RECHENZENTREN IN EUROPA - CHANCEN FÜR EINE NACHHALTIGE DIGITALISIERUNG
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Rechenzentren in Europa – Chancen für eine nachhaltige Digitalisierung 1 RECHENZENTREN IN EUROPA – CHANCEN FÜR EINE NACHHALTIGE DIGITALISIERUNG Teil 2 Stand: 10. November 2020 Ralph Hintemann Simon Hinterholzer Jens Clausen
Rechenzentren in Europa – Chancen für eine nachhaltige Digitalisierung IMPRESSUM Autoren / Autorinnen Dr. Ralph Hintemann (Borderstep Institut) | hintemann@borderstep.de Simon Hinterholzer (Borderstep Institut) | hinterholzer@borderstep.de Dr. Jens Clausen (Borderstep Institut) | clausen@borderstep.de Zitiervorschlag Hintemann, R.; Hinterholzer, S; Clausen, J. (2020). Rechenzentren in Europa – Chancen für eine nachhaltige Digitalisierung – Teil 2. Berlin: Borderstep Institut. Titelbild Heinrich Holtgreve/OSTKREUZ Auftraggeber eco – Verband der Internetwirtschaft e. V. Mit freundlicher Unterstützung von Vodafone Institut
Rechenzentren in Europa – Chancen für eine nachhaltige Digitalisierung INHALTSVERZEICHNIS Einordnung und Abgrenzung der vorliegenden Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 2 Technologische Potenziale zur Verringerung des Energiebedarfs und der Treibhausgasemissionen von Rechenzentren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 3 Rahmenbedingungen für Rechenzentren in Deutschland und Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 4 Abwärmenutzung aus Rechenzentren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 5 Zusammenfassendes Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 6 Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 7 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
Rechenzentren in Europa – Chancen für eine nachhaltige Digitalisierung 4 EINORDNUNG UND ABGRENZUNG DER VORLIEGENDEN UNTERSUCHUNG Der vorliegende Bericht ist der zweite Teil einer zentren ermittelt und dargestellt werden. Für den Borderstep-Studie im Auftrag des eco – Verband vorliegenden Bericht wurde neben umfangreichen der Internetwirtschaft e.V., die sich mit den Nach- Recherchen (Desk Research) auch eine Delphi-Befra- haltigkeitswirkungen von Rechenzentren befasst. Im gung von europäischen Rechenzentrumsexperten ersten Teil der Untersuchung wurde die Bedeutung durchgeführt. In zwei Befragungsrunden wurden 70 des Energie- und Ressourcenbedarfs und weiterer Experten aus Industrie, Verwaltung, Wissenschaft Nachhaltigkeitswirkungen der Rechenzentren in und Politik befragt. Zudem wurden mit zehn aus- Europa dargestellt und die Entwicklung von Ener- gewählten Experten detaillierte Interviews geführt. gieeffizienz, Energiebedarf und Treibhausgasemis- Um die identifizierten Potenziale und Handlungs- sionen der Rechenzentren in Europa ermittelt. Der möglichkeiten für einen nachhaltigen Rechenzent- erste Teil der Studie lieferte damit die Grundlagen für rumsbetrieb zu illustrieren, werden im Bericht sechs den vorliegenden Bericht, in dem die Potenziale von Best-Practice-Beispiele vorgestellt. Aufgrund der Technologien und organisatorischen Handlungsop- Vielzahl der betrachteten technologischen Ansätze tionen zur Verbesserung der Energieeffizienz und zur zur Steigerung der Nachhaltigkeit von Rechenzentren Senkung der Treibhausgasemissionen in Rechen- ist dem Bericht ein umfangreiches Glossar angefügt.
Rechenzentren in Europa – Chancen für eine nachhaltige Digitalisierung 5 ABBILDUNGSVERZEICHNIS Abbildung 1: Expertenbefragung – Effizienzentwicklung der IT in der Zukunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Abbildung 2: Delphi-Befragung – Zukünftige Entwicklung des Energiebedarfs von Rechenzentren in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Abbildung 3: Bereitstellungsmodell für Rechenzentrums- und Cloud-Dienste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Abbildung 4: Delphi-Befragung – Einschätzung der Einsparpotentiale von Treibhausgasemissionen in den Technologiebereichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Abbildung 5: Borderstep-Technologieradar Kühlung und Klimatisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Abbildung 6: Borderstep-Technologieradar Energieversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Abbildung 7: Borderstep-Technologieradar Architekturen und Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Abbildung 8: Borderstep-Technologieradar IKT-Hardware . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Abbildung 9: Technologiefelder, für die ein staatliches Handeln als erforderlich angesehen wird . . . . . . . . . . . . 21 Abbildung 10: Energiekosten für ein Rechenzentrum mit 5 MW mittlerer Leistung im Jahr in Europa . . . . . . . . 24
Rechenzentren in Europa – Chancen für eine nachhaltige Digitalisierung 6 1 EINLEITUNG Leistungsfähige und effiziente Rechenzentren sind tät in Rechenzentren führt voraussichtlich – wie der die notwendige Voraussetzung für eine auf Nachhal- erste Teil der Studie gezeigt hat – trotz weiter deut- tigkeit ausgerichtete Digitalisierung. Dieser Sachver- lich steigender Energieeffizienz zu einem moderaten halt ist eine wesentliche Anstieg des Energiebedarfs. Während im Zeitraum Erkenntnis des ersten von 2010 bis 2020 der Energiebedarf der Rechen- Rechenzentren bieten viel- Teils dieser Studie zu zentren in Europa um 55% auf 87 TWh/a angestie- fältige Chancen für mehr den Nachhaltigkeitsef- gen ist, wird für das kommende Jahrzehnt nur noch Nachhaltigkeit – Als Basis- fekten von Rechenzen- ein Anstieg auf 98 TWh/a (+ 13%) prognostiziert infrastruktur der Digita- tren, der im Mai 2020 (Hintemann & Hinterholzer, 2020). Aufgrund des zu- lisierung sind leistungs- veröffentlicht wurde. nehmenden Einsatzes regenerativer Energien bei der fähige und nachhaltige Teil 1 der Studie gibt Stromerzeugung sinken die CO2-Emissionen der Re- Rechenzentren notwendig, einen Überblick über chenzentren in Europa insgesamt. Individuell können um künftig mehr Klima- die aktuellen und zu Betreibende von Rechenzentren bereits heute z.B. schutz und Nachhaltigkeit erwartenden künftigen über Power Purchase Agreements (PPAs) die Strom- zu erreichen. Nachhaltigkeitswirkun- versorgung ihrer Rechenzentren klimaneutral stellen. gen von Rechenzentren. Wie in einer Gesamtbetrachtung der CO2-Emissionen Im zweiten Teil der der Rechenzentren die unterschiedlichen regionalen Untersuchung werden Ansatzpunkte und Handlungs- Voraussetzungen (z.B. Atomstrom in Frankreich, möglichkeiten untersucht, wie die Rechenzentren Strom aus Wasserkraft in Nordeuropa) bewertet in Zukunft noch nachhaltiger werden können. Die werden können, stellt eine große Herausforderung Ergebnisse dieses zweiten Teils werden mit dem vor- dar. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Ziele liegenden Dokument vorgestellt. der EU-Kommission, Rechenzentren und Telekom- munikationsnetze bis 2030 klimaneutral zu betreiben Die zunehmende Digitalisierung führt zu einem deut- (siehe Kapitel 3). lich ansteigenden Bedarf an Rechen- und Speicher- leistung und damit zu einem verstärkten Ausbau der Trotz der schon erreichten Erfolge bei der Steigerung Rechenzentrumsinfrastruktur. Dieser Ausbau erfolgt der Energieeffizienz und der Absenkung der CO2- sowohl in großen zentralen Cloud- und Colocation- Emissionen der Rechenzentren ist es auch künftig Rechenzentren als auch dezentral in Hybrid Rechen- geboten, die Anstrengungen zur Verringerung des zentren oder Edge Rechenzentren (Hintemann & ökologischen Impacts der Digitalisierung zu ver- Hinterholzer, 2020; Mordor Intelligence, 2020). Für stärken. Wie Kapitel 2 dieses Berichts zeigt, stehen eine auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Digitalisierung hierzu eine Vielzahl technologischer und organisato- ist ein Ausbau der digitalen Infrastrukturen zwin- rischer Ansätze zur Verfügung. In den allermeisten gend notwendig. Nur mit Hilfe der Digitalisierung Fällen werden diese Ansätze aus Eigeninteresse in kann es gelingen, Industrieprozesse effizienter und der Rechenzentrumsbranche schnell umgesetzt. ressourcenschonender zu gestalten, Verkehrsströme Zum einen bedeuten Energieeinsparungen gleich- zu verringern und die Energiesysteme klimaneutral zeitig Kostensenkungen, zum anderen haben viele umzubauen. Das Rückgrat der Digitalisierung sind Unternehmen der Digitalwirtschaft konkrete Ziele, die digitalen Infrastrukturen und in deren Zentrum ihre Treibhausgasemissionen in den nächsten Jah- wiederum stehen die Betreibenden von Rechenzent- ren sehr deutlich zu senken und setzten daher die ren in ihren unterschiedlichsten Ausprägungen. entsprechenden Maßnahmen meist schnell um. Im Rahmen dieser Untersuchung wurden aber auch Der mit der weiteren Digitalisierung einhergehende Technologien und Handlungsfelder identifiziert, in steigende Bedarf an Rechen- und Speicherkapazi- denen aufgrund von wirtschaftlichen, organisatori-
Rechenzentren in Europa – Chancen für eine nachhaltige Digitalisierung 7 1 Einleitung schen oder regulatorischen Rahmenbedingungen Besondere Aufmerksamkeit wird in diesem Bericht die Durchsetzung neuer Lösungen nicht in dem aus den Potenzialen der Abwärmenutzung aus Rechen- Nachhaltigkeitssicht wünschenswerten Umfang er- zentren gewidmet. Da hier hohe Potenziale zur folgt. An diesen Stellen sind Ansatzpunkte für staat- Steigerung der Nachhaltigkeit von Rechenzentren ge- liches Handeln erkennbar. Kapitel 3 dieses Berichts sehen werden, gerät dieses Themenfeld zunehmend befasst sich mit dieser Fragestellung. Insbesondere in den Fokus von Politik und Öffentlichkeit. Auch Technologien aus dem Bereich der Nutzung regene- wenn eine Reihe von Praxisbeispielen die prinzipielle rativer Energien und der Sektorkopplung setzen sich Anwendbarkeit dieses Ansatzes in Rechenzentren in Rechenzentren aufgrund der bestehenden Rah- belegt, gibt es insbesondere in Deutschland noch menbedingungen oft nicht durch. Weitere Hemm- eine Vielzahl von Herausforderungen, denen begeg- nisse beim Einsatz neuer Technologien bestehen net werden muss. In Kapitel 4 wird dieses Themen- oft im Zusammenhang mit der Modernisierung von feld aufbereitet. Das abschließende Kapitel 5 zieht Rechenzentren oder durch sich widersprechende ein zusammenfassendes Fazit. Kundenanforderungen.
Rechenzentren in Europa – Chancen für eine nachhaltige Digitalisierung 8 2 TECHNOLOGISCHE POTENZIALE ZUR VERRINGERUNG DES ENERGIEBEDARFS UND DER TREIBHAUSGASEMISSIONEN VON RECHENZENTREN Technologieentwicklung bei ähnlichem Strombedarf immer leistungsfähiger. Kapitel 2 befasst sich mit technologischen Potenzialen In Teil 1 der Untersuchung konnte gezeigt werden, zur Verringerung des Energiebedarfs von Rechenzent- dass sich der Energiebedarf bezogen auf die Rechen- ren. Die Energieversorgung von Rechenzentren basiert und Speicherleistung im vergangenen Jahrzehnt um fast ausschließlich auf elektrischen Strom. Damit sind den Faktor sechs bis zwölf verringert hat (Hintemann die Treibhausgasemissionen des Betriebs von Rechen- & Hinterholzer, 2020). Dieser Trend ist vor allem auf zentren deutlich abhängig von der Art der Stromerzeu- die zunehmende Miniaturisierung entsprechend dem gung. Die spezifischen CO2-Emissionen pro erzeugter Gesetz von Gordon E. Moore (Moore’sches Gesetz1) kWh Strom variieren in Europa sehr stark. Während sie sowie der abnehmenden Leistungsaufnahme der aktuell in Norwegen unter 20 Gramm/kWh liegen, be- tragen Sie in Deutschland etwa 420 Gramm/kWh und in Polen etwa 600 Gramm/kWh (EEA, 2020). 1 Das Gesetz von Gordon E. Moore „Moore’s Law“ prognostiziert die jährliche Verdopplung von Komponenten auf Silizium Chips in einem Paper von 1965 (Moore, 1965). Im Jahr 1975 wurde die In der Vergangenheit wurde die IT-Hardware durch Prognose reduziert auf eine Verdopplung alle 18 Monate (Moore, die fortschreitende Entwicklung der Mikroelektronik 1975), was bis Mitte der 10er Jahre dieses Jahrhunderts. Wie schätzen Sie die zukünftige Entwicklung der IT-Energieefiizienz bis zum Jahr 2030 ein? 45 % 40 % 35 % 30% 25 % 20 % 15 % 10 % 5% 0% Höhere Effizienzgewinne Gleiche Effizienzgewinne Gewinne bei der Energie- Keine der Optionen / in der Zukunft als in der wie in der Vergangenheit effizienz der IKT werden kann ich nicht sagen Vergangenheit deutlich abnehmen Abbildung 1: Expertenbefragung – Effizienzentwicklung der IT in der Zukunft
Rechenzentren in Europa – Chancen für eine nachhaltige Digitalisierung 9 2 Technologische Potenziale zur Verringerung des Energiebedarfs und der Treibhausgasemissionen von Rechenzentren Einzelelemente (Transistoren) bei dieser Miniaturisie- Befragten an, dass die zukünftigen Effizienzgewin- rung gemäß Robert H. Dennard2 zurückzuführen. ne vergleichbar mit denen der Vergangenheit sein werden, knapp 20% der Befragten gehen davon aus, Aufgrund von physikalischen Grenzen der Verkleine- dass die Effizienzgewinne sogar noch höher sein rung gehen viele Experten davon aus, dass sich diese werden. Nur etwa 8% der Befragten geben an, dass Leistungssteigerungen und Effizienzgewinne gemäß sie erwarten, dass die Effizienzgewinne signifikant dem Moore’schen Gesetz in Zukunft nicht mehr mit zurückgehen. Etwa ein Drittel der Befragten kann der gleichbleibenden Geschwindigkeit realisieren oder will dazu keine Aussage machen. lassen (Li, Su, Wong & Li, 2019; Peckham, 2012; Waldrop, 2016). Es ist daher fraglich, ob über andere Während im Bereich der IT in den letzten Jahrzehn- Mechanismen und Technologiewechsel in der Mikro- ten enorme Effizienzsprünge gelungen sind, hat elektronik auch zukünftig Energieeffizienzfortschritte gleichzeitig der Bedarf an Rechen- und Speicherka- wie in der Vergangenheit erreicht werden können. pazität noch stärker zugenommen. Dies führt dazu, dass – wie eingangs ausgeführt – trotz der Effizienz- Aus diesem Grunde wurden in dieser Studie inter- gewinne der Energiebedarf von Rechenzentren in nationale Experten und Betreibende von Rechenzen- Summe in der Vergangenheit gestiegen ist (Hinte- tren im Rahmen einer Delphi-Untersuchung befragt, mann & Hinterholzer, 2020). Vor diesem Hintergrund welche zukünftige Entwicklung von Energieeffizienz wurde in der Expertenbefragung auch die Einschät- sie in der IT bis zum Jahr 2030 erwarten (siehe zung zur zukünftigen Entwicklung des Energiebe- Abbildung 1). Mit ca. 42% gibt der größte Teil der darfs von Rechenzentren abgefragt. Mit über 60% gehen die meisten Experten davon aus, dass der Energiebedarf weiter steigen wird. 26,1% der Exper- 2 Robert H. Dennard sagt bereits im Jahr 1974 in einem Paper vor- ten nehmen an, dass der Energiebedarf von Rechen- aus, dass bei zunehmender Miniaturisierung die thermische Ver- zentren bis 2030 moderat ansteigen wird, 34,8% lustleistung von elektronischen Chips pro Fläche in etwa konstant bleibt, auch wenn die Anzahl der Komponenten pro Fläche stark gehen hingegen davon aus, dass dieser signifikant zunimmt (Dennard et al., 1974). ansteigen wird. Nur ca. 10,9% der Befragten gehen Wie erwarten Sie, dass sich der Energiebedarf von Rechenzentren in Europa bis zum Jahr 2030 entwickelt? 40 % 35 % 30% 25 % 20 % 15 % 10 % 5% 0% Deutlicher Mäßige In etwa Moderater Deutlicher Kann ich nicht Rückgang Rückgang konstant Anstieg Anstieg beantworten Abbildung 2: Delphi-Befragung – Zukünftige Entwicklung des Energiebedarfs von Rechenzentren in Europa
Rechenzentren in Europa – Chancen für eine nachhaltige Digitalisierung 10 2 Technologische Potenziale zur Verringerung des Energiebedarfs und der Treibhausgasemissionen von Rechenzentren davon aus, dass der Energiebedarf in etwa gleich- Worst-Case-Szenario. Welcher Entwicklungspfad bleiben wird. Von einem moderaten Rückgang des tatsächlich eintreten wird, ist von der künftigen Energiebedarfs gehen 13,0% der Befragten aus, einen Technologieentwicklung abhängig. Im Folgenden starken Rückgang erwarten nur 2,2% (ein Befragter). werden Technologien dargestellt, die einen deut- Etwa 13% der Befragten konnten dazu keine Antwort lichen Einfluss auf die zukünftige Nachhaltigkeit von geben. Ein Grund für die teilweise unterschiedlichen Rechenzentren haben können. Einschätzungen der Experten sind vermutlich die un- klaren weiteren Leistungsbedarfe in Rechenzentren durch die voranschreitende Digitalisierung. Vier Technologiebereiche und besonders vielver- sprechende Technologien Die Befragung zeigt, dass kein einheitliches Mei- Für die Prozesse im Rechenzentrum ist eine ganze nungsbild bei den Experten existiert, wie sich der Palette an Technologien relevant, entsprechend viel- Energiebedarf von Rechenzentren zukünftig entwi- seitig sind auch die technologischen Möglichkeiten ckeln wird. Im Gesamtbild geht jedoch eine deutliche zur Steigerung der Nachhaltigkeit. Mehrheit an Experten von einem steigenden Energie- bedarf aus, wie dies auch im Teil 1 der Untersuchung Betrachtet man die physischen Elemente im Rechen- für den Trendfall prognostiziert wird. Dass die Ent- zentrum, so lässt sich vor allem die Aufteilung in die wicklung auch deutlich anders verlaufen kann, zeigen Bereiche Infrastruktur (Stromversorgung, Kühlung die ebenfalls entwickelten Szenarien im ersten Teil und Klimatisierung, u.a.) sowie IT-Hardware treffen. der Untersuchung. Die Spannweite der künftigen Aber auch die Software inklusive Virtualisierung, Entwicklung des Energiebedarfs der Rechenzentren Architekturen und Management hat einen wesentli- in Europa bis zum Jahr 2030 reicht von 54 TWh/a chen Einfluss auf die Leistungsfähigkeit und Effizienz im Effizienz-Szenario und bis zu 158 TWh/a im von Rechenzentren (siehe Abbildung 3). Anwendung Daten, Anwendungen, Speicher Scheduling Plattfomren Software Management (DCIM) Load Balancing, Scaling OS, Betriebssysteme, Laufzeitumgebungen, Mittelware Migration Datacenter Infrastructure Management Hypervisor Virtualisierung (Server, Speicher, Netzwerk) Energiemanagement Routing, Traffic control Klimatisierung, Kühlung RZ Stromversorgung Beleuchtung, etc. Zugangsschutz, Brandschutz, Hardware Netzwerk Abbildung 3: Bereitstellungsmodell für Rechenzentrums- und Cloud-Dienste
Rechenzentren in Europa – Chancen für eine nachhaltige Digitalisierung 11 2 Technologische Potenziale zur Verringerung des Energiebedarfs und der Treibhausgasemissionen von Rechenzentren Im Folgenden werden daher die Technologien, mit den Experten die Sehr hohe Potenziale denen die Nachhaltigkeit von Rechenzentren in Zu- höchsten Einspar- zur Verbesserung kunft gesteigert werden kann, anhand der folgenden potenziale gesehen der Energieeffizienz vier Bereiche vorgestellt: (siehe Abbildung 4). von Rechenzentren - Kühlung und Klimatisierung Diese Einschätzung existieren bei der Kli- - Architektur, Management und Software wurde in der zweiten matisierung und beim - IKT-Hardware Runde der Delphi-Be- Management der IT. - Stromversorgung fragung noch einmal bestätigt. Im direkten In der Expertenbefragung wurde ein Ranking für Vergleich mit dem Bereich Architekturen, Manage- diese Technologiebereiche hinsichtlich der Potenzia- ment und Software sahen 63,8% der Befragten le zur Einsparung von Energie durchgeführt. Dabei (n=69) die höchsten Energieeinsparpotenziale im wurden im Bereich Kühlung und Klimatisierung von Bereich Kühlung und Klimatisierung. Wie erwarten Sie, dass sich der Energiebedarf von Rechenzentren in Europa bis zum Jahr 2030 entwickelt? Höheres Potenzial Kühlung und Klimatisierung Architekturen, Management, IKT-Hardware Stromversorgung Software Abbildung 4: Delphi-Befragung – Einschätzung der Einsparpotentiale von Treibhausgasemissionen in den Technologiebereichen In den vier Technologiebereichen gibt es jeweils eine Im Rahmen dieser Untersuchung können allein Vielzahl an Technologien, die einen Beitrag zur Sen- 70 aussichtsreiche Technologien vorgestellt und kung des Energiebedarfs und damit zur Absenkung eingeordnet werden – von der freien Kühlung von der Treibhausgasemissionen von Rechenzentren Rechenzentren bis hin zu lastaptiven Rechenzent- leisten können. Der Einfluss von Energiebedarfs- ren, in denen die Rechenlast zeitlich so verschoben senkungen auf die Treibhausgasemissionen ist in wird, dass sie dem Stromangebot angepasst werden Ländern mit verhältnismäßig hohen CO2-Emissionen kann.3 in der Stromerzeugung wie z.B. in Deutschland be- sonders groß. 3 Eine kurze Darstellung der 70 Technologien findet sich im Anhang (Glossar).
Rechenzentren in Europa – Chancen für eine nachhaltige Digitalisierung 12 2 Technologische Potenziale zur Verringerung des Energiebedarfs und der Treibhausgasemissionen von Rechenzentren Es gibt eine Vielzahl von Die Darstellung dieser in den vergangenen Jahren in einer Vielzahl von technologischen Poten- Technologien erfolgt im Expertenworkshops und -befragungen analysiert und zialen, den Betrieb von Folgenden mit Hilfe von bewertet (Hintemann & Hinterholzer, 2018a, 2018b). Rechenzentren künftig Borderstep-Technologiera- Auch im Rahmen der Delphi-Befragung wurden ge- noch nachhaltiger zu daren. Dieses Instrument zielt Einschätzungen zu den Technologien abgefragt. realisieren. wurde am Borderstep Institut zur Darstellung Im Bereich Kühlung und Klimatisierung wurden für von Energieeffizienztech- vier Technologien besonders hohe Potentiale zur nologien für Rechenzentren im Jahr 2016 erarbeitet Energieeinsparung und damit auch zur Senkung der und seitdem kontinuierlich weiterentwickelt. Die Treibhausgase identifiziert. Diese Technologien sind Potenziale der verschiedenen Technologien wurden in Abbildung 5 gelb markiert. Abbildung 5: Borderstep-Technologieradar Kühlung und Klimatisierung In diesem Bereich ist insbesondere die Abwärme- ziente Entwärmung der Komponenten bei geringer nutzung von hoher Bedeutung, da die entstehende Durchströmung gegenüber großen Umluftmengen. Wärme in vielen Rechenzentren in Europa und in Durch die höhere Wärmekapazität und Dichte von Deutschland meist noch ungenutzt an die Umgebung Wasser müssen wesentlich kleinere Volumenströ- abgeführt wird. Das Thema wird deshalb in einem me für die Kühlung bewegt werden und die für den eigenen Kapitel aufgegriffen (Kapitel 4). Wärmetransport benötigte Energie ist um Größen- ordnungen geringer. Damit sind Energieeinsparungen In direktem Zusammenhang mit der Nutzung von im Bereich der Kühlung in der Größenordnung von Abwärme steht die Wasserkühlung ganzer Server. 70% möglich. Andererseits ermöglicht das Medium Dabei wird die gesamte Wärme aller Serverkompo- Wasser auch höhere Abwärmetemperaturen, womit nenten über Wasser abgeführt. Dieser technologi- die Abwärmenutzung besonders attraktiv wird sche Ansatz weist insbesondere zwei Vorteile auf. (Cloud&Heat, 2019). Einerseits ermöglicht Wasser eine sehr energieeffi-
Rechenzentren in Europa – Chancen für eine nachhaltige Digitalisierung 13 2 Technologische Potenziale zur Verringerung des Energiebedarfs und der Treibhausgasemissionen von Rechenzentren Ebenso im Bereich der Kühlung wurde die bereits gieintensive Kälteerzeugung mit Kompressionskälte- weit eingeführte direkte freie Kühlung sowie die anlagen zu verzichten. Gegenüber einer ganzjährigen indirekte freie Kühlung als Effizienztechnologie Kühlung eines Rechenzentrums mit Kompressions- identifiziert, mit deren Hilfe die Energieeffizienz der kältemaschinen ermöglichen Freikühltechnologien Rechenzentren auch in Zukunft noch weiter ver- Kühlenergieeinsparungen in der Größenordnung von bessert werden kann. Hierbei erfolgt die Kühlung 40 bis 90% - abhängig von den klimatischen und entweder über eine gereinigte Außenluft (direkte freie technischen Rahmenbedingungen. Kühlung) oder indirekt mit einem Zwischenmedium, das entweder flüssig (z.B. Wasser) oder bewegt (z.B. Im Bereich der Energieversorgung werden be- Kyoto-Rad) die Wärme vom Rechenzentrum an die sonders für zwei Technologien hohe Potentiale zur Außenluft abgibt. Die Technologien ermöglichen es, Einsparung von Energie und CO2 im Rechenzentrum im Rechenzentrum ganz oder teilweise auf eine ener- erwartet (Abbildung 6). Abbildung 6: Borderstep-Technologieradar Energieversorgung Einerseits stellen Brennstoffzellen eine interessante Mit Hilfe von Technologien der Sektorkopplung und Möglichkeit dar, um die bisher für die Unterbre- der ganzheitlichen Integration von Rechenzentren in chungsfreie Stromversorgung (USV) üblichen Diesel- die verschiedenen Energiesektoren können diverse aggregate durch einen abgasarmen bzw. im Fall von Synergien für die Dekarbonisierung der Energiever- Wasserstoff abgasfreien Stromerzeuger zu ersetzen. sorgung erschlossen werden. Im Stromsektor kön- Auch in Regionen mit sehr stabilen Stromnetzen wie nen insbesondere Lastadaptivität sowie Regelleis- Deutschland werden standardmäßig Testläufe der tung z.B. aus den vorhandenen Notstromaggregaten Notstromversorgung durchgeführt, um deren Funk- oder den USV-Batterien genutzt werden. So stehen in tionsfähigkeit zu testen. Dabei werden nicht unerheb- Deutschland insgesamt mehr als 700 MW an Strom- liche Mengen an Diesel verbrannt und Geräuschemis- erzeugungsleistung in Rechenzentren zur Verfügung, sionen erzeugt, weshalb eine Brennstoffzelle hier die zur Stabilisierung des Stromnetzes genutzt wer- eine saubere und leise Alternative darstellen kann. den könnten (Hintemann & Clausen, 2018a). Auch im
Rechenzentren in Europa – Chancen für eine nachhaltige Digitalisierung 14 Best Practice HEISSWASSERKÜHLUNG IM EUROTHEUM FRANKFURT Heißwasserkühlung macht Abwärmenutzung wirtschaftlich Nachhaltigkeitsaspekte - Effiziente direkte Kühlung mit Heißwasser - Reduzierung der Stromaufnahme der Server um ca. 10% durch Verzicht auf Serverventilatoren - Nutzung der Abwärme des Rechenzentrums zur Beheizung des Gebäudekomplexes - Bedarfsgerechte und energieeffiziente Datenver- arbeitung durch softwaregestützte Steuerung - Reaktivierung und Modernisierung der vorhande- nen Rechenzentrumsinfrastruktur Das Dresdener Unternehmen Cloud&Heat Techno- Mit der Open-Source-Software KRAKE steuert logies hat im Jahr 2018 ein Cloud-Rechenzentrum Cloud&Heat zudem eine Softwarelösung bei, mit de- im Gebäudekomplex Eurotheum in den Räumen des ren Hilfe sich Daten in verteilten Infrastrukturen immer ehemaligen Rechenzentrums der EZB in Frankfurt/ genau an dem Standort verarbeiten lassen, wo ihre Main in Betrieb genommen. Die bestehende Rechen- Verarbeitung entweder am energieeffizientesten ist – zentrumsinfrastruktur wurde in nur sechs Monaten etwa, weil der Strom aus Windkraftanlagen bezogen umgebaut. Dabei wurde von luftgekühlten Serversys- wird und vor Ort besonders starker Wind weht – oder temen auf Heißwasserdirektkühlung umgestellt. Dies wo der Bedarf an (Ab)Wärme am höchsten ist. ermöglicht es, auch unter den in Deutschland schwierigen Rahmenbedingungen die Ab- wärme des Rechenzentrums ökologisch und „Mit unserem Rechenzentrum ökonomisch attraktiv zu nutzen. Während bei im Eurotheum sparen wir klassisch luftgekühlten Systemen meist nur ein pro Jahr über 700 Tonnen CO2“ Temperaturniveau von 30 bis 35°C zur Verfü- Dr. Jens Struckmeier gung steht, liefert die Cloud&Heat-Lösung am CTO & Founder Cloud & Serverausgang Heißwasser mit 60°C. Heat Technologies GmbH Dank eines wasserbasierten Direktkühlsystems können ca. 70 % der Abwärme direkt vor Ort zum Daten & Fakten Beheizen der ansässigen Büro- und Konferenzräume, - Art des Rechenzentrums: Cloud Hotellerie und Gastronomie genutzt werden. CTO Rechenzentrum Dr. Jens Struckmeier erläutert die ökonomischen - IT-Fläche: 50 m2 plus 25 m2 (Ausbaustufe) Vorteile der Lösung: “Durch Einsatz der nachhaltigen - Baujahr: 1999, Modernisierung: 2017/18 Cloud&Heat-Technologie können wir im Eurotheum - PUE: 1,27 (alter PUE: 1,92) jährlich 40% der Energiekosten einsparen“. Die sehr - Leistung pro Rack: 6 bis 100 kW effiziente Heißwasserdirektkühlung des Rechenzen- Weitere Informationen: trums spart gegenüber konventioneller Luftkühlung Whitepaper: https://www.cloudandheat.com/wp-content/uploads/ etwa 190.000 € im Jahr an Kühlkosten. Zusätzlich 2020/02/2019-12-16_WhitepaperEinsparpotenzial.pdf ermöglicht es die Abwärmenutzung 65.000 € pro Jahr Fotos: Cloud&Heat Technologies an Heizkosten zu sparen.
Rechenzentren in Europa – Chancen für eine nachhaltige Digitalisierung 15 2 Technologische Potenziale zur Verringerung des Energiebedarfs und der Treibhausgasemissionen von Rechenzentren Abbildung 7: Borderstep-Technologieradar Architekturen und Management Wärmesektor stellen Rechenzentren eine mögliche Die automatisierte Angabe der Energiebedarfe von Energiequelle dar (siehe Kapitel 4). Geräten kann dazu dienen, Energieverbrauch von Einzelkomponenten im Rechenzentrum besser zu Im Bereich Architekturen und Management wur- erfassen und zu monitoren. Sie stellt damit die Basis den gleich fünf Technologien mit besonders hohem dar, um innerhalb des Rechenzentrums unnötige Ver- Potenzial für die Reduktion des Energiebedarfs und bräuche zu eliminieren. damit auch der CO2-Emissionen identifiziert (Abbil- dung 7). Sehr grundlegend für den Bedarf an IT-Ressourcen ist die Programmierung von Software. Je nachdem, Lastadaptive Rechenzentren können Teile ihrer wie effizient Code die Anforderungen ausführt, desto Rechenlast zeitlich verschieben oder virtualisierte geringer ist der Bedarf an Hardware um diese zu be- Workload auf andere Rechenzentren verschieben. treiben. Insbesondere im Bereich von Anwendungen Dies ist insbesondere im Hinblick auf die zunehmen- auf mobilen Endgeräten werden Softwareprodukte de Stromerzeugung aus Windkraft und Photovoltaik heute bereits oft schon sehr energieeffizient pro- sinnvoll, da diese Energieträger nur entsprechend grammiert. Im Bereich der Anwendungssoftware in Sonneneinstrahlung oder Windstärke verfügbar Rechenzentren werden jedoch noch hohe Potenziale sind und eine Speicherung von Elektrizität nur unter zur Verbesserung der Energieeffizienz gesehen. hohen Kosten möglich ist. Eine Verschiebung von Durch effiziente Algorithmen sowie eine bedarfsge- Lasten ist schon heute möglich, aber bislang nur rechte und auf die vorhandene Hardware optimierte begrenzt technisch und wirtschaftlich sinnvoll Programmierung der Software werden Energieein- (Hanstein, 2014). Mit dem Ausbau der Telekommu- sparpotenziale von 10 bis über 30% erwartet (Hilty et nikationsnetze und der breiten Einführung von Edge al., 2015; Pinto & Castor, 2017). Rechenzentren wird erwartet, dass in 10 Jahren ein variables Verschieben von Cloud-Arbeitslasten an Energieeffiziente Architekturen stellen eine Mög- Standorte mit fossilfreier Energie möglich ist (Minde lichkeit dar, die Bereitstellung und Aufteilung von & Ostler, 2020). Daten bzw. Diensten in verteilten IT-Strukturen zu
Rechenzentren in Europa – Chancen für eine nachhaltige Digitalisierung 16 2 Technologische Potenziale zur Verringerung des Energiebedarfs und der Treibhausgasemissionen von Rechenzentren Abbildung 8: Borderstep-Technologieradar IKT-Hardware optimieren. Mit den zunehmenden Anforderungen bei dem geschäftsprozessbezogen die verwendeten an die Latenz von Anwendungen z.B. im Bereich Ressourcen meist in Echtzeit analysiert und gesteu- Industrie 4.0, Smart City oder autonomen Fahren ert werden. Der Einsatz von ERP in IKT-Infrastruktur kommt verteilten Rechenzentrumsstrukturen (Edge kann eine hohe Auslastung der IKT gewährleisten. Computing, Fog Computing) eine zunehmende Bedeutung zu. Größere Teile der Datenverarbeitung Im Bereich der IKT Hardware wurde insbesondere das findet dabei am Rand des Netzwerkes statt (Luber GPU4 Computing als Technologie identifiziert, bei der & Karlstetter, 2018). Für die Optimierung der Auf- hohe Effizienzpotenziale erwartet werden. Hier beste- teilung der Daten und Dienste auf diese verteilten hen für spezielle An- Strukturen können neben Latenzkriterien auch Kri- wendungen wie z.B. terien der Energieeffizienz Berücksichtigung finden im Bereich künst- Jede Kilowattstunde, die (Jalali, Hinton, Ayre, Alpcan & Tucker, 2016). Durch licher Intelligenz die IT nicht benötigt, muss optimierte Architekturen und Managementlösungen durch die speziellen auch nicht in Form von kann die Entscheidung, an welcher Stelle welche Architekturen hohe Wärme durch die Kühlung Prozesse durchgeführt werden, an den notwendigen Geschwindig- abtransportiert werden und Energiebedarfen der Datenverarbeitung, -übertragung keitsvorteile bei in der Stromversorgung ab- und -speicherung ausgerichtet werden. Auch eine der Berechnung. gesichert werden. Verteilung der Daten und Dienste, je nach Angebot Gegenüber klassi- an regenerativ erzeugtem Strom im Netz oder nach schen CPUs werden Bedarf an Abwärme, ist mit diesem Ansatz möglich Leistungssteigerungen um den Faktor 30 und mehr (siehe Best Practice Beispiel Heißwasserkühlung im angegeben (IBM, 2019; Martins & Kobylinska, 2018). Eurotheum Frankfurt). 4 GPU steht für graphics processing unit, englisch für Grafikprozes- Bei der systemübergreifenden ganzheitlichen Effi- sor. Häufig werden rechenintensive Anwendungen auf leistungs- zienzoptimierung wird ein Ansatz vergleichbar mit starken GPUs berechnet, die zum Teil weitaus höhere Rechenleis- dem Enterprise Resource Planning (ERP) verfolgt, tung aufweisen als Standard CPUs.
Rechenzentren in Europa – Chancen für eine nachhaltige Digitalisierung 17 2 Technologische Potenziale zur Verringerung des Energiebedarfs und der Treibhausgasemissionen von Rechenzentren fristig nachhaltigen Betrieb gestellt werden. Dies gilt Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass zur nahezu für alle zuvor gezeigten Infrastruktur-Techno- Steigerung der Nachhaltigkeit von Rechenzentren logien im Bereich der Kühlung und Klimatisierung eine Vielzahl von innovativen Technologien zur sowie der elektrischen Energieversorgung. Verfügung stehen bzw. entwickelt werden. Es ist davon auszugehen, dass es auch in Zukunft gelin- Für Rechenzentren im Bestand bzw. im laufenden gen wird, die Energieeffizienz in den Rechenzentren Betrieb stellen sich größere Herausforderungen, um weiter deutlich zu steigern. Bei der Realisierung der mit Hilfe neuer Technologien einen energieeffizienten Effizienzpotenziale ist allerdings zwischen neu zu Betrieb der Infrastruktur zu ermöglichen. Der Ersatz bauenden und vorhandenen Rechenzentren zu unter- vorhandener Lösungen ist oft nicht problemlos im scheiden. laufenden Betrieb möglich und auch aus Nachhaltig- keitsgründen oft nicht wünschenswert. Dennoch Bei neu zu bauenden Rechenzentren werden heute sollte insbesondere bei der Erneuerung von IT-Hard- bereits viele der am Markt verfügbaren innovativen ware und bei der Einführung von Management-Tools Technologien eingesetzt (siehe auch Best Practices ein großes Augenmerk auf möglichst hohe Effizienz Beispiele), so dass eine sehr hohe Energieeffizienz gelegt werden. Jede Kilowattstunde, die die IT nicht realisiert werden kann. Mit dem Blick auf eine lange benötigt, muss auch nicht in Form von Wärme durch Lebensdauer des Gebäudes und der gebäudetech- Kühlung abtransportiert und in der Stromversorgung nischen Infrastruktur (>10 Jahre) sollten in diesem abgesichert werden. Bereich die technologische Weichen auf einen lang-
Rechenzentren in Europa – Chancen für eine nachhaltige Digitalisierung 18 Best Practice ENERGIEOPTIMIERUNG VON VODAFONE PORTUGAL Energieeffizienz von Telekommunikations-Standorten Mobiler Datenverkehr Energiebedarf Nachhaltigkeitsaspekte - Effiziente IKT-Hardware und Virtualisierung IKT Infrastruktur ah r 20 - Effiziente unterbrechungsfreie Stromversorgung J ro tie gp 15 (USV) s Terabyte (TB) An 40 % - Modernisierung vorhandener Standorte Gwh/a 10 - Erhöhung der Transparenz durch Monitoring- und 5 Gebäudemanagementsysteme 0 FJ 16 FJ 17 FJ 18 FJ 19 FJ 20 FJ 16 FJ 17 FJ 18 FJ 19 FJ 20 - Betrieb der Standorte mit erneuerbarem Strom Vodafone betreibt Mobil- und Festnetze in mehre- Trotz Anstieg des mobilen Datenverkehrs um den ren EU Ländern. Der Betrieb ist auf Rechenzentren Faktor 5.1 blieb der Energiebedarf mit knapp 20 und Telekommunikationszentralen angewiesen, die GWh/Jahr nahezu konstant. Der erreichte PUE-Wert regional verteilt sind, um die erforderliche Flächen- von 1,36 ist ein ausgezeichnetes Ergebnis für Stand- abdeckung und Redundanz (z.B. bei Erdbeben) zu orte dieses Alters, der Gebäudeart sowie der relativ gewährleisten. Es stellt eine große Herausforderung hohen Außentemperaturen in Portugal. dar, diese gewachsenen Standorte energetisch zu optimieren, da sich die baulichen Gegebenheiten von Vodafone nutzt die gewonnenen Erkenntnisse für diesen Gebäuden deutlich von modernen Rechen- weitere Optimierungsprojekte in Portugal und auch in zentren unterscheiden. Gleichzeitig erfordert der anderen Märkten. Ab Juli 2021 werden alle europäi- deutliche Anstieg des Datenverkehrs um etwa 40% schen Standorte mit erneuerbarem Strom versorgt. pro Jahr Kapazitätsanpassungen, die durch neue Ziel von Vodafone ist es, alle Standorte weltweit leistungsstarke Hardware bereitgestellt wird. energetisch zu optimieren und die CO2-Emissionen durch den Einsatz erneuerbarer Energiequellen zu Da eine Schließung solcher Standorte und die Ver- minimieren. legung der Hardware in moderne effiziente Rechen- PUE-Wert zentren technisch und wirtschaftliche nur in weni- (Power Usage Effectiveness) gen Fällen vertretbar ist, wurde im Finanzjahr (FJ) 1,6 2015/16 (April 2015 bis März 2016) ein mehrjähriges 1,5 Optimierungsprogramm gestartet. Mit den folgenden 1,3 Maßnahmen konnte der PUE-Wert von 1,57 auf heute 1,36 reduziert werden: 1,2 - Monitoring von Energiedaten und PUE gemäß 1,0 Green Grid und EN 50600 Standards. FJ 16 FJ 17 FJ 18 FJ 19 FJ 20 - Modernisierung der Kühlanlagen mit direkter und indirekter freier Kühlung, und hocheffizienten Kälte- Daten & Fakten maschinen, Optimierung des Rechenzentrumslay- - Art der Rechenzentren: Telekommunikationsstandorte outs und der Luftströme. - 12 Standorte, 30 bis 500 kW Leistungsaufnahme - Installation von Gebäudemanagement und moder- - Baujahr: vor 2010, Modernisierung ab 2015 nen Steuerungsanlagen, Optimierung des Tempera- - PUE: Ø 1,36, vor 2015: Ø 1,57 turprofils und der Sollwerte. Weitere Informationen: - Einsatz von hocheffizienten modularen USV-Syste- https://www.vodafone.com/our-purpose/planet/reducing-emissions- men und Abschaltung von -48V DC Gleichrichtern. in-our-operations
Rechenzentren in Europa – Chancen für eine nachhaltige Digitalisierung 19 3 RAHMENBEDINGUNGEN FÜR RECHENZENTREN IN DEUTSCHLAND UND EUROPA Kapitel 3 befasst sich mit den politischen, regula- ein konkretes staatliches Handeln als erforderlich torischen und sonstigen Rahmenbedingungen für angesehen wird (Abbildung 9). Außerdem gibt es in Rechenzentren, die einen Einfluss auf deren Nach- der Rechenzentrumsbranche Diffusionshemmnisse, haltigkeit haben. Dazu wird zum einen betrachtet, an die einer Steigerung der Energie- und Ressourceneffi- welchen Stellen staatliches Handeln zu einer Förde- zienz entgegenwirken (Hintemann & Clausen, 2018a, rung des Einsatzes neuer Technologien führen kann. 2018b). Zum einen Zum anderen werden regulatorische und sonstige stellt die Moderni- Rahmenbedingungen auf europäischer und deut- sierung existieren- Die energetische Moder- scher Ebene analysiert, bei denen Branchenvertreter der Rechenzentren nisierung von Bestands- Handlungsbedarf sehen. (Retrofit) hohe He- rechenzentren konfrontiert rausforderungen. die Betreibenden mit sehr Wie Kapitel 2 gezeigt hat, gibt es eine Vielzahl von Nicht unbedingt hohen ökonomischen und Technologien, mit denen Rechenzentren in Zukunft notwendige Moder- organisatorischen Heraus- noch energieeffizienter und nachhaltiger betrieben nisierungsmaßnah- forderungen. werden können. Ein Großteil dieser Lösungen tragen men werden häufig dazu bei, dass nicht nur die Energieeffizienz, sondern unterlassen, um auch die Wirtschaftlichkeit des Rechenzentrums- einen störungsfreien Betrieb und die Verfügbarkeit betriebs gesteigert werden kann. Aus der Forschung nicht zu gefährden („Never touch a running system“). zur Verbreitung von Innovationen (Diffusionsfor- Gerade bei Bestandsrechenzentren werden jedoch schung) ist bekannt, dass effizienzsteigernde Inno- oft noch hohe Optimierungspotenziale gesehen, vationen im Bereich der Investitionsgüter, die von Energieeinsparungen von bis zu 50% werden als etablierten Anbieter in den Markt gebracht werden, realistisch angesehen (Gröger & Köhn, 2016). eine hohe Diffusionsdynamik entfalten und schon nach kurzer Zeit hohe Marktanteile erreichen (Fichter Teilweise wird die energetische Modernisierung & Clausen, 2013). Zu diesem Innovationstyp zählen von Rechenzentren auch durch die Anforderungen die meisten der im Umfeld von Rechenzentren neu der Kunden erschwert. So wird beispielsweise die entwickelten Lösungen. Eine Unterstützung der Diffu- energetische Modernisierung von Rechenzentren im sion solcher Innovationen durch staatliche Maßnah- laufenden Betrieb als vermeidbares Risiko erachtet, men ist daher nur selten notwendig. Finanzielle Zu- weshalb entsprechende Maßnahmen kritisch be- schüsse können sich bei diesen Technologien daher wertet werden. Auch kundenseitige Anforderungen zumeist auf die generelle Förderung von Forschung hinsichtlich niedriger Temperaturen in Rechenzent- und Entwicklung zur Steigerung der Energie- und ren behindern oft den energieeffizienten Betrieb von Ressourceneffizienz fokussieren. Bei einzelnen inno- Rechenzentren. Bei Colocation-Rechenzentren las- vativen Technologien kann eine Unterstützung von sen sich Kunden häufiger sehr hohe Leistungen an Pilot- und Demonstrationsvorhaben den Markteintritt Stromversorgung und Kühlung vertraglich zusichern, erleichtern; für die breite Anwendung von Technolo- die aber nur teilweise abgerufen werden (Hintemann gien in der Wirtschaft sollte der Fokus hauptsächlich & Clausen, 2018b). Damit möchten die Kunden sich auf dem Abbau von bürokratischen Hürden liegen. die Flexibilität ermöglichen, um im Bedarfsfall einen zügigen Ausbau der IT-Hardware vornehmen zu kön- Wie die Delphi-Befragung zeigt, gibt es aber den- nen. Diese Flexibilität war beispielsweise während noch bestimmte Technologiebereiche, in denen des Corona-Lockdowns von Vorteil.
Rechenzentren in Europa – Chancen für eine nachhaltige Digitalisierung 20 Best Practice WINDCORES Rechenzentren in vorhandenen Windenergieanlagen Nachhaltigkeitsaspekte - Nutzung vorhandener Windkraftanlagen als Re- chenzentrumsgebäude - Elektrische Versorgung der Rechenzentren direkt aus Windkraft - Reduktion der Stromeinspeisung kann Netzeng- pässe reduzieren - Skalierbare, redundante und verteilte Rechenzent- Foto: WestfalenWIND IT rumsarchitektur Die WestfalenWIND IT GmbH & Co. KG hat im Jahr eine dezentrale Verteilung von Rechenlast. Die Direkt- 2017 unter der Marke „windCORES“ begonnen, Wind- versorgung mit Strom hat weiterhin den Vorteil, dass kraftanlagen als Rechenzentrumsgebäude zu nutzen. die WestfalenWIND IT ihren Kunden günstige Strom- So können die bereits vorhandenen zugangssicheren preise bieten kann. Räume einer nachhaltigen Zweitnutzung zugeführt werden. windCORES bietet aktuell Rackspace für Systemhäu- ser, Managed Service Provider sowie einen interna- Das windCORES-Konzept ermöglicht es, den Wind- tional tätigen Streaming Dienstleister. Die vielfältigen strom direkt dort zu nutzen, wo er produziert wird. Anwendungsgebiete der Kunden unterstreichen die Damit steht den Rechenzentren nicht nur nachhaltig er- Flexibilität der Infrastruktur. zeugter Strom zur Verfügung, es wird auch vermieden, dass unnötigerweise Windkraftanlagen abgeregelt werden müssen. Im Jahr 2019 konnten in Deutschland aufgrund von Ab- „Wir stärken die nachhaltige Ver- regelung insgesamt 5,4 TWh an regenera- sorgung der Digitalisierung mit tiv erzeugten Strom nicht genutzt werden, Energie. Dafür rekombinieren wir um das Stromnetz nicht zu überlasten. Windenergieanlagen mit Rechen- Diese ungenutzte Energiemenge ent- zentren in einem innovativen und spricht in etwa einem Drittel der jährlich wirtschaftlichen Modell“ in Deutschland von Rechenzentren be- Dr. Gunnar Schomaker nötigten Energie. Ideengeber und Initiator von windCORES Die windCORES werden sowohl als Colocation-Flächen als auch im Rah- men von Managed Services genutzt. Pro Rack kön- Daten & Fakten nen Leistungsaufnahmen von bis zu 90 kW realisiert - Art des Rechenzentrums: Managed Services und werden. Daher eignet sich das Konzept insbesondere Colocation-Rechenzentrum für Anwendungen im Bereich des High Performance - IT-Fläche:100 m2 pro Windkraftanlage (insgesamt Computings wie Klimasimulationen oder aerodyna- 100 Windkraftanlagen) mische Flussberechnungen. Die Standorte sind direkt - Max. Leistung: 600 kW pro Windkraftanlage an den Rechenzentrumsknoten DE-CIX in Frankfurt - Baujahr: ab 2017 angebunden. windCORES ermöglicht aufgrund der - PUE: < 1,3 großen Zahl der schon vorhandenen Gebäude eine schnelle Inbetriebnahme neuer Rechenzentren und Weitere Informationen: https://www.windcores.de/
Rechenzentren in Europa – Chancen für eine nachhaltige Digitalisierung 21 3 Rahmenbedingungen für Rechenzentren in Deutschland und Europa Die im Normalfall geringe Auslastung führt aber zum tiert erheblicher Forschungsbedarf. Es ist notwen- einen dazu, dass die vorhandenen Infrastrukturen dig, alternative Möglichkeiten zu erforschen und zu im Teillastbetrieb nicht effizient betrieben werden entwickeln, die es ermöglichen auch künftig weiter können. Zum anderen müssen unnötige Ressourcen die Effizienzfortschritte wie in der Vergangenheit im Rechenzentrum und in den Stromnetzen bereit- zu realisieren. Mögliche technologische Lösungen gehalten werden. können z.B. im Bereich 2D-Materialien, kohlenstoff- basierte Mikroelektronik, Quantencomputer, Silicon Im Folgenden wird dargestellt, wie und in welchen Photonics oder neuromorphe Prozessoren liegen. In Bereichen eine Technologieförderung die Nachhal- diesen Technologiebereichen sind europäische For- tigkeit von Rechenzentren weiter erhöhen würde. schungseinrichtungen und Unternehmen internatio- Außerdem werden ausgewählte regulatorische nal wettbewerbsfähig (Hintemann & Clausen, 2018a). und sonstigen Rahmenbedingungen in Europa und Welche Lösungen künftig dazu beitragen können, die Deutschland diskutiert. Nachhaltigkeit der Rechenzentren weiter zu erhöhen, ist noch ungeklärt. Auch hier besteht Forschungs- Bei der Technologieförderung kann zwischen For- bedarf. Die allgemeine Forschungsförderung sollte schungsförderung und der Förderung des Einsatzes technologieoffen erfolgen und auch ganz neue und energie- und ressourcenschonender Technologien alternative Entwicklungslinien unterstützten. unterschieden werden. Im Bereich der Forschung ist eine weitere allgemeine Förderung von neuen Im Rahmen der Delphi-Untersuchung wurde ein energie- und ressourcensparenden Technologien im konkreter Bedarf zur Förderung von Technologien Bereich der Informationstechnik und dem Betrieb insbesondere in energienahen Lösungen wie Ab- von Rechenzentren sinnvoll. Insbesondere aufgrund wärmenutzung aus Rechenzentren, Sektorkopplung, der Grenzen der Miniaturisierung und dem damit zu regenerative Energieversorgung von Rechenzentren, erwartenden Ende des Moore’schen Gesetzes exis- Nutzung von Rechenzentren als aktive Elemente Politischer Handlungsbedarf in einzelnen Technologiebereichen zur Reduktion von Treibhausgasemissionen Natürliche Kältemittel Lokale Photovoltaik Abwärmenutzung Sektorenkopplung Brennstoffzelle Lokale Windenergie Regelleistung aus RZ niedrig mittel hoch sehr hoch Abbildung 9: Technologiefelder, für die ein staatliches Handeln als erforderlich angesehen wird
Rechenzentren in Europa – Chancen für eine nachhaltige Digitalisierung 22 3 Rahmenbedingungen für Rechenzentren in Deutschland und Europa im Energiesystem und im Bereich Brennstoffzellen Staatliche Unterstützung wäre hier neben den bereits identifiziert. Außerdem wurde staatlicher Handlungs- existierenden Programmen für Energieeffizienzbe- bedarf bei der Entwicklung und dem Einsatz von ratungen und Investitionsförderungen durch ent- natürlichen, weitgehend klimaneutralen Kältemitteln sprechende Kriterien in der öffentlichen Beschaffung für Rechenzentren gesehen. Diese Fragestellungen möglich. Staatliche Institutionen auf Ebene von sind alle von hoher Bedeutung, wenn der Betrieb Bund, Länder von Rechenzentren künftig klimaschonend erfolgen und Gemein- soll. Die Spannweite der Ansätze, den Strombedarf den sind Die gezielte Berücksichtigung der Rechenzentren klimaneutral zu stellen, ist groß. für mehr von ökologischen Aspekten in Die heute meist übliche Vorgehensweise, über ent- als 10% der öffentlichen Ausschreibungen sprechende Verträge mit den Stromanbietern oder gesamten stellt einen mächtigen Hebel für CO2-Zertifikate Klimaneutralität herzustellen, wird Nachfra- die Diffusion neuer Effizienztech- teilweise als nicht ausreichend kritisiert (Reveman ge nach nologien dar. & Ostler, 2019, 2020). Ein tatsächlicher Betrieb von Rechenzent- Rechenzentren mit regenerativ erzeugtem Strom rumsleistung müsste zumindest sicherstellen, dass die Anlagen in Deutschland verantwortlich (Hintemann, 2014). zur Stromerzeugung speziell für die Rechenzentren Damit können staatliche Institutionen eine deutlich errichtet wurden und dass der Strom auch zeitgleich sichtbare Vorbild- und Steuerungsfunktion bei der zum Verbrauch erzeugt wird bzw. entsprechende Formulierung von Nachhaltigkeitszielen einnehmen6. Speicherkapazitäten vorhanden sind. Es wird bereits Auch rechenzentrumsspezifische Pilot- und Leucht- länger an entsprechenden Lösungen geforscht turmprojekte sowie Reallabore können die Durchset- (Hintemann, Fichter & Schlitt, 2014; Ostler, 2020a). zung neuer nachhaltiger technologischer Ansätze im Google hat beispielsweise zugesagt, bis zum Jahr Rechenzentren fördern. 2030 seinen Strombedarf rund um die Uhr (24/7) mit CO2-frei erzeugtem Strom zu decken (Google, 2020). In Hinsicht auf die Rahmenbedingungen für nach- Solche Lösungen sind jedoch technisch meist sehr haltigen Rechenzentrumsbetrieb auf europäischer aufwändig und in der Breite aller Rechenzentren und Ebene wurden in den im Rahmen der Studie durchge- ihrer Standorte nur schwer zu realisieren5. Auch auf- führten Interviews insbesondere die Themen Green grund des steigenden Energiebedarfs der Rechen- Deal/Digital-Strategie, Ökodesign, GAIA-X und die zentren und ihrer hohen Bedeutung für eine nach- Energiesteuerrichtlinie diskutiert. Die wesentlichen haltige Wirtschaft und Gesellschaft ist daher eine Ergebnisse der Interviews werden im Folgenden kurz gezielte Forschungsförderung zur 24/7-Versorgung vorgestellt. von Rechenzentren mit CO2-frei erzeugten Strom wünschenswert. Der Green Deal der Europäischen Union adressiert die Themen Klimawandel und Umweltzerstörung, die eine Neben der Forschungsförderung ist auch die Förde- existenzielle Bedrohungen für Europa und die Welt dar- rung des Einsatzes von energie- und ressourceneffi- stellen. Für Europa soll eine neue Wachstumsstrategie zienten Technologien wichtig. Dies gilt insbesondere entwickelt werden, die einen Übergang zu einer moder- bei der Modernisierung von Bestandsrechenzentren. nen, ressourceneffizienten und wettbewerbsfähigen Wirtschaft ermöglicht. Bis 2050 sollen keine Netto- treibhausgasemissionen mehr freigesetzt werden und 5 An Standorten mit viel Strom Wasserkraft oder Kernenergie ist das Wirtschaftswachstum soll von der Ressourcen- bereits heute ein 24/7-Betrieb von Rechenzentren mit CO2-frei nutzung abgekoppelt werden. Der europäische Green erzeugten Strom möglich. An vielen anderen Standorten wie z.B. Deal stellt den Fahrplan für eine solche nachhaltige in Deutschland wird dies insbesondere für kleinere und lokale EU-Wirtschaft (European Commission, 2019). Gemäß Rechenzentren auch in den kommenden zehn Jahren kaum reali- sierbar sein. einer Mitteilung der EU-Kommission zur Gestaltung der digitalen Zukunft Europas (EU Kommission, 2020) 6 Zur Unterstützung bei der umweltfreundlichen öffentlichen Be- ist vorgesehen, das Rechenzentren und Telekommuni- schaffung von Rechenzentrumsdienstleistungen gibt es Hilfestel- lungen vom Umweltbundesamt (Gröger & Köhn, 2016) und von der kationsnetze bis zu Jahr 2030 klimaneutral werden. Europäischen Kommission (European Commission, 2020). In den Interviews mit Vertretern der Rechenzent-
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