Raummuster: Demographischer Wandel und Klimawandel in deutschen Städten
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Raumforsch Raumordn Spat Res Plan (2018) 76:211–228 https://doi.org/10.1007/s13147-018-0530-7 BEITRAG/ARTICLE Raummuster: Demographischer Wandel und Klimawandel in deutschen Städten Viola Schulze Dieckhoff1 · Dennis Becker2 · Thorsten Wiechmann1 · Stefan Greiving2 Eingegangen: 15. Mai 2017 / Angenommen: 23. März 2018 / Online publiziert: 17. April 2018 © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2018 Zusammenfassung Klimawandel und demographischer Wandel hängen miteinander zusammen, denn die Auswirkungen des Klimawandels resultieren nicht allein aus den klimatischen Veränderungen, sondern auch aus gesellschaftlichen Entwicklungsprozessen und deren räumlicher Manifestation. Individuelle Dispositionen in einer ausdifferenzierten Bevölkerungsstruktur führen zu kleinräumig divergierenden Empfindlichkeiten gegenüber Klimaänderungen und klimatischen Extremereignissen. Zentral für die Stadt- und Raumentwicklung werden damit die Fragen, wer gegenüber was, zu welchem Zeitpunkt und an wel- chem Ort sensitiv ist. Diese Fragen haben die Verwirklichung nachhaltiger Städte und Siedlungen, ein gesundes Leben und Wohlbefinden sowie Gleichheit für alle zum Ziel. Die Demographie ist neben der Politik, der Kultur, der Wirtschaft, der Bildung und der Religion ein für diese Fragestellung zentraler, da projizierbarer Einflussfaktor auf Klimawirkungen. Ziel des Beitrags ist es, die Raummuster aus demographischem Wandel und Klimawandel für Deutschland zu analysieren. Durch die integrierte Betrachtung von Klimasignalen und demographischen Indikatoren für die Zeiträume Gegenwart und Zukunft zeigen sich für Deutschland zentrale Raummuster: Stadtwachstum in wärmeren Klimaraumtypen sowie Rückbau und Leerstand im trockeneren Klima. In beiden Fällen findet eine starke Veränderung des Bevölkerungsvolumens und/oder der Bevölkerungsstruktur statt, bei gleichzeitig zunehmenden klimatischen Belastungen. Dies erhöht das Anpassungser- fordernis städtischer Strukturen. Vor diesem Hintergrund müssen die Planungswissenschaft und -praxis, so die zentrale Schlussfolgerung, ihre Tabus (Siedlungsrückzug) und Prämissen (Innen- vor Außenentwicklung) erneut diskutieren und neue Erkenntnisse (adaptive Strategien) sowie technische Neuerungen (digitale Informationsquellen) einbinden. Schlüsselwörter Demographischer Wandel · Klimawandel · Deutschland · Raum- und Stadtplanung Viola Schulze Dieckhoff viola.schulzedieckhoff@tu-dortmund.de Dennis Becker dennis3.becker@tu-dortmund.de Prof. Dr. Thorsten Wiechmann thorsten.wiechmann@tu-dortmund.de Prof. Dr. Stefan Greiving stefan.greiving@tu-dortmund.de 1 Fachgebiet Raumordnung und Planungstheorie, Technische Universität Dortmund, August-Schmidt-Straße 6, 44227 Dortmund, Deutschland 2 Institut für Raumplanung, Technische Universität Dortmund, August-Schmidt-Straße 10, 44227 Dortmund, Deutschland
212 V. Schulze Dieckhoff et al. Spatial Patterns: Demographic Change and Climate Change in German Cities Abstract Climate change and demographic change interact. Impacts in the context of climate change do not solely result from climate change and climate variability. They are a consequence of interrelations between climate and social change. Diverse settlement structures as well as a heterogeneous population lead towards small-scale sensitivities in the face of climate variability and extreme events. Who is sensitive, at what time and at what location become central questions of urban and spatial planning, aiming at sustainable cities and communities, good health and well-being as well as reduced inequalities. Demography is, next to politics, culture, economy, education or religion, the most substantial factor regarding these questions due to its profound knowledge and methodological toolbox on population dynamics. Therefore, the article aims at analysing the spatial patterns of demographic and climate change. The integrated assessment of climatic and demographic indicators reveals major spatial patterns for Germany: urban growth in warmer climate types as well as dismantling and vacancy in drier climate types. In both cases, an extreme change in population volume and/or structure takes place parallel to an increasing climatic exposure. This leads towards growing adaption needs. Planning science and practice needs to revise its taboos (manage retreat) and premises (internal before external development) as well as integrate new findings (adaptive strategies) and technical innovations (digital information sources). Keywords Demographic change · Climate change · Urban planning · Spatial planning · Germany 1 Einleitung: Demographischer Wandel und einer Stadt- und Raumentwicklung, die nachhaltige Städte Klimawandel und Siedlungen, ein gesundes Leben, Wohlbefinden sowie Gleichheit für alle zum Ziel hat. Demographischer Wandel und Klimawandel sind die zwei Die Demographie ist neben der Politik, der Kultur, der wesentlichen Einflussgrößen aktueller und zukünftiger Wirtschaft, der Bildung, der Religion der für diese Frage- Stadt- und Raumentwicklung in Deutschland (vgl. Siebel stellung zentrale, da projizierbare Einflussfaktor (Muttarak/ 2004; Gans/Schmitz-Veltin 2006; BBSR 2012; Birkmann/ Lutz/Liang 2015; KC/Lutz 2017) auf Klimawirkungen, Bach/Vollmer 2012). Die wissenschaftlichen Diskurse in als Ergebnis aus Klimasignal und Empfindlichkeit. Als den Forschungsfeldern demographischer Wandel und Kli- Bevölkerungswissenschaft steht der Demographie eine mawandel haben sich dennoch weitgehend getrennt vonein- analytische und methodische Instrumentensammlung und ander entwickelt (Gravert/Günzel/Volkmann et al. 2013). ein großer Erfahrungsschatz zu Merkmalen unterschiedli- Die nationale und internationale Debatte über relevante cher Bevölkerungsgruppen, deren Lebenserwartung sowie Faktoren und Modelle in Klimafolgen-, Adaptions- und der quantitativen Projektion und Prognose zur Verfügung Vulnerabilitätsstudien schlägt jedoch aktuell eine Brücke (Muttarak/Lutz/Jiang 2015: 3). Durch die Berücksichtigung zwischen den Diskursen (Adger 2006; Füssel/Klein 2006; demographischer Entwicklungen werden damit spezifische- IPCC 2007; O’Brien/Eriksen/Nygaard et al. 2007; Voll- re Klimafolgen-, Anpassungs- und Vulnerabilitätsabschät- mer/Birkmann 2012; EEA 2013; Lückenkötter/Lindner/ zungen möglich, die das Wohlbefinden der Menschen in Greiving 2013; BMVBS 2013a; IPCC 2014; Van Ruijven/ das Zentrum stellen (Muttarak/Lutz/Jiang 2015: 3) und Levy/Agrawal et al. 2014; Milan/Creutzig 2015; Muttarak/ schließlich die Unsicherheiten in Planungsprozessen und Lutz/Jiang 2015; Greiving/Arens/Snowdon-Mahnke et al. bei der Entwicklung von Klimaanpassungsmaßnahmen 2016; Jurgilevich/Räsänen/Groundstroem et al. 2017). All- und Anpassungsstrategien reduzieren können (Greiving/ gemein anerkannt ist dabei, dass Auswirkungen des Klima- Zebisch/Schneiderbauer et al. 2015: 314). Aber auch für wandels nicht allein aus den klimatischen Veränderungen die weiteren genannten Faktoren werden zunehmend Ansät- resultieren, sondern auch aus gesellschaftlichen Entwick- ze zur dynamischen Fortschreibung und räumlichen Ska- lungsprozessen (IPCC 2007; Räsänen/Juhola/Nygren et lierung im Kontext der Shared Socioeconomic Pathways al. 2016). Menschen, Städte, urbane Systeme, aber auch (SSPs)1 entwickelt und angeregt, diese bei der Klima- weitere Institutionen unterscheiden sich allerdings hin- folgen- und Vulnerabilitätsabschätzung zu berücksichtigen sichtlich ihrer Empfindlichkeit und Anpassungskapazität 1 Die Shared Socioeconomic Pathways beschreiben plausible alternati- gegenüber Klimaänderungen und klimatischen Extremer- ve Entwicklungen hinsichtlich demographischer, ökonomischer, tech- eignissen (BMVBS 2013a; IPCC 2014; Muttarak/Lutz/ nologischer, sozialer, Governance- und ökologischer Faktoren. Neben qualitativen Beschreibungen von globalen Entwicklungstrends bein- Jiang 2015; KC/Lutz 2017; Muttarak 2017; UBA 2017). halten sie quantitative Aussagen zu Schlüsselindikatoren, die als In- Wer sensitiv gegenüber was, zu welchem Zeitpunkt und put für weitere Modellberechnungen im Rahmen von Klimawirkungs- an welchem Ort ist, sind demnach die zentralen Fragen und Vulnerabilitätsanalysen dienen können (O’Neill/Kriegler/Ebi et al.
Raummuster: Demographischer Wandel und Klimawandel in deutschen Städten 213 (Kriegler/O’Neill/Hallegatte et al. 2012; Van Ruijven/Levy/ finanziellen und personellen Kapazitäten für aufwendige Agrawal et al. 2014; Jiang/O’Neill 2017; KC/Lutz 2017). Modellierungen, Datenerhebungen und Datenaufbereitun- Zwar wird eine integrierte Stadtentwicklung, die Kli- gen (BMVBS 2013b: 22; Greiving/Zebisch/Schneiderbauer maschutz, Klimaanpassung und demographischen Wandel et al. 2015: 322), sodass demographische und klimatische als untrennbare Elemente ansieht (Bundesregierung 2008: Daten und Projektionen, wenn überhaupt, in stark variie- 22; ARGEBAU 2008; Deutscher Städtetag 2012; Bundes- render Qualität und Quantität mit unterschiedlichen Raum- regierung 2017) in Deutschland bereits gefordert, faktisch und Zeitbezügen vorliegen. Problematisch ist, dass ein bestehende Querbezüge im Raum und bei der Maßnahmen- künftiges Klima dann – bis auf vereinzelte Ausnahmen und Strategieentwicklung im Umgang mit den Megatrends (z. B. Klimaanpassungskonzepte von Dortmund-Hörde, werden dennoch regelmäßig ausgeblendet (Greiving 2012; Hagen, Köln) – mit der gegenwärtigen Empfindlichkeit Gravert/Günzel/Volkmann et al. 2013; Muttarak/Lutz/Jiang eines nichtklimatischen Systems in Verbindung gebracht 2015: 1). Die von der Ministerkonferenz für Raumord- wird und Änderungen infolge von Siedlungsentwicklung, nung verabschiedeten „Leitbilder und Handlungsstrategien demographischem Wandel und Landnutzungswandel un- für die Raumentwicklung in Deutschland“ (MKRO 2016) berücksichtigt bleiben (Adger 2006; Füssel/Klein 2006; stellen beispielsweise die vier Leitbilder „Daseinsvorsor- Black/Kniveton/Skeldon et al. 2008; EEA 2012). Dies ge sichern“, „Klimawandel und Energiewende gestalten“, erhöht die Ungewissheiten bei der Abschätzung von Kli- „Raumnutzungen steuern und nachhaltig entwickeln“ sowie mawirkungen zusätzlich (Greiving/Zebisch/Schneiderbauer „Wettbewerbsfähigkeit stärken“ nebeneinander. Obgleich et al. 2015: 314). Klimaanpassungsmaßnahmen über die Städtebauförderung Zu den Raummustern von demographischem Wandel vorangetrieben werden, unterbleibt eine Überlagerung der und Klimawandel in Deutschland in Gegenwart und Zu- Bereiche „Daseinsvorsorge sichern“ und „Klimawandel“, kunft sowie zu den daraus resultierenden Anforderungen obwohl diese bioklimatische Belastungsgebiete mit hoher an die Raum- und vor allem Stadtentwicklung existieren Bevölkerungsdynamik (Bevölkerungsrückgang und -zu- folglich kaum fundierte Aussagen.3 Diese Lücke schließt nahme) aufzeigt. Die vom Netzwerk Vulnerabilität, ein der vorliegende Beitrag, indem er einschlägige, demo- Netzwerk von Bundesoberbehörden, welches im Auftrag graphische und klimatische Typologien für Deutschland des Umweltbundesamts die Analyse und Minimierung in Gegenwart und Zukunft in einer Matrix verknüpft. Das der Verwundbarkeit Deutschlands zum Ziel hat, durch- Vorgehen ermöglicht es, einen klimatischen Raumtyp unter- geführten integrierten Analysen beschränken sich auf die schiedlichen demographischen Stadttypen und andersherum Verwaltungseinheit der Kreisstädte und clusteranalytisch einen demographischen Stadttyp unterschiedlichen klima- gebildete Kreisregionstypen2 in Deutschland. tischen Raumtypen gegenüberzustellen. Klimawirkungen Da sowohl Klimawandel als auch demographischer können so für verschiedene Raummuster konkretisiert Wandel aber wesentliche Bestandteile kommunaler Hand- und Anpassungserfordernisse für die Stadt- und Raumpla- lungs- und Entscheidungshoheit berühren (unter anderem nung generalisiert werden. Raummuster stehen in diesem bodennutzungsbezogene Bauleitplanung, Daseinsvorsor- Beitrag für eine Konstellation aus demographischen und ge; vgl. Greiving 2012; WGBU 2016; UN 2016; Kuttler/ klimatischen Merkmalen, das heißt, die einzelnen Faktoren Oßenbrügge/Halbig 2017), ist die Analyse der kommuna- sowie deren Beziehung zueinander ergeben ein Muster. Ein len Betroffenheit und der raumbezogenen Zusammenhänge Raummuster beschreibt ein Problem und dessen planerische der Trends eine Grundvoraussetzung für die Ableitung von Relevanz. Strategien und Maßnahmen zum erfolgreichen Umgang mit Der Beitrag umreißt eingangs das Spannungsfeld aus de- diesen und steht damit im Fokus des Beitrags. Auf der loka- mographischem Wandel und Klimawandel für die Stadt- len Ebene mangelt es insbesondere in kleineren und mittle- und Raumplanung in Deutschland. Das zweite Kapitel dis- ren Städten und Gemeinden oft an sektoralen Daten sowie kutiert mögliche Modellansätze und Eingangsindikatoren zur integrierten Erfassung der für Deutschland typischen 2017: 171). Potenzielle neue Richtlinien in den Bereichen Klimaanpas- Raummuster aus demographischem Wandel und Klimawan- sung und Klimamitigation sowie klimatische Veränderungen bleiben in del. Das dritte Kapitel skizziert die Ergebnisse der integrier- den Shared Socioeconomic Pathways unberücksichtigt (Ebi 2014: 34). 2 Auf Basis sozioökonomischer und siedlungsstruktureller Merkmale ten Betrachtung der Trends und beispielhafte Raummuster. wurden sechs Kreisregionstypen für die Analysen des Netzwerks Vul- nerabilität gebildet: Standorte industrieller ,Global Player‘, Struktur- 3 Der Beitrag basiert auf dem von der Deutschen Forschungsgemein- starke, hoch verdichtete Dienstleistungszentren, Standorte mit bedeut- schaft (DFG) geförderten Forschungsprojekt „Einfluss des demogra- samen Produktions- und Dienstleistungspotenzialen, Hoch verdichtete phischen Wandels auf die Empfindlichkeit von Städten gegenüber dem Regionen mit strukturellen Schwächen, Peripher gelegene und gering Klimawandel“ an der Technischen Universität Dortmund (Förderkenn- verdichtete Regionen mit ausgeprägten touristischen Potenzialen, Teil- zeichen: WI 2660/8-1), welches die Wechselwirkungen zwischen de- weise peripher gelegene Regionen mit starken strukturellen Defiziten mographischem Wandel und Klimawandel auf städtischer Ebene und (adelphi/PRC/EURAC 2015: 654). deren raumplanerische Relevanz untersucht.
214 V. Schulze Dieckhoff et al. Abbildung 1 Modell zur Be- (Gegenwart) Nahe Zukun (2030) Ferne Zukun (2100) stimmung von Klimawirkungen in Anlehnung an das Netzwerk Klimasignal Klimasignal Klimasignal Vulnerabilität (Quelle: Greiving/ Zebisch/Schneiderbauer et al. (2015: 315)) Empfindlichkeit Empfindlichkeit Empfindlichkeit Klimawirkung Klimawirkung Klimawirkung Anpassungskapazität Anpassungskapazität Vulnerabilität Vulnerabilität Abschließend werden Anpassungserfordernisse für Stadt- 2.1 Modell zur integrierten Betrachtung der Trends und Raumplanung formuliert. In Anlehnung an die Analysen des Netzwerk Vulnerabili- tät und an den neu erstellten „Leitfaden für Klimawirkungs- 2 Methodik und Vulnerabilitätsanalysen“ des Umweltbundesamts (UBA 2017) als empfohlener Methodenstandard in Deutschland Wie zahlreiche Veröffentlichungen zu Klimafolgen, Kli- wird ein modifiziertes Vulnerabilitätskonzept für die Analy- maanpassung und Vulnerabilität erkennen lassen, gibt es se verwendet. Das lehnt sich zwar an den Ansatz des Inter- bislang weder ein einheitliches Konzept noch einen ein- governmental Panel on Climate Change (IPCC) von 2007 heitlichen Begriffskanon zur Verwundbarkeitsanalyse in der an, hat diesen aber an entscheidender Stelle weiterentwi- räumlichen Planung (Hinkel 2011; Räsänen/Juhola/Nygren ckelt. Der Ansatz erlaubt, dass mit klarem Zeitbezug Aus- et al. 2016; Jurgilevich/Räsänen/Groundstroem et al. 2017). sagen über Empfindlichkeit und Klimasignal getroffen und Die verwendeten Terminologien, Methoden und Konzepte Projektionen für die Zukunft berücksichtigt werden (adel- sind nicht konsistent, da sie unterschiedlichen Denkschulen phi/PRC/EURAC 2015; Greiving/Zebisch/Schneiderbauer entstammen und unterschiedliche Ziele verfolgen (Gallopin et al. 2015). Das IPCC-Konzept des 5. Assessment Re- 2006; Franck/Overbeck 2012: 90; Birkmann/Fleischhauer ports (IPCC 2014) wird dagegen bewusst nicht verwendet, 2013; Greiving/Zebisch/Schneiderbauer et al. 2015; Mut- da der Bezug zum Risikokonzept (und damit implizit ei- tarak/Lutz/Jiang 2015: 2; UBA 2017).4 Allen Klimawir- nem probabilistischen Modell) nicht geeignet erscheint, die kungs- und Vulnerabilitätsanalysen ist aber gemein, dass Ungewissheiten, die mit der Projektion zukünftiger Verän- gesellschaftliche Machtstrukturen, die zur selektiven Aus- derungen verbunden sind, abzubilden. wahl individueller und kollektiver Interessen führen, in den Das im Folgenden beschriebene Modell bietet eine ge- Entstehungs-, Umsetzungs- und Bewertungsprozess dieser eignete Ausgangsbasis, die Raummuster demographischer Studien einfließen, sodass diese notwendigerweise lücken- und klimatischer Trends und die sich daraus ergebenden haft sind und blinde Flecken aufweisen (Christmann/Kilper/ Anforderungen an die Raum- und Siedlungsentwicklung Ibert 2016: 18; vgl. auch O’Brien/Eriksen/Nygaard et al. zu erfassen. Vulnerabilität wird dort beschrieben als Er- 2007; Hinkel 2011). Für die Analyse von Raummustern gebnis aus Klimawirkung und Anpassungskapazität, wo- aus demographischen und klimatischen Trends werden im bei die Klimawirkung oder Betroffenheit als Ergebnis aus Folgenden somit die gewählte Analysemethode und die ver- Klimasignal und Empfindlichkeit resultiert (Füssel/Klein wendeten Daten begründet. 2006; IPCC 2007; adelphi/PRC/EURAC 2015; vgl. Abbil- dung 1). Indem die Strukturelemente Klimasignal, Emp- findlichkeit und im Ergebnis die Klimawirkung klar abge- grenzt zur Anpassungskapazität vorliegen, kann der Fokus auf Klima- und Empfindlichkeitsentwicklungen im raum- 4 Eine generelle Diskussion der unterschiedlichen Definitionen, Me- zeitlichen Zusammenhang gelegt und die Anpassungskapa- thoden und Konzepte findet sich bei Adger (2006), Eakin/Luers (2006), Wolf/Hinkel/Hallier et al. (2013), Räsänen/Juhola/Nygren zität, der die Raum- und Stadtplanung zuzuordnen ist, aus- et al. (2016), Fleischhauer/Greiving/Lindner et al. (2017) und Jurgile- geklammert werden. Dies ist notwendig, um Anforderun- vich/Räsänen/Groundstroem et al. (2017). gen an die Raum- und Stadtentwicklung zu formulieren und
Raummuster: Demographischer Wandel und Klimawandel in deutschen Städten 215 für die Raum- und Stadtplanung zu konkretisieren. Bereits stilen (Gans/Leibert 2007; Schnur 2010), Lebensformen erfolgte Anpassungsmaßnahmen sowohl an demographi- (BMI 2011), regional-ethnischer Herkunft oder sprachli- sche bzw. klimatische Veränderungen fallen in den Bereich chem bzw. kulturell-religiösem Hintergrund (Mäding 2009: der Empfindlichkeit (Greiving/Zebisch/Schneiderbauer et 34) gemeint sein. Lutz, Muttarak und Striessnig (2014) al. 2015: 315). Gegenüber der Risikodefinition des IPCC weisen für die Bildung einen positiven Einfluss auf Kata- (2014) wird durch die Anwendung des Vulnerabilitätsver- strophenmortalität nach. Bildung gehört für sie neben bio- ständnisses des IPCC (2007) auch das Problem umgangen, logischen, politischen, sozioökonomischen und religiösen Eintrittswahrscheinlichkeiten für klimatische und sozioöko- Aspekten ebenfalls zur Demographie und ist zentral für die nomische Entwicklungen ermitteln zu müssen (Birkmann/ Vulnerabilitätsforschung. Martinez, Frick und Gee (2014) Greiving/Serdeczny 2017: 271 ff.). verweisen zudem darauf, dass die Übertragbarkeit erprobter Die Raummuster werden im Beitrag ausschließlich über städtischer Anpassungsstrategien und Anpassungsmaßnah- den Funktionsausschnitt aus Klimasignal, Empfindlichkeit men insbesondere dort erfolgreich ist, wo sich die betrof- und Klimawirkung für die Gegenwart und nahe Zukunft fenen Kommunen und Städte in Werten und Mentalitäten erfasst (vgl. Hervorhebung in Abbildung 1): Die Klima- ähneln. Um die Übertragbarkeit der Analyseergebnisse zu wirkung gibt die Wirkfolgen zwischen einem definierten gewährleisten, bietet sich folglich die Verwendung einer de- Klimasignal und einem durch Empfindlichkeit definierten mographischen Stadttypologie an, die zusätzlich auch so- System wieder. Die Ausprägung des Klimas zu einem zioökonomische Parameter berücksichtigt. bestimmten Zeitpunkt und an einem bestimmten Ort wird Die Empfindlichkeit der Menschen gegenüber Klimaver- über das Klimasignal wiedergegeben. Empfindlichkeit stellt änderungen wird bestimmt von (a) intrinsischen, individu- das Maß dar, in welchem ein nichtklimatisches System ellen und (b) extrinsischen, sozioökonomischen Faktoren auf eine definierte Klimaausprägung reagiert (Greiving/ (in Anlehnung an Milan/Creutzig 2015: 223). Zebisch/Schneiderbauer et al. 2015: 316). Zu a): Um Aussagen über die Hitzeempfindlichkeit zu generieren, werden aufgrund biologischer Unterschiede ge- 2.2 Indikatoren und Datengrundlage nerell die über 65-Jährigen oder/und die über 80-Jähri- gen sowie die Kleinkinder herangezogen. Eingeschränkte Wie eingangs gezeigt, birgt die Demographie einen notwen- Körperfunktionen, Blutzirkulation und Transpiration ma- digen und gleichzeitig soliden Zugang zu Empfindlichkeits- chen diese Alterskohorten anfälliger gegenüber Hitze (Kop- daten. Durch die Gegenüberstellung einschlägiger Typisie- pe/Kovats/Jendritzky et al. 2004). Studien zum Hitzesom- rungen (vgl. Kapitel 2.2.2 und 2.2.3) werden Raummus- mer 2003 weisen hingegen steigende Mortalitätsraten wäh- ter sichtbar, die Komplexität reduziert und gleichzeitig die rend Hitzeperioden bereits ab 35 Jahren nach (Fouillet/Rey/ analytische Betrachtung einer großen Zahl an Kommunen Laurent et al. 2007), eine amerikanische Untersuchung der mit ähnlichen Herausforderungen möglich. Die Auswahl Jahre 1999 bis 2003 bereits schon ab 15 Jahren (Luber/ der Typisierungen und zugrunde liegender Beschreibungen Sanchez/Conkin 2006). Die Mortalitätsraten für diese Ko- beruht auf den jeweiligen, dort betrachteten Indikatoren und horten sind sogar höher als die der Kleinkinder. Unter- deren Relevanz für die Modellkomponenten Empfindlich- suchungen in Leipzig zum subjektiven Hitzeempfinden in keit und Klimasignal. Anbetracht demographischer, gesundheitlicher, aber auch sozioökonomischer Faktoren (Großmann/Franck/Krüger et 2.2.1 Einfluss des demographischen Wandels auf die al. 2012; Stadt Leipzig 2015; Kunz-Plapp/Hackenbruch/ Empfindlichkeit der Stadt Schipper 2016) zeigen zwar keine signifikanten Zusammen- hänge zwischen Geschlecht und subjektivem Hitzeempfin- Beim demographischen Wandel wird ein Phänomen kom- den, Zusammenhänge bestehen jedoch zwischen den un- plexer Wirkbeziehungen mit gegenwärtig zwei wesentli- terschiedlichen Alterskohorten und deren Hitzeempfinden chen Triebkräften angesprochen: das dauerhafte Absinken (Stadt Leipzig 2015: 32 f.), insbesondere in Abhängigkeit der Geburtenrate unter das gesellschaftliche Reprodukti- von Alltagsverpflichtungen und Alltagsmobilität (vgl. auch onsniveau sowie der Anstieg der Lebenserwartung (vgl. Kunz-Plapp/Hackenbruch/Schipper 2016). So wurden am Birg 2005; Gans/Schmitz-Veltin 2006; BBSR 2012). Da- Arbeitsplatz und in der Innenstadt besonders hohe Belas- raus resultierende demographische Veränderungen, wie die tungen von den berufstätigen und älteren Kohorten geäu- Gleichzeitigkeit von Bevölkerungsrückgang und Bevölke- ßert, bei der jüngeren Kohorte (18 bis 24 Jahre) dagegen rungszunahme sowie die Alterung der Bevölkerung, wer- in den eigenen vier Wänden. Auf dieser Basis werden der- den unter dem demographischen Wandel subsumiert. Mit- zeit Ansätze für die Klimafolgenabschätzung entwickelt, unter wird auch die zunehmende Heterogenität der Gesell- die die Hitzesensitivität der Gesamtbevölkerung innerhalb schaft darunter gefasst. Je nach Ansatz können damit die abgegrenzter geographischer Grenzen (z. B. Quartiere) be- wachsende Mannigfaltigkeit der Gesellschaft nach Lebens- trachtet, vergleicht und raumbezogene Handlungsprioritä-
216 V. Schulze Dieckhoff et al. ten ableitet (Greiving/Arens/Snowdon-Mahnke et al. 2016). Finanzschwächere Haushalte verteilen sich innerhalb Vorgeschlagen wird dabei eine additive Verknüpfung unter- von Städten tendenziell auf Quartiere, die stadtklimatische schiedlich gewichteter Alterskohorten (der 0- bis 5-Jähri- Belastungen zeigen. Zudem leben sie auch eher in Wohnun- gen, der 6- bis 64-Jährigen, der 65- bis 79-Jährigen sowie gen, deren energetische Standards eine höhere klimatische der über 80-Jährigen) in Gegenwart und Zukunft. Durch Belastung im Innenraum annehmen lassen. Die Lage in der eine Normalisierung5 der Zwischenergebnisse über diese Stadt und im Haus selbst sowie der Ausstattungsstandard beiden Zeitebenen steht im Ergebnis jeweils ein Wert für die der Wohnung nehmen damit einen wesentlichen Einfluss Hitzeempfindlichkeit der Bevölkerung in Gegenwart und auf die persönlich empfundene Hitzebelastung (Gonlund Zukunft, wobei auch zwischen Tages- und Nachtbevölke- 2014; Milan/Creutzig 2015; Kunz-Plapp/Hackenbruch/ rung differenziert wird. Das Bundesamt für Bevölkerungs- Schipper 2016). Die subjektive Hitzebelastung kann mit schutz und Katastrophenhilfe schlägt vor, alleinlebende Se- steigendem Einkommen sinken (Stadt Leipzig 2015: 33), nioren und gesundheitlich vorbelastete Menschen ebenfalls wobei eingeschränkte Anpassungsmöglichkeiten am Ar- gesondert bei der Bestimmung der Hitzeempfindlichkeit so- beitsplatz diesen Effekt bei den einkommensstarken Grup- wie Anfälligkeit gegenüber Starkregen zu berücksichtigen pen abmildern. (BBK 2013: 46, 80). Empirische Untersuchungen zeigen einen engen Zu- Neben möglicher sozialer Isolation, z. B. alleinleben- sammenhang von sozialer Lage und Gesundheitszustand der älterer Menschen, erhöht auch die sprachliche und kul- (Mielck/Lüngen/Siegel et al. 2012; RKI 2015: 141 f.). Men- turelle Isolation die Empfindlichkeit gegenüber Hitzeperi- schen mit niedrigem Bildungsniveau erzielen in der Regel oden (Gronlund 2014: 166) und anderen Extremwetterer- ein geringeres Einkommen oder sind verstärkt von Ar- eignissen. Sprachliche Barrieren erschweren beispielswei- beitslosigkeit betroffen, was wiederum den Effekt auf die se die Kommunikation, Verhaltenshinweise, Extremwetter- Gesundheit verstärkt: „Ihr Risiko, von klassischen Volks- warnungen oder Anweisungen der Einsatzkräfte in Kata- krankheiten wie Diabetes oder Herzkreislauf-Erkrankungen strophenfällen. Bezogen auf Starkregen- und Hochwasser- betroffen zu sein oder unter Adipositas zu leiden, ist deut- ereignisse zeigen sich in Deutschland vordergründig Haus- lich erhöht“ (Mielck/Lüngen/Siegel et al. 2012: 4). Bei halte mit Kleinkindern aufgrund langer Evakuierungszei- schlechtem Gesundheitszustand, insbesondere Herz-Kreis- ten als besonders empfindlich (BBK 2013: 88). Auch hier lauf-Erkrankungen, treten wiederum eher gesundheitliche erschweren sprachliche Barrieren die Kommunikation und Beeinträchtigungen infolge klimatischer Veränderungen auf Informationsweitergabe im Katastrophenfall (BBK 2010: (Scherber 2014; Kunz-Plapp/Hackenbruch/Schipper 2016). 54 ff.). Hinsichtlich des Einflusses der ethnischen Zugehö- Zum Zusammenhang zwischen Migrationshintergrund und rigkeit und Zusammensetzung kommen Studien zu diver- Gesundheit sind die Daten hingegen lückenhaft, generell gierenden Ergebnissen. Der Zusammenhang zwischen eth- kann nicht gesagt werden, ob Menschen mit oder ohne nischer Zugehörigkeit, Bildungsniveau, Einkommen, Ge- Migrationshintergrund im Vergleich gesünder oder kränker sundheitszustand und räumlicher Verteilung kann als ur- sind (RKI 2015: 178). sächlich für die divergierenden Ergebnisse angesehen wer- Diese Aussagen zeigen, dass weitere Indikatoren neben den, sodass die ethnische Zugehörigkeit eher als Proxi-In- der Bevölkerungszahl und Bevölkerungsdichte für einen dikator dienen kann (Gronlund 2014: 170). vorab definierten Raum notwendig sind, um die Raummus- Zu b): KC und Lutz (2017) sowie Lutz, Muttarak und ter darstellen zu können. Die Sensitivität zeigt sich vor- Striessnig (2014) zeigen, dass ein höheres Bildungsniveau dergründig anhand intrinsischer und extrinsischer Faktoren: mit niedrigerer klimabedingter Sterblichkeit korreliert. der Bevölkerungsentwicklung, der Altersstruktur, dem An- Menschen mit niedrigem Bildungsniveau sind zumeist teil an Einpersonenhaushalten, dem Bildungsniveau sowie kränker und sterben früher als Menschen mit höherem Bil- der Einkommenssituation. dungsniveau (Mielck/Lüngen/Siegel et al. 2012: 18; RKI Zweifellos haben die verschiedenen Dimensionen des 2015: 149). Ein hohes Bildungsniveau geht darüber hinaus demographischen Wandels weitreichende Auswirkungen mit der erleichterten Möglichkeit einher, sich zu infor- auf die Raum- und Siedlungsentwicklung, insbesondere mieren, sich zu verständigen, aber auch politisch auf sich auf die Anzahl und die Zusammensetzung der Bevölkerung aufmerksam zu machen. Informations-, Qualifikations-, in den Städten und Regionen und die daraus resultierenden Motivations- und Organisationsdefizite sind ebenfalls Wi- Stadtstrukturen (Wiechmann 2015: 27). Weitere Zusam- derstände, die Veränderungen scheitern lassen (Kristof menhänge ergeben sich angesichts veränderter Wohn-, 2010: 27 f.). Infrastruktur-, Energie-, Wasser- und Mobilitätsbedarfe als Resultat demographischer6, aber eben auch (stadt-)klima- tischer Entwicklungen und deren räumlichen Konsequen- 5 Normalisierung meint hier die relationale Anordnung der Werte zwi- 6 Mit steigendem Alter und der damit einhergehenden Zunahme an schen 0 und 1. Einpersonenhaushalten kann der Energieverbrauch (hier Wärmeener-
Raummuster: Demographischer Wandel und Klimawandel in deutschen Städten 217 zen. Es ist somit erforderlich, die städtischen Strukturen Kauf, dass eine Clusterung eigentlich möglichst heterogene und deren Veränderung ebenfalls bei der Identifizierung Typen bildet und diese nun zusammengefasst werden. von Raummustern einzubeziehen, da sie die Empfindlich- Die Bevölkerungsdaten der Bertelsmann Stiftung zei- keit der Städte maßgeblich beeinflussen (BMVBS 2011; gen die kleinräumigen demographischen und sozioökono- BMVBS 2013a). mischen Unterschiede zwischen den Kommunen und deren spezifischen Herausforderungen. Neben vielen schrumpfen- 2.2.2 Räumliche Differenzierung des demographischen den Städten existieren auch zahlreiche wachsende Städte. Wandels Allen Demographietypen gemein ist die Zunahme der älte- ren Bevölkerung. Für Deutschland hat die Bertelsmann Stiftung 2006, 2012 und 2015 (zensusbereinigt) in einer breit angelegten Unter- 2.2.3 Klimawandel in Deutschland suchung die Vielschichtigkeit der lokalen demographischen Entwicklungen abgebildet. Aufbauend auf einer Datenbasis Das Phänomen des Klimawandels bezeichnet in Anlehnung mit 220 Indikatoren für alle 2.916 Kommunen in Deutsch- an das Begriffsverständnis des Intergovernmental Panel on land mit mehr als 5.000 Einwohnern wurden mittels clus- Climate Change (IPCC) den Wandel des klimatischen Zu- teranalytischer Verfahren neun Demographietypen (DT) stands, welcher über die längerfristigen Änderungen des identifiziert (vgl. Bertelsmann Stiftung 2013). Neun Indi- Mittelwerts und/oder der Varianz seiner Eigenschaften iden- katoren charakterisieren die demographische und sozioöko- tifiziert werden kann, z. B. durch statistische Tests. Der nomische Ausgangslage sowie die Qualifikationsstruktur Terminus Klimawandel adressiert demnach jegliche län- in den Kommunen: Bevölkerungsentwicklung 2001-2008, ger anhaltende Klimaveränderung, sowohl durch natürliche Einwohnerdichte, Anteil der 65- bis 79-Jährigen, Anteil der Variabilität als auch durch menschliche Aktivität bedingt unter 18-Jährigen, SGB-II-Quote (Empfänger von Grund- (IPCC 2007: 30). Auch der Klimawandel wirkt sich räum- sicherung nach Sozialgesetzbuch II), Kaufkraft privater lich differenziert aus. Haushalte, Anteil der Einpersonenhaushalte, Anteil Hoch- Die vom Netzwerk Vulnerabilität (adelphi/PRC/EURAC qualifizierter am Arbeitsort und Anteil Hochqualifizierter 2015) identifizierten Klimaraumtypen zeigen räumliche am Wohnort. Die identifizierten Typen werden anschließend Schwerpunkte gegenwärtiger und zukünftiger Klimasigna- anhand weiterer Indikatoren wie Bevölkerungsentwicklung, le für die Zeiträume Gegenwart (1961-1990), nahe (2021- Aussagen zum kommunalen Finanzhaushalt und Kinderar- 2050) und ferne Zukunft (2071-2100). Da nur für die mut konkretisiert und daraus werden Entwicklungstrends Gegenwart und nahe Zukunft belastbare demographische abgeleitet. Daten zur Verfügung stehen, wird die ferne Zukunft in den Damit liegt eine flächendeckende, kleinräumig differen- weiteren Analysen vernachlässigt. Die sechs Klimaraumty- zierte Analyse zum demographischen Wandel in deutschen pen umfassen Räume in Deutschland, die sich hinsichtlich Kommunen vor, in denen 2013 circa 85 % der Bevölkerung der Kombination ihrer klimatischen Merkmale – Stark- wohnte. Um die Komplexität der potenziellen Merkmals- wind, Starkregen, heiße Tage, Tropennächte, Frosttage, kombinationen von demographischem Wandel und Kli- Durchschnittstemperatur, Trockentage und Niederschlag – mawandel zu reduzieren, wurde für diesen Beitrag durch ähneln. Dazu wurden über ein Klimaprojektionsensemble8 Zusammenlegung ähnlicher Ballungen (Cluster) die Anzahl Klimadaten zu den ausgewählten Klimasignalen generiert der von der Bertelsmann Stiftung entwickelten Demogra- und clusteranalytisch zu sechs Klimaraumtypen (KT) zu- phietypen von neun auf sechs reduziert (vgl. Tabelle 1).7 sammengefasst (vgl. Tabelle 2). Dieses Vorgehen nimmt die methodische Schwäche in Alle sechs Klimaraumtypen eint die Erwärmung insge- samt sowie die veränderte Verteilung der Niederschlags- summe über das Jahr, wobei grundsätzlich ein Rückgang gie; vgl. Timpe 2015) steigen oder im ländlichen Raum der Wasser- der Sommerniederschläge und eine Zunahme der Winter- verbrauch sinken (Wagner/Hollbach-Grömig/Langel et al. 2013: 35). niederschläge erwartet wird. Der steigende Bedarf einer alternden, individualisierten Gesellschaft an barrierefreiem Wohnraum, an Pflege- und Betreuungseinrichtungen sowie einer wetterunabhängigen Mobilität und kurzen Wegen erfordert eine Anpassung städtischer Strukturen und Standards, die räumliche Veränderungen implizieren. 7 Drei der sechs hier verwendeten Demographietypen setzen sich aus 8 Ensemble von Klimaprojektionen basieren auf verschiedenen Kom- jeweils zwei der ursprünglich von der Bertelsmann Stiftung entwi- binationen regionaler und globaler Klimamodelle und zeigen so eine ckelten Demographietypen zusammen: der Demographietyp I aus den Bandbreite zu erwartender Klimaänderungen auf. Grundlage der Kli- Clustern 1 und 4 der Bertelsmann Stiftung, der Demographietyp IV aus masignale sind Klimaprojektionen, welche auf dem A1B-Emissions- den Clustern 5 und 6 sowie der Demographietyp VI aus den Clustern Szenario aus dem „Special Report on Emissions Scenarios“ des IPCC 8 und 9. beruhen (adelphi/PRC/EURAC 2015: 42 f.).
218 V. Schulze Dieckhoff et al. Tabelle 1 Charakteristika und räumliche Einordnung der Demographietypen (Datenbasis: Bertelsmann Stiftung, Stand 2015) DT I: Kleinere stabile Städte und Gemeinden im ländlichen Raum – 881 vorwiegend kleine Städte und Gemeinden – 12 % der Bevölkerung* – leicht positive Bevölkerungsentwicklung – räumliche Schwerpunkte: Nordrhein-Westfalen, Bayern, Baden-Württem- – geringe Einwohnerdichte berg, Niedersachsen – vergleichsweise junge Bevölkerung und viele Familien – Herausforderungen: Sicherung eines bedarfsgerechten Wohnungs- und – längerfristig rückläufige Einwohnerzahlen und zunehmende Dienstleistungsangebotes, Anpassung der Infrastrukturen an sich ändernde Alterung Nutzerverhalten und Tragfähigkeitsgrenzen, insbesondere Informations- und Kommunikationstechnologien DT II: Zentren der Wissensgesellschaft – 51 Großstädte und Umlandgemeinden – 18 % der Bevölkerung – höchste positive Bevölkerungsentwicklung – räumliche Schwerpunkte: Gesamtdeutschland, insbesondere Metropolregi- – höchste Einwohnerdichte on München und Taunus bei Frankfurt am Main – vergleichsweise junge, multikulturelle Bevölkerung – Herausforderungen: steigende Wohnraumnachfrage bei bereits hoher Bevöl- kerungsdichte, sozialräumliche Polarisierung DT III: Prosperierende Kommunen im Umfeld dynamischer Wirtschaftszentren – 179 vorwiegend Klein- und Mittelstädte – 4 % der Bevölkerung – positive Bevölkerungsentwicklung – räumliche Schwerpunkte: Umland von München, Stuttgart, Frankfurt am – vergleichsweise hohe Einwohnerdichte und suburbane Main und die Rheinschiene Siedlungsstruktur – Herausforderungen: Sicherung eines bedarfsgerechten Wohnungs- und – vergleichsweise junge Bevölkerung, wobei längerfristig Dienstleistungsangebotes, sozialräumliche Polarisierung und Integration Alterung einsetzt DT IV: Kommunen nachlassender wirtschaftlicher und sozialer Dynamik – 1.029 vorwiegend heterogene Klein- und Mittelstädte – 21 % der Bevölkerung – moderater Anteil älterer Menschen – räumliche Schwerpunkte: Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Nieder- – zunehmende Bevölkerungsverluste sachsen, Baden-Württemberg – heterogene Bevölkerungsdichte – Herausforderungen: Sicherung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, An- passung der Infrastrukturen (auch durch regionale Kooperationen), Mobili- sierung von bürgerschaftlichem Engagement DT V: Urbane Zentren mit heterogener wirtschaftlicher und sozialer Dynamik – 140 vorwiegend größere und große Städte – 17 % der Bevölkerung – urbane Zentren mit sehr hoher Einwohnerdichte – räumliche Schwerpunkte: Gesamtdeutschland, insbesondere Nordrhein- – stabile bis wachsende Einwohnerzahlen Westfalen – moderate Alterung und wenige Familien – Herausforderungen: Sicherung eines attraktiven Wohnstandorts, zurückhal- – hohe ethnische Vielfalt tende Siedlungsentwicklung, zunehmende sozialräumliche Polarisierung DT VI: Schrumpfende Kommunen mit Anpassungsdruck – 628 vorwiegend kleine Städte und Gemeinden – 13 % der Bevölkerung – sehr hoher Anteil älterer Menschen – räumliche Schwerpunkte: Sachsen, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Bran- – starker Bevölkerungsrückgang denburg, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein, Saar- – Abwanderung junger Menschen land – Herausforderungen: Gefährdung von Tragfähigkeit und Robustheit von Siedlungs-, Infrastrukturen (insbesondere Informations- und Kommunika- tionstechnologien) und Dienstleistungsangebot, Mobilisierung von bürger- schaftlichem Engagement und regionalen Partnerschaften * „Bevölkerung“ bezieht sich hier auf jene 85 % der Menschen in Deutschland, die 2013 in 2.908 der 2.916 untersuchten Kommunen mit über 5.000 Einwohnern lebten. Nur für diese Kommunen stehen flächendeckend demographische Prognosen für das Jahr 2030 zur Verfügung. 3 Demographische und klimatische die Aussagen zur demographischen und klimatischen Aus- Raummuster in Deutschland prägung unterschiedlicher Stadttypen in Deutschland für die Zeitpunkte Gegenwart (Datenstand 2013) und nahe Zu- Im Fokus der Analyse stehen die Raummuster von de- kunft (2030) ermöglicht. Die Daten zu den Klimaraum- mographischem Wandel und Klimawandel in Deutschland. und zu den Demographietypen wurden mittels GIS-Analy- Mit den vorliegenden Daten des Netzwerks Vulnerabilität se jeweils für die zwei Zeitpunkte gegenübergestellt und im zu Klimaraumtypen (adelphi/PRC/EURAC 2015) und der Hinblick auf charakteristische Raummuster ausgewertet. Bertelsmann Stiftung zu Demographietypen9 (Bertelsmann Stiftung 2015) steht eine umfassende Basis zur Verfügung, 9 Datensatz der Bertelsmann Stiftung: www.wegweiser-kommune.de (20.12.2017).
Raummuster: Demographischer Wandel und Klimawandel in deutschen Städten 219 Tabelle 2 Charakteristika und räumliche Einordnung der Klimaraumtypen (KT) (Quelle: eigene Darstellung auf der Basis von adelphi/PRC/ EURAC 2015) KT 1: Warmes Klima – überdurchschnittliche Ausprägung wärmebezogener Klimaparame- – räumliche Schwerpunkte: Umgebung von Berlin, Frankfurt am ter wie Anzahl heißer Tage und Tropennächte Main und Köln – starke räumliche Ausdehnung über die Zeitschiene KT 2: Trockeneres Klima – überdurchschnittliche jahreszeitliche Schwankungen – räumliche Schwerpunkte: Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Thüringen – niedrigste Anzahl an Starkregentagen sowie Mittelfranken – geringste Winter- und Sommerniederschläge KT 3: Kühleres Klima – unterdurchschnittliche Ausprägung der Klimaparameter Anzahl an – räumlicher Schwerpunkt: Nordwestdeutschland heißen Tagen, Tropennächte und Frosttage – überdurchschnittliche Ausprägung beim Starkwind – räumlich stabil über die Zeiträume KT 4: Mittelgebirgsklima – überdurchschnittliche Anzahl an Starkregentagen – räumlicher Schwerpunkt: Mittelgebirge Deutschlands – überdurchschnittliche Winter- und Sommerniederschläge – geringere Ausprägung wärmebezogener Parameter – überdurchschnittliche Anzahl an Frosttagen KT 5: Gebirgsvorlandklima – überdurchschnittliche Anzahl an Starkregentagen – räumliche Schwerpunkte: Voralpen und entlang dem nördlichen – überdurchschnittliche Sommerniederschläge Rand von Thüringer Wald und Erzgebirge – überdurchschnittliche Erwärmung im Sommer KT 6: Gebirgsklima – stark überdurchschnittliche Anzahl an Starkregentagen (rund 400 % – räumliche Schwerpunkte: Alpenbereich und Schwarzwald über dem deutschlandweiten Durchschnitt) – überdurchschnittliche Winter- und Sommerniederschläge – geringere Ausprägung wärmebezogener Parameter – überdurchschnittliche Anzahl an Frosttagen 3.1 Demographisch-klimatische Stadttypen in in diesem Klimaraumtyp. Neben dieser klimatisch beding- Deutschland ten, geographischen Ausdehnung des Klimaraumtyps füh- ren aber auch demographische Prozesse in den Kommunen Durch die Verschneidung der sechs Demographietypen mit selbst zu dem Anstieg der Bevölkerungszahl. Die meis- den sechs Klimaraumtypen in einer Matrix (vgl. Tabelle 3) ten Kommunen in wachsenden Demographietypen (DT II, ergeben sich Raummuster aus 36 potenziellen Kombinatio- DT III) sind im Klimaraumtyp „Warmes Klima“ zu fin- nen für Deutschland, die für die Gegenwart (Stand 2013) den. Die Kommunen, die heute und in naher Zukunft in und die nahe Zukunft (203010) demographisch und klima- diesem Klimaraumtyp liegen, verzeichnen im Mittel eine tisch charakterisiert werden können. Bevölkerungszunahme von rund 3 % und eine Zunahme Die Entwicklung der Einwohnerzahlen in den einzelnen der Einwohnerdichte. Insgesamt kann es trotzdem zu einer Klimaraumtypen variiert erheblich. Drei Gruppen können Abnahme der Einwohnerdichte im Klimaraumtyp „Warmes unterschieden werden: Klimaraumtypen mit wachsender, Klima“ kommen, da durch die räumliche Ausdehnung des mit zurückgehender oder mit stabiler Einwohnerzahl (vgl. Klimaraumtyps auch über 200 Kommunen der Demogra- Tabelle 3). phietypen IV und VI mit eher rückläufigen Einwohnerzah- Eine starke Bevölkerungszunahme um rund 49 % zwi- len hinzukommen. schen 2013 und 2030 ist im Klimaraumtyp „Warmes Kli- Eine starke Bevölkerungsabnahme um rund 46 % (2013 ma“ zu erwarten. Bis zum Jahr 2030 würden damit etwa bis 2030) charakterisiert hingegen die Klimaraumtypen 40 % der deutschen Bevölkerung in diesem Klimaraumtyp „Trockeneres Klima“ und „Mittelgebirgsklima“. Diese ist wohnen. Durch seine räumliche Ausdehnung in der Zu- sowohl auf die projizierte Gebietsreduzierung der Klima- kunft, verdoppelt sich künftig die Anzahl der Kommunen raumtypen als auch auf die stark negative Einwohnerent- wicklung in den im jeweiligen Klimaraumtyp verbleiben- 10 Die Demographiedaten der Bertelsmann Stiftung projizieren die Er- den Kommunen zurückzuführen, die sich zwischen 7 % gebnisse für das Jahr 2030, wohingegen die Klimadaten des Netzwerks und 9 % bewegt. Die mittlere Einwohnerdichte geht hier Vulnerabilität für den Zeitraum der nahen Zukunft (2021-2050) vorlie- am stärksten im Vergleich zu den anderen Klimaraumtypen gen. zurück.
220 V. Schulze Dieckhoff et al. Tabelle 3 Matrix demographisch-klimatischer Stadttypen in Deutschland (Datenbasis: Bertelsmann Stiftung (Stand 2015); adelphi/PRC/EURAC 2015) KT 1 KT 2 KT 3 KT 4 KT 5 KT 6 Warmes Trockeneres Kühleres Mittelgebirgs- Gebirgsvorland- Gebirgs- Summe/ Klima Klima Klima klima klima klima Mittelwert 2013 2030 2013 2030 2013 2030 2013 2030 2013 2030 2013 2030 2013 2030 DT I – Kleinere stabile Städte und Gemeinden im ländlichen Raum Kommunen 75 159 135 55 282 275 107 107 236 239 46 46 881 881 Einwohner 929 1.830 1.161 413 4.182 3.916 1.236 1.164 1.941 1.956 334 335 9.783 9.614 (in 1.000) Einwohner/km2 310 307 254 183 178 169 175 157 172 178 165 166 198 196 DT II – Zentren der Wissensgesellschaft Kommunen 18 24 10 2 5 5 0 0 18 20 0 0 51 51 Einwohner 7.366 9.838 2.515 164 2.923 3.078 - - 1.870 2.687 - - 14.674 15.767 (in 1.000) Einwohner/km2 1.912 1.966 1.569 1.017 1.668 1.724 - - 1.675 1.812 - - 1.737 1.844 DT III – Prosperierende Kommunen im Umfeld dynamischer Wirtschaftszentren Kommunen 55 91 43 5 7 6 0 0 65 69 9 8 179 179 Einwohner 988 1.980 958 78 154 107 - - 1.161 1.285 100 95 3.361 3.545 (in 1.000) Einwohner/km2 949 1.074 1.043 524 1.260 1.296 - - 660 722 515 562 857 908 DT IV – Kommunen nachlassender wirtschaftlicher und sozialer Dynamik Kommunen 153 275 233 139 247 259 153 121 186 177 57 58 1.029 1.029 Einwohner 3.241 5.119 3.159 1.692 5.202 5.032 1.881 1.470 2.908 2.753 739 762 17.130 16.828 (in 1.000) Einwohner/km2 613 565 400 261 317 297 224 217 371 393 293 298 374 371 DT V – Urbane Zentren mit heterogener wirtschaftlicher und sozialer Dynamik Kommunen 43 59 32 19 34 36 7 5 21 18 3 3 140 140 Einwohner 4.983 6.162 2.443 1.808 4.196 4.256 679 188 1.321 1.050 83 84 13.705 13.548 (in 1.000) Einwohner/km2 1.443 1.330 956 822 1.336 1.332 1.001 608 920 972 657 671 1.188 1.176 DT VI – Schrumpfende Kommunen mit Anpassungsdruck Kommunen 30 147 283 190 115 118 102 107 87 55 11 11 628 628 Einwohner 809 2.272 4.264 2.578 2.799 2.847 1.629 1.279 1.099 580 131 133 10.731 9.689 (in 1.000) Einwohner/km2 422 211 214 223 446 433 270 208 290 251 214 216 286 260 Summe/Mittelwert Kommunen 374 755 736 410 690 699 369 340 613 578 126 126 2.908 2.908 Einwohner 18.316 27.201 14.500 6.733 19.456 19.236 5.425 4.101 10.300 10.311 1.387 1.409 69.384 68.991 (in 1.000) Einwohner/km2 744 607 379 266 351 341 237 201 370 397 264 268 395 391 Weitestgehend stabil entwickeln sich die Klimaraumty- nahme. Im „Gebirgsklima“ bleiben die Einwohnerzahlen pen „Kühleres Klima“, „Gebirgsvorlandklima“ und „Ge- und die Einwohnerdichte nahezu unverändert. birgsklima“. Im „Kühleren Klima“ entwickelt sich die Ein- Grundsätzlich zeigt sich, dass die Verschiebungen in den wohnerzahl trotz einer Gebietsausweitung des Klimaraum- Einwohnerzahlen der Klimaraumtypen zum einen auf kli- typs leicht negativ. Die hohe Anzahl an schrumpfenden (DT mawandelbedingte Gebietsveränderungen, zum anderen auf IV, DT VI) und ländlichen Kommunen (DT I) ist für diese demographische Veränderungen in den Kommunen zurück- Entwicklungen verantwortlich. Im „Gebirgsvorlandklima“ zuführen sind. Ausschlaggebend für die Stärke des jewei- bleiben die Einwohnerzahlen trotz einer leicht rückläufigen ligen klimatischen oder demographischen Einflusses auf Anzahl von Kommunen stabil. Dies resultiert wiederum aus die Klimawirkung sind die Ausgangslage sowie die Dy- dem prognostizierten Bevölkerungswachstum von rund 3 % namik der betrachteten Merkmale. Für Deutschland zeigt für die in diesem Klimaraumtyp verbleibenden Kommunen. sich, dass gerade Städte, die stark wachsen und nachver- Die mittlere Einwohnerdichte erfährt hier die stärkste Zu- dichtet werden, in naher Zukunft mit einer besonders star-
Raummuster: Demographischer Wandel und Klimawandel in deutschen Städten 221 Tabelle 4 Mittelwerte von Altenquotient und Medianalter der Klimaraumtypen (Datenbasis: Bertelsmann Stiftung (Stand 2015); adelphi/PRC/ EURAC 2015) Altenquotient Medianalter 2013 2030 (in %) 2013 2030 (in %) Warmes Klima 34,4 54,8 59 46,4 50,3 9 Trockeneres Klima 36,8 61,9 68 47,6 52,2 10 Kühleres Klima 35,6 54,6 53 45,9 50,4 10 Mittelgebirgsklima 37,5 59,9 60 47,5 51,8 9 Gebirgsvorlandklima 34,8 51,8 49 45,7 49,3 8 Gebirgsklima 36,9 53,0 43 46,1 50,0 8 Mittelwert 35,9 55,7 55 46,6 50,5 9 Tabelle 5 Mittelwerte der Alterskohorten in den Klimaraumtypen (Datenbasis: Bertelsmann Stiftung (Stand 2015); adelphi/PRC/EURAC 2015) 0 bis 5 Jahre 6 bis 64 Jahre 65 bis 79 Jahre 80 Jahre und älter (in 1.000) (in 1.000) (in 1.000) (in 1.000) 2012 2030 (in 2012 2030 (in %) 2012 2030 (in 2012 2030 (in %) %) %) Warmes Klima Anzahl (in 1.000) 945 1.414 50 13.607 18.845 38 2.709 4.909 81 914 2.039 123 Anteil (in %) 5,00 4,66 -7 74,46 66,14 -11 15,42 20,81 35 5,12 8,38 64 Trockeneres Klima Anzahl (in 1.000) 715 304 -57 10.592 4.383 -59 2.342 1.450 -38 811 596 -27 Anteil (in %) 4,76 4,32 -9 73,36 63,77 -13 16,27 22,89 41 5,60 9,02 61 Kühleres Klima Anzahl (in 1.000) 973 955 -2 14.480 13.122 -9 2.925 3.647 25 1.026 1.502 46 Anteil (in %) 4,92 4,75 -3 74,34 66,16 -11 15,45 20,60 33 5,30 8,49 60 Mittelgebirgsklima Anzahl (in 1.000) 255 184 -28 3.997 2.675 -33 870 880 1 322 363 13 Anteil (in %) 4,59 4,35 -5 73,38 64,45 -12 16,02 22,13 38 6,01 9,07 51 Gebirgsvorlandklima Anzahl (in 1.000) 528 527 0 7.607 7.160 -6 1.546 1.837 19 546 785 44 Anteil (in %) 5,06 4,87 -4 74,39 67,17 -10 15,14 19,75 30 5,41 8,20 52 Gebirgsklima Anzahl (in 1.000) 68 67 -1 1.010 942 -7 220 279 27 81 123 51 Anteil (in %) 4,91 4,73 -4 73,48 66,62 -9 15,86 19,96 -26 5,76 8,67 51 ken Ausprägung („Warmes Klima“) und zugleich stärksten maraumtypen ist zudem künftig der höchste bzw. niedrigste Klimaänderung („Gebirgsvorlandklima“) wärmebezogener Altenquotient11 prognostiziert. Parameter zu rechnen haben. Im Klimaraumtyp „Gebirgsvorlandklima“ könnte damit Der Trend einer deutschlandweiten Alterung ist in al- künftig trotz Alterung weiterhin eine vergleichsweise junge len Klimaraumtypen deutlich abzulesen (vgl. Tabelle 4). Bevölkerung ansässig sein. Das zeigt auch die Entwicklung Bis zum Jahr 2030 steigt das Medianalter in allen Klima- der einzelnen Alterskohorten (vgl. Tabelle 5): Die Anzahl raumtypen um 8 % bis 10 %. Der Altenquotient nimmt um der 0- bis 5-Jährigen ist im Gebirgsvorland stabil, ihr An- bis zu 68 % zu. Die stärkste Veränderung (dargestellt als teil nimmt nur leicht ab. Anzahl und Anteil der Hochalt- (Delta)) in der Altersstruktur findet sich im Klimaraum- rigen (ab 80 Jahren) nehmen zwar deutlich zu, der Anteil typ „Trockeneres Klima“, gefolgt von den Klimaraumtypen verbleibt aber der geringste im Vergleich zu den anderen „Mittelgebirgsklima“ und „Warmes Klima“. Das höchste Klimaraumtypen. Medianalter erreicht den Vorausberechnungen zufolge der Neben dem Klimaraumtyp „Gebirgsvorlandklima“ ist Klimaraumtyp „Trockeneres Klima“ mit rund 52,2 Jahren, nur noch für den Klimaraumtyp „Warmes Klima“ eine das niedrigste Medianalter von rund 49,3 Jahren der Kli- maraumtyp „Gebirgsvorlandklima“. Für diese beiden Kli- 11 Altenquotient: Anzahl der Personen im Alter von 65 Jahren und äl- ter je 100 Personen im Alter von 20 bis unter 65 Jahren.
222 V. Schulze Dieckhoff et al. Tabelle 6 Extrinsische Sensitivität in den Klimaraumtypen (Datenbasis: Bertelsmann Stiftung (Stand 2015); adelphi/PRC/EURAC 2015) Hochqualifizierte Einpersonenhaushalte ...am Wohnort ...am Arbeitsort SGB-II-Quote Kaufkraft privater Haushalte (in %) (in %) (in %) (in %) (Durchschnitt, in Euro) Warmes Klima 35 13 10 7 49.953 Trockeneres Klima 36 10 8 9 44.444 Kühleres Klima 34 8 7 8 47.092 Mittelgebirgsklima 34 8 7 7 46.021 Gebirgsvorlandklima 35 10 8 4 49.053 Gebirgsklima 37 9 7 3 49.235 Zunahme der Anzahl der 0- bis 5-Jährigen zu erwarten. sitivität, durch den hohen Anteil an Hochaltrigen, auf eine Generell nimmt der Anteil dieser Kohorte, obgleich im ausgeprägte extrinsische Sensitivität, infolge eines hohen Klimaraumtyp „Gebirgsvorlandklima“ am höchsten, in bei- Anteils an Einpersonenhaushalten in Kombination mit der den Klimaraumtypen ab. Dies ist auf eine hohe Anzahl an höchsten SGB-II-Quote und der geringsten Kaufkraft. Ge- einwohnerstarken Kommunen mit Bevölkerungszunahme rade bei der Betrachtung der Indikatoren der extrinsischen zurückzuführen. Auffällig ist in beiden Klimaraumtypen Sensitivität ist eine Überschneidung mit der Anpassungs- die stabile bzw. positive Entwicklung der, insbesondere kapazität hoch, diese wird aber, wie eingangs erläutert, im gegenüber den in den Klimaraumtypen projizierten Klima- Beitrag nicht berücksichtigt. veränderungen, physisch sensitivsten Alterskohorten, den Kleinkindern und den Hochaltrigen. Gerade im Gebirgs- 3.2 Veränderungsdynamik in deutschen Städten klima ist aber auch die Kohorte der 6- bis 64-Jährigen und Gemeinden mit besonders hohem subjektivem Hitzeempfinden anteilig stark ausgeprägt. Im Folgenden werden zwei für Deutschland besonders Die intrinsische Sensitivität ist folglich insbesondere in charakteristische, demographisch-klimatische Raummuster denjenigen Klimaraumtypen besonders hoch und wird wei- und deren planerische Relevanz illustriert (vgl. Abbil- ter zunehmen, die eine starke Ausprägung wärmebezogener dung 2). Parameter erwarten lassen. In den restlichen Klimaraumty- pen verläuft die Alterung parallel zur Verkleinerung der 3.2.1 Raummuster: Stadtwachstum in wärmeren jüngeren Kohorten. Rein quantitativ könnten sich diese Ef- Klimaraumtypen fekte sogar bei Sensitivitätsberechnungen aufheben. Eine Ausnahme zeigt der Klimaraumtyp „Trockeneres Klima“, Ein Großteil von Städten und Einwohnern in Deutschland in dem die Anzahl der Menschen in den beiden Kohorten ist in naher Zukunft in Klimaraumtypen mit einer starken der 65-bis 79-Jährigen und der 80-Jährigen und älter grund- Ausprägung wärmebezogener Parameter (KT 1, KT 5) ver- sätzlich rückläufig ist, deren Anteil in den Kommunen aber ortet. Hierbei handelt es sich vorrangig um Städte, deren zunimmt und der höchste unter allen Klimaraumtypen ist. Bevölkerung stark wächst und moderat altert. Diese Kom- Im Klimaraumtyp „Warmes Klima“ zeigt sich ein ho- munen stehen angesichts wachsender Wohnraumnachfrage her Anteil an Hochqualifizierten am Wohn-, aber auch am vor der Herausforderung, neuen Wohnraum zu schaffen. Arbeitsort, zudem ist die Kaufkraft im Vergleich zu den an- Die seit Längerem verfolgte Strategie der Innen- vor Au- deren Klimaraumtypen am höchsten (vgl. Tabelle 6). Dies ßenentwicklung wirft bei steigenden Temperaturen und zu- kann sich positiv auf die Sensitivität auswirken, da ein ho- nehmenden Hitzeperioden neue Fragen auf, so auch die hes Bildungsniveau mit einer guten gesundheitlichen und der Ansiedlung hitzesensibler, dringend benötigter Pflege-, finanziellen Lage korreliert. Hochqualifizierte am Arbeits- Alten- und Kindertageseinrichtungen. Werden zunehmend ort können aber auch ein Indikator für ein hohes subjektives Grün- und Freiflächen in innerstädtischen Lagen zum Zwe- Hitzeempfinden sein. cke der Nachverdichtung beansprucht, so reduzieren sich Im „Gebirgsklima“ ist der größte Anteil an Einpersonen- hierdurch möglicherweise wichtige Kalt- und Frischluft- haushalten, obgleich dieser in allen Klimaraumtypen bei schneisen sowie die Möglichkeiten einer wohnortnahen Er- über einem Drittel der Haushalte liegt. Das Thema „soziale holung. Eine Zunahme der Siedlungs- und Verkehrsfläche Isolation“ als Folge des Alleinlebens dürfte folglich in al- sowie der Gewerbeflächen in den bereits hoch verdich- len Klimaraumtypen präsent sein. Im Klimaraumtyp „Tro- teten Städten der sich erwärmenden Klimaraumtypen be- ckeneres Klima“ treffen eine ausgeprägte intrinsische Sen- günstigt so die Bildung von städtischen Wärmeinseln. Ins-
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