Burnout-Gefährdung bei Projektmanagerinnen und Projektmanagern - KNOW-HOW

 
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Burnout-Gefährdung bei Projektmanagerinnen und Projektmanagern - KNOW-HOW
KNOW-HOW

Burnout-Gefährdung bei
Projektmanagerinnen und
Projektmanagern

Ergebnisse Burnout-Studie 2014

                     Die Studie wurde von der GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e.V.
                     in Kooperation mit dem Centrum für Disease Management (CFDM) durchgeführt.
Inhaltsverzeichnis

    Abbildungsverzeichnis                                                                            4

    Tabellenverzeichnis                                                                              5

    Vorwort			                                                                                       7

    Anmerkung des Autorenteams                                                                       8

    Interviews - Teil 1                                                                              9

    1 Ergebnisse der Studie                                                                         17

      1.1 Ausgangssituation                                                                         17

    		    1.1.1   Anlass zur Studie                                                                 17

      1.2 Wissenswertes zum Thema „Burnout“                                                         17

      1.3 Methodik der Datenerhebung                                                                20

    		    1.3.1 Entwicklung des Fragebogens und Pretests                                            20

    		    1.3.2 Befragung und statistische Auswertungsmethoden                                      20

    		 1.3.3 Datenvolumen                                                                           21

    2 Auswertungsergebnisse                                                                         22

      2.1 Alter, Geschlecht, Ausbildung                                                             22

      2.2 Arbeitsverhältnisse                                                                       22

      2.3 Burnout-Risiko                                                                            24

      2.4 Externe Risikofaktoren: Welche sind für das Arbeitsgebiet Projektmanagement relevant?     27

    		    2.4.1   Externe Faktoren, die das Burnout­-Risiko erhöhten                                28

    		    2.4.2   Externe Faktoren, die das Burnout-­Risiko nicht erhöhten oder sogar reduzierten   31

    		    2.4.3   Innere Faktoren (Persönlichkeits­faktoren) und Burnout-Risiko                     32

    		    2.4.4   Burnout-Risiko und Zufriedenheit mit der Arbeit                                   33

          2.4.5   Burnout-Risiko und die Vereinbarkeit von beruflichen und privaten Interessen      34

    		    2.4.6   Burnout-Risiko und Hauptbelastungen                                               34
                  (privat, beruflich bzw. beruflich und privat gleichermaßen)

    		    2.4.7   Gesundheitsverhalten, Gesundheits­zustand und Lebensqualität                      35

    		    2.4.8   Burnout-Risiko und Führungsverantwortung                                          37

    		    2.4.9   Burnout-Risiko im deutschsprachigen Raum                                          37

    		    2.4.10 Burnout-Risiko und Geschlecht                                                      40

    		    2.4.11 Angebote der Unternehmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie                   42

      2.5 Vergleich der Ergebnisse mit bereits publizierten Daten                                   43

2
2.5.1 Rate an Erschöpfung und Burnout                            43

      2.5.2   Äußere und innere Risikofaktoren der Studienteilnehmer   43

      2.5.3   Geschlechtsspezifische Unterschiede                      45

3 Gesamtbewertung der Studie                                           46

  3.1 Einordnung der Studienergebnisse aus medizinischer Sicht         46

  3.2 Implikationen der Ergebnisse für die Praxis                      46

  3.3 Stärken und Einschränkungen der Studie                           48

4 Ausblick und Empfehlungen                                            49

Interviews - Teil 2                                                    50

Literaturverzeichnis                                                   56

                                                                            3
Abbildungsverzeichnis

    Abbildung 1    Äußere und innere Risikofaktoren für Burnout                          18

    Abbildung 2    Entstehung des Burnout-Syndroms                                       19

    Abbildung 3    Altersverteilung der Studienteilnehmer                                22

    Abbildung 4    Verantwortungsbereiche der Studienteilnehmer                          24
                   (Mehrfachnennungen möglich)

    Abbildung 5    Erreichte Burnout-kritische Werte in den 3 Domänen                    25

    Abbildung 6    Erreichte Burnout-kritische Werte je Branche                          26

    Abbildung 7    Erreichen Burnout-kritischer Werte in Abhängigkeit der                27
                   ausgeübten Funktion

    Abbildung 8    Angaben der Studienteilnehmer zu den äußeren Burnout-                 30
                   Risikofaktoren in %

    Abbildung 9    Ausprägung der Burnout-begünstigenden Persönlichkeitsfaktoren         33

    Abbildung 10   Empfundene Hauptbelastung der Studienteilnehmer                       34

    Abbildung 11   Auflistung der Beschwerden der Studienteilnehmer                      35

    Abbildung 12   Empfundener Gesundheitszustand der Studienteilnehmer                  36

    Abbildung 13   Empfundene Lebensqualität der Studienteilnehmer                       36

    Abbildung 14   Einfluss der Führungsverantwortung auf Burnout                        37

    Abbildung 15   Burnout-kritische Werte für österreichische und deutsche              38
                   Studienteilnehmer

    Abbildung 16   Burnout-kritische Werte getrennt nach österreichischen                39
                   und deutschen Männern

    Abbildung 17   Burnout-kritische Werte getrennt nach österreichischen                40
                   und deutschen Frauen

    Abbildung 18   Burnout-kritische Werte und Geschlecht                                41

    Abbildung 19   Bekannte und wahrgenommene Angebote der Unternehmen                   42
                   zur Entlastung der Mitarbeiter

    Abbildung 20   Belastende Faktoren im Vergleich mit anderen Studien                  44

    Abbildung 21   Warnzeichen für die Entwicklung eines Burnout-Syndroms                46
                   bei den Studienteilnehmern

    Abbildung 22   Präventionsmöglichkeiten auf Organisations- und individueller Ebene   47

4
Tabellenverzeichnis

Tabelle 1    Ausgeübte Funktionen der Studienteilnehmer                           23

Tabelle 2    Projektspezifische Angaben der Studienteilnehmer                     23

Tabelle 3    Burnout-Scores der Studienteilnehmer aufgeteilt nach Branchen        25

Tabelle 4    Burnout-Scores der Teilnehmer und Funktion im Unternehmen            26

Tabelle 5    Burnout-relevante äußere Risikofaktoren                              28

Tabelle 6    Einfluss der empfundenen Wertschätzung auf die 3 Burnout-Subskalen   29

Tabelle 7    Zusatzbelastungen der Studienteilnehmer                              31

Tabelle 8    Persönlichkeitsfaktoren                                              32

Tabelle 9    Burnout-Scores und Zufriedenheit mit der Arbeit                      33

Tabelle 10   Vereinbarkeit von beruflichen und privaten Interessen                34

Tabelle 11   Burnout-Scores aufgeteilt nach Deutschland und Österreich            38

                                                                                       5
Burnout-Gefährdung bei Projektmanagerinnen
    und Projektmanagern
    Ergebnisse Burnout-Studie 2014 – Langversion

    Oktober 2014

    Autoren
    Dr. Tatjana Reichhart
    Roswitha Müller-Ettrich

6
Vorwort

Sind ProjektmanagerInnen mehr als andere              Genauso wichtig sind die äußeren Bedingungen,
Berufsgruppen gefährdet, bei ihrer anspruchsvol-      die das Burnout-Risiko von ProjektmanagerInnen
len, herausfordernden Arbeit auszubrennen? Das        im positiven Fall deutlich mindern, im negativen
war die Leitfrage für die im Jahr 2013 durch-         Fall jedoch erheblich verstärken können. Diese
geführte Studie mit dem Centrum für Disease           sind in erster Linie:
Management an der TU München, die von den
PM-Expertinnen der GPM initiiert wurde. Das           II die Wertschätzung durch den Vorgesetzten
Risiko, an Burnout zu erkranken, ist den meisten
                                                      II die Arbeitsbelastung
ProjektmanagerInnen offenbar sehr bewusst.
Aber wie hoch ist diese Gefahr wirklich?              II die Zufriedenheit mit dem Gehalt
                                                      II häufige Unterbrechung bei der Arbeit
Die Zahl der psychischen Erkrankungen, zu de-
nen Burnout gezählt wird, nimmt in Deutschland        II die Unterstützung durch den Vorgesetzten
rapide zu: von 8,1 Krankheitstagen pro 1.000          II die Bewertung der Wichtigkeit der eigenen
Krankenversicherten im Jahr 2004 stiegen die              Arbeit
Ausfalltage bis 2011 auf 94,4 Tage (Quelle: Fehl-
zeitenreport 2012). Das gleiche Bild zeigt sich bei   II die empfundenen eigenen Handlungs­
den Frühverrentungen: mittlerweile sind psychi-           spielräume
sche Erkrankungen mit rund 50 % die häufigste         II die Klarheit der Zielvorgaben
Ursache für Frühverrentungen in Deutschland
(Quelle: Ärzteblatt vom 24.7.2013).                   II flexible Arbeitszeiten
                                                      II zeitlich befristete Anstellungen
Bereits die überaus hohe Studienbeteiligung mit
                                                      II die Anzahl der Auftraggeber bzw. Kunden
über 1.300 Teilnehmern aus dem Bereich Pro-
                                                          eines Projektes
jektmanagement beweist das immense Interesse
an diesem uns alle betreffenden Thema.                Hier besteht für die Organisationen und Füh-
                                                      rungskräfte großer Handlungsbedarf, die
Die Ergebnisse zeigen: Burnout-Symptome treten        Unternehmenskulturen und ihren Führungsstil
bei den befragten ProjektmanagerInnen deutlich        dahingehend weiterzuentwickeln, dass sie die
häufiger auf als bei Mitarbeitern in anderen Beru-    Mitarbeiter deutlich besser bei ihrer anspruchs-
fen. 35 % der Befragten haben den Cut-off Score       vollen Projekttätigkeit unterstützen. Denn der
für Burnout erreicht, 40 % fühlen sich von ihrer      wichtigste Erfolgsfaktor für die immer stärker
Arbeit ausgebrannt, über 50 % sind mindestens         expandierende Projektwirtschaft sind gut aus-
einmal im Monat ausgelaugt von ihrer Arbeit. Das      gebildete, motivierte, gesunde und belastbare
sind besorgniserregende Zahlen.                       ProjektmanagerInnen.

Die Untersuchungsergebnisse zeigen, dass es
nicht nur die beruflichen Anforderungen sind,
sondern insbesondere die eigenen Erwartungen
an uns selbst, die uns überfordern und auf Dauer      Prof. Dr. Yvonne Schoper
krank machen. 90 % der Studienteilnehmer              GPM Deutsche Gesellschaft
stimmen der Aussage „ich bin erst dann mit mir        für Projektmanagement e.V.
zufrieden, wenn ich mein Bestes gegeben habe“         Vorstand Forschung
zu. Hier ist jeder Einzelne aufgefordert, die An-
sprüche an sich selbst kritisch zu hinterfragen.

                                                                                                         7
Anmerkung des Autorenteams

    Das Thema Burnout und psychische Belastung           Zudem wird in Interviews z. B. die Bedeutung
    am Arbeitsplatz und im privaten Alltag ist nicht     von Burnout-Erkrankungen für die Unternehmen
    nur in den Medien ein Dauerthema. Auch die           und die Volkswirtschaft von einem Experten, der
    Politik, Unternehmen, Krankenkassen und Ge-          täglich mit dieser Materie befasst ist, beleuchtet.
    werkschaften haben aufgrund der Zunahme der          Eine betroffene Managerin beschreibt anschau-
    Arbeitsunfähigkeitstage als auch der Frühver-        lich, wie sie in einen Burnout „geschlittert“ ist.
    rentungen infolge psychischer Erkrankungen die       Vertreter der Wirtschaft zeigen auf, was sie seit
    vieldiskutierte Tatsache im Focus.                   Jahren an präventiven Maßnahmen unterstüt-
                                                         zend für ihre Mitarbeiter zur Verfügung stellen.
    In einer Studie der PM-Expertinnen der GPM
    über die Arbeitsbedingungen und Karrierechan-        Die Projektleitung seitens der GPM hatte
    cen von Projektmanagerinnen und Projekt­             Roswitha Müller-Ettrich. Frau Müller-Ettrich ist
    managern aus 2009 sahen 65 % der Befragten           Gründungsmitglied der GPM und in der Leitung
    die Furcht vor Burnout als größten Nachteil ihrer    der SIG (special interest group) PM-Expertinnen
    Tätigkeit an. Woher kommt diese Besorgnis? Ist       der GPM. Sie suchte einen geeigneten
    es der tägliche Druck des Berufslebens – immer       Kooperationspartner, der die medizinische Seite
    schneller, immer komplexer mit weniger Mitar-        mit profunden Kenntnissen abdecken konnte.
    beitern? Sind es die täglichen Warnsignale wie       Zusammen mit der Projektleiterin des Koopera-
    Erschöpfung, Frustration, Schlafstörungen und        tionspartners, Frau Dr. Tatjana Reichhart, vom
    vieles mehr. Welchen Anteil hat das Privatleben      Centrum für Disease Management der Techni-
    an dieser Überforderung?                             schen Universität München organisierte sie die
                                                         Online-Umfrage und die Datenauswertung. Frau
    Wie die vielfältigen Ergebnisse der Online-Studie,   Dr. Reichhart ist Fachärztin für Psychiatrie und
    an der über 1.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbei-     Psychotherapie und hat ihren Arbeitsschwerpunkt
    ter im Projektmanagement aus Deutschland,            auf dem Gebiet psychische Gesundheit am
    Österreich und der Schweiz teilgenommen              Arbeitsplatz. Sie leitet Workshops für Führungs-
    haben, zeigen, sind 35 % der in der Projektwirt-     kräfte, Personalreferenten, Betriebsräte sowie
    schaft Tätigen Burnout-gefährdet!                    Mitarbeiter.

    In dieser Broschüre werden                           An dieser Stelle möchten wir allen Teilnehmern
                                                         der Umfrage danken, wie auch den vielen ande-
    II zahlreiche demographische und berufs­             ren Unterstützern der Studie. Für den beruflichen
        bezogene Daten                                   Alltag wünschen wir den Lesern „happy projects“.
    II das Burnout-Risiko allgemein und differen-
        ziert nach Branchen und Funktionen
    II die externen und internen Risikofaktoren, die
        einen Burnout „befeuern“                         Dr. T. Reichhart          Roswitha Müller-Ettrich
    II Burnout-Risiko und die Vereinbarkeit von          Centrum für Disease       GPM SIG
        beruflichen und privaten Interessen              Management,               „PM-Expertinnen“,
                                                         Technische Universität    Projektleiterin
    II die Unterschiede zwischen deutschen und           München
        österreichischen Projektmanagern
    II Präventionsmöglichkeiten auf der individuel-
        len Ebene wie der Unternehmensseite
    und a. m. beschrieben.

8
Interview – Dr. Werner Kissling

                                                     des Problems eine Schlüsselfunktion zu und
                                                     sie sind meistens auf diese Aufgabe überhaupt
                                                     nicht vorbereitet. Sie müssen geschult werden,
                                                     psychische Belastungen und Erkrankungen bei
                                                     ihren Mitarbeitern frühzeitig zu erkennen, in der
                                                     richtigen Weise anzusprechen und dann den
                                                     Mitarbeiter zu motivieren, sich professionelle
                                                     Hilfe für die Bewältigung seiner Erkrankung
                                                     zu suchen. Solche Schulungen bewirken sehr
                                                     viel, wie wir in einer Studie in 300 Unternehmen
                                                     zeigen konnten, die wir in den letzten Jahren
                                                     geschult haben.

                                                     Und was kann man präventiv tun?
Dr. Werner Kissling
                                                     Unternehmen und Behörden sind ja gesetzlich
Leiter des Centrums für Disease                      verpflichtet, in einer Gefährdungsbeurteilung alle
Management (CFDM) der TU München                     Arbeitsplätze auf psychische Belastungen hin zu
                                                     untersuchen. Das wissen viele noch nicht, aber
Dr. Kissling ist Experte auf dem Gebiet „Gesund-     die Gewerbeaufsichtsämter haben damit begon-
heitsmanagement für psychische Gesundheit            nen, die Einhaltung dieses Arbeitsschutzgesetzes
am Arbeitsplatz“. Das CFDM hat in den letzten        sehr genau zu überprüfen. Und abhängig vom
Jahren über 300 Unternehmen und Behörden             Ergebnis dieser Gefährdungsbeurteilung müssen
zu diesem Thema beraten und führt Workshops          die Unternehmen dann die erforderlichen Maß-
dazu durch. Zum Aufgabengebiet gehört auch die       nahmen umsetzen: Gesundheitsmanagement,
Gefährdungsbeurteilung hinsichtlich psychischer      Führungskräfte Schulungen, Beratungsangebote
Belastungen. Das Interview führte Dr. Tatjana        für alle Mitarbeiter etc.
Reichhart, Centrum für Disease Management der
Technischen Universität München.                     Sind die Unternehmen überhaupt bereit in
                                                     Gesundheitsmanagement zu investieren?
Herr Dr. Kissling, man liest ja zurzeit überall
von Burnout und der Zunahme von psychi-              Seit diese Fehltagestatistiken wegen psychischer
schen Erkrankungen. Ist das ein Medien Hype          Erkrankungen auf dem Tisch liegen, häufen
oder tatsächlich ein echtes Problem?                 sich bei uns die Anfragen nach Beratung zum
                                                     Gesundheitsmanagement und nach Schulungen
Die Fehltage wegen psychischer Erkrankungen          für die Führungskräfte. Denn jedem Unterneh-
haben in den letzten Jahren um 165 % zuge-           men entstehen hohe Kosten durch psychische
nommen. Das ist für Unternehmen und Behör-           Erkrankungen der Mitarbeiter. Ein Unternehmen
den tatsächlich ein riesiges und ein sehr teures     mit 1.000 Mitarbeitern z. B. verliert im Jahr
Problem. Burnout selbst führt dabei nur bei 2-4 %    mindestens 3 Millionen €, wenn es sich nicht um
der Mitarbeiter direkt zur Arbeitsunfähigkeit. Wir   dieses Problem kümmert. Im Vergleich dazu sind
sehen Burnout eher als einen Risikozustand, der      30.000 € für ein wirksames Gesundheitsmanage-
zu anderen psychischen Störungen wie Depres-         ment „peanuts“.
sion oder Angsterkrankungen führen kann, wenn
man nicht rechtzeitig etwas dagegen unternimmt.      Und welchen Einfluss hat der Führungsstil?
Was kann man denn dagegen tun?                       Es gibt zahlreiche Studien, die eindeutig zeigen,
                                                     dass der Führungsstil großen Einfluss auf den
Das Unternehmen als Ganzes, die Führungs-            Krankenstand hat. Deshalb führen wir in allen
kräfte und jeder einzelne Mitarbeiter können da      Unternehmen, die wir betreuen, auch Schulun-
sehr viel tun. Zum einen präventiv, zum anderen      gen zum Thema „Gesund führen“ durch.
aber auch, wenn jemand schon überlastet oder
erkrankt ist.                                        Und was kann jeder Einzelne für seine
                                                     psychische Gesundheit tun?
Wie sieht das dann konkret aus? Was kann
ein Unternehmen denn für die psychische              Viele – gerade die jüngeren Mitarbeiter und die
Gesundheit seiner Mitarbeiter tun?                   Führungskräfte – denken in der Alltagshektik
                                                     relativ selten an ihre Gesundheit. Dafür muss
Am wichtigsten ist die Schulung von Führungs-        man sie durch entsprechende Maßnahmen wie
kräften, Personalern und Betriebsräten zu die-       Sensibilisierungsvorträge, Gesundheitstage,
sem Thema. Ihnen kommt bei der Bewältigung           Schulungen, E-Learning Programme etc. erst

                                                                                                          9
einmal sensibilisieren. Dabei ist Vorbeugung     In den nächsten Jahren vermutlich schon noch.
     gegen stressbedingte psychische Störungen        Aber mittelfristig bin ich zuversichtlich. Immer
     recht einfach:                                   mehr Unternehmen und Behörden haben inzwi-
                                                      schen die Relevanz der psychischen Gesundheit
     Die 5 wichtigsten Maßnahmen („Big Five“) sind:   ihrer Mitarbeiter für das Unternehmensergebnis
                                                      erkannt und haben mit einem wirksamen
     II Jeden Tag ausreichend erholsame Kurz­         Gesundheitsmanagement und Schulungsmaß-
         pausen einplanen                             nahmen begonnen. Wenn diese Entwicklung
                                                      anhält, wird sich die Fehltagekurve in maximal 5
     II regelmäßig Sport treiben                      Jahren abflachen und dann sogar wieder sinken.
                                                      Ähnlich wie das bei den Rückenbeschwerden der
     II mindestens 7 Stunden täglich schlafen         Fall war.

     II nicht in allem perfekt sein wollen            Und was kann ein Mitarbeiter tun, wenn seine
         (selektiver Perfektionismus)                 Firma die Relevanz des Themas noch nicht
                                                      erkannt hat?
     II befriedigende Sozialkontakte pflegen,
         ausreichend Spaß haben, Lachen,              Dann soll er den Verantwortlichen vorrechnen,
         Freunde treffen etc.                         wieviel Geld sie jedes Jahr verlieren, wenn sie
                                                      sich nicht um die Lösung dieses drängenden
     Jeder kennt diese Punkte, das Problem ist die    Problems kümmern.
     praktische Umsetzung. Aber die kann man in
     entsprechenden Trainings lernen.                 Vielen Dank Herr Dr. Kissling für das
                                                      ­Interview.
     Wie sehen Sie die Entwicklung in den nächs-
     ten Jahren? Werden die Fehltage wegen
     psychischer Störungen weiter ansteigen?

10
Interview – Betsy Uphus

                                                    Aus heutiger Sicht: Ja! Die Anzeichen waren da,
                                                    fast schon bilderbuchmäßig. Aber ich habe mich
                                                    nie mit dem Thema auseinandergesetzt und
                                                    konnte so die Zeichen nicht deuten.

                                                    Außerdem war meine innere Haltung ungesund
                                                    preußisch: „Zusammenreißen, Weitermachen ...“
                                                    Rückblickend war das fahrlässig mir gegenüber.

                                                    Wer oder was hat Ihnen in der Situation
                                                    geholfen? Und wie sind sie da wieder raus
                                                    gekommen?

                                                    Geholfen hat mir zunächst ein Freund. Er war
Betsy Uphus                                         selbst vor Jahren an einem Burnout erkrankt,
                                                    und ich wusste um seine Sensibilität und sein
Projektleiterin                                     Verständnis. Er ging lange mit mir spazieren, er
                                                    war einfach da. Anschließend organisierte er für
Frau Betsy Uphus arbeitete 20 Jahre als Ma-         mich einen Flug nach München, wo mich mein
nagerin in Medienunternehmen, bevor sie 2008        Mann vom Flughafen abholte. Ich selbst war
an Burnout erkrankte. Heute ist sie zertifizier-    nicht in der Lage, das zu organisieren. Am näch-
ter Business-Coach mit den Schwerpunkten            sten Tag suchten wir zu zweit unsere Hausärztin
Burnout-Prävention und Konfliktmanagement.          auf. Sie erkannte gleich, was mit mir los war,
Das Interview führte Dr. Tatjana Reichhart, Cen-    schrieb mich krank und verschrieb mir Anti­
trum für Disease Management der Technischen         depressiva. Zusätzlich riet sie mir, dringend einen
Universität München.                                Therapeuten zu konsultieren. Damit begann ein
                                                    langer und schwieriger, aber auch erkenntnis-
Frau Uphus, wie war Ihre berufliche Situa-          reicher Weg. Eine unersetzliche Hilfe war mein
tion, als Sie das Burnout-Syndrom bekom-            Mann. Er stand immer an meiner Seite und
men haben?                                          unterstützte mich uneingeschränkt. Auch für ihn
                                                    war es nicht leicht, da er nicht wusste, wie er sich
Im Jahr 2008 erkrankte ich an dem so genannten      verhalten sollte. Weitere Unterstützung kam von
Burnout-Syndrom. Damals war ich seit knapp          Freunden und Nachbarn. Das aber erst zu einem
einem Jahr „Leiterin Marketing & Vertrieb“ bei      späteren Zeitpunkt, da ich die ersten Monate nur
einem Tochterunternehmen eines Medien­              zu Hause mit meinem Mann verbrachte. Sehr
unternehmens in Hamburg. Mein Mann lebte und        wichtig waren auch meine Hausärztin und mein
arbeitete noch in München, wo ich vorher als        Therapeut. Meine Haus­ärztin ist bis heute eine
„Leiterin Presse-Information“ bei einem Fernseh-    kompetente, verständnisvolle und mitfühlende
sender tätig war.                                   Ansprechpartnerin, und mein Therapeut hat mir
                                                    vieles aufgezeigt, z. B. dass es keine Schwäche
Wie hat sich das genau angefühlt?                   ist, psychisch erkrankt zu sein.

Die Warnzeichen kamen bereits Jahre vorher, in      Ist man nachher schlauer?
Form von Rückenschmerzen, Verspannungen,
einem Hörsturz und kleinere Beschwerden, die        Gott sei Dank JA! Dank meiner Therapie, einem
sich regelmäßig meldeten.                           Aufenthalt in einer psychosomatischen Klinik
Als es zum Ausbruch der Krankheit kam, ging         und meiner anschließenden Ausbildung zum
bei mir nichts mehr. Ich fühlte nur noch Leere.     Business Coach habe ich sehr viel gelernt. Ich
Ich fühlte mich absolut hilflos und bekam einen     habe mich intensiv mit meiner Erkrankung und
tagelangen Weinkrampf. Ich wollte/konnte meh-       den Umständen, die dazu führten, auseinander
rere Tage nicht sprechen. Ich hatte kein Leben in   gesetzt. Das war kein einfacher, aber für mich
mir. Alles war mir zu viel. Ich stand von meinem    der beste Weg. Diesen Weg führe ich bis heute
Arbeitsplatz auf und ging einfach weg, ohne         fort.
meiner Sekretärin oder einem anderen Kollegen
Bescheid zu sagen. Mir war alles zu viel. Dieser    Was haben Sie persönlich aus dieser
Zustand hielt dann fast ein Jahr lang an.           Erfahrung gelernt?

Haben Sie kommen sehen, dass Sie in ein             Ich habe sehr viel gelernt. Als erstes, dass ich
Burnout driften?                                    selbst für mich und mein Wohlergehen verant-

                                                                                                           11
wortlich bin. Niemand kommt und nimmt mich            den. Das kam Schritt für Schritt. Ich fühlte mich
     an die Hand. Ich muss mich selbst um mich und         beschützt. Darüber hinaus die langsame Ausein-
     meine Belange kümmern.                                andersetzung mit meiner Erkrankung. Ich wollte
     Das hört sich einfach an, aber es ist nicht ein-      wissen, warum, wieso und weshalb. Ich habe so
     fach, es im Alltag umzusetzen. Dazu musste ich        unendlich viel gelernt, das gab mir immer mehr
     zuerst meine Bedürfnisse und Kräfte kennen,           Kraft. Darüber hinaus meine Entscheidung, mit
     anschließend Grenzen setzen, um so auf mich           offenen Karten zu spielen. Mit meiner Diagnose
     „aufzupassen“. Das hat sicherlich einige Men-         bin ich offen umgegangen. Keine Geheimnisse,
     schen vor den Kopf gestoßen, aber mir geht es         keine Ausflüchte, sondern dazu stehen, dass ich
     deutlich besser.                                      krank bin. Des Weiteren hilft mir bis heute mein
                                                           ehrenamtliches Engagement für BASTA (Bündnis
     Zusätzlich habe ich meine Kommunikation ver-          gegen die Stigmatisierung psychisch kranker
     ändert. Heute kommuniziere ich deutlicher und         Menschen). Ich stehe nicht allein da, und ich
     klarer. Und das funktioniert tatsächlich. Ich fühle   sensibilisiere vor allem junge Menschen für das
     mich viel besser.                                     Thema.

     Würden Sie sagen, dass ausschließlich die             Wie geht es Ihnen jetzt? Beruflich und privat?
     Arbeit „schuld“ war an Ihrem „Zusammen-
     bruch“?                                               Ich beginne mit dem Privaten. Ich bin glücklich.
                                                           Ich lebe wieder. Mein Leben ist reicher gewor-
     Meiner Meinung nach gibt es keine Schuld.             den. Beruflich war es schwieriger, denn ich
     Weder haben die „anderen“ noch „ich“ Schuld.          verspürte eine lähmende Angst. Mir war nun klar,
     Ich bin einfach krank geworden. Ich habe mich         dass ich nicht mehr als Führungskraft und nicht
     mit meiner Geschichte auseinandergesetzt und          mehr Vollzeit arbeiten werde. In der Klinik haben
     handle heute nach meinen aktuellen Erkenntnis-        mich dann eine Therapeutin und eine Trainerin
     sen. Ein Blick zurück um den oder die „Schuldi-       auf meine hohe soziale Kompetenz und beruf-
     gen“ auszumachen, ist mir zu destruktiv.              liche Erfahrung angesprochen. Sie regten an,
                                                           mich in diese Richtung zu orientieren. Das fühlte
     Welche Tipps können Sie anderen Betroffe-             sich für mich gut und richtig an. Nach einer Aus-
     nen geben, die merken, dass sie vielleicht in         bildung bei der IHK zum systemischen Business
     ein Burnout rutschen könnten?                         Coach berate ich heute Menschen zu beruflichen
                                                           Themen wie Burnout-Prophylaxe, dem Umgang
     Ich persönlich höre heute mehr auf mein               mit Konflikten und dem Wiedereingliederungs-
     Bauchgefühl und nehme mir ausreichend Zeit für        management. Letzteres ist die optimale Vorberei-
     Entscheidungen und Antworten. Und ich bin nicht       tung zur Rückkehr in den Job, z. B. nach einem
     mehr „Everybody’s Darling“. Außerdem höre ich         Burnout. Darüber hinaus arbeite ich als Texterin
     bei besorgten Rückmeldungen meiner Familie            – eine Arbeit, die ich liebe. Ich bin froh, keine
     und von Freunden genauer hin. Ziehe ich mich          Führungsverantwortung mehr zu haben und
     wieder zurück? Spreche ich zu viel über meine         meine Zeit selbst einteilen zu können.
     Arbeit?
                                                           Wie hat Ihr berufliches Umfeld auf Ihre
     Was war das Schlimmste an der Zeit?                   Erkrankung reagiert?

     Die Angst, versagt zu haben. Die Scham – habe         Da gab es keine Reaktionen. Ich bin ja auch nicht
     ich versagt? Was sagen die Kollegen? Und              zurück in meine alte Firma gegangen, da mir ja
     was fürchterlich war: Selbst als ich am Boden         gekündigt wurde. Als mir meine Unterlagen nach
     lag, machte ich mir noch Gedanken über eine           München geschickt wurden, fand ich in dem
     Entscheidungsvorlage für die Geschäftsführung,        Karton eine Karte von einer Kollegin mit sehr
     die ich nicht fertig gestellt hatte. Ganz schlimm     freundlichen Worten. Das hat mich tief berührt
     war auch: Als ich mich meinem Vorgesetzten            und gefreut. Als ich vor Jahren an Krebs erkrank-
     offenbarte, beschwichtigte er mich, dass ich          te, haben sich viele Menschen gemeldet, als ich
     erst einmal gesund werden soll. Wenige Tage           psychisch krank wurde, waren die Reaktionen
     später wurde mir gekündigt. Mein Vertrauen in         deutlicher verhaltener. Genau deshalb engagie-
     die Menschheit war erst einmal dahin. Außer-          re ich mich für BASTA – Bündnis für psychisch
     dem hatte ich große Angst um meine berufliche         erkrankte Menschen.
     Zukunft. Ich sah damals nur schwarz und weiß:
     Entweder zurück in den Job oder ein Leben auf         Gab es von beruflicher Seite irgendeine Un-
     der Straße.                                           terstützung? Hat Sie mal jemand gefragt, wie
                                                           es Ihnen geht?
     Gab es auch was Positives aus der Zeit?
                                                           Meine Freunde und meine Familie haben natür-
     Ja, die Ruhe. Und vor allem das Zusammensein          lich meinen Weg verfolgt. Auch viele Freunde
     mit meinem Mann. Dass wir wieder gemeinsam            aus Berlin, wo ich 13 Jahre gelebt habe, nahmen
     unter einem Dach lebten, machte mich zufrie-          regen Anteil. Es war schön zu merken, wie viele

12
tragfähige und belastbare Freundschaften ich        nicht schlagfertig oder haben einfach keine Lust
habe. Eine Ressource, die ich erst in der Klinik    und Kraft, sich ständig zu rechtfertigen. Deshalb
begriffen habe.                                     mein Wunsch „Einfach mal die Klappe halten“
                                                    und sich in die Situation des anderen reinfühlen
Was hätten Sie sich von Ihrem Chef ge-              und -denken, das wäre prima.
wünscht?
                                                    Was hat sich seit dieser Erfahrung noch in
Vor der Erkrankung sicherlich, dass er echte        ihrem Leben geändert?
Führung ausübt. Ich hatte nur einmal in meinem
Leben das Glück, eine Führungskraft zu haben,       Mein Mann und ich teilen heute unser Leben mit
die den Titel verdient. Das war in Berlin, und zu   Frieda, einem bildhübschen Parson Terrier. Von
den ehemaligen Kollegen habe ich immer noch         ihr kann man lernen, wie man seine eigenen
engen Kontakt. Da ich nicht in mein altes Berufs-   Bedürfnisse durchsetzt. Die junge Dame hat ein
leben zurückgekehrt bin, ersetze ich jetzt mal      enormes Forderungsmanagement und sie sorgt
den „Chef“ durch „Umfeld“. Hier wünsche ich mir     dafür, dass ich selbst bei schlechtem Wetter
mehr Verständnis. Sätze wie: „Wie lange dauert      mehrmals am Tag an die Luft muss. Da muss
das denn noch?“, „Mir geht es auch mal schlecht,    sich jede Depression „hintenanstellen“. Ach ja,
deshalb renne ich nicht gleich zum Arzt“, „Sowas    ich habe noch ein schönes Motto: „Hinfallen,
bezahlt die Krankenkasse?“ oder „Wie lange soll     aufstehen, Krone richten und weiter gehen“.
die Therapie denn noch dauern“ nerven. Ich per-
sönlich kann gut damit umgehen und angemes-         Vielen herzlichen Dank, Frau Uphus, für
sen reagieren. Aber nicht jeder Mensch hat diese    dieses offene Interview.
Fähigkeit. Manche Menschen sind verletzbarer,

                                                                                                        13
Interview – Dr. Ulrich Birner

                                                           Wie sieht dieses „Global Health Management
                                                           System“ nun konkret aus?

                                                           Unser Health Management System muss vor
                                                           allem den zahlreichen Standorten des Konzerns
                                                           im In- und Ausland und deren speziellen Anforde-
                                                           rungen gerecht werden.
                                                           Deshalb ist die Hauptfrage bei der Implementie-
                                                           rung immer: „Wo stehen wir in der Gesundheits-
                                                           prävention und wo wollen wir hin?“
                                                           Zur Beantwortung dieser zentralen Frage stellen
                                                           wir den verschiedenen Standorten und Landes-
                                                           gesellschaften einen „Baukasten“ zur Verfügung,
                                                           der ein Reifegradmodel für ein Self Assessment
     Dr. Ulrich Birner                                     aber auch Umsetzungshilfen und Instrumente
                                                           und Methoden enthält, und zum Aufbau von
     Leiter des Fachreferats Psychosocial Health           Kompetenz im Gesundheitsmanagement „vor
     and Well-Being im Zentralbereich Environmental        Ort“ dient. Voraussetzung ist immer eine Be-
     Protection, Health Management and Safety der          darfsanalyse. Grundlagen sind hier z. B. Daten
     Siemens AG, München.                                  aus dem Personalbereich zum Krankenstand,
                                                           Gesundheitsberichte von Krankenkassen, Statis-
     Seine Tätigkeitsschwerpunkte sind Konzeption,         tiken von Betriebsärzten und Sozialdienststellen
     Umsetzungsunterstützung und Monitoring von            sowie Daten aus den Arbeitssicherheitsberichten.
     Maßnahmen zur Wiederherstellung, Prävention           Diese Auswertung der vorhandenen Daten erfolgt
     und Förderung psychischer Gesundheit ein-             natürlich nur anonymisiert und aggregiert auf
     schließlich der psychischen Gefährdungsbeurtei-       Organisationsebene und in Abstimmung mit dem
     lung im Rahmen des betrieblichen Gesundheits-         Datenschutzbeauftragten und dem Betriebsrat.
     managements auf Konzernebene. Das Interview
     führte Roswitha Müller-Ettrich von der Special        Mit dem Baukasten und seinen Modulen
     Interest Group PM-Expertinnen der GPM.                alleine wird es nicht getan sein. Oder?

     Herr Dr. Birner, Sie sind Leiter des Fachrefe-        Ganz sicher nicht! Dieses System basiert auf
     rats „Psychosocial Health and Well-Being“.            einem ganzheitlichen Gesundheitsverständnis,
     Das klingt sehr innovativ und progressiv.             d.h. der gesundheitsförderlichen Gestaltung der
     Siemens hat ja eine lange Tradition im                Arbeit und der Befähigung von Mitarbeitern zu
     Bereich der betrieblichen sozialen Leistun-           gesundheitsförderlichem Verhalten.
     gen. So gab es bereits 1888 einen eigenen             Um dies nachhaltig zu erreichen, bedarf es v.a.
     Betriebsarzt in Berlin und ab 1956 erste Kreis-       der Unterstützung der Führungskräfte. Deshalb
     lauftrainingskuren für Mitarbeiter.                   ist es so wichtig, sie für diese Rolle im Gesund-
     Wie sieht heute das Angebot im Bereich der            heitsmanagement fit zu machen. Dafür haben wir
     Gesundheitsprävention aus?                            entsprechende Trainingsmodule für unterschied­
                                                           liche Zielgruppen installiert.
     2009 wurde mit dem Aufbau der Zentralabteilung
     Environmental Protection, Health Management           Das heißt, Ihr Fachbereich gibt Hilfestellung
     and Safety, für die zwischenzeitlich ca. 40           bei einer bedarfsorientierten Nutzung des
     Mitarbeiter tätig sind, und die dem Personalvor-      „Baukastens“, und unterstützt das Manage-
     stand direkt unterstellt ist, auch das betriebliche   ment vor Ort bei der Wahrnehmung seiner
     Gesundheitswesen bei Siemens neu geregelt.            Verantwortung für möglichst gesunde Mitar-
     Man sah einerseits die Herausforderungen der          beiter.
     Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts mit einer fort-
     schreitenden Dynamisierung und starken demo-          Nur wer sich körperlich und psychisch wohlfühlt
     grafischen Veränderungen und weiß gleichzeitig        und dessen Life-Balance eine gewisse Ausge-
     um den Stellenwert eines nachhaltigen Gesund-         wogenheit aufweist, hat Freude an der Arbeit, ist
     heitsmanagements für den Geschäftserfolg. Das         motiviert und leistungsstark.
     bedingt auch, dass man das betriebliche Ge-           Deshalb müssen die Führungskräfte die Treiber
     sundheitswesen – über die Erfüllung gesetzlicher      des Programms sein. Und es braucht klare Rol-
     Anforderungen hinaus – nicht mehr alleine von         len und Verantwortlichkeiten für alle Beteiligten
     der Konjunkturlage, sprich Kassenlage, und dem        aber auch die Integration in die Geschäftspro-
     Interesse und Engagement einzelner Führungs-          zesse.
     kräfte abhängig machen kann.

14
Herr Dr. Birner, welche Handlungsfelder              Wir wissen, dass ein hoher Prozentsatz der
umfasst Ihr Gesundheitsmanagement?                   Fehltage in Europa heute direkt und indirekt
                                                     durch Stress sowie psychische Belastungen
Wir haben zum einen den Bereich „Gesunde             und Störungen verursacht werden. Wir wissen
Arbeitswelt“. Hier steht das Erfüllen der gesetz-    auch durch zahlreiche Untersuchungen, ihre
lichen Auflagen im Bereich des Arbeitsschutzes       zählt hier auch dazu, wie Stress und psychische
im Vordergrund. Dazu kommen die freiwilligen         Belastung die Effektivität der Arbeitsleistung
hausinternen Regelungen und Maßnahmen, die           vermindern. Deshalb hat unser Programm „Life in
über Jahre entwickelt wurden. Als nächstes ist       Balance“ im Rahmen der Gesundheitsprävention
die „medizinische Betreuung“ der Mitarbeiter zu      einen besonderen Stellenwert mit zunehmender
nennen, die bei Siemens eine lange Tradition         Bedeutung.
hat. Jeder Standort in Deutschland verfügt über      Im Wesentlichen geht es darum, gefährdete bzw.
einen betriebsärzlichen Dienst. Hervorzuheben        betroffene Mitarbeiter mit mentalen Gesund-
ist auch die Zusammenarbeit unserer Betriebs-        heitsproblemen zu unterstützen, sie für einen
ärzte mit den externen Gesundheitseinrichtun-        gesundheitsorientierten Lebensstil zu gewinnen
gen zum Nutzen der Mitarbeiter. Bereits früh         und in diesem Verhalten zu bestärken.
installiert wurden auch umfassende Programme         Am Anfang wird durch breit angelegte Information
zur „Bewegungsförderung“. Eingangs erwähn-           (in Form von Vorträgen zu speziellen Themen
ten Sie hier die Kreislauf-Trainingsprogramme.       wie Burnout-Gefährdung, Suchterkrankungen
Dazu kommen aber auch noch arbeitsplatznahe          etc.) ein Verständnis für die Themen persönliche
Maßnahmen, z. B.  im Rahmen von Ergonomie-           Resilienz, Vorbeugungsmöglichkeiten bei psy-
programmen oder in Form sogenannter aktiver          chischen Belastungen und Problemen, Interven-
Pausen. Weiter bieten wir schon seit längerer        tionsmöglichkeiten und die psychische Gesund-
Zeit Info-Veranstaltungen und Beratungen             heit fördernde Maßnahmen geschaffen. Dazu
zum Thema „Gesunde Ernährung“ an. Diese              zählen auch Maßnahmen, um diesen ganzen
Erkenntnisse werden auch in unseren Kantinen         Themenbereich zu entstigmatisieren, besser zu
„auf den Tisch“ gebracht. Wir wissen aus vielen      verstehen und anzunehmen – genau so, wie kör-
Untersuchungen, dass z. B. in der Altergruppe        perliche Phänomene auch. Diese Informationen
der über 50-Jährigen Erkrankungen wie Diabe-         werden durch interne und externe Gesundheits-
tes, Herzkreislauf oder auch Arthrosen deutlich      berater über unterschiedliche Informationskanäle
zunehmen, häufig als Folge fehlender Bewegung        (Intranet-Portal, Gesundheitstage, Lunch and
oder unausgewogener Ernährung.                       Learn Treffen u. a. m.) verbreitet.
Und letztendlich der Bereich „Unterstützung der
psychischen Gesundheit“.                             Wie versuchen Sie die Führungsebene für
                                                     dieses Thema zu sensibilisieren und ein
Wie Sie wissen, hat unsere großangelegte             Bewusstsein und Verständnis dafür aufzubau-
Studie über die „Burnout-Gefährdung“ von             en, denn nicht alle Mitarbeiter haben lapidar
Projektmanagern in Deutschland, Österreich           gesagt „Rückenbeschwerden“, bzw. fühlen
und der Schweiz ergeben, dass ca. 35 % der           sich schlapp und ausgebrannt.
Befragten aufgrund von dauerhafter Überlas-
tung und Stress durch Arbeit und privates            Wir bieten z. B. eintägige Seminare zum Thema
Umfeld Burnout-gefährdet sind. Das heißt             „Success factor psychosocial health – training
u. a., sie leiden unter chronischen Beschwer-        for leaders“ an. Dazu kommen abgestimmte Trai-
den, fühlen sich ausgelaugt und erschöpft,           nings und Coachings der betrieblichen Gesund-
haben immer weniger Freude am „Leben“                heitsexperten über psychisches Wohlbefinden
und der Arbeit und 63,5% der Studienteilneh-         am Arbeitsplatz.
mer gingen, obwohl sie nach ihrer subjekti-
ven Einschätzung krank waren, trotzdem in            Und für die betroffene Mitarbeiter?
die Arbeit.                                          Wie unterstützen Sie diese?

Das Problem des Präsentismus, also der               Wir haben z. B. offene und umfassende 3-tägige
Anwesenheit in der Arbeit trotz Krankheit und        Gesundheitsseminare, geleitet von erfahrenen
Unwohlsein, ist ein relevanter wirtschaftlicher      Trainern, mit dem Fokus auf Sport, Ernährung
Faktor und dies nicht nur für die Betriebe. Hierzu   und Stressbewältigungsstrategien. Außerdem
gibt es mittlerweile profunde Untersuchungen, u.     bieten wir die Begleitung von betroffenen Mitar-
a. die sog. Stanfordformel. Den sehr hohen Kos-      beitern an, die unmittelbare Hilfe benötigen. Es
ten durch Präsentismus stehen vergleichsweise        kommt für jeden Betroffenen zu einer schnellen
niedrige Investitionen in effiziente betriebliche    Abklärung des Anliegens durch die betriebliche
Gesundheitsförderungsmaßnahmen entgegen.             Sozialberatung, Betriebsärzte und auch eine ex-
                                                     tern betriebene 24-Stunden-Hotline um Lösungs-
Wie sehen diese Maßnahmen in Ihrem                   ansätze zu finden.
Haus aus?

                                                                                                        15
Diese Beratungen decken inhaltlich ein breites        Übergewicht, Bluthochdruck, Stress und Diabe-
     Spektrum ab, wie z. B. private und familiäre          tes. Dabei unterstreicht es die Wichtigkeit einer
     Konflikte, Konflikte am Arbeitsplatz, Schulden,       ausgewogenen Life-Balance. Das Programm
     Drogen- und Alkoholmissbrauch und anderes             war überaus erfolgreich. Es steigerte nicht nur
     mehr. Diese Beratung und Begleitung durch             die Motivation am Arbeitsplatz, die Arbeitnehmer
     ausgewählte Experten kann situativ persönlich,        nahmen positive Veränderungen auch mit nach
     telefonisch, über E-mail oder auch per Videoge-       Hause.
     spräch erfolgen.
     Dazu kommen die hausinternen Angebote zur             Diese Good Practices eignen sich sehr für
     Kinderbetreuung, „Elder Care“-Programme,              einen Gedanken- und Erfahrungsaustausch
     eine große Bandbreite von Arbeitszeitmodellen,        über ein nachhaltiges Gesundheitsmanage-
     Home-Office-Angebote u. a. m.                         ment orientiert an den jeweiligen Bedarfen
                                                           vor Ort. Was empfehlen Sie den Anwendern
     Bei einem so vielfältigen Einsatz an so unter-        Ihres Health Management Systems darüber
     schiedlichen Einsatzorten auf verschiedenen           hinaus?
     Kontinenten lässt sich da nicht voneinander
     lernen und ggf. adaptieren?                           Zum einen natürlich die strikte Einhaltung der
                                                           nationalen gesetzlichen Auflagen im Bereich
     Wir haben im Laufe der Jahre eine Informations-       Gesundheitsschutz, Sicherheit am Arbeitsplatz
     plattform aufgebaut und fortlaufend mit „Success      und auch Umweltschutz (Immissionsschutz,
     Stories“ gefüllt. Hier beschreiben Health Manager     Abwasserschutz, etc.)
     wie sie an Ihrem Standort ihre Probleme gelöst        Der 2. Appell lautet, dass sich das Management
     haben. 2 Beispiele hierzu:                            zusammen mit den unterschiedlichen betriebli-
     Das betriebliche Gesundheitsmanagement am             chen Fachleuten wenigstens einmal im Jahr mit
     Standort Kemnath/Oberpfalz hat die Förderung          dem Thema Gesundheitsprävention systematisch
     und Aufrechterhaltung der Gesundheit der              auseinander setzt und die passenden Maßnah-
     Mitarbeiter zum Ziel. So wurde die Gestaltung         men anwendet.
     von Standardarbeitsplätzen ergonomisch so
     optimiert, dass sie v. a. im höheren Alter effektiv   Vielen Dank Herr Dr. Birner für Ihre sehr infor-
     und angenehm zu nutzen sind.                          mativen Ausführungen. Ich möchte das Inter-
     Das 2. Beispiel kommt aus Mumbai, Indien.             view mit einem Statement von Dr. Ralf Franke,
     Das Health Care Management Team hat 2012              Corporate Medical Director der Siemens
     das Programm „Fit4Life“ eingeführt. Das Ziel          AG schließen: „Mit unserem betrieblichen
     des Programms ist, mehr Bewusstsein für den           Gesundheitsmanagement beeinflussen wir
     Problemfaktor Stress am Arbeitsplatz und eine         die Unternehmenskultur positiv. Zielsetzung
     gesunde Balance zwischen Arbeit und Freizeit zu       ist es, Rahmenbedingungen zu schaffen, die
     schaffen.                                             unsere Mitarbeiter gesund erhalten“.
     Fit4Life konzentriert sich auf die 4 Faktoren

16
1 Ergebnisse der Studie

1.1 Ausgangssituation

1.1.1 Anlass zur Studie
In 2009 wurde von der „SIG (Special Interest        Diese und weitere Fragen veranlassten uns
Group) PM-Expertinnen“ und dem Gender-              zusammen mit dem Centrum für Disease
Zentrum der Universität Augsburg eine Studie zur    Management der TU München, einem Partner,
Karriere von Frauen und Männern im Projektma-       der sowohl die medizinische Seite der Burnout-
nagement durchgeführt.                              Symptomatik als auch die Gegebenheiten in den
                                                    Unternehmen bestens kennt und beurteilen kann,
Im Rahmen dieser Studie wurden u. a. die            im deutschsprachigen Raum die Situation der
Erfolgsfaktoren für eine Karriere im Projektma-     Projektmanager zu untersuchen. Im Wesentli-
nagement, die Projektmanagement-Funktionen,         chen geht es um folgende Fragen:
das Projektumfeld, die geschlechtsspezifischen
Unterschiede und vieles mehr erhoben. Bei den       II Wie Burnout-gefährdet sind Männer und
Vor- und Nachteilen der Projektarbeit ergab sich,       Frauen, die in der Projektwirtschaft arbeiten?
dass sich die Projektmanager mit regelmäßigen
Dienstreisen und wechselnden Einsatzorten           II Gibt es markante äußere und innere Fak-
arrangiert haben. Diese Art zu leben und zu             toren, die die Entstehung von Burnout bei
arbeiten kann zu Lasten von Gesundheit und              Projektmanagern fördern?
Wohlbefinden gehen. Dies war den Befragten
durchaus bewusst. Dem klaren Vorteil der Pro-       II Wie sehen Gesundheitszustand und Gesund-
jektarbeit, immer neuen Herausforderungen zu            heitsverhalten von Projektmanagern aus?
begegnen (knapp 100 % der Befragten) stellten
fast 65 % der Frauen und Männer die Furcht          II Welche Bedeutung haben die Ergebnisse
vor Burnout als größten Nachteil gegenüber.             und welche Maßnahmen lassen sich daraus
Dieser hohe Anteil war überraschend und machte          ableiten?
zugleich betroffen [2].
                                                    An dieser Stelle möchten wir den Mitgliedern des
Das Thema Burnout und psychische Belastung          Arbeitskreises Burnout-Studie der SIG
am Arbeitsplatz und im privaten Alltag ist nicht    „PM-Expertinnen“, namentlich Eva Aue, Martina
nur in den Medien ein Dauerthema.                   Baehr, Ilona Eggert und Anke Makkai sowie
Auch Politik, Unternehmen, Krankenkassen und        Frau Dr. Rosmarie Mendel und Herrn Dr. Werner
Gewerkschaften haben das viel diskutierte Pro-      Kissling vom Centrum für Disease Management
blem auf die Agenda geschrieben. Dies ist leicht    der TU München für die vielen Anregungen und
nachzuvollziehen, wenn man den deutlichen           Beiträge herzlich danken.
Anstieg bei den Arbeitsunfähigkeitstagen als
auch bei den Frühverrentungen infolge psychi-
                                                    1.2 Wissenswertes zum Thema „Burnout“
scher Erkrankungen in den letzten 10 Jahren
verfolgt [4].                                       Bevor auf die Methodik und die Ergebnisse der
                                                    Studie ausführlich eingegangen wird, zunächst
Warum haben so viele ProjektmanagerInnen            einige Informationen zum Thema Burnout.
Furcht vor Burnout? Was sind die größten Trei­ber
dafür? Ist es der Termin- und Leistungsdruck,
                                                    Was ist „Burnout“?
der Innovationsdruck, sind es unrealistische
Pläne, nicht beherrschbare Änderungen in den        Geprägt wurde der Begriff Burnout von dem
Projekten, ist es die fehlende Unterstützung/       deutsch-amerikanischen Psychoanalytiker
Anerkennung durch die Vorgesetzten? Nicht           Herbert Freudenberger. Er beobachtete bei
zu vergessen die Führungsverantwortung der          Menschen in sozialen Berufen und im Ehren-
Projektmanager! Welchen Einfluss haben private      amt einen Zustand körperlicher, seelischer
Konflikte, Erziehung und Betreuung von Kindern,     und geistiger Erschöpfung durch andauernde
hohe Ansprüche an sich selbst? Welche Rolle         Überbelastung. Obwohl der Begriff Burnout weit
spielt die fortlaufende Beschleunigung von          verbreitet ist, bestehen viele Unklarheiten und
Produktions-, Dienstleistungs- und Kommuni-         Missverständnisse bezüglich des „Konzepts“
kationsprozessen bei steigender Komplexität         Burnout. Burnout ist keine anerkannte Diagnose
der Aufgaben und zunehmenden Lernanforde-           und es gibt auch keine einheitliche, international
rungen? Und letztlich auch die Frage, ist diese     gültige Definition von Burnout [5]. Dennoch sind
Furcht berechtigt? Sind Mitarbeiter im Projektma-   sich die Experten einig, dass es den Zustand des
nagement tatsächlich Burnout-gefährdet und in       „Ausgebrannt-seins“ gibt.
welchem Maße?

                                                                                                         17
Typischerweise zeigen sich dabei Erschöpfung,          zeigen [7]. Es stimmt allerdings, dass die durch
     Zynismus, Frustration sowie im Verlauf verringer-      psychische Erkrankungen verursachten Arbeits-
     te Arbeitsleistung. Burnout bildet eine mögliche       unfähigkeitstage in den letzten 12 Jahren um ca.
     Vorstufe für psychische (z. B. Alkoholabhängig-        80 % gestiegen sind; davon entfallen die meisten
     keit, Depression, Angststörungen) aber auch            Fehltage auf Depressionen und Angsterkrankun-
     körperliche Erkrankungen (z. B. Bluthochdruck)         gen [8; 9]. Auch die Rate an Frühverrentungen
     [1; 3; 6]. Insgesamt gibt es wesentlich weniger        aufgrund psychischer Erkrankungen steigt an.
     Fälle von Burnout als gemeinhin angenommen,            Mittlerweile sind in Deutschland psychische
     denn oft werden fälschlicherweise psychische           Erkrankungen der häufigste Grund für Frühver-
     Erkrankungen, wie Depression oder Angst­               rentungen [10]. Die Gründe für diese Zunah-
     störungen, mit dem Begriff „Burnout“ betitelt.         me bei gleichbleibender Anzahl an psychisch
     Auch haben psychische Erkrankungen insgesamt           Erkrankten sind vielfältig und dürften u. a. an
     innerhalb der letzten 20 Jahre nicht wesentlich        einer verbesserten hausärztlichen Wahrnehmung
     zugenommen: etwa jeder dritte bis vierte Erwach-       und Akzeptanz auf Patientenseite, aber auch an
     sene ist betroffen, wie epidemiologische Studien       veränderten Arbeitsbedingungen liegen [7].

          Äußere Risikofaktoren:
          II Zu hohe Arbeitsbelastung
                                                                    Innere Risikofaktoren:
          II Zeit- und Erfolgsdruck
                                                                    II Perfektionismus
          II Fehlender Handlungsspielraum
                                                                    II Zu hohe Leistungsansprüche
          II Fehlendes oder zu wenig positi-
               ves Feedback                                         II Zu hohe Erwartungen an sich
                                                                         selbst
          II Unzureichende Be- und
               Entlohnung                                           II Hohes Kontrollbedürfnis
          II Konfliktreiche Teamarbeit                              II Schwierigkeiten, Grenzen zu
                                                                         ziehen und „Nein“ zu sagen
          II Multitasking und Informations-
               überlastung                                          II Überschätzen der eigenen
                                                                         Belastbarkeit
          II Drohender Arbeitsplatzverlust
                                                                    II Übersehen bzw. Nicht-Reagieren
          II Zu geringe Unterstützung                                    auf Warnsignale
          II Zu pflegende Angehörige
          II Zu viele Ehrenämter                              angelehnt an [1] und [3].

     Abb. 1: Äußere und innere Risikofaktoren für Burnout

     Wie entsteht „Burnout“?
     Kurzfristige Belastungen und Stress in der Arbeit      ten) alleine Ursache eines Burnouts.
     oder im Privaten sind völlig normal. Daher sollte      Immer kommen auch innere Faktoren, soge-
     nicht von Burnout gesprochen werden, wenn              nannte Persönlichkeitseigenschaften, dazu
     Stress absehbar und zeitlich begrenzt ist. Hält        (siehe Abbildung 1).
     ein Zustand der Überforderung jedoch längere
     Zeit an, d. h. mehrere Monate bis Jahre, ist ein       Im Verlauf solcher Überlastungen sendet der
     Ende nicht absehbar und führen Wochenenden             Körper Signale in Folge des dauerhaften Stres-
     und Urlaube nicht mehr zu einer Entspannung            ses. Diese können vielfältig sein: z. B. Verdau-
     und Erholung, dann kann dies ein Risiko für die        ungsprobleme, Tinnitus, Hörstürze, Schmer-
     Entwicklung eines Burnouts sein. Dabei können          zen, Schlafstörungen, Schwindel, Gereiztheit,
     nicht nur Arbeitsbelastungen zu Burnout führen.        Bluthochdruck etc. Jeder Mensch hat seine
     Auch dauerhafte Überlastungen durch die Pflege         individuellen Stresszeichen. Wenn auf diese
     eines Angehörigen, Ehrenämter, Kinderbetreu-           Warnzeichen nicht reagiert wird und die eigenen
     ung etc. können alleine oder in Verbindung mit         Bedürfnisse ignoriert oder vernachlässigt werden,
     Belastungen am Arbeitsplatz in ihrer Summe zu          also keine Energie mehr getankt wird, kann es
     Burnout führen. Es sind nie die äußeren Faktoren       im Verlauf zu einem Zusammenbruch und totaler
     (z. B. Arbeitsbedingungen, Belastungen im Priva-       Erschöpfung kommen.

18
Dieser Zustand ist möglicherweise nur mehr               nehmen und zu reagieren, d. h. Energie tanken,
schwer von einer Depression oder einer anderen           Ressourcen stärken und Stressoren reduzieren.
psychischen Erkrankung zu unterscheiden und              Gleichzeitig sollten auch die äußeren Belas-
bedarf unbedingt professioneller Hilfe und Ab-           tungsfaktoren, wo möglich, reduziert werden.
klärung. Es besteht auch die Gefahr, dass dieser         So könnte jemand, der sehr perfektionistisch ist
Erschöpfungszustand in eine schwerwiegende               und dadurch in Stress gerät, lernen, dass 90 %
psychische Erkrankung übergeht, schlimmsten-             Perfektion oft ausreichen. Ein anderer, der sich
falls einhergehend mit Suizidalität.                     schlecht abgrenzen kann, lernt „nein“ zu sagen,
                                                         um damit wieder „Luft“ zu gewinnen. Vielleicht
Die folgende Abbildung 2 fasst die Entstehung            muss jemand, der neben dem fordernden Beruf
von Burnout zusammen (angelehnt an [11]).                noch Ehrenämter ausübt, diese reduzieren,
                                                         um seine „Waage“ wieder ins Gleichgewicht zu
                                                         bringen. Zusammenfassend kann man sagen:
Wie kann „Burnout“ verhindert werden?
                                                         Derjenige, der zu viel für zu viele und zu lange
Am wichtigsten ist, auf seine individuellen              mit zu wenig Rücksicht auf sich selbst tut, ist
Stresswarnzeichen zu achten und diese ernst zu           am stärksten Burnout-gefährdet.

                       Innere Risikofaktoren                     Äußere Risikofaktoren

                                            Arbeitsüberforderung

                       Psychische und somatische Stresssymptome, rückbildungsfähig

                   Andauernde Überforderung

                                                  Burnout

                           Anhaltende Erschöpfung, Zynismus, Leistungsminderung

                       Chronifizierter Stress

                                    Erhöhtes Risiko für Folgeerkrankungen

                      Psychische Erkrankungen
                      (Depression, Angststörungen, Abhängigkeitserkrankungen,...)
                      Körperliche Erkrankungen
                      (Bluthochdruck, Tinnitus, Hörsturz, Magen-Darm-Beschwerden,...)

Abb. 2: Entstehung des Burnout-Syndroms

Auch der Gestaltung der Arbeitsbedingungen               Wo findet man Hilfe?
kommt eine ganz wesentliche Bedeutung in
                                                         Erster Ansprechpartner ist in der Regel der
der Prävention von Burnout zu. Hierfür sind
                                                         Hausarzt, der auch die körperliche Abklärung
vorwiegend die Unternehmen verantwortlich. In
                                                         übernehmen kann. Es sollte immer ausgeschlos-
Anbetracht der zunehmenden Fehltage „rechnet“
                                                         sen werden, dass eine körperliche Ursache (z.
es sich, entsprechende Maßnahmen einzuleiten
                                                         B. Schilddrüsenfunktionsstörung, Blutarmut etc.)
wie z. B. Workshops zum Thema „psychische
                                                         zu Grunde liegt. Bei speziellen Fragestellungen
Gesundheit am Arbeitsplatz“ für Führungskräfte
                                                         (z. B. „Wie kann ich besser nein sagen?“) ist ein
und Mitarbeiter, Führungskräftetrainings zum
                                                         Coaching zu empfehlen. Coaches bieten keine
Thema „Gesund Führen“, Gesundheitstage und
                                                         Diagnostik oder Therapie; vielmehr begleiten sie
innerbetriebliche Mitarbeiterberatung etc., durch-
                                                         zeitlich eng begrenzt bei konkreten Fragestel-
geführt von erfahrenen Experten bzw. speziali-
                                                         lungen. Auch empfiehlt es sich ein Beratungsge-
sierten Einrichtungen.
                                                         spräch bei einem Facharzt für Psychiatrie und
                                                         Psychotherapie oder bei einem psychologischen

                                                                                                             19
Psychotherapeuten zu vereinbaren. Anonymer            Die subjektive Lebensqualität, sowie der subjekti-
     und kostenloser Ansprechpartner kann immer            ve aktuelle Gesundheitszustand wurden anhand
     auch ein Sozialpsychiatrischer Dienst sein, der       einer 5-stufigen Likert-Skala abgefragt. Das
     in jedem Ort verfügbar ist und zu allen Themen        Gesundheitsverhalten und weitere Informationen
     (z. B. Therapieangebote, Schuldenberatung,            zum aktuellen Gesundheitszustand wurden erho-
     Familie, Pflege, Arbeitsplatz etc.) berät.            ben, indem nach der Einnahme von rezeptfreien
                                                           Medikamenten zur Beruhigung und Schlafförde-
                                                           rung gefragt wurde sowie nach der Häufigkeit der
     1.3 Methodik der Datenerhebung
                                                           Inanspruchnahme von Hilfe innerhalb der letzten
                                                           12 Monate wegen körperlicher und psychischer
     1.3.1 Entwicklung des Fragebogens
                                                           Beschwerden. Anhand einer Checkliste mit
           und Pretests
                                                           unterschiedlichen körperlichen und psychischen
     Von den PM-Expertinnen des Arbeitskreises             Beschwerden, die in den letzten 12 Monaten
     „Burnout-Studie“ und dem Centrum für Disease          mindestens einmal pro Woche aufgetreten sein
     Management der TU München wurde ein Online-           müssen, wurde nach chronischen Beschwerden
     Fragebogen entwickelt, der nicht länger als 20        wie Schmerzen, Schlafstörungen und Müdig-
     Minuten für das Ausfüllen beansprucht, relevante      keit gefragt. Ergänzt wurde um die Frage, ob
     demographische sowie projektmanagementspe-            innerhalb der letzten 12 Monate trotz Krankheit
     zifische Daten erhebt und externe sowie interne       gearbeitet wurde (Präsentismus). Des Weiteren
     Risikofaktoren abfragt. Es wurden die internen        wurde nach der subjektiven Einschätzung der
     und externen Faktoren erhoben, die bereits in der     aktuellen Hauptbelastung (beruflich, privat oder
     Fachliteratur als Risikofaktoren für die Entwick-     gleichermaßen beruflich und privat), sowie nach
     lung von Burnout und psychischen Erkrankungen         der empfundenen Vereinbarkeit von Privat- und
     im Allgemeinen beschrieben sind [8; 12-17],           Berufsleben gefragt.
     wobei wir uns an Fragen aus dem „Stressreport“
     [18] sowie an bereits etablierten Fragen von          Die Fragensammlung wurde in Pretests mit 22
     Professor Matthias Burisch, mit dessen freundli-      ProjektmanagerInnen evaluiert und nach Prak-
     cher Genehmigung (siehe www.swissburnout.ch),         tikabilität, Dauer und Verständlichkeit beurteilt.
     orientierten.                                         Im Durchschnitt benötigten die Teilnehmer 16
                                                           Minuten; ein sinnvolles Beantworten der Fragen
     Als standardisierten Fragebogen zur Erhebung          in unter neun Minuten wurde als ausgeschlossen
     des Burnout-Risikos wurde das Maslach Burnout         angesehen. Die Anordnung der Fragen wurde
     Inventory – General Survey (MBI-GS) [19; 20]          schließlich angepasst, eine Frage zum Konsum
     gewählt. Das Instrument besteht aus 16 Items,         von Alkohol herausgenommen, aufgrund der
     welche die drei Domänen von Burnout abbilden,         Befürchtung zu intim zu fragen und damit einen
     nämlich: Zynismus (5 Items), Effektivität (6 Items)   Abbruch des Beantwortens des Fragebogens
     und Erschöpfung (5 Items). Der MBI-GS ist eine        zu provozieren. Unklare Formulierungen wurden
     Weiterentwicklung des MBIs, der ursprünglich          präzisiert und redundante Fragen eliminiert.
     für soziale Berufe mit Klientenkontakt konzipiert
     wurde. Der General Survey ist allgemeiner
                                                           1.3.2 Befragung und statistische
     formuliert und kann bei verschiedenen Berufs-
                                                                 Auswertungsmethoden
     gruppen eingesetzt werden. Jedes einzelne
     Item wird auf einer 7-stufigen Likert Skala von 0     Von Juni bis Anfang September 2013 stand der
     (nie) bis 6 (täglich) beurteilt. Aus den einzelnen    Fragebogen online zur Verfügung und wurde in
     Skalen werden Summenscores gebildet. Im Fall          unterschiedlichen Medien (Homepage der GPM,
     der Skalen Zynismus und Erschöpfung bedeuten          Hinweise in Newslettern und Publikationen) so-
     höhere Mittelwerte auch ein höheres Burnout-          wohl in Deutschland, als auch in Österreich und
     Risiko. Im Falle der Skala Effektivität bedeutet      der Schweiz beworben. Als Anreiz für das Aus-
     ein niedrigerer Mittelwert ein höheres Burnout-       füllen des Fragebogens wurde eine Verlosung
     Risiko. Maslach et al. [20] geben in ihrem Manual     an das Ende des Fragebogens gestellt, nämlich
     folgende Richtwerte für die einzelnen Skalen          die Teilnahme an einem Präsenzworkshop zum
     (Summenscores) an:                                    Thema Burnout-Prävention. Zusätzlich erhielt
                                                           jeder Teilnehmer am Ende des Fragebogens
                                                           eine Information zum Thema Burnout sowie eine
     Effektivität:   niedriges Burnout-Risiko > = 30;
                                                           kurze Auswertung zum eigenen Burnout-Risiko.
                     mittleres Burnout-Risiko 24-29;
                                                           Die Umfrage wurde so programmiert, dass Ano-
                     hohes Burnout-Risiko 0-23;
                                                           nymität zugesichert werden konnte (IP-Adressen
     Zynismus:       niedriges Burnout-Risiko 0-5;         wurden nicht gespeichert). Des Weiteren muss-
                     mittleres Burnout-Risiko 6-12;        ten alle Fragen beantwortet werden, um „weiter
                     hohes Burnout-Risiko > = 13;          klicken“ zu können. Es wurde sichergestellt,
                                                           dass von einer IP-Adresse der Fragebogen nicht
     Erschöpfung: niedriges Burnout-Risiko 0-7;            mehrfach ausgefüllt werden konnte. Somit konnte
                  mittleres Burnout-Risiko 8-15;           das Risiko minimiert werden, dass ein und diesel-
                  hohes Burnout-Risiko > = 16.             be Person den Bogen mehrfach ausfüllte.

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