Burnout-Gefährdung bei Projektmanagerinnen und Projektmanagern - KNOW-HOW
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KNOW-HOW Burnout-Gefährdung bei Projektmanagerinnen und Projektmanagern Ergebnisse Burnout-Studie 2014 Die Studie wurde von der GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e.V. in Kooperation mit dem Centrum für Disease Management (CFDM) durchgeführt.
Inhaltsverzeichnis Abbildungsverzeichnis 4 Tabellenverzeichnis 5 Vorwort 7 Anmerkung des Autorenteams 8 Interviews - Teil 1 9 1 Ergebnisse der Studie 17 1.1 Ausgangssituation 17 1.1.1 Anlass zur Studie 17 1.2 Wissenswertes zum Thema „Burnout“ 17 1.3 Methodik der Datenerhebung 20 1.3.1 Entwicklung des Fragebogens und Pretests 20 1.3.2 Befragung und statistische Auswertungsmethoden 20 1.3.3 Datenvolumen 21 2 Auswertungsergebnisse 22 2.1 Alter, Geschlecht, Ausbildung 22 2.2 Arbeitsverhältnisse 22 2.3 Burnout-Risiko 24 2.4 Externe Risikofaktoren: Welche sind für das Arbeitsgebiet Projektmanagement relevant? 27 2.4.1 Externe Faktoren, die das Burnout-Risiko erhöhten 28 2.4.2 Externe Faktoren, die das Burnout-Risiko nicht erhöhten oder sogar reduzierten 31 2.4.3 Innere Faktoren (Persönlichkeitsfaktoren) und Burnout-Risiko 32 2.4.4 Burnout-Risiko und Zufriedenheit mit der Arbeit 33 2.4.5 Burnout-Risiko und die Vereinbarkeit von beruflichen und privaten Interessen 34 2.4.6 Burnout-Risiko und Hauptbelastungen 34 (privat, beruflich bzw. beruflich und privat gleichermaßen) 2.4.7 Gesundheitsverhalten, Gesundheitszustand und Lebensqualität 35 2.4.8 Burnout-Risiko und Führungsverantwortung 37 2.4.9 Burnout-Risiko im deutschsprachigen Raum 37 2.4.10 Burnout-Risiko und Geschlecht 40 2.4.11 Angebote der Unternehmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie 42 2.5 Vergleich der Ergebnisse mit bereits publizierten Daten 43 2
2.5.1 Rate an Erschöpfung und Burnout 43 2.5.2 Äußere und innere Risikofaktoren der Studienteilnehmer 43 2.5.3 Geschlechtsspezifische Unterschiede 45 3 Gesamtbewertung der Studie 46 3.1 Einordnung der Studienergebnisse aus medizinischer Sicht 46 3.2 Implikationen der Ergebnisse für die Praxis 46 3.3 Stärken und Einschränkungen der Studie 48 4 Ausblick und Empfehlungen 49 Interviews - Teil 2 50 Literaturverzeichnis 56 3
Abbildungsverzeichnis Abbildung 1 Äußere und innere Risikofaktoren für Burnout 18 Abbildung 2 Entstehung des Burnout-Syndroms 19 Abbildung 3 Altersverteilung der Studienteilnehmer 22 Abbildung 4 Verantwortungsbereiche der Studienteilnehmer 24 (Mehrfachnennungen möglich) Abbildung 5 Erreichte Burnout-kritische Werte in den 3 Domänen 25 Abbildung 6 Erreichte Burnout-kritische Werte je Branche 26 Abbildung 7 Erreichen Burnout-kritischer Werte in Abhängigkeit der 27 ausgeübten Funktion Abbildung 8 Angaben der Studienteilnehmer zu den äußeren Burnout- 30 Risikofaktoren in % Abbildung 9 Ausprägung der Burnout-begünstigenden Persönlichkeitsfaktoren 33 Abbildung 10 Empfundene Hauptbelastung der Studienteilnehmer 34 Abbildung 11 Auflistung der Beschwerden der Studienteilnehmer 35 Abbildung 12 Empfundener Gesundheitszustand der Studienteilnehmer 36 Abbildung 13 Empfundene Lebensqualität der Studienteilnehmer 36 Abbildung 14 Einfluss der Führungsverantwortung auf Burnout 37 Abbildung 15 Burnout-kritische Werte für österreichische und deutsche 38 Studienteilnehmer Abbildung 16 Burnout-kritische Werte getrennt nach österreichischen 39 und deutschen Männern Abbildung 17 Burnout-kritische Werte getrennt nach österreichischen 40 und deutschen Frauen Abbildung 18 Burnout-kritische Werte und Geschlecht 41 Abbildung 19 Bekannte und wahrgenommene Angebote der Unternehmen 42 zur Entlastung der Mitarbeiter Abbildung 20 Belastende Faktoren im Vergleich mit anderen Studien 44 Abbildung 21 Warnzeichen für die Entwicklung eines Burnout-Syndroms 46 bei den Studienteilnehmern Abbildung 22 Präventionsmöglichkeiten auf Organisations- und individueller Ebene 47 4
Tabellenverzeichnis Tabelle 1 Ausgeübte Funktionen der Studienteilnehmer 23 Tabelle 2 Projektspezifische Angaben der Studienteilnehmer 23 Tabelle 3 Burnout-Scores der Studienteilnehmer aufgeteilt nach Branchen 25 Tabelle 4 Burnout-Scores der Teilnehmer und Funktion im Unternehmen 26 Tabelle 5 Burnout-relevante äußere Risikofaktoren 28 Tabelle 6 Einfluss der empfundenen Wertschätzung auf die 3 Burnout-Subskalen 29 Tabelle 7 Zusatzbelastungen der Studienteilnehmer 31 Tabelle 8 Persönlichkeitsfaktoren 32 Tabelle 9 Burnout-Scores und Zufriedenheit mit der Arbeit 33 Tabelle 10 Vereinbarkeit von beruflichen und privaten Interessen 34 Tabelle 11 Burnout-Scores aufgeteilt nach Deutschland und Österreich 38 5
Burnout-Gefährdung bei Projektmanagerinnen und Projektmanagern Ergebnisse Burnout-Studie 2014 – Langversion Oktober 2014 Autoren Dr. Tatjana Reichhart Roswitha Müller-Ettrich 6
Vorwort Sind ProjektmanagerInnen mehr als andere Genauso wichtig sind die äußeren Bedingungen, Berufsgruppen gefährdet, bei ihrer anspruchsvol- die das Burnout-Risiko von ProjektmanagerInnen len, herausfordernden Arbeit auszubrennen? Das im positiven Fall deutlich mindern, im negativen war die Leitfrage für die im Jahr 2013 durch- Fall jedoch erheblich verstärken können. Diese geführte Studie mit dem Centrum für Disease sind in erster Linie: Management an der TU München, die von den PM-Expertinnen der GPM initiiert wurde. Das II die Wertschätzung durch den Vorgesetzten Risiko, an Burnout zu erkranken, ist den meisten II die Arbeitsbelastung ProjektmanagerInnen offenbar sehr bewusst. Aber wie hoch ist diese Gefahr wirklich? II die Zufriedenheit mit dem Gehalt II häufige Unterbrechung bei der Arbeit Die Zahl der psychischen Erkrankungen, zu de- nen Burnout gezählt wird, nimmt in Deutschland II die Unterstützung durch den Vorgesetzten rapide zu: von 8,1 Krankheitstagen pro 1.000 II die Bewertung der Wichtigkeit der eigenen Krankenversicherten im Jahr 2004 stiegen die Arbeit Ausfalltage bis 2011 auf 94,4 Tage (Quelle: Fehl- zeitenreport 2012). Das gleiche Bild zeigt sich bei II die empfundenen eigenen Handlungs den Frühverrentungen: mittlerweile sind psychi- spielräume sche Erkrankungen mit rund 50 % die häufigste II die Klarheit der Zielvorgaben Ursache für Frühverrentungen in Deutschland (Quelle: Ärzteblatt vom 24.7.2013). II flexible Arbeitszeiten II zeitlich befristete Anstellungen Bereits die überaus hohe Studienbeteiligung mit II die Anzahl der Auftraggeber bzw. Kunden über 1.300 Teilnehmern aus dem Bereich Pro- eines Projektes jektmanagement beweist das immense Interesse an diesem uns alle betreffenden Thema. Hier besteht für die Organisationen und Füh- rungskräfte großer Handlungsbedarf, die Die Ergebnisse zeigen: Burnout-Symptome treten Unternehmenskulturen und ihren Führungsstil bei den befragten ProjektmanagerInnen deutlich dahingehend weiterzuentwickeln, dass sie die häufiger auf als bei Mitarbeitern in anderen Beru- Mitarbeiter deutlich besser bei ihrer anspruchs- fen. 35 % der Befragten haben den Cut-off Score vollen Projekttätigkeit unterstützen. Denn der für Burnout erreicht, 40 % fühlen sich von ihrer wichtigste Erfolgsfaktor für die immer stärker Arbeit ausgebrannt, über 50 % sind mindestens expandierende Projektwirtschaft sind gut aus- einmal im Monat ausgelaugt von ihrer Arbeit. Das gebildete, motivierte, gesunde und belastbare sind besorgniserregende Zahlen. ProjektmanagerInnen. Die Untersuchungsergebnisse zeigen, dass es nicht nur die beruflichen Anforderungen sind, sondern insbesondere die eigenen Erwartungen an uns selbst, die uns überfordern und auf Dauer Prof. Dr. Yvonne Schoper krank machen. 90 % der Studienteilnehmer GPM Deutsche Gesellschaft stimmen der Aussage „ich bin erst dann mit mir für Projektmanagement e.V. zufrieden, wenn ich mein Bestes gegeben habe“ Vorstand Forschung zu. Hier ist jeder Einzelne aufgefordert, die An- sprüche an sich selbst kritisch zu hinterfragen. 7
Anmerkung des Autorenteams Das Thema Burnout und psychische Belastung Zudem wird in Interviews z. B. die Bedeutung am Arbeitsplatz und im privaten Alltag ist nicht von Burnout-Erkrankungen für die Unternehmen nur in den Medien ein Dauerthema. Auch die und die Volkswirtschaft von einem Experten, der Politik, Unternehmen, Krankenkassen und Ge- täglich mit dieser Materie befasst ist, beleuchtet. werkschaften haben aufgrund der Zunahme der Eine betroffene Managerin beschreibt anschau- Arbeitsunfähigkeitstage als auch der Frühver- lich, wie sie in einen Burnout „geschlittert“ ist. rentungen infolge psychischer Erkrankungen die Vertreter der Wirtschaft zeigen auf, was sie seit vieldiskutierte Tatsache im Focus. Jahren an präventiven Maßnahmen unterstüt- zend für ihre Mitarbeiter zur Verfügung stellen. In einer Studie der PM-Expertinnen der GPM über die Arbeitsbedingungen und Karrierechan- Die Projektleitung seitens der GPM hatte cen von Projektmanagerinnen und Projekt Roswitha Müller-Ettrich. Frau Müller-Ettrich ist managern aus 2009 sahen 65 % der Befragten Gründungsmitglied der GPM und in der Leitung die Furcht vor Burnout als größten Nachteil ihrer der SIG (special interest group) PM-Expertinnen Tätigkeit an. Woher kommt diese Besorgnis? Ist der GPM. Sie suchte einen geeigneten es der tägliche Druck des Berufslebens – immer Kooperationspartner, der die medizinische Seite schneller, immer komplexer mit weniger Mitar- mit profunden Kenntnissen abdecken konnte. beitern? Sind es die täglichen Warnsignale wie Zusammen mit der Projektleiterin des Koopera- Erschöpfung, Frustration, Schlafstörungen und tionspartners, Frau Dr. Tatjana Reichhart, vom vieles mehr. Welchen Anteil hat das Privatleben Centrum für Disease Management der Techni- an dieser Überforderung? schen Universität München organisierte sie die Online-Umfrage und die Datenauswertung. Frau Wie die vielfältigen Ergebnisse der Online-Studie, Dr. Reichhart ist Fachärztin für Psychiatrie und an der über 1.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbei- Psychotherapie und hat ihren Arbeitsschwerpunkt ter im Projektmanagement aus Deutschland, auf dem Gebiet psychische Gesundheit am Österreich und der Schweiz teilgenommen Arbeitsplatz. Sie leitet Workshops für Führungs- haben, zeigen, sind 35 % der in der Projektwirt- kräfte, Personalreferenten, Betriebsräte sowie schaft Tätigen Burnout-gefährdet! Mitarbeiter. In dieser Broschüre werden An dieser Stelle möchten wir allen Teilnehmern der Umfrage danken, wie auch den vielen ande- II zahlreiche demographische und berufs ren Unterstützern der Studie. Für den beruflichen bezogene Daten Alltag wünschen wir den Lesern „happy projects“. II das Burnout-Risiko allgemein und differen- ziert nach Branchen und Funktionen II die externen und internen Risikofaktoren, die einen Burnout „befeuern“ Dr. T. Reichhart Roswitha Müller-Ettrich II Burnout-Risiko und die Vereinbarkeit von Centrum für Disease GPM SIG beruflichen und privaten Interessen Management, „PM-Expertinnen“, Technische Universität Projektleiterin II die Unterschiede zwischen deutschen und München österreichischen Projektmanagern II Präventionsmöglichkeiten auf der individuel- len Ebene wie der Unternehmensseite und a. m. beschrieben. 8
Interview – Dr. Werner Kissling des Problems eine Schlüsselfunktion zu und sie sind meistens auf diese Aufgabe überhaupt nicht vorbereitet. Sie müssen geschult werden, psychische Belastungen und Erkrankungen bei ihren Mitarbeitern frühzeitig zu erkennen, in der richtigen Weise anzusprechen und dann den Mitarbeiter zu motivieren, sich professionelle Hilfe für die Bewältigung seiner Erkrankung zu suchen. Solche Schulungen bewirken sehr viel, wie wir in einer Studie in 300 Unternehmen zeigen konnten, die wir in den letzten Jahren geschult haben. Und was kann man präventiv tun? Dr. Werner Kissling Unternehmen und Behörden sind ja gesetzlich Leiter des Centrums für Disease verpflichtet, in einer Gefährdungsbeurteilung alle Management (CFDM) der TU München Arbeitsplätze auf psychische Belastungen hin zu untersuchen. Das wissen viele noch nicht, aber Dr. Kissling ist Experte auf dem Gebiet „Gesund- die Gewerbeaufsichtsämter haben damit begon- heitsmanagement für psychische Gesundheit nen, die Einhaltung dieses Arbeitsschutzgesetzes am Arbeitsplatz“. Das CFDM hat in den letzten sehr genau zu überprüfen. Und abhängig vom Jahren über 300 Unternehmen und Behörden Ergebnis dieser Gefährdungsbeurteilung müssen zu diesem Thema beraten und führt Workshops die Unternehmen dann die erforderlichen Maß- dazu durch. Zum Aufgabengebiet gehört auch die nahmen umsetzen: Gesundheitsmanagement, Gefährdungsbeurteilung hinsichtlich psychischer Führungskräfte Schulungen, Beratungsangebote Belastungen. Das Interview führte Dr. Tatjana für alle Mitarbeiter etc. Reichhart, Centrum für Disease Management der Technischen Universität München. Sind die Unternehmen überhaupt bereit in Gesundheitsmanagement zu investieren? Herr Dr. Kissling, man liest ja zurzeit überall von Burnout und der Zunahme von psychi- Seit diese Fehltagestatistiken wegen psychischer schen Erkrankungen. Ist das ein Medien Hype Erkrankungen auf dem Tisch liegen, häufen oder tatsächlich ein echtes Problem? sich bei uns die Anfragen nach Beratung zum Gesundheitsmanagement und nach Schulungen Die Fehltage wegen psychischer Erkrankungen für die Führungskräfte. Denn jedem Unterneh- haben in den letzten Jahren um 165 % zuge- men entstehen hohe Kosten durch psychische nommen. Das ist für Unternehmen und Behör- Erkrankungen der Mitarbeiter. Ein Unternehmen den tatsächlich ein riesiges und ein sehr teures mit 1.000 Mitarbeitern z. B. verliert im Jahr Problem. Burnout selbst führt dabei nur bei 2-4 % mindestens 3 Millionen €, wenn es sich nicht um der Mitarbeiter direkt zur Arbeitsunfähigkeit. Wir dieses Problem kümmert. Im Vergleich dazu sind sehen Burnout eher als einen Risikozustand, der 30.000 € für ein wirksames Gesundheitsmanage- zu anderen psychischen Störungen wie Depres- ment „peanuts“. sion oder Angsterkrankungen führen kann, wenn man nicht rechtzeitig etwas dagegen unternimmt. Und welchen Einfluss hat der Führungsstil? Was kann man denn dagegen tun? Es gibt zahlreiche Studien, die eindeutig zeigen, dass der Führungsstil großen Einfluss auf den Das Unternehmen als Ganzes, die Führungs- Krankenstand hat. Deshalb führen wir in allen kräfte und jeder einzelne Mitarbeiter können da Unternehmen, die wir betreuen, auch Schulun- sehr viel tun. Zum einen präventiv, zum anderen gen zum Thema „Gesund führen“ durch. aber auch, wenn jemand schon überlastet oder erkrankt ist. Und was kann jeder Einzelne für seine psychische Gesundheit tun? Wie sieht das dann konkret aus? Was kann ein Unternehmen denn für die psychische Viele – gerade die jüngeren Mitarbeiter und die Gesundheit seiner Mitarbeiter tun? Führungskräfte – denken in der Alltagshektik relativ selten an ihre Gesundheit. Dafür muss Am wichtigsten ist die Schulung von Führungs- man sie durch entsprechende Maßnahmen wie kräften, Personalern und Betriebsräten zu die- Sensibilisierungsvorträge, Gesundheitstage, sem Thema. Ihnen kommt bei der Bewältigung Schulungen, E-Learning Programme etc. erst 9
einmal sensibilisieren. Dabei ist Vorbeugung In den nächsten Jahren vermutlich schon noch. gegen stressbedingte psychische Störungen Aber mittelfristig bin ich zuversichtlich. Immer recht einfach: mehr Unternehmen und Behörden haben inzwi- schen die Relevanz der psychischen Gesundheit Die 5 wichtigsten Maßnahmen („Big Five“) sind: ihrer Mitarbeiter für das Unternehmensergebnis erkannt und haben mit einem wirksamen II Jeden Tag ausreichend erholsame Kurz Gesundheitsmanagement und Schulungsmaß- pausen einplanen nahmen begonnen. Wenn diese Entwicklung anhält, wird sich die Fehltagekurve in maximal 5 II regelmäßig Sport treiben Jahren abflachen und dann sogar wieder sinken. Ähnlich wie das bei den Rückenbeschwerden der II mindestens 7 Stunden täglich schlafen Fall war. II nicht in allem perfekt sein wollen Und was kann ein Mitarbeiter tun, wenn seine (selektiver Perfektionismus) Firma die Relevanz des Themas noch nicht erkannt hat? II befriedigende Sozialkontakte pflegen, ausreichend Spaß haben, Lachen, Dann soll er den Verantwortlichen vorrechnen, Freunde treffen etc. wieviel Geld sie jedes Jahr verlieren, wenn sie sich nicht um die Lösung dieses drängenden Jeder kennt diese Punkte, das Problem ist die Problems kümmern. praktische Umsetzung. Aber die kann man in entsprechenden Trainings lernen. Vielen Dank Herr Dr. Kissling für das Interview. Wie sehen Sie die Entwicklung in den nächs- ten Jahren? Werden die Fehltage wegen psychischer Störungen weiter ansteigen? 10
Interview – Betsy Uphus Aus heutiger Sicht: Ja! Die Anzeichen waren da, fast schon bilderbuchmäßig. Aber ich habe mich nie mit dem Thema auseinandergesetzt und konnte so die Zeichen nicht deuten. Außerdem war meine innere Haltung ungesund preußisch: „Zusammenreißen, Weitermachen ...“ Rückblickend war das fahrlässig mir gegenüber. Wer oder was hat Ihnen in der Situation geholfen? Und wie sind sie da wieder raus gekommen? Geholfen hat mir zunächst ein Freund. Er war Betsy Uphus selbst vor Jahren an einem Burnout erkrankt, und ich wusste um seine Sensibilität und sein Projektleiterin Verständnis. Er ging lange mit mir spazieren, er war einfach da. Anschließend organisierte er für Frau Betsy Uphus arbeitete 20 Jahre als Ma- mich einen Flug nach München, wo mich mein nagerin in Medienunternehmen, bevor sie 2008 Mann vom Flughafen abholte. Ich selbst war an Burnout erkrankte. Heute ist sie zertifizier- nicht in der Lage, das zu organisieren. Am näch- ter Business-Coach mit den Schwerpunkten sten Tag suchten wir zu zweit unsere Hausärztin Burnout-Prävention und Konfliktmanagement. auf. Sie erkannte gleich, was mit mir los war, Das Interview führte Dr. Tatjana Reichhart, Cen- schrieb mich krank und verschrieb mir Anti trum für Disease Management der Technischen depressiva. Zusätzlich riet sie mir, dringend einen Universität München. Therapeuten zu konsultieren. Damit begann ein langer und schwieriger, aber auch erkenntnis- Frau Uphus, wie war Ihre berufliche Situa- reicher Weg. Eine unersetzliche Hilfe war mein tion, als Sie das Burnout-Syndrom bekom- Mann. Er stand immer an meiner Seite und men haben? unterstützte mich uneingeschränkt. Auch für ihn war es nicht leicht, da er nicht wusste, wie er sich Im Jahr 2008 erkrankte ich an dem so genannten verhalten sollte. Weitere Unterstützung kam von Burnout-Syndrom. Damals war ich seit knapp Freunden und Nachbarn. Das aber erst zu einem einem Jahr „Leiterin Marketing & Vertrieb“ bei späteren Zeitpunkt, da ich die ersten Monate nur einem Tochterunternehmen eines Medien zu Hause mit meinem Mann verbrachte. Sehr unternehmens in Hamburg. Mein Mann lebte und wichtig waren auch meine Hausärztin und mein arbeitete noch in München, wo ich vorher als Therapeut. Meine Hausärztin ist bis heute eine „Leiterin Presse-Information“ bei einem Fernseh- kompetente, verständnisvolle und mitfühlende sender tätig war. Ansprechpartnerin, und mein Therapeut hat mir vieles aufgezeigt, z. B. dass es keine Schwäche Wie hat sich das genau angefühlt? ist, psychisch erkrankt zu sein. Die Warnzeichen kamen bereits Jahre vorher, in Ist man nachher schlauer? Form von Rückenschmerzen, Verspannungen, einem Hörsturz und kleinere Beschwerden, die Gott sei Dank JA! Dank meiner Therapie, einem sich regelmäßig meldeten. Aufenthalt in einer psychosomatischen Klinik Als es zum Ausbruch der Krankheit kam, ging und meiner anschließenden Ausbildung zum bei mir nichts mehr. Ich fühlte nur noch Leere. Business Coach habe ich sehr viel gelernt. Ich Ich fühlte mich absolut hilflos und bekam einen habe mich intensiv mit meiner Erkrankung und tagelangen Weinkrampf. Ich wollte/konnte meh- den Umständen, die dazu führten, auseinander rere Tage nicht sprechen. Ich hatte kein Leben in gesetzt. Das war kein einfacher, aber für mich mir. Alles war mir zu viel. Ich stand von meinem der beste Weg. Diesen Weg führe ich bis heute Arbeitsplatz auf und ging einfach weg, ohne fort. meiner Sekretärin oder einem anderen Kollegen Bescheid zu sagen. Mir war alles zu viel. Dieser Was haben Sie persönlich aus dieser Zustand hielt dann fast ein Jahr lang an. Erfahrung gelernt? Haben Sie kommen sehen, dass Sie in ein Ich habe sehr viel gelernt. Als erstes, dass ich Burnout driften? selbst für mich und mein Wohlergehen verant- 11
wortlich bin. Niemand kommt und nimmt mich den. Das kam Schritt für Schritt. Ich fühlte mich an die Hand. Ich muss mich selbst um mich und beschützt. Darüber hinaus die langsame Ausein- meine Belange kümmern. andersetzung mit meiner Erkrankung. Ich wollte Das hört sich einfach an, aber es ist nicht ein- wissen, warum, wieso und weshalb. Ich habe so fach, es im Alltag umzusetzen. Dazu musste ich unendlich viel gelernt, das gab mir immer mehr zuerst meine Bedürfnisse und Kräfte kennen, Kraft. Darüber hinaus meine Entscheidung, mit anschließend Grenzen setzen, um so auf mich offenen Karten zu spielen. Mit meiner Diagnose „aufzupassen“. Das hat sicherlich einige Men- bin ich offen umgegangen. Keine Geheimnisse, schen vor den Kopf gestoßen, aber mir geht es keine Ausflüchte, sondern dazu stehen, dass ich deutlich besser. krank bin. Des Weiteren hilft mir bis heute mein ehrenamtliches Engagement für BASTA (Bündnis Zusätzlich habe ich meine Kommunikation ver- gegen die Stigmatisierung psychisch kranker ändert. Heute kommuniziere ich deutlicher und Menschen). Ich stehe nicht allein da, und ich klarer. Und das funktioniert tatsächlich. Ich fühle sensibilisiere vor allem junge Menschen für das mich viel besser. Thema. Würden Sie sagen, dass ausschließlich die Wie geht es Ihnen jetzt? Beruflich und privat? Arbeit „schuld“ war an Ihrem „Zusammen- bruch“? Ich beginne mit dem Privaten. Ich bin glücklich. Ich lebe wieder. Mein Leben ist reicher gewor- Meiner Meinung nach gibt es keine Schuld. den. Beruflich war es schwieriger, denn ich Weder haben die „anderen“ noch „ich“ Schuld. verspürte eine lähmende Angst. Mir war nun klar, Ich bin einfach krank geworden. Ich habe mich dass ich nicht mehr als Führungskraft und nicht mit meiner Geschichte auseinandergesetzt und mehr Vollzeit arbeiten werde. In der Klinik haben handle heute nach meinen aktuellen Erkenntnis- mich dann eine Therapeutin und eine Trainerin sen. Ein Blick zurück um den oder die „Schuldi- auf meine hohe soziale Kompetenz und beruf- gen“ auszumachen, ist mir zu destruktiv. liche Erfahrung angesprochen. Sie regten an, mich in diese Richtung zu orientieren. Das fühlte Welche Tipps können Sie anderen Betroffe- sich für mich gut und richtig an. Nach einer Aus- nen geben, die merken, dass sie vielleicht in bildung bei der IHK zum systemischen Business ein Burnout rutschen könnten? Coach berate ich heute Menschen zu beruflichen Themen wie Burnout-Prophylaxe, dem Umgang Ich persönlich höre heute mehr auf mein mit Konflikten und dem Wiedereingliederungs- Bauchgefühl und nehme mir ausreichend Zeit für management. Letzteres ist die optimale Vorberei- Entscheidungen und Antworten. Und ich bin nicht tung zur Rückkehr in den Job, z. B. nach einem mehr „Everybody’s Darling“. Außerdem höre ich Burnout. Darüber hinaus arbeite ich als Texterin bei besorgten Rückmeldungen meiner Familie – eine Arbeit, die ich liebe. Ich bin froh, keine und von Freunden genauer hin. Ziehe ich mich Führungsverantwortung mehr zu haben und wieder zurück? Spreche ich zu viel über meine meine Zeit selbst einteilen zu können. Arbeit? Wie hat Ihr berufliches Umfeld auf Ihre Was war das Schlimmste an der Zeit? Erkrankung reagiert? Die Angst, versagt zu haben. Die Scham – habe Da gab es keine Reaktionen. Ich bin ja auch nicht ich versagt? Was sagen die Kollegen? Und zurück in meine alte Firma gegangen, da mir ja was fürchterlich war: Selbst als ich am Boden gekündigt wurde. Als mir meine Unterlagen nach lag, machte ich mir noch Gedanken über eine München geschickt wurden, fand ich in dem Entscheidungsvorlage für die Geschäftsführung, Karton eine Karte von einer Kollegin mit sehr die ich nicht fertig gestellt hatte. Ganz schlimm freundlichen Worten. Das hat mich tief berührt war auch: Als ich mich meinem Vorgesetzten und gefreut. Als ich vor Jahren an Krebs erkrank- offenbarte, beschwichtigte er mich, dass ich te, haben sich viele Menschen gemeldet, als ich erst einmal gesund werden soll. Wenige Tage psychisch krank wurde, waren die Reaktionen später wurde mir gekündigt. Mein Vertrauen in deutlicher verhaltener. Genau deshalb engagie- die Menschheit war erst einmal dahin. Außer- re ich mich für BASTA – Bündnis für psychisch dem hatte ich große Angst um meine berufliche erkrankte Menschen. Zukunft. Ich sah damals nur schwarz und weiß: Entweder zurück in den Job oder ein Leben auf Gab es von beruflicher Seite irgendeine Un- der Straße. terstützung? Hat Sie mal jemand gefragt, wie es Ihnen geht? Gab es auch was Positives aus der Zeit? Meine Freunde und meine Familie haben natür- Ja, die Ruhe. Und vor allem das Zusammensein lich meinen Weg verfolgt. Auch viele Freunde mit meinem Mann. Dass wir wieder gemeinsam aus Berlin, wo ich 13 Jahre gelebt habe, nahmen unter einem Dach lebten, machte mich zufrie- regen Anteil. Es war schön zu merken, wie viele 12
tragfähige und belastbare Freundschaften ich nicht schlagfertig oder haben einfach keine Lust habe. Eine Ressource, die ich erst in der Klinik und Kraft, sich ständig zu rechtfertigen. Deshalb begriffen habe. mein Wunsch „Einfach mal die Klappe halten“ und sich in die Situation des anderen reinfühlen Was hätten Sie sich von Ihrem Chef ge- und -denken, das wäre prima. wünscht? Was hat sich seit dieser Erfahrung noch in Vor der Erkrankung sicherlich, dass er echte ihrem Leben geändert? Führung ausübt. Ich hatte nur einmal in meinem Leben das Glück, eine Führungskraft zu haben, Mein Mann und ich teilen heute unser Leben mit die den Titel verdient. Das war in Berlin, und zu Frieda, einem bildhübschen Parson Terrier. Von den ehemaligen Kollegen habe ich immer noch ihr kann man lernen, wie man seine eigenen engen Kontakt. Da ich nicht in mein altes Berufs- Bedürfnisse durchsetzt. Die junge Dame hat ein leben zurückgekehrt bin, ersetze ich jetzt mal enormes Forderungsmanagement und sie sorgt den „Chef“ durch „Umfeld“. Hier wünsche ich mir dafür, dass ich selbst bei schlechtem Wetter mehr Verständnis. Sätze wie: „Wie lange dauert mehrmals am Tag an die Luft muss. Da muss das denn noch?“, „Mir geht es auch mal schlecht, sich jede Depression „hintenanstellen“. Ach ja, deshalb renne ich nicht gleich zum Arzt“, „Sowas ich habe noch ein schönes Motto: „Hinfallen, bezahlt die Krankenkasse?“ oder „Wie lange soll aufstehen, Krone richten und weiter gehen“. die Therapie denn noch dauern“ nerven. Ich per- sönlich kann gut damit umgehen und angemes- Vielen herzlichen Dank, Frau Uphus, für sen reagieren. Aber nicht jeder Mensch hat diese dieses offene Interview. Fähigkeit. Manche Menschen sind verletzbarer, 13
Interview – Dr. Ulrich Birner Wie sieht dieses „Global Health Management System“ nun konkret aus? Unser Health Management System muss vor allem den zahlreichen Standorten des Konzerns im In- und Ausland und deren speziellen Anforde- rungen gerecht werden. Deshalb ist die Hauptfrage bei der Implementie- rung immer: „Wo stehen wir in der Gesundheits- prävention und wo wollen wir hin?“ Zur Beantwortung dieser zentralen Frage stellen wir den verschiedenen Standorten und Landes- gesellschaften einen „Baukasten“ zur Verfügung, der ein Reifegradmodel für ein Self Assessment Dr. Ulrich Birner aber auch Umsetzungshilfen und Instrumente und Methoden enthält, und zum Aufbau von Leiter des Fachreferats Psychosocial Health Kompetenz im Gesundheitsmanagement „vor and Well-Being im Zentralbereich Environmental Ort“ dient. Voraussetzung ist immer eine Be- Protection, Health Management and Safety der darfsanalyse. Grundlagen sind hier z. B. Daten Siemens AG, München. aus dem Personalbereich zum Krankenstand, Gesundheitsberichte von Krankenkassen, Statis- Seine Tätigkeitsschwerpunkte sind Konzeption, tiken von Betriebsärzten und Sozialdienststellen Umsetzungsunterstützung und Monitoring von sowie Daten aus den Arbeitssicherheitsberichten. Maßnahmen zur Wiederherstellung, Prävention Diese Auswertung der vorhandenen Daten erfolgt und Förderung psychischer Gesundheit ein- natürlich nur anonymisiert und aggregiert auf schließlich der psychischen Gefährdungsbeurtei- Organisationsebene und in Abstimmung mit dem lung im Rahmen des betrieblichen Gesundheits- Datenschutzbeauftragten und dem Betriebsrat. managements auf Konzernebene. Das Interview führte Roswitha Müller-Ettrich von der Special Mit dem Baukasten und seinen Modulen Interest Group PM-Expertinnen der GPM. alleine wird es nicht getan sein. Oder? Herr Dr. Birner, Sie sind Leiter des Fachrefe- Ganz sicher nicht! Dieses System basiert auf rats „Psychosocial Health and Well-Being“. einem ganzheitlichen Gesundheitsverständnis, Das klingt sehr innovativ und progressiv. d.h. der gesundheitsförderlichen Gestaltung der Siemens hat ja eine lange Tradition im Arbeit und der Befähigung von Mitarbeitern zu Bereich der betrieblichen sozialen Leistun- gesundheitsförderlichem Verhalten. gen. So gab es bereits 1888 einen eigenen Um dies nachhaltig zu erreichen, bedarf es v.a. Betriebsarzt in Berlin und ab 1956 erste Kreis- der Unterstützung der Führungskräfte. Deshalb lauftrainingskuren für Mitarbeiter. ist es so wichtig, sie für diese Rolle im Gesund- Wie sieht heute das Angebot im Bereich der heitsmanagement fit zu machen. Dafür haben wir Gesundheitsprävention aus? entsprechende Trainingsmodule für unterschied liche Zielgruppen installiert. 2009 wurde mit dem Aufbau der Zentralabteilung Environmental Protection, Health Management Das heißt, Ihr Fachbereich gibt Hilfestellung and Safety, für die zwischenzeitlich ca. 40 bei einer bedarfsorientierten Nutzung des Mitarbeiter tätig sind, und die dem Personalvor- „Baukastens“, und unterstützt das Manage- stand direkt unterstellt ist, auch das betriebliche ment vor Ort bei der Wahrnehmung seiner Gesundheitswesen bei Siemens neu geregelt. Verantwortung für möglichst gesunde Mitar- Man sah einerseits die Herausforderungen der beiter. Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts mit einer fort- schreitenden Dynamisierung und starken demo- Nur wer sich körperlich und psychisch wohlfühlt grafischen Veränderungen und weiß gleichzeitig und dessen Life-Balance eine gewisse Ausge- um den Stellenwert eines nachhaltigen Gesund- wogenheit aufweist, hat Freude an der Arbeit, ist heitsmanagements für den Geschäftserfolg. Das motiviert und leistungsstark. bedingt auch, dass man das betriebliche Ge- Deshalb müssen die Führungskräfte die Treiber sundheitswesen – über die Erfüllung gesetzlicher des Programms sein. Und es braucht klare Rol- Anforderungen hinaus – nicht mehr alleine von len und Verantwortlichkeiten für alle Beteiligten der Konjunkturlage, sprich Kassenlage, und dem aber auch die Integration in die Geschäftspro- Interesse und Engagement einzelner Führungs- zesse. kräfte abhängig machen kann. 14
Herr Dr. Birner, welche Handlungsfelder Wir wissen, dass ein hoher Prozentsatz der umfasst Ihr Gesundheitsmanagement? Fehltage in Europa heute direkt und indirekt durch Stress sowie psychische Belastungen Wir haben zum einen den Bereich „Gesunde und Störungen verursacht werden. Wir wissen Arbeitswelt“. Hier steht das Erfüllen der gesetz- auch durch zahlreiche Untersuchungen, ihre lichen Auflagen im Bereich des Arbeitsschutzes zählt hier auch dazu, wie Stress und psychische im Vordergrund. Dazu kommen die freiwilligen Belastung die Effektivität der Arbeitsleistung hausinternen Regelungen und Maßnahmen, die vermindern. Deshalb hat unser Programm „Life in über Jahre entwickelt wurden. Als nächstes ist Balance“ im Rahmen der Gesundheitsprävention die „medizinische Betreuung“ der Mitarbeiter zu einen besonderen Stellenwert mit zunehmender nennen, die bei Siemens eine lange Tradition Bedeutung. hat. Jeder Standort in Deutschland verfügt über Im Wesentlichen geht es darum, gefährdete bzw. einen betriebsärzlichen Dienst. Hervorzuheben betroffene Mitarbeiter mit mentalen Gesund- ist auch die Zusammenarbeit unserer Betriebs- heitsproblemen zu unterstützen, sie für einen ärzte mit den externen Gesundheitseinrichtun- gesundheitsorientierten Lebensstil zu gewinnen gen zum Nutzen der Mitarbeiter. Bereits früh und in diesem Verhalten zu bestärken. installiert wurden auch umfassende Programme Am Anfang wird durch breit angelegte Information zur „Bewegungsförderung“. Eingangs erwähn- (in Form von Vorträgen zu speziellen Themen ten Sie hier die Kreislauf-Trainingsprogramme. wie Burnout-Gefährdung, Suchterkrankungen Dazu kommen aber auch noch arbeitsplatznahe etc.) ein Verständnis für die Themen persönliche Maßnahmen, z. B. im Rahmen von Ergonomie- Resilienz, Vorbeugungsmöglichkeiten bei psy- programmen oder in Form sogenannter aktiver chischen Belastungen und Problemen, Interven- Pausen. Weiter bieten wir schon seit längerer tionsmöglichkeiten und die psychische Gesund- Zeit Info-Veranstaltungen und Beratungen heit fördernde Maßnahmen geschaffen. Dazu zum Thema „Gesunde Ernährung“ an. Diese zählen auch Maßnahmen, um diesen ganzen Erkenntnisse werden auch in unseren Kantinen Themenbereich zu entstigmatisieren, besser zu „auf den Tisch“ gebracht. Wir wissen aus vielen verstehen und anzunehmen – genau so, wie kör- Untersuchungen, dass z. B. in der Altergruppe perliche Phänomene auch. Diese Informationen der über 50-Jährigen Erkrankungen wie Diabe- werden durch interne und externe Gesundheits- tes, Herzkreislauf oder auch Arthrosen deutlich berater über unterschiedliche Informationskanäle zunehmen, häufig als Folge fehlender Bewegung (Intranet-Portal, Gesundheitstage, Lunch and oder unausgewogener Ernährung. Learn Treffen u. a. m.) verbreitet. Und letztendlich der Bereich „Unterstützung der psychischen Gesundheit“. Wie versuchen Sie die Führungsebene für dieses Thema zu sensibilisieren und ein Wie Sie wissen, hat unsere großangelegte Bewusstsein und Verständnis dafür aufzubau- Studie über die „Burnout-Gefährdung“ von en, denn nicht alle Mitarbeiter haben lapidar Projektmanagern in Deutschland, Österreich gesagt „Rückenbeschwerden“, bzw. fühlen und der Schweiz ergeben, dass ca. 35 % der sich schlapp und ausgebrannt. Befragten aufgrund von dauerhafter Überlas- tung und Stress durch Arbeit und privates Wir bieten z. B. eintägige Seminare zum Thema Umfeld Burnout-gefährdet sind. Das heißt „Success factor psychosocial health – training u. a., sie leiden unter chronischen Beschwer- for leaders“ an. Dazu kommen abgestimmte Trai- den, fühlen sich ausgelaugt und erschöpft, nings und Coachings der betrieblichen Gesund- haben immer weniger Freude am „Leben“ heitsexperten über psychisches Wohlbefinden und der Arbeit und 63,5% der Studienteilneh- am Arbeitsplatz. mer gingen, obwohl sie nach ihrer subjekti- ven Einschätzung krank waren, trotzdem in Und für die betroffene Mitarbeiter? die Arbeit. Wie unterstützen Sie diese? Das Problem des Präsentismus, also der Wir haben z. B. offene und umfassende 3-tägige Anwesenheit in der Arbeit trotz Krankheit und Gesundheitsseminare, geleitet von erfahrenen Unwohlsein, ist ein relevanter wirtschaftlicher Trainern, mit dem Fokus auf Sport, Ernährung Faktor und dies nicht nur für die Betriebe. Hierzu und Stressbewältigungsstrategien. Außerdem gibt es mittlerweile profunde Untersuchungen, u. bieten wir die Begleitung von betroffenen Mitar- a. die sog. Stanfordformel. Den sehr hohen Kos- beitern an, die unmittelbare Hilfe benötigen. Es ten durch Präsentismus stehen vergleichsweise kommt für jeden Betroffenen zu einer schnellen niedrige Investitionen in effiziente betriebliche Abklärung des Anliegens durch die betriebliche Gesundheitsförderungsmaßnahmen entgegen. Sozialberatung, Betriebsärzte und auch eine ex- tern betriebene 24-Stunden-Hotline um Lösungs- Wie sehen diese Maßnahmen in Ihrem ansätze zu finden. Haus aus? 15
Diese Beratungen decken inhaltlich ein breites Übergewicht, Bluthochdruck, Stress und Diabe- Spektrum ab, wie z. B. private und familiäre tes. Dabei unterstreicht es die Wichtigkeit einer Konflikte, Konflikte am Arbeitsplatz, Schulden, ausgewogenen Life-Balance. Das Programm Drogen- und Alkoholmissbrauch und anderes war überaus erfolgreich. Es steigerte nicht nur mehr. Diese Beratung und Begleitung durch die Motivation am Arbeitsplatz, die Arbeitnehmer ausgewählte Experten kann situativ persönlich, nahmen positive Veränderungen auch mit nach telefonisch, über E-mail oder auch per Videoge- Hause. spräch erfolgen. Dazu kommen die hausinternen Angebote zur Diese Good Practices eignen sich sehr für Kinderbetreuung, „Elder Care“-Programme, einen Gedanken- und Erfahrungsaustausch eine große Bandbreite von Arbeitszeitmodellen, über ein nachhaltiges Gesundheitsmanage- Home-Office-Angebote u. a. m. ment orientiert an den jeweiligen Bedarfen vor Ort. Was empfehlen Sie den Anwendern Bei einem so vielfältigen Einsatz an so unter- Ihres Health Management Systems darüber schiedlichen Einsatzorten auf verschiedenen hinaus? Kontinenten lässt sich da nicht voneinander lernen und ggf. adaptieren? Zum einen natürlich die strikte Einhaltung der nationalen gesetzlichen Auflagen im Bereich Wir haben im Laufe der Jahre eine Informations- Gesundheitsschutz, Sicherheit am Arbeitsplatz plattform aufgebaut und fortlaufend mit „Success und auch Umweltschutz (Immissionsschutz, Stories“ gefüllt. Hier beschreiben Health Manager Abwasserschutz, etc.) wie sie an Ihrem Standort ihre Probleme gelöst Der 2. Appell lautet, dass sich das Management haben. 2 Beispiele hierzu: zusammen mit den unterschiedlichen betriebli- Das betriebliche Gesundheitsmanagement am chen Fachleuten wenigstens einmal im Jahr mit Standort Kemnath/Oberpfalz hat die Förderung dem Thema Gesundheitsprävention systematisch und Aufrechterhaltung der Gesundheit der auseinander setzt und die passenden Maßnah- Mitarbeiter zum Ziel. So wurde die Gestaltung men anwendet. von Standardarbeitsplätzen ergonomisch so optimiert, dass sie v. a. im höheren Alter effektiv Vielen Dank Herr Dr. Birner für Ihre sehr infor- und angenehm zu nutzen sind. mativen Ausführungen. Ich möchte das Inter- Das 2. Beispiel kommt aus Mumbai, Indien. view mit einem Statement von Dr. Ralf Franke, Das Health Care Management Team hat 2012 Corporate Medical Director der Siemens das Programm „Fit4Life“ eingeführt. Das Ziel AG schließen: „Mit unserem betrieblichen des Programms ist, mehr Bewusstsein für den Gesundheitsmanagement beeinflussen wir Problemfaktor Stress am Arbeitsplatz und eine die Unternehmenskultur positiv. Zielsetzung gesunde Balance zwischen Arbeit und Freizeit zu ist es, Rahmenbedingungen zu schaffen, die schaffen. unsere Mitarbeiter gesund erhalten“. Fit4Life konzentriert sich auf die 4 Faktoren 16
1 Ergebnisse der Studie 1.1 Ausgangssituation 1.1.1 Anlass zur Studie In 2009 wurde von der „SIG (Special Interest Diese und weitere Fragen veranlassten uns Group) PM-Expertinnen“ und dem Gender- zusammen mit dem Centrum für Disease Zentrum der Universität Augsburg eine Studie zur Management der TU München, einem Partner, Karriere von Frauen und Männern im Projektma- der sowohl die medizinische Seite der Burnout- nagement durchgeführt. Symptomatik als auch die Gegebenheiten in den Unternehmen bestens kennt und beurteilen kann, Im Rahmen dieser Studie wurden u. a. die im deutschsprachigen Raum die Situation der Erfolgsfaktoren für eine Karriere im Projektma- Projektmanager zu untersuchen. Im Wesentli- nagement, die Projektmanagement-Funktionen, chen geht es um folgende Fragen: das Projektumfeld, die geschlechtsspezifischen Unterschiede und vieles mehr erhoben. Bei den II Wie Burnout-gefährdet sind Männer und Vor- und Nachteilen der Projektarbeit ergab sich, Frauen, die in der Projektwirtschaft arbeiten? dass sich die Projektmanager mit regelmäßigen Dienstreisen und wechselnden Einsatzorten II Gibt es markante äußere und innere Fak- arrangiert haben. Diese Art zu leben und zu toren, die die Entstehung von Burnout bei arbeiten kann zu Lasten von Gesundheit und Projektmanagern fördern? Wohlbefinden gehen. Dies war den Befragten durchaus bewusst. Dem klaren Vorteil der Pro- II Wie sehen Gesundheitszustand und Gesund- jektarbeit, immer neuen Herausforderungen zu heitsverhalten von Projektmanagern aus? begegnen (knapp 100 % der Befragten) stellten fast 65 % der Frauen und Männer die Furcht II Welche Bedeutung haben die Ergebnisse vor Burnout als größten Nachteil gegenüber. und welche Maßnahmen lassen sich daraus Dieser hohe Anteil war überraschend und machte ableiten? zugleich betroffen [2]. An dieser Stelle möchten wir den Mitgliedern des Das Thema Burnout und psychische Belastung Arbeitskreises Burnout-Studie der SIG am Arbeitsplatz und im privaten Alltag ist nicht „PM-Expertinnen“, namentlich Eva Aue, Martina nur in den Medien ein Dauerthema. Baehr, Ilona Eggert und Anke Makkai sowie Auch Politik, Unternehmen, Krankenkassen und Frau Dr. Rosmarie Mendel und Herrn Dr. Werner Gewerkschaften haben das viel diskutierte Pro- Kissling vom Centrum für Disease Management blem auf die Agenda geschrieben. Dies ist leicht der TU München für die vielen Anregungen und nachzuvollziehen, wenn man den deutlichen Beiträge herzlich danken. Anstieg bei den Arbeitsunfähigkeitstagen als auch bei den Frühverrentungen infolge psychi- 1.2 Wissenswertes zum Thema „Burnout“ scher Erkrankungen in den letzten 10 Jahren verfolgt [4]. Bevor auf die Methodik und die Ergebnisse der Studie ausführlich eingegangen wird, zunächst Warum haben so viele ProjektmanagerInnen einige Informationen zum Thema Burnout. Furcht vor Burnout? Was sind die größten Treiber dafür? Ist es der Termin- und Leistungsdruck, Was ist „Burnout“? der Innovationsdruck, sind es unrealistische Pläne, nicht beherrschbare Änderungen in den Geprägt wurde der Begriff Burnout von dem Projekten, ist es die fehlende Unterstützung/ deutsch-amerikanischen Psychoanalytiker Anerkennung durch die Vorgesetzten? Nicht Herbert Freudenberger. Er beobachtete bei zu vergessen die Führungsverantwortung der Menschen in sozialen Berufen und im Ehren- Projektmanager! Welchen Einfluss haben private amt einen Zustand körperlicher, seelischer Konflikte, Erziehung und Betreuung von Kindern, und geistiger Erschöpfung durch andauernde hohe Ansprüche an sich selbst? Welche Rolle Überbelastung. Obwohl der Begriff Burnout weit spielt die fortlaufende Beschleunigung von verbreitet ist, bestehen viele Unklarheiten und Produktions-, Dienstleistungs- und Kommuni- Missverständnisse bezüglich des „Konzepts“ kationsprozessen bei steigender Komplexität Burnout. Burnout ist keine anerkannte Diagnose der Aufgaben und zunehmenden Lernanforde- und es gibt auch keine einheitliche, international rungen? Und letztlich auch die Frage, ist diese gültige Definition von Burnout [5]. Dennoch sind Furcht berechtigt? Sind Mitarbeiter im Projektma- sich die Experten einig, dass es den Zustand des nagement tatsächlich Burnout-gefährdet und in „Ausgebrannt-seins“ gibt. welchem Maße? 17
Typischerweise zeigen sich dabei Erschöpfung, zeigen [7]. Es stimmt allerdings, dass die durch Zynismus, Frustration sowie im Verlauf verringer- psychische Erkrankungen verursachten Arbeits- te Arbeitsleistung. Burnout bildet eine mögliche unfähigkeitstage in den letzten 12 Jahren um ca. Vorstufe für psychische (z. B. Alkoholabhängig- 80 % gestiegen sind; davon entfallen die meisten keit, Depression, Angststörungen) aber auch Fehltage auf Depressionen und Angsterkrankun- körperliche Erkrankungen (z. B. Bluthochdruck) gen [8; 9]. Auch die Rate an Frühverrentungen [1; 3; 6]. Insgesamt gibt es wesentlich weniger aufgrund psychischer Erkrankungen steigt an. Fälle von Burnout als gemeinhin angenommen, Mittlerweile sind in Deutschland psychische denn oft werden fälschlicherweise psychische Erkrankungen der häufigste Grund für Frühver- Erkrankungen, wie Depression oder Angst rentungen [10]. Die Gründe für diese Zunah- störungen, mit dem Begriff „Burnout“ betitelt. me bei gleichbleibender Anzahl an psychisch Auch haben psychische Erkrankungen insgesamt Erkrankten sind vielfältig und dürften u. a. an innerhalb der letzten 20 Jahre nicht wesentlich einer verbesserten hausärztlichen Wahrnehmung zugenommen: etwa jeder dritte bis vierte Erwach- und Akzeptanz auf Patientenseite, aber auch an sene ist betroffen, wie epidemiologische Studien veränderten Arbeitsbedingungen liegen [7]. Äußere Risikofaktoren: II Zu hohe Arbeitsbelastung Innere Risikofaktoren: II Zeit- und Erfolgsdruck II Perfektionismus II Fehlender Handlungsspielraum II Zu hohe Leistungsansprüche II Fehlendes oder zu wenig positi- ves Feedback II Zu hohe Erwartungen an sich selbst II Unzureichende Be- und Entlohnung II Hohes Kontrollbedürfnis II Konfliktreiche Teamarbeit II Schwierigkeiten, Grenzen zu ziehen und „Nein“ zu sagen II Multitasking und Informations- überlastung II Überschätzen der eigenen Belastbarkeit II Drohender Arbeitsplatzverlust II Übersehen bzw. Nicht-Reagieren II Zu geringe Unterstützung auf Warnsignale II Zu pflegende Angehörige II Zu viele Ehrenämter angelehnt an [1] und [3]. Abb. 1: Äußere und innere Risikofaktoren für Burnout Wie entsteht „Burnout“? Kurzfristige Belastungen und Stress in der Arbeit ten) alleine Ursache eines Burnouts. oder im Privaten sind völlig normal. Daher sollte Immer kommen auch innere Faktoren, soge- nicht von Burnout gesprochen werden, wenn nannte Persönlichkeitseigenschaften, dazu Stress absehbar und zeitlich begrenzt ist. Hält (siehe Abbildung 1). ein Zustand der Überforderung jedoch längere Zeit an, d. h. mehrere Monate bis Jahre, ist ein Im Verlauf solcher Überlastungen sendet der Ende nicht absehbar und führen Wochenenden Körper Signale in Folge des dauerhaften Stres- und Urlaube nicht mehr zu einer Entspannung ses. Diese können vielfältig sein: z. B. Verdau- und Erholung, dann kann dies ein Risiko für die ungsprobleme, Tinnitus, Hörstürze, Schmer- Entwicklung eines Burnouts sein. Dabei können zen, Schlafstörungen, Schwindel, Gereiztheit, nicht nur Arbeitsbelastungen zu Burnout führen. Bluthochdruck etc. Jeder Mensch hat seine Auch dauerhafte Überlastungen durch die Pflege individuellen Stresszeichen. Wenn auf diese eines Angehörigen, Ehrenämter, Kinderbetreu- Warnzeichen nicht reagiert wird und die eigenen ung etc. können alleine oder in Verbindung mit Bedürfnisse ignoriert oder vernachlässigt werden, Belastungen am Arbeitsplatz in ihrer Summe zu also keine Energie mehr getankt wird, kann es Burnout führen. Es sind nie die äußeren Faktoren im Verlauf zu einem Zusammenbruch und totaler (z. B. Arbeitsbedingungen, Belastungen im Priva- Erschöpfung kommen. 18
Dieser Zustand ist möglicherweise nur mehr nehmen und zu reagieren, d. h. Energie tanken, schwer von einer Depression oder einer anderen Ressourcen stärken und Stressoren reduzieren. psychischen Erkrankung zu unterscheiden und Gleichzeitig sollten auch die äußeren Belas- bedarf unbedingt professioneller Hilfe und Ab- tungsfaktoren, wo möglich, reduziert werden. klärung. Es besteht auch die Gefahr, dass dieser So könnte jemand, der sehr perfektionistisch ist Erschöpfungszustand in eine schwerwiegende und dadurch in Stress gerät, lernen, dass 90 % psychische Erkrankung übergeht, schlimmsten- Perfektion oft ausreichen. Ein anderer, der sich falls einhergehend mit Suizidalität. schlecht abgrenzen kann, lernt „nein“ zu sagen, um damit wieder „Luft“ zu gewinnen. Vielleicht Die folgende Abbildung 2 fasst die Entstehung muss jemand, der neben dem fordernden Beruf von Burnout zusammen (angelehnt an [11]). noch Ehrenämter ausübt, diese reduzieren, um seine „Waage“ wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Zusammenfassend kann man sagen: Wie kann „Burnout“ verhindert werden? Derjenige, der zu viel für zu viele und zu lange Am wichtigsten ist, auf seine individuellen mit zu wenig Rücksicht auf sich selbst tut, ist Stresswarnzeichen zu achten und diese ernst zu am stärksten Burnout-gefährdet. Innere Risikofaktoren Äußere Risikofaktoren Arbeitsüberforderung Psychische und somatische Stresssymptome, rückbildungsfähig Andauernde Überforderung Burnout Anhaltende Erschöpfung, Zynismus, Leistungsminderung Chronifizierter Stress Erhöhtes Risiko für Folgeerkrankungen Psychische Erkrankungen (Depression, Angststörungen, Abhängigkeitserkrankungen,...) Körperliche Erkrankungen (Bluthochdruck, Tinnitus, Hörsturz, Magen-Darm-Beschwerden,...) Abb. 2: Entstehung des Burnout-Syndroms Auch der Gestaltung der Arbeitsbedingungen Wo findet man Hilfe? kommt eine ganz wesentliche Bedeutung in Erster Ansprechpartner ist in der Regel der der Prävention von Burnout zu. Hierfür sind Hausarzt, der auch die körperliche Abklärung vorwiegend die Unternehmen verantwortlich. In übernehmen kann. Es sollte immer ausgeschlos- Anbetracht der zunehmenden Fehltage „rechnet“ sen werden, dass eine körperliche Ursache (z. es sich, entsprechende Maßnahmen einzuleiten B. Schilddrüsenfunktionsstörung, Blutarmut etc.) wie z. B. Workshops zum Thema „psychische zu Grunde liegt. Bei speziellen Fragestellungen Gesundheit am Arbeitsplatz“ für Führungskräfte (z. B. „Wie kann ich besser nein sagen?“) ist ein und Mitarbeiter, Führungskräftetrainings zum Coaching zu empfehlen. Coaches bieten keine Thema „Gesund Führen“, Gesundheitstage und Diagnostik oder Therapie; vielmehr begleiten sie innerbetriebliche Mitarbeiterberatung etc., durch- zeitlich eng begrenzt bei konkreten Fragestel- geführt von erfahrenen Experten bzw. speziali- lungen. Auch empfiehlt es sich ein Beratungsge- sierten Einrichtungen. spräch bei einem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie oder bei einem psychologischen 19
Psychotherapeuten zu vereinbaren. Anonymer Die subjektive Lebensqualität, sowie der subjekti- und kostenloser Ansprechpartner kann immer ve aktuelle Gesundheitszustand wurden anhand auch ein Sozialpsychiatrischer Dienst sein, der einer 5-stufigen Likert-Skala abgefragt. Das in jedem Ort verfügbar ist und zu allen Themen Gesundheitsverhalten und weitere Informationen (z. B. Therapieangebote, Schuldenberatung, zum aktuellen Gesundheitszustand wurden erho- Familie, Pflege, Arbeitsplatz etc.) berät. ben, indem nach der Einnahme von rezeptfreien Medikamenten zur Beruhigung und Schlafförde- rung gefragt wurde sowie nach der Häufigkeit der 1.3 Methodik der Datenerhebung Inanspruchnahme von Hilfe innerhalb der letzten 12 Monate wegen körperlicher und psychischer 1.3.1 Entwicklung des Fragebogens Beschwerden. Anhand einer Checkliste mit und Pretests unterschiedlichen körperlichen und psychischen Von den PM-Expertinnen des Arbeitskreises Beschwerden, die in den letzten 12 Monaten „Burnout-Studie“ und dem Centrum für Disease mindestens einmal pro Woche aufgetreten sein Management der TU München wurde ein Online- müssen, wurde nach chronischen Beschwerden Fragebogen entwickelt, der nicht länger als 20 wie Schmerzen, Schlafstörungen und Müdig- Minuten für das Ausfüllen beansprucht, relevante keit gefragt. Ergänzt wurde um die Frage, ob demographische sowie projektmanagementspe- innerhalb der letzten 12 Monate trotz Krankheit zifische Daten erhebt und externe sowie interne gearbeitet wurde (Präsentismus). Des Weiteren Risikofaktoren abfragt. Es wurden die internen wurde nach der subjektiven Einschätzung der und externen Faktoren erhoben, die bereits in der aktuellen Hauptbelastung (beruflich, privat oder Fachliteratur als Risikofaktoren für die Entwick- gleichermaßen beruflich und privat), sowie nach lung von Burnout und psychischen Erkrankungen der empfundenen Vereinbarkeit von Privat- und im Allgemeinen beschrieben sind [8; 12-17], Berufsleben gefragt. wobei wir uns an Fragen aus dem „Stressreport“ [18] sowie an bereits etablierten Fragen von Die Fragensammlung wurde in Pretests mit 22 Professor Matthias Burisch, mit dessen freundli- ProjektmanagerInnen evaluiert und nach Prak- cher Genehmigung (siehe www.swissburnout.ch), tikabilität, Dauer und Verständlichkeit beurteilt. orientierten. Im Durchschnitt benötigten die Teilnehmer 16 Minuten; ein sinnvolles Beantworten der Fragen Als standardisierten Fragebogen zur Erhebung in unter neun Minuten wurde als ausgeschlossen des Burnout-Risikos wurde das Maslach Burnout angesehen. Die Anordnung der Fragen wurde Inventory – General Survey (MBI-GS) [19; 20] schließlich angepasst, eine Frage zum Konsum gewählt. Das Instrument besteht aus 16 Items, von Alkohol herausgenommen, aufgrund der welche die drei Domänen von Burnout abbilden, Befürchtung zu intim zu fragen und damit einen nämlich: Zynismus (5 Items), Effektivität (6 Items) Abbruch des Beantwortens des Fragebogens und Erschöpfung (5 Items). Der MBI-GS ist eine zu provozieren. Unklare Formulierungen wurden Weiterentwicklung des MBIs, der ursprünglich präzisiert und redundante Fragen eliminiert. für soziale Berufe mit Klientenkontakt konzipiert wurde. Der General Survey ist allgemeiner 1.3.2 Befragung und statistische formuliert und kann bei verschiedenen Berufs- Auswertungsmethoden gruppen eingesetzt werden. Jedes einzelne Item wird auf einer 7-stufigen Likert Skala von 0 Von Juni bis Anfang September 2013 stand der (nie) bis 6 (täglich) beurteilt. Aus den einzelnen Fragebogen online zur Verfügung und wurde in Skalen werden Summenscores gebildet. Im Fall unterschiedlichen Medien (Homepage der GPM, der Skalen Zynismus und Erschöpfung bedeuten Hinweise in Newslettern und Publikationen) so- höhere Mittelwerte auch ein höheres Burnout- wohl in Deutschland, als auch in Österreich und Risiko. Im Falle der Skala Effektivität bedeutet der Schweiz beworben. Als Anreiz für das Aus- ein niedrigerer Mittelwert ein höheres Burnout- füllen des Fragebogens wurde eine Verlosung Risiko. Maslach et al. [20] geben in ihrem Manual an das Ende des Fragebogens gestellt, nämlich folgende Richtwerte für die einzelnen Skalen die Teilnahme an einem Präsenzworkshop zum (Summenscores) an: Thema Burnout-Prävention. Zusätzlich erhielt jeder Teilnehmer am Ende des Fragebogens eine Information zum Thema Burnout sowie eine Effektivität: niedriges Burnout-Risiko > = 30; kurze Auswertung zum eigenen Burnout-Risiko. mittleres Burnout-Risiko 24-29; Die Umfrage wurde so programmiert, dass Ano- hohes Burnout-Risiko 0-23; nymität zugesichert werden konnte (IP-Adressen Zynismus: niedriges Burnout-Risiko 0-5; wurden nicht gespeichert). Des Weiteren muss- mittleres Burnout-Risiko 6-12; ten alle Fragen beantwortet werden, um „weiter hohes Burnout-Risiko > = 13; klicken“ zu können. Es wurde sichergestellt, dass von einer IP-Adresse der Fragebogen nicht Erschöpfung: niedriges Burnout-Risiko 0-7; mehrfach ausgefüllt werden konnte. Somit konnte mittleres Burnout-Risiko 8-15; das Risiko minimiert werden, dass ein und diesel- hohes Burnout-Risiko > = 16. be Person den Bogen mehrfach ausfüllte. 20
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