Reaktionen und Nebenwirkungen nach Impfungen - Erläuterungen und Definitionen in Ergänzung zum Österreichischen Impfplan - MedUni ...
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Dezember 2013 Institut für Spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin** der MedUni Wien Reaktionen und Nebenwirkungen nach Impfungen Erläuterungen und Definitionen in Ergänzung zum Österreichischen Impfplan Autoren: Univ.-Prof. Dr. Ursula Wiedermann-Schmidt*1; Univ.-Prof. Dr. Herwig Kollaritsch*1; Dr. Gerald Bachinger2; Dr. Elmar Bechter*3; Mag. Petra Falb*4; Univ.-Prof. Dr. Heidemarie Holzmann*5; Dr. med. Brigitte Keller-Stanislawski6; Univ.-Prof. Dr. Michael Kundi*7; Univ.-Prof. Dr. Ingomar Mutz8; Dr. Barbara Tucek*4; SC Priv.-Doz. Dr. Pamela Rendi- Wagner*9; Univ.-Prof. Dr. Werner Zenz*10; Prim. Univ.-Prof. Dr. Karl Zwiauer*11. 1Institut für Spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin, MedUni Wien; 2Niederösterreichische Patienten- und Pflegeanwaltschaft, St. Pölten; 3Landessanitätsdirektor a. D., Bregenz; 4BASG - Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen, AGES - Medizinmarktaufsicht, Wien; 5Department für Virologie, MedUni Wien; 6Bundes- institut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel, Langen, Deutschland; 7Institut für Umwelthygiene, Zentrum für Public Health, MedUni Wien; 8FA für Kinderheilkunde, St. Marein i.M.; 9Bundesministerium für Gesundheit/Sektion III, Wien; 10Klin. Abt. für Allg. Pädiatrie, Univ.-Klinik für Kinder- und Jugendheilkunde, MedUni Graz; 11Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde, Landesklinikum St. Pölten. *) Mitglied des Nationalen Impfgremiums **) ISPTM = Nationale Referenzzentrale für Impfungen, Reise und Tropenmedizin des Bundesministeriums f. Gesundheit
1. Einleitung – Warum diese Empfehlungen? Tabelle 1 stellt die Zahl der Todesfälle aus der jeweiligen Prävakzinationsära den Todesfällen an impfpräventablen Impfungen gehören – neben sauberem Wasser – zu den Erkrankungen nach Einführung der jeweiligen Impfungen Errungenschaften, die den größten Effekt auf den Rückgang (USA 2002) gegenüber. der weltweiten Sterblichkeit und die Verbesserung der Lebensqualität erzielt haben [1]. Für jede im österreichischen Impfplan empfohlene Impfung ist Der Nutzen von Impfungen ist durch umfangreiches epide- eine positive Nutzen-Risiko-Relation durch das Zulassungs- miologisches Datenmaterial eindrucksvoll untermauert. verfahren und laufende Überwachung durch entsprechende Daten belegt. Grundsätzlich gilt für alle empfohlenen Impfungen, dass die Ratio von Nutzen und Risiko zu den güns- Tab. 1: Todesfälle im Vergleich prä/post tigsten in der Medizin überhaupt zählt. Zum Beispiel ist das Impfära (USA) Risiko für eine Masernenzephalitis 1:1.000, während das Risiko einer Enzephalitis nach Masernimpfung bei 1:1.000.000, also um den Faktor 1.000 niedriger, liegt [5]. Eine Gegenüber- Erkrankung Geschätzte Zahl Todesfälle stellung der Konsequenzen impfpräventabler Erkrankungen der Todesfälle im im Jahr und möglicher Impfnebenwirkungen bringt Tabelle 2. 20. Jahrhundert 2002 vor Einführung der Impfung Für Afrika, Asien und den östlichen Mittelmeerraum zeigt eine Hochrechnung für die Periode 2011 bis 2020 eine Zahl von 9,9 Pocken 4,81 Mio. 0 Millionen verhinderbarer Todesfälle durch neun Impfantigene Poliomyelitis 1,63 Mio. 0 (Hepatitis B, Gelbfieber, Haemophilus influenzae Typ B, Diphtherie 17,60 Mio. 2 Pneumokokken, Rotaviren, Neisseria meningitidis Serogruppe Haemophilus 2,00 Mio. 22 A, Japan-Enzephalitis, HPV und Röteln), wozu noch weitere influenzae 13,4 Millionen durch eine Masernimpfung kämen [7]. Ca. 52% Masern 5,03 Mio. 36 dieser Todesfälle würden in Afrika, 27% in Südostasien und 13% im östlichen Mittelmeerraum verhindert. Dabei ist die ge- Mumps 1,52 Mio. 236 schätzte Zahl der verhinderten Todesfälle pro 1.000 geimpfte Pertussis 1,47 Mio. 6.632 Personen für die erste Masernimpfung mit 16,5 am höchsten, Röteln 4,77 Mio. 20 gefolgt von HPV (15,1) und HBV (8,3). Tetanus 0,13 Mio. 13 Zahlen der „WHO Measles Initiative“ belegen eindrucksvoll den Rückgang der weltweiten Masernmortalität bei Kindern Quellen: [2, 3] , hier zitiert nach [4] unter fünf Jahren zwischen 1990 und 2008 (Abb. 1). Tab. 2: Konsequenzen der Erkrankung vs. Impfnebenwirkungen Erreger Konsequenzen der Erkrankung Bekannte Impfnebenwirkungen Haemophilus Tod: 2–3% Lokalreaktionen; influenzae Meningitis, Pneumonie, Epiglottitis, Sepsis selten Fieber, Kopfschmerz; GBS1 Masern Enzephalitis: 1/1.000 (Letalität 25%); Fieber: 5–15% Pneumonie: 6%; Impfmasern (zumeist milde Verläufe) SSPE2: 1/~10.000 Enzephalitis ≤1/1 Million) Pertussis Tod: 2/1.000 Lokalreaktionen, Fieber. Pneumonie: 10%, Krämpfe: 1–2% Nur bei Ganzzellvakzine3 Enzephalopathie: 1–10/1 Million Mumps Taubheit: 120.000 selten Fieber, Exanthem Enzephalitis: 1/2.000 Orchitis: 20–50% (postpubertär) 1 Guillain-Barré-Syndrom; 2 Subakute Sklerosierende Panenzephalitis; 3 Ganzzellvakzine in Österreich seit 1999 nicht mehr in Verwendung Quelle: adaptiert nach [6] 2 Dezember 2013
Reaktionen und Nebenwirkungen nach Impfungen Abb. 1: Rückgang der weltweiten Masern- Entsprechend gefürchtet werden daher seltene bzw. vermeint- mortalität bei Kindern
Schmerzen, Induration und Rötung an der Einstichstelle oder Tab. 3: Häufigkeitskategorien laut Allgemeinreaktionen wie (leichtes) Fieber, Abgeschlagenheit, europäischer Arzneimittelagentur grippeartige Beschwerden u.a. sein. Auch die abgeschwächte Form der Erkrankung selbst, die sogenannte Impfkrankheit (z.B. Kategorie Definition Impfmasern), fällt in diese Kategorie. Im Gegensatz dazu versteht man in dieser Terminologie un- Sehr häufig ≥1/10 ter einer Impfnebenwirkung eine schädliche und unbeab- Häufig ≥1/100, aber
Tab. 5: Beispiele Impfreaktionen Aus praktischen Erwägungen sind einige klinische Kategorien nach Gabe von Lebendimpfstoffen von AEFI zu unterscheiden. Sinnvoll ist eine Unterteilung in Lokalreaktionen an der Einstichstelle, systemische Reaktionen, allergische und neurologische Reaktionen. Tabelle 8 stellt die- Häufigkeit Art Lebend- se einschließlich des Zeitrahmens, in dem die Reaktionen auf- impfstoff treten können, dar. Sehr häufig Fieber, Unbehagen, alle bis häufig Kopfschmerzen MMR, V, Exanthem OPV* Durchfall 3. Bekannte AEFI der in Österreich gebräuch- Gelegentlich Parotitis MMR lichen und zugelassenen Impfstoffe bis selten Generalisierte Lymphadenitis Um eine möglichst detaillierte Aufstellung der AEFI zu den einzelnen zugelassenen Impfstoffen zu haben, wurden die Äußerst Paresen OPV* AEFI für jeden Impfstoff in einer eigenen Tabelle zusammen- selten Enzephalitis MMR gestellt. Darin sind Neuropathien Gelbfieber MMR = Masern/Mumps/Röteln, V = Varizellen, OPV = orale Polio (OPV in Europa/USA obsolet, nur mehr in 1) die Daten aus den klinische Studien sowie den Post- Entwicklungsländern in Verwendung) Marketing-Daten zusammengefasst. Sie sollen vor allem Quelle: Autoren das mögliche Spektrum, die Intensität und die Häufigkeit von Reaktionen ablesbar machen. 2) die überregionalen Pharmakovigilanzdaten dargestellt. So Neben diesen erwarteten Impfreaktionen gibt es auch sehr soll der Leser die Möglichkeit haben, die Spontanmelde- seltene unerwartete Impfnebenwirkungen („Impfkomplika- raten beim echten Feldeinsatz und oft millionenfacher tionen“), die in Tabelle 6 dargestellt werden. Anwendung eines Impfstoffes abzulesen. 2.2 Derzeit gültige Nomenklatur laut WHO (AEFI) Diese Tabelle ist vollständig und nach Impfantigenen geglie- Da die bisher angeführten Definitionen einer Impfreaktion dert im Internet abrufbar (http://goo.gl/EUMpV7). Damit be- nicht sehr stringent sind und zudem eine der Hauptschwierig- steht für die Leser die Möglichkeit, für die gelisteten Impf- keiten auf diesem Gebiet in der Beurteilung der Kausalität zwi- antigene selbst eine für die Praxis brauchbare Einschätzung schen einer verabreichten Impfung und einem danach auftre- vorzunehmen. tenden unerwünschten gesundheitlichen Ereignis besteht, hat die CIOMS*-Arbeitsgruppe für Impfstoff-Sicherheit als 3.1 Daten aus klinischen Studien neue Basisdefinition die „Adverse Events Following Die Fach- und Gebrauchsinformationen enthalten sowohl die Immunization“ (AEFI) festgelegt [14]. Ein AEFI ist jegliches un- während der klinischen Studien erhobenen Nebenwirkungen erwünschte gesundheitliche Ereignis nach einer Impfung, un- als auch solche, die nach der Markteinführung erfasst wurden abhängig von einem kausalen Zusammenhang. Es kann sich (Postmarketing-Studien, Spontanerfassungssystem). Die Produkt- dabei um ein Symptom, einen veränderten Laborbefund oder information wird laufend einem Update unterzogen und stellt das Auftreten einer Erkrankung handeln. die Art der Nebenwirkungen sowie deren Häufigkeit dar. Darüber hinaus lassen sich AEFI nach Ursachen unterteilen, In der erwähnten Tabelle sind die Nebenwirkungen aus den wie in Tabelle 7 dargestellt wird. klinischen Studien der Phasen I bis III inkl. Postmarketing- Zusätzlich existiert noch eine Definition des „schweren uner- Daten erfasst. Impfreaktionen und Nebenwirkungen werden wünschten Ereignisses“ („Serious Adverse Event“ – SAE). hier nach einem in der jeweiligen Studie vorgegebenen Bezogen auf AEFI ist ein schweres Ereignis eines, das zum Tod Protokoll aktiv aufgezeichnet. Dieses Protokoll wurde ent- oder zu einem lebensbedrohenden Zustand führt, eine be- sprechend den Richtlinien der „Good Clinical Practice“ ausge- stehende Hospitalisierung verlängert, zu bleibender oder si- arbeitet und dann einer Ethikkommission und den nationa- gnifikanter Behinderung oder zu einem kongenitalen Defekt len Behörden zur Beurteilung und Bewilligung vorgelegt. Die führt [15, 16]. Weiters sollten auch andere wichtige medizini- sche Ereignisse, die den Patienten einschränken oder eine *) Das „Council for International Organizations of Medical Sciences“ (CIOMS) ist Intervention erfordern, um ein schweres Ereignis zu verhin- eine internationale Organisation, die 1949 von der WHO und der UNESCO gemeinsam gegründet wurde. Ihr Hauptziel ist es, internationale Aktivitäten dern, nach individueller medizinisch-wissenschaftlicher der biomedizinischen Community weltweit zu fördern und zu unterstützen. Beurteilung als schwer betrachtet werden. Mehr unter www.cioms.ch Dezember 2013 5
Ethikkommissionen und die Behörde beurteilen unter ande- Zudem besteht aber die festgeschriebene Verpflichtung, je- rem Relevanz, Sinnhaftigkeit und Zumutbarkeit einer klini- denfalls alle im Rahmen der klinischen Prüfung auftretenden schen Studie im Sinne einer Nutzen-Risiko-Abwägung für unerwünschten Ereignisse genau darzustellen, nicht jedoch den in die Studie eingeschlossenen freiwilligen Probanden. einen Kausalzusammenhang mit der verabreichten Impfung Nicht beurteilt wird das Protokoll im Hinblick auf die Erfolgs- zu beweisen bzw. zu entkräften. Wird ein solcher Zusammen- aussichten für eine Marktzulassung. Obwohl alle Studien- hang bei Auftreten einer unerwarteten schwerwiegenden protokolle den gleichen gesetzlichen, regulatorischen und Nebenwirkung vermutet oder erscheint möglich, so muss wissenschaftlichen Anforderungen entsprechen müssen, un- dies der Behörde und der Ethikkommission unverzüglich ge- terscheiden sich die Protokolle der klinischen Prüfungen meldet werden. meist voneinander. Die in der Tabelle angegebenen Daten sind aus den verschie- Die Probanden in klinischen Studien müssen eine ganze denen klinischen Zulassungsstudien und Postmarketing- Reihe von Einschluss- und Ausschlusskriterien erfüllen, damit Daten zusammengefasst und spiegeln das Repertoire an sie möglichst störungsfrei Effekte zeigen sowie auch risiko- Beobachtungen im Zusammenhang mit der jeweiligen minimiert an der Studie teilnehmen können. Das bedingt Arzneimittelspezialität wider. Diese Beobachtungen müssen aber wiederum, dass sie nicht als vollkommen repräsentativ nicht unbedingt im Zusammenhang mit der Impfung ste- für die Bevölkerung, die die Impfung später erhält, angese- hen. So wurde z.B. in einer Studie zur Herpes-zoster-Impfung hen werden können. als SAE eine anaphylaktische Reaktion notiert, die 90 Minuten Tab. 6: Seltene bis sehr seltene Impfnebenwirkungen Impfnebenwirkung Impfstoff Pathomechanismus Häufigkeit Verschiedene (Antigen und Anaphylaxie Typ-I-Allergie Ca. 1:1 Mio. andere Impfstoffbestandteile) Kinderimpfstoffe Krampfschwelle wird durch Fieberkrampf selten – gelegentlich (MMRV>MMR + V) Fieber gesenkt Ausgedehnte unbekannt, Typ-III- äußerst selten, genaue Schwellung einer Td(D)aP, Influenza, Pneumo 23 allergische Reaktion (?) Zahlen unbekannt Extremität wP1* und andere HHE** unbekannt sehr selten Kinderimpfstoffe unbekannt; Thrombopenie Thrombopenie MMR/MMRV 1:30.000–1:50.000 auch durch M/V-Wildvirus Kinderimpfstoffe bei sehr früh Promill- bis Apnoe Interleukine? geborenen Kindern Prozentbereich 1-2/100.000 Invagination Rotavirus-Impfstoffe unbekannt (1. Impfung) Arthritis Röteln unbekannt Einzelfälle H1N1-Impfung; fraglich bei GBS*** Mimikry? 1–2:1 Mio. saisonaler Grippeimpfung Mumps (Urabe+, Leningrad- geringere Attenuierung als Meningitis 1:5.000–1:10.000 Zagreb+) Jeryl Lynn+ Reversion des Impfvirus zu Paralyse Orale Polioimpfung* 1–2:1 Mio. pathogenem Poliostamm ASO3-adjuvantierter H1N1- unbekannt; HLA-DQB1*0602 Narkolepsie 2–8:100.000 Impfstoff Assoziation wp: whole cell Pertussis Vakzine, nicht mehr relevant * Nicht mehr relevant, ** HHE: hypotone, hyporesponsive Episode; *** GBS: Guillain-Barré-Syndrom; + Impfstämme Quellen: [11-13] 6 Dezember 2013
Tab. 7: Ursachenspezifische „Adverse Events Following Immunization”-(AEFI)-Subgruppen Definition Erläuterung Beispiele Impfprodukt-bedingte AEFI, die durch eine oder mehrere Thrombopenie nach MMR-Impfung Reaktion dem Impfprodukt inhärente Exanthem oder Urtikaria Eigenschaften verursacht oder hervorgerufen wurde Impfqualitätsmangel- AEFI, die durch einen oder Erkrankung durch ungenügende bedingte Reaktion mehrere Qualitätsmängel1 des Attenuierung des Erregers bei Impfprodukts einschließlich seines Lebendimpfung Applikationsgeräts verursacht oder Ungenügende Immunogenität der Impfung hervorgerufen wurde aufgrund falscher Lagerung Impfanwendungsfehler- AEFI, die durch unangebrachte2 Lokale Entzündung (Schwellung, Rötung, bedingte Reaktion Handhabung, Verschreibung oder Schmerzen), z.B. durch irrtümliche s.c. Verabreichung einer Impfung Injektion einer i.m. zu administrierenden verursacht wurde und daher Vakzine vermeidbar wäre Falsche Indikationsstellung (Übersehen einer Kontraindikation) Impfangst-bedingte AEFI, die durch Angst vor der Impfung Vasovagale Reaktionen Reaktion entsteht Hyperventilationsreaktionen Stress-bedingte psychische Störungen Zufälliges, gleichzeitiges AEFI, die nicht durch das Impfprodukt, Jegliches Krankheitsereignis, das zufällig in Ereignis einen Impffehler oder Angst vor der kürzerem Zeitabstand nach der Impfung Impfung entsteht auftritt, wie z.B. Infektion, allergische Erkrankung und vieles mehr 1 Als Qualitätsmangel wird hier jegliche Abweichung des Impfprodukts von seinen definierten Qualitätsspezifikationen bezeichnet. 2 „Unangebracht“ bezieht sich hier auf einen Gebrauch (Handhabung, Verschreibung oder Verabreichung) abseits des aufgrund der wissenschaftlichen Datenlage oder aufgrund von Expertenempfehlungen im jeweiligen Land Zugelassenen und Empfohlenen Quelle: [14] nach Impfung und 30 Minuten nach Genuss von Erdnüssen vigilanz, die Grundlagen dafür sind EU-weit detailliert gere- aufgetreten war. Allerdings hatte dieser Patient eine Plazebo- gelt. Zur adäquaten Auswertung von Spontanmeldungen injektion und keine echte Impfung erhalten [18]. gibt es Methoden, um valide Signale aus der Datenmenge zu Da, wie erwähnt, Studienprotokolle, aber auch die Herstellung identifizieren. Diese werden einer genauen Evaluierung un- und Zusammensetzung der Impfstoffe einzelner Hersteller terzogen, und gegebenenfalls werden entsprechende be- differieren, ist ein Produktvergleich nicht direkt möglich. Es hördliche Maßnahmen gesetzt, um das Risiko zu minimieren wurden daher in der Tabelle zu den jeweiligen Impfantigenen bzw. zu unterbinden (Weiteres siehe http://goo.gl/b4HGh2). (und deren Kombinationen) die Angaben der einzelnen Hinsichtlich der Anzahl von Spontanmeldungen ist immer Hersteller in unterschiedlichen Farben eingefügt. Um direkte die Relation zur Exposition und Anwendungsdauer zu be- (und damit sicher auch unfaire!) Vergleiche der einzelnen achten. Impfstoffe zu verhindern, wurde die Farbcodierung nicht auf- Es ist sehr wahrscheinlich, dass nur Nebenwirkungen erfasst gelöst, d.h., sie bleibt für den Leser verblindet. werden, die aus dem Blickwinkel des Betrachters so unge- wöhnlich waren, dass eine Meldung sinnvoll oder notwendig 3.2 Daten aus nationalen und internationalen erscheint – im Wesentlichen also eine umgekehrte Situation Überwachungsquellen wie bei der Datenerfassung aus den klinischen Studien, wo Impfnebenwirkungen werden – gesetzlich verpflichtend! – alles erfasst wird, unabhängig von der Einschätzung der auf zwei Ebenen gesammelt und erfasst: Beteiligten. Einerseits durch die europäischen und lokalen Gesundheits- Auch Pharmakovigilanzsysteme prüfen vorerst nicht die behörden – in Österreich ist dies die AGES –, andererseits Kausalität einer Nebenwirkung. Sie suchen vielmehr nach müssen auch die Hersteller selbst entsprechende Daten- „Signalen“, d.h., wenn nach der Markteinführung eines Impf- banken führen. Diese Systeme bezeichnet man als Pharmako- stoffes immer wiederkehrend ein vergleichbares Ereignis ge- Dezember 2013 7
Tab. 8: Klinische Kategorien von „Adverse Events Following Immunization“ (AEFI) Tot- Lebend- AEFI Kriterien impfung impfung Lokalreaktionen Geringe bis mäßige ● Rötung, Schwellung oder Schmerzen an der Impfstelle 0–48h 0–48h Reaktionen ● Beginn innerhalb von 48h nach Impfung UND Starke Reaktionen/ ● Rötung, Schwellung, Schmerzen erstrecken sich über den 0–48h 0–48h Arthus-Reaktion Oberarm (bzw. Extremitätenteil der Einstichstelle) und ev. über das nächste Gelenk hinaus ● Ärztlich diagnostiziert UND ● Abszessmaterial ist purulent (positive Gram-Färbung oder Infizierter Abszess Kultur) ODER 0–7d 0–7d ● Lokale Entzündungszeichen UND ● Besserung auf antimikrobielle Therapie ● Persistiert >1 Monat, ist >2,5cm und/oder zeigt offensichtliche Sekretion UND Steriler Abszess ● Material aus der Raumforderung ist nicht purulent UND 0–7d 0–7d ● Fehlen lokaler Entzündungszeichen ODER ● Keine Besserung auf antimikrobielle Therapie ● Ist >2,5cm Knoten 0–7d 0–7d ● Persistiert >1 Monat ● Ärztlich diagnostiziert UND ● Charakterisiert durch mindestens 3 lokale Zeichen oder Cellulitis 0–7d 0–7d Symptome: Schmerz oder Berührungsempfindlichkeit, Erythem, Verdickung oder Schwellung, Überwärmung Systemische Reaktionen ● Fieber*, wenn es im Zusammenhang mit irgendeiner anderen Fieber 0–72h 5–12d der beschriebenen (lokalen +/- systemischen) Reaktionen auftritt ● Generalisiertes Exanthem, für das ärztliche Hilfe gesucht wird und von dem eine Beziehung zur Impfung angenommen wird Exanthem 0–7d 5–26d ● Jegliches Exanthem, das Hospitalisierung oder Notfallbehandlung erfordert ● Vergrößerung eines oder mehrerer Lymphknoten, ≥1,5cm Lymphadenopathie UND/ODER 0–6d 1–6m ● Sezernierender Abszess über einem Lymphknoten ● Ärztlich diagnostiziert UND Hypoton- ● Reduzierter Muskeltonus UND hyporesponsive ● Hyporesponsivität UND 0–48h 0–48h Episode (HHE) ● Blässe oder Zyanose UND ● Kind unter 2 Jahren (Persistierendes) ● Kontinuierliches, unaufhörliches Schreien, das mindestens 3h Schreien, Säuglinge 0–72h 0–72h dauert bis zum 1. Lebensjahr Parotitis/Orchitis ● Ärztlich diagnostiziert nach MMR-Impfung / 5–30d ● ≥3 Episoden in 24h UND Erbrechen/Diarrhoe ● Schweres Zustandsbild (z.B. explosives Erbrechen, wässrige 0–72h 0–72h Diarrhoe) 8 Dezember 2013
Tot- Lebend- AEFI Kriterien impfung impfung Allergische Reaktionen Allergische ● Jegliche allergische Reaktion (Quaddeln, Bronchospasmus, 0–72h 0–72h Reaktionen Ödem) innerhalb von 72h nach Impfung ● Alle AEFI, die zum Zeitpunkt des Auftretens als Anaphylaxie Anaphylaxie 0–24h 0–24h behandelt werden Okulo- ● Beidseits gerötete Augen und respiratorische Symptome Influenza: respiratorisches innerhalb von 24h nach Influenzaimpfung 0–24h Syndrom (ORS) Neurologische Ereignisse ● Febrile oder afebrile Krampfanfälle, sofern sie innerhalb des Krampfanfall 0–3d 5–42d angegebenen Zeitraums auftreten Enzephalopathie/ ● Ärztlich diagnostiziert 0–15d 2–42d Enzephalitis Meningitis ● Ärztlich diagnostiziert und ohne andere erkennbare Ursache 0–15d 2–42d Parästhesien ● Ärztlich diagnostiziert mit Dauer >24h 0–7d 0–7d Lähmung ● Ärztlich diagnostiziert mit Dauer >24h 0–15d 0–42d GBS ● Ärztlich diagnostiziert 0–8w 0–3m Idiopathische ● Ärztlich diagnostiziert 0–8w 0–3m Fazialisparese Verschiedene Thrombozytopenie ● Ärztlich diagnostiziert innerhalb von 30d nach Impfung 0–30d 0–30d Nach ● Jegliche Arthralgie/Arthritis nach MMR-Impfung, die länger als MMR- Arthralgie/Arthritis / 24h dauert Impfung: 0–42d Nach Rotavirus- Intussuszeption ● Jegliche Intussuszeption nach Rotavirusimpfung / impfung: 0–42d Synkope mit ● Jegliche Synkope mit Verletzung nach Impfung 0–24h 0–24h Verletzung ● Jeglicher, zeitlich mit der Impfung verbundener Todesfall, in Innerhalb Innerhalb Tod dem keine andere Todesursache gefunden werden kann 1m 1m Fötaler Tod oder ● Jeglicher fötale Tod oder jegliche fötale Anomalie nach / / Anomalie Impfung einer schwangeren Frau *Fieberdefinitionen siehe Tabelle 4 (Seite 4); h = Stunden, d = Tage, w = Wochen, m = Monate; MMR = Masern/Mumps/Röteln; GBS = Guillain-Barré-Syndrom Quelle: adaptiert nach [17] Dezember 2013 9
meldet wird, das aus den klinischen Studien unbekannt oder Diese bilden jedoch nicht die Realität an tatsächlichen Neben- in anderer Ausprägung bekannt war, dann bedingt ein solches wirkungen ab, da in Österreich manche Impfstoffe nur in klei- Signal eine tiefergehende Analyse und genaue Beachtung. ner Stückzahl bzw. periodisch schwankend verimpft werden. Details zur Signaldetektion finden sich im Supplementartikel Zusätzlich spielen weitere Faktoren eine Rolle, wie z.B. die der AGES zu diesem Thema (http://goo.gl/b4HGh2). Die Unkenntnis tatsächlich verimpfter Dosen (da nur Verkaufs- Pharmakovigilanzsysteme sind also besonders geeignet, sehr zahlen vorliegen), das Meldeverhalten der „Health Care seltene und auch bisher unbekannte Nebenwirkungen zu er- Workers“ (HCW), das Medieninteresse oder die Einführung ei- fassen. Und es werden, da keinerlei Vorselektion besteht, nes gänzlich neuen Impfstoffs. auch Daten aus allen Bevölkerungsteilen gesammelt, also Trotz dieser Limitationen und Verzerrungen und auch, um für auch jenen, die aufgrund individueller – meist gesundheitli- die gelisteten Impfstoffe eine ungefähre Vorstellung an ge- cher – Probleme nicht an den klinischen Studien teilnehmen meldeten Daten abzubilden, wurden die Impfstoffhersteller durften. gebeten, die Daten aus ihren Pharmakovigilanzsystemen Tab. 9: Sechsfachimpfstoff bei Kleinkindern – mögliche AEFI* Di/Tet/Pert/Polio/HepB/Hib – Adj (Sechsfach-Impfstoff) Nebenwirkungen sehr häufig Appetitverlust, ungewöhnliches Schreien, Reizbarkeit, Phase I–III (inkl. >1/10 Unruhe, Fieber >38°C, Lokalreaktionen (Schmerzen, Postmarketing-Daten) Rötung, Schwellung bis 5cm), Mattigkeit häufig Erregbarkeit, Durchfall, Erbrechen, Fieber >39,5°C, >1/100 (< 1/10) Lokalreaktionen (Verhärtung, Schwellung >5cm) gelegentlich Somnolenz, Husten, diffuse Schwellung an der >1/1.000 (1/10.000 (
offenzulegen. Auch hier wurde darauf verzichtet, spezifische D. Zeitliche Beziehung Daten eines Herstellers dem jeweiligen Präparat zuzuordnen, Zwischen dem Ereignis und der Verabreichung eines sofern dies nicht aufgrund der Tatsache, dass es nur ein Impfstoffes sollte eine eindeutige zeitliche Beziehung beste- Produkt gibt, ohnedies zwangsläufig erfolgt. hen. Die Verabreichung des Impfstoffes sollte den frühesten Anzeichen des Ereignisses oder einer eindeutigen Um einen realitätsnahen Bezug zu haben, wurden nur maxi- Verschlechterung einer andauernden Gesundheitsstörung mal drei Parameter erfasst und pro 100.000 verkaufte (dies vorausgehen. mit der Ungenauigkeit, dass „verkauft“ nicht immer „verimpft“ bedeutet) Dosen des Impfstoffes angegeben: Gesamtzahl al- E. Biologische Plausibilität ler gemeldeten Nebenwirkungen (AE = Adverse Event), Der Zusammenhang zwischen dem Ereignis und der Gesamtzahl der als „schwerwiegend“ eingestuften Neben- Verabreichung eines Impfstoffes sollte schlüssig sein, d.h. wirkungen (SAE = Severe Adverse Event) und – bei pädiatri- glaubwürdig und erklärbar entsprechend den bekannten schen Impfstoffen – als wichtigen orientierenden Parameter Tatsachen über den natürlichen Verlauf und die Biologie für Ärzte und Eltern die Fieberhäufigkeit. Es ist letztlich auch (Gesetzmäßigkeit) der Erkrankung. zu betonen, dass die Vigilanzdaten teilweise aus unterschied- Aus diesem Grund wird heute als Teil einer Impfstoffzulassung lichen Zeitperioden stammen. Die Autoren meinen, dass sie ein Risikomanagementplan gefordert. Bei der Impfstoff- trotzdem vergleichbar sind, da darauf geachtet wurde, dass sicherheit nach Zulassung sind zwei Aspekte zu unterschei- sich die beobachtete Arzneimittelspezialität als solche nicht den, nämlich die passive und die aktive Surveillance. Passive verändert hat. Surveillance umfasst Spontanberichte von AEFI, Disproportio- nalitätsanalysen und „Observed vs. expected“-Analysen. Als Beispiel für die genannte tabellarische Darstellung wer- Aktive Surveillance besteht aus Phase-IV-Studien, epidemio- den hier die Daten für den Sechsfachimpfstoff bei Klein- logischen Studien und dem Verlinken von großen Daten- kindern gezeigt (Tab. 9). banken. 4.1 Hintergrundinzidenz versus Risikoerhöhung einer 4. Kausalitätsbeurteilung von AEFI Erkrankung nach Impfung Um bei der Einführung einer Impfung und dem Auftreten Laut WHO gibt es fünf Kriterien zur Kausalitätsbeurteilung eventuell mit dieser Impfung assoziierter Krankheitsbilder einer AEFI, wobei für die Zuordnung des Kausalbezugs nicht überhaupt solide Daten zu haben, muss man zuerst die übli- alle fünf erfüllt sein müssen [19]. Dies sind: cherweise in der Bevölkerung auftretende Zahl derartiger Erkrankungen bestimmen. Diese Zahl wird als „Hintergrund- A. Vereinbarkeit, Folgerichtigkeit morbidität“ bezeichnet. Erst wenn sich bei Einführung einer Der Zusammenhang des Ereignisses mit der Verabreichung Impfung eine über der Hintergrundmorbidität liegende eines Impfstoffes sollte gleichbleibend sein, d.h. wiederhol- Häufung eines Krankheitsbildes abzeichnet, wird dies als bar an verschiedenen Orten, durch verschiedene Untersucher, Signal zu werten sein. durch verschiedene Untersuchungsmethoden, und zur glei- chen Schlussfolgerung führen. Im Zusammenhang mit der Einführung der HPV-Impfung wurde die Hintergrundmorbidität bestimmter Erkrankungen B. Stärke des Zusammenhangs bei Mädchen und jungen Frauen ermittelt, noch bevor der Der Zusammenhang des Ereignisses mit der Verabreichung Impfstoff zur Verfügung stand. Es wurde also untersucht, wel- eines Impfstoffes sollte stark im epidemiologischen Sinn sein che Erkrankungen in zeitlichem Zusammenhang mit der und es sollte eine Dosis-Wirkung-Beziehung mit dem Impf- Impfung aufgetreten wären, wenn man bereits mit der stoff bestehen. Impfung begonnen hätte. Dabei fand man, dass innerhalb von sechs Wochen nach einer hypothetisch erfolgten HPV- C. Spezifität = zuverlässige Zuordnungsmöglichkeit Impfung pro 100.000 weibliche Impflinge 81,3 Fälle von bzw. Unterscheidbarkeit Asthma, 45,8 Fälle von Allergien, 12,8 Fälle von Diabetes, 4,05 Der Zusammenhang des Ereignisses mit der Verabreichung Fälle von entzündlichen Darmerkrankungen, 4,0 Fälle von eines Impfstoffes sollte unverwechselbar (charakteristisch, Schilddrüsenerkrankungen, 2,0 Fälle von systemischem einzigartig) mit dem Impfstoff sein und nicht häufig, spontan Lupus erythematodes und ein Fall von multipler Sklerose oder allgemein im Zusammenhang mit anderen Reizen oder oder Optikusneuritis auftreten würden (Hintergrundinzidenz). Umständen vorkommen. Es gibt demnach eine nicht unerhebliche Zahl von mehr als Dezember 2013 11
einem Patienten pro 1.000 Geimpfte, die rein zufällig auftre- Sicht die gelistete Nebenwirkung ein verifiziertes Ereignis dar- ten würden und in unmittelbaren Zusammenhang mit einer stellt, während aus wissenschaftlicher Sicht die Ätiologie un- Impfung gebracht werden könnten (16). Diese Zahlen galten geklärt ist und die Impfung als Ursache lediglich nicht ausge- als Basisinformation für die Bewertung von AEFI nach HPV- schlossen werden kann. Impfung und zeigten, dass die erhobene Hintergrundinzidenz dieser Zustände in keinem einzigen Fall durch die HPV- Selbst bei sehr großen Patientenzahlen in Zulassungsstudien Impfung signifikant zunahmen. gibt es gewisse statistisch bedingte Grenzen für die Möglich- keit, seltenere Nebenwirkungen vor Zulassung eines Impf- Allerdings ist auch darauf hinzuweisen, dass dieser Unter- stoffs zu erfassen. Die Zahl der notwendigen Studienteil- schied keineswegs in allen Fällen konsequent durchgehalten nehmer zur Erfassung eines erhöhten Risikos für bestimmte wurde bzw. wird. Für jeden neuen zur Zulassung eingereich- Nebenwirkungen hängt einerseits von der Hintergrund- ten Impfstoff wird das Dossier bestehend aus Daten zur inzidenz des jeweiligen Ereignisses ab, andererseits von der Herstellung, Präklinik und Klinik evaluiert und das Nutzen- Erhöhung des relativen Risikos durch die Impfung. Sind so- Risiko-Profil in der Produktinformation entsprechend abge- wohl Hintergrundinzidenz als auch relatives Risiko niedrig, so bildet. Da die Herstellung von Impfstoffen selbst bei identer geht die notwendige Teilnehmerzahl ins Extreme. Wie in Indikation (z.B. FSME) mitunter verschieden ist und auch un- Tabelle 10 ersichtlich, müsste man z.B., um gegenüber der terschiedliche Studiendesigns eine Rolle spielen, werden Hintergrundinzidenz einer Erkrankung von 1:10.000 ein fünf- Studien verschiedener Dossiers nicht direkt verglichen. Kann fach erhöhtes Risiko einer Erkrankung durch Impfung zu er- die Kausalität eines Ereignisses im Zusammenhang mit der fassen, über 30.000 Probanden in eine Studie einschließen. Verabreichung eines Arzneimittels nicht mit absoluter Sicherheit ausgeschlossen werden, wird es in die Fach- und Ein historisches Beispiel ist das Auftreten von Intussuszeptionen Gebrauchsinformation des jeweiligen Produktes aufgenom- nach oraler Rotavirusimpfung (RRV-TV – RotaShield®), eine men. Viele Hersteller sehen eine Aufnahme solcher zeitlich AEFI, die trotz Phase-III-Studien mit über 60.000 Teilnehmern assoziierten, aber kausal unklaren unerwünschten Ereignisse erst im Zuge der Postmarketing-Surveillance erkannt wurde – in die Produktinformation als Sicherheitsmaßnahme an, da dieser Impfstoff wurde in der Folge vom Markt genommen zumindest darauf hingewiesen wird, dass derartige Ereignisse [20]. Das Risiko einer Invagination durch die heute verwende- nach der Impfung auftreten können bzw. nicht mit Sicherheit ten, weiterentwickelten Rotavirusimpfstoffe liegt bei etwa auszuschließen sind. 1:65.000 [21]. Ein Kuriosum stellen die Produkte Varivax® und ProQuad® dar, in deren Produktinformationen u.a. Nebenwirkungen wie z.B. 5. Gefürchtete Langzeitnebenwirkungen ein Schlangenbiss als „nicht giftiger Biss/Stich“ oder ein Einer der häufigsten Befürchtungen von Eltern ist der Sonnenbrand gelistet sind. In solchen Fällen ist es offensicht- Verdacht auf einen Zusammenhang zwischen Impfungen lich, dass kein Kausalzusammenhang besteht. Im forensischen und Autismus und der Entstehung von Allergien und Auto- Sinn ist dieses Vorgehen besonders bei seltenen Erkrankungen immunitäten nach Impfungen [23]. Aufgrund der Wichtig- wie z.B. der ätiologisch ungeklärten Opticusneuritis kritisch zu betrachten, da – wie Prozesse aus der jüngsten Tab. 10: Notwendige Zahl an Studienteilnehmern pro Gruppe Vergangenheit zeigen – der Unterschied zur Erfassung eines erhöhten Risikos zwischen Nebenwirkung (kausaler Zusammenhang) und AEFI (Ereignisse, Relatives Risiko bei Impfung die einen zeitlichen jedoch nicht zwin- Hintergrundinzidenz 2 5 10 20 gend einen kausalen Zusammenhang zur Impfung aufweisen) juristisch nicht 1/100 2.515 332 121 50 erkennbar ist. Hier wird davon ausge- 1/1.000 25.476 3.416 1.272 551 gangen, dass ein Ereignis, das in der 1/10.000 255.083 34.246 12.780 5.564 Fachinformation als Nebenwirkung ver- m er k t is t , auch ein en k aus al en 1/100.000 2.551.155 342.554 127.860 55.690 Zusammenhang mit der Impfung auf- Legende: Schattierte Zellen deuten realistisch erreichbare Zahlen von Studienteilnehmern an. weisen muss. Dadurch ergibt sich das Quellen: [22] Problem, dass einerseits aus juristischer 12 Dezember 2013
keit wird diesem Thema für eine entsprechende Beratung Studien, die T-Zell-Antworten von gesunden und MS in der Praxis noch ein eigenes Paper gewidmet werden. Im Patienten nach HBV-Impfung untersuchten, konnten weder Folgenden sind aber bereits hier klassische Beispiele veränderte Lymphozytenantworten noch bestimmte HLA- (Autismus, MS, GBS, SIDS, Allergien) angeführt, bei denen Assoziationen finden [47, 48]. Sicherlich werden weitere im- klar ein Zusammenhang zwischen Impfung und Entstehung munologische Untersuchungen über den Einfluss von von bestimmten Erkrankungen widerlegt werden kann: Infektionen auf den Verlauf einer MS und dabei gebildete kreuzreagierende Antikörper gegen neuronales Gewebe Große, gut designte epidemiologische Studien [24-29] und mehr Aufschluss über die pathopysiologischen Vorgänge systematische Reviews [30, 31] haben keine ausreichenden dieser Erkrankung liefern. Beweise gefunden, um eine Assoziation zwischen Lebend- impfstoffen wie Masern-Mumps-Röteln und Autismus oder Ein Zusammenhang zwischen Impfungen und dem Auftreten auch anderen Entwicklungsstörungen andererseits zu bele- des Guillain-Barré-Syndroms (GBS) wurde ebenfalls postuliert, gen [32]. konnte jedoch weder für die Meningokokken-Konjugat- impfung [49] noch für eine Reihe anderer Routineimpfungen Eine Studie von Wakefield, die 1998 publiziert [33] und [50] bestätigt werden. Lediglich nach der Influenza-H1N1- 2010 vom „Lancet“ zurückgezogen wurde [34], vermutete Impfung kam es zu einem minimalen Anstieg von GBS-Fällen anhand einer Fallserie von nur zwölf Kindern ohne Kontroll- in der Größenordnung von 1–2 zusätzlichen Fällen pro einer gruppe einen Zusammenhang zwischen MMR-Impfung Million Geimpfter [51-53]. Doch auch hier übersteigt das und Autismus. Die darauf folgenden Diskussionen führten Krankheitsrisiko der Influenza bei Weitem das geringe GBS- zu großer Verunsicherung und zum Rückgang der MMR- Risiko. Zudem sei in diesem Zusammenhang nochmals auf Durchimpfungsrate in einigen Ländern, z.B. in Groß- die Hintergrundmorbidität (Punkt 4.1) verwiesen. britannien von 92% (1995–96) auf 80% (2004). Im weiteren Verlauf konnte eine ganze Reihe akribisch genauer und Zwischen dem plötzlichen Kindstod („Sudden Infant Death groß angelegter Studien keinen Zusammenhang zwischen Syndrome“ – SIDS) und Impfungen gibt es keinen Zusammen- Autismus und MMR-Impfung finden [35]. Obwohl mittler- hang [54-56], bzw. scheinen Impfungen das SIDS-Risiko so- weile gezeigt wurde, dass die besagte Studie eine vorsätz- gar zu senken [57-61]. liche Fälschung war, wird der damals vermutete Zusammen- hang immer noch zitiert. Im Zuge der „Hygiene-Hypothese“, die postuliert, dass es durch steigende hygienische Maßnahmen und dadurch ge- Was die multiple Sklerose (MS) anlangt, so gibt es zwei gut ringere Auseinandersetzung des Immunsystems mit mikro- designte, groß angelegte und wissenschaftlich akribisch biellen Erregern zu einer Verschiebung der Immunantworten durchgeführte Studien, die einen Link zwischen Hepatitis- in Richtung Allergien und allergischen Reaktionen kommt, B(HBV)-Impfung und MS [36] bzw. einer Reihe verschiedener wurden auch Impfungen für einen reduzierten mikrobiellen Impfungen und MS [37] ausschließen. In ähnlicher Weise Druck auf das Immunsystem verantwortlich gemacht, so- konnte auch keine Assoziation zwischen der FSME-Impfung dass vermehrt Allergien entstehen könnten. Eine jüngst und einer mittels MRI nachgewiesenen MS-Aktivität, einem durchgeführte Studie mit mehr als einer halben Million Schub oder einer Krankheitsprogression festgestellt werden Kindern stellt aber die Hygienehypothese insofern infrage, [38]. Im Rahmen eines WHO-Positionspapiers zur FSME- als sie aufzeigt, dass gerade eine atopische Immunitätslage Impfung [39] wurde bestätigt, dass selbst groß angelegte mit einer erhöhten Suszeptibilität für bestimmte Infektionen Postmarketingstudien keinerlei Anzeichen für Severe Adverse einhergeht und daher ein Schutz durch Impfungen bei ato- Events – zu denen auch MS zählt – festgestellt wurden (die pischen Personen besonders vorteilhaft ist [62]. Zudem häufigsten Reaktionen beziehen sich auf erhöhte Temperatur konnten zahlreiche Studien zeigen, dass es zu keinen erhöh- und Schmerzen an den Einstichstelle). ten allergischen Reaktionen, Asthma, atopische Dermatitis etc. nach Impfungen gekommen ist [63-66]. Systematische Reviews bestätigen diese Resultate [40-42]. Nur in einer Studie wurde ein Zusammenhang zwischen Die wissenschaftlichen Studien zur Impfstoffsicherheit, die in HBV-Vakzinierung und MS postuliert [43]. Diese Studie zeig- den letzten Jahren vermehrt durchgeführt wurden, zeigen te aber eine Reihe von methodologischen Problemen und mit zunehmend robuster Datenlage klar auf, dass die Nutzen- Ungenauigkeiten. Dementsprechend konnte dieses Ergebnis Risiko-Relation von Impfungen sowohl für den Einzelnen als auch nicht in einer großen Studie mit entsprechend großer auch für die Gesamtpopulation eindeutig zugunsten der Datenbank bestätigt werden [42, 44-46]. Immunologische Impfungen zu bewerten ist. Dezember 2013 13
6. Rolle von Hilfsstoffen, insbesondere Die Notwendigkeit zur Verwendung von Adjuvanzien ergibt Adjuvanzien sich hingegen bei proteinbasierten Vakzinen (hoch gereinigte, rekombinante oder Teilantigenimpfstoffe). Abgesehen von Impfantigenen enthalten Impfstoffe auch wei- Nach der Funktion lassen sich zwei Arten von Adjuvanzien un- tere Inhaltsstoffe, die man in Hilfsstoffe und Produktions- terscheiden, zum einen solche, die als Vehikel, Carrier oder rückstände einteilen kann. Bei Hilfsstoffen handelt es sich um Depot fungieren, zum anderen solche, die als Immun- Adjuvanzien, Stabilisatoren und Konservierungsmittel (z.B. stimulatoren wirken. In erstere Kategorie der in den derzeit li- Thiomersal, das mittlerweile allerdings aus nahezu allen Impf- zensierten Impfstoffen verwendeten Adjuvanzien zählen stoffen eliminiert wurde), bei Produktionsrückständen um Mineral(Aluminium)salze, Emulsionen (Squalene/Wasser), Substanzen aus dem Herstellungsprozess, die in Spuren im Virosomen oder Virus-like Particles. Zur zweiten Kategorie zäh- Endprodukt vorhanden sein können, z.B. Formaldehyd von der len die Immunstimulatoren wie z.B. Toll-like-Rezeptor-4- Inaktivierung, Antibiotika (jedoch keine Penicilline oder Agonisten (Monophosphoryl-Lipid A) oder bakterielle Toxine. Cephalosporine) oder Fremdproteine wie z.B. Ovalbumin oder Humanalbumin. Solche Substanzen können grundsätzlich zu Am längsten bekannt sind Aluminium-hältige Adjuvanzien allergischen oder toxischen Nebenwirkungen (AEFI) führen; (im Jahre 1925 von Gaston Ramon und Alexander Glenny ent- dies ist allerdings nur sehr selten der Fall. Generell ist festzuhal- deckt und seither in Verwendung), obwohl ihr genauer ten, dass seit der Einführung der Kombinationsimpfstoffe die Wirkmechanismus erst vor Kurzem erforscht und größtenteils Gesamtmenge an Hilfs- und Zusatzstoffen in Impfpräparaten erklärt wurde [68, 69]. Ein längeres Verweilen von Aluminium- stark reduziert wurde. Im Falle von Formaldehyd, einer Substanz, Depots wurde bei Patienten, die wegen suspekten inflam- die u.a. vom eigenen Stoffwechsel produziert wird und mit der matorischen Muskelerkrankungen biopsiert wurden, an der Nahrung aufgenommen wird, ist die im Impfstoff enthaltene Injektionsstelle nachgewiesen. Diese Erkrankung wurde als Menge vergleichsweise äußerst gering: in Impfstoffen sind Makrophagische Myofasziitis (MMF) beschrieben [70, 71]. Die 0,001 maximal 0,2 mg enthalten. Mit der Nahrung werden täg- Tatsache, dass MMF bei nur sehr wenigen Personen auftritt, lich bis zu 14mg Formaldehyd aufgenommen und die tägliche kann durch eine bestimmte HLA-Assoziation (HLA-DRB1*01) Eigenproduktion beträgt etwa 50 mg bei einer Halbwertszeit erklärt werden. Die derzeit ungenügende Datenlage für einen von 1,5 Min. [67]. kausalen Zusammenhang zwischen Aluminium-hältigen Weiters wurden viele Impfstoffe „re-formuliert“ und werden Impfstoffen und dieser Erkrankung rechtfertigt es in keiner nun ohne nennenswerte Mengen an Hilfsstoffen, die Anlass Weise, die Sinnhaftigkeit von Impfungen infrage zu stellen, zur Sorge für Nebenwirkungen gegeben haben, angeboten. unterstreicht aber klar die Notwendigkeit für entsprechende Im Zuge der Herstellung von Einmalspritzen konnte auf die epidemiologische Follow-up-Studien. Zugabe von Konservierungsmittel völlig verzichtet werden Squalen-hältige Adjuvanzien wie MF59TM oder AS03TM erhö- (z.B. Formaldehyd) und somit die Gesamtmenge an Hilfs- bzw. hen die Antigenaufnahme und aktivieren lokale Immunzellen Zusatzstoffen stark reduziert werden. [72-74]. Ein Zusammenhang zwischen Squalen und dem soge- In vielen Fällen ist es zudem möglich, auf einen anderen Impf- nannten Golfkriegssyndrom wurden in entsprechenden stoff auszuweichen, der den betreffenden Hilfs-/Zusatzstoff Studien nicht bestätigt [75, 76]. Einen tatsächlichen Zusammen- nicht enthält, wodurch eine tatsächliche Kontraindikation zu hang gibt es aber offenbar zwischen der Verabreichung der einer Impfung in den meisten Fällen nicht gegeben ist [67]. ASO3-adjuvantierten H1N1-Impfung (Pandemrix®) und dem Auftreten von Narkolepsien. Daten dazu existieren vor allem Die Aufgaben von Adjuvanzien bestehen in einer Verstärkung aus Finnland [77], Schweden [78] und England [79]. Die der Immunogenität von Impfantigenen, der Verringerung der Assoziation war trotz der Möglichkeit von Fehlerquellen (die Antigendosis und der Reduktion der Anzahl an Immuni- Zahl der Narkolepsiemeldungen stieg nach dem ersten sierungen, der Induktion von Langzeitimmunität, der Immun- Medienbericht in Finnland stark an, man spricht von einem modulation (B-Zell-/T-Zell-Immunität), der Verbesserung der „Awareness-Bias“) so stark, dass sie nicht durch zufällige Effektivität von Impfungen bei Immuninkompetenten (Älteren, Schwankungen erklärt werden konnte. Die Ursache der Immunsupprimierten, Neugeborenen) und der verbesserten Narkolepsie ist unbekannt. Es gibt aber eine Beziehung zu Antigenaufnahme über die Mukosa. Adjuvanzien sollen ein HLA-DQB1*0602. Hypocretin-1-Defizienz könnte durch die niedriges Nebenwirkungsprofil bzw. eine geringe Toxizität auf- Impfung in Kombination mit dem Adjuvans (Squalen, Vitamin weisen. Im Gegensatz zu früher werden heute Adjuvanzien be- E, Polysorbat 80) getriggert werden. reits im Rahmen der Impfstoffherstellung getestet. Nicht not- Neuere Adjuvanzien sind u.a. Virosomen, Toll-like-Rezeptor- wendig sind Adjuvanzien in Lebendimpfstoffen, viralen oder Agonisten und mukosale Adjuvanzien; für Letztere gibt es mit bakteriellen Ganzzellvakzinen und Polysaccharidimpfstoffen. der transkutanen Verabreichung auch einen neuen Applikations- 14 Dezember 2013
weg. Allerdings sind die klinischen Erfahrungen mit neueren Unterscheidung zwischen Impfreaktion, Impfkrankheit und Adjuvanzien bei bestimmten Patientengruppen, wie vor allem Impfkomplikation trifft (siehe Punkt 2 – „Definitionen“). bei Kindern und schwangeren Frauen, noch gering. Vermehrte Studien zu den genauen Wirkmechanismen von Zur Kausalitätsbeurteilung muss der Gutachter zunächst fest- Adjuvanzien sind im Gange, um die Effekte von Adjuvanzien stellen, ob eine eindeutige Diagnose vorliegt. Dazu sind fol- erklären und mögliche Zusammenhänge mit immunologi- gende Fragen zu beantworten: schen/(patho)physiologischen Vorgängen besser verstehen und auch vorhersehen zu können. ● Wurde eine Impfung durchgeführt, welche, Charge, wann, wo? ● Liegt eine dauernde Gesundheitsschädigung vor? 7. Forensische Aspekte: Impfschäden ● Welche Auswirkung hat die festgestellte Gesundheits- schädigung? Grundlage für die gutachterliche Beurteilung von vermute- ● Ist die Differenzialdiagnose anderer möglicher ten Impfschäden ist das Impfschadensgesetz, das eine Erkrankungen abgeklärt? Abb. 3a: Management von AEFI – Lokalreaktionen LOKALREAKTION v MITTELSCHWERE GROSSE LEICHTE LOKALREAKTION: LOKALREAKTION LOKALREAKTION: Rötung 50–120mm ± KOMPLIKATIONEN: Rötung 120mm Durch- Durchmesser, Schwellung, Juckreiz; messer, Schmerzen, Schmerzen, Schwellung, Verdickung bzw. Knoten; Schwellung bis zum Juckreiz; Verdickung Taubheitsgefühl, Ellbogen oder ganzer bzw. Knoten Kribbeln; Brennen Arm; lokales Exanthem Dokumentation inkl. KEINE Fotografieren; Aufklärung; Dokumentation, ev. Patienten der nächs- REAKTION Aufklärung, Dokumentation, ten Behandlungsebene Symptombehandlung; Aufklärung, vorstellen; Symptombe- Vermeidung größerer Symptombehandlung handlung; Meldung an körperlicher die AGES; Vermeidung Anstrengungen größerer körperlicher Anstrengungen Weiterimpfen wie Bei mittelschwerer Lokalreaktion weiterimpfen geplant; größere wie geplant; vor der nächsten Dosis Prämedikation; körperliche Anstrengung eventuell Veränderung von Impfintervall für 24–48h nach nächster (wenn möglich Impfroute) erwägen; falls Lokalreaktion Impfdosis unterlassen, nach nächster Dosis geringer ➞ weiterimpfen; falls Lokal- um Verstärkung der reaktion wieder auftritt, persistiert bzw. sich verschlech- Lokalreaktion tert: Reevaluierung, zeitweiliges Aussetzen der Impfung zu vermeiden erwägen, weitere medizinische Abklärung Quelle: adaptiert nach [81] Dezember 2013 15
Für die Anerkennung eines Impfschadens muss eine ● Welche ärztlichen Befunde sprechen für einen Wahrscheinlichkeit für einen Zusammenhang zwischen Zusammenhang mit der Impfung? Impfung und Erkrankung gegeben sein. Das heißt, dass nach ● Wie gewichtig ist jede einzelne dieser Pro- der geltenden wissenschaftlichen Lehrmeinung erheblich Schlussfolgerungen? mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang ● Welche ärztlichen Befunde sprechen gegen einen spricht. Die bloße Möglichkeit einer Verursachung reicht für Zusammenhang mit der Impfung? die Begründung eines Anspruchs nicht aus. Die ärztlichen ● Wie gewichtig ist jede einzelne dieser Kontra- Sachverständigen dürfen sich nicht darauf beschränken, einen Schlussfolgerungen? ursächlichen Zusammenhang zu verneinen oder zu bejahen. Die Behörde hat anhand der dem Gutachten zugrunde geleg- Zur Darstellung und Bewertung eines wahrscheinlichen kau- ten Tatsachen die Schlüssigkeit des Gutachtens kritisch zu prü- salen Zusammenhanges ist es sehr bedeutsam, ob ein biolo- fen und einer sorgfältigen Beweiswürdigung zu unterziehen. gisch plausibler Grund als Ursache vorliegt und ob die Die Darstellung eines wahrscheinlichen kausalen Zusammen- Symptome als Impfreaktion oder -komplikation in der hanges im Gutachten hat folgende Punkte zu berücksichtigen: Literatur bekannt sind. Abb. 3b: Management von AEFI – Systemische Reaktionen SYSTEMISCHES Grippeähnliche bzw. Virusinfektions-artige Symptomgruppen Myalgien, Arthralgien, Virusinfektions-ähnliche Respiratorische Gastrointestinale Andere Ereignisse: Arthritiden; Symptome Symptome Symptome Müdigkeit für >60 Tage; Kopfschmerzen; Innerhalb von 96h drei der Rhinitis bzw. Übelkeit, Erbrechen; Tinnitus, Schwindel; Kollaps oder Synkope; folgenden Symptome: rinnende oder Diarrhoe, klinisch suspekte Events reaktiver Angstzustand • Temperatur 38,1–39,2°C blockierte Nase, Bauchschmerzen, nach Lebendimpfungen (Erwachsene) bzw. Halsschmerzen Blähungen, 38,1–40,0°C (Kinder) Verdauungsstörung • Anorexie/Nausea • Myalgie/Arthralgie Dokumentierten; auf- • Malaise/Müdigkeit klären; Begutachtung • Schwindel, Kopfschmerzen Akutes Ereignis je nach klinischer Schwer/prolongiert: behandeln; Notwendigkeit; NSAR ≥96h bzw. Temperatur >39,2°C (Erw.) bzw. >40,0°C (Kinder) dokumentieren; als Prämedikation oder aufklären nach Impfung erwägen; Kopfschmerzen: NSAR Dokumentieren; Symptombehandlung; aufklären Bei leichten bis Bei leichten bis mittelschweren Ereignissen mittelschweren Ereignissen weiterimpfen; vor der nächsten Dosis Prämedikati- weiterimpfen; falls Begutachtung on sowie Veränderung von Impfintervall (wenn Ereignis(se) rezidiviert(en) veranlassen; möglich Applikationsart/Route) erwägen; oder sich verschlimmert(en): zeitweiliges Aussetzen falls nächste Dosis vertragen wird → weiterimpfen; Reevaluierung, zeitweiliges der Impfung, falls Ereignis(se) rezidiviert(en) oder sich Aussetzen der Impfung weitere medizinische verschlimmert(en): Reevaluierung, zeitweiliges erwägen und Meldung an Abklärung; Aussetzen der Impfung erwägen und Meldung AGES, je nach Ergebnis Meldung an AGES an AGES, je nach Ergebnis weiterer weiterer medizinischer medizinischer Abklärung Abklärung Quelle: adaptiert nach [81] 16 Dezember 2013
Zur Kausalitätsbeurteilung siehe auch die fünf WHO-Kriterien, Entschädigungen vor. Ein solcher Impfschaden besteht per de- die am Anfang von Punkt 4 dargestellt sind. finitionem dann, wenn durch eine Impfung eine schwere blei- bende Behinderung verursacht wird. Dabei handelt es sich In Österreich besteht laut §75 Arzneimittelgesetz sowie der dar- meist um neurologische Erkrankungen wie z.B. Lähmungen auf beruhenden Pharmakovigilanz-Verordnung für Ärztinnen oder geistige Behinderungen infolge einer Meningitis. Solche und Ärzte die Pflicht, Verdachtsfälle von Impfnebenwirkungen schweren Komplikationen treten äußerst selten auf. zu melden. Adressiert werden müssen diese Meldungen an das So wurden in den Jahren 2010 und 2011 insgesamt 36 Ver- Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) im fahren nach dem Impfschadensgesetz abgeschlossen, davon Rahmen der AGES-Medizinmarktaufsicht. Entsprechende aber 30 negativ und nur sechs positiv. Diese betrafen teils Meldebögen sind beim BASG erhältlich bzw. können im weit zurückliegende Impfungen (2x BCG, einmal mit Meningo- Internet unter www.basg.gv.at heruntergeladen werden [80]. enzephalitis [Impfung 1981], einmal mit eitrigem Granulom [Impfung 1953], 1x Pocken mit Hörschädigung [Impfung Impfschäden sind juristisch von der Impfnebenwirkung zu tren- 1976]). Die rezenteren Fälle betrafen eine 1995 durchgeführ- nen. Sie sind im Impfschadensgesetz abgehandelt und sehen te Polioimpfung bei einem 91-jährigen Patienten, bei der es EREIGNIS Hauterkrankungen: Neurologische Myo-/Perikarditis oder Anaphylaxie, fokal oder limitiert; Erkrankungen: andere systemische systemische allergische generalisierte periphere Neuropathie; Erkrankungen, die Reaktion*; Angioödem Hauterkrankung; Enzephalopathie, nach Impfung oder Schwellung, diffuse, blasenbildende Guillain-Barré-Syndrom, auftreten oder sich Serumkrankheit Dermatitis und/oder fokale neurologische verschlechtern Mukositis Erkrankung Akutes Ereignis Behandeln; Behandeln; Behandeln; behandeln; aufklären; dokumentieren, dokumentieren, dokumentieren; fotografieren; aufklären aufklären aufklären Biopsie erwägen Notwendige Allergologische Sofortige oder baldige Sofortige oder baldige Begutachtungen Begutachtung dermatologische neurologische veranlassen; veranlassen; Impfung Begutachtung; Begutachtung; zeitweiliges Aussetzen zeitweilig aussetzen; Impfung zeitweilig Impfung zeitweilig der Impfung erwägen; Meldung an AGES; aussetzen; Meldung aussetzen; Meldung Meldung an AGES; Impfung unbeschränkt an AGES; u.U. Impfung an AGES; u.U. Impfung u.U. Impfung aussetzen, sofern unbeschränkt unbeschränkt unbeschränkt erforderlich aussetzen aussetzen aussetzen *) Zur Anaphylaxiebehandlung siehe auch das Kapitel „Allergische Reaktionen bei Impfungen“ im Österreichischen Impfplan 2013 Dezember 2013 17
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