                                                                                        ●   Personalentwicklung

    Autorin: Verena Spitz, ZBR- & BR-Vorsitzende BAWAG P.S.K.

                                                                                                                              9
EINLEITUNG

Einer der Schwerpunkte dieser Broschüre ist die Dar-        einordnen zu können ist es wichtig, die hier hinterlegte
stellung von Mechanismen und auch von Praxisbeispie-        Bedeutung zu kennen. Die folgenden Begriffsdefiniti-
len der indirekten Steuerung, die das psychologische        onen erheben nicht den Anspruch auf Allgemeingül-
Fundament aller dieser Konzepte bildet. Dabei geht es       tigkeit, sondern sind Vorschläge die beschreiben, wie
um die Setzung von Rahmenbedingungen mittels Ziel-          sie in dieser Broschüre gemeint sind. Es geht dabei
vorgaben, unter denen die Arbeitsleistung zu erbrin-        in erster Linie um das Begriffspaar „quantitative und
gen ist, was einerseits großes Konfliktpotential enthält,   qualitative Ziele“.
aber auch zunehmend zu massiven gesundheitlichen
Auswirkungen führt.                                         Quantitative Ziele:
                                                            Darunter sind Ziele zu verstehen, bei denen die Zieler-
Ein weiterer Abschnitt beschäftigt sich mit Zielverein-     reichung eindeutig und nicht interpretierbar zu ermit-
barungen bzw. -vorgaben als Teil des betrieblichen          teln ist. Das sind in der Regel Mengen, die gemessen
Leistungsmanagements. Hier geht es vor allem um das         (analoge Ziele) oder gezählt (diskrete Ziele) werden
Aufzeigen von praktischen Umsetzungsproblemen, die          können. Voraussetzung ist eine eindeutige Zielformu-
Darstellung und Bewertung von Beurteilungsverfahren         lierung, z. B. der Jahresumsatz einer genau umgrenz-
und die damit verbundenen Probleme, bei denen die           ten wirtschaftlichen Einheit. Der Vorteil ist die Objektivi-
Beschäftigten tendenziell meist in einer schwierigen        tät der Ermittlungsmethode der Zielerreichung.
Position sind.
Schließlich werden die rechtlichen Rahmenbedingun-          Qualitative Ziele:
gen besonders in Hinblick auf die neuen Entwicklungen       Damit sind Ziele gemeint, bei denen die Zielerrei-
und auf Basis der aktuellen Rechtslage neu beleuchtet.      chung quantitativ nicht feststellbar ist, und die daher
Dabei geht es vor allem um Einfluss- und Kontrollmög-       auf subjektiver Basis bewertet bzw. mittels Beurteilung
lichkeiten für den Betriebsrat und Perspektiven für die     festgelegt werden muss. Der Nachteil dieses Typs ist die
Mitgestaltung.                                              bereits erwähnte Subjektivität (der bewertenden bzw.
Ergänzt werden die Kapitel durch Reflexionsfragen.          beurteilenden Führungskraft) und auch die Gestalt-
Diese sollen Beschäftigte und Betriebsräte dabei un-        barkeit mittels Weisung. Als Vorteil kann hier die Not-
terstützen, die Betroffenheit im eigenen Unternehmen        wendigkeit der intensiven Beschäftigung mit der Ar-
zu bewerten und die Maßnahmen rechtlich einordnen           beitssituation angeführt werden. Üblicherweise erfolgt
zu können.                                                  das im Rahmen einer MitarbeiterInnen-Beurteilung,
                                                            wobei auf die Notwendigkeit der Regelung durch eine
Den Abschluss bildet eine Zusammenfassung von               Betriebsvereinbarung zu achten ist.
Handlungsansätzen und Werkzeugen dazu. Dabei
wird das Augenmerk nicht nur auf die betrieblichen          Quantifizierbare Ziele:
Möglichkeiten, sondern auch auf Zusammenhänge               Darunter sind Ziele zu verstehen, die vom Typ her zu
auf politischer Ebene gelegt. Immer mehr geht es da-        den qualitativen Zielen gehören, bei denen aber die
rum, Hintergründe und verborgene Zielsetzungen von          Zielerreichung mit einem genau festgelegten Modus
Managementinstrumenten zu erkennen und auch in              festgestellt werden kann. Ein Beispiel ist das Ziel Kun-
der Belegschaft bewusst zu machen. Nur so gibt es die       denzufriedenheit. Die kann beispielsweise durch eine
Chance, in einer immer stärker individualisierten und       jährliche Kundenbefragung nach einer vorab definier-
egozentrierten Arbeitswelt den Solidaritätsgedanken         ten und festgelegten Vorgangsweise festgestellt wer-
wieder zu stärken und auf diese Weise ein Gegenge-          den. Entscheidend dabei ist die klare und eindeutige
wicht zum neoliberalen „Wirtschaftsfaustrecht“ zu           Beschreibung dieser Vorgangsweise.
schaffen. Dabei soll diese Broschüre einen kleinen Bei-
trag leisten.                                               Grundsätzlich ist anzumerken, dass alle Ziele letztlich
                                                            operationalisiert werden müssen, um das Ausmaß der
Zum besseren Verständnis:                                   Zielerreichung feststellen zu können. Unverzichtbare
Bei der Beschreibung von Zieltypen werden einige gän-       Forderung dabei ist die Transparenz der Methode der
gige Begriffe sehr unterschiedlich verwendet und ver-       Quantifizierung, die möglichst objektiv und nachvoll-
standen. Um die Aussagen in dieser Broschüre richtig        ziehbar sein sollte.

                                                                                                                     10
EINLEITUNG
© iStock

                  11
MECHANISMEN
DER INDIREKTEN
STEUERUNG

D
         ie indirekte Steuerung funktioniert nicht über                   bedienen. Unternehmensberater untersuchten diese
         direkte Anweisungsstrukturen per „Befehl und                     neu entstandenen Arbeitsformen und entwickelten ein
         Gehorsam“ (Command and Control), sondern                         Bewusstsein dafür. Sie versprachen, „an das Gold in
durch Rahmenbedingungen und „Unternehmensum-                              den Köpfen der Beschäftigten heranzukommen“, um
welten“, die von den Unternehmensleitungen geschaf-                       dieses Wissen und die Kreativität der Beschäftigten
fen werden und innerhalb derer die Beschäftigten                          für das Unternehmen optimal nutzen zu können. Der
mehr oder weniger selbständig arbeiten können bzw.                        Schlüssel, um an die Energien und Fähigkeiten der
müssen. Die schrittweise Einführung der „indirekten                       Menschen heranzukommen, liege in der indirekten
Steuerung“ hat in den 50er Jahren begonnen. Als Ge-                       Steuerung anstatt direkten Anweisungen.
burtsort dieser Entwicklung gilt das Silicon Valley, wo                   Seit den 1990er Jahren hat sich diese Form der Arbeits-
Computer in Form von Hardware und entsprechender                          organisation flächendeckend durchgesetzt. Ihr Erfolg
Software entwickelt und produziert wurden, mit Kapi-                      zeigt sich in der enormen Steigerung der Produktivtät
tal, das hauptsächlich vom Pentagon zur Verfügung                         der Beschäftigten. So ist die reale Arbeitsproduktivität
gestellt wurde. Die Arbeit in diesen frühen Software-                     pro Erwerbstätigen/Erwerbstätiger in Österreich von
Unternehmen bestand in einer Aneinanderreihung von                        1995 bis 2017 um 23,8 % gestiegen. Die reale Arbeitspro-
Erfindungen durch die Beschäftigten selbst. Während                       duktivität pro Arbeitsstunde in Österreich ist von 1995 bis
Ende des 19. Jahrhunderts die großen Unternehmer-                         2017 um 32,5 % gestiegen.1 Diese Steigerung hat zwar
persönlichkeiten häufig Arbeitgeber, Unternehmer                          auch mit den Veränderungen durch die Technologien
und Erfinder zugleich waren, sind es jetzt die Beschäf-                   zu tun, für die Innovationsfähigkeit in den Unternehmen
tigten, die gemeinsam technologische Entwicklungen                        spielt die Arbeitsorganisation jedoch eine wichtige Rolle.
vorantreiben.                                                             Diese neuen Kooperationsformen kommen auch in den
                                                                          sozialen Medien zum Ausdruck. Seit zirka 2005 findet
Ab den 1970er Jahren entwickelten die Beschäftigten                       eine Umgestaltung in Richtung Enterprise 2.0 statt, wo-
im Silicon Valley Kooperationsformen, die es ihnen er-                    mit ein mit „Social Intranet“ organisiertes Unternehmen
möglichten, technisch innovativ in einer Organisation                     gemeint ist. Dabei werden virtuelle Teams gebildet und
dauerhaft zusammenzuarbeiten. Die so entstandenen                         mit Aufgaben versorgt. Die Beschäftigten müssen ein
Unternehmen erwiesen sich als sehr profitabel, was                        eigenes Profil ähnlich wie bei Facebook erstellen, und
das Interesse von Unternehmen anderer Branchen                            können oder sollen sich als Expert für bestimmte The-
weckte. Auch sie wollten sich dieser neuen Formen                         men profilieren. Sowohl die Zusammenarbeit zwischen
der Arbeitsorganisation zur Steigerung ihrer Gewinne                      den Beschäftigten als auch die Arbeitsergebnisse sind

1   https://www.oenb.at/dam/jcr:f1c3657a-8a65-4bd7-9b34-e02b778396aa/06_MOP_Q1_2_20_Entwicklung-von-Produktivitaet.pdf, 21.06.2021

                                                                                                                                     12
MECHANISMEN DER INDIREKTEN STEUERUNG
© iStock

           in diesen Plattformen transparent und können potentiell   sind daher mit „teilstrukturierten Märkten“ konfrontiert,
           von den Unternehmensleitungen kontrolliert werden.        sie müssen sich am Markt bewähren, allerdings mit
                                                                     Vorgaben des Unternehmens.
           Die indirekte Steuerung aus Sicht der Beschäftigten
           haben Klaus Peters (Philosoph) und Wilfried Glißmann      ●   Die Unternehmensleitung eines Konzerns bietet ih-
           (IBM-Betriebsrat) am Beispiel IBM Deutschland analy-          ren Niederlassungen in verschiedenen Ländern ein
           siert und im 2001 erschienen Buch „Mehr Druck durch           Projekt an, ein bestimmtes Produkt zu produzieren.
           mehr Freiheit“ zusammenfassend dargestellt. Nach              Die Niederlassungen können sich für dieses Projekt
           dieser Analyse treten die ArbeitgeberInnen im Rahmen          bewerben und müssen dafür Kosten, Termin, Ge-
           der indirekten Steuerung aus der Zwischenstellung             winne und Investitionen festlegen. So entsteht ein
           zwischen Markt und den Beschäftigten heraus. Sie tre-         unternehmensinterner Wettbewerb.
           ten zur Seite und konfrontieren die Beschäftigten mit     ●   Aus der Sicht der Kunden und der Beschäftig-
           den Marktbedingungen ihrer Arbeit und setzen selbst           ten schienen sich die Unternehmen Saturn und
           eine Marktbedingung hinzu, und zwar einen bestimm-            Mediamarkt bis aufs Messer zu bekämpfen. Aus der
           ten Prozentsatz an Gewinnerwartung. Die Teams von             Sicht des Metrokonzerns, dem beide Unternehmen
           Beschäftigten, die in sogenannten „Business Units“            gehören, handelt es sich um eine Kooperation, die
           oder „Profit Centers“ zusammenarbeiten, setzen sich           als Konkurrenz organisiert wird, einer sogenannten
           mit dem Markt bzw. den teilstrukturierten und zugewie-        „Coopetition“.
           senen Märkten selbst auseinander.                         ●   In einem IT-Konzern wurde eine Abteilung, die für
                                                                         die IT-Schulung von MitarbeiterInnen ihrer Kun-
                ?                                                        dInnen zuständig war, als selbständige Unterneh-
                                                                         menseinheit geführt. Von heute auf morgen wur-
              Sind die Mechanismen der indirekten Steuerung              den die Führungskräfte dieser Einheit entfernt und
              dem Betriebsrat und den MitarbeiterInnen in                die Beschäftigten hatten nun ihre Arbeit selbst zu
              meinem Betrieb bewusst?                                    organisieren. Sie bekamen die Anweisung: „Ihr habt
                                                                         ein Budget, ihr habt Sachmittel – tut, was ihr wollt,
                                                                         aber seid profitabel“. Die Rahmenbedingungen,
                                                                         z. B. Kosten für Räume und Geräte, wurden von der
           BEISPIELE FÜR TEILSTRUKTURIERTE MÄRKTE                        Unternehmensleitung vorgegeben. Als die Unter-
                                                                         nehmenseinheit begann rote Zahlen zu schreiben,
           Die folgenden betrieblichen Beispiele zeigen auf, wie         fand die Gruppe schnell zwei MitarbeiterInnen,
           durch Unternehmensleitungen Marktbedingungen                  die ausscheiden mussten. Nach einiger Zeit wurde
           bzw. künstliche Wettbewerbsstrukturen für die Arbeit-         diese reduzierte Einheit wieder ins Stamm-Unter-
           nehmerInnen vorgegeben werden. Die Beschäftigten              nehmen integriert.

                                                                                                                           13
MECHANISMEN DER INDIREKTEN STEUERUNG

●   In einem Unternehmen waren kleine bauliche               anderen zu erwartenden Kosten sind daran auszurichten.
    Veränderungen erforderlich. Die Unternehmens-            Unternehmensteile werden nur dann als solche wei-
    leitung holte sich für diese Maßnahme einen              tergeführt, wenn sie diese – jährlich steigende – Ge-
    Kostenvoranschlag von einem externen Anbieter ein        winnerwartung erfüllen. Kann eine solche Steigerung
    und legte ihn dem Facility Management vor mit der        nicht eingeplant werden, so „passt der Unternehmens-
    Frage, ob der Auftrag zum gleichen Preis und zum         teil über kurz oder lang nicht mehr ins Portfolio“.
    selben Termin durchgeführt werden kann. Denn nur         Die Gewinnerwartungen, die dabei den Unterneh-
    unter dieser Voraussetzung könnte der Auftrag im         menseinheiten aufgenötigt werden, haben nichts mit
    Haus ausgeführt werden.                                  der Arbeitsproduktivität zu tun. Sie richtet sich nach
●   In einem Architekturbüro hatte sich eingebürgert         dem Kräfteverhältnis zwischen der Unternehmens-
    bis 19:00 oder 20:00 Uhr zu arbeiten. Um an einem        leitung, die auch die Erwartungen der Shareholder
    Nachmittag Zeit für ihre Kinder zu haben, reduzier-      umsetzt, und den Unternehmenseinheiten. Durch die
    te eine Architektin ihre Arbeitszeit um 20 %. Obwohl     regelmäßige Androhung, sich von Unternehmens-
    die Arbeitszeitreduktion ihren Kolleg bekannt ist,       einheiten zu trennen, welche die Gewinnerwartungen
    muss sie sich an jedem dieser „freien“ Nachmittage       nicht erfüllen, wird der Druck erhöht. Da die Beziehun-
    Bemerkungen anhören, die suggerierten, dass sie          gen der Unternehmenseinheiten untereinander meist
    ihre KollegInnen im Stich lässt, wie „Gehst du schon?“   als Konkurrenz organisiert sind, verhalten sich diese
    oder „Heute halbtags?“.                                  zueinander nur selten solidarisch.

Die Kunst der indirekten Steuerung besteht darin, die
Forderungen des Unternehmens als Forderungen von             STEUERUNG DER INTENSITÄT
Kolleg oder von Kund an einzelne Beschäftigte heran-
treten zu lassen. Unter diesen Umständen ist es sehr         Vielfach dienen Leistungssteuerungssysteme dazu die
schwierig, die eigenen individuellen Interessen zu er-       Intensität zu erhöhen, ganz nach dem Motto: „höher,
fassen oder gar durchzusetzen.                               schneller, weiter“. Wurden etwa Benchmarkings ur-
                                                             sprünglich zur Qualitätsverbesserung eingesetzt, wer-
                                                             den sie heute häufig zum Monitoring der Konkurrenz
„VERMARKTLICHUNG“ UND                                        zwischen Filialen oder zwischen anderen Unterneh-
„FINANZIALISIERUNG“                                          menseinheiten verwendet. Der Druck auf Unterneh-
                                                             menseinheiten wird z. B. dadurch erhöht, dass Be-
Leistung wird zunehmend als das definiert, was am            schäftigte in Subunternehmen ausgelagert werden,
Markt zu verwerten ist. Die Aufwandsseite gerät unter        in denen sie zu reduzierten Gehältern dieselbe Arbeit
Druck. Die vorhandenen Ressourcen sind nicht mehr            verrichten. Diese Subunternehmen werden im nächs-
Bezugspunkt, sondern Benchmarks, abstrakte Rendi-            ten Schritt zu den im Unternehmen Beschäftigten in
teerwartungen, Vorgaben pauschaler Produktivitäts-           Konkurrenz gesetzt.
steigerungen oder Kostensenkungen. Erst wird das             Die sogenannte „Intensivierungspflicht“ wird über ver-
erwünschte Ergebnis definiert, dann der Aufwand va-          schiedene Managementmaßnahmen an die Mitarbei-
riabel angepasst. Arbeitsbedingungen und Gehälter            terInnen herangetragen, etwa über Beurteilungssys-
werden zu Restgrößen, zu abhängigen Variablen der            teme oder direkten Weisungen – indirekte und direkte
Marktpreise und Gewinnerwartungen.                           Formen der Steuerung kommen durchaus nebenei-
Die Unternehmensleitungen bedienen sich immer öf-            nander zum Einsatz, mit wechselseitigem Einfluss. In
ter einer Strategie der „Finanzialisierung“, was ge-         diesen Formen wird der Druck auf einzelne Beschäf-
genüber der Vermarktlichung einen weiteren Schritt           tigte auch persönlich und gezielt von Führungskräften
in der Entwicklung der indirekten Steuerung darstellt.       ausgeübt. Begleitet werden solche personenorientierte
Die Unternehmensleitungen verhalten sich dabei ih-           Maßnahmen meist mit unternehmensweiten Kampag-
ren Unternehmenseinheiten gegenüber wie Banken.              nen gegen „Low Performer“.
Sie stellen Budgets zur Verfügung und stellen dafür die      Sogenannte „Rankings“ gehören heute in vielen Un-
Bedingung, dass ein bestimmter Prozentsatz an Profit         ternehmen zum Alltag. Es geht dabei darum, dass Leis-
erarbeitet wird. Es werden nur Projekte akzeptiert, in       tungen oder Verhaltensweisen von MitarbeiterInnen
denen die Gewinnerwartung vorher definiert ist. Alle         verglichen werden und der betrieblichen Öffentlichkeit

                                                                                                                 14
MECHANISMEN DER INDIREKTEN STEUERUNG

zugänglich gemacht werden. Beispiele dafür sind Aus-                      Arbeit und Kommunikation erfolgt vollständig elek-
wertungen von Krankenständen, von erreichten Um-                          tronisch basiert. Tools für Projektmanagement und
satzzielen im Außendienst, der Anzahl der erledigen                       Arbeitsplanung werden in der Cloud zur Verfügung
Anrufe im Call-Center, der Gesamtnoten in Beurtei-                        gestellt. Eine Kollaborationsplattform nach dem Vor-
lungssystemen. Allen gemeinsam ist, dass sie neben                        bild von Social Media stellt die Grundlage für Wissen-
dem – mitunter vorgeschobenen – Ziel der betriebsin-                      saustausch und kommunikativen Austausch dar und
ternen Transparenz auch einem Konkurrenzdruck und                         integriert Intra- und Internetforen, Sofortnachrichten-
– im Extremfall – dem „Verabschieden“ von Arbeitneh-                      dienste, Bibliotheken, Blogs und Wikis. Komplexe Auf-
merInnen Vorschub leisten. Vergleiche dazu Abschnitt                      gaben – früher dauerte eine Software-Entwicklung
„Rating, Ranking, Benchmarks“ im Kapitel „Die Werk-                       zirka 18 Monate – wurden in kleine Teilschritte von
zeuge in Zielvereinbarungen“ (Seite 38).                                  maximal 60 Arbeitsstunden zerlegt, wodurch die ein-
Mit Zielvorgaben verbunden ist Ergebniskontrolle oder                     zelnen Entwickler detailliert analysierbar und auch er-
„Output Control“. Elektronische Systeme machen es                         setzbar wurden. Innerhalb der weltweiten Projektteams
möglich, Leistungsergebnisse – soweit messbar – zu                        herrscht absolute Transparenz über den Status der
erfassen. Aber auch die „klassische Verhaltenskontrol-                    Arbeitsabläufe für alle Community-Mitglieder. Leis-
le“ kommt - begünstigt durch digitale Kontrollmöglich-                    tungs- und Verhaltensdaten werden ausgewertet, um
keiten – zum Einsatz. Dies reicht bis hin zum sogenann-                   Leistungsmuster der Communities zu kartografieren
ten „Tracking“ – der laufenden Überwachung. Damit                         und zu vergleichen. Diese Daten bilden die Grundlage
ist aber weder eine Hilfestellung bei der Realisierung                    für Verhaltens- und Motivationssteuerung der Wissens-
des Ergebnisses noch eine konkrete Anweisung, wie                         arbeiterInnen. Die Kollaborationsplattform wird so zum
das Ergebnis zu erreichen sei, verbunden. Daher han-                      Arbeits-, Kooperations- und Kontrollmittel. Zusätzlich
delt es sich nicht um eine Rückkehr zur alten Form der                    gibt es auch direkte Steuerungsmöglichkeiten, so hat
Arbeitsorganisation, sondern um eine Erhöhung des                         der/die ProjektmanagerIn eine starke Stellung und
äußerlichen Drucks durch engmaschige Ergebniskon-                         kann jederzeit in die Arbeitsabläufe eingreifen.
trollen mit Konsequenz-Androhung. Vergleiche dazu
Abschnitt „§ 96 Abs 1 Z 3 ArbVG (Kontrollmaßnahmen,                       Fast alle Beschäftigten haben sogenannte „Blue
die die Menschenwürde berühren)“ im Kapitel „Recht-                       Cards“, welche die aktuellen Leistungsauswertungen
liche Rahmenbedingungen“ (Seite 34).                                      über ihre Arbeitsergebnisse enthalten, und die Grund-
                                                                          lage für das Rating der MitarbeiterInnen bilden. Diese
                                                                          „Digital Reputation“ ist der Leistungsausweis, der für fix
BEISPIEL CLOUDWORKING MIT DER STRATEGIE                                   Angestellte genauso wie für Freelancer gilt. Um Free-
„GENERATION OPEN“ VON IBM                                                 lancer anzuheuern, arbeitet IBM mit dem Unterneh-
                                                                          men Top Coder als strategischem Partner zusammen.
Die Ankündigung eines globalen IBM-Managers, die                          Interessierte Expert können sich über das unterneh-
Anzahl der Festangestellten bei IBM von 400.000 auf                       menseigene Liquid-Portal bewerben. Voraussetzung
zirka 100.000 zu reduzieren, hat vor einigen Jahren                       für deren Teilnahme ist, dass sie die Rechte am Arbeits-
Aufsehen erregt. Die Kernbelegschaft soll nur mehr zur                    ergebnis an IBM abtreten und die totale Transparenz
Aufrechterhaltung der Kundenbeziehungen und für die                       akzeptieren. Dann können sie an den Ausschreibungen
Steuerung und das Management des Unternehmens                             auf der Liquid-Plattform teilnehmen. Die kleinteiligen
zuständig sein. Die MitarbeiterInnen sollen nur mehr für                  Aufträge werden im Wettbewerbsmodus bearbeitet,
Projekte über Plattformen im Internet weltweit angeheu-                   wobei nur das eingereichte Ergebnis bezahlt wird.
ert werden. Eine deutsche Studie beleuchtet die Strate-                   Durch die strukturelle Gleichstellung von fix Angestell-
gie, mit der sich IBM dieser „Vision“ annähert, und wirft                 ten und Freelancern im Informationsraum werden zwei
kritische Fragen für die Zukunft der Arbeit auf. 2                        unterschiedliche Rechtssysteme zueinander in Kon-
Bei IBM arbeiten weltweite Projektteams, sogenannte                       kurrenz gebracht. Die Freelancer stellen ein ständiges
„Blue Communities“ – allerdings hierarchisch struk-                       Drohpotential für die IBM-Beschäftigten dar, und das
turiert – mit operationalen und finanziellen Zielvor-                     Verhältnis von innen und außen verflüssigt sich.
gaben.                                                                    Dieses Beispiel ist eine sehr weitgehende Form der

2   http://www.isf-muenchen.de/pdf/IBM-Gutachten_E-Mail.pdf, 21.06.2021

                                                                                                                                 15
MECHANISMEN DER INDIREKTEN STEUERUNG

indirekten Arbeitssteuerung über Unternehmensgren-                             behaupten kann. Dafür nehmen sie Einschränkungen
zen hinaus. In Österreich konnte diese weitgehende                             ihrer Rechte und verlängerte Arbeitszeiten in Kauf.
Wettbewerbssteuerung, wo fix Angestellte und Free-                             Unternehmerisches Denken wird von jedem als wichti-
lancer auf gemeinsamen Plattformen in Konkurrenz                               ge Schlüsselqualifikation verlangt und hat längst Ein-
stehen, durch unser Arbeitsrecht und durch die kriti-                          gang in betriebliche Beurteilungssysteme gefunden. In
sche öffentliche Diskussion verhindert werden. Dieses                          diesem Zusammenhang ist auch von Arbeitssteuerung
Produktionsmodell zeigt jedoch auf, wie weit indirek-                          durch „Normativ Control“ die Rede. Dabei geht es da-
te Steuerung mithilfe von Digitalisierung gehen kann                           rum, dass die Beschäftigten organisationale Ziele über
und wie wichtig sozialverantwortliche Gestaltung von                           Normen und Werte verinnerlichen und als persönliche
Arbeitsorganisation ist.                                                       Ziele wahrnehmen. Unter diesen Voraussetzungen
                                                                               üben KollegInnen untereinander soziale Kontrolle aus.
                                                                               Indirekt werden dabei nicht nur die einzelnen Beschäf-
UNTERNEHMERFUNKTION UND                                                        tigten gesteuert, sondern Teams und Gruppen, also
GRUPPENDRUCK                                                                   Arbeitsbeziehungen von KollegInnen. Das führt häufig
                                                                               in eine widersprüchliche Situation zwischen den (ge-
Die Auswirkungen der indirekten Steuerung bringen                              werkschaftlichen) Maßstäben des Individuums und der
neue Herausforderungen für Teams und dem einzel-                               Unternehmerfunktion, die als Team-Mitglied wahrge-
nen/der einzelnen ArbeitnehmerIn.                                              nommen wird. Dem einzelnen Teammitglied fällt es
Mit der indirekten Steuerung überlassen die Unter-                             schwer, dem Gruppendruck des Teams zu widerste-
nehmen den Beschäftigten und ihren Teams mehr                                  hen, denn Teammitglieder helfen sich gegenseitig.
und mehr Unternehmerfunktionen. Die KollegInnen                                Wie Forschungen aus der Arbeits- und Organisations-
sollen sich in ihrem Handeln vorrangig am Unterneh-                            psychologie zeigen, stärkt gegenseitige Hilfeleistung
mensgewinn orientieren. Dazu setzen Unternehmens-                              die Identität des Teams. Das erhöht das WIR-Gefühl.
leitungen auf sich selbst steuernde Teams in teilauto-                         Unternehmensleitungen nutzen diese Erkenntnisse,
nomen Unternehmenseinheiten, Subunternehmen und                                wenn sie die Anforderungen an die Gruppen hoch-
Profit-Centern. Die Beschäftigten müssen sich in diesen                        schrauben oder die Ressourcen verknappen, sodass
„Umwelten“ – der konstruierten Konkurrenz von unter-                           gegenseitige Hilfeleistung oft notwendig ist. Das WIR
nehmensinternen Märkten – behaupten.                                           kann stärker sein als das ICH. Das kann dazu führen,
Die Rahmenbedingungen der indirekten Steuerung                                 dass die Teams alles tun, um ihre Ziele zu erreichen,
haben oft den psychologischen Nebeneffekt, als un-                             gleichgültig, ob diese Ziele selbst gesetzte oder vom
veränderlicher Sachzwang erlebt zu werden. Ziele,                              Unternehmen vorgegebene Ziele sind.3
Kennzahlen und Benchmarking-Ergebnisse prägen das
Bewusstsein der Beschäftigten entscheidend. Dass da-                                   ?
hinter ausgefeilte Controlling-Systeme stehen, in denen
an verschiedenen Rädchen gedreht wird, um die Mitar-                               ●       Welche konkrete Formen/Ausprägungen
beiterInnen optimal zu steuern, wird oft als nicht (mit)                                   nimmt die indirekte Steuerung bei mir im
gestaltbare Vorgabe erlebt. Vergleiche dazu Abschnitt                                      Betrieb an?
„Prozess-, Zeit- und Dokumentationsvorgaben“ im Ka-                                ●       Welche konkrete negative Auswirkungen hat
pitel „Die Werkzeuge in Zielvereinbarungen“ (Seite 40).                                    das?
                                                                                   ●       Welche Vorteile könnte es aus Sicht der Mitar-
Die Beschäftigten kommen in eine Doppelrolle, da sie                                       beiterInnen geben?
neben ihrer ArbeitnehmerInnenfunktion auch eine                                    ●       Wie bewerte ich als Betriebsrat die subjekti-
UnternehmerInnenfunktion übernehmen. Sie machen                                            ven Vorteile für einzelne MitarbeiterInnen im
einerseits ihre Arbeit, haben u. a. das Interesse an ei-                                   Verhältnis zu möglichen negativen Auswir-
ner geregelten Arbeitszeit, andererseits haben sie in                                      kungen auf die gesamte Belegschaft?
ihrer Unternehmerfunktion das Interesse, dass ihr Team                             ●       Mit welchen innerbetrieblichen Maßnah-
profitabel genug ist, um im Unternehmen gehalten                                           men kann ich die Bewusstseinsbildung in der
zu werden und dass ihr Unternehmen sich am Markt                                           Belegschaft unterstützen?

3   Siemens/Frenzel, Indirekte Steuerung von Gruppen. Neue Formen des Arbeitsdrucks.

                                                                                                                                            16
MECHANISMEN DER INDIREKTEN STEUERUNG

                                                           Bereichen eine faktische Verlängerung der Arbeitszei-
                                                           ten fest. Eine wichtige Rolle spielt dabei die sogenannte
                                                           Vertrauensarbeitszeit. Dabei verzichtet der/die Arbeit-
  ●   Von AbteilungsleiterInnen nicht steuerbare           geberIn auf die Kontrolle der Arbeitszeit und verein-
      Risiken wie Personal- und technische Ausfälle        bart stattdessen Ziele (oder gibt Ziele vor), welche die
      gefährden die volle Auszahlung ihrer Zulagen.        Beschäftigten zu einem gesetzten Termin zu erfüllen
  ●   Ist die Abteilung im Verhältnis zur zu bewälti-      haben. Eine ähnliche Funktion haben die in Österreich
      genden Verwaltungsarbeit unterbesetzt, wird          sehr verbreiteten All-In-Verträge. ArbeitnehmerInnen
      das Augenmerk der Aktivitäten primär auf das         können arbeiten wann sie wollen, haben aber auch
      Erreichen der Zielvereinbarungen gelegt. Ziel        selbst auf die Einhaltung von kollektivvertraglichen
      ist, die Menge zu schaffen – die Qualität kann       und gesetzlichen Arbeitszeiten zu achten. Durch die
      selten gemessen werden.                              Vernachlässigung der Arbeitszeitaufzeichnung, die
  ●   Eine Belohnung gibt es also, wenn die Grup-          unter diesen Rahmenbedingungen von vielen als sinn-
      pe das vorgegebene Ziel erreicht bzw. über-          los empfunden wird, kommt es in der Praxis gerade da-
      schreitet. Hier ist die Tendenz erkennbar, dass      durch zum Kontrollverlust über die eigene Arbeitszeit.
      innerhalb der Gruppe Diskussionen entstehen,         Viele Betriebsräte verteidigen daher die elektronische
      wer für das Nichterreichen des Ziels verant-         Zeiterfassung bzw. fordern deren Wiedereinführung.
      wortlich ist (jung-alt, gesund-krank, schnell-
      langsam, Raucher-Nichtraucher etc.). So              Beispiele:
      kommt es auch leicht zu Vergleichen zwischen         ● Die Arbeit in einer Station im Krankenhaus wird von
      Abteilungen und Landesstellen. Ob diese Ver-            einem Team selbständig organisiert. Die Arbeitneh-
      gleiche offiziell oder inoffiziell erfolgen, macht      merInnen müssen dabei sicherstellen, dass die Stati-
      für die Drucksituation, die entstehen kann, kei-        on 24 Stunden am Tag besetzt ist, die Krankenakten
      nen großen Unterschied.                                 bearbeitet werden und auch die Urlaubsplanung
  ●   Ja, Beschäftigte werden angehalten, unter-              erledigt wird. Wer was wann macht, ist dem Team
      nehmerisch zu denken und sich persönlich für            überlassen. Da das Krankenhaus profitabel arbeiten
      die Zielerreichung verantwortlich zu fühlen. Mit        bzw. Kosten sparen soll, wird die Personaldecke mög-
      der selbständigen Arbeitsweise ist es allerdings        lichst knapp gehalten. Wird ein Teammitglied krank,
      zu Ende, sobald die Vorgaben nicht erreicht             so ist es die Aufgabe der anderen Teammitglieder,
      werden. Dann gibt es direkte Weisungen.                 für Ersatz zu sorgen. Sie rufen sich dann gegenseitig
  ●   Die Überwälzung der unternehmerischen Ver-              in der Freizeit an und fordern sich auf für das kran-
      antwortung ist in einem Bereich sehr deutlich,          ke Teammitglied einzuspringen. Für das einzelne
      in anderen Bereichen geschieht das versteckt            Teammitglied ist es in der Regel sehr schwer, diese
      durch Weitergabe des Auslastungsdrucks.                 „freiwillige“ Arbeitszeitverlängerung abzulehnen.
                                                              Neben dem Gruppendruck im Team spielt hier auch
                                                              das Berufsethos eine Rolle, wonach die notwendige
                                                              Versorgung der Patienten sicherzustellen ist.
                                                           ● Die Projektplanung in einer Softwareentwicklung
DIE AUSWIRKUNGEN DER INDIREKTEN                               läuft wie folgt ab: Ein Entwicklungsteam soll unter-
STEUERUNG AUF DIE ARBEITSZEIT                                 nehmensintern selbst ein Angebot, ein bestimmtes
                                                              Programm zu entwickeln, unterbreiten. Die Rahmen-
Die Mitglieder der Gruppe erarbeiten sich in diesen           bedingungen werden vom Unternehmen vorgege-
Stresssituationen gemeinsam, was sie zu tun haben. Mit        ben: ein bestimmtes Budget, ein bestimmter Quali-
der indirekten Steuerung nutzen die Unternehmen die-          tätsstandard und der Termin zur Fertigstellung. Das
se produktive Kraft der KollegInnen. Die Arbeitszeiten        Team setzt sich selbst ein sehr anspruchsvolles Ziel
scheinen sich in diesen Gruppenprozessen wie von selbst       und verzichtet auf die Einplanung von Pufferzeiten,
zu verlängern. Oft müssen sich die Beschäftigten selbst       denn alle wissen um die Konkurrenz durch andere
um ihre Qualifizierung kümmern, wenn sie nicht Gefahr         Teams. Hat sich das Team verpflichtet, das Angebot
laufen wollen, nicht mehr konkurrenzfähig zu bleiben.         umzusetzen, wird im nächsten Schritt jedes einzelne
Seit den 1980er Jahren stellen Betriebsräte in vielen         Teammitglied auf ein bestimmtes Teilziel verpflichtet.

                                                                                                                 17
MECHANISMEN DER INDIREKTEN STEUERUNG

    Ist die Erreichung des Zieles in der Arbeitszeit nicht   individuellen Rechte ungewollt in eine Erhöhung des
    möglich, ist davon auszugehen, dass Arbeit in der        Gruppendrucks umschlagen, indem die KollegInnen
    Freizeit nötig wird. Dies wird in Kauf genommen, da      ihre individuellen Rechte gegeneinander ausspielen.
    es ja einen gemeinsamen Team-Beschluss gibt, der
    die Rahmenbedingungen im Bewusstsein der Be-
    teiligten zweitrangig werden lässt.
●   Vielfach wird die Erledigung von Verwal-                     ●   Ein wesentlicher Faktor ist die Einhaltung von
    tungsaufgaben         (Berichtswesen,    Urlaubspla-             Arbeitszeitgrenzen der MitarbeiterInnen, die
    nung, Einteilung der Rotation) an das Team                       seitens HR streng überwacht wird. Da jedoch
    delegiert. Diese Arbeit wird oft von Teammit-                    öfters mehr Arbeit vorhanden ist als benötig-
    gliedern neben ihrer eigentlichen Arbeit ge-                     te DienstnehmerInnen, werden alle Möglich-
    macht. Die Teammitglieder erhalten zwar dafür                    keiten zur Umgehung von Arbeitszeitüber-
    einen Arbeitszeitausgleich, dieser reicht allerdings             schreitungen kreativ ausgeschöpft.
    meist nicht aus. Dies führt dann entweder zu einer           ●   Die Führungskräfte sollen durch das
    Arbeitsverdichtung, also einer Intensivierung der                „Management by Objectives (MBO)“ un-
    Arbeit in der Arbeitszeit selbst, oder einer Ausdeh-             ternehmerisch denken und handeln, daraus
    nung der Arbeitszeit, sofern möglich. Für diese Pro-             resultierende Mehrarbeit/Überstunden sind
    zesse spielt es eine untergeordnete Rolle, ob die                großteils durch Überstundenpauschalen bzw.
    Ziele vom Team selbst oder von der Unternehmens-                 All-In-Vereinbarungen abgedeckt.
    leitung gesetzt werden. Die Team-Ziele werden von            ●   Auch Gleitzeitvereinbarungen beinhalten
    den „notwendigen“ Unternehmenszielen hergelei-                   Komponenten betrieblicher Leistungssteu-
    tet, dabei werden Kennzahlen verwendet, die ob-                  erung. Mit weit ausgedehnten Gleitzeitrah-
    jektiv klingen, und dies wird argumentiert mit einem             men wird erwartet, dass MitarbeiterInnen ihre
    Krisenszenario, wonach die Existenz des Unterneh-                Arbeitszeit dem Arbeitsanfall entsprechend
    mens auf dem Spiel steht, der Kunde es erwartet                  flexibel einsetzen. So müssen keine Überstun-
    und dass die Arbeitsplätze andernfalls gefährdet                 den angeordnet oder ausbezahlt werden.
    sind oder dass die Konkurrenz nicht schläft.

Die vielfach geltende Norm der „ständigen Erreich-
barkeit“ führt zu einem „Autonomie-Paradoxon“,               DIE KONTROLLE ÜBER DIE EIGENE
was bedeutet, dass die Autonomie aufgrund der                ARBEITSZEIT ZURÜCKGEWINNEN
Konformität mit der vorherrschenden Norm nur be-
dingt gegeben ist. Die Grenzen zwischen Arbeit und           Jedes Teammitglied sollte nach jedem Arbeitsprozess
Freizeit verschwimmen, durch die hohe Identifikation         seine wirklich aufgewendete Arbeitszeit erfassen. Da-
und „freiwillige Arbeitsintensivierung“, zunehmend.          rüber sollte im Team gemeinsam reflektiert werden.
Negative Auswirkungen auf die Gesundheit, emoti-             Dies ist wichtig, weil in der ungeplanten zusätzlichen
onale Erschöpfung bis hin zum Burnout sind immer             Arbeitszeit Probleme zum Ausdruck kommen, die in der
öfter die Folge. Die indirekte Steuerung kann nur so         Planung nicht berücksichtigt wurden. Ursachen für
lange funktionieren, wie sie den Beschäftigten nicht         solche Probleme können z. B. sein:
bewusst wird. Viele KollegInnen fühlen sich dem Un-
ternehmen oder dem eigenen Team gegenüber mehr               ●   Die Ressourcen waren nicht ausreichend
verpflichtet, als sich selbst und ihrer Gesundheit. Die      ●   Das Projekt ist falsch angegangen worden, und
Auseinandersetzung mit der Verselbständigung der                 eventuell wäre das Ziel auf anderem Wege besser
Gruppendynamik im Team ist daher eine Grund-                     erreicht worden.
voraussetzung für die Interessenpolitik. Denn die Mit-       ●   Die Teammitglieder haben sich nicht ausreichend
arbeiterInnen stehen im Widerspruch zwischen der                 eingesetzt
unternehmerischen Solidarität in ihrem Team einer-
seits und der gewerkschaftlichen Solidarität anderer-        Ist die tatsächliche Arbeitszeit erfasst worden, kann
seits. Wird der unbewusst vorhandene Gruppendruck            das Team auch den angemessenen Personalbedarf
nicht bewusst gemacht, laufen sie Gefahr, dass die           ermitteln. Entsprechende Reflexionen sollten möglichst

                                                                                                                      18
MECHANISMEN DER INDIREKTEN STEUERUNG

                                                              PLANUNG
                ZIELE                                                                                               ABLAUF

               ERFOLG
                                             ZEIT
                                             MANAGEMENT

                                                                                                            AUFTEILEN

                  KONTROLLE                               AUFGABEN                                     PRIORITÄTEN
                                                          DELEGIEREN                                     SETZEN

in allen Teams und Arbeitsbereichen durchgeführt                                      ?
werden. Für die Durchsetzung der Forderung nach
besserer Personalbemessung können sich die Teams                                  ●       Gibt es bei uns Bereiche die zueinander in
an den Betriebsrat wenden. Dieser kann sein Be-                                           Wettbewerb gestellt werden? Welche?
ratungsrecht mit der Geschäftsleitung in Anspruch                                 ●       Wodurch wird bei uns die Konkurrenz zwi-
nehmen, um die Forderung vorzubringen. Stehen die                                         schen einzelnen Bereichen gefördert?
Teams hinter dem Betriebsrat, wird es dem Unterneh-                               ●       In welchen Bereichen kommt es häufig zu
men jedenfalls schwerer gemacht, sich den Forderun-                                       Arbeitszeit-Überschreitungen?
gen zu entziehen.                                                                 ●       Bekomme ich überhaupt diese Informationen?
                                                                                  ●       Was sind die Gründe für häufige AZ-Über-
Der Erfassung der Arbeitszeit kommt also im Vergleich                                     schreitungen?
zu früher eine völlig neue Bedeutung zu. Denn es geht
nicht darum, dass der/die ArbeitgeberIn kontrolliert,
ob die Beschäftigten bei der Arbeit sind. Im Zusam-
menhang mit der indirekten Steuerung geht es darum,
die Kontrolle über die eigene Arbeitszeit zurückzuge-                             …. die große Herausforderung der Entgrenzung
winnen. Sollte sich die Unternehmensleitung nicht ko-                             der Arbeitszeit: von MitarbeiterInnen, die ein
operativ zeigen, kann als weiteres Argument die Ar-                               Smartphone oder Handy zur Verfügung gestellt
beitsinspektion eingeschaltet werden. Vergleiche dazu                             bekommen, wird zusehends erwartet, dass sie
Abschnitt „Grundsätzlich geht den Betriebsrat alles,                              auch außerhalb ihrer Arbeitszeit erreichbar sind
was im Betrieb bzw. Unternehmen geschieht, etwas                                  und ihre E-Mails möglichst vor Arbeitsantritt (also
an.“4 Siehe Kapitel „Rechtliche Rahmenbedingungen“                                Sonntag abends oder vor der Rückkehr aus dem
(Seite 30 ff.).                                                                   Urlaub) checken.

4   Siemens/Frenzel, Das unternehmerische Wir. Formen der indirekten Steuerung in Unternehmen

                                                                                                                                        19
DAS HR-INSTRUMENT
ZIELVEREINBARUNG
ALS TEIL DES BETRIEBLICHEN LEISTUNGSMANAGEMENTS

ZIELVEREINBARUNG ALS KLASSIKER                              ihre Ziele vorschlagen und diese dann mit den Vorge-
                                                            setzten vereinbart werden, was durch die beidseitige
Den Angelpunkt der indirekten Steuerung bildet das          Unterschrift bestätigt wird.
Managementinstrument „Zielvereinbarung“, das
bereits zum klassischen leistungspolitischen Instru-        Das HR-Instrument Zielvereinbarung kann je nach
mentarium gehört. Eine bahnbrechende Rolle für die          Managementkonzept verschiedene Funktionen im Un-
Entwicklung der Aktivitäts- und Verhaltenssteuerung         ternehmen erfüllen. Diese können von der Personal-
mittels Zielen hatte die Konzeption des „Management         entwicklung, der Personalbeurteilung, der Unterneh-
by Objectives (MBO)“, die in den 50er Jahren in den         mensführung bis zur Entgeltdifferenzierung reichen.
USA entwickelt wurde. Dabei werden in Zahlen aus-           Werden neben der Personalentwicklungsfunktion
gedrückte Ziele zum zentralen Steuerungsmechanis-           (Aufgabenklarheit, Feedback, Weiterbildung) weitere
mus der Unternehmensaktivitäten, ausgehend von              Funktionen wie Personalbeurteilung und/oder Entgelt-
der Unternehmensführung, kaskadenförmig auf die             differenzierung in das MitarbeiterInnengespräch hin-
untergeordneten Organisationseinheiten (Sparten,            eingepackt, kann es zur Funktionsüberfrachtung und
Hauptabteilungen, Gruppen, einzelne Stellen) her-           zu Zielkonflikten kommen. Das Ziel, dass Führungskraft
untergebrochen. Im Unternehmen gibt es demnach              und MitarbeiterIn sich im MitarbeiterInnengespräch
neben einer Aufgaben- und Personenhierarchie                auf gleicher Augenhöhe begegnen und sich echtes
auch eine Zielhierarchie. Im ursprünglichen MBO-            Feedback geben, kann durch eine Personalbeurtei-
Ansatz werden die Ziele Top-Down vorgegeben. Die            lung, an die variables Entgelt geknüpft ist, konterka-
Kontrolle der MitarbeiterInnen wird nach Ablauf             riert werden.
einer entsprechenden Periode (z. B. ein Jahr) an-
hand eines „SOLL-/IST-Vergleiches“ vorgenommen.             Denn eine Personalbeurteilung stellt wieder die hier-
Danach werden die neuen Ziele für die kommende              archische Beziehung zwischen Vorgesetzten und Mit-
Periode festgelegt.                                         arbeiterInnen in den Mittelpunkt, und die Aussicht auf
                                                            variables Entgelt fördert die Tendenz, sich einseitig im
Angelpunkt für das Steuern mit Zielen ist das Mitar-        besten Licht darzustellen.
beiterInnengespräch, das als „partnerschaftliches“
Führungsinstrument gilt und quer durch alle Branchen        Vergleiche dazu Checkliste im Abschnitt „Welche In-
weit verbreitet ist. Damit verbunden ist die Betonung       formationen benötigt der Betriebsrat zur rechtlichen
der „Zielvereinbarung“ im Gegensatz zur „Zielvorga-         Einordnung des Zielvereinbarungs-Konzepts?“ Siehe
be“. Die Idee dabei ist, dass die MitarbeiterInnen selbst   Kapitel „Rechtliche Rahmenbedingungen“ (Seite 30 ff.).

                                                                                                                 20
DAS HR-INSTRUMENT ZIELVEREINBARUNG
© iStock

           ●   In den Anfängen hatte das MitarbeiterInnenge-           kenne ich die Inhalte nicht offiziell. Sie bein-
               spräch den Charakter eines Bewertungs-/Beno-            halten jedoch Ansätze von Zielvereinbarungen,
               tungssystems und SOLL-/IST-Vergleichs durch             deren Inhalte mitunter von Stellenbeschreibun-
               die Führungskraft. Somit war der/die Arbeitneh-         gen bzw. Tätigkeitsbeschreibungen abweichen.
               merIn sehr häufig der Führungskraft „ausgelie-          Kurz gesagt: MitarbeiterInnen arbeiten zu
               fert“. Auf Druck der Betriebsräte wurde dieses          günstig, weil sie nach ihrer faktisch verrichte-
               System in Richtung eines Feedback-Gesprächs             ten Arbeit im Gehaltsschema zu niedrig ein-
               mit gemeinsamen „Meilensteinvereinbarungen“             gestuft sind.
               und Schulungsbedarfserhebung (fachlich und
               persönlichkeitsbildend) entwickelt.                 ●   Obwohl gerade vom neuen Management der
                                                                       Begriff „Teamwork“ sehr oft strapaziert wird,
           ●   Auf SachbearbeiterInnen-Ebene gibt es die-              wirkt sich das auf die Auswahl der Ziele nicht
               se Form der Zielvereinbarung nicht. Sehr wohl           aus. D. h. Ziele für gesamte Teams und Ziele, die
               finden jährliche MitarbeiterInnengespräche              auf guter Zusammenarbeit beruhen, gibt es nur
               zwischen dem/der Vorgesetzten und dem/                  für den/die jeweilige/n Team- oder Projektleite-
               der MitarbeiterIn statt. Da sie vertraulich sind,       rIn, nicht aber für die MitarbeiterInnen selbst.

                                                                                                                           21
DAS HR-INSTRUMENT ZIELVEREINBARUNG

LEGITIMATION DURCH PARTIZIPATION                           Mit dieser Entwicklung verbunden ist auch ein Trend
                                                           zurück zu Zielvorgaben, echte Zielvereinbarungen
Mit Zielvereinbarungen verbunden ist auch eine Ver-        kommen immer seltener vor. Speziell im Vertriebsbe-
änderung der Legitimation von Leistungsanforde-            reich sind Vorgaben für Verkaufsmengen, Umsatzziele,
rungen. Wurden diese im tayloristischen Zeitalter mit      bzw. betriebswirtschaftliche Erfolgskennzahlen die Re-
der Berufung auf „Wissenschaftlichkeit“ der Berech-        gel. Das hängt zusammen mit dem betriebswirtschaft-
nungsverfahren und „Objektivität“ der Normalleistung       lichen Konzept des Shareholder-Value (= „Wert für den
argumentiert, werden heute die anspruchsvollen Leis-       Aktionär“), was bedeutet, dass die Unternehmenslei-
tungsanforderungen durch Partizipation legitimiert.        tung die Shareholder- bzw. Aktionärsinteressen in den
Leistungsziele gelten als ausgehandelter Kompromiss,       Mittelpunkt aller Entscheidungen stellt und das unter-
als Ergebnis fairer Verhandlungen, auch wenn die Pra-      nehmerische Hauptziel darin besteht, die Börsenkurse
xis oft anders aussieht.                                   zu steigern. Diese Form der Unternehmenssteuerung
                                                           ist z. B. im Bankenbereich sehr verbreitet und in inter-
Werden Ziele in einem kooperativen Prozess vereinbart,     nationalen Konzernen die Regel. Ziele sind dort nur in
so wird dem eine höhere Identifikation der Beschäftig-     seltenen Fällen Ergebnisse von Aushandlungsprozes-
ten mit den Zielen zugesprochen. Zielvereinbarungen        sen zwischen den beteiligten AkteurInnen und spiegeln
gelten als motivierend für MitarbeiterInnen. Die Mitar-    damit nicht systematisch Veränderungen von KundIn-
beiterInnen sollen sich selbst „in die Pflicht nehmen“     nenerwartungen oder spezielle Erfahrungen der Ver-
und sich für die Zielerreichung verantwortlich fühlen.     triebsbeschäftigten wider. Es ist zwar nach wie vor von
Wie Erfahrungen etwa aus japanischen Unternehmen           Zielvereinbarungen die Rede, Größen zur Leistungsori-
zeigen, fallen die Kostensenkungsziele, die von Arbeits-   entierung werden allerdings eindeutig als Zielvorga-
gruppen selbst ausgearbeitet werden, normalerweise         ben umgesetzt.
weit aggressiver aus als ursprünglich geplant.
                                                           Qualitative Ziele werden meist nicht ausreichend spezi-
Weiters gehört es zu den Grundsätzen des Manage-           fiziert. Aber Beurteilungssysteme, die das WIE der Leis-
mentkonzepts Zielvereinbarung, dass die Beschäftig-        tungserbringung erfassen sollen, sind stark verbreitet
ten auch Selbstkontrolle und Freiräume bei den Wegen       und dienen als Ergänzung zur Zielmessung.
der Zielerreichung haben sollen. Dabei wird Zielerrei-
chung und Erfolg zum Problem der Beschäftigten. Und        Die Steuerung durch Ziele und deren Erfassung mit
dadurch kommt es zum Kerneffekt der indirekten Steu-       Kennzahlen wird ergänzt durch die Etablierung in-
erung im Gegensatz zur klassischen Fremdsteuerung:         terner und externer Konkurrenzmechanismen. Dabei
Das Problem der systematischen Überlastung wird von        werden die Bereiche des Wettbewerbsvergleichs defi-
der Organisation auf die einzelnen MitarbeiterInnen        niert, wie etwa Vertrieb, Produktion, Servicemanage-
übertragen. Das ist auch der Kern der Entgrenzung der      ment und Administration sowie Mitbewerber am Markt.
Arbeit, was nichts anderes bedeutet, als dass die bishe-   Wird z. B. die Leistungsfähigkeit des Rechnungswesens
rigen Begrenzungen von Verfügbarkeit und Leistungs-        kontrolliert, so werden in der Regel Prozesskosten (Per-
bereitschaft aufgehoben werden.                            sonalaufwand und Sachkosten) erfasst, die zur Bear-
                                                           beitung von Eingangs- und Ausgangsrechnungen auf-
                                                           gewendet werden. Wird dieser Aufwand ins Verhältnis
UMSETZUNGSPROBLEME BEI „ECHTEN“                            zur Zahl der bearbeiteten Rechnungen gesetzt, erhält
ZIELVEREINBARUNGEN                                         man eine Leistungskennziffer, die mit jenen in anderen
                                                           Unternehmen verglichen werden kann. Weiters werden
In der Praxis hat sich das Arbeiten mit Zielen weitge-     auch Kennzahlen zur Messung der Prozessdurchlauf-
hend durchgesetzt, die Zielvereinbarung ist die wich-      zeiten erhoben.
tigste Funktion des MitarbeiterInnengesprächs. Am
Anfang standen freiwillige Vereinbarungen zu Aufga-        Durch die ständige Präsenz von Kennzahlen zum Leis-
benschwerpunkten, schrittweise wurden die Zielverein-      tungsvergleich kommen die Beschäftigten in einen Ra-
barungen verbindlicher, vielfach kamen standardisierte     tionalisierungswettbewerb und müssen sich wie in einer
Beurteilungen dazu und schließlich variable Entgelte       Endlosspirale dauerhaft bewähren.
mit quantifizierten oder auch qualitativen Vorgaben.

                                                                                                                22
Sie können auch lesen