Reaktionen und Nebenwirkungen nach Impfungen - Erläuterungen und Definitionen in Ergänzung zum Österreichischen Impfplan - MedUni ...

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Reaktionen und Nebenwirkungen nach Impfungen - Erläuterungen und Definitionen in Ergänzung zum Österreichischen Impfplan - MedUni ...
Dezember 2013
  Institut für Spezifische Prophylaxe
und Tropenmedizin** der MedUni Wien

Reaktionen und Nebenwirkungen
nach Impfungen
Erläuterungen und Definitionen in Ergänzung zum Österreichischen Impfplan

Autoren: Univ.-Prof. Dr. Ursula Wiedermann-Schmidt*1; Univ.-Prof. Dr. Herwig Kollaritsch*1; Dr. Gerald Bachinger2;
Dr. Elmar Bechter*3; Mag. Petra Falb*4; Univ.-Prof. Dr. Heidemarie Holzmann*5; Dr. med. Brigitte Keller-Stanislawski6;
Univ.-Prof. Dr. Michael Kundi*7; Univ.-Prof. Dr. Ingomar Mutz8; Dr. Barbara Tucek*4; SC Priv.-Doz. Dr. Pamela Rendi-
Wagner*9; Univ.-Prof. Dr. Werner Zenz*10; Prim. Univ.-Prof. Dr. Karl Zwiauer*11.
1Institut für Spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin, MedUni Wien; 2Niederösterreichische Patienten- und Pflegeanwaltschaft, St. Pölten; 3Landessanitätsdirektor

a. D., Bregenz; 4BASG - Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen, AGES - Medizinmarktaufsicht, Wien; 5Department für Virologie, MedUni Wien; 6Bundes-
institut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel, Langen, Deutschland; 7Institut für Umwelthygiene, Zentrum für Public Health, MedUni Wien; 8FA für
Kinderheilkunde, St. Marein i.M.; 9Bundesministerium für Gesundheit/Sektion III, Wien; 10Klin. Abt. für Allg. Pädiatrie, Univ.-Klinik für Kinder- und Jugendheilkunde,
MedUni Graz; 11Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde, Landesklinikum St. Pölten.

*) Mitglied des Nationalen Impfgremiums **) ISPTM = Nationale Referenzzentrale für Impfungen, Reise und Tropenmedizin des Bundesministeriums f. Gesundheit
1. Einleitung – Warum diese Empfehlungen?                                        Tabelle 1 stellt die Zahl der Todesfälle aus der jeweiligen
                                                                                 Prävakzinationsära den Todesfällen an impfpräventablen
Impfungen gehören – neben sauberem Wasser – zu den                               Erkrankungen nach Einführung der jeweiligen Impfungen
Errungenschaften, die den größten Effekt auf den Rückgang                        (USA 2002) gegenüber.
der weltweiten Sterblichkeit und die Verbesserung der
Lebensqualität erzielt haben [1].                                                Für jede im österreichischen Impfplan empfohlene Impfung ist
Der Nutzen von Impfungen ist durch umfangreiches epide-                          eine positive Nutzen-Risiko-Relation durch das Zulassungs-
miologisches Datenmaterial eindrucksvoll untermauert.                            verfahren und laufende Überwachung durch entsprechende
                                                                                 Daten belegt. Grundsätzlich gilt für alle empfohlenen
                                                                                 Impfungen, dass die Ratio von Nutzen und Risiko zu den güns-
 Tab. 1: Todesfälle im Vergleich prä/post                                        tigsten in der Medizin überhaupt zählt. Zum Beispiel ist das
         Impfära (USA)                                                           Risiko für eine Masernenzephalitis 1:1.000, während das Risiko
                                                                                 einer Enzephalitis nach Masernimpfung bei 1:1.000.000, also
                                                                                 um den Faktor 1.000 niedriger, liegt [5]. Eine Gegenüber-
      Erkrankung                   Geschätzte Zahl        Todesfälle             stellung der Konsequenzen impfpräventabler Erkrankungen
                                   der Todesfälle im       im Jahr
                                                                                 und möglicher Impfnebenwirkungen bringt Tabelle 2.
                                   20. Jahrhundert          2002
                                    vor Einführung
                                     der Impfung                                 Für Afrika, Asien und den östlichen Mittelmeerraum zeigt eine
                                                                                 Hochrechnung für die Periode 2011 bis 2020 eine Zahl von 9,9
      Pocken                                  4,81 Mio.        0
                                                                                 Millionen verhinderbarer Todesfälle durch neun Impfantigene
      Poliomyelitis                           1,63 Mio.        0                 (Hepatitis B, Gelbfieber, Haemophilus influenzae Typ B,
      Diphtherie                          17,60 Mio.           2                 Pneumokokken, Rotaviren, Neisseria meningitidis Serogruppe
      Haemophilus                             2,00 Mio.       22                 A, Japan-Enzephalitis, HPV und Röteln), wozu noch weitere
      influenzae                                                                 13,4 Millionen durch eine Masernimpfung kämen [7]. Ca. 52%
      Masern                                  5,03 Mio.       36                 dieser Todesfälle würden in Afrika, 27% in Südostasien und
                                                                                 13% im östlichen Mittelmeerraum verhindert. Dabei ist die ge-
      Mumps                                   1,52 Mio.      236
                                                                                 schätzte Zahl der verhinderten Todesfälle pro 1.000 geimpfte
      Pertussis                               1,47 Mio.     6.632                Personen für die erste Masernimpfung mit 16,5 am höchsten,
      Röteln                                  4,77 Mio.       20                 gefolgt von HPV (15,1) und HBV (8,3).
      Tetanus                                 0,13 Mio.       13                 Zahlen der „WHO Measles Initiative“ belegen eindrucksvoll
                                                                                 den Rückgang der weltweiten Masernmortalität bei Kindern
    Quellen: [2, 3] , hier zitiert nach [4]
                                                                                 unter fünf Jahren zwischen 1990 und 2008 (Abb. 1).

 Tab. 2: Konsequenzen der Erkrankung vs. Impfnebenwirkungen
     Erreger                          Konsequenzen der Erkrankung                         Bekannte Impfnebenwirkungen
     Haemophilus                      Tod: 2–3%                                           Lokalreaktionen;
     influenzae                       Meningitis, Pneumonie, Epiglottitis, Sepsis         selten Fieber, Kopfschmerz; GBS1
     Masern                           Enzephalitis: 1/1.000 (Letalität 25%);              Fieber: 5–15%
                                      Pneumonie: 6%;                                      Impfmasern (zumeist milde Verläufe)
                                      SSPE2: 1/~10.000                                    Enzephalitis ≤1/1 Million)
     Pertussis                        Tod: 2/1.000                                        Lokalreaktionen, Fieber.
                                      Pneumonie: 10%, Krämpfe: 1–2%                       Nur bei Ganzzellvakzine3 Enzephalopathie:
                                                                                          1–10/1 Million
     Mumps                            Taubheit: 120.000                                   selten Fieber, Exanthem
                                      Enzephalitis: 1/2.000
                                      Orchitis: 20–50% (postpubertär)
     1 Guillain-Barré-Syndrom; 2 Subakute Sklerosierende Panenzephalitis; 3 Ganzzellvakzine in Österreich seit 1999 nicht mehr in Verwendung

    Quelle: adaptiert nach [6]

2     Dezember 2013
Reaktionen und Nebenwirkungen nach Impfungen

 Abb. 1: Rückgang der weltweiten Masern-                                   Entsprechend gefürchtet werden daher seltene bzw. vermeint-
         mortalität bei Kindern
Schmerzen, Induration und Rötung an der Einstichstelle oder          Tab. 3: Häufigkeitskategorien laut
Allgemeinreaktionen wie (leichtes) Fieber, Abgeschlagenheit,                europäischer Arzneimittelagentur
grippeartige Beschwerden u.a. sein. Auch die abgeschwächte
Form der Erkrankung selbst, die sogenannte Impfkrankheit (z.B.
                                                                         Kategorie                  Definition
Impfmasern), fällt in diese Kategorie.
Im Gegensatz dazu versteht man in dieser Terminologie un-                Sehr häufig                ≥1/10
ter einer Impfnebenwirkung eine schädliche und unbeab-                   Häufig                     ≥1/100, aber
Tab. 5: Beispiele Impfreaktionen                                  Aus praktischen Erwägungen sind einige klinische Kategorien
         nach Gabe von Lebendimpfstoffen                           von AEFI zu unterscheiden. Sinnvoll ist eine Unterteilung in
                                                                   Lokalreaktionen an der Einstichstelle, systemische Reaktionen,
                                                                   allergische und neurologische Reaktionen. Tabelle 8 stellt die-
     Häufigkeit         Art                         Lebend-
                                                                   se einschließlich des Zeitrahmens, in dem die Reaktionen auf-
                                                    impfstoff
                                                                   treten können, dar.
     Sehr häufig        Fieber, Unbehagen, alle
     bis häufig         Kopfschmerzen      MMR, V,
                        Exanthem           OPV*
                        Durchfall                                  3. Bekannte AEFI der in Österreich gebräuch-
     Gelegentlich Parotitis                         MMR
                                                                      lichen und zugelassenen Impfstoffe
     bis selten   Generalisierte
                  Lymphadenitis                                    Um eine möglichst detaillierte Aufstellung der AEFI zu den
                                                                   einzelnen zugelassenen Impfstoffen zu haben, wurden die
     Äußerst            Paresen                     OPV*
                                                                   AEFI für jeden Impfstoff in einer eigenen Tabelle zusammen-
     selten             Enzephalitis                MMR
                                                                   gestellt. Darin sind
                        Neuropathien                Gelbfieber
     MMR = Masern/Mumps/Röteln, V = Varizellen,
     OPV = orale Polio (OPV in Europa/USA obsolet, nur mehr in     1) die Daten aus den klinische Studien sowie den Post-
     Entwicklungsländern in Verwendung)                               Marketing-Daten zusammengefasst. Sie sollen vor allem
   Quelle: Autoren                                                    das mögliche Spektrum, die Intensität und die Häufigkeit
                                                                      von Reaktionen ablesbar machen.
                                                                   2) die überregionalen Pharmakovigilanzdaten dargestellt. So
Neben diesen erwarteten Impfreaktionen gibt es auch sehr              soll der Leser die Möglichkeit haben, die Spontanmelde-
seltene unerwartete Impfnebenwirkungen („Impfkomplika-                raten beim echten Feldeinsatz und oft millionenfacher
tionen“), die in Tabelle 6 dargestellt werden.                        Anwendung eines Impfstoffes abzulesen.

2.2 Derzeit gültige Nomenklatur laut WHO (AEFI)                    Diese Tabelle ist vollständig und nach Impfantigenen geglie-
Da die bisher angeführten Definitionen einer Impfreaktion          dert im Internet abrufbar (http://goo.gl/EUMpV7). Damit be-
nicht sehr stringent sind und zudem eine der Hauptschwierig-       steht für die Leser die Möglichkeit, für die gelisteten Impf-
keiten auf diesem Gebiet in der Beurteilung der Kausalität zwi-    antigene selbst eine für die Praxis brauchbare Einschätzung
schen einer verabreichten Impfung und einem danach auftre-         vorzunehmen.
tenden unerwünschten gesundheitlichen Ereignis besteht,
hat die CIOMS*-Arbeitsgruppe für Impfstoff-Sicherheit als          3.1 Daten aus klinischen Studien
neue Basisdefinition die „Adverse Events Following                 Die Fach- und Gebrauchsinformationen enthalten sowohl die
Immunization“ (AEFI) festgelegt [14]. Ein AEFI ist jegliches un-   während der klinischen Studien erhobenen Nebenwirkungen
erwünschte gesundheitliche Ereignis nach einer Impfung, un-        als auch solche, die nach der Markteinführung erfasst wurden
abhängig von einem kausalen Zusammenhang. Es kann sich             (Postmarketing-Studien, Spontanerfassungssystem). Die Produkt-
dabei um ein Symptom, einen veränderten Laborbefund oder           information wird laufend einem Update unterzogen und stellt
das Auftreten einer Erkrankung handeln.                            die Art der Nebenwirkungen sowie deren Häufigkeit dar.
Darüber hinaus lassen sich AEFI nach Ursachen unterteilen,         In der erwähnten Tabelle sind die Nebenwirkungen aus den
wie in Tabelle 7 dargestellt wird.                                 klinischen Studien der Phasen I bis III inkl. Postmarketing-
Zusätzlich existiert noch eine Definition des „schweren uner-      Daten erfasst. Impfreaktionen und Nebenwirkungen werden
wünschten Ereignisses“ („Serious Adverse Event“ – SAE).            hier nach einem in der jeweiligen Studie vorgegebenen
Bezogen auf AEFI ist ein schweres Ereignis eines, das zum Tod      Protokoll aktiv aufgezeichnet. Dieses Protokoll wurde ent-
oder zu einem lebensbedrohenden Zustand führt, eine be-            sprechend den Richtlinien der „Good Clinical Practice“ ausge-
stehende Hospitalisierung verlängert, zu bleibender oder si-       arbeitet und dann einer Ethikkommission und den nationa-
gnifikanter Behinderung oder zu einem kongenitalen Defekt          len Behörden zur Beurteilung und Bewilligung vorgelegt. Die
führt [15, 16]. Weiters sollten auch andere wichtige medizini-
sche Ereignisse, die den Patienten einschränken oder eine          *) Das „Council for International Organizations of Medical Sciences“ (CIOMS) ist
Intervention erfordern, um ein schweres Ereignis zu verhin-           eine internationale Organisation, die 1949 von der WHO und der UNESCO
                                                                      gemeinsam gegründet wurde. Ihr Hauptziel ist es, internationale Aktivitäten
dern, nach individueller medizinisch-wissenschaftlicher               der biomedizinischen Community weltweit zu fördern und zu unterstützen.
Beurteilung als schwer betrachtet werden.                             Mehr unter www.cioms.ch

                                                                                                                     Dezember 2013              5
Ethikkommissionen und die Behörde beurteilen unter ande-                        Zudem besteht aber die festgeschriebene Verpflichtung, je-
rem Relevanz, Sinnhaftigkeit und Zumutbarkeit einer klini-                      denfalls alle im Rahmen der klinischen Prüfung auftretenden
schen Studie im Sinne einer Nutzen-Risiko-Abwägung für                          unerwünschten Ereignisse genau darzustellen, nicht jedoch
den in die Studie eingeschlossenen freiwilligen Probanden.                      einen Kausalzusammenhang mit der verabreichten Impfung
Nicht beurteilt wird das Protokoll im Hinblick auf die Erfolgs-                 zu beweisen bzw. zu entkräften. Wird ein solcher Zusammen-
aussichten für eine Marktzulassung. Obwohl alle Studien-                        hang bei Auftreten einer unerwarteten schwerwiegenden
protokolle den gleichen gesetzlichen, regulatorischen und                       Nebenwirkung vermutet oder erscheint möglich, so muss
wissenschaftlichen Anforderungen entsprechen müssen, un-                        dies der Behörde und der Ethikkommission unverzüglich ge-
terscheiden sich die Protokolle der klinischen Prüfungen                        meldet werden.
meist voneinander.                                                              Die in der Tabelle angegebenen Daten sind aus den verschie-
Die Probanden in klinischen Studien müssen eine ganze                           denen klinischen Zulassungsstudien und Postmarketing-
Reihe von Einschluss- und Ausschlusskriterien erfüllen, damit                   Daten zusammengefasst und spiegeln das Repertoire an
sie möglichst störungsfrei Effekte zeigen sowie auch risiko-                    Beobachtungen im Zusammenhang mit der jeweiligen
minimiert an der Studie teilnehmen können. Das bedingt                          Arzneimittelspezialität wider. Diese Beobachtungen müssen
aber wiederum, dass sie nicht als vollkommen repräsentativ                      nicht unbedingt im Zusammenhang mit der Impfung ste-
für die Bevölkerung, die die Impfung später erhält, angese-                     hen. So wurde z.B. in einer Studie zur Herpes-zoster-Impfung
hen werden können.                                                              als SAE eine anaphylaktische Reaktion notiert, die 90 Minuten

 Tab. 6: Seltene bis sehr seltene Impfnebenwirkungen
       Impfnebenwirkung                           Impfstoff                         Pathomechanismus                       Häufigkeit
                                      Verschiedene (Antigen und
             Anaphylaxie                                                                 Typ-I-Allergie                    Ca. 1:1 Mio.
                                     andere Impfstoffbestandteile)
                                           Kinderimpfstoffe                     Krampfschwelle wird durch
             Fieberkrampf                                                                                             selten – gelegentlich
                                          (MMRV>MMR + V)                             Fieber gesenkt
            Ausgedehnte
                                                                                      unbekannt, Typ-III-             äußerst selten, genaue
          Schwellung einer           Td(D)aP, Influenza, Pneumo 23
                                                                                   allergische Reaktion (?)             Zahlen unbekannt
             Extremität
                                             wP1* und andere
                  HHE**                                                                   unbekannt                        sehr selten
                                             Kinderimpfstoffe
                                                                                unbekannt; Thrombopenie
           Thrombopenie                         MMR/MMRV                                                                1:30.000–1:50.000
                                                                                auch durch M/V-Wildvirus
                                     Kinderimpfstoffe bei sehr früh                                                        Promill- bis
                  Apnoe                                                                  Interleukine?
                                          geborenen Kindern                                                              Prozentbereich
                                                                                                                          1-2/100.000
             Invagination                  Rotavirus-Impfstoffe                           unbekannt
                                                                                                                          (1. Impfung)
                 Arthritis                      Röteln                                    unbekannt                        Einzelfälle
                                      H1N1-Impfung; fraglich bei
                  GBS***                                                                   Mimikry?                         1–2:1 Mio.
                                      saisonaler Grippeimpfung
                                      Mumps (Urabe+, Leningrad-                 geringere Attenuierung als
               Meningitis                                                                                               1:5.000–1:10.000
                                              Zagreb+)                                  Jeryl Lynn+
                                                                                Reversion des Impfvirus zu
                 Paralyse                  Orale Polioimpfung*                                                              1–2:1 Mio.
                                                                                 pathogenem Poliostamm
                                       ASO3-adjuvantierter H1N1-               unbekannt; HLA-DQB1*0602
              Narkolepsie                                                                                                  2–8:100.000
                                               Impfstoff                               Assoziation
     wp: whole cell Pertussis Vakzine, nicht mehr relevant
     * Nicht mehr relevant, ** HHE: hypotone, hyporesponsive Episode; *** GBS: Guillain-Barré-Syndrom; + Impfstämme

    Quellen: [11-13]

6     Dezember 2013
Tab. 7: Ursachenspezifische „Adverse Events Following Immunization”-(AEFI)-Subgruppen
     Definition                        Erläuterung                                         Beispiele
     Impfprodukt-bedingte              AEFI, die durch eine oder mehrere                   Thrombopenie nach MMR-Impfung
     Reaktion                          dem Impfprodukt inhärente                           Exanthem oder Urtikaria
                                       Eigenschaften verursacht oder
                                       hervorgerufen wurde
     Impfqualitätsmangel-              AEFI, die durch einen oder                          Erkrankung durch ungenügende
     bedingte Reaktion                 mehrere Qualitätsmängel1 des                        Attenuierung des Erregers bei
                                       Impfprodukts einschließlich seines                  Lebendimpfung
                                       Applikationsgeräts verursacht oder                  Ungenügende Immunogenität der Impfung
                                       hervorgerufen wurde                                 aufgrund falscher Lagerung
     Impfanwendungsfehler-             AEFI, die durch unangebrachte2                      Lokale Entzündung (Schwellung, Rötung,
     bedingte Reaktion                 Handhabung, Verschreibung oder                      Schmerzen), z.B. durch irrtümliche s.c.
                                       Verabreichung einer Impfung                         Injektion einer i.m. zu administrierenden
                                       verursacht wurde und daher                          Vakzine
                                       vermeidbar wäre                                     Falsche Indikationsstellung (Übersehen
                                                                                           einer Kontraindikation)
     Impfangst-bedingte                AEFI, die durch Angst vor der Impfung               Vasovagale Reaktionen
     Reaktion                          entsteht                                            Hyperventilationsreaktionen
                                                                                           Stress-bedingte psychische Störungen
     Zufälliges, gleichzeitiges        AEFI, die nicht durch das Impfprodukt, Jegliches Krankheitsereignis, das zufällig in
     Ereignis                          einen Impffehler oder Angst vor der    kürzerem Zeitabstand nach der Impfung
                                       Impfung entsteht                       auftritt, wie z.B. Infektion, allergische
                                                                              Erkrankung und vieles mehr
     1 Als Qualitätsmangel wird hier jegliche Abweichung des Impfprodukts von seinen definierten Qualitätsspezifikationen bezeichnet.
     2 „Unangebracht“ bezieht sich hier auf einen Gebrauch (Handhabung, Verschreibung oder Verabreichung) abseits des aufgrund der
       wissenschaftlichen Datenlage oder aufgrund von Expertenempfehlungen im jeweiligen Land Zugelassenen und Empfohlenen
   Quelle: [14]

nach Impfung und 30 Minuten nach Genuss von Erdnüssen                            vigilanz, die Grundlagen dafür sind EU-weit detailliert gere-
aufgetreten war. Allerdings hatte dieser Patient eine Plazebo-                   gelt. Zur adäquaten Auswertung von Spontanmeldungen
injektion und keine echte Impfung erhalten [18].                                 gibt es Methoden, um valide Signale aus der Datenmenge zu
Da, wie erwähnt, Studienprotokolle, aber auch die Herstellung                    identifizieren. Diese werden einer genauen Evaluierung un-
und Zusammensetzung der Impfstoffe einzelner Hersteller                          terzogen, und gegebenenfalls werden entsprechende be-
differieren, ist ein Produktvergleich nicht direkt möglich. Es                   hördliche Maßnahmen gesetzt, um das Risiko zu minimieren
wurden daher in der Tabelle zu den jeweiligen Impfantigenen                      bzw. zu unterbinden (Weiteres siehe http://goo.gl/b4HGh2).
(und deren Kombinationen) die Angaben der einzelnen                              Hinsichtlich der Anzahl von Spontanmeldungen ist immer
Hersteller in unterschiedlichen Farben eingefügt. Um direkte                     die Relation zur Exposition und Anwendungsdauer zu be-
(und damit sicher auch unfaire!) Vergleiche der einzelnen                        achten.
Impfstoffe zu verhindern, wurde die Farbcodierung nicht auf-                     Es ist sehr wahrscheinlich, dass nur Nebenwirkungen erfasst
gelöst, d.h., sie bleibt für den Leser verblindet.                               werden, die aus dem Blickwinkel des Betrachters so unge-
                                                                                 wöhnlich waren, dass eine Meldung sinnvoll oder notwendig
3.2 Daten aus nationalen und internationalen                                     erscheint – im Wesentlichen also eine umgekehrte Situation
Überwachungsquellen                                                              wie bei der Datenerfassung aus den klinischen Studien, wo
Impfnebenwirkungen werden – gesetzlich verpflichtend! –                          alles erfasst wird, unabhängig von der Einschätzung der
auf zwei Ebenen gesammelt und erfasst:                                           Beteiligten.
Einerseits durch die europäischen und lokalen Gesundheits-                       Auch Pharmakovigilanzsysteme prüfen vorerst nicht die
behörden – in Österreich ist dies die AGES –, andererseits                       Kausalität einer Nebenwirkung. Sie suchen vielmehr nach
müssen auch die Hersteller selbst entsprechende Daten-                           „Signalen“, d.h., wenn nach der Markteinführung eines Impf-
banken führen. Diese Systeme bezeichnet man als Pharmako-                        stoffes immer wiederkehrend ein vergleichbares Ereignis ge-

                                                                                                                               Dezember 2013   7
Tab. 8: Klinische Kategorien von „Adverse Events Following Immunization“ (AEFI)
                                                                                                 Tot-  Lebend-
    AEFI                  Kriterien
                                                                                               impfung impfung
    Lokalreaktionen
    Geringe bis mäßige
                          ● Rötung, Schwellung oder Schmerzen an der Impfstelle                 0–48h   0–48h
    Reaktionen
                          ● Beginn innerhalb von 48h nach Impfung UND
    Starke Reaktionen/    ● Rötung, Schwellung, Schmerzen erstrecken sich über den
                                                                                                0–48h   0–48h
    Arthus-Reaktion         Oberarm (bzw. Extremitätenteil der Einstichstelle) und ev. über
                            das nächste Gelenk hinaus
                          ● Ärztlich diagnostiziert UND
                          ● Abszessmaterial ist purulent (positive Gram-Färbung oder
    Infizierter Abszess     Kultur) ODER                                                        0–7d    0–7d
                          ● Lokale Entzündungszeichen UND
                          ● Besserung auf antimikrobielle Therapie
                          ● Persistiert >1 Monat, ist >2,5cm und/oder zeigt offensichtliche
                            Sekretion UND
    Steriler Abszess      ● Material aus der Raumforderung ist nicht purulent UND               0–7d    0–7d
                          ● Fehlen lokaler Entzündungszeichen ODER
                          ● Keine Besserung auf antimikrobielle Therapie
                          ● Ist >2,5cm
    Knoten                                                                                      0–7d    0–7d
                          ● Persistiert >1 Monat
                          ● Ärztlich diagnostiziert UND
                          ● Charakterisiert durch mindestens 3 lokale Zeichen oder
    Cellulitis                                                                                  0–7d    0–7d
                            Symptome: Schmerz oder Berührungsempfindlichkeit,
                            Erythem, Verdickung oder Schwellung, Überwärmung
    Systemische Reaktionen
                          ● Fieber*, wenn es im Zusammenhang mit irgendeiner anderen
    Fieber                                                                                      0–72h   5–12d
                            der beschriebenen (lokalen +/- systemischen) Reaktionen auftritt
                          ● Generalisiertes Exanthem, für das ärztliche Hilfe gesucht wird
                            und von dem eine Beziehung zur Impfung angenommen wird
    Exanthem                                                                                    0–7d    5–26d
                          ● Jegliches Exanthem, das Hospitalisierung oder
                            Notfallbehandlung erfordert
                          ● Vergrößerung eines oder mehrerer Lymphknoten, ≥1,5cm
    Lymphadenopathie        UND/ODER                                                            0–6d    1–6m
                          ● Sezernierender Abszess über einem Lymphknoten
                          ● Ärztlich diagnostiziert UND
    Hypoton-              ● Reduzierter Muskeltonus UND
    hyporesponsive        ● Hyporesponsivität UND                                               0–48h   0–48h
    Episode (HHE)         ● Blässe oder Zyanose UND
                          ● Kind unter 2 Jahren
    (Persistierendes)
                          ● Kontinuierliches, unaufhörliches Schreien, das mindestens 3h
    Schreien, Säuglinge                                                                         0–72h   0–72h
                            dauert
    bis zum 1. Lebensjahr
    Parotitis/Orchitis    ● Ärztlich diagnostiziert nach MMR-Impfung                              /     5–30d
                          ● ≥3 Episoden in 24h UND
    Erbrechen/Diarrhoe    ● Schweres Zustandsbild (z.B. explosives Erbrechen, wässrige          0–72h   0–72h
                            Diarrhoe)

8   Dezember 2013
Tot-  Lebend-
 AEFI                             Kriterien
                                                                                                     impfung impfung
 Allergische Reaktionen
 Allergische                      ● Jegliche allergische Reaktion (Quaddeln, Bronchospasmus,
                                                                                                      0–72h        0–72h
 Reaktionen                          Ödem) innerhalb von 72h nach Impfung
                                  ● Alle AEFI, die zum Zeitpunkt des Auftretens als Anaphylaxie
 Anaphylaxie                                                                                          0–24h        0–24h
                                     behandelt werden
 Okulo-
                                  ● Beidseits gerötete Augen und respiratorische Symptome                   Influenza:
 respiratorisches
                                     innerhalb von 24h nach Influenzaimpfung                                  0–24h
 Syndrom (ORS)
 Neurologische Ereignisse
                                  ● Febrile oder afebrile Krampfanfälle, sofern sie innerhalb des
 Krampfanfall                                                                                          0–3d        5–42d
                                     angegebenen Zeitraums auftreten
 Enzephalopathie/
                                  ● Ärztlich diagnostiziert                                           0–15d        2–42d
 Enzephalitis
 Meningitis                       ● Ärztlich diagnostiziert und ohne andere erkennbare Ursache        0–15d        2–42d
 Parästhesien                     ● Ärztlich diagnostiziert mit Dauer >24h                             0–7d         0–7d
 Lähmung                          ● Ärztlich diagnostiziert mit Dauer >24h                            0–15d        0–42d
 GBS                              ● Ärztlich diagnostiziert                                           0–8w          0–3m
 Idiopathische
                                  ● Ärztlich diagnostiziert                                           0–8w          0–3m
 Fazialisparese
 Verschiedene
 Thrombozytopenie                 ● Ärztlich diagnostiziert innerhalb von 30d nach Impfung            0–30d        0–30d
                                                                                                                    Nach
                                  ● Jegliche Arthralgie/Arthritis nach MMR-Impfung, die länger als                  MMR-
 Arthralgie/Arthritis                                                                                   /
                                     24h dauert                                                                   Impfung:
                                                                                                                   0–42d
                                                                                                                   Nach
                                                                                                                 Rotavirus-
 Intussuszeption                  ● Jegliche Intussuszeption nach Rotavirusimpfung                      /
                                                                                                                 impfung:
                                                                                                                  0–42d
 Synkope mit
                                  ● Jegliche Synkope mit Verletzung nach Impfung                      0–24h        0–24h
 Verletzung
                                  ● Jeglicher, zeitlich mit der Impfung verbundener Todesfall, in    Innerhalb Innerhalb
 Tod
                                     dem keine andere Todesursache gefunden werden kann                 1m        1m
 Fötaler Tod oder                 ● Jeglicher fötale Tod oder jegliche fötale Anomalie nach
                                                                                                        /                /
 Anomalie                            Impfung einer schwangeren Frau
 *Fieberdefinitionen siehe Tabelle 4 (Seite 4);

 h = Stunden, d = Tage, w = Wochen, m = Monate;
 MMR = Masern/Mumps/Röteln;
 GBS = Guillain-Barré-Syndrom
Quelle: adaptiert nach [17]

                                                                                                         Dezember 2013        9
meldet wird, das aus den klinischen Studien unbekannt oder                          Diese bilden jedoch nicht die Realität an tatsächlichen Neben-
in anderer Ausprägung bekannt war, dann bedingt ein solches                         wirkungen ab, da in Österreich manche Impfstoffe nur in klei-
Signal eine tiefergehende Analyse und genaue Beachtung.                             ner Stückzahl bzw. periodisch schwankend verimpft werden.
Details zur Signaldetektion finden sich im Supplementartikel                        Zusätzlich spielen weitere Faktoren eine Rolle, wie z.B. die
der AGES zu diesem Thema (http://goo.gl/b4HGh2). Die                                Unkenntnis tatsächlich verimpfter Dosen (da nur Verkaufs-
Pharmakovigilanzsysteme sind also besonders geeignet, sehr                          zahlen vorliegen), das Meldeverhalten der „Health Care
seltene und auch bisher unbekannte Nebenwirkungen zu er-                            Workers“ (HCW), das Medieninteresse oder die Einführung ei-
fassen. Und es werden, da keinerlei Vorselektion besteht,                           nes gänzlich neuen Impfstoffs.
auch Daten aus allen Bevölkerungsteilen gesammelt, also                             Trotz dieser Limitationen und Verzerrungen und auch, um für
auch jenen, die aufgrund individueller – meist gesundheitli-                        die gelisteten Impfstoffe eine ungefähre Vorstellung an ge-
cher – Probleme nicht an den klinischen Studien teilnehmen                          meldeten Daten abzubilden, wurden die Impfstoffhersteller
durften.                                                                            gebeten, die Daten aus ihren Pharmakovigilanzsystemen

 Tab. 9: Sechsfachimpfstoff bei Kleinkindern – mögliche AEFI*
     Di/Tet/Pert/Polio/HepB/Hib – Adj (Sechsfach-Impfstoff)
     Nebenwirkungen                 sehr häufig           Appetitverlust, ungewöhnliches Schreien, Reizbarkeit,
     Phase I–III (inkl.             >1/10                 Unruhe, Fieber >38°C, Lokalreaktionen (Schmerzen,
     Postmarketing-Daten)                                 Rötung, Schwellung bis 5cm), Mattigkeit
                                    häufig                Erregbarkeit, Durchfall, Erbrechen, Fieber >39,5°C,
                                    >1/100 (< 1/10)       Lokalreaktionen (Verhärtung, Schwellung >5cm)
                                    gelegentlich          Somnolenz, Husten, diffuse Schwellung an der
                                    >1/1.000 (1/10.000 (
offenzulegen. Auch hier wurde darauf verzichtet, spezifische       D. Zeitliche Beziehung
Daten eines Herstellers dem jeweiligen Präparat zuzuordnen,        Zwischen dem Ereignis und der Verabreichung eines
sofern dies nicht aufgrund der Tatsache, dass es nur ein           Impfstoffes sollte eine eindeutige zeitliche Beziehung beste-
Produkt gibt, ohnedies zwangsläufig erfolgt.                       hen. Die Verabreichung des Impfstoffes sollte den frühesten
                                                                   Anzeichen des Ereignisses oder einer eindeutigen
Um einen realitätsnahen Bezug zu haben, wurden nur maxi-           Verschlechterung einer andauernden Gesundheitsstörung
mal drei Parameter erfasst und pro 100.000 verkaufte (dies         vorausgehen.
mit der Ungenauigkeit, dass „verkauft“ nicht immer „verimpft“
bedeutet) Dosen des Impfstoffes angegeben: Gesamtzahl al-          E. Biologische Plausibilität
ler gemeldeten Nebenwirkungen (AE = Adverse Event),                Der Zusammenhang zwischen dem Ereignis und der
Gesamtzahl der als „schwerwiegend“ eingestuften Neben-             Verabreichung eines Impfstoffes sollte schlüssig sein, d.h.
wirkungen (SAE = Severe Adverse Event) und – bei pädiatri-         glaubwürdig und erklärbar entsprechend den bekannten
schen Impfstoffen – als wichtigen orientierenden Parameter         Tatsachen über den natürlichen Verlauf und die Biologie
für Ärzte und Eltern die Fieberhäufigkeit. Es ist letztlich auch   (Gesetzmäßigkeit) der Erkrankung.
zu betonen, dass die Vigilanzdaten teilweise aus unterschied-      Aus diesem Grund wird heute als Teil einer Impfstoffzulassung
lichen Zeitperioden stammen. Die Autoren meinen, dass sie          ein Risikomanagementplan gefordert. Bei der Impfstoff-
trotzdem vergleichbar sind, da darauf geachtet wurde, dass         sicherheit nach Zulassung sind zwei Aspekte zu unterschei-
sich die beobachtete Arzneimittelspezialität als solche nicht      den, nämlich die passive und die aktive Surveillance. Passive
verändert hat.                                                     Surveillance umfasst Spontanberichte von AEFI, Disproportio-
                                                                   nalitätsanalysen und „Observed vs. expected“-Analysen.
Als Beispiel für die genannte tabellarische Darstellung wer-       Aktive Surveillance besteht aus Phase-IV-Studien, epidemio-
den hier die Daten für den Sechsfachimpfstoff bei Klein-           logischen Studien und dem Verlinken von großen Daten-
kindern gezeigt (Tab. 9).                                          banken.

                                                                   4.1 Hintergrundinzidenz versus Risikoerhöhung einer
4. Kausalitätsbeurteilung von AEFI                                 Erkrankung nach Impfung
                                                                   Um bei der Einführung einer Impfung und dem Auftreten
Laut WHO gibt es fünf Kriterien zur Kausalitätsbeurteilung         eventuell mit dieser Impfung assoziierter Krankheitsbilder
einer AEFI, wobei für die Zuordnung des Kausalbezugs nicht         überhaupt solide Daten zu haben, muss man zuerst die übli-
alle fünf erfüllt sein müssen [19]. Dies sind:                     cherweise in der Bevölkerung auftretende Zahl derartiger
                                                                   Erkrankungen bestimmen. Diese Zahl wird als „Hintergrund-
A. Vereinbarkeit, Folgerichtigkeit                                 morbidität“ bezeichnet. Erst wenn sich bei Einführung einer
Der Zusammenhang des Ereignisses mit der Verabreichung             Impfung eine über der Hintergrundmorbidität liegende
eines Impfstoffes sollte gleichbleibend sein, d.h. wiederhol-      Häufung eines Krankheitsbildes abzeichnet, wird dies als
bar an verschiedenen Orten, durch verschiedene Untersucher,        Signal zu werten sein.
durch verschiedene Untersuchungsmethoden, und zur glei-
chen Schlussfolgerung führen.                                      Im Zusammenhang mit der Einführung der HPV-Impfung
                                                                   wurde die Hintergrundmorbidität bestimmter Erkrankungen
B. Stärke des Zusammenhangs                                        bei Mädchen und jungen Frauen ermittelt, noch bevor der
Der Zusammenhang des Ereignisses mit der Verabreichung             Impfstoff zur Verfügung stand. Es wurde also untersucht, wel-
eines Impfstoffes sollte stark im epidemiologischen Sinn sein      che Erkrankungen in zeitlichem Zusammenhang mit der
und es sollte eine Dosis-Wirkung-Beziehung mit dem Impf-           Impfung aufgetreten wären, wenn man bereits mit der
stoff bestehen.                                                    Impfung begonnen hätte. Dabei fand man, dass innerhalb
                                                                   von sechs Wochen nach einer hypothetisch erfolgten HPV-
C. Spezifität = zuverlässige Zuordnungsmöglichkeit                 Impfung pro 100.000 weibliche Impflinge 81,3 Fälle von
bzw. Unterscheidbarkeit                                            Asthma, 45,8 Fälle von Allergien, 12,8 Fälle von Diabetes, 4,05
Der Zusammenhang des Ereignisses mit der Verabreichung             Fälle von entzündlichen Darmerkrankungen, 4,0 Fälle von
eines Impfstoffes sollte unverwechselbar (charakteristisch,        Schilddrüsenerkrankungen, 2,0 Fälle von systemischem
einzigartig) mit dem Impfstoff sein und nicht häufig, spontan      Lupus erythematodes und ein Fall von multipler Sklerose
oder allgemein im Zusammenhang mit anderen Reizen oder             oder Optikusneuritis auftreten würden (Hintergrundinzidenz).
Umständen vorkommen.                                               Es gibt demnach eine nicht unerhebliche Zahl von mehr als

                                                                                                        Dezember 2013        11
einem Patienten pro 1.000 Geimpfte, die rein zufällig auftre-             Sicht die gelistete Nebenwirkung ein verifiziertes Ereignis dar-
ten würden und in unmittelbaren Zusammenhang mit einer                    stellt, während aus wissenschaftlicher Sicht die Ätiologie un-
Impfung gebracht werden könnten (16). Diese Zahlen galten                 geklärt ist und die Impfung als Ursache lediglich nicht ausge-
als Basisinformation für die Bewertung von AEFI nach HPV-                 schlossen werden kann.
Impfung und zeigten, dass die erhobene Hintergrundinzidenz
dieser Zustände in keinem einzigen Fall durch die HPV-                    Selbst bei sehr großen Patientenzahlen in Zulassungsstudien
Impfung signifikant zunahmen.                                             gibt es gewisse statistisch bedingte Grenzen für die Möglich-
                                                                          keit, seltenere Nebenwirkungen vor Zulassung eines Impf-
Allerdings ist auch darauf hinzuweisen, dass dieser Unter-                stoffs zu erfassen. Die Zahl der notwendigen Studienteil-
schied keineswegs in allen Fällen konsequent durchgehalten                nehmer zur Erfassung eines erhöhten Risikos für bestimmte
wurde bzw. wird. Für jeden neuen zur Zulassung eingereich-                Nebenwirkungen hängt einerseits von der Hintergrund-
ten Impfstoff wird das Dossier bestehend aus Daten zur                    inzidenz des jeweiligen Ereignisses ab, andererseits von der
Herstellung, Präklinik und Klinik evaluiert und das Nutzen-               Erhöhung des relativen Risikos durch die Impfung. Sind so-
Risiko-Profil in der Produktinformation entsprechend abge-                wohl Hintergrundinzidenz als auch relatives Risiko niedrig, so
bildet. Da die Herstellung von Impfstoffen selbst bei identer             geht die notwendige Teilnehmerzahl ins Extreme. Wie in
Indikation (z.B. FSME) mitunter verschieden ist und auch un-              Tabelle 10 ersichtlich, müsste man z.B., um gegenüber der
terschiedliche Studiendesigns eine Rolle spielen, werden                  Hintergrundinzidenz einer Erkrankung von 1:10.000 ein fünf-
Studien verschiedener Dossiers nicht direkt verglichen. Kann              fach erhöhtes Risiko einer Erkrankung durch Impfung zu er-
die Kausalität eines Ereignisses im Zusammenhang mit der                  fassen, über 30.000 Probanden in eine Studie einschließen.
Verabreichung eines Arzneimittels nicht mit absoluter
Sicherheit ausgeschlossen werden, wird es in die Fach- und                Ein historisches Beispiel ist das Auftreten von Intussuszeptionen
Gebrauchsinformation des jeweiligen Produktes aufgenom-                   nach oraler Rotavirusimpfung (RRV-TV – RotaShield®), eine
men. Viele Hersteller sehen eine Aufnahme solcher zeitlich                AEFI, die trotz Phase-III-Studien mit über 60.000 Teilnehmern
assoziierten, aber kausal unklaren unerwünschten Ereignisse               erst im Zuge der Postmarketing-Surveillance erkannt wurde –
in die Produktinformation als Sicherheitsmaßnahme an, da                  dieser Impfstoff wurde in der Folge vom Markt genommen
zumindest darauf hingewiesen wird, dass derartige Ereignisse              [20]. Das Risiko einer Invagination durch die heute verwende-
nach der Impfung auftreten können bzw. nicht mit Sicherheit               ten, weiterentwickelten Rotavirusimpfstoffe liegt bei etwa
auszuschließen sind.                                                      1:65.000 [21].

Ein Kuriosum stellen die Produkte Varivax® und ProQuad® dar,
in deren Produktinformationen u.a. Nebenwirkungen wie z.B.                5. Gefürchtete Langzeitnebenwirkungen
ein Schlangenbiss als „nicht giftiger Biss/Stich“ oder ein                Einer der häufigsten Befürchtungen von Eltern ist der
Sonnenbrand gelistet sind. In solchen Fällen ist es offensicht-           Verdacht auf einen Zusammenhang zwischen Impfungen
lich, dass kein Kausalzusammenhang besteht. Im forensischen               und Autismus und der Entstehung von Allergien und Auto-
Sinn ist dieses Vorgehen besonders bei seltenen Erkrankungen              immunitäten nach Impfungen [23]. Aufgrund der Wichtig-
wie z.B. der ätiologisch ungeklärten
Opticusneuritis kritisch zu betrachten,
da – wie Prozesse aus der jüngsten            Tab. 10: Notwendige Zahl an Studienteilnehmern pro Gruppe
Vergangenheit zeigen – der Unterschied                        zur Erfassung eines erhöhten Risikos
zwischen Nebenwirkung (kausaler
Zusammenhang) und AEFI (Ereignisse,                                                             Relatives Risiko bei Impfung
die einen zeitlichen jedoch nicht zwin-           Hintergrundinzidenz
                                                                                                  2             5             10            20
gend einen kausalen Zusammenhang
zur Impfung aufweisen) juristisch nicht           1/100                                    2.515              332           121             50
erkennbar ist. Hier wird davon ausge-             1/1.000                                25.476            3.416          1.272           551
gangen, dass ein Ereignis, das in der
                                                  1/10.000                             255.083            34.246         12.780         5.564
Fachinformation als Nebenwirkung ver-
m er k t is t , auch ein en k aus al en           1/100.000                          2.551.155          342.554        127.860         55.690
Zusammenhang mit der Impfung auf-                 Legende: Schattierte Zellen deuten realistisch erreichbare Zahlen von Studienteilnehmern an.
weisen muss. Dadurch ergibt sich das
                                                 Quellen: [22]
Problem, dass einerseits aus juristischer

12      Dezember 2013
keit wird diesem Thema für eine entsprechende Beratung        Studien, die T-Zell-Antworten von gesunden und MS
in der Praxis noch ein eigenes Paper gewidmet werden. Im      Patienten nach HBV-Impfung untersuchten, konnten weder
Folgenden sind aber bereits hier klassische Beispiele         veränderte Lymphozytenantworten noch bestimmte HLA-
(Autismus, MS, GBS, SIDS, Allergien) angeführt, bei denen     Assoziationen finden [47, 48]. Sicherlich werden weitere im-
klar ein Zusammenhang zwischen Impfung und Entstehung         munologische Untersuchungen über den Einfluss von
von bestimmten Erkrankungen widerlegt werden kann:            Infektionen auf den Verlauf einer MS und dabei gebildete
                                                              kreuzreagierende Antikörper gegen neuronales Gewebe
Große, gut designte epidemiologische Studien [24-29] und      mehr Aufschluss über die pathopysiologischen Vorgänge
systematische Reviews [30, 31] haben keine ausreichenden      dieser Erkrankung liefern.
Beweise gefunden, um eine Assoziation zwischen Lebend-
impfstoffen wie Masern-Mumps-Röteln und Autismus oder         Ein Zusammenhang zwischen Impfungen und dem Auftreten
auch anderen Entwicklungsstörungen andererseits zu bele-      des Guillain-Barré-Syndroms (GBS) wurde ebenfalls postuliert,
gen [32].                                                     konnte jedoch weder für die Meningokokken-Konjugat-
                                                              impfung [49] noch für eine Reihe anderer Routineimpfungen
Eine Studie von Wakefield, die 1998 publiziert [33] und       [50] bestätigt werden. Lediglich nach der Influenza-H1N1-
2010 vom „Lancet“ zurückgezogen wurde [34], vermutete         Impfung kam es zu einem minimalen Anstieg von GBS-Fällen
anhand einer Fallserie von nur zwölf Kindern ohne Kontroll-   in der Größenordnung von 1–2 zusätzlichen Fällen pro einer
gruppe einen Zusammenhang zwischen MMR-Impfung                Million Geimpfter [51-53]. Doch auch hier übersteigt das
und Autismus. Die darauf folgenden Diskussionen führten       Krankheitsrisiko der Influenza bei Weitem das geringe GBS-
zu großer Verunsicherung und zum Rückgang der MMR-            Risiko. Zudem sei in diesem Zusammenhang nochmals auf
Durchimpfungsrate in einigen Ländern, z.B. in Groß-           die Hintergrundmorbidität (Punkt 4.1) verwiesen.
britannien von 92% (1995–96) auf 80% (2004). Im weiteren
Verlauf konnte eine ganze Reihe akribisch genauer und         Zwischen dem plötzlichen Kindstod („Sudden Infant Death
groß angelegter Studien keinen Zusammenhang zwischen          Syndrome“ – SIDS) und Impfungen gibt es keinen Zusammen-
Autismus und MMR-Impfung finden [35]. Obwohl mittler-         hang [54-56], bzw. scheinen Impfungen das SIDS-Risiko so-
weile gezeigt wurde, dass die besagte Studie eine vorsätz-    gar zu senken [57-61].
liche Fälschung war, wird der damals vermutete Zusammen-
hang immer noch zitiert.                                      Im Zuge der „Hygiene-Hypothese“, die postuliert, dass es
                                                              durch steigende hygienische Maßnahmen und dadurch ge-
Was die multiple Sklerose (MS) anlangt, so gibt es zwei gut   ringere Auseinandersetzung des Immunsystems mit mikro-
designte, groß angelegte und wissenschaftlich akribisch       biellen Erregern zu einer Verschiebung der Immunantworten
durchgeführte Studien, die einen Link zwischen Hepatitis-     in Richtung Allergien und allergischen Reaktionen kommt,
B(HBV)-Impfung und MS [36] bzw. einer Reihe verschiedener     wurden auch Impfungen für einen reduzierten mikrobiellen
Impfungen und MS [37] ausschließen. In ähnlicher Weise        Druck auf das Immunsystem verantwortlich gemacht, so-
konnte auch keine Assoziation zwischen der FSME-Impfung       dass vermehrt Allergien entstehen könnten. Eine jüngst
und einer mittels MRI nachgewiesenen MS-Aktivität, einem      durchgeführte Studie mit mehr als einer halben Million
Schub oder einer Krankheitsprogression festgestellt werden    Kindern stellt aber die Hygienehypothese insofern infrage,
[38]. Im Rahmen eines WHO-Positionspapiers zur FSME-          als sie aufzeigt, dass gerade eine atopische Immunitätslage
Impfung [39] wurde bestätigt, dass selbst groß angelegte      mit einer erhöhten Suszeptibilität für bestimmte Infektionen
Postmarketingstudien keinerlei Anzeichen für Severe Adverse   einhergeht und daher ein Schutz durch Impfungen bei ato-
Events – zu denen auch MS zählt – festgestellt wurden (die    pischen Personen besonders vorteilhaft ist [62]. Zudem
häufigsten Reaktionen beziehen sich auf erhöhte Temperatur    konnten zahlreiche Studien zeigen, dass es zu keinen erhöh-
und Schmerzen an den Einstichstelle).                         ten allergischen Reaktionen, Asthma, atopische Dermatitis
                                                              etc. nach Impfungen gekommen ist [63-66].
Systematische Reviews bestätigen diese Resultate [40-42].
Nur in einer Studie wurde ein Zusammenhang zwischen           Die wissenschaftlichen Studien zur Impfstoffsicherheit, die in
HBV-Vakzinierung und MS postuliert [43]. Diese Studie zeig-   den letzten Jahren vermehrt durchgeführt wurden, zeigen
te aber eine Reihe von methodologischen Problemen und         mit zunehmend robuster Datenlage klar auf, dass die Nutzen-
Ungenauigkeiten. Dementsprechend konnte dieses Ergebnis       Risiko-Relation von Impfungen sowohl für den Einzelnen als
auch nicht in einer großen Studie mit entsprechend großer     auch für die Gesamtpopulation eindeutig zugunsten der
Datenbank bestätigt werden [42, 44-46]. Immunologische        Impfungen zu bewerten ist.

                                                                                                   Dezember 2013       13
6. Rolle von Hilfsstoffen, insbesondere                                 Die Notwendigkeit zur Verwendung von Adjuvanzien ergibt
   Adjuvanzien                                                          sich hingegen bei proteinbasierten Vakzinen (hoch gereinigte,
                                                                        rekombinante oder Teilantigenimpfstoffe).
Abgesehen von Impfantigenen enthalten Impfstoffe auch wei-              Nach der Funktion lassen sich zwei Arten von Adjuvanzien un-
tere Inhaltsstoffe, die man in Hilfsstoffe und Produktions-             terscheiden, zum einen solche, die als Vehikel, Carrier oder
rückstände einteilen kann. Bei Hilfsstoffen handelt es sich um          Depot fungieren, zum anderen solche, die als Immun-
Adjuvanzien, Stabilisatoren und Konservierungsmittel (z.B.              stimulatoren wirken. In erstere Kategorie der in den derzeit li-
Thiomersal, das mittlerweile allerdings aus nahezu allen Impf-          zensierten Impfstoffen verwendeten Adjuvanzien zählen
stoffen eliminiert wurde), bei Produktionsrückständen um                Mineral(Aluminium)salze, Emulsionen (Squalene/Wasser),
Substanzen aus dem Herstellungsprozess, die in Spuren im                Virosomen oder Virus-like Particles. Zur zweiten Kategorie zäh-
Endprodukt vorhanden sein können, z.B. Formaldehyd von der              len die Immunstimulatoren wie z.B. Toll-like-Rezeptor-4-
Inaktivierung, Antibiotika (jedoch keine Penicilline oder               Agonisten (Monophosphoryl-Lipid A) oder bakterielle Toxine.
Cephalosporine) oder Fremdproteine wie z.B. Ovalbumin oder
Humanalbumin. Solche Substanzen können grundsätzlich zu                 Am längsten bekannt sind Aluminium-hältige Adjuvanzien
allergischen oder toxischen Nebenwirkungen (AEFI) führen;               (im Jahre 1925 von Gaston Ramon und Alexander Glenny ent-
dies ist allerdings nur sehr selten der Fall. Generell ist festzuhal-   deckt und seither in Verwendung), obwohl ihr genauer
ten, dass seit der Einführung der Kombinationsimpfstoffe die            Wirkmechanismus erst vor Kurzem erforscht und größtenteils
Gesamtmenge an Hilfs- und Zusatzstoffen in Impfpräparaten               erklärt wurde [68, 69]. Ein längeres Verweilen von Aluminium-
stark reduziert wurde. Im Falle von Formaldehyd, einer Substanz,        Depots wurde bei Patienten, die wegen suspekten inflam-
die u.a. vom eigenen Stoffwechsel produziert wird und mit der           matorischen Muskelerkrankungen biopsiert wurden, an der
Nahrung aufgenommen wird, ist die im Impfstoff enthaltene               Injektionsstelle nachgewiesen. Diese Erkrankung wurde als
Menge vergleichsweise äußerst gering: in Impfstoffen sind               Makrophagische Myofasziitis (MMF) beschrieben [70, 71]. Die
0,001 maximal 0,2 mg enthalten. Mit der Nahrung werden täg-             Tatsache, dass MMF bei nur sehr wenigen Personen auftritt,
lich bis zu 14mg Formaldehyd aufgenommen und die tägliche               kann durch eine bestimmte HLA-Assoziation (HLA-DRB1*01)
Eigenproduktion beträgt etwa 50 mg bei einer Halbwertszeit              erklärt werden. Die derzeit ungenügende Datenlage für einen
von 1,5 Min. [67].                                                      kausalen Zusammenhang zwischen Aluminium-hältigen
Weiters wurden viele Impfstoffe „re-formuliert“ und werden              Impfstoffen und dieser Erkrankung rechtfertigt es in keiner
nun ohne nennenswerte Mengen an Hilfsstoffen, die Anlass                Weise, die Sinnhaftigkeit von Impfungen infrage zu stellen,
zur Sorge für Nebenwirkungen gegeben haben, angeboten.                  unterstreicht aber klar die Notwendigkeit für entsprechende
Im Zuge der Herstellung von Einmalspritzen konnte auf die               epidemiologische Follow-up-Studien.
Zugabe von Konservierungsmittel völlig verzichtet werden                Squalen-hältige Adjuvanzien wie MF59TM oder AS03TM erhö-
(z.B. Formaldehyd) und somit die Gesamtmenge an Hilfs- bzw.             hen die Antigenaufnahme und aktivieren lokale Immunzellen
Zusatzstoffen stark reduziert werden.                                   [72-74]. Ein Zusammenhang zwischen Squalen und dem soge-
In vielen Fällen ist es zudem möglich, auf einen anderen Impf-          nannten Golfkriegssyndrom wurden in entsprechenden
stoff auszuweichen, der den betreffenden Hilfs-/Zusatzstoff             Studien nicht bestätigt [75, 76]. Einen tatsächlichen Zusammen-
nicht enthält, wodurch eine tatsächliche Kontraindikation zu            hang gibt es aber offenbar zwischen der Verabreichung der
einer Impfung in den meisten Fällen nicht gegeben ist [67].             ASO3-adjuvantierten H1N1-Impfung (Pandemrix®) und dem
                                                                        Auftreten von Narkolepsien. Daten dazu existieren vor allem
Die Aufgaben von Adjuvanzien bestehen in einer Verstärkung              aus Finnland [77], Schweden [78] und England [79]. Die
der Immunogenität von Impfantigenen, der Verringerung der               Assoziation war trotz der Möglichkeit von Fehlerquellen (die
Antigendosis und der Reduktion der Anzahl an Immuni-                    Zahl der Narkolepsiemeldungen stieg nach dem ersten
sierungen, der Induktion von Langzeitimmunität, der Immun-              Medienbericht in Finnland stark an, man spricht von einem
modulation (B-Zell-/T-Zell-Immunität), der Verbesserung der             „Awareness-Bias“) so stark, dass sie nicht durch zufällige
Effektivität von Impfungen bei Immuninkompetenten (Älteren,             Schwankungen erklärt werden konnte. Die Ursache der
Immunsupprimierten, Neugeborenen) und der verbesserten                  Narkolepsie ist unbekannt. Es gibt aber eine Beziehung zu
Antigenaufnahme über die Mukosa. Adjuvanzien sollen ein                 HLA-DQB1*0602. Hypocretin-1-Defizienz könnte durch die
niedriges Nebenwirkungsprofil bzw. eine geringe Toxizität auf-          Impfung in Kombination mit dem Adjuvans (Squalen, Vitamin
weisen. Im Gegensatz zu früher werden heute Adjuvanzien be-             E, Polysorbat 80) getriggert werden.
reits im Rahmen der Impfstoffherstellung getestet. Nicht not-           Neuere Adjuvanzien sind u.a. Virosomen, Toll-like-Rezeptor-
wendig sind Adjuvanzien in Lebendimpfstoffen, viralen oder              Agonisten und mukosale Adjuvanzien; für Letztere gibt es mit
bakteriellen Ganzzellvakzinen und Polysaccharidimpfstoffen.             der transkutanen Verabreichung auch einen neuen Applikations-

14      Dezember 2013
weg. Allerdings sind die klinischen Erfahrungen mit neueren        Unterscheidung zwischen Impfreaktion, Impfkrankheit und
Adjuvanzien bei bestimmten Patientengruppen, wie vor allem         Impfkomplikation trifft (siehe Punkt 2 – „Definitionen“).
bei Kindern und schwangeren Frauen, noch gering.
Vermehrte Studien zu den genauen Wirkmechanismen von               Zur Kausalitätsbeurteilung muss der Gutachter zunächst fest-
Adjuvanzien sind im Gange, um die Effekte von Adjuvanzien          stellen, ob eine eindeutige Diagnose vorliegt. Dazu sind fol-
erklären und mögliche Zusammenhänge mit immunologi-                gende Fragen zu beantworten:
schen/(patho)physiologischen Vorgängen besser verstehen
und auch vorhersehen zu können.                                    ● Wurde eine Impfung durchgeführt, welche, Charge,
                                                                     wann, wo?
                                                                   ● Liegt eine dauernde Gesundheitsschädigung vor?
7. Forensische Aspekte: Impfschäden                                ● Welche Auswirkung hat die festgestellte Gesundheits-
                                                                     schädigung?
Grundlage für die gutachterliche Beurteilung von vermute-          ● Ist die Differenzialdiagnose anderer möglicher
ten Impfschäden ist das Impfschadensgesetz, das eine                 Erkrankungen abgeklärt?

 Abb. 3a: Management von AEFI – Lokalreaktionen

                                                                 LOKALREAKTION
   v

                                                                  MITTELSCHWERE                         GROSSE
                                        LEICHTE
                                                                 LOKALREAKTION:                    LOKALREAKTION
                                   LOKALREAKTION:
                                                                 Rötung 50–120mm                 ± KOMPLIKATIONEN:
                                     Rötung 120mm Durch-
                                      Durchmesser,
                                                                Schwellung, Juckreiz;              messer, Schmerzen,
                                 Schmerzen, Schwellung,
                                                              Verdickung bzw. Knoten;              Schwellung bis zum
                                   Juckreiz; Verdickung
                                                                  Taubheitsgefühl,                Ellbogen oder ganzer
                                       bzw. Knoten
                                                                 Kribbeln; Brennen               Arm; lokales Exanthem

                                                                                                  Dokumentation inkl.
         KEINE                                                                                 Fotografieren; Aufklärung;
                                                                 Dokumentation,
                                                                                                ev. Patienten der nächs-
       REAKTION                                                    Aufklärung,
                                    Dokumentation,                                              ten Behandlungsebene
                                                               Symptombehandlung;
                                      Aufklärung,                                               vorstellen; Symptombe-
                                                               Vermeidung größerer
                                  Symptombehandlung                                              handlung; Meldung an
                                                                   körperlicher
                                                                                                 die AGES; Vermeidung
                                                                  Anstrengungen
                                                                                                  größerer körperlicher
                                                                                                     Anstrengungen

                                     Weiterimpfen wie                Bei mittelschwerer Lokalreaktion weiterimpfen
                                      geplant; größere            wie geplant; vor der nächsten Dosis Prämedikation;
                                 körperliche Anstrengung                eventuell Veränderung von Impfintervall
                                 für 24–48h nach nächster       (wenn möglich Impfroute) erwägen; falls Lokalreaktion
                                   Impfdosis unterlassen,     nach nächster Dosis geringer ➞ weiterimpfen; falls Lokal-
                                    um Verstärkung der         reaktion wieder auftritt, persistiert bzw. sich verschlech-
                                       Lokalreaktion           tert: Reevaluierung, zeitweiliges Aussetzen der Impfung
                                       zu vermeiden                    erwägen, weitere medizinische Abklärung

   Quelle: adaptiert nach [81]

                                                                                                       Dezember 2013         15
Für die Anerkennung eines Impfschadens muss eine                           ● Welche ärztlichen Befunde sprechen für einen
Wahrscheinlichkeit für einen Zusammenhang zwischen                           Zusammenhang mit der Impfung?
Impfung und Erkrankung gegeben sein. Das heißt, dass nach                  ● Wie gewichtig ist jede einzelne dieser Pro-
der geltenden wissenschaftlichen Lehrmeinung erheblich                       Schlussfolgerungen?
mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang                         ● Welche ärztlichen Befunde sprechen gegen einen
spricht. Die bloße Möglichkeit einer Verursachung reicht für                 Zusammenhang mit der Impfung?
die Begründung eines Anspruchs nicht aus. Die ärztlichen                   ● Wie gewichtig ist jede einzelne dieser Kontra-
Sachverständigen dürfen sich nicht darauf beschränken, einen                 Schlussfolgerungen?
ursächlichen Zusammenhang zu verneinen oder zu bejahen.
Die Behörde hat anhand der dem Gutachten zugrunde geleg-                   Zur Darstellung und Bewertung eines wahrscheinlichen kau-
ten Tatsachen die Schlüssigkeit des Gutachtens kritisch zu prü-            salen Zusammenhanges ist es sehr bedeutsam, ob ein biolo-
fen und einer sorgfältigen Beweiswürdigung zu unterziehen.                 gisch plausibler Grund als Ursache vorliegt und ob die
Die Darstellung eines wahrscheinlichen kausalen Zusammen-                  Symptome als Impfreaktion oder -komplikation in der
hanges im Gutachten hat folgende Punkte zu berücksichtigen:                Literatur bekannt sind.

 Abb. 3b: Management von AEFI – Systemische Reaktionen

                                                                                                                         SYSTEMISCHES

                                        Grippeähnliche bzw. Virusinfektions-artige Symptomgruppen
       Myalgien, Arthralgien,           Virusinfektions-ähnliche     Respiratorische    Gastrointestinale          Andere Ereignisse:
            Arthritiden;                Symptome                     Symptome           Symptome               Müdigkeit für >60 Tage;
          Kopfschmerzen;                Innerhalb von 96h drei der   Rhinitis bzw.      Übelkeit, Erbrechen;      Tinnitus, Schwindel;
       Kollaps oder Synkope;            folgenden Symptome:          rinnende oder      Diarrhoe,              klinisch suspekte Events
      reaktiver Angstzustand            • Temperatur 38,1–39,2°C     blockierte Nase,   Bauchschmerzen,        nach Lebendimpfungen
                                          (Erwachsene) bzw.          Halsschmerzen      Blähungen,
                                          38,1–40,0°C (Kinder)                          Verdauungsstörung
                                        • Anorexie/Nausea
                                        • Myalgie/Arthralgie
      Dokumentierten; auf-              • Malaise/Müdigkeit
      klären; Begutachtung              • Schwindel, Kopfschmerzen
                                                                                                                   Akutes Ereignis
        je nach klinischer              Schwer/prolongiert:                                                          behandeln;
      Notwendigkeit; NSAR               ≥96h bzw. Temperatur >39,2°C (Erw.) bzw. >40,0°C (Kinder)                  dokumentieren;
     als Prämedikation oder
                                                                                                                      aufklären
     nach Impfung erwägen;
      Kopfschmerzen: NSAR
                                         Dokumentieren; Symptombehandlung; aufklären

                                                                               Bei leichten bis
           Bei leichten bis mittelschweren Ereignissen
                                                                        mittelschweren Ereignissen
      weiterimpfen; vor der nächsten Dosis Prämedikati-
                                                                             weiterimpfen; falls                   Begutachtung
        on sowie Veränderung von Impfintervall (wenn
                                                                         Ereignis(se) rezidiviert(en)               veranlassen;
            möglich Applikationsart/Route) erwägen;
                                                                        oder sich verschlimmert(en):           zeitweiliges Aussetzen
      falls nächste Dosis vertragen wird → weiterimpfen;
                                                                        Reevaluierung, zeitweiliges                 der Impfung,
             falls Ereignis(se) rezidiviert(en) oder sich
                                                                          Aussetzen der Impfung                 weitere medizinische
        verschlimmert(en): Reevaluierung, zeitweiliges
                                                                         erwägen und Meldung an                      Abklärung;
        Aussetzen der Impfung erwägen und Meldung
                                                                           AGES, je nach Ergebnis                Meldung an AGES
                an AGES, je nach Ergebnis weiterer
                                                                           weiterer medizinischer
                      medizinischer Abklärung
                                                                                 Abklärung

   Quelle: adaptiert nach [81]

16      Dezember 2013
Zur Kausalitätsbeurteilung siehe auch die fünf WHO-Kriterien,                Entschädigungen vor. Ein solcher Impfschaden besteht per de-
    die am Anfang von Punkt 4 dargestellt sind.                                  finitionem dann, wenn durch eine Impfung eine schwere blei-
                                                                                 bende Behinderung verursacht wird. Dabei handelt es sich
    In Österreich besteht laut §75 Arzneimittelgesetz sowie der dar-             meist um neurologische Erkrankungen wie z.B. Lähmungen
    auf beruhenden Pharmakovigilanz-Verordnung für Ärztinnen                     oder geistige Behinderungen infolge einer Meningitis. Solche
    und Ärzte die Pflicht, Verdachtsfälle von Impfnebenwirkungen                 schweren Komplikationen treten äußerst selten auf.
    zu melden. Adressiert werden müssen diese Meldungen an das                   So wurden in den Jahren 2010 und 2011 insgesamt 36 Ver-
    Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) im                       fahren nach dem Impfschadensgesetz abgeschlossen, davon
    Rahmen der AGES-Medizinmarktaufsicht. Entsprechende                          aber 30 negativ und nur sechs positiv. Diese betrafen teils
    Meldebögen sind beim BASG erhältlich bzw. können im                          weit zurückliegende Impfungen (2x BCG, einmal mit Meningo-
    Internet unter www.basg.gv.at heruntergeladen werden [80].                   enzephalitis [Impfung 1981], einmal mit eitrigem Granulom
                                                                                 [Impfung 1953], 1x Pocken mit Hörschädigung [Impfung
    Impfschäden sind juristisch von der Impfnebenwirkung zu tren-                1976]). Die rezenteren Fälle betrafen eine 1995 durchgeführ-
    nen. Sie sind im Impfschadensgesetz abgehandelt und sehen                    te Polioimpfung bei einem 91-jährigen Patienten, bei der es

EREIGNIS

                                            Hauterkrankungen:                       Neurologische
                                                                                                                    Myo-/Perikarditis oder
           Anaphylaxie,                     fokal oder limitiert;                   Erkrankungen:
                                                                                                                     andere systemische
      systemische allergische                  generalisierte                  periphere Neuropathie;
                                                                                                                      Erkrankungen, die
       Reaktion*; Angioödem                   Hauterkrankung;                     Enzephalopathie,
                                                                                                                        nach Impfung
         oder Schwellung,                 diffuse, blasenbildende              Guillain-Barré-Syndrom,
                                                                                                                     auftreten oder sich
          Serumkrankheit                   Dermatitis und/oder                  fokale neurologische
                                                                                                                        verschlechtern
                                                 Mukositis                            Erkrankung

          Akutes Ereignis                        Behandeln;
                                                                                     Behandeln;                           Behandeln;
            behandeln;                            aufklären;
                                                                                   dokumentieren,                       dokumentieren,
          dokumentieren;                       fotografieren;
                                                                                      aufklären                            aufklären
             aufklären                        Biopsie erwägen

                                                                                                                         Notwendige
          Allergologische                  Sofortige oder baldige              Sofortige oder baldige
                                                                                                                       Begutachtungen
          Begutachtung                        dermatologische                      neurologische
                                                                                                                          veranlassen;
       veranlassen; Impfung                    Begutachtung;                       Begutachtung;
                                                                                                                    zeitweiliges Aussetzen
       zeitweilig aussetzen;                 Impfung zeitweilig                  Impfung zeitweilig
                                                                                                                    der Impfung erwägen;
        Meldung an AGES;                    aussetzen; Meldung                  aussetzen; Meldung
                                                                                                                      Meldung an AGES;
      Impfung unbeschränkt                 an AGES; u.U. Impfung               an AGES; u.U. Impfung
                                                                                                                         u.U. Impfung
         aussetzen, sofern                     unbeschränkt                        unbeschränkt
                                                                                                                         unbeschränkt
            erforderlich                         aussetzen                           aussetzen
                                                                                                                           aussetzen

    *) Zur Anaphylaxiebehandlung siehe auch das Kapitel „Allergische Reaktionen bei Impfungen“ im Österreichischen Impfplan 2013

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