Ausblicke 8 - Zentrum für Krebsregisterdaten
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8 Ausblicke Als Abschluss des Berichts greifen wir Herausforderun- des Gesamtberichtes stellten, dienten als Einstieg in die gen, Erwartungen und Perspektiven auf, wie die Krebsbe- Diskussionen. Die vielfältigen Impulse aus den Dialogen kämpfung in Deutschland weiterentwickelt werden kann. haben dazu beigetragen, einen »Ausblick« zu wagen, wel- Anregungen hierzu kamen aus Gesprächen mit Patien- che Herausforderungen – auch gesundheitspolitische – in tenvertreterinnen und -vertretern sowie Expertinnen und Bezug auf einzelne Aspekte der Versorgung, Prävention und Experten aus der Grundlagen- und Anwendungsforschung, Erforschung von Krebserkrankungen in naher Zukunft auf aus Bereichen der Prävention und der onkologischen uns zukommen und welche Probleme, aber auch Lösungs- Versorgung. Fragen, die wir uns während der Konzeption wege gesehen werden. 8.1 Forschung Bisherige Ergebnisse aus der Krebsforschung haben zum lässt. Durch diese präzisere Diagnostik ändert sich auch einen zu großen Durchbrüchen bei der Krebsbekämpfung die Klassifizierung von Tumoren – die großen Tumorarten geführt. Zum anderen zeigen sie aber auch, wie komplex zerfallen in eine Vielzahl von Subtypen, mit jeweils weniger und heterogen Krebserkrankungen sind. Wissenschaftlerin- betroffenen Patientinnen und Patienten. nen und Wissenschaftler in Universitäten, Forschungsin- Bislang stehen wir am Anfang dieser präziseren Medizin. stituten, Kliniken und privaten Firmen arbeiten daran, die Therapeutische Durchbrüche, wie sie bei der Behandlung Kenntnisse über die Erkrankungen zu vertiefen. der Chronisch Myeloischen Leukämie mit Tyrosinkinase-In- hibitoren gelangen, sind in der individualisierten Medizin Grundlagenforschung und klinische Forschung noch die Ausnahme. Häufig sprechen die Tumoren zwar gut, aber nur vorübergehend auf diese Art von Behandlung Eine wichtige Aufgabe der Grundlagenforschung und der an. Viele der neuen Therapeutika lassen sich jeweils nur klinischen Forschung ist die Entwicklung neuer biomedi- bei wenigen Betroffenen einsetzen. Daher kommen für zinischer Diagnose- und Prognoseverfahren sowie Thera- die meisten Erkrankten derzeit noch die »klassischen« pien. In den Bereich einer personalisierten Medizin (auch Behandlungsmethoden (Operation, Chemotherapie und individualisierte Medizin oder Präzisionsmedizin genannt) Bestrahlung) vorrangig zum Einsatz, und die Optimierung setzen viele Menschen hohe Erwartungen, wenn es um die von Dosierungen, Kombinationen und Behandlungszyklen Therapie von Krebserkrankungen geht. bleibt zunächst noch ein wichtiges Gebiet der klinischen Doch was genau bezeichnet eigentlich der Begriff der Forschung. personalisierten Medizin? Schließlich wird jetzt schon jede Auch ist ein zunehmender Kostendruck auf das Gesund- an Krebs erkrankte Person individuell versorgt, denn jede heitssystem zu erwarten. Verstärkte Forschung zum patien- Erkrankung stellt unterschiedliche Anforderungen an Diag- tenrelevanten Zusatznutzen von Behandlungsmaßnahmen nostik, Prognose und Therapie. Die Behandlungsmethoden und die Festlegung des Preises auf Basis dieser Ergebnisse variieren bereits je nach Subtyp oder Schweregrad der Er- sind somit unabdingbar [2]. Seit Inkrafttreten des Gesetzes krankung; auch Begleiterkrankungen spielen eine Rolle bei zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes (AMNOG) bei- der Therapieentscheidung. spielsweise sind Pharmaunternehmen in der Pflicht, dem Die »molekular personalisierte« Medizin ist ein Bereich Gemeinsamen Bundesausschuss (G‑BA) für Arzneimittel der Präzisionsmedizin, in dem derzeit viel investiert und mit neuen Wirkstoffen den Zusatznutzen gegenüber einer intensiv geforscht wird. Ziel ist es, durch die Untersuchung zweckmäßigen Vergleichstherapie durch Studien zu belegen des menschlichen Erbguts weitaus umfassendere indi- [3]. Der G‑BA entscheidet, ob über den Preis verhandelt wer- viduelle Merkmale von Erkrankten zu erhalten als bisher. den darf. Liegt kein Zusatznutzen vor, wird das Arzneimittel Dies könnte – so die Hoffnung – eine präzisere Diagnose entweder direkt einer Festbetragsgruppe zugeordnet oder und Therapie ermöglichen und damit die Wirksamkeit und ein Preis auf Basis der zweckmäßigen Vergleichstherapie ver- Qualität der Behandlung verbessern [1]. Das sich rasch wei- handelt. Bei der Mehrzahl der bisher geprüften Arzneimittel terentwickelnde Verständnis der Tumorbiologie wurde erst handelt es sich um Präparate, die in der Behandlung onkologi- durch große Fortschritte in der biomedizinischen Forschung scher Erkrankungen Anwendung finden [4]. Ein patientenrele- ermöglicht. So können Tumormerkmale immer differenzier- vanter Zusatznutzen bemisst sich hierbei überwiegend an der ter auf molekularer Ebene charakterisiert und einzelne Pati- Verlängerung des Überlebens. Einer Analyse des Universitäts- entengruppen immer feiner voneinander abgegrenzt wer- klinikums Hamburg-Eppendorf zufolge wurden unter 66 bis den. In einigen Fällen bieten sich Angriffspunkte für neue Ende 2013 abgeschlossenen AMNOG-Verfahren insgesamt Arzneimittel, in anderen Fällen kann der Erfolg einer bereits lediglich in zwei Fällen der Endpunkt Lebensqualität unter bekannten Behandlungsmethode besser vorausgesagt wer- den tragenden Gründen angeführt, davon ein Arzneimittel den. Dadurch kann manchen Patientinnen und Patienten aus dem onkologischen Therapiespektrum [5]. Dem Erhalt eine belastende Therapie erspart bleiben, wenn diese bei der gesundheitsbezogenen Lebensqualität sollte als Thera- der bestehenden Krankheitsform keine Wirkung erwarten pieziel in Studien deutlich mehr Rechnung getragen werden. Kapitel 8 Ausblicke 257
In diesem Zusammenhang wird zudem für Deutschland gen onkologischer Erkrankungen besser zu verstehen und der Ausbau der öffentlich finanzierten Förderung klinischer dadurch möglicherweise Ansatzpunkte für therapeutische Studien gefordert [6, 7]. Auch eine unabhängige Institution Interventionen zu schaffen. wäre denkbar, die kontrollierte klinische Studien nach Arz- neimittelzulassung koordiniert beziehungsweise fördert. Bevölkerungsbezogene Krebsforschung und Dies wäre zum Beispiel für Kombinationstherapien von Versorgungsforschung Bedeutung, aber auch für die Behandlung von Patientinnen und Patienten mit Begleiterkrankungen, die in die Zulas- Studien, die die Verteilung von Krankheiten in Bevölke- sungsstudien meist nicht eingeschlossen werden. Eine rungsgruppen untersuchen - und nicht das Individuum in damit verbundene größere Transparenz und Zugänglichkeit den Mittelpunkt der Betrachtung stellen - sind eine wichtige zu laufenden Studien und deren Studienprotokollen könnte Ressource für die Untersuchung der Gesundheits-, der Le- außerdem dazu beitragen, unnötige Doppelforschung zu bens- und Versorgungsrealität sowie der Arbeitssicherheit. vermeiden und Ergebnisse in anderen Studien auf deren In Deutschland werden derzeit einige große Beobachtungs- Reproduzierbarkeit zu prüfen [8-10]. Die Verbesserung des studien mit mehreren tausend Teilnehmenden durchge- Zugangs der Öffentlichkeit zu detaillierten Ergebnissen führt. In Europa läuft mit Beteiligung zweier deutscher klinischer Prüfungen mit Arzneimitteln wird auch bereits Standorte seit 1992 die EPIC-Studie (European Investigation seit einigen Jahren von Vertretern der Ärzteschaft gefordert, into Cancer and Nutrition) [15]. In dieser werden mehr als um unabhängig von kommerziellen Interessen Nutzen und 520.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer in zehn europäi- Risiko neuer Arzneimittel bewerten zu können [11]. schen Ländern über einen Zeitraum von 15-20 Jahren unter- Auch auf europäischer Ebene findet ein Umdenken hin zu sucht. In Deutschland sind das Deutsche Krebsforschungs- größerer Transparenz statt. So hat die Europäische Arznei- zentrum (DKFZ) in Heidelberg und das Deutsche Institut für mittel-Agentur (European Medicines Agency, EMA) auf die Ernährungsforschung (DIfE) in Potsdam beteiligt. Forderung reagiert, jene Daten transparenter zu machen, Ein Beispiel für eine klinische Beobachtungsstudie ist die die den Entscheidungen der Behörde zugrunde liegen. Sie Prostatakrebsstudie »PREFERE« [16]. In dieser prospektiven setzte am 1. Januar 2015 eine EMA-Policy zur Publikation randomisierten Studie werden alle vier Therapieoptionen und zum Zugang zu klinischen Studiendaten in Kraft [12], der verglichen, die laut Leitlinie bei einem lokal begrenzten Pro- umfangreiche Konsultationen vorausgegangen waren. Für statakarzinom in Frage kommen: vollständige Entfernung klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln nach dem Arz- der Prostata, Strahlentherapie über die Haut, Bestrahlung neimittelgesetz besteht die Verpflichtung, bestimmte Daten mit implantierten Strahlungsquellen oder aktive Überwa- sowohl in der deutschen als auch in einer Europäischen chung. Von solchen Studien hängen unter Umständen Datenbank zu registrieren. Diese sind dort der Öffentlich- weitreichende Konsequenzen im deutschen Gesundheits- keit zugänglich [13]. Welche Inhalte zu veröffentlichen sind wesen ab. Dies wird deutlich, wenn man unter anderem die und deren Umfang, ist durch nationale und Europäische Entscheidung des G‑BA betrachtet, der seine Beratungen Regularien festgelegt. Eine darüber hinausgehende größere zur interstitiellen Low-Dose-Rate-Brachytherapie (Bestrah- Transparenz und Zugänglichkeit zu laufenden Studien und lung mit implantierten Strahlungsquellen) aufgrund der deren Studienprotokollen ist aufgrund der gesetzlichen begonnenen PREFERE-Studie bis Dezember 2030 ausge- Vorgaben nicht möglich. Für andere Studien, die diesen setzt hat. Zu diesem Zeitpunkt werden die Ergebnisse der Regelungen nicht unterliegen, beispielsweise Versorgungs- PREFERE-Studie erwartet [17]. forschungsstudien oder prognostische und diagnostische Die Nationale Kohorte, eine großangelegte Langzeit-Be- Studien, besteht dagegen die Möglichkeit einer darüber völkerungsstudie in Deutschland mit geplanten 200.000 hinausgehenden Transparenz und Zugänglichkeit. Teilnehmerinnen und Teilnehmern, wird zukünftig eine Die erfolgreiche Übertragung (Translation) dieser For- Vielzahl an epidemiologischen Untersuchungen zu häufi- schungsergebnisse vom Labor in die Versorgung setzt gen chronischen Krankheiten ermöglichen [18, 19]. Es ist weiterhin voraus, dass Grundlagenwissenschaftlerinnen vorgesehen, dass Daten der Krebsregister zur Bestätigung und -wissenschaftler sowie klinisch Forschende und kli- von Krebserkrankungen unter den Studienteilnehmerinnen nisch Tätige zumindest dieselbe Sprache verstehen. Sie und -teilnehmern verwendet werden. sollen qualitativ hochwertige Informationen zu aktuellen Grundsätzlich steht derzeit eine Vielzahl von Datenban- Forschungsergebnissen nicht nur finden, sondern die zur ken für die Analyse des Gesundheits- und Krankheitsgesche- Verfügung stehenden Informationsquellen auch kritisch hens sowie der Gesundheitsversorgung in Deutschland bewerten können. Hier kommt der Vermittlung grundle- zur Verfügung. Beispiele sind die Abrechnungsdaten der gender Wissenschaftskompetenzen in Aus-, Weiter- und vertragsärztlichen Versorgung, die fallpauschalenbezogene Fortbildung klinisch Tätiger eine zentrale Rolle zu [14]. Krankenhausstatistik (DRG-Statistik) und das »Informati- Ein wichtiges Netzwerk ist das vom Bundesministerium onssystem Versorgungsdaten« beim Deutschen Institut für für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Deutsche Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI), Konsortium für Translationale Krebsforschung. Dessen dessen Grundlage die Daten für die Berechnung des mor- Hauptziel ist einerseits die beschleunigte Translation grund- biditätsorientierten Risikostrukturausgleiches (Morbi-RSA) legender Forschungsergebnisse in die onkologische Praxis, sind. Diese Datenkörper weisen große Unterschiede in der zum Beispiel durch die Initiierung von frühen klinischen Detailtiefe und teilweise auch in der Datenqualität auf und Studien (Phase I bis IIb); andererseits sollen auch klinische sind in aller Regel nicht direkt verknüpfbar. Ein besonderes Beobachtungen zu neuen biologischen Untersuchungen Problem des »Informationssystems Versorgungsdaten« führen, beispielsweise um die mechanistischen Grundla- für Auswertungen zur onkologischen Versorgung stellt die 258 Kapitel 8 Ausblicke
Beschränkung der verfügbaren Daten auf die im Morbi-RSA nahmen zur Qualitätssicherung und zur Darstellung der verwendeten Dateninhalte dar. Es fehlen derzeit beispiels- Versorgungsqualität im Gesundheitswesen erarbeiten und weise die Leistungsdaten eines Jahres bei Personen, die im an deren Umsetzung mitwirken. Das »Gesetz zur Stärkung Folgejahr nicht mehr GKV-versichert sind (wegen Tod, Aus- der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung« wanderung, Wechsel in PKV oder freie Heilfürsorge) [20]. schafft darüber hinaus die Grundlage, Anträge auf finan- Wie in Kapitel 3 zur onkologischen Versorgung deutlich wird, zielle Förderung von Versorgungsforschungsprojekten für lassen sich mit einem Datensatz oft auch nur Teilaspekte die Jahre 2016-2019 zu stellen. Die Bundesregierung hat abbilden, etwa zum stationären oder vertragsärztlichen zu diesem Zweck einen Innovationsfonds aufgelegt. Die Bereich, was eindeutige Schlussfolgerungen mit Blick auf zur Verfügung stehende Fördersumme beträgt jeweils 300 das »große Ganze« erschwert. Millionen Euro jährlich. Hiervon sind jeweils 225 Millionen Durch verschiedene, in den letzten Jahren verabschiedete Euro jährlich für innovative, sektorenübergreifende Versor- Gesetze sind neue Möglichkeiten geschaffen worden, Vor- gungsprojekte und weitere 75 Millionen Euro pro Jahr für haben der bevölkerungsbasierten Versorgungsforschung die Versorgungsforschung vorgesehen. Die für die Versor- und pharmakoepidemiologischen Forschung umzusetzen. gungsforschung in Frage kommenden Projekte sollen auf Dazu gehört die sekundäre Nutzung von Daten, beispiels- einen Erkenntnisgewinn zur Verbesserung der bestehenden weise der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Daten). Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung aus- Auch die Daten der klinischen Krebsregister sollen nach gerichtet sein. Dabei sollen die Forschungsvorhaben von dem am 9. April 2013 in Kraft getretenen Krebsfrüherken- hoher praktischer Relevanz sein und eine besondere Nähe nungs- und -registergesetz (KFRG) zur Herstellung von zur praktischen Patientenversorgung haben. Sie müssen da- Transparenz und für Zwecke der Versorgungsforschung rüber hinaus geeignet sein, Erkenntnisse zu liefern, die vom bereit gestellt werden [21]. Außerdem können Forschende G‑BA in seine Richtlinien zur Gestaltung der Versorgung die an das neu gegründete Institut für Qualität und Trans- übernommen werden oder dem Gesetzgeber als Basis für parenz im Gesundheitswesen (IQTIG) übermittelten Daten strukturelle Veränderungen der gesetzlichen Grundlagen aus verpflichtenden Maßnahmen der Qualitätssicherung dienen können. Bis Ende 2016 wird über die Anträge der auswerten. Hierzu muss ein Antrag an den G‑BA gerichtet ersten Förderwelle entschieden. Weitere Förderbekanntma- werden [22]. Das IQTIG wird im Auftrag des G‑BA Maß- chungen werden in den Jahren 2017 bis 2019 folgen. 8.2 Behandlungsleitlinien und Patientenleitlinien Ein wichtiges Instrument für eine angemessene und sind Ansätze, mit reduziertem Ressourcenbedarf die Ak- bedarfsgerechte medizinische Versorgung von Patientin- tualität von Leitlinien zu erhöhen [23, 24]. Um das hohe nen und Patienten in spezifischen Krankheitssituationen ehrenamtliche Engagement und den Zeitaufwand junger sind evidenzbasierte, von Expertinnen und Experten im Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei der Erstel- Konsensverfahren entwickelte Behandlungsleitlinien (siehe lung von Leitlinien zu würdigen und deren Arbeit hieran Kapitel 3.1.2). Ziel der Entwicklung und Aktualisierung von zu fördern, sollte verstärkt die wissenschaftliche Leistung Leitlinien ist es, dafür Sorge zu tragen, dass gesicherte im Rahmen einer Habilitation anerkannt werden, was auch wissenschaftliche Erkenntnisse rasch in die klinische Pra- außerhalb der Onkologie diskutiert wird [25]. xis einfließen und bei der Diagnostik und Behandlung der Die Akzeptanz und Umsetzung einer Leitlinie hängt nicht Betroffenen bundesweit genutzt werden können. Eines der nur von ihrer Aktualität, Praktikabilität und ihrer sorgfälti- Ziele des Nationalen Krebsplans in Deutschland ist die Er- gen Erstellung ab, sondern auch von einer unabhängigen stellung und regelmäßige Aktualisierung evidenzbasierter Zusammenarbeit ihrer Entwickler. Die AWMF hat in diesem Behandlungsleitlinien auf höchstem methodischen Niveau, Zusammenhang Empfehlungen zum Umgang mit Interes- sogenannte S3-Leitlinien, und deren Umsetzung in onkolo- senkonflikten erarbeitet, die auf die Offenlegung möglicher gischen Behandlungseinrichtungen. Seit 2008 haben sich Konflikte ausgelegt sind. Da die AWMF die reine Offenle- die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizini- gung möglicher Konflikte für die Sicherstellung objektiver schen Fachgesellschaften (AWMF), die Deutsche Krebsge- Arbeit als nicht hinreichend betrachtet, soll die Deklaration sellschaft und die Deutsche Krebshilfe zur Förderung der der Interessenkonflikte zusätzlich ermöglichen, befangene Entwicklung und Fortschreibung onkologischer Leitlinien Mitglieder der Leitlinienkommission von der Bewertung von verpflichtet. Seitdem konnten 18 S3-Leitlinien im Rahmen Evidenzen und der Konsensfindung auszuschließen [26]. des Leitlinienprogramms Onkologie fertiggestellt werden. Zur Wahrung des Vertrauens in die fachliche Objektivität Der Aufwand, eine S3-Leitlinie zu erstellen oder umfassend und Integrität von Leitlinienkommissionen könnten jedoch zu überarbeiten, ist allerdings insbesondere durch erforder- noch strengere Regeln eingeführt werden. Das Deutsche liche Abstimmungsprozesse erheblich und trägt damit zu Netzwerk Evidenzbasierte Medizin e.V. (DNEbM) fordert einem zeitlichen Verzug zwischen dem Gewinn neuer Er- beispielsweise, nur Vorsitzende in Leitlinienkommissionen kenntnisse und deren Umsetzung in die Praxis bei. Das kon- zuzulassen, die unabhängige Methoden-Experten sind und tinuierliche Einbinden von Ergänzungen (»Amendments«) keine Interessenkonflikte haben [27]. zu bereits bestehenden Leitlinien und das Verkürzen von An den bereits publizierten onkologischen Leitlinien haben Abstimmungswegen über datenbankgestützte Systeme sowohl eine Vielzahl von Vertreterinnen und Vertretern Kapitel 8 Ausblicke 259
ärztlicher- und nicht-ärztlicher Organisationen, interdiszip- eine wichtige Grundlage, doch auch andere Aspekte spielen linärer onkologischer Arbeitsgemeinschaften als auch Pati- eine Rolle. Insgesamt wird die Erstellung und Weiterentwick- entenverbände mitgearbeitet. Die ebenfalls – in Ergänzung lung von Leitlinien im Rahmen des Leitlinienprogramms zu den Behandlungsleitlinien – zur Verfügung gestellten Onkologie positiv aufgenommen. Die Erweiterung des onkologischen Patientenleitlinien sind ein großer Fortschritt Angebots der Behandlungs- und Patientenleitlinien hat das zur Stärkung der Patientenkompetenz. Für diese bilden ver- Potenzial, die Qualität und die Transparenz der onkologi- ständliche und evidenzbasierte Gesundheitsinformationen schen Versorgung zu steigern. 8.3 Patientenorientierung Im Bereich der Patientenorientierung hat es in Deutsch- für die Bewertung von Online-Patienteninformationen, zu land in den letzten Jahren große Fortschritte gegeben. Die nennen [33]. Darüber hinaus hat das Deutsche Netzwerk für wissenschaftlichen Grundlagen dazu wurden weiterentwi- evidenzbasierte Medizin die »Gute Praxis Gesundheitsinfor- ckelt und neue Strukturen geschaffen. Auch im Nationalen mation« veröffentlicht und im Jahr 2015 eine überarbeitete Krebsplan ist die Patientenorientierung als Handlungsfeld Version herausgegeben [34]. Eine Leitlinie evidenzbasierte verankert (siehe Kapitel 7.4.4). Die Verwirklichung der Pa- Gesundheitsinformation wird zum aktuellen Zeitpunkt noch tientenorientierung stand aber lange im Widerspruch zu entwickelt [35, 36]. Weitere Standards für evidenzbasierte maßgeblichen Leitbildern, professionellen Verhaltensmus- Patienteninformation werden in einer Schriftenreihe des tern, Organisationsabläufen und Interessen der Institutio- Ärztlichen Zentrums für Qualität in der Medizin (ÄZQ) nen des Gesundheitswesens [28]. dargelegt [37]. Eine effektive Patientenorientierung bedeutet auch eine Eine wichtige Informationsquelle ist der Krebsinforma- stärkere Einbindung der Betroffenen in versorgungsrele- tionsdienst des Deutschen Krebsforschungszentrums, der vante Entscheidungsprozesse sowie zunehmend den Ein- hochwertige Informationen zum Thema Krebs zur Verfü- satz von Messinstrumenten, die Patienteneinschätzungen gung stellt und auch individuell zu krebsbezogenen Fragen (Patient-Reported Outcomes) als Endpunkt in klinischen informiert. Zunächst richtete sich das Angebot vorrangig Studien erfassen. Die neue Verordnung der Europäischen an Betroffene, inzwischen gibt es auch Unterstützung für Union (EU) über klinische Prüfungen mit Humanarznei- Fachkreise [38]. mitteln [29] legt hierzu eine Grundlage, welche die Rolle Eine bisweilen unüberschaubare Menge an Informations- der Patientinnen und Patienten als Partner der klinischen angeboten macht jedoch das Auffinden seriöser Quellen Forschung verstärkt [30]. In Deutschland wird das Einbe- teilweise schwer. Es ist daher wünschenswert, bestehende ziehen der Patientenperspektive formal beispielsweise bei Initiativen besser aufeinander abzustimmen, qualitätsgesi- Förderanträgen an die Deutsche Forschungsgemeinschaft cherte Informations- und Beratungsangebote sichtbarer zu und an das Bundesministerium für Bildung und Forschung machen und diese weiterzuentwickeln [39]. eingefordert, wodurch die Übertragung von Erkenntnissen Eine Stärkung der Patientenkompetenz umfasst jedoch in die Praxis gefördert werden kann [31]. mehr als eine reine Verbesserung des Informationsange- An den im Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) bots. Vielmehr geht es auch darum, Interaktionen zwischen verankerten Strukturen zur Einbeziehung der Patientenper- Erkrankten und Behandelnden so zu gestalten, dass Pati- spektive sind hier insbesondere zu nennen [32]: entinnen und Patienten eine aktive, gleichberechtigte Rolle –– die unabhängige Patientenberatung als Regelleistung in der Entscheidungsfindung wahrnehmen können. Hierfür der Gesetzlichen Krankenversicherung sind auch seitens der Professionellen im Gesundheitswesen –– die evidenzbasierte Patienteninformation für Bürgerin- entsprechende soziale und kommunikative Kompetenzen nen und Bürger sowie Patientinnen und Patienten als erforderlich. Ein wichtiger Schritt ist es, die Vermittlung Aufgabe des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit dieser Kompetenzen in die Ausbildung der entsprechenden im Gesundheitswesen Berufsgruppen verstärkt zu integrieren und auch in der Fort- –– der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange und Weiterbildung strukturell fest zu verankern [40]. der Patientinnen und Patienten sowie Bevollmächtigter Ziel 12a des Nationalen Krebsplans hat die Stärkung der für Pflege kommunikativen Kompetenz der Leistungserbringer auf- –– die Patientenbeteiligung im Gemeinsamen Bundesaus- gegriffen. Entsprechende Maßnahmen sehen vor, dass in schuss und in Gremien auf Länderebene der Aus-, Weiter- und Fortbildung der Gesundheitsberufe Basis für eine informierte Entscheidung sind fundierte die Vermittlung adäquater Kommunikationskompetenzen und unabhängige Gesundheitsinformationen. Es gibt in verbessert wird [41]. In diesem Zusammenhang wurde in Deutschland bereits eine Reihe seriöser, zum Teil auch dem vom BMG geförderten Vorhaben »Kommunikative öffentlich geförderter Anbieter von krebsbezogenen In- Kompetenzen von Ärztinnen und Ärzten in der Onko- formationen. An Initiativen zur Qualitätsförderung für logie – Entwicklung eines longitudinalen onkologischen Gesundheitsinformationen im Internet sind beispielsweise Mustercurriculums Kommunikation« auf Basis der Um- das in der Schweiz ansässige »Health on the Net Foun- setzungsempfehlungen des Nationalen Krebsplans unter dation (HON)«, das »Aktionsforum Gesundheitsinforma- anderem der Entwurf eines Kommunikations-Lehrplans für tionssystem (afgis) e.V.« und »Discern«, ein Instrument Medizinstudierende erarbeitet, der vom ersten Semester 260 Kapitel 8 Ausblicke
an ein ausführliches Gesprächstraining – auch für heikle führung ist jedoch nicht nur für Ärztinnen und Ärzte wichtig. oder schwierige Themen – vorsieht. Dieser basiert auf dem Daher soll im Rahmen des Ziels 12a des Nationalen Krebs- Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkatalog Medizin plans ein bis Ende 2018 gefördertes Projekt die kommunika- (NKLM), der im Juni 2015 vom Medizinischen Fakultätentag tiven Kompetenzen in der Ausbildung von Pflegefachkräften verabschiedet wurde, und stellt einen wichtigen Baustein zur stärken. Daher ist auch für diesen Kompetenzbereich die Umsetzung der im Jahr 2012 in die Approbationsordnung Entwicklung eines Mustercurriculums vorgesehen [44]. für Ärzte aufgenommenen Vorgabe dar, dass die ärztliche Im Rahmen der angestrebten Novellierung der Ge- Gesprächsführung ausdrücklich Gegenstand der ärztlichen bührenordnung für Ärzte zur Abrechnung privatärztlicher Ausbildung und Inhalt des Staatsexamens ist [42]. Weiterhin Leistungen (GOÄ) [45] soll auch eine Stärkung der Bera- bekundet die im Februar 2016 verabschiedete und von zahl- tungsleistungen das Angebot zum Gespräch mit Patienten reichen Institutionen und Fakultäten unterzeichnete »Hei- und Patientinnen erleichtern [46]. Auch die gesetzlichen delberger Erklärung« den Willen der medizinischen Fach- Krankenkassen setzen auf bessere Vergütung des ärztlichen welt, sich für die Förderung kommunikativer Kompetenzen Gesprächs wie beispielsweise verschiedene Anpassungen in der ärztlichen Ausbildung noch stärker einzusetzen [43]. der Vergütung im vertragsärztlichen Bereich in den letzten Der Erwerb von Fähigkeiten zu einer guten Gesprächs- Jahren zeigen [47]. 8.4 Psychoonkologie Der Erhalt der psychischen und sozialen Lebensquali- sorgung in Deutschland zu schaffen. tät spielt eine wichtige Rolle für Menschen, die mit einer Für stationäre Einrichtungen werden psychoonkologi- Krebserkrankung leben. Da sich das Überleben bei vielen sche Angebote vielfach gefordert, unter anderem auch für Krebsdiagnosen zunehmend verlängert und die Krankheit die Zertifizierung, jedoch wird keine zusätzliche Finanzie- damit einen chronischen Verlauf nimmt, ist von einem künf- rung bereitgestellt. Unter dem herrschenden Kostendruck tig steigenden psychoonkologischen Versorgungsbedarf besteht die Gefahr, dass in manchen Krankenhäusern dafür auszugehen. Hinzu kommt, dass auch die Zahl der an Krebs Ressourcen aus anderen wichtigen Bereichen abgezogen erkrankten Menschen aufgrund des demographischen Wan- werden. Durch kürzere Liegezeiten in den Krankenhäusern dels in Deutschland zunehmen wird. Psychoonkologische (siehe Kapitel 3) und durch teilweise Verlagerung der medi- Maßnahmen können Betroffene bei der Bewältigung der zinischen Therapien in den ambulanten Bereich verschiebt Erkrankung unterstützen und psychische oder psychoso- sich auch die psychoonkologische Versorgung weiter in matische Symptome lindern. Inwieweit hierdurch Auswir- ambulante Einrichtungen oder Praxen. Allerdings sind viele kungen auf den Heilungsprozess und auf die Überlebenszeit Symptome, die speziell Krebspatientinnen und -patienten erzielt werden können, ist jedoch umstritten. In nationalen stark belasten können – wie etwa tumorbedingte Müdigkeit und internationalen Leitlinien werden psychoonkologische (Fatigue) oder Ängste vor dem Fortschreiten der Erkrankung Maßnahmen als integraler Bestandteil der onkologischen – bislang noch keine abrechnungsfähigen Diagnosen. Dies Behandlung empfohlen, zudem sind sie Bestandteil der erschwert die vertragsärztliche Leistungsvergütung. Anforderungen für die Zertifizierung von onkologischen Für eine gleichbleibend hohe Qualität der psychoonko- Zentren (siehe Kapitel 3.1.2). logischen Versorgung müssen Qualitätskriterien festgelegt Eine »angemessene und bedarfsgerechte psychoon- werden. Auch für die ärztliche und therapeutische Qualifika- kologische Versorgung« ist auch als Ziel 9 im Nationalen tion bedarf es einer Integration definierter Inhalte in die Fort- Krebsplan als Schwerpunkt in Handlungsfeld 2 verankert und Weiterbildung. Die Fachverbände haben hier teilweise (siehe Kapitel 7.4.2). Bisherige Studien weisen darauf hin, schon Curricula entwickelt, die als Orientierung dienen dass etwa ein Drittel der Krebspatientinnen und -patienten können, wie beispielsweise das Weiterbildungsprogramm psychoonkologische Unterstützung benötigt. Doch selbst des Vereins »Weiterbildung Psychosoziale Onkologie - WPO bei klinisch relevanter psychischer Belastung gibt es unter e.V.« [49]. den Betroffenen große Unterschiede in der Bereitschaft, ein Eine weitere wichtige Säule in der Unterstützung von solches Angebot auch anzunehmen. Die aktuelle Leitlinie Krebspatientinnen und -patienten sind die psychosozialen Psychoonkologie gibt nähere Informationen, Empfehlungen Krebsberatungsstellen. Hier erhalten Betroffene und ihre An- für die psychoonkologische Diagnostik, Beratung und Be- gehörigen kostenfreie psychologische und sozialrechtliche handlung bei erwachsenen Krebspatientinnen und Krebspa- Beratung. Zudem werden in der Regel Informationsmateri- tienten im gesamten Verlauf einer Krebserkrankung sowie alien, Kurse und Veranstaltungen angeboten. Im Jahr 2013 in allen Sektoren der medizinischen Versorgung [48]. Zur wurden allein in den rund 110 Beratungsstellen der Landes- Umsetzung von Ziel 9 wird seit August 2016 eine über 24 krebsgesellschaften mehr als 62.000 Beratungen durchge- Monate angelegte, bundesweite Bestandsaufnahme der am- führt. Vielfach arbeiten die Krebsberatungsstellen auf Basis bulanten und stationären psychoonkologischen Versorgung von Spenden oder einer Mischfinanzierung mit weiteren durchgeführt. Diese soll eine regionalisierte Analyse von Partnern, was oft einen hohen administrativen Aufwand entsprechenden Bedarfen und Angeboten beinhalten. Ziel erfordert. Eine gesicherte Finanzierungsgrundlage fehlt in ist es, eine möglichst belastbare Entscheidungsgrundlage Deutschland bislang. Mit dem Ziel, ein Netzwerk qualitäts- zur weiteren Ausgestaltung der psychoonkologischen Ver- gesicherter Kompetenz-Beratungsstellen aufzubauen, hat Kapitel 8 Ausblicke 261
die Deutsche Krebshilfe im Jahr 2007 den Förderschwer- zu erreichen, wird vielfach gefordert, eine dauerhaft trag- punkt »Psychosoziale Krebsberatungsstellen« initiiert, der fähige Finanzierung zu schaffen. Wichtige Voraussetzung derzeit noch die Förderung von 19 Krebsberatungsstellen und Diskussionsgrundlage hierfür werden die Ergebnisse umfasst. Um die kontinuierliche Arbeit der in Deutschland der oben genannten Bestandsaufnahme zur Erfassung der zurzeit insgesamt über 150 bestehenden Beratungsstellen ambulanten und stationären psychoonkologischen Versor- zu gewährleisten und eine bundesweite Flächendeckung gungsangebote in Deutschland sein. 8.5 Bedarfsgerechte Versorgung in städtischen und ländlichen Gebieten Insgesamt, auch im internationalen Vergleich, ist das stehen sich als regionale Netzwerke, die einen interdiszip- Niveau der onkologischen Versorgung in Deutschland sehr linären Behandlungsansatz verfolgen: Ärztinnen und Ärzte hoch. Innerhalb des Bundesgebietes bestehen allerdings unterschiedlicher Fachrichtungen arbeiten eng zusammen, Versorgungsunterschiede zwischen Ballungsgebieten und um jede Patientin und jeden Patienten umfassend und ländlichen Regionen, woraus sich strukturbedingt unter- möglichst über die gesamte Versorgungskette während des schiedliche Herausforderungen ergeben. Krankheitsverlaufs zu betreuen. Für solche zertifizierten Or- Grundsätzlich stehen allen an Krebs erkrankten Men- gankrebszentren, Onkologische Zentren und Onkologische schen in Deutschland dieselben zugelassenen Angebote Spitzenzentren gelten einheitliche Qualitätsanforderungen und Möglichkeiten der Versorgung zur Verfügung. Allerdings an eine umfassende, qualifizierte, multi- und interdiszip- INFoBox 17 Gesetz zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-VSG) Ziel des Versorgungsstärkungsgesetzes in der gesetzlichen Krankenversicherung ist es, eine bedarfsgerechte, flächende- ckende und gut erreichbare medizinische Versorgung für jede Bürgerin und jeden Bürger zu ermöglichen. Es beinhaltet insbesondere Regelungen zu: – ärztlicher Versorgung auf dem Land – Nutzenbewertung neuer Methoden mit Me- – erweiterten Leistungsansprüchen von Patientinnen dizinprodukten hoher Risikoklasse in der und Patienten (zum Beispiel Anrecht auf Einholung Krankenhausbehandlung einer Zweitmeinung vor bestimmten Eingriffen) und erweiterten Wahlrechten bei Leistungen zur medizini- schen Rehabilitation – finanzieller Förderung innovativer Projekte im Bereich Versorgung und Versorgungsforschung durch den Innovationsfonds in den Jahren 2016 – 2019 – Vertragsgestaltung der Krankenkassen erreichen diese bisher nicht jede und jeden Betroffenen glei- linäre sowie sektorenübergreifende Patientenversorgung. chermaßen, insbesondere in ländlichen Regionen, wie der Trotz vieler positiver Ziele werden Zertifizierungsverfahren Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im nicht uneingeschränkt positiv wahrgenommen. So müssen Gesundheitswesen in seinem Gutachten aus dem Jahr 2014 die Versorgungseinrichtungen den ressourcenintensiven berichtet [50]. Zertifizierungsaufwand mit den möglichen Vorteilen der Wichtige Impulse in der Krebsbehandlung gehen von den Zertifizierung abwägen. onkologischen Spitzenzentren aus, die als Comprehensive In Regionen mit hoher Bevölkerungsdichte sind die zerti- Cancer Centers (CCC) an Universitätskliniken angesiedelt fizierten Behandlungseinrichtungen meist gut zu erreichen, sind. Diese werden von der Deutschen Krebsgesellschaft Patientinnen und Patienten in ländlichen Regionen haben (DKG) zertifiziert und von der Deutschen Krebshilfe (DKH) jedoch oft weite Anfahrtswege. Zudem kommt der wohnort- gefördert. Zu ihren Aufgaben gehört nicht nur die Versor- nahen ambulanten Betreuung durch Verkürzung der Liege- gung krebskranker Patientinnen und Patienten, sondern dauern und dem Ausbau der ambulanten Krebsbehandlung auch die translationale Forschung an der Schnittstelle eine wachsende Bedeutung zu. Die Herausforderung be- zwischen Grundlagenforschung und Krankenbett. Hinzu steht darin, die Kompetenzen spezialisierter Zentren weiter kommen zertifizierte Organkrebszentren, die auf einzelne in ländliche Bereiche ausstrahlen zu lassen, um überall in Tumorarten spezialisiert sind, und zertifizierte Onkologi- Deutschland die gleiche hohe Versorgungsqualität zu ge- sche Zentren, die mehrere Organkrebszentren unter einem währleisten. Von einer stärkeren Vernetzung spezialisierter Dach vereinen (siehe Kapitel 3.1.2). Alle diese Zentren ver- Zentren und einer Intensivierung des fachlichen Austauschs 262 Kapitel 8 Ausblicke
mit der ambulanten Versorgung, insbesondere mit nieder- eine Vielzahl Forschender und Lehrender in dem Bereich gelassenen Ärztinnen und Ärzten, würden Erkrankte in peri- tätig. Um die Forschung besser zu unterstützen, hat das pheren und ländlichen Gebieten profitieren. Positivbeispiele BMBF Ende 2015 zwei Richtlinien zur Förderung von For- gibt es bereits: So beraten sich Ärztinnen und Ärzte aus schung in der Palliativversorgung veröffentlicht. Damit sollen regionalen Behandlungseinrichtungen in Tumorboards per die Versorgungsforschung, klinische Studien und Projekte Videoschaltung mit Kolleginnen und Kollegen aus Fachzen- des wissenschaftlichen Nachwuchses im Bereich Palliativ- tren zu Behandlungsstrategien. Auch mit dem »Gesetz zur versorgung deutschlandweit gefördert werden. Ergänzend Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversi- wurde auch eine Förderbekanntmachung zur Evaluation der cherung« (GKV-Versorgungsstärkungsgesetz; siehe Infobox Richtlinie des G‑BA zur Verordnung von spezialisierter am- 17) können wichtige Impulse gesetzt werden, um regionalen bulanter Palliativversorgung (SAPV-Richtlinie) veröffentlicht. Versorgungsungleichheiten zu begegnen [51]. Die im Fünften Buch Sozialgesetzbuch verankerte spezia- Maßnahmen des »Gesetzes zur Reform der Struktu- lisierte ambulante Palliativversorgung ermöglicht in vielen ren der Krankenhausversorgung« (Krankenhausstruktur- Fällen das Sterben zu Hause, denn die meisten Menschen gesetz – KHSG), das am 1. Januar 2016 in Kraft getreten wünschen sich, ihr Lebensende in der gewohnten Umge- ist, zielen ebenfalls darauf ab, die Versorgung in ländlichen bung zu verbringen [54]. Regionen zu sichern und weiter zu verbessern [52]. So soll Die Zahl der Angebote der Palliativversorgung ist sowohl beispielsweise über eine höhere Vergütung die flächende- im ambulanten als auch im stationären Bereich stetig ge- ckende stationäre Versorgung, insbesondere im ländlichen wachsen. Eine große Rolle spielen dabei auch ehrenamtlich Bereich sichergestellt werden. Wenn ein Krankenhaus zum Tätige. Betroffene haben inzwischen einen gesetzlichen An- Beispiel in einer ländlichen Region für die Versorgung un- spruch auf eine palliative Versorgung. Als erstes Land in Eu- verzichtbar ist, jedoch wegen geringer Fallzahlen ansonsten ropa legte Deutschland im Jahr 2007 einen Rechtsanspruch nicht auskömmlich wirtschaften kann, sollen Sicherstel- auf die sogenannte SAPV fest [55]. Diese umfasst ambulante lungszuschläge gezahlt werden. Der Gemeinsame Bundes- ärztliche und pflegerische Leistungen von spezialisierten ausschuss ist damit beauftragt, bis Ende 2016 das Verfahren und multiprofessionellen Teams bei Palliativpatientinnen zur Ermittlung dieser Zuschläge auszugestalten. Daneben und -patienten, die eine besonders aufwändige Versorgung sieht das KHSG die Einführung von Zu- und Abschlägen in benötigen. Durch eine Stärkung der ambulanten Versorgung Abhängigkeit von den in den Krankenhäusern vorgehaltenen können Krankenhauseinweisungen vermieden werden. Strukturen zur Versorgung von Patienten und Patientinnen In den letzten Jahren ist ein differenziertes Netz an Ein- mit akuten medizinischen Notfällen vor (Notfallstrukturen). richtungen der Hospiz- und Palliativversorgung entstanden, Krankenhäuser mit einem hohen Umfang an vorgehaltenen das jedoch vielfach noch nicht als ausreichend angesehen Notfallstrukturen werden demnach besser gestellt als Kran- wird. In einer im Februar 2015 veröffentlichten Stellungnahme kenhäuser, die nicht oder nur in geringem Umfang an der formulierten die Nationale Akademie der Wissenschaften Notfallversorgung teilnehmen. Auch diese Maßnahme dient Leopoldina und die Union der deutschen Akademien der dazu, Krankenhäuser in ländlichen Räumen zu unterstützen, Wissenschaften das Ziel, eine flächendeckende und evi- die umfassende Notfallstrukturen vorhalten, um zu einer denzbasierte Palliativversorgung in Deutschland erreichen flächendeckenden Notfallversorgung beizutragen. zu wollen. Notwendig seien einheitliche Regelungen zur Zur weiteren Verbesserung der Versorgungsstrukturen Finanzierung der Palliativversorgung und eine bundesweit wird ein Strukturfonds eingerichtet, aus dem der Abbau von einheitliche Qualitätssicherung [56]. Überkapazitäten, die Konzentration von stationären Versor- Auch Verbände wie der Deutsche Hospiz- und Palliativ- gungsangeboten sowie die Umwandlung von Krankenhäu- Verband (DHPV) fordern, vermehrt sektorenübergreifend zu sern in nicht akutstationäre lokale Versorgungseinrichtun- arbeiten und regionale Netzwerke aufzubauen, um eine um- gen, zum Beispiel in Gesundheits- oder Pflegezentren, oder fassende und kontinuierliche Versorgung sicher zu stellen. in stationäre Hospize, gefördert werden. Darüber hinaus ist eine gute Kommunikation zwischen allen Beteiligten Grundvoraussetzung dafür, dass eine Begleitung Palliativversorgung im Sinne der Patientinnen und Patienten und ihrer Ange- hörigen gelingen kann. Mit dem Gesetz zur Verbesserung Ziel einer Palliativbehandlung ist es, schwerstkranken der Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland, das am und sterbenden Menschen die bestmögliche Lebensqua- 8. Dezember 2015 in Kraft getreten ist, werden zentrale An- lität zu erhalten. Aufgrund der oft langwierigen Krankheits- liegen aufgegriffen und die Hospiz- und Palliativversorgung verläufe bei onkologischen Erkrankungen ist eine palliative in allen Bereichen des Gesundheitswesens gestärkt. Zudem Betreuung häufig erforderlich. Nach Ergebnissen der wird die Zusammenarbeit und Vernetzung professioneller Hospiz- und Palliativ-Erfassung (HOPE) liegt der Anteil der und ehrenamtlicher Kräfte in der Hospiz- und Palliativver- Tumorpatientinnen und -patienten in stationären Hospizen sorgung gezielt gefördert. Ziel des Gesetzes ist es, »in ganz in Deutschland bei rund 90 Prozent [53]. Deutschland ein flächendeckendes Angebot zu verwirkli- Im Bereich der Palliativversorgung hat sich in den letzten chen, damit alle Menschen an den Orten, an denen sie ihre Jahren viel bewegt. Die wissenschaftliche Evidenz hat sich letzte Lebensphase verbringen, auch im Sterben gut versorgt verbessert: Das Leitlinienprogramm Onkologie hat 2015 die und begleitet sind.« [57]. erste S3-Leitlinie zur Palliativmedizin für Patientinnen und Patienten mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung vorge- legt. Aktuell gibt es zehn Professuren in Deutschland auf dem Gebiet der Palliativmedizin. Auch außeruniversitär ist Kapitel 8 Ausblicke 263
8.6 Prävention Primärprävention tische Grenzen: so kann die Sterblichkeit an einer Krebser- krankung auch von Fortschritten in der Therapie beeinflusst Das am 25. Juli 2015 in Kraft getretene »Gesetz zur werden. Auch ein Vergleich der Sterblichkeit von Teilnehmen- Stärkung der Gesundheitsförderung und der Prävention« den und Nichtteilnehmenden führt nicht ohne weiteres zum (Präventionsgesetz - PrävG) setzt einen Schwerpunkt auf die Ziel, da sich beide Gruppen oft erheblich unterscheiden, zum Stärkung von Primärprävention und Gesundheitsförderung Beispiel in ihrem allgemeinen Gesundheitszustand (healthy [58]. Während bei der Primärprävention der Fokus auf der screenee bias [60]). Die Ergebnisse früherer kontrollierter Krankheitsvermeidung durch die Verhinderung und Vermin- Studien sind außerdem nicht mehr uneingeschränkt auf derung von Krankheitsrisiken liegt, zielt die Gesundheitsför- die aktuelle Versorgungsrealität übertragbar, da sich sowohl derung auf die Förderung des selbstbestimmten gesund- Screening-Methoden als auch Behandlungsmöglichkei- heitsorientierten Handelns der Menschen ab, insbesondere ten inzwischen teilweise erheblich verändert haben. Dazu durch den Aufbau und die Stärkung gesundheitsförderlicher müssen die bisherigen Auswirkungen bereits bestehender Strukturen [59]. Früherkennungsmaßnahmen, insbesondere für Darm- und Das Präventionsgesetz definiert verschiedene Lebensbe- Gebärmutterhalskrebs, bei der Evaluation berücksichtigt reiche, in denen die Menschen leben, lernen und arbeiten werden (siehe Kapitel 2). Ein wissenschaftlich exakter Nach- - beispielsweise Schulen und Betriebe (siehe Kapitel 5.1.4). weis der Wirksamkeit der neuen Screening-Programme ist Dieser Zugang über die Lebenswelten (»Settings«) soll ins- daher wahrscheinlich nicht mehr ohne weiteres zu führen, besondere ermöglichen, Personen in bislang schwer erreich- auch wenn der höhere Organisationsgrad, die konsequentere baren Zielgruppen für verhaltens- und verhältnispräventive Qualitätssicherung und die geplanten Modifikationen mit Angebote und Maßnahmen besser zu erreichen. In Hinblick der Erwartung verknüpft sind, langfristig auch die Effektivität darauf verpflichtet das Gesetz die beteiligten Sozialversiche- der Krebsfrüherkennung in Deutschland zu verbessern. Die rungsträger, mit optionaler Beteiligung der Unternehmen genannten Limitationen sollten jedoch nicht dazu führen, den der privaten Krankenversicherung und der Unternehmen, analytischen Blick auf die Screening-Programme aufzugeben. die die private Pflege-Pflichtversicherung durchführen, die Unter Nutzung verschiedener Datenquellen sollte es Zusammenarbeit untereinander und mit dem Bund, den möglich sein, relevante Informationen zur Qualität eines Ländern und den Kommunen sowie der Bundesagentur für Screening-Programms und zu seinen Effekten auf Bevölke- Arbeit, den Sozialpartnern und den Interessenvertretungen rungsebene zu gewinnen. Neben der Todesursachenstatistik der Patientinnen und der Patienten im Rahmen einer natio- können gerade die bevölkerungsbezogenen Krebsregisterda- nalen Präventionsstrategie und einer Nationalen Präventi- ten, eine gleichbleibend gute Datenqualität vorausgesetzt, onskonferenz zu suchen. So sollen Gesundheitsförderung wichtige Erkenntnisse beisteuern. Veränderungen der Inzi- und Primärprävention als Aufgabe vieler Akteure begriffen denz sowohl früher als auch fortgeschrittener Stadien nach sowie neue Aktivitäten, die ein gesundheitsförderliches Le- Einführung oder Modifikation eines Screenings geben wich- bensumfeld unterstützen, auf den Weg gebracht werden. tige Hinweise auf das Ausmaß von Überdiagnosen sowie Dies betrifft insbesondere die Vereinbarung von übergeord- auf die eigentlich beabsichtigte Wirkung des Screenings. neten einheitlichen gemeinsamen Zielen und die daraus ab- Beispielsweise kann ein Rückgang fortgeschrittener Stadien, zuleitenden vorrangigen Handlungsfelder und Zielgruppen. wie er sich für Brustkrebs nach Einführung des Mammogra- phie-Screenings in Deutschland bereits abzeichnet (siehe Sekundärprävention Kapitel 2.5 und [61]) als Voraussetzung für eine Senkung der Sterblichkeit gelten. Auch die Daten der gesetzlichen Kran- Nach der 2009 abgeschlossenen bundesweiten Ein- kenversicherung können unter Umständen hilfreich sein. Ihr führung des organisierten Mammographie-Screening-Pro- Vorteil liegt vor allem darin, dass sie als Einzige im gleichen gramms sollen gemäß Krebsfrüherkennungs- und -register- Datensatz Informationen zu den abgerechneten Leistungen gesetz (KFRG) künftig auch die Früherkennungsmaßnahmen (und damit zur Screening-Teilnahme), zur Krebsdiagnose für Gebärmutterhals- und Darmkrebs einen Programmcha- und zu Begleiterkrankungen enthalten. Wo eine Evaluation rakter mit höherem Organisationsgrad und einer standar- mit Routinedaten nicht gelingt oder die gefundenen Er- disierten Qualitätssicherung erhalten. Der G‑BA erarbeitet gebnisse nicht konsistent erscheinen, können begleitende entsprechende Richtlinieninhalte zur Umsetzung der Vorga- epidemiologische Studien sinnvoll sein. Ein vom Bundesamt ben des KFRG unter Berücksichtigung der Empfehlungen der für Strahlenschutz initiiertes Projekt untersucht derzeit die Europäischen Leitlinien zur Gebärmutterhals- beziehungs- Machbarkeit verschiedener Ansätze für die Evaluation der weise Darmkrebsfrüherkennung (siehe Kapitel 6.2). Effekte des Mammographie-Screening-Programms auf die Als Teil einer konsequenten Qualitätssicherung von or- Brustkrebssterblichkeit [62]. Viele der dort gewonnenen Er- ganisierten Screening-Programmen wird eine transparente kenntnisse können unter Umständen auch für die anderen Evaluation angestrebt. Diese soll möglichst auch die Prüfung Früherkennungsmaßnahmen nutzbar sein, die künftig als beinhalten, ob das angestrebte Ziel, in der Regel die Sen- organisierte Programme angeboten werden. kung der Sterblichkeit an der entsprechenden Erkrankung, Ein dem individuellen Erkrankungsrisiko angepasstes Vor- erreicht wird. Die Quantifizierung der Auswirkungen eines gehen bei Screening-Maßnahmen wird in den nächsten Jah- Screening-Programms stößt jedoch an erkenntnistheore- ren möglicherweise an Bedeutung gewinnen. Das Konzept, 264 Kapitel 8 Ausblicke
Menschen mit höherem Risiko intensiver oder engmaschiger Tertiärprävention zu untersuchen, erscheint plausibel und hat das Potenzial, die Krebsfrüherkennung effizienter zu gestalten, vor allem Durch medizinischen Fortschritt und klinische For- wenn die Einstufung des Risikos beispielsweise über die Fa- schung sind viele Krebserkrankungen heutzutage besser milienanamnese mit geringem Aufwand möglich ist. Damit behandelbar als noch vor einigen Jahren. Mit entsprechend aus Plausibilität Evidenz wird, sind jedoch für alle in Frage steigenden Überlebensraten wird Krebs zunehmend zu kommenden Untersuchungsmaßnahmen umfangreiche und einer chronischen Erkrankung. Auch bei »Geheilten« be- methodisch hochwertige Studien erforderlich. Auch berührt steht jedoch weiterhin ein erhöhtes Risiko für das Wieder- das risikoadaptierte Screening gesellschaftliche und ethische auftreten einer Krebserkrankung. Die Tertiärprävention bei Problemfelder: Wie sollen lebensstilbedingte Risiken bewer- Krebserkrankungen gewinnt somit weiter an Bedeutung. tet werden? Nach welchen Grenzwerten wird eine relevante Dabei geht es um Maßnahmen, die das Fortschreiten einer Risikoerhöhung ermittelt? Mit einer Zuordnung zu einer Risi- bereits bestehenden Krebserkrankung vermindern und die kogruppe müssen in diesem Zusammenhang mögliche psy- Wahrscheinlichkeit von Rückfällen (Rezidiven) verringern. chische, soziale und gesundheitliche Folgen für den Einzelnen Zudem sollen Komplikationen und Folgeschäden einer Be- berücksichtigt werden. Die entsprechende Arbeitsgruppe handlung verhindert werden. des Querschnittsthemas »Risikoadaptierte Krebsfrüher- Die positiven Auswirkungen von körperlicher Aktivität kennung« im Nationalen Krebsplan hat daher noch keine während und nach einer Tumorbehandlung stehen seit vie- konkreten Empfehlungen verabschiedet, sondern vor allem len Jahren im Fokus des wissenschaftlichen Interesses. Hier den hohen Bedarf an Forschung, aber auch an gesellschaft- vollzieht sich allmählich ein Paradigmenwechsel: Während lichem Diskurs zu diesem Thema angesprochen [63]. krebskranken Menschen früher zu körperlicher Schonung Abzuwarten bleibt, wie das 2008 eingeführte Haut- geraten wurde, zeigt sich nun, dass Patientinnen und Patien- krebs-Screening langfristig bewertet wird. Aufgrund fehlender ten eher von Sport und Bewegung profitieren. Ein individuell europäischer Leitlinien ist diese Maßnahme der Krebs angepasstes Training steigert das Selbstbewusstsein der früherkennung gemäß KFRG nicht als organisiertes Krebsfrüh Erkrankten und hat positive Effekte auf die Lebensqualität. erkennungsprogramm anzubieten und nimmt damit auch Studien konnten zeigen, dass sich auch therapie- und krank- bei der Qualitätssicherung eine Sonderstellung ein. Für das heitsbedingte Nebenwirkungen wie etwa tumorbedingte Hautkrebs-Screening war in der betreffenden Krebsfrüherken- Müdigkeit durch systematisches körperliches Training ver- nungs-Richtlinie eine Evaluation fünf Jahre nach Einführung ringern lassen. Darüber hinaus mehren sich die Hinweise, des Angebots vorgesehen. Der erste vom G‑BA in Auftrag vor allem in Studien zu Brust- und Darmkrebs, dass sich gegebene und 2015 veröffentlichte Evaluationsbericht hat auch das Risiko einer Wiedererkrankung senken lässt [68, allerdings viele Fragen offen gelassen [64]. Eine Neuauflage 69]. Aktuelle Forschungsansätze beschäftigen sich mit mit aktualisierten Daten ist derzeit in Arbeit, auch wird derzeit den zugrundeliegenden biologischen Mechanismen, über im G‑BA über zusätzliche Maßnahmen zur Evaluation des die körperliche Aktivität bei onkologischen Erkrankungen Screenings diskutiert. Die Analysen der Krebsregisterdaten wirksam ist. Bislang ist darüber noch relativ wenig bekannt. und der Mortalitätsstatistik zeigen bisher noch keinen überzeu- Zudem müssen weitere klinische Studien Erkenntnisse darü- genden Hinweis auf eine Wirksamkeit dieser Screening-Maß- ber liefern, wie die Bewegungstherapie in Art und Intensität nahme auf Bevölkerungsebene (siehe Kapitel 2.9). den verschiedenen Krankheits- und Therapiesituationen Eine weitere Herausforderung bei allen Screening-Maß- angepasst werden kann, um den größtmöglichen Nutzen nahmen besteht darin, geeignete Informationsmaterialien zu erreichen. zu erarbeiten, die eine realistische, individuelle Einschätzung von potenziellem Nutzen und Schaden der Screening-Maß- nahmen und das Treffen einer informierten Entscheidung ermöglichen. Die »Gute Praxis Gesundheitsinformation« ist ein Ansatz, der Qualitätskriterien aufzeigt und zur Standardisierung von Inhalt und Darstellung von Gesund- heitsinformationen im Rahmen der Krebsfrüherkennungs- programme beitragen kann [65]. Zum Beispiel zielen die aktuellen, inzwischen wiederholt überarbeiteten Informati- onen des G‑BA zum Mammographie-Screening darauf ab, den eingeladenen Frauen eine informierte Entscheidung für oder gegen eine Teilnahme zu ermöglichen. Derzeit ent- wickelt das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) im Auftrag des G‑BA die oben genannten Informationen zum Mammographie-Screening zu einer Entscheidungshilfe weiter [66]. Darüber hinaus wird das IQWiG ebenfalls im Auftrag des G‑BA Informations- materialien zu den beiden zukünftigen Screening-Program- men für Gebärmutterhals- und Darmkrebs erarbeiten. Ein Vorbericht »Einladungsschreiben und Entscheidungshilfen zum Darmkrebs-Screening« liegt bereits vor, der Abschluss- bericht wird noch im Jahr 2016 erwartet [67]. Kapitel 8 Ausblicke 265
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