REGION STUTTGART Zu gut, um in Zukunft bei den Besten dabei zu sein? STUDIE: ATTRAKTIVITÄT DER REGION STUTTGART 2030 Erstellt von
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REGION STUTTGART Zu gut, um in Zukunft bei den Besten dabei zu sein? STUDIE: ATTRAKTIVITÄT DER REGION STUTTGART 2030 Erstellt von:
Herausgeber Forum Region Stuttgart e.V. Jägerstraße 30, 70174 Stuttgart Telefon 0711 2005‐1578 Telefax 0711 2005‐1579 www.forum‐region‐stuttgart.de info@forum‐region‐stuttgart.de Konzeption Management Partner GmbH Heinestr. 41 70597 Stuttgart Telefon 0711 7683‐220 Telefax 0711 7683‐100 www.management‐partner.de infobox@management‐partner.de Autoren: Jörg Glaser‐Gallion Susanne Henschel Valentin Storz Stand Dezember 2013 © 2013 Forum Region Stuttgart e.V. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder Vervielfältigung auf Papier und elektronischen Datenträgern sowie Einspeisungen in Datennetze nur mit Genehmigung des Herausgebers. Alle Angaben wurden mit größter Sorgfalt erarbeitet und zusammenge‐ stellt. Für die Richtigkeit und Voll‐ ständigkeit des Inhalts sowie für zwi‐ schenzeitliche Änderungen über‐ nimmt das Forum Region Stuttgart e.V. keine Gewähr. Wir danken unseren Förderkreispartnern für die Unterstützung
DIE REGION STUTTGART Region Stuttgart in Zahlen • 179 Städte und Gemeinden • 2,68 Millionen Einwohner aus 170 Ländern • 93 Mrd. Euro Bruttoinlandsprodukt (2009) • 34.390 Euro Bruttowertschöpfung je Einwohner (2010) • 4,3 Prozent Arbeitslosenquote (Mai 2013) Quelle: Verband Region Stuttgart, Strukturbericht der Region Stuttgart 2013, Statistisches Landesamt Baden‐Württemberg
Inhaltsverzeichnis 1. Ziel und Fragestellung ............................................................................................................ 1 1.1 Auftrag .............................................................................................................................. 1 1.2 Ziel .................................................................................................................................... 1 1.3 Vorgehen .......................................................................................................................... 1 2. Zusammenfassung .................................................................................................................. 3 3. Welche Fachkräfte sucht die Region Stuttgart mit Blick auf 2030? ....................................... 6 3.1 Der demografische Wandel als Herausforderung............................................................ 6 3.2 Prognosen zum Fachkräftebedarf .................................................................................... 6 3.3 Schließen der Lücke durch endogenes und exogenes Potenzial ..................................... 8 3.4 Leitbild‐ und Strategieprozess sowie der Strukturbericht 2013 der Region Stuttgart als Basis ........................................................................................................................................ 9 3.5 Fazit: Das Fachkräfte‐Suchprofil ..................................................................................... 10 4. Warum wandern Menschen und was macht eine Region attraktiv? .................................. 11 4.1 Überblick ........................................................................................................................ 11 4.2 Welche Kriterien Lebensqualität bestimmen ................................................................ 11 4.3 Trends und Entwicklungen: Lebensqualität in der Zukunft ........................................... 12 4.4 Lebensqualität aus der Perspektive von interessanten Zielgruppen ............................. 13 4.5 Fazit: Die Zukunftskriterien einer Region ....................................................................... 15 5. Was sind die Zukunftskriterien für die Entwicklung der Region Stuttgart? ......................... 16 5.1 Wohlstand der Region / attraktive Arbeitsplätze .......................................................... 16 5.2 Image der Region ........................................................................................................... 17 5.3 Lebensqualität ................................................................................................................ 18 5.4 Lebendige Szenekultur ................................................................................................... 18 5.5 Anerkennung und Toleranz ............................................................................................ 19 5.6 Fazit: Die Handlungsfelder ............................................................................................. 20 6. Wie entsteht Bewegung in der Region Stuttgart? ............................................................... 21 6.1 Notwendigkeit eines Musterwechsels ........................................................................... 21 6.2 Wie andere Regionen Europas Bewegung auslösen ...................................................... 21 6.3 Gemeinsame Erfolgsmuster ........................................................................................... 24 6.4 Fazit: Was bedeutet das für die Region Stuttgart? ........................................................ 25 7. Empfehlung zum Vorgehen .................................................................................................. 26 7.1 Imageentwicklung .......................................................................................................... 26 7.2 Gründungsdynamik ........................................................................................................ 27 7.3 Bewegung in der Region Stuttgart erzeugen ................................................................. 28 7.4 Weiterführende Überlegung zum Vorgehen ................................................................. 29 Metastudie Attraktivität und Lebensqualität ............................................................................ A Literatur ...................................................................................................................................... B
1. Ziel und Fragestellung 1.1 Auftrag Im Juli 2013 beauftragte das Forum Region Stuttgart die Management Partner GmbH mit der Erstellung einer Studie. In dieser Studie soll aufgezeigt werden, wie – im Kontext des demo‐ grafischen Wandels und des Wettbewerbs der Regionen bei Fachkräfteengpässen – die Re‐ gion Stuttgart noch besser positioniert und ihre Attraktivität gesteigert werden kann. Die Leitfrage lautet: „Wie muss sich die Region – mit Blick auf den demografischen Wandel – aufstellen, damit umworbene Fachkräfte für die hiesige Wirtschaft gefunden und gebunden werden?" Der Fokus dieser Studie liegt auf der Frage, wie die Attraktivität der Region Stuttgart für Fachkräfte erhöht werden kann, die bisher nicht in der Region beheimatet sind. 1.2 Ziel Wie wird die Region Stuttgart bis 2030 so attraktiv, dass Fachkräfte ‐ die von andern Top‐ Regionen wie zum Beispiel München, Berlin, Hamburg, Zürich oder Wien umworben werden ‐ sich entscheiden, in der Region Stuttgart zu leben? Ziel ist, relevante Handlungsfelder und Wege aufzuzeigen. Die Attraktivität der Region und der drohende Fachkräfteengpass werden seit Langem aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet und mit zahlreichen Initiativen aufgegriffen. In dieser Studie wird auf dieses Material zurückgegriffen und darauf aufgebaut. Die Perspektive der Studie ist deshalb, die entscheidenden Hebel herauszuarbeiten, mit de‐ nen es gelingt, die Region Stuttgart noch stärker in Bewegung zu setzen und die Attraktivität für umworbene Fachkräfte zu erhöhen. 1.3 Vorgehen Gewählt wurde ein mehrstufiges, vernetztes Vorgehen, in dem inhaltlich auch bewusst „Querdenker‐Ansätze“ berücksichtigt wurden. Abbildung 1: Übersicht über das Vorgehen der Studie 1. Welche Fachkräfte sucht die Region Stuttgart mit Blick auf 2030? Reflexion Ausgangslage der Region Stuttgart aufnehmen, auf vorhandenen Erkenntnissen wie Leitbild- und Strategieprozess, Strukturbericht der Region Stuttgart aufbauen. Verarbeitung und Weiterentwicklung der Erkenntnisse und 2. Warum wandern Menschen und was macht eine Region für sie attraktiv? Schlussfolgerungen Auseinandersetzung mit theoretischen wie empirischen wissenschaftlichen in Gesprächen und Erkenntnissen. Aufnahme von Trends und Zukunftskonzepten. Expertenkreisen mit Kennern der Region Stuttgart aus Wirt- 3. Wie haben sich andere Regionen erfolgreich in Bewegung gebracht? schaft und Institutio- Analyse der Wege und Handlungen ausgewählter europäischer Regionen. nen. Ableitung der Empfehlungen 1
In den Expertenkreisen und als Gesprächspartner wirkten mit: Rüdiger Bechstein Alfred Kärcher GmbH & Co. KG Thomas Bopp Verband Region Stuttgart Armin Dellnitz Regio Stuttgart Marketing‐ und Tourismus GmbH Wolfgang Elkart Forum Region Stuttgart e.V. Johannes Ellenberg Start‐Up Stuttgart Richard Elmer Forum Region Stuttgart e.V. Stefanie Fleischmann Wirtschaftsförderung Region Stuttgart GmbH Bernd Kaufmann Fachkräfteallianz Region Stuttgart Attila Gálity Verband Region Stuttgart Dr. h.c. Matthias Kleinert Staatssekretär a.D. AKKA Technologies – Mbtech Group Oliver Kreh IHK Region Stuttgart Michael Marbler Ernst & Young Gerhard Meyer Human Internet Consult AG Johannes Milla Milla & Partner GmbH Wilfried Porth Daimler AG Prof. Dr. Bärbel Renner Duale Hochschule Baden‐Württemberg Andreas Richter IHK Region Stuttgart Dr. Walter Rogg Wirtschaftsförderung Region Stuttgart GmbH Dr. Gerhard Rübling TRUMPF GmbH + Co. KG Dr. Kathrin Silber Wirtschaftsförderung Region Stuttgart GmbH Julian Steinbuch ICTJOB Deutschland GmbH Laura Ullmann Wirtschaftsförderung Region Stuttgart GmbH Kai Varnai DEKRA SE Christian Wachutka Wirtschaftsförderung Region Stuttgart GmbH Timo Weltner Netformic GmbH Dr. Jürgen Wurmthaler Verband Region Stuttgart Sowie der Vorstand des Forums der Region Stuttgart im Rahmen der Sitzungen am 23.9.2013 und 5.11.2013. 2
2. Zusammenfassung Die Region Stuttgart ist eine der wirtschaftlich stärksten Regionen in Europa mit hoher Le‐ bensqualität. Aus der Position der Stärke heraus treibt die Region Stuttgart eine Vielzahl von Aktivitäten voran, um an der Spitze zu bleiben. Die Frage ist, was die Region Stuttgart mehr tun muss und kann, um ihre Attraktivität für umworbene Fachkräfte auch in der Zukunft zu sichern, weil sich grundlegende Veränderun‐ gen abzeichnen. Die Konsequenzen des demografischen Wandels Die Veränderung in der Unternehmenslandschaft und insbesondere der erwarteten Substitution des Verbrennungsmotors Der zunehmende Wettbewerb der Regionen Deutschlands und Europas um die bes‐ ten Köpfe Die Studie macht deutlich, dass es für die Region Stuttgart Handlungsbedarf gibt, der über die laufenden Aktivitäten hinausgeht. Dies zeigt sich in folgenden Symptomen: Die Region Stuttgart ist in den Köpfen und Herzen ihrer Bürger und Unternehmen un‐ zureichend verankert. Es fehlt eine – von allen gesellschaftlichen Gruppen (Bürgern, Unternehmen, Institu‐ tionen und Politik) – gelebte Ambition für die Region, die dazu beiträgt, dass überge‐ ordnete Ziele Priorität erhalten. Die Menschen der Region Stuttgart schätzen die hohe Lebensqualität. Aus der Per‐ spektive potenzieller Zuwanderer wird die Region Stuttgart vor allem als starker Wirtschaftsstandort wahrgenommen. Weitere Imageelemente sind aus ihrer Per‐ spektive jedoch eher blass ausgeprägt. Diese bestimmen allerdings die Wahl des Standorts maßgeblich mit. Zwei Zielgruppen kommt besondere Bedeutung zu: Den 18‐ bis 35‐Jährigen, die nachweisbar die höchste Mobilität aufweisen, und den ausländischen Fachkräften aus aller Welt. Beide Zielgruppen muss die Region Stuttgart stärker adressieren. Die Verantwortung für die Arbeitsplätze in der Region lastet auf den Schultern von großen Unternehmen in relativ reifen Branchen, deren Geschäftsschwerpunkte sich zunehmend auf andere Kontinente verlagern. Die seit Jahren rückläufige Gründungsdynamik in der Region Stuttgart ist schon mehr‐ fach adressiert und angegangen worden. Eine Trendwende konnte nicht erreicht werden. Andere Regionen Europas arbeiten an Zukunftskriterien mit hoher Wirkung. Ihnen gelingt es, die Kräfte der Region für die zukünftige Entwicklung zu aktivieren und zu bündeln. Es zeigen sich deutliche Gemeinsamkeiten in den Erfolgsmustern. 3
An die Entwicklung der Region Stuttgart muss ein höherer Anspruch gestellt werden, als er heute erlebbar ist. Die für einen höheren Anspruch erforderliche Unzufrieden‐ heit mit dem Status quo oder eine wirklich herausfordernde Ambition ist heute nicht erkennbar. Es herrscht Zufriedenheit. Die Region Stuttgart gibt insgesamt das Bild ei‐ ner saturierten Region ab. Im Grundmuster „Weiter so“ läuft die Region Stuttgart Gefahr, hinter die Dynamik anderer Regionen in Europa zurückzufallen. Es bedarf eines Musterwechsels, damit die Region Stutt‐ gart im Wettbewerb der Regionen auch in Zukunft die Attraktivität bietet, die für umworbe‐ ne Fachkräfte zählt. Wir rufen die Frage auf: Region Stuttgart – Zu gut, um in Zukunft bei den Besten dabei zu sein? Erst wenn es gelingt, in der Region Stuttgart ein Bewusstsein zu erzeugen, dass die langfristi‐ ge Sicherung der Attraktivität der Region wesentlich höhere Anstrengungen erfordert, kann eine Bewegung der Qualität und Wirkung in Gang kommen, die andere Regionen Europas erfolgreich initiiert haben. Wir empfehlen eine intensivere gemeinsame Auseinandersetzung aller gesellschaftlichen Gruppen mit der Zukunft der Region Stuttgart. Dafür muss die Region: Sich den grundlegenden Veränderungen stellen „Wir sind gut unterwegs“ eintauschen in „Wir haben große Aufgaben vor uns“ Eine von allen gesellschaftlichen Gruppen gelebte Ambition für die Region schaffen, die dazu beiträgt, dass übergeordnete Ziele Priorität erhalten Die Handlungsfelder „Imageentwicklung“ und „Gründungsdynamik“ mit höherer Pri‐ orität aufgreifen Eine Bewegung in der Region Stuttgart erzeugen, die die gesellschaftlichen Gruppen einbindet, aktiviert und zu einer besseren Verzahnung der vielfältigen Aktivitäten führt Diese Empfehlung bedeutet: 1. Identifikation einer möglichen „Initiativkraft“ als Auslöser für eine kollektive Bewe‐ gung. Diese Initiativkraft könnten Persönlichkeiten, ein Bündnis von Unternehmen oder eine wachrüttelnde Provokation sein, wie zum Beispiel den Namen der Region Stuttgart öffentlich zur Diskussion zu stellen. 2. Schärfung der Sensibilität von Bürgern, Unternehmen, Institutionen und Politik durch eine öffentliche Debatte über die Herausforderungen und die Ambitionen der Region Stuttgart. 3. Klärung, welche Plattform die Vernetzung der gesellschaftlichen Gruppen, Institutio‐ nen, Politik, Unternehmen und Bürgern leisten kann. Ziel dieser Plattform ist, den Prozess in Gang zu bringen und zu halten, sowie dafür zu sorgen, dass eine Agenda „Region Stuttgart 2030“ abgestimmt wird. 4. Für eine tragfähige Finanzierung der Plattform und der Agenda zu sorgen. 4
In den Expertenkreisen wurde großes Interesse geäußert, sich weiter mit der Entwicklung der Region Stuttgart auseinanderzusetzen und sich aktiv dafür einzubringen. Zu vermuten ist, dass sich zahlreiche Bürger der Region auch einbringen wollen. Es empfiehlt sich, die Handlungsfelder „Imageentwicklung“ und „Gründungsdynamik“ in zwei Initiativkreisen weiter zu verfolgen und zu konkretisieren. Dabei ist die Beteiligung von Bürgern, Unternehmen, Institutionen und Politik erforderlich. Damit die Initiativkreise die notwendige Anbindung haben, könnten sie zum Beispiel vom Forum Region Stuttgart beauftragt und begleitet werden. Das kann der erste Schritt im Aufbau einer größeren Bewegung in der Region Stuttgart sein. Damit diese durch alle gesellschaftlichen Gruppen getragen wird, ist das Wirksamwerden einer Initiativkraft der entscheidende Erfolgsfaktor. 5
3. Welche Fachkräfte sucht die Region Stuttgart mit Blick auf 2030? 3.1 Der demografische Wandel als Herausforderung Die Prognosen zur demografischen Entwicklung sind bereits seit den 1970er Jahren bekannt und unbestritten: Die Bevölkerung in Deutschland sowie auch in der Region Stuttgart altert und schrumpft. Dies kann nur durch Zuwanderung ausgeglichen werden. Durch die Alterung der geburtenstarken Jahrgänge der 50er und 60er Jahre ist davon auszu‐ gehen, dass sich die Altersstruktur in der Region Stuttgart in den nächsten 15‐20 Jahren massiv verschiebt. Die untenstehende Grafik zeigt die voraussichtliche Entwicklung bis 2030. Abbildung 2: Demografische Entwicklung in der Region Stuttgart Auszug aus VRS Regional‐Monitor Region Stuttgart 2012 / Strukturbericht 2013 1 Bis zum Jahr 2030 wird mit regiona‐ len Einwohnerverlusten von rund 100.000 Personen gerechnet. Die Bevölkerung in der Region wird vo‐ raussichtlich auf 2,57 Millionen Menschen zurückgehen. Die Zahl der über 75‐Jährigen wird sich um 77.000 Menschen auf 309.000 erhöhen. Die Nachfrage nach Altenbetreu‐ ungs‐ und Pflegeplätzen wird eben‐ 2010 2030 so steigen, wie der Bedarf an quali‐ fiziertem Personal. Der Rückgang bei Bewohnern im „arbeitsfähigen Alter“ (bis 67 Jahre) ist besonders hoch. 3.2 Prognosen zum Fachkräftebedarf Vor diesen Hintergrund wird in vielen Untersuchungen davon ausgegangen, dass ein Fach‐ kräfteengpass entsteht. Im aktuellen Strukturbericht der Region Stuttgart und dem IHK‐ Fachkräftemonitor wird dieser für die Region Stuttgart detailliert dargestellt und quantifi‐ ziert.2 Alle Prognosen gehen von einem Fachkräfteengpass aus. Sie unterscheiden sich jedoch in der Quantifizierung. Die Gründe liegen in unterschiedlichen wissenschaftlichen Verfahren und den Annahmen zum Wanderungssaldo. Dem Wanderungssaldo kommt entscheidende Bedeutung zu. Je besser es gelingt, diesen zu erhöhen, desto stärker reduziert sich der quan‐ titative Engpass. In der folgenden Abbildung sind unterschiedliche Prognosen gegenüberge‐ stellt. 1 VRS (2012), IMU / IAW (2013) 2 IMU / IAW (2013), IHK Baden‐Württemberg (2013): Fachkräftemonitor im Internet unter: http://www.fachkraeftemonitoring‐bw.de/ 6
Abbildung 3: Übersicht über Prognosen zum Fachkräftebedarf 3 Quelle Fachkräftebedarf Gebiet Prognose Strukturbericht / IHK BW Fachkräfte‐ 109.000 (ohne Helferberufe) Region Stuttgart 2030 Monitor (2013) WifOR (2013) 400.000 Baden‐Württemberg 2030 Prognos (2009) 500.000 Baden‐Württemberg 2030 McKinsey (2011) 2 Millionen Deutschland 2020 Prognos (2008a) 5,2 Millionen Deutschland 2030 Prognos (2012a) 4 Millionen Deutschland 2035 BIBB / IAB (2010) „Mismatch“ Deutschland 2025 Brachat‐Schwarz (2009) „Mismatch“ Baden‐Württemberg 2030 IW Köln (2011) 105.000 MINT‐Absolventen p.a. Deutschland 2013 Prognosen Gesundheitssektor PWC (2012) Bis zu 681.000 Deutschland 2030 Afentakis / Maier (2010) 305.000 Deutschland 2025 Prognos (2012b) 520.000 Deutschland 2030 Hackmann (2010) 430.000 Deutschland 2050 PWC / WiFOR (2010) 478.000 Deutschland 2030 Differenzierte Aussagen „…bisher keine wissenschaftlichen Verfahren bekannt, die ange‐ sichts der Komplexität des Arbeitsmarktgeschehens und der Vielfalt DIW Berlin (2010b) an Aspekten, die auf der Angebots und auf der Nachfrageseite zu beachten sind, für die Quantifizierung einer gesamtwirtschaftlichen Fachkräftelücke geeignet sind.“ Erst in 2035 werden Angebot und Nachfrage gleich hoch sein. Bis BIBB (2007) dahin übersteigt das Angebot die Nachfrage, also insgesamt kein Engpass, sondern sogar ein Überschuss bzw. ein „Mismatch“. Im Jahr 2012 ist die Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland nur aufgrund von Zu‐ wanderung gewachsen.4 Der in den letzten Jahren positive Wanderungssaldo bildet sich be‐ reits in manchen Prognosen ab: Beispielsweise wurde in der Prognos Einschätzung 2012 der kommende Fachkräfteengpass für Deutschland deutlich geringer beziffert als im Jahr 2008. Es gibt allerdings wissenschaftliche Institute, die darauf hinweisen, dass bislang keine geeig‐ neten wissenschaftlichen Verfahren zur Berechnung der Fachkräftelücke existieren. Sie be‐ nennen deshalb bewusst keine konkreten Zahlen.5 In dieser Studie wird davon ausgegangen, dass vor dem Hintergrund des demografischen Wandels Handlungsbedarf besteht, unabhängig davon, wie groß die Lücke im Jahr 2030 ef‐ fektiv sein wird. Der demografische Wandel ist unbestritten und führt dementsprechend zu 3 Detaillierte Prognosen zu Fachkräfteangebot und ‐nachfrage in der Region Stuttgart finden sich im IHK Fach‐ kräftemonitor siehe IHK Baden‐Württemberg (2013). Definition Mismatch nach Deutscher Bundestag (2012) „Mismatch meint ein Ungleichgewicht zwischen Arbeitskräftenachfrage und Arbeitskräfteangebot, das unter‐ schiedliche Ursachen haben kann (qualifikationsspezifisches, regionales oder lohnbedingtes Mismatch).“ 4 Statistisches Bundesamt (2013), FAZ (2013) 5 DIW Berlin (2010) 7
einem verstärkten Wettbewerb der Regionen um die besten Kräfte. Die Frage der Attraktivi‐ tät der Region Stuttgart ist relevant. Hinzu kommt, dass eine rein quantitative Betrachtung nicht ausreichend ist. Selbst wenn genügend Fachkräfte (quantitativ) in der Region vorhanden sind, zeichnet sich ein Mismatch zwischen Angebot und Nachfrage an Fachkräften ab. Darauf weisen verschiedene Studien hin.6 Der Anteil der Betagten an der Bevölkerung wird deutlich zunehmen. Dadurch entsteht bei Berufen im Gesundheitswesen insbesondere bei der Altenbetreuung / ‐pflege, ein absehbar höherer Bedarf an Fachkräften.7 Bereits kurzfristig besteht in der Region Stuttgart eine starke Nachfrage nach Erziehern und Erzieherinnen, die durch das Angebot nicht gedeckt ist: „Es fehlen Tausende Erzieherinnen. Die Einrichtungen werben sich gegenseitig Personal ab.“ 8 Die Schlussfolgerung: Fachkräfte werden in Zukunft deutlich stärker umworben als heute. Sie werden es sich leisten können, „wählerisch“ zu sein und diese Chance nutzen, um in der Re‐ gion zu leben, die ihnen die höchste Attraktivität bietet. 3.3 Schließen der Lücke durch endogenes und exogenes Potenzial Um den erwarteten Fachkräfteengpass zu decken, werden in vielen Untersuchungen zwei grundsätzliche Felder genannt: Abbildung 4: Potenzialfelder zur Schließung einer Fachkräftelücke9 Endogenes Potenzial Exogenes Potenzial (Fokus der Studie) Erhöhung der Erwerbsbeteiligung bei Erhöhung des positiven Wanderungssaldos potenziell Erwerbsfähigen durch Steigerung der Attraktivität o Eltern o Qualifizierte Zuwanderer anziehen o Best Agers o Wohnhafte Bevölkerung an die Region bin‐ o Abbrecher den o Nicht Ausgebildete o Arbeitslose Diese Studie fokussiert auf Handlungsfeldern, die die Attraktivität der Region Stuttgart für Fachkräfte erhöhen und einen Sog erzeugen können, der umworbene Fachkräfte in die Regi‐ on Stuttgart zieht. Um die relevanten Kriterien zu identifizieren, wurde untersucht, welche Fachkräfte die Regi‐ on Stuttgart mit Blick auf 2030 sucht. 6 Deutscher Bundestag (2012), Prognos (2011), BIBB / IAB (2010), Brachat‐Schwarz (2009), BIBB (2007), Brach‐ at‐Schwarz / Dominé (2007) 7 VRS (2012), PWC (2012) Afentakis / Maier (2010), Prognos (2012), Hackmann (2010), PWC / WiFOR (2010) 8 STZ (2013) 9 Die Bundesagentur für Arbeit beschreibt es wie folgt: „Das Fachkräfteangebot lässt sich nur durch einen Mix verschiedener Hebel nachhaltig steigern.“ Zuwanderung ist ein Hebel, BA (2011). Siehe auch IMU / IAW (2013) 8
3.4 Leitbild‐ und Strategieprozess sowie der Strukturbericht 2013 der Region Stuttgart als Basis Das Leitbild der Region Stuttgart wurde 2013 in einem umfassenden Prozess mit mehreren hundert Akteuren erarbeitet. Es beschreibt das Zukunftsprofil der Region Stuttgart.10 Abbildung 5: Leitbild der Region Stuttgart11 Leitbild für den Wirtschafts‐ und Wissenschaftsstandort Region Stuttgart In lebendigen Werten verwurzelt, gestalten wir verantwortungsbewusst und mutig unsere Region. Mit Erfahrung, Pioniergeist, Verstand und Schaffenskraft arbeiten wir in der Ideen‐ schmiede Region Stuttgart für die Welt von morgen. Als Heimat von Menschen aus aller Welt ist die Region Stuttgart ein international vernetzter Standort und einladender Treffpunkt der kreativsten Köpfe. Wir arbeiten in dynamischen regionalen Netzwerken und steigern damit unsere Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit. Wir verbinden hohe Lebensqualität mit verlässlichem Wirtschaften, Forschen und Arbeiten. Wir eröffnen Menschen in ihren unterschiedlichen Lebenssituationen optimale Chancen und Raum für die Entfaltung ihrer Lebensentwürfe und Realisierung von Ideen. Originaltext aus dem Leitbild‐ und Strategieprozess der Region Stuttgart 2013 Daraus lässt sich ableiten: Gesucht sind Menschen mit: Geboten wird ihnen: o Mut und Verantwortungsbewusstsein o Eine (neue) Heimat für Menschen aus aller Welt o Gestaltungswillen / Pioniergeist o Ein international vernetzter Standort o Kreativität / Verstand („kreative o Hohe Lebensqualität Köpfe“) o Möglichkeit der Entfaltung von Lebensentwürfen o Erfahrung für Menschen in unterschiedlichen Lebenssituati‐ onen Darüber hinaus wurden im parallel laufenden Strategieprozess Chancen und Herausforde‐ rungen der Region Stuttgart herausgearbeitet. Zum einen wird ein wachsender Engpass bei Fach‐ und Führungskräften (insbesondere MINT12) als eine zentrale Herausforderung be‐ schrieben. Die Aussagen des Leitbildes und die Aktivitäten zur Willkommenskultur zeigen, dass die Region Stuttgart die gesuchten Fachkräfte auch außerhalb ihrer Grenzen finden will. Die Region Stuttgart sucht Zuwanderer.13 10 WRS (2013b), VRS (2013b) 11 WRS (2013a), WRS (2013c), VRS (2013b) 12 MINT bezeichnet die Felder: Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik 13 WRS (2013a), WRS (2013c) 9
Ebenso sieht sich die Region Stuttgart durch nachlassende wirtschaftliche Dynamik sowie rückläufige Innovations‐ und Gründungsaktivitäten herausgefordert. Um diese Situation um‐ zukehren, bedarf es Menschen mit Ideen, Mut und Kreativität, die gründen. Die Region Stuttgart sucht Unternehmer und Gründungswillige.14 Im Strukturbericht der Region Stuttgart 2013 finden sich weitere wesentliche Informationen zu Größe, Struktur und Zusammensetzung des erwarteten Fachkräfteengpasses. Der Struk‐ turbericht wird alle zwei Jahre als gemeinsame Veröffentlichung vom Verband Region Stutt‐ gart, der Handwerkskammer Region Stuttgart, der IG Metall Region Stuttgart und der IHK Region Stuttgart herausgegeben. Erstellt wird die Veröffentlichung vom IMU Institut in Stuttgart und Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung (IAW) in Tübingen. Auf Basis der Prognosen des IHK Fachkräftemonitors zeigt der Strukturbericht einen Fach‐ kräfteengpass von 109.000 Personen (bereinigt von Konjunkturzyklen) für die Region Stutt‐ gart im Jahr 2030. Davon sind 104.000 beruflich Qualifizierte und 5.000 Akademiker (Helfer‐ berufe nicht eingeschlossen). Durch die zunehmende Akademisierung wird von einem stei‐ genden Bedarf an beruflich Qualifizierten (duale Ausbildung) ausgegangen. Der prognostizierte Engpass bei den beruflich Qualifizierten teilt sich in 28.000 Personen mit technischer und 76.000 Personen mit kaufmännischer Ausbildung auf. Details zu Berufen mit dem relativ größten Mangel finden sich im Strukturbericht 2013 und im IHK Fachkräfte‐ monitor. „Im Ranking der zehn Berufe mit dem relativ größten Mangel … handelt es sich – mit Ausnahme der beiden Berufsgruppen ‚Bauplanungs‐, Architektur‐ und Vermessungsbe‐ rufe (mittlere Qualifikation)’ sowie ‚Metallerzeugung, ‐bearbeitung, ‐oberflächenbehandlung (Helfer)’ – um hochqualifizierte Fachkräfte.“15 „Die Unterscheidung zwischen heutigen und zukünftigen Mangelberufen ist ebenfalls wichtig. Aktuelle Mangelberufe können sich zukünftig anders entwickeln. Beispielsweise steht der derzeitige Engpass an Personen mit akademischem Abschluss in den sogenannten MINT‐ Berufen in den Prognosen für das Jahr 2030 nicht im Vordergrund.“16 3.5 Fazit: Das Fachkräfte‐Suchprofil Die unterschiedlichen Anforderungen aus Leitbild‐ und Strategieprozess, Strukturbericht und IHK Fachkräftemonitor sowie Prognosen aus dem Gesundheitsbereich zusammengefasst, ergeben folgendes Fachkräfte‐Suchprofil: Beruflich Qualifizierte („mittlere und höhere Qualifizierung“) Berufe im Gesundheitssektor / speziell (Alten‐)Pflege Fach‐ und Führungskräfte (zum Beispiel in MINT‐Berufen ) Unternehmer / Gründungswillige „Kreative Köpfe“ 14 WRS (2013a), WRS (2013c), VRS (2013b) 15 IMU / IAW (2013) 16 IMU / IAW (2013) Basis sind die Berechnungen des IHK Fachkräftemonitors für die Region Stuttgart, siehe IHK Baden‐Württemberg (2013): Fachkräftemonitor im Internet unter: http://www.fachkraeftemonitoring‐bw.de/ 10
4. Warum wandern Menschen und was macht eine Region attraktiv? 4.1 Überblick „Was Menschen aus dem einen Ort weg‐ und dem anderen Ort zutreibt, ist der Wunsch nach einer besseren Lebensqualität."17 Die Entscheidung für eine Region beruht im Wesentlichen auf zwei Faktoren. Auf dem Image, das eine Region genießt, und auf dem wirtschaftlichen Wohlstand einer Region als Garant für einen Arbeitsplatz. Beide Kriterien entscheiden darüber, ob eine Region als zukünftiger Lebensort in Frage kommt. Anders formuliert: eine Region, die auf Zuzug setzt, muss wirt‐ schaftlichen Wohlstand und damit Arbeit sicherstellen, und sie muss ein Image haben, das mit großen (Metropol‐)Regionen mithalten kann. Die Entscheidung, ob jemand in einer Region langfristig bleibt, hängt wesentlich davon ab, ob die erfahrene Lebensqualität stimmt. 4.2 Welche Kriterien Lebensqualität bestimmen In der wissenschaftlichen Theorie und den empirischen Studien zur Standortattraktivität, die die Perspektive des einzelnen Menschen betrachten, ist Lebensqualität das ausschlaggeben‐ de Kriterium für die Attraktivität einer Region. Nach der WHO‐Definition ist Lebensqualität immer subjektiv und individuell: „… die subjekti‐ ve Wahrnehmung von Individuen über ihre Stellung im Leben im Kontext zu Kultur und den Wertesystemen, in denen sie lebt und in Bezug auf ihre Ziele, Erwartungen, Standards und Anliegen.“18 Im Rahmen dieser Studie wurden 19 unterschiedliche Quellen untersucht, um herauszuarbeiten, welche Kriterien die Attraktivität einer Region maßgeblich bestimmen. Abbildung 6: Metaanalyse Attraktivität und Lebensqualität19 Häufigkeitsverteilung der Indikatoren Erläuterungen Gesundheit 14 • 19 Veröffentlichungen wurden nach gleichartigen Arbeitsplatz 13 Kriterien untersucht und Indikatoren zugeordnet. Familie und Soziales 13 Bildung 11 • Beispiel: Nennungen, die zum Indikator Gesund- Wirt.Wohlstand 10 heit gezählt wurden: Gesundheit, Gesundheits- Sicherheit 9 zustand, Gesundheitsinfrastruktur, Ärztedichte, Gesellschaft 8 Krankheit, Lebenserwartung, Medizinische Ver- Geographie 7 sorgung. Wohnen 7 Umwelt 7 • Einbezogen wurden unter anderem: Deutscher Kultur 6 Bundestag Enquete Kommission 2013, DIW al- Freizeit 6 ternative Wohlstandsmessung 2013, OECD- Bet- Sport 5 ter Life Index 2013, BAK Quality of Life Bench- Wirt. Bedingungen 4 marking, Roman Herzog Institut e. V. Was be- Tourismus 3 stimmt unsere Lebenszufriedenheit? 2013, Deut- Verwaltung 2 sche Post Glücksatlats 2012, BMFSFJ Fami- Infrastruktur 2 lienatlas 2012. 0 5 10 15 Anzahl Studien 17 Reiter (2010), siehe auch Prognos (2008b): Untersuchung der Auswanderungsgründe von Fach‐ und Füh‐ rungskräften aus Deutschland: Top 1: Suche nach höher Lebensqualität, Top 2. Berufliche Unzufriedenheit 18 Zitat übersetzt aus WHOQOL (1995): “individuals' perception of their position in life in the context of the cul‐ ture and value systems in which they live and in relation to their goals, expectations, standards and concerns.'' 19 Die Quellen sind im Anhang A (Metastudie Attraktivität und Lebensqualität) dargestellt 11
Die Top‐Kriterien für Lebensqualität sind Gesundheit, Arbeitsplatz, Familie und Soziales, Bil‐ dung und wirtschaftlicher Wohlstand. Die Metaanalyse zeigt, dass ein Arbeitsplatz oder die Aussicht darauf (wirtschaftlicher Wohl‐ stand einer Region) die auslösenden Anreize für eine Wanderung sind. Sind die Vorausset‐ zungen „Wirtschaftlicher Wohlstand“ und „Arbeitsplatz“ gegeben, treten andere Kriterien in den Vordergrund. 4.3 Trends und Entwicklungen: Lebensqualität in der Zukunft Die Attraktivität einer Region ist über Lebensqualität definiert. Werden die heutigen Krite‐ rien auch 2030 das Verständnis von Lebensqualität ausmachen? Einen Blick in die Zukunft wagt Andreas Reiter, der die Megatrends verarbeitet und in der Zukunft eine neue Akzentuierung des Verständnisses von Lebensqualität erwartet. Abbildung 7: Zukunftstrends der Lebensqualität20 Zeit‐Wohlstand Sozialer Wohlstand Ökologischer Wohlstand Zeit ist knapp und wertvoll und das Die Grundpfeiler einer modernen Ge‐ Menschen suchen nach regionaler Luxusgut der Zukunft. sellschaft sind Bildung und Gesundheit. Identität und Nachhaltigkeit. Attraktive Regionen Wettbewerb der Zukunft heißt In der Gesellschaft findet eine Rück‐ Wettbewerb der Bildung. Es gilt: besinnung auf die regionale Identi‐ ermöglichen den Bürgern eine Höhere Bildung = höherer Wohl‐ tät statt. Tradition wird kreativ mit optimale Zeit‐Ökonomie durch stand = mehr Lebensqualität. Neuem gemischt. Regionale Produk‐ eine gute Infrastruktur (24‐ te werden bevorzugt. Stunden Ökonomie) und bieten Gesundheit – verstanden als ganz‐ einen hohen Wohlfühlfaktor an. heitliches, psychosoziales Wohlbe‐ Zusätzlich nimmt die ökologische finden – steht auf der Werteskala Nachhaltigkeit einen neuen Stel‐ Attraktive Unternehmen der Menschen ganz oben. lenwert ein. Der neue Lifestyle‐ Moralismus breitet sich, ausgehend bieten hohe Work‐Life‐Balance Aufgrund einer zunehmend indivi‐ von Ernährung und Mode, auf ande‐ durch Erledigungen von Alltags‐ dualisierten und nomadischen Ge‐ re Lebensbereiche wie das Wohnen aufgaben am Arbeitsplatz und guter sellschaft nimmt der Community‐ aus (Öko Chic). Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Faktor an Bedeutung zu. Fazit: Die heutigen Top‐Kriterien werden auch in Zukunft zählen und weiter an Bedeutung gewinnen. Hinzu kommt das Thema Infrastruktur, da Zeit‐Wohlstand das Luxusgut der Zu‐ kunft sein wird. Attraktive Regionen ermöglichen den Bürgern eine optimale Zeit‐Ökonomie, beispielsweise durch die Möglichkeit, sich zu jeder Zeit versorgen zu können. Weiterhin nehmen ökologische Nachhaltigkeit, regionale Identität und der Community‐Faktor einen neuen Stellenwert ein. Daraus lassen sich folgende Zukunftskriterien ableiten: 1. Wirtschaftlicher Wohlstand / Arbeitsplatz 2. Gesundheit und ökologische Nachhaltigkeit 3. Familie und Soziales 20 In Anlehnung an Reiter (2010) 12
4. Bildung 5. Infrastruktur 6. Regionale Identität / Community‐Faktor 4.4 Lebensqualität aus der Perspektive von interessanten Zielgruppen Lebensqualität ist immer subjektiv und individuell (siehe WHO‐Definition). Eine Region, die auf Zuwanderung setzt, wird den spezifischen Kriterien zweier Zielgruppen besondere Be‐ achtung schenken müssen.21 Abbildung 8: Wanderung in Deutschland 2011 nach Alter22 Personen 60.000 50.000 40.000 30.000 20.000 10.000 0 0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 Zuwanderung Fortwanderung Binnenwanderung Zielgruppe: 18‐bis 35‐Jährige Es sind vor allem die 18‐ bis 35‐Jährigen, die wandern. Menschen wechseln den Ort aufgrund einer Ausbildung, des Berufseinstiegs oder des ersten Arbeitsplatzwechsels. Danach werden sie sesshaft, gründen eine Familie und bleiben in ihrer Region. Die Tendenz zur Binnenwan‐ derung nimmt erst ab dem Alter von 75 Jahren wieder zu.23 Wer Zuzug will, muss diese Zielgruppe in besonderer Weise berücksichtigen, d.h. ihre Präfe‐ renzen in Bezug auf Lebensqualität kennen und umsetzen. Diese unterscheiden sich signifi‐ kant von der Auffassung über Lebensqualität anderer Altersgruppen. Vertreter dieser Zielgruppe sind heute vor allem die sogenannte Generation Y (geboren zwi‐ schen 1980 und 2000) und 2030 die sogenannte Generation Z (geboren zwischen 2000 und 2020), wobei die Zeitabschnitte verschwimmen und in der Literatur teilweise unterschiedlich 21 Die untersuchten Studien zur Arbeitsplatzattraktivität zeigen kaum Unterschiede zwischen Ost‐ / Westdeut‐ schen sowie geringe Unterschiede bei den Geschlechtern. Männer bewerten Vergütung leicht höher, Frauen Flexibilität und Work‐Life Balance siehe Job AG (2013a, 2013b, 2012, 2011a, 2011b), INQA (2006). Aus der Lite‐ raturstudie gab es Hinweise, dass Berufsgruppen (Wirtschaftswissenschaftler versus Pflegeberufe) und kulturel‐ ler Hintergrund die subjektiven Präferenzen bezüglich Lebensqualität beeinflussen. Herausragende Kriterien ließen sich in den untersuchten Veröffentlichungen jedoch nicht erkennen. Siehe Buxel (2011), BGW (2011) 22 Auswertung auf Basis Statistisches Bundesamt (2013) – Datenstand 2011 23 Statistisches Bundesamt (2013), BBSR (2012) 13
angegeben werden. Die Generationen Y und Z – die Kinder der Wohlstandsgesellschaft – zeichnen sich durch eine abnehmende Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber aus; sie sind hochgradig auf ihre eigenen Ziele konzentriert und streben nach Spaß.24 Abbildung 9: Werte und Präferenzen von Generation25 Baby Boomer geb. 1943 - 1960 Generation Y geb. 1980 - 2000 • Optimismus, Antrieb und starker Wille, Egozentrik, Wachstum • Tritt sehr selbstbewusst auf, zeigt sich orientierungslos und sprunghaft • Teamgeist, pers. Entwicklung und Konsens • Prozess- statt Ergebnisorientierung • Strebt nach Leistung, Sinn und Spaß im Arbeitsleben • Schwierigkeiten mit Konflikten und anderen Ansichten • Wünscht sich Flexibilität, Suche nach Sicherheit • Empfindlichkeit bei Feedback • Ist geübt im Umgang mit Technologie und Netzwerken 1900 1920 1940 1960 1980 2000 2020 2040 Veteranen geb. 1922 - 1943 Generation X geb. 1960 - 1980 Generation Z geb. 2000 - 2020 • Formalität, Disziplin, Ehre, Recht • Vielfalt („Diversity“) und globales Denken • Hochgradig auf ihre eigenen Ziele konzentriert und Gesetz (kein Teamplayer) • Balance, Ausgleich und Spaß • Engagement, Opferbereitschaft, • Antiautoritäre Haltung, Ungeduld und • Verarbeitet als „Digital Native“ Informationsfluten Geduld und Konformismus Zynismus • Sehr geringe Loyalität zum Arbeitgeber, Karriere • Respekt gegenüber Autorität, • Unabhängigkeit, Individualismus wird als „Shopping“ gesehen Pflichterfüllung vor Vergnügen • Anpassungsfähigkeit und Pragmatismus • Kommunikation ist nicht ihre Stärke • Affinität zu Technologie und Kreativität • Konsumorientiert, ungeduldig, gewöhnt alles zu personalisieren Die 18‐ bis 35‐Jährigen zieht es dahin, wo „etwas los ist“. Nach der Theorie der „Kreativen Klasse“ von Richard Florida, die das zukünftige Wachstum einer Region vom Zusammentref‐ fen der drei Erfolgsfaktoren Technologie, Talent und Toleranz abhängig sieht, manifestiert sich dies nicht in großen Stadien, Opern, Balletthäusern oder Kunstmuseen. Vielmehr bedeu‐ tet es eine lebendige Musikszene, ethnische und kulturelle Vielfalt, spannende Outdoor‐ Möglichkeiten und ein pulsierendes Nachtleben. Seine These: „Cities without gays and rock bands are losing the economic development race”.26 Eine lebendige Szenekultur beeinflusst die Lebensqualität dieser Zielgruppe. Zielgruppe: Umworbene Fachkräfte aus aller Welt Seit Jahrzehnten entwickelt sich Deutschland zu einer zunehmend pluralen Gesellschaft. Die sich daraus ergebende Vielfalt ist eine Chance für die kulturelle, wirtschaftliche, demografi‐ sche und gesellschaftliche Entwicklung des Landes. Jüngste Statistiken zeigen, dass vor allem die qualifizierte Zuwanderung nach Deutschland zunimmt, bedingt durch die wirtschaftliche Situation in Europa und der Suche nach höherer Lebensqualität.27 24 DGFP e.V. (2011), Scholz (2012), Kienbaum (2010), Johnson controls (2010), PWC (2008) 24 Florida (2002) 25 In Anlehnung an DGFP e.V. (2011), Scholz (2012), Kienbaum (2010), Johnson controls (2010), PWC (2008) 26 Florida (2002) 27 IAB (2012), Statistisches Bundesamt (2013), BAMF (2013), IMU / IAW (2013), Seibert / Wapler (2012) 14
Noch nimmt rund die Hälfte der deutschen Bevölkerung Zuwanderung als Problem und nicht als Chance wahr.28 Den Ergebnissen einer Studie der Friedrich‐Ebert‐Stiftung zufolge sind bei einem Viertel der Bevölkerung ausländerfeindliche Einstellungen vorhanden.29 Bundesweit wurde die Initiative „Anerkennungs‐ und Willkommenskultur“ ins Leben gerufen. Ziel dieser Kampagne ist es, einerseits Zuwanderer zielgruppengerecht auf das Leben in Deutschland vorzubereiten und andererseits bereits länger in Deutschland lebende Men‐ schen mit Migrationshintergrund in ihren Fähigkeiten, Kompetenzen und Lebensweisen wertzuschätzen. Hinter dieser Initiative steht die Einsicht, dass die notwendigen ausländi‐ schen Fachkräfte auf Dauer nur dann angezogen und gehalten werden können, wenn sie eine Kultur der Toleranz und Anerkennung erleben.30 Anerkennung und Toleranz sind wesentliche Kriterien, die die Lebensqualität dieser Ziel‐ gruppe bestimmen. 4.5 Fazit: Die Zukunftskriterien einer Region Für die zentrale Frage der Studie, wie – im Kontext des demografischen Wandels und des Wettbewerbs der Regionen bei Fachkräfteengpässen – die Region Stuttgart noch besser po‐ sitioniert und die Attraktivität für zuwandernde Fachkräfte gesteigert werden kann, leiten sich folgende Zukunftskriterien ab: Der wirtschaftliche Wohlstand einer Region – verbunden mit einem Arbeitsplatz oder der Aussicht darauf – ist in der Regel auslösendes Kriterium für eine Wanderung. Die Entscheidung von Zuwanderern für eine Region wird maßgeblich durch das Image einer Region geprägt. Im Kampf um die umworbenen Fachkräfte muss sich eine Region, die in der ersten Liga sein will, mit Hamburg, München, Zürich, Wien, Barcelona oder London messen lassen, d.h. sie muss ein ebenbürtiges Image aufbauen und sichern. Die subjektiv erlebte Lebensqualität entscheidet darüber, ob umworbene Fachkräfte sich dauerhaft binden. Gesundheit, ökologische Nachhaltigkeit, Familie und Soziales, Bildung, Infrastruktur (Zeitökonomie), regionale Identität und Community‐Faktor beeinflussen maß‐ geblich die empfundene Lebensqualität. Für die Zielgruppe der 18‐ bis 35‐Jährigen spielt darüber hinaus eine lebendige Szenekultur für die subjektiv empfundene Lebensqualität eine zentrale Rolle. Für die Zielgruppe umworbener Fachkräfte aus aller Welt sind zusätzlich die Zukunftskrite‐ rien Anerkennung und Toleranz wichtig. 28 German Marshall Fund (2011), zitiert nach BAMF (2013) 29 Friedrich Ebert Stiftung (2012), zitiert nach BAMF (2013) 30 BAMF (2013) 15
5. Was sind die Zukunftskriterien für die Entwicklung der Region Stuttgart? In Kapitel 4 wurden fünf Zukunftskriterien abgeleitet, die für jede Region gelten. Generell ziehen wirtschaftlicher Wohlstand und das Image einer Region, das sie über die Themen Wohlstand und Arbeitsplätze hinaus vermittelt, Menschen an. Die erlebte Lebensqualität, eine lebendige Szenekultur sowie Anerkennung und Toleranz halten die Menschen dort. Wie ist der Status quo der Region Stuttgart bei diesen generellen Zukunftskriterien, und wel‐ che Handlungsfelder leiten sich daraus ab? 5.1 Wohlstand der Region / attraktive Arbeitsplätze Der wirtschaftliche Wohlstand der Region Stuttgart ist in zahlreichen Studien untersucht worden, zuletzt im Leitbild‐ und Strategieprozess und im Strukturbericht 2013. Im Wesentli‐ chen besteht Einigkeit über alle Studien hinweg, dass die Region Stuttgart heute sehr gut dasteht. Sie zählt zu den wirtschaftlich erfolgreichsten Regionen Europas.31 Für die zukünftige Sicherung des Wohlstands besteht jedoch Handlungsbedarf, der bereits erkannt ist. Hinweise auf den Handlungsbedarf sind die nachlassende Dynamik, die rückläu‐ fige Gründungsaktivität, der zunehmende Verlagerungsdruck und die erhöhte Krisenanfällig‐ keit.32 Es kann zu massiven Umbrüchen und Verschiebungen in der heutigen Wirtschafts‐ struktur kommen. Grund dafür ist unter anderem die in den nächsten Jahrzehnten erwartete Substitution des Verbrennungsmotors als zentraler Technologie.33 Die Region Stuttgart steht dann vor einem wesentlichen Strukturwandel. Welche Faktoren in Zukunft über den Wohlstand der Region Stuttgart entscheiden, wird ebenfalls einheitlich beurteilt. Neben der Herausforderung „Fachkräftemangel“ sind dies vor allem die Fähigkeiten, den sich abzeichnenden Strukturwandel zu managen und eine stärke‐ re Gründungsdynamik zu schaffen.34 Handlungsfeld: Gründungsdynamik Der Stärkung der Gründungsdynamik wird studienübergreifend eine besondere Bedeutung zugemessen. Unter anderem wurde das Thema im Strukturbericht 2007 breit diskutiert.35 Den Institutionen der Region Stuttgart ist der Handlungsbedarf bewusst. Sie reagieren auf die rückläufige Gründungsintensität seit Langem mit unterschiedlichen Aktivitäten und Pro‐ grammen. Es gibt beispielsweise zahlreiche Cluster und Netzwerke sowie unterschiedliche Angebote der IHK für Gründer und diverse Initiativen, die insbesondere von der WRS ins Le‐ ben gerufen wurden und verantwortet werden. 31 WRS (2013a), IMU / IAW (2007, 2009, 2011, 2013), BBSR / BSR (2012), IHK Region Stuttgart (2010b, 2007) 32 WRS (2013a), VRS (2013b), IHK Region Stuttgart (2013, 2010a), ZEW (2011), IMU / IAW (2007) 33 ELAB (2012). IMU / IAW (2009) Strukturbericht mir dem Schwerpunkt: Umbruch in der Automobilregion 34 WRS (2013a), VRS (2013b), IMU / IAW (2013) Strukturbericht mir dem Schwerpunkt: Fachkräfte und Er‐ werbspersonenpotenzial 35 IMU / IAW (2007) Strukturbericht mit dem Schwerpunkt Gründungen, siehe auch IHK Region Stuttgart (2010a, 2010b), VRS (2013v), WRS (2013a) 16
Dennoch ist die Gründungsdynamik weiterhin rückläufig. Eine Trendwende ist nicht in Sicht. Dies belegt auch die Auswertung aus dem Leitbild‐ und Strategieprozess.36 Bis 1996 lag Stuttgart – nach München – noch 20% über dem Bundesdurchschnitt bei Hightech‐ Gründungen.37 Seither ist eine sinkende Gründungsintensität zu verzeichnen, und aktuell wandern Gründer von Stuttgart nach Berlin ab.38 5.2 Image der Region Maßstab für die Bewertung des Images der Region Stuttgart ist die Ambition, mit der die Region in die Zukunft blickt. Will sie langfristig in der ersten Liga in Europa mitspielen, muss sie ein ebenbürtiges Image aufbauen, insbesondere auch bei Imagefaktoren, die über die Wirtschaftskraft hinausreichen. Grundsätzlich verbinden die Deutschen mit der Region Stuttgart positive Attribute. Die mit Abstand stärkste Assoziation ist die als Wirtschaftsstandort.39 Das Image als starker Wirt‐ schaftsstandort allein ist jedoch für die Gewinnung neuer Fachkräfte nicht ausreichend. Im Leitbild‐ und Strategieprozess wird belegt, dass die Region „im Benchmark mit deutschen Metropolen … einen erkennbaren Rückstand in der Standortattraktivität für Fachkräfte und Unternehmen hat“.40 Die von der Regio Stuttgart Marketing und Tourismus GmbH (RSM) und der Stuttgart Marke‐ ting GmbH (SM) in Auftrag gegebene Image‐Analyse von 2010 zeigt, dass ein Drittel aller Deutschen der Region Stuttgart „emotional indifferent“ gegenüberstehen; ihr „emotionales Profil“ ist unscharf.41 In einem W&V‐Markenranking von 2011 belegt die Stadt Stuttgart Platz 9 von 12 Städten. Den Stuttgartern haftet das Bild der „spießigen Schwaben“ an, verbunden mit den Attributen: „Daimler, Spätzle, Stuttgart 21“.42 Handlungsfeld: Imageentwicklung Das Thema ist nicht neu. Seit Langem setzt die Region Stuttgart darauf, ihr Potenzial als weltbekannter Industriestandort für den Ausbau des Images zu nutzen. Das Standortmarke‐ ting der WRS richtet sich vorwiegend an Unternehmen. Die KulturRegion Stuttgart, eine Ini‐ tiative von 37 Städten und Gemeinden, hat sich zum Ziel gesetzt, das Image als Kulturregion zu stärken. Der Strategieplan 2013 bis 2017 der Stuttgart Marketing GmbH und Regio Stutt‐ gart Marketing und Tourismus GmbH zielt darauf ab, das Image der gesamten Region für Touristen zu verbessern.43 Auch wenn diese Initiativen für die jeweils gesetzten Ziele Erfolg haben, die notwendige Weiterentwicklung des Images insgesamt wurde bisher nicht erreicht. 36 WRS (2013a) 37 ZEW (2008) 38 ZEW (2012), sowie ZEW (2011) mit dem Titel: High‐Tech‐Gründungen in Deutschland ‐ Von Tabellenführern, Auf‐ und Absteigern: Regionale Entwicklung der Gründungstätigkeit 39 WRS (2013a), RSM / SM (2012), N.I.T. (2010) 40 WRS (2013) 41 N.I.T. (2010), RSM / SM (2012) siehe auch WRS (2008) 42 W&V (2011), F.A.S. / Roland Berger (2008) 43 RSM / SM (2012): 2011 wurde die Umsetzung der einer neuen Markenstrategie vereinbart, die die Städte und Gemeinden der Region stärker als Einheit vertritt. 17
Letztlich sind die Bewohner selbst auch Botschafter ihrer Region. Ihre Identifikation mit der Region Stuttgart ist bis heute gering ausgeprägt. Sie fühlen sich mit der Region Stuttgart we‐ niger verbunden als mit ihrer Gemeinde oder ihrem Landkreis, Baden‐Württemberg, Deutschland oder Europa.44 5.3 Lebensqualität In der aktuellen Bürgerumfrage von 2013 bescheinigen die Bewohner der Region Stuttgart eine hohe Lebensqualität und das in nahezu allen Aspekten.45 Interessant ist, dass in der Region das Kriterium „berufliche Bildung“ als sehr gut eingestuft wird, auch wenn die Bildungsbeteiligung von Menschen mit Migrationshintergrund gering ist.46 Ebenso ist in der Region Stuttgart die Studierendendichte – im Vergleich mit anderen Topregionen in Deutschland – geringer, und es gibt in der Region keine Eliteuniversität. Je‐ doch scheinen diese Defizite nicht als wesentliche Beeinträchtigung der Lebensqualität wahrgenommen zu werden.47 Lediglich in Teilfeldern wird Entwicklungsbedarf erkennbar: A) So fehlt es akut an Erzieherinnen, um die Kinderbetreuung in der Region sicherzustellen. B) Generell werden die Infrastruktur‐Aspekte „Wohnen“ und „Verkehr“ als verbesserungs‐ würdig eingestuft, und C) langfristig werden neue Herausforderungen durch die zunehmende Zahl alter Menschen und deren Bedürfnisse entstehen. Handlungsfeld: Regional abgestimmtes Vorgehen In der Region wird sehr viel für die Lebensqualität getan. Die Bürgerumfrage zeigt aber auch, dass es den Wunsch der Bevölkerung gibt, sich in den relevanten Fragen der Lebensqualität auf regionaler Ebene besser abzustimmen und damit zu „gemeinsamen Regelungen" für die Region zu kommen.48 Die Verbesserung der Lebensqualität in der Region Stuttgart ist somit weniger ein inhaltliches, sondern stärker ein strukturelles Thema. Die politische Struktur, die Konkurrenz der Landkreise und der umliegenden Städte hemmen die Ausrichtung auf ein gemeinsames Ziel. Es wäre wünschenswert, wenn sich die Region Stuttgart in sichtbaren Aktivitäten stärker gemeinsam entwickeln würde, zum Beispiel bei der Kinderbetreuung. 5.4 Lebendige Szenekultur Die Stadt Stuttgart ist eine Hochburg der klassischen Kultur: Attraktive Museen, ein Ballett an der Weltspitze, eine Oper, die in den letzten Jahren regelmäßig als „Oper des res“ ausgezeichnet wurde. Dieses zeigen auch die Zahlen. Die Stadt Stuttgart hat den höchs‐ 44 VRS (2013a) Ergebnisse der Bürgerumfrage Region Stuttgart 2013 45 VRS (2013a) 46 IMU / IAW (2013) 47 WRS (2013a), VRS (2013a), PWC / HWWI (2012) 48 VRS (2013a) 18
ten Anteil sozialversicherungspflichtiger Beschäftigter in der Kulturwirtschaft und belegt im Kulturstädteranking 2012 den ersten Platz.49 Für die Gruppe der 18‐bis 35‐Jährigen, die es anzuziehen und zu halten gilt, ist jedoch eine andere Kultur ausschlaggebend. Sie wird von einer Szenekultur angezogen. Unter Szenekul‐ tur versteht man eine frei agierende avantgardistische Kulturszene, wie beispielsweise Rock‐ bands, Poetry Slam, Longboard‐Meisterschaften oder ein pulsierendes Nachtleben. Handlungsfeld: Entwicklung lebendiger Szenekulturen fördern Richard Florida hat in seinem Entwicklungskreislauf belegt, dass auch die „Kreative Klasse“, die zukünftiges wirtschaftliches Wachstum bewirkt, vergleichbare Präferenzen hat.50 In der Region Stuttgart ist die Bedeutung einer lebendigen Szenekultur bekannt. Es gibt einige Akti‐ vitäten, die diese stärken, so zum Beispiel die MedienInitiative Region Stuttgart, die Filmaka‐ demie oder das Hiphop Open. Die aktive Entwicklung einer lebendigen Szenekultur steht jedoch weder auf der Agenda der Region Stuttgart noch auf der der wirtschaftlichen Kulturförderung. 5.5 Anerkennung und Toleranz Im Rahmen der Studie „Kreative Klasse in Deutschland“ wurde 2010 bundesweit ein soge‐ nannter Toleranzindex erhoben. Der Index vergleicht den Ausländeranteil und den Wähler‐ anteil rechtsextremer Parteien bei der Europawahl 2009. Ein hoher Ausländeranteil und ein geringer Wähleranteil rechtsextremer Parteien führen zu einer positiven Bewertung. In die‐ sem Index schneidet die Region Stuttgart überdurchschnittlich gut ab.51 In einer ähnlichen Studie der F.A.S. und Roland Berger 2008 wurde ein anderer Toleranzindex für die Bewer‐ tung deutscher Großstädte herangezogen. Die Stadt Stuttgart belegte hier Platz 7 von 10.52 Doch reicht dies mit Blick auf die Attraktivität für umworbene Fachkräfte aus aller Welt aus? Handlungsfeld: Breit gelebte Willkommens‐ und Anerkennungskultur aufbauen In den Expertenkreisen wurde das Thema „Anerkennung und Toleranz“ an verschiedenen Beispielen intensiv diskutiert und als Handlungsfeld für die Region Stuttgart klar definiert. Ein aussagekräftigerer Toleranzindex müsste jedoch mehr Messgrößen enthalten, so zum Beispiel die Bildungsbeteiligung von Menschen mit Migrationshintergrund, die Anzahl aus‐ ländischer Arbeitnehmer in Führungspositionen oder die Möglichkeit, als Ausländer in der Region ebenso unproblematisch wie Einheimische Wohnraum zu finden. Dadurch würden sich Handlungsfelder erkennen lassen, in denen sich die Region Stuttgart weiterentwickeln müsste. Die Initiative der Bundesregierung „Willkommens‐ und Anerkennungskultur in Deutsch‐ land“ wird auch in der Region Stuttgart aufgegriffen. Die Fachkräfteallianz der Region Stutt‐ gart macht sich für eine Willkommenskultur stark, die auf ausländische Fachkräfte zielt. 49 HWWI / Berenberg (2012) 50 Florida (2002) 51 Agiplan (2010). siehe auch Wissenschaftsdienst (2011) 52 F.A.S. / Roland Berger (2008) 19
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