IM BILD - Deutscher Kinderschutzbund
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D I E Z E I T S C H R I F T D E S K I N D E R S C H U T Z B U N D E S 1 . Q UA R TA L 2 0 2 0 / H 8 7 6 3 F KINDERSCHUTZ A K T U E L L 1.20 Das Bild vom Kind – Das Kind IM BILD Die Darstellung von Kindern ist beliebt und öffentlich wie nie zuvor. Motiv und Präsentation der Bilder verraten aber noch viel mehr.
Konzept/Texte: Swaantje Düsenberg -- Gestaltung: Rudolf Schwanke -- istockphoto/ericcote Ja zur dksb.de Das Kinderrecht auf Beteiligung muss endlich überall umgesetzt werden. Der Kinderschutzbund fordert daher, es im Grundgesetz zu unterstreichen. BETEILIGUNG! „Erst finden sie dich zu klein dafür, dann wieder zu jung“. – „Und dann führste schon Selbstgespräche, damit dir wenigstens einer zuhört.“ KINDER MÜSSEN IMMER BETEILIGT WERDEN UND ALTERSGERECHT MITENTSCHEIDEN KÖNNEN. DAS IST IHR WILLE. UND IHR RECHT. DER KINDERSCHUTZBUND
Das Bild vom Kind – Das Kind im Bild Erst wurden sie gemalt, dann zunehmend fotografiert. Und immer gern hergezeigt, meist im privaten Raum. Mittlerweile gelten Kinder vielen als beliebtestes Motiv vor der Kamera. Die (heute digitale) Präsentation von Kinderfotos ist jedoch längst aus dem privaten Raum herausgetreten. „Dank“ Internet, sozialer Netzwerke und teils kostenfreier Bildagenturen können Darstellungen von Mädchen und Jungen so öffentlich und zahlreich betrachtet und genutzt werden wie nie zuvor. Daran knüpfen sich Fragen, etwa diese: Wer hat welches Interesse am Kinderbild? Wer verwendet es – und wofür? Was ist rechtens? Und ganz wichtig: Welches Bild vom Kind steckt hinter den Motiven? Solche Fragen bewegen auch den Kinderschutzbund, der selbst mit Kinderbildern für seine Ziele wirbt. INHALT 1.2020 13 KLIPP & KLAR 4 Kolumne, Nachrichten, Fachtag THEMA 6 Das Bild vom Kind Einführung ins Thema 7 16 Vom göttlichen Himmelswesen zur weltlichen Göre Das dargestellte Kind in der bildenden Kunst 10 Blick ins Familienalbum Die fotografische Inszenierung von Kindern Mehr als 1.000 Worte? Worum geht`s? 13 Mehr als 1.000 Worte? Ein in der Öffentlichkeitsarbeit Millionenfach werden digitale Kinderbilder Die Bildsprache in der Öffentlichkeitsarbeit verwendetes Kinderbild ist nie heute ins Internet gestellt, gepostet oder des DKSB schmückendes Beiwerk, sondern verschickt. Dürfen Erziehungsberechtigte 16 Worum geht`s? spricht seine eigene Sprache. Das Motiv das einfach so? Oder müssen sie vorher Rechts- und Beteiligungsfragen transportiert stets mit, welches Bild ihre Kinder fragen? Schließlich gibt es zum geposteten Kind vom Kind sich dahinter verbirgt. das Recht am eigenen Bild. Und es gibt 18 1080 x 1080 Pixel des Selbst Deshalb wählt und präsentiert der das Recht des Kindes auf Beteiligung an Zur Psychologie des „Selfies“ Kinderschutzbund „seine Bilder“ mit allen es betreffenden Angelegenheiten. aller gebotenen Sorgfalt. Ab Seite 13 Ab Seite 16 28 24 KINDER IM BLICK 20 Die machen Sachen! Infos & Tipps aus der DKSB-Praxis 23 Kinderrechte ins Grundgesetz Informationen zum Stand der Umsetzung 24 Kind im Zentrum Ein innovatives Projekt aus Ulm zum „Begleiteten Umgang“ 26 Tagesbetreuung Kind im Zentrum Einblicke in den Alltag einer Tagesmutter Der Kinderschutzbund Ulm/Neu-Ulm war in Sachen „Begleiteter Umgang“ 28 Kreativ die Kassen füllen schon immer innovativ. Nun hat er sich mit seinem aktuellen Projekt „Kind im Zentrum“ Ideen für die Finanzierung erneut als bundesweiter Vorreiter in der Weiterentwicklung dieser spezifischen freier Kinderschutzarbeit Angebote für problematische Trennungsfamilien erwiesen. Dabei setzt er zugleich 30 Aktuelles aus dem Bundesverband das Recht des Kindes auf Beteiligung um. Ab Seite 24 31 Impressum
KOLUMNE KLIPP & KLAR LIEBE LESERINNEN UND LESER, welches Bild vom Kind haben wir eigentlich? MEHR SCHUTZ VOR Die Weise, wie wir Kinder darstellen, sagt darüber eine Menge aus. Deshalb liegt der SEXUELLER GEWALT Themenschwerpunkt in diesem Heft auf genau dieser Frage. Um Mädchen und Jungen besser vor sexuellem Missbrauch zu schützen, hat sich in Berlin der „Nationale Rat gegen In der Abbildung vom Kind kommt zum sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen“ konstituiert. Ausdruck, welche Haltung wir als Gesell- Zur Auftaktsitzung im Bundesfamilienministerium am schaft Kindern gegenüber einnehmen. 2. Dezember 2019 waren mehr als 40 namhafte staatliche und Sehen wir sie tatsächlich als eigenständige nicht-staatliche Akteurinnen/Akteure der Einladung von Persönlichkeiten mit eigenen Rechten? Bundesfamilienministerin Dr. Franziska Giffey und Johannes- Beteiligen wir Kinder wirklich in dem Umfang, wie es richtig Wilhelm Rörig, dem Unabhängigen Beauftragten für Fragen des und notwendig ist? sexuellen Kindesmissbrauchs, gefolgt. Mit dabei: DKSB-Präsident Ich glaube, da haben wir noch viel Nachholbedarf. Heinz Hilgers sowie DKSB-Vizepräsidentin Prof. Dr. Sabine Deshalb wirbt unser gesamter Verband seit vielen Jahren dafür, Andresen, Vorsitzende der Unabhängigen Kommission zur die Kinderrechte ins Grundgesetz aufzunehmen. Das Wohl des Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs. Der Rat wird sich Kindes muss in allem staatlichen Handeln als vorrangiger nun bis Sommer 2021 über konkrete Ziele und Umsetzungs- Gesichtspunkt berücksichtigt werden. Kinder müssen ihrem schritte verständigen, um die Prävention, Intervention und Alter entsprechend an allen sie betreffenden staatlichen Ent- Hilfen für betroffene Kinder und Jugendliche spürbar zu scheidungen beteiligt werden. Das schreibt uns die UN-Kinder- verbessern und die Forschung weiter voranzubringen. rechtskonvention ins Stammbuch! Genau dazu hat sich die Bundesregierung im Koalitionsvertrag beauftragter-missbrauch.de auch verpflichtet: die Kinderrechte zu stärken, indem sie Ver- fassungsrang erhalten. Der Formulierungsvorschlag, der dafür nun auf dem Tisch liegt, ist für mich allerdings enttäuschend (mehr dazu auf Seite 23). Wenn es um die Rechte des Kindes geht, ist die UN-Kinderrechts- konvention in Deutschland nach derzeitigem Stand der gültige BESSERE KINDER Maßstab. Sie ist nämlich keine unverbindliche Leitlinie, wie viele UND JUGENDHILFE glauben, sondern effektiver Bestandteil des deutschen Rechts. Die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe sind im achten Würde nun der vorliegende Formulierungsvorschlag ins Grund- Sozialgesetzbuch (SGB VIII) geregelt. Es soll reformiert werden, gesetz gelangen, so erhielte damit z.B. eine schlechtere Variante um Kinder, Jugendliche und ihre Familien noch mehr zu des Kindeswohlprinzips Verfassungsrang. Das widerspricht aber stärken. Für die anstehende Reform war im November 2018 den Zielen, die mit einer Aufnahme der Kinderrechte ins Grund- zu vier Themen ein breiter Dialog- und Beteiligungsprozess gesetz verbunden sind. Für mich ist es daher zentral, dass eine unter dem Motto „Mitreden – Mitgestalten“ gestartet: Formulierung gewählt wird, die im Grundgesetz den Vorrang des M Besserer Kinderschutz und mehr Kooperation Kindeswohls festschreibt und Kindern echte Beteiligungsrechte M Wirksames Hilfesystem/Weniger Schnittstellen/ gewährt. Mehr Inklusion Wir als DKSB-Bundesvorstand werden den parlamentarischen M Fremdunterbringung: Kindesinteressen wahren – Prozess nun eng und kritisch begleiten und für einen verbesser- Eltern unterstützen – Familien stärken ten Formulierungsvorschlag werben. Mein Ziel ist es, dass sich M Prävention im Sozialraum stärken die Abgeordneten des Deutschen Bundestags und des Deutschen Am 10. Dezember 2019 fand in Berlin nun die Abschluss- Bundesrats mit einer Zweidrittelmehrheit für echte Kinderrechte konferenz zum SGB VIII-Reformprozess mit Workshops zu den aussprechen und sich hinter diesem Ziel versammeln. vier Themen statt. Mit dabei: DKSB-Bundesgeschäftsführerin Ob Kinder Rechte auf echte Beteiligung besitzen und diese auch Cordula Lasner-Tietze. Hier wurden auch der Abschlussbericht durchgesetzt werden und ob der Fokus in Gerichts- und Gesetz- sowie die Ergebnisse der wissenschaftlichen Betroffenener- gebungsverfahren tatsächlich auf die Interessen des Kindes hebung vorgestellt. „Der Kinderschutzbund wird sich auch gelegt wird – das macht einen Unterschied. Es verändert die weiterhin intensiv in die Diskussionen zur Reform des SGB VIII gesellschaftliche Haltung Kindern gegenüber. einbringen. Uns geht es insbesondere um die Stärkung des Es verändert unser Bild vom Kind. präventiven Kinderschutzes“, so Lasner-Tietze. Ihr Heinz Hilgers Präsident des Kinderschutzbundes mitreden-mitgestalten.de 4 KSA 1.2020
Einladung zum Fachtag 20 JAHRE gewaltfreie Erziehung Am 6. Juli 2000 hat der Bundestag das Ge- rung. Hierbei spielen auch die Sozialen Netz- dren‘s Worlds“ (2019) wiederum gezeigt, dass setz zur Ächtung der Gewalt in der Erzie- werke eine Rolle. Es gibt also hohen Diskussi- viele Kinder in der Schule Gewalt und Aus- hung verabschiedet. Bedeutung, Tragweite ons-, Klärungs- und Handlungsbedarf. grenzung erleben. Und wie wichtig ihnen si- und Umsetzung dieses Rechtes aller Kinder Ausgangspunkt des DKSB-Fachtags ist die his- chere Räume und vertrauensvolle Beziehun- in Deutschland auf gewaltfreie Erziehung torische Bedeutung des Rechtes von Kindern gen sind – überall! sind Themen eines Fachtages am 30. April auf ein gewaltfreies Aufwachsen. Im weiteren Auf der Fachtagung soll es also zentral um ein 2020 in Berlin. Dazu lädt Sie der Kinder- Verlauf werden die Umsetzung und die Frage wirksames Zusammenspiel von Schutz und schutzbund herzlich ein! nach Hindernissen thematisiert. Dazu gehört Recht, von Sorge und Beteiligung, von Sicher- Es muss anerkannt werden: In den vergange- auch ein gesellschaftliches Klima, das Kinder heit und Freiheit für Kinder und Jugendliche nen zwei Jahrzehnten haben Eltern, Lehr- und und Jugendliche durch Polarisierung, Rechts- gehen. Es wäre schön, wenn auch Sie dabei Fachkräfte, die Wissenschaft, Politik und Zivil- populismus und die Schmähung demokrati- sein können! gesellschaft viele Anstrengungen unternom- scher Werte und Beteiligungsformen in ihren Cordula Lasner-Tietze, men, um Kindern und Jugendlichen ein ge- Rechten beschneidet. Aufschlüsse darüber DKSB-Bundesgeschäftsführerin waltfreies Aufwachsen zu ermöglichen. Trotz- geben die Langzeitstudie von Prof. Dr. Kai dem erfahren sie noch heute vielfach Gewalt Bussmann (2010) sowie die Untersuchungen Ort und Zeit: 30. April 2020, 10 - 17 Uhr, innerhalb und außerhalb der Familie. Durch des Kompetenzzentrums Kinderschutz Ulm in der Vertretung des Landes NRW beim Entwürdigung oder sexuellen Missbrauch, (Prof. Dr. J.M. Fegert, 2016 und 2019). Prof. Dr. Bund, Berlin (die Teilnahme ist kostenlos) durch Mobbing, Rassismus oder Diskriminie- Sabine Andresen hat mit der Studie „Chil- Anmeldung an E-Mail: fachtagung@dksb.de Plätze der Kinderrechte Das erste Dutzend ist voll! Eine innovative Idee aus dem Kinderschutzbund setzt sich bundes- weit durch: Erst vor gut zwei Jahren hat die Stadt Höhr-Grenzhausen (Westerwald) den ersten „Platz der Kinderrechte“ in Deutschland offiziell aus der Taufe gehoben – jetzt ist das Dutzend schon voll. Foto: DKSBLVSH/Frank Molter Und die Erfolgsgeschichte geht weiter. Im Jahr 2019 feierten am Weltkindertag und mit Blick auf den 30. Geburtstag der UN-Kinder- rechte-Konvention gleich drei Städte ihren „Platz der Kinderrechte“ – neben Nierstein am Rhein (Rheinland-Pfalz) die Stadtstaaten Hamburg und Bremen. Die Liste der Kinderrechte-Plätze, die in der DKSB-Bundesgeschäftsstelle geführt wird, verzeichnet mittlerweile auch einen „Mobilen Platz der Kinderrechte“. Er ist in Schleswig-Holstein unterwegs und hat so viel Begeisterung ausgelöst, dass manche gastgebende Kommune sich auf den Weg gemacht hat, nun auch einen „Platz der Kinderrechte“ bei sich fest zu etablieren. Inzwischen wurden auch Plätze eingeweiht, die nicht vom DKSB initiiert wurden. Das belegt, wieviel Begeisterung die Aktion ausstrahlt. Ihren Werdegang dokumentiert der DKSB auf seiner Website. Vielleicht gibt es dort auch bald was zu hören, denn durch die Einweihungsfeiern werden vielerorts LiedermacherInnen angespornt, Kinderrechte-Songs zu komponieren. Für das Jahr 2020 sind bereits neun weitere Einweihungen vorgemerkt. Jetzt sind alle gespannt, wann die ersten „Plätze der Kinderrechte“ südlich der Mainlinie und im Osten Deutschlands gefeiert werden. Mobiler „Platz der Kinderrechte“ des LV Schleswig-Holstein: Eine transportable Litfaßsäule macht mit zahlreichen Informationen unübersehbar auf die Kinder- INFO: dksb.de/de/unsere-arbeit/ rechte aufmerksam. Schirmherr ist Landtagspräsident Klaus Schlie, der mit der schwerpunkte/plaetze-der-kinderrechte DKSB-Landesvorsitzenden Irene Johns das Projekt auf den Weg gebracht hat. 5
TITEL- THEMA Das Bild VOM KIND Kinderbilder, Kinderbilder, Kinderbilder! Sie tummeln sich in heimischen Schuhkartons wie im Internet, in digitalen In doppeldeutiger Weise hat sich das Bild vom Kind im Verlauf der Zeit gewandelt. Das lässt sich an Gemälden wie an Fotografien und analogen Fotoalben, an häuslichen Flurwänden, auf belegen. In der bildenden Kunst entwickelte Homepages und in Druckerzeugnissen, in Ausstellungen – es sich „Vom göttlichen Himmelsboten zur weltlichen Göre“ (ab Seite 7), in der Fotogra- und auch im Kinderschutzbund. Überall kreuzen sie fie zeigt das ein „Blick ins Familienalbum“ (ab unseren Weg, deshalb sind sie ein wichtiges Thema! Seite 10). Und doch haben beide Genres ei- nes gemeinsam: Die Pose dominiert das Kin- derbild. Auch im DKSB ist in den über 65 Jahren seines Foto: funwithfood/istock Wirkens ein verändertes Bild vom Kind ent- standen. Es hat den Verband in seiner visuel- len Kommunikation zu einem sensiblen und reflektierten Umgang mit Kinderbildern ge- führt. Lesen Sie dazu „Mehr als 1.000 Worte?“ (ab Seite 13). Aber nicht nur Erwachsene machen sich ein Bild vom Kind, sondern auch Kinder und Ju- gendliche – vor allem von sich selbst. Wie sie sich sehen (und von anderen gesehen wer- den möchten), dokumentieren junge Men- schen mit zahllosen Selbstdarstellungen im Internet. Das „Selfie“ ist dort omnipräsent – nicht immer zur Freude der Eltern, wie der Beitrag „1080 x 1080 Pixel des Selbst“ veran- Jedem Menschen begegnen bildliche Dar- Wir erfahren vom veröffentlichten Bild zum schaulicht (ab Seite 16). stellungen von Kindern heute auf die eine Beispiel etwas darüber, wie das Kind gesehen oder andere Art ständig. Die einen betrachten wird. Von oben herab oder auf Augenhöhe? Die Kehrseite: Ebenso gern (und oft unbe- sie nur und denken sich ihr Teil. Andere ferti- Als Objekt oder Subjekt? Allein oder in Bezie- dacht) posten Eltern Bilder ihrer Kinder in so- gen sie an, viele präsentieren sie auch. Es ist zu hung zu anderen? Inszeniert oder in seiner zialen Netzwerken oder pflastern ihre Online- hoffen, dass auch sie sich dabei einen mög- Lebenswirklichkeit? Als reines Opfer von wid- Profile damit. Diese Praxis hat eine rechtliche lichst vernünftigen Teil denken. rigen Verhältnissen oder als Mensch mit enor- und eine persönliche Seite und wirft ebenso men Ressourcen? die Frage auf, ob die „veröffentlichten“ Kinder Bildnisse von Kindern waren noch nie wert- dabei ein Wörtchen mitzureden haben. „Wo- frei, sondern geben einiges preis. Sie erzählen Diese und andere Fragen sind insbesondere rum geht´s?“ finden Sie ab Seite 18. uns z.B. etwas über das Kind und seine Stel- für den Kinderschutzbund entscheidend, lung in der Welt. Sie verraten uns aber auch denn auch er nutzt Kinderbilder zuhauf für Viel Spaß beim Lesen! viel über diejenigen, die das Kind bildlich fest- seine Öffentlichkeitsarbeit. In ihr müssen sich Swaantje Düsenberg, Redaktion halten – und möglicherweise noch mehr Haltung und Leitbild des Verbandes wider- über jene, die Bilder vom Kind in irgendeiner spiegeln. Auch sein Bild vom Kind zeigt er Weise öffentlich machen. nämlich am Kind im Bild. Deshalb kommt dem DKSB insbesondere bei der Auswahl der Bildmotive hohe Verantwortung zu. 6 KSA 1.2020
Foto: Royal Collection Trust / © Her Majesty Queen Elisabeth II 2020 ANTHONIS VAN DYCK (um 1637): Die fünf ältesten Kinder Karls I. Royal Collection Trust, UK Das Kind in der Malerei Queen's Gallery, Windsor Castle, London Vom göttlichen Himmelswesen zur weltlichen Göre Der Erwachsene hat sich wohl stets ein Bild vom Kind gemacht, davon zeugt auch die Malerei. Die Oldenburger Kunsthistorikerin Birgit Denizel vollzieht hier vom Mittelalter bis heute nach, wie Kinder im Laufe der Zeit künstlerisch inszeniert wurden. Blickt man auf die Geschichte der westeuro- inhalte, die das Kinderportrait schon bald be- päischen Malerei, so ist der kleine Jesus Chris- liebt machen. Das Konterfei des eigenen tus wohl das Urbild aller Kinderdarstellungen. Nachwuchses war allerdings lange Zeit dem Von den Wänden der Kirchen kennen wir die Adel und den reichen Kaufmannsfamilien © Foto: Aleks49 / depositphotos goldglänzenden Bildtafeln, die Maria mit dem vorbehalten. Ein typisches Zeugnis dieser Gottessohn zeigen – nicht selten in Beglei- Bildnisse ist „Die fünf ältesten Kinder Karls I.“ tung von süßen Kinderengelchen. von dem flämischen Maler Anthonis van Das irdische Dasein hat jedoch in den Bildern Dyck (1599–1641). Repräsentativ in Szene ge- des Mittelalters keinen Platz, bis die Renais- setzt, tragen die kleinen Aristokraten pracht- sance die religiöse Weltauffassung ablöst. Mit volle Hofkleidung in Zwergengröße. Im Zen- der Wiederentdeckung der Antike rückt nicht trum posiert der Sohn, der seine Hand mit er- nur der Mensch ins Zentrum des künstleri- lernter Herrschergeste auf den Kopf des schen Interesses, sondern auch seine Sehwei- mächtigen Hundes legt. Die ältere Tochter se. Die Malerei wird naturgetreu. Es entstehen (ganz links) ist als künftige Braut mit Schmuck DEODATO ORLANDI vor 1331: Madonna und Kind realitätsnahe Schilderungen weltlicher Bild- ausstaffiert, die jüngere (rechts mit Baby) Louvre Museum, Paris 7
FRITZ VON UHDE (1889): Die Kinderstube, Hamburger Kunsthalle Statt kleine Erwachsene auf die Leinwand zu bannen, werden ihre Gesichter und Körper © Hamburger Kunsthalle/bpk, Foto: Elke Walford von den Künstlern individueller und altersge- mäßer gestaltet. Mit der „Entdeckung der Kindheit“, wie der französische Historiker Philippe Ariès diesen Bewusstseinswandel 1960 formuliert, richtet man den Kindern nun auch ein eigenes Zim- mer ein. Es entsteht Kinderbuchliteratur, und auch die Kleidung wird funktionaler, kurz: kindgerechter. Diese Entwicklung vermittelt „Die Kinderstube“ von Fritz von Uhde (1848– 1911), entstanden 1889. Das Ölgemälde zeigt seine Frau und seine drei Töchter. Die älteste unter ihnen ist wie die Mutter ganz in ihre Handarbeit versunken. Man erkennt sie an der Kleidung, sie trägt im Gegensatz zu ihren jüngeren Schwestern keine Schürze mehr. Die Kleinen toben ausgelassen mit ihren Pup- pen. Nebenbei bemerkt hat sich am Rollen- verständnis bislang noch wenig geändert. Gerade was das Spiel betrifft, manifestiert die Malerei das immer noch rollenspezifische Denken. Herzen die Mädchen nicht gerade übernimmt bereits die Rolle der umsorgen- Der neue pädagogische Ansatz bedeutet ei- ihre Puppen, hantieren sie mit kleinen Koch- den Mutter. Diese Miniaturausgaben ihrer El- nen radikalen Perspektivwechsel, der sich an herden, Töpfen und Backformen, während tern spiegeln sichtbar das damalige Verständ- den Werken der Kunst ablesen lässt. Die Er- sich die Jungen auf eine Welt der Selbstbe- nis von Kindheit wider. kenntnis von der kindlichen Wesenhaftigkeit hauptung vorzubereiten haben. In vielen Bil- Im Europa der Voraufklärung gelten Kinder mit ihrer Unschuld und Neugier führt zu ver- dern spielen sie mit einer Militärtrommel noch als unfertige Wesen auf der Vorstufe klärten Abbildungen von spielenden und ler- oder lassen Soldatenfiguren auf hölzernen zum Erwachsenen. Als „fertiger“ Mensch wer- nenden Kindern, von lebendigen Familien- Pferden in den Krieg ziehen. den sie allerdings weit früher wahrgenom- szenen oder Unterrichtsmomenten in Klas- Leider werden nicht alle Kinder in eine Wohl- men als heute, nämlich sobald sie sich selbst- senzimmern. Die Zeit des Posierens und Re- standswelt hineingeboren, wie Uhde sie zeigt. ständig fortbewegen, arbeiten und Kinder präsentierens ist weitgehend vorbei. Im Sin- Parallel zu derlei bürgerlichem Idyll setzt ab gebären können. Sodann haben sie den Fort- ne dieses neuen Zeitgeistes wandelt sich der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch bestand der Sippe zu sichern – oder im Falle auch das äußere Erscheinungsbild der Kinder. eine sozialkritische Sicht auf das Kind ein. der Kinder Karls I. einer ganzen Dynastie. Eine Kindheit im heutigen Sinne des Begriffs steht PAULA MODERSOHNBECKER (1904): Halbfigur eines Mädchens, den Arm um ein Kind gelegt Niedersächsisches Landesmuseum Hannover den jungen Menschen nicht zu. Es existiert noch gar kein Bewusstsein über diesen Le- bensabschnitt. Erst mit der Aufklärung entsteht ein diffe- © Foto: Landesmuseum Hannover/ARTOTHEK renzierterer Begriff von Kindheit. 1762 wird ein Bildungsroman zum Paradigma der mo- dernen Sichtweise auf das Kind. Geschrie- ben vom Franzosen Jean-Jacques Rousseau (1712–1778), erzählt „Émile oder Über die Er- ziehung“ von einem jungen Zögling Rousse- aus, der mit jeglicher Freiheit zur Selbstentfal- tung seinen Interessen nachgehen darf. Da- bei hebt Rousseau die Kindheit als Naturzu- stand des Menschen hervor. Erstmals wird der kleine Mensch als Individuum mit persön- lichem Charakter erkannt, das seine eigenen Talente, Vorlieben und Abneigungen hat. Diese müssen jedoch in die richtigen Bahnen gelenkt werden. Wohlwollend fungiert der Erzieher mehr als Freund denn als Lehrer, und der Junge lernt nicht durch Strafe, sondern durch Spiel und Erfahrung. 8 KSA 1.2020
Künstler suchen die Ballungszentren der In- © Foto: Museum Europäischer Kulturen der Staatlichen Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz dustrialisierung auf und prangern die Armut der Arbeiterfamilien an. Bekannt sind die düsteren Zeichnungen und Grafiken von Kä- the Kollwitz (1867–1945), die das Elend von Kindern zu einem Hauptgegenstand ihrer Werke macht. Andere wie Max Liebermann oder Gotthard Kuehl widmen sich dem Alltag der Waisenhäuser. Als Pionierin der Moderne zielt Paula Moder- sohn-Becker (1876–1907) auf etwas anderes ab. Mit künstlerischer Intention will sie eine ursprüngliche Wesenhaftigkeit des Kindes mit universeller Gültigkeit sichtbar machen. Angeregt durch die französische Avantgarde, zeichnet sich ihre Bildsprache durch einfache Formen mit klaren Konturen aus. Auch Mo- dersohn-Becker besucht Armenhäuser oder Feldarbeiterfamilien – allerdings unter ande- ren Vorzeichen: Sie findet dort ihre Modelle. Auf die Leinwand übertragen, sind die Figu- ren oft isoliert in Frontal- oder Profilansicht dargestellt. Auf erzählendes Beiwerk verzich- tet die Malerin. Motivisch konzentriert, hebt sie beim Anblick der „Halbfigur eines Mäd- chens, den Arm um ein Kind gelegt“ die noch WILFRIED FALKENTHAL (1981/1982): Veronikas Mannschaft, Ölgemälde, Standort unbekannt unsichere Bewegung des Kleinkinds hervor, das von dem älteren Mädchen beschützend andernfalls sind die Kinder in die Bilderzäh- rote Haare hervor. Wer muss da nicht an Pippi gehalten wird. lung eingebunden. Bis hin zu den faschisti- Langstrumpf denken? Und dennoch ist alles Im 20. Jahrhundert angekommen, sind Inhal- schen Idealbildern der 1930er und 1940er in diesem Bild wieder nur Pose. Mit umge- te des Kinderbildes im Grunde gleich geblie- Jahre dienen sie dem Ausdruck ihrer jeweili- kehrten Rollen zitiert Falkenthal humorvoll ben. Angesichts unterschiedlicher künstleri- gen Zeit. das Kinderporträt feudaler Zeiten. scher Strömungen unterscheiden sich die Ar- Das„Knabenbildnis“ von Kurt Günther (1893– In rund 500 Jahren wandelte sich das Kind beiten nur stilistisch von vorigen Werken. Wei- 1955) wirkt auf den ersten Blick wie ein typi- im Bild vom instrumentalisierten Vorzeige- terhin existieren klassische Porträts, nicht sel- sches Werk aus der Ära der Neuen Sachlich- objekt zum Erdenbürger der Jetztzeit, der ten von den Sprösslingen der Künstler selbst, keit, einer Kunstform der Weimarer Republik, auf die heutigen Anforderungen der tech- die eine starke Objektivität für sich rekla- nokratischen Gesellschaft reagieren muss. KURT GÜNTHER 1928: Knabenbildnis miert. Zu sehen ist Rolf Schoder, der Sohn des Thematisch lösen die äußeren Lebensbedin- (Portrait Rolf Schoder), Berlin, AMB, Nationalgalerie Thüringer Architekten Thilo Schoder. Der Va- gungen die Intention der Wesenseinfühlung ter gilt als einer der konsequentesten Vertre- ab. 2002 macht der 1931 in London gebore- ter der Bauhaus-Architektur. Zurückgelehnt, nen Malcolm Morley bildnerisch auf das mit verschränkten Armen sitzt uns der Junge Schicksal vieler Mädchen aufmerksam, die gegenüber. Sein Blick wirkt so analytisch schon in jungen Jahren zwangsverheiratet scharf und entscheidungsstark, wie man es werden. In hyperrealistischer Malweise zeigt © Foto: akg-images vom Sohn eines berühmten Architekten er- „Tent and Child“ ein afghanisches Mädchen wartet. 1928 gemalt, war der Junge zu dem vor einem Zelt. Sie blickt auf eine Personen- Zeitpunkt gerade mal sieben Jahre alt. gruppe, die sich aber nur als Schatten be- Knapp 60 Jahre später begegnet uns das Bild- drohlich auf der Zeltwand abzeichnet. nis von „Veronikas Mannschaft“. Es stammt In den Museen und Kunsthallen ist das Kin- vom 1942 im brandenburgischen Baruth ge- derbildnis bis heute kein dominantes Genre. borenen Wilfried Falkenthal, der Kunstpäda- Vielleicht, weil ihm das Image einer rührseli- gogik studierte, bevor er an der Leipziger gen Gattung anhängt oder weil ihm der Zwei- Hochschule für Grafik und Buchkunst das Stu- fel an der Authentizität anhaftet. Vermitteln dium für freie Malerei absolvierte. Sein Ge- die Werke tatsächlich das Wesen oder Le- mälde„Veronikas Mannschaft“ von 1982 zeigt bensgefühl der Kinder? Oder erzählen sie ein Mädchen inmitten einer Gruppe von drei nicht vielmehr etwas über die Sichtweise der Jungen und einem Hund. Frech und selbstbe- KünstlerInnen selbst? So bleibt es doch stets wusst dargestellt, ist Veronika die Anführerin der Blick der Erwachsenen, der unser Bild der Bande. Wie auf einem Thron sitzt sie auf vom Kind prägt. dem Baumstumpf. Unter ihrem Hut schauen 9
Das Kind in der Fotografie Foto: Povozniuk/istock Foto: M. Holdt Blick ins Familienalbum Von Kamera-Ungetümen in Fotostudios über Kleinbild-Geräte für die Jackentasche bis hin zu Digitalkameras und deren Nachfolger, dem allgegenwärtigen Smartphone, bietet die Fotografie seit über 150 Jahren die Möglichkeit, Bilder von uns und unseren Liebsten zu machen. Mit der Entwicklung der Gesellschaft und der fortgeschrittenen Kamera-Technik haben sich auch Kinder- und Familienfotos gewandelt. Oder? Als die Fotografie Anfang des 19. Jahrhun- Vor allem die Kinder litten unter dieser Art der sondere Accessoires wie eine Tasche, auf die derts noch in Kinderschuhen steckte, war die Fotografie – still sitzen? Und dann noch allei- man stolz ist, eine Pfeife, die für Weltläufigkeit Aufnahme eines Menschen in seinem Leben ne? Damit eine Baby-Aufnahme doch noch stand, oder das teure Lieblingsspielzeug der eine Rarität. Nur wenige konnten es sich leis- gelang, griffen einige Profis zu einem Trick: Kleinen geben neben den bevorzugten Sonn- ten, mit Kind und Kegel zu einem professio- Weil sie wussten, dass sich ein Kleinkind auf tagskleidern Einblicke in das Selbstbild der nellen Fotografen ins Atelier zu gehen. Dort dem Schoß der Mutter am ruhigsten verhält, damaligen Familie. Ihr individuelles Selbstver- hieß es stocksteif stillsitzen, bis alles im Kasten „versteckten“ sie die Mutter kurzerhand unter ständnis wurde auch daran deutlich, ob nur ist. Die Bilder waren Unikate. und hinter Stoffen, tarnten sie für den Be- die „Kernfamilie“ (Mutter, Vater, Kinder) zu se- Erst um 1840 erfand Henry Fox Talbot das trachter als Sessel, hinter Gardinen oder unter hen ist oder es sich um ein „erweitertes“ Grup- Negativ-Positiv-Verfahren. Damit konnten einem Mantel. penbild mit Großeltern und sonstigem An- Bilder vervielfältigt werden. Wir kennen sie hang handelt. aus alten Alben, diese blau-gräulichen oder ABSICHTSVOLL Die Bilder zeigen meist die von den Familien gelblichen Aufnahmen mit den tiefernsten Auch alle anderen Fotos wurden inszeniert gewünschte Darstellung, ein authentisches Gesichtern der Kinder und unnachgiebigen und erinnerten an die Malerei, die sie nach Alltagsabbild des Familienlebens geben sie Blicken der Erwachsenen. Noch immer po- und nach ablösten. Diese Konstruktion der Fa- nicht wieder. Hinter den arrangierten Berüh- sierte man starr und steif, aber doch stets milie wurde bewusst und sorgfältig geplant rungen – etwa der obligatorischen Hand auf würdevoll und meist im Sonntagsstaat. Die und durch Regieanweisungen umgesetzt. der Schulter, die Beziehung oder Hierarchien Höhe des damaligen Spaßfaktors steht allen Wer steht neben wem, wer flankiert das En- dokumentierte –, steht die Deutungshoheit ins Gesicht geschrieben. semble, wo werden die Kinder platziert? Be- über das, „was Familie ist“ bzw. was fotogra- 10 KSA 1.2020
Foto: azgek/istock fier-würdig erscheint: Sie lag stets bei den Er- bum. Sorgfältig geordnet, kommentiert und wachsenen. Auch die Darstellung von Kin- beschriftet, bezeugten die Aufnahmen bei dern ist so zu sehen: Ihre Unterordnung unter jeder Gelegenheit die Ahnen- bzw. Familien- die Autorität der Eltern steht an höchster Stel- geschichte zur Vergewisserung der Herkunft. le. Während Babys und Kleinkinder wohl vor- Aufgrund technischer Neuerungen hielt die rangig gehorsam, aber niedlich zu wirken hat- Fotografie Anfang des 20. Jahrhunderts im- ten, charakterisierten Diszipliniertheit und mer mehr Einzug ins Familienleben. Bei den Wohlerzogenheit die Posen der älteren Kin- privaten Aufnahmen bediente meist der Va- der: Jungen ahmten nicht selten die Haltung ter nicht nur den Auslöser, sondern war als des Vaters nach und Mädchen, ganz in tradi- „Sippenoberhaupt“ auch Regisseur der Fa- tioneller Geschlechterrolle, behüteten ihre miliencollage. So konnten hier ganz nach jüngeren Geschwister. dem Kodak-Motto „Sie drücken den Knopf, wir machen den Rest“ quasi überall Aufnah- VORZEIGBAR? men entstehen, die etwas mehr vom Alltags- Warum haben sich die Menschen damals ab- leben preisgaben. lichten lassen – und wie „öffentlich“ wurden Spätestens in den 1950er Jahren entwickelte die Bilder? Sie fanden ihren Weg in die „gute sich das Fotografieren dann zu einem Mas- Stube“ an die Wand oder auf den Kaminsims. senphänomen: Wesentlich leichtere Kame- Von dort blickten die Fotografierten mit erns- ras verleiteten dazu, Spontaneität statt Kon- ter Miene auf die Familienmitglieder. Als Er- struktion beim Fotografieren den Vorzug zu mahnung? Als Vorbild? Als Andacht? Das bür- geben. Nun begannen Gefühle und alltägli- Wenn es die Bilder nicht in eine Präsentation gerliche Familienporträt diente vor allem che Motive zu dominieren. Reisebilder, Ur- schafften, verloren sie sich ungeordnet in auch dazu, die dargestellte Familie mit den laubsfotos und Schnappschüsse von wichti- Schuhkartons. Es schien, als schrumpfe die Betrachtern zu einer moralischen Einheit zu gen Ereignissen konnten jetzt sogar in Farbe Qualität der Aufbewahrung mit der steigen- verbinden. Für Gäste dienten die Fotos als auf Filmen gebannt werden. den Zahl der Aufnahmen. Ein Trend, der sich gutes Aushängeschild, standen repräsenta- Fotoapparate und ihre Produkte wurden zum zum Jahrtausendwechsel noch verstärkte, tiv dafür, wie würdevoll die Eltern, vorzeigbar allgegenwärtigen Alltagsbegleiter mit vielen denn die digitale Fotografie wurde alltags- die Kinder sind. Facetten. Was der eine zum Hobby erkor, be- tauglich. Leicht zu bedienende Kompaktka- Die visuelle Familieneinheit betonte Gebor- deutete für andere bisweilen zähe, meist mit meras und von Jahr zu Jahr größer werdende genheit, in der soziale Probleme oder inner- Salzstangen und Wein garnierte vorabendli- Speichervolumina verbesserten die Bildqua- familiäre Konflikte keinen Platz hatten. Per che Qualen: die berühmt-berüchtigten „Dia- lität. Gleichzeitig sanken die Kosten pro Foto, Post an die ganze Verwandtschaft geschickt, abende“ bei den lieben Freunden. Das glück- und niemand musste mehr warten, bis Film konnte eine Fotografie eines der wenigen liche Kind am Strand, die fröhliche Geburts- und Abzug entwickelt waren. Jeder prüfte dauerhaften Erinnerungsstücke der Familie tagsgesellschaft vor üppiger Torte und ande- kurz auf dem Display und schoss sicherheits- sein und war oftmals stolzer Besitz, der gern re „vorzeigbare“ Familienerlebnisse sollten halber das eine oder andere zusätzliche Bild. – gefragt oder ungefragt – auch Besuchern neben malerischen Landschaftsaufnahmen Was nichts taugte, wurde meist gleich ge- unter die Nase gehalten wurde. Der bevor- („Wir in Tirol“) und bekannten Sehenswürdig- löscht. Die Masse der produzierten Fotos war zugte Ort der Aufbewahrung und genealogi- keiten („Wir vor dem Eiffelturm“) Erstaunen, zu gewaltig für die Kapazität von Fotoalben; schen Inszenierung war das private Fotoal- klammheimlich aber genauso Neid der Gäste nur handverlesene Aufnahmen schafften es auf das präsentierte Familienidyll auslösen. als Print auf Papier und in einen Rahmen oder ins Fotobuch. Der Rest blieb auf der TRÜGERISCH Festplatte oder gleich auf der SD-Karte, die Foto: Thomas Max Müller War der Status Kindheit in der frühen Fotogra- dann in einem Karton landete – wie einst die fie häufig nur über Kleidung und Position aus- Papierbilder. zumachen, so durften die Kleinen jetzt auch schon mal Fratzen ziehen oder im Matsch WEGBEGLEITEND „ spielen. Doch der Schein dieser Aufnahmen Bilder waren und sind auch Wegbegleiter. In war trügerisch – denn immer noch herrschte meinem Fall dokumentieren sie seit 1990 bis ein Erziehungsstil vor, der Kindern Gehorsam in die 2000er Jahre auf Papier bunte Momen- abverlangte und vielfach auch handgreiflich te meiner Entwicklung, z.B.: das zahnlücken- durchgesetzt wurde. übersäte Lächeln zur Einschulung, experi- mentelle Frisuren zu wilden Tattoo-Ketten Die Bilder zeigen meist und viele gestellt angeödete Blicke, wie man sie während der Pubertät hegt und pflegt. die von den Familien Aber während Fotos heute fast lücken- und gewünschte Darstellung, ein pausenlos in aller Öffentlichkeit das Leben authentisches Alltagsabbild preisgeben, ist die Sache mit den Schul- und Vereinsfotos schwieriger geworden. Die 2018 des Familienlebens geben in Kraft getretene Datenschutz-Grundver- sie nicht wieder. ordnung führte dazu, dass eine Einverständ- 11
niserklärungen von den Erziehungsberech- gegenüber ihrem Nachwuchs dienen. Aber tigten eingeholt werden muss, damit Kinder was macht die inflationäre Masse der Bilder ck isto in Schule, Kita und Verein abgelichtet wer- mit den Kindern selbst? Möglicherweise wei- na/ hani den dürfen. Die Debatte um das Persönlich- tet sie in späteren Jahren die Erinnerungen Foto: S keitsrecht des Kindes ist recht jung und wird auf die frühen Jahre künstlich aus. Selbst wer größtenteils von der Dominanz der Smartpho- als Erwachsener von seiner Einschulung oder nes und der Nutzung sozialer Medien ange- der Kinder-Pyjama-Party nichts mehr weiß – trieben. die Fotos prägen sich an der Leerstelle fest ins Foto: fashayan/istock Gedächtnis ein. Wie ein Daumenkino schmel- zen sie zu einer fließenden Erinnerung zu- sammen. Und was ausnahmsweise nicht fo- tografisch gebannt wurden, dichtet das Ge- hirn einfach hinzu oder wird durch Kommen- tare der Eltern zu den Bildern in eine Narrati- on des eigenen Lebens verwandelt: „Schau Warum sind wir heute bloß so versessen da- mal, dieser Teddy hat dir immer gegen die rauf, nicht nur uns selbst, sondern auch unsere Angst geholfen!“ Familie und Kinder der gesamten Welt zu zei- Die heutigen Kinder sind die erste Generation, gen? Die Antwort darauf war zu Beginn der die sich selbst beim Aufwachsen zuschaut. Familienfotografie im 19. Jahrhundert wohl Das ständige Geknipse ist für sie stellenweise kaum anders als heute: Repräsentationsbe- so „normal“ geworden, dass sie beim elterli- dürfnis und die Familie als Identifikationsan- chen Zücken des Handys oder der Kamera gebot. Jutta Wiesemann, Professorin für Erzie- manchmal wie automatisiert in die Kamera hungswissenschaft an der Universität Siegen, lächeln. Ganz zu schweigen von der Tatsache, nennt es „die Arbeit am Selbstbild und damit dass sich andauernd ein Apparat zwischen sie ÖFFENTLICH auch an der Identitätsbildung“, die halt heute und die Eltern schiebt. Fotos statt Beziehung. Aber anders als öffentliche Stellen scheinen und noch mehr in der Zukunft über „dieses Die meisten Kinder sind wahrscheinlich den- manche fotografierende Eltern in dieser Frage digitale Material“ läuft. Es scheint, dass Fotos noch stolz, wenn sie fotografiert werden. kaum Grenzen zu kennen. Sie präsentieren ih- Familien und Kinder in Objekte des Kommu- Denn das bedeutet für sie auch: „Du bist mir re Kinder via Internet der ganzen Welt, kaum nikationsanspruchs verwandeln; die Masse wichtig, deshalb mache ich mir ein Bild von dass diese das Licht derselben erblickt haben. an digitalen Bildern vermittelt Familienglück, dir“. Und wenn dann noch Opa und Oma live Selbst jede Geburtsphase ist manchen einen Wohlstand und neue bürgerliche Werte. Aber: zuschauen … Das ist nämlich eine weitere Fa- „Post“ wert. Das „erste Bild von unserem Die nach außen so perfekt abgebildete Fami- cette dieser neuen Praxis der Fotografie: Die Zwerg“ finden völlig Fremde soooo süüüüß, lienwelt ist nicht nur das Produkt gesellschaft- Teilhabe am alltäglichen Familienleben ist was sie mit Kommentaren und Likes auch licher Erwartungen, sondern übt auch hohen nicht mehr ortsabhängig. Fotos und Videos kundtun. Wie könnte sich ein Kind dagegen gesellschaftlichen Druck auf Familien aus, per WhatsApp lassen Verwandte und Freunde wehren? Es sind Eltern, die über das Persön- stets glücklich sein und eine funktionale Be- teilnehmen am Kinderleben – und manchmal lichkeitsrecht und das Erscheinen ihres Nach- ziehung zwischen allen Familienmitgliedern sind sie per Video-Stream sogar mittendrin. So wuchses auf Fotos in der Öffentlichkeit ent- haben zu müssen. wird das digitale Familienalbum zu einer digi- scheiden, nicht die Kinder selbst. talen Familienzusammenführung. Ordentliche Linsen, fette Objektive und im- OPTIMIERT? Robert Zimmermann, mer schlauere Programme verbessern die Die Selbstoptimierung überstrahlt auch die Kommunikationsdesigner, Berlin Qualität der Handy-Fotos heute in atembe- Tatsache, dass Kinder heute oft in allen Le- raubendem Tempo. Ruckzuck werden sie auf benslagen von ihren Eltern fotografiert wer- Foto: hipokrat/istock Plattformen wie Facebook, Instagram oder den – beschmutzt, weinend oder in peinli- Snapchat zur Schau gestellt. Die Grenzen zwi- chen Situationen, nachdenklich, spielend schen Privat und Öffentlich scheinen kaum oder schlafend. Zudem gelten so hohe An- mehr existent zu sein. sprüche, dass die Frage gerechtfertigt ist: Neben Urlaubsfotos als dominierender Gat- Kann man den Bildern trauen? Etliche Platt- tung nehmen laut einer Studie Familien- und formen haben bereits eingebaute Verfrem- Kinderfotos heute knapp 50 Prozent des Spei- dungs- und Optimierungsoptionen, dutzen- cherplatzes auf privaten Smartphones ein. de Programme ermöglichen Bildbearbei- Drei von vier Neugeborenen tauchen schon tung, eines hat es als Synonym schon zum kurz nach ihrer Geburt im Internet auf, 64 % Verb gebracht: Es wird „gephotoshopt“. Wer der befragten Eltern posten mindestens drei- z.B. bei der Feier abwesend war, wird nach- mal in der Woche ein Foto von ihren Kindern. träglich eingefügt – ins Bild und damit in die Auf vielen Accounts dienen Baby-/Kinderfo- Familienerinnerung. tos und Familienbilder als Profilbilder. Zu die- Die lückenlose fotografische Dokumentation ser Praxis gibt es mittlerweile aber auch einen einer heutigen Kindheit könnte Eltern auch Gegentrend. als eine Art vermeintlicher „Sorgfaltsbeleg“ 12 KSA 1.2020
Foto: Liderina/istock Bildsprache im DKSB Mehr als 1.000 Worte? Auch für den Kinderschutzbund ist die Verwendung von (Kinder)Bildern seit jeher ein Thema. Schon weil er sie für seine intensive Öffentlichkeitsarbeit nutzt. Darin spiegelt sich auch sein Bild vom Kind. Neulich in Deutschland: Frau Mantey erfährt der Bundesfachausschuss Medien des DKSB chen und Jungen in verschlissener Kleidung durch einen Flyer vom Elternkurs Starke El- in einer neuen Handreichung. Sie widmet und miserablen Unterkünften und oft auch tern – Starke Kinder®. Herr Yilmaz bekommt sich einem speziellen Aspekt der Öffentlich- mit Schlüssel um den Hals auf der Straße. Die als DKSB-Mitglied regelmäßig die Verbands- keitsarbeit: der Verwendung von Bildmaterial Fotos führten hauptsächlich Bedarfe vor Au- zeitschrift Kinderschutz aktuell. Frau Wendler im DKSB. Dort heißt es: „Bilder sind für den gen und waren mit Forderungen und Infor- betrachtet in der Geschäftsstelle eines Orts- Verband eine stilistische Möglichkeit, mationen des DKSB verknüpft. verbandes ein großformatiges Plakat zu den M komplexe Informationen prägnant Im Laufe der Jahrzehnte änderten sich die Kinderrechten. Delegierte stöbern auf den und anschaulich zu vermitteln, Themen rund um das Aufwachsen von Kin- Kinderschutztagen im druckfrischen Jahres- Mfachliche Inhalte für eine breite Öffent- dern in Westdeutschland, wie sich überhaupt bericht des Bundesverbandes. Ein Politiker lichkeit verständlich aufzubereiten, das Land und auch der DKSB wandelten. surft durch die soeben relaunchte Website ei- Mnotwendige Entwicklungen in Gang Doch eines hielt sich in der Öffentlichkeitsar- nes Landesverbandes. Eltern und Kinder be- zu setzen und zu begleiten.“ beit des Verbandes – auch in KSA – bis in die trachten auf dem Flur eines Kinderhauses 1980er Jahre hinein: Schwarz-Weiß-Bilder, die Blauer Elefant® die Fotoausstellung über ak- HALTUNG IM BILD in teilnehmender Beobachtung schwierige tuelle Aktivitäten. Seit seiner Gründung war die Programmatik Lebenssituationen von Kindern aufzeigen. Im Der Kinderschutzbund kommuniziert auf al- des Kinderschutzbundes nie losgelöst von weitesten Sinne lässt sich dieser Stil in die So- len Kanälen. „Um die Anliegen des Gesamt- gesellschaftlichen Strömungen, Einstellun- zialfotografie einordnen. Deren eindringliche verbandes und die Angebote in den Regio- gen und Problemlagen, die die Entwicklung Bildsprache zeigt nicht Makel, sondern Man- nen bekannt zu machen und so eine breite von Kindern und Jugendlichen beeinträchti- gel und bewegt sich zwischen emphatischer Öffentlichkeit für die Lebenslagen von Kin- gen. Der DKSB hat seine Haltung dazu stets Dokumentation und konkreter Anklage von dern, Jugendlichen und Familien zu sensibili- ins Bild gesetzt, die verwendeten Fotos zei- gesellschaftlicher Ungleichheit und inakzep- sieren, nutzt der Verband unterschiedliche gen meist Kinder ihrer Zeit. In den Anfängen tablen Lebensverhältnissen. Formen der Öffentlichkeitsarbeit“, schreibt des DKSB waren das z.B. notleidende Mäd- 13
Foto: cloverphoto/istock IM BILD EINGEFANGEN: Gefühle als closeup, Zusammenhalt mit Symbolkraft, Lebensfreude Ein jüngeres Beispiel dafür sind die Materia- im Ausschnitt, Vielfalt als Blickfang lien der Kinderschutzbund Marketing GmbH für die nationale Jahreskampagne 2011 des Bundesfachausschuss Medien auf den Punkt. Verbandes zur Gewaltprävention. „Kleine See- Deshalb sollten sich alle Beteiligten stets fra- le. Großer Schmerz.“ wurde von der POINT gen: Welche Botschaft vermitteln wir durch Werbeagentur nach eigenen Aussagen „be- das Bild? Und stimmt sie auch mit dem Leit- wusst emotional“ u.a. in Anzeigen, Plakaten bild und den Grundorientierungen unseres und Postkarten umgesetzt. Einiges davon Verbandes überein: der Orientierung an der kann noch heute beim DKSB bestellt werden, Kinder-, Familien- und Lebenswelt sowie der darunter das Motiv „Mädchen“. Es zeigt ein Stärkung der Ressourcen? Gemeint ist damit: großformatiges Kindergesicht in schwarz- Wir sollten die Werte und Ziele des Kinder- weiß, das halb im Schatten liegt und ernst, fast schutzbundes in eine eigene positive Bild- trotzig nach oben blickt. Aus dem linken Auge sprache „übersetzen“. rinnt eine rote Träne. Die Botschaft: „Keine Ge- walt gegen Kinder!“, dazu ein Spendenkonto. QUADRATUR DES KREISES Zum Beispiel bei einer Spendenakquisition: „Die Kampagne hat sehr stark polarisiert und Angemessene Bilder auszuwählen ist schwer, Aus gutem Grund verzichten wir zu diesem wachgerüttelt und damit erfolgreich für unse- gerade wenn es schwierige Themen wie etwa Zweck heute auf emotionsgeladene Texte re Ziele gearbeitet“, sagte der damalige Ge- Gewalt in der Erziehung zu illustrieren gilt. und Mitleid erregende Fotos, sondern über- schäftsführer der Marketing GmbH. Schauen wir zurück auf Frau Mantey, die ge- zeugen SpenderInnen mit der Qualität und rade den Flyer über den Elternkurs Starke El- den Effekten unserer Arbeit sowie mit Bil- PASST DIE BOTSCHAFT? tern – Starke Kinder® in Händen hält. Sie hat dern, die davon zeugen. In seinem aktuellen Papier „Verwendung von Probleme mit ihren Kindern, fühlt sich oft Schwerer zu illustrieren ist das Thema Armut. Bildmaterial im DKSB“ stellt der Bundesfach- überfordert. Dann gehen ihr schon mal die An zerschlissener Kleidung lässt sie sich heu- ausschuss Medien richtig fest: „Wir wissen, Nerven durch. Aber würde Frau Mantey einen te jedenfalls nicht mehr festmachen. Deshalb dass Bilder (...) die Kraft textueller Aussagen DKSB-Elternkurs besuchen, wenn auf dem wird hier gern zum symbolischen Bildmotiv steigern können und den Prozess der Mei- Flyer ein sich angstvoll wegduckendes Kind eines vereinzelten Kindes inmitten von Wohn- nungs- und Bewusstseinsbildung beeinflus- abgebildet wäre? Oder würde sie sich eher silos oder Plattenbauten gegriffen. Aber was sen. Der Einsatz von Bildern mobilisiert Men- vom DKSB unterstützen lassen, wenn das Fo- löst ein solches Foto bei Kindern und Familien schen emotional und erhöht dadurch u.a. ihre to ein gelingendes Miteinander in der Familie aus, die in vergleichbaren Quartieren leben? Bereitschaft, sich aktiv einzubringen (...).“ zeigte? Yasmin (11) zum Beispiel wohnt auf der Sil- Tatsächlich kann uns Menschen nichts so in Es ist also keineswegs beliebig, welche Abbil- berhöhe, einem Stadtteil im Süden von Hal- Wallung bringen wie ein Bild. Es wirkt unmit- dung wir für unsere Öffentlichkeitsarbeit nut- le/Saale. Hier lebt jedes dritte Kind unter 16 telbar und sofort auf unser Unterbewusst- zen, zumal nichts Geringeres auf dem Spiel Jahren von Hartz IV. Aber sie haben hier auch „ sein, löst Stimmungen aus, ruft Assoziationen steht als die Glaubwürdigkeit des Kinder- ihre Freunde, ihre Familien, Kitas, Schulen – und Einstellungen hervor. schutzbundes. Daher sind drei Fragen zentral: und einen wirklich tollen Kinderschutzbund! Genau deshalb muss gut überlegt sein, wel- M Was bilden wir ab? Glaubt der jetzt etwa, dass wir hier alle arm ches Foto der Kinderschutzbund wo auch im- M Wie bilden wir es ab? sind? Diese Lesart des beschriebenen Bildes mer öffentlich verwendet. Denn: „Das Kind im M Welche Wirkung rufen wir damit hervor? würde Yasmin und den anderen bestimmt Bild ist unser Bild vom Kind“, bringt es der Und bei wem? kein gutes Gefühl machen! Bilder sind eben nicht nur Beiwerk von Tex- Es ist keineswegs beliebig, welche Abbildung der ten, sondern sprechen selbst eine beredte Kinderschutzbund nutzt, zumal nichts Geringeres Sprache. Ob sie allerdings immer so verstan- auf dem Spiel steht als seine Glaubwürdigkeit. den werden, wie es gemeint ist, steht auf ei- nem anderen Blatt. Gerade beabsichtigte Symbolwirkungen von Fotos können unter- schiedliche Vorstellungen und Gefühle her- vorrufen. Das gründet in den verschiedenen Foto: Wavebreakmedia/istock Vorerfahrungen und Deutungssystemen der Betrachter. ANFORDERUNGEN ANS BILD Ob digital oder als Print – kaum jemals steht ein vom DKSB veröffentlichtes Bild solitär, sondern ist meist eingebunden ins Layout ei- nes Textes. Beides muss ausgewogen und aufeinander bezogen zu einer Gesamtkom- position zusammengeführt werden. Darü- ber hinaus gibt es weitere Anforderungen ans Bild, z.B.: 14 KSA 1.2020
Foto: gpointstudio/istock Foto: Nadezhda1906/istock Foto: Rawpixel/istock MWie scharf muss es sein? Grundsätzlich zieren Sie das Hauptmotiv dabei nicht in der diglich die Überschrift eines Textes illustrie- möglichst bitte nicht verwackelt. Dennoch ist Mitte, sondern rücken sie es etwas an die Sei- ren. Oder wegen technischer Mängel keine es manchmal effektvoll, wenn ein Foto in Teil- te oder nach oben bzw. unten. Das erzeugt Gefühle erzeugen. Manche Fotos sind auch bereichen unscharf ist und nur das Hauptmo- mehr Spannung. Einfach mal ausprobieren unglaubwürdig, weil sie zu offensichtlich ei- tiv, z.B. das lachende Gesicht eines Kindes, und auf sich wirken lassen! ner US-amerikanischen Fotoagentur entnom- deutlich heraussticht. Auch Bewegungsun- men wurden und mit zu viel heiler Welt daher- schärfe kann sehr lebendig wirken. MNahaufnahme oder Totale? Das kommt kommen. Manche Motive sind kraftlos, weil auf die gewünschte Aussage an. Die Gesamt- man sie woanders schon vielfach gesehen MAußerdem beachten: In einem Internet- aufnahme (Totale) einer Szene übermittelt hat. Wieder andere verwirren uns, weil auf ih- auftritt eingebundene Fotos benötigen eine viele Informationen. Im Beispiel tobender nen alles Mögliche abgebildet ist – und doch geringere Datenmenge als jene, die in einer Kinder auf dem Schulhof erzählt das Bild re- nichts. Broschüre, einem Flyer oder in KSA veröffent- portagehaft etwas darüber, wo die Kinder licht werden sollen. Damit sie im Druckergeb- sind, was sie tun – und dass sie es gemeinsam MDeshalb: Wählen Sie ein Bild mit der glei- nis brillieren wie auf der Website, nicht „aufpi- tun. Hier ist der Betrachter Beobachter aus ei- chen Sorgfalt aus, mit der Sie einen Text for- xeln“ oder nur im Briefmarkenformat scharf ner gewissen Entfernung. Eine Nahaufnahme mulieren. Und lassen Sie vor einer Veröffentli- erscheinen, sind höher auflösende Dateien (close-up) zieht uns stärker ins Bild, weckt chung ruhig auch andere auf das Foto schau- nötig. Im Zweifelsfall wissen Druckereien Aufmerksamkeit und meist auch mehr Emo- en – Sie werden sich wundern, wie unter- oder Grafikagenturen, ob Sie mit einer ausge- tion. Beim Anblick einer lachenden kleinen schiedlich die Eindrücke sein können, gerade wählten Bilddatei ein gutes Druckergebnis Stupsnase, auf der Sommersprossen tanzen, bei Kindern! erzielen können. fühlen wir uns dem abgebildeten Kind und seinem Lebensgefühl im wahrsten Sinne des MViele Orts- und Kreisverbände wissen: MIns Licht gesetzt: Lichtdurchflutete Fotos Wortes näher. Bei verschiedenen Portalen kann man sich im vermitteln viel Leichtigkeit, dunkle Bilder ver- Internet auch Fotos kostenlos herunterladen. breiten eher geheimnisvolle, zuweilen auch MVielfalt zeigen: Der DKSB hat mit vielen Sehr beliebt ist hier z.B. Pixabay. Doch Vor- düstere Stimmung. Normale Tageslicht-Auf- verschiedenen Mädchen und Jungen zu tun. sicht! Studieren Sie vor der Veröffentlichung nahmen besitzen viel Authentizität und sind Das soll sich möglichst auch auf seinen Fotos eines kostenlos angebotenen Bildes jeweils meist eine sichere Bank. Noch ein Tipp für fo- widerspiegeln. Aber wie, wenn wir nicht die genau die dazugehörige Lizenz. Und bleiben tografierende KinderschützerInnen: Abgebil- tatsächlichen Kinder aus unseren Angeboten Sie zurückhaltend, wenn es sich um Perso- deten Personen sollte nicht das volle Sonnen- zeigen wollen? Was macht unterschiedliche nen- bzw. Kinderbilder handelt. Sie wissen licht ins Gesicht fallen. Sonst gibt’s zugeknif- soziale und kulturelle Herkünfte sichtbar? nämlich nicht, ob das Foto vom tatsächlichen fene Augen und außerdem zu flächige Ge- Hier sollte der Kinderschutzbund nicht selbst Urheber eingestellt wurde – und ob die abge- sichtszüge! Vorurteilen aufsitzen – denn Haar- und Haut- bildeten Personen (oder deren Erziehungs- farbe, die Form von Augenbrauen oder Be- berechtigte) einer Veröffentlichung zuge- MAuf Hintergründe achten: Das Haupt- schaffenheit von Kleidung sagen meist gar stimmt haben (sog. Modellrelease). Hier gilt: motiv eines Bildes, z.B. ins Spiel versunkene nichts über die persönlichen Erfahrungen Wer ein Foto nutzt (also Sie z.B. für Ihren Fly- Kinder, kann anrühren. Wenn im Hintergrund und Hintergründe eines Kindes aus. er), der ist verantwortlich. jedoch Linien, Objekte oder andere Elemente stören, mindert das die Bildqualität. Deshalb: MMotive finden: Manche Fotos sind unan- MRechtsfragen müssen vor der Veröffentli- Stets auch auf die Motivumgebung achten gemessen. Weil sie die Würde des Kindes ver- chung eines Bildes immer abgeklärt sein. Da- und ggf. einen Ausschnitt wählen. letzten. Oder Missstände wie soziale Unge- zu gehört der Datenschutz genauso wie das rechtigkeit reißerisch skandalisieren. Oder Urheberrecht. Auch zu diesen und weiteren MAusschnitte wählen: Selten kann ein Fo- Gewalt und Missbrauch plakativ darstellen. Aspekten bezieht der Bundesfachausschuss to wie aufgenommen veröffentlicht werden. Oder schlicht missverständlich sind. Medien in seinem Papier „Verwendung von Seine Wirkung entfaltet sich meist erst durch Manche Fotos sind auch einfach nur langwei- Bildmaterial im DKSB“ Stellung. die bewusste Wahl eines Ausschnittes, der die lig. Zum Beispiel weil sie stinknormalen Alltag Swaantje Düsenberg, Redaktion beabsichtigte Bildaussage unterstreicht. Plat- zeigen, wie alle ihn kennen. Oder weil sie le- 15
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