Rechtliche Regelungen zur Patientenverfügung - Gratwanderung zwischen Autonomie und Fürsorge
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Rechtliche Regelungen zur Patientenverfügung - Gratwanderung zwischen Autonomie und Fürsorge - Wildbad Kreuth, 1. Dezember 2007, Rainer Beckmann I. Allgemeine Rechtsgrundlagen für Autonomie und Fürsorge am Lebensende
Verfassungsrecht Menschenwürde, Art. 1 I GG - MW-Verletzung: Behandlung als bloßes Objekt - Freiheit von - totaler - Fremdbestimmung Recht auf Leben, Art. 2 II 1 GG - Schutzpflicht des Staates - auch gegen den Willen des Patienten? Pflicht zu Leben? Recht auf körperliche Unversehrtheit, Art. 2 II 1 GG - Abwehrrecht gegen körperliche Eingriffe („körperbezoge- nes Selbstbestimmungsrecht“) - kein Behandlungsrecht gegen den Willen des Patienten („Zwangsbehandlung“) Bürgerliches Recht Unerwünschte medizinische Behandlung: Schadensersatzanspruch: § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. § 223 ff. StGB zivilrechtlicher Unterlassungsanspruch: §§ 823 Abs. 1 i.V.m. 1004 BGB analog Patientenverfügung: allgemeine zivilrechtl. Regelungen zu Willenserklärungen, Vollmacht- erteilung etc. Umgang mit nicht entscheidungs- fähigen Patienten: Betreuungsrecht, §§ 1896 ff. BGB
Strafrecht Totschlag (Mord), § 212 (211) StGB Tötung auf Verlangen, § 216 StGB Körperverletzung, § 223 StGB Auch: ärztlicher Eingriff. Rechtfertigung: Einwilligung nach Aufklärung („informed consent“) Selbsttötung straflos (Beihilfe und Anstiftung ebenfalls, auch durch Ärzte; jedoch berufsrechtliche Ab- lehnung. P: Garantenstellung d. Arztes) Definition Patientenverfügung „Willensäußerung eines einwilligungsfähigen Patienten zur zukünftigen Behandlung für den Fall der Äußerungsunfähigkeit“ (BÄK), insbesondere die Erteilung oder Verweigerung der Einwilligung in bestimmte ärztliche Maß- nahmen. Ausübung des körperlichen Selbstbestimmungs- rechts (Art. 2 II 1 GG)
Behandlungsverzicht: Situationen (BMJ) im unmittelbaren Sterbeprozess Endstadium einer unheilbaren, tödlich verlaufenden Krankheit – auch wenn der Todeszeitpunkt noch nicht absehbar ist. Gehirnschädigung mit Verlust der Fähigkeit, Einsichten zu gewinnen, Entscheidungen zu treffen und mit anderen Men- schen in Kontakt zu treten (insb. „Wachkoma“). fortgeschrittener Hirnabbau- prozess mit Unfähigkeit zur natürlichen Nahrungs-/Flüssig- keitsaufnahme (Alzheimer, Demenz). grds. keine Situationsbeschrän- kung (Ö Zeugen Jehovas) Behandlungsverzicht: Maßnahmen (BMJ) Verzicht auf alle lebenserhaltenden Maßnahmen oder Verzicht auf: - künstl. Ernährung/ Flüssigkeitszufuhr - Beatmung - Wiederbelebung - Dialyse - ...
Charakter der Patientenverfügung Behandlungsver- Grauzone „Recht auf den ei- zichts-Erklärung genen Tod“ (Verweigerung der Beispiele: (Verfügungserklärung Einwilligung) Wiederbele- über das eigene bung (Risiko) Leben) Ziel: Abwehr von Nebenwir- Ziel: Herbeiführung Körperverlet- kungen des eigenen Todes zungen Erfolgswahr- scheinlichkeit Ausdruck der „Selbsttötungs- „Patienten- verfügung“ autonomie“ Grauzone Strafrecht Totschlag (Mord), § 212 (211) StGB Tötung auf Verlangen, § 216 StGB Abwehr unerwünschter Körperverletzung, § 223 StGB Behandlungs- Auch: ärztlicher Eingriff. maßnahmen Rechtfertigung: Einwilligung nach Aufklärung („informed consent“) Selbsttötung straflos „Recht auf den (Beihilfe und Anstiftung ebenfalls, auch eigenen Tod“ durch Ärzte; jedoch berufsrechtliche Ab- lehnung. P: Garantenstellung d. Arztes)
Selbsttötung als Akt der Autonomie? Schon das ins Leben treten (Zeugung) unterliegt nicht der Autonomie. Das Ende des Lebens ist ebenfalls kein Akt der Auto- nomie, weil wir sterben müssen! Man kann dem Tod zuvorkommen, sich selber töten und sich dann einreden, man habe „autonom“ gehan- delt (nur Zeitpunkt bestimmbar). Kann es zur Ausübung der Autonomie gehören, die Autonomie vollständig und endgültig aufzugeben? Selbstwiderspruch eines Autonomiebegriffs, der die Vernichtung des Autonomiesubjekts einschließt. Gibt es ein „Recht“ auf Selbsttötung? Rechtsgrundlage: Art. 1, 2 II 1, 2 I GG? Struktur des Rechts: Recht setzt Rechtsbeziehungen voraus (Ansprüche, Verpflichtungen ggü. ande- ren). Mir selbst gegenüber kann ich kein „Recht“ haben. Der Übergang von der Nicht-Existenz zum Subjektstatus in der Rechtssphäre und umgekehrt ist vorrechtlicher bzw. außerrechtlicher Natur. Die Selbsttötung ist daher kein „Recht“, sondern ein realer Akt außerhalb der Späre des Rechts.
II. Grundfragen zur Regelung von Patientenverfügungen Autonomie und ihre Grenzen Patientenautonomie = Emanzipation vom ärztlichen Paternalismus. Rechtliche Basis: (informierte) Einwilligung als Voraussetzung für Behandlungsmaßnahmen Grenzen der Autonomie: 1 Der Patient als „autonomes Subjekt“? 2 Problem der Stellvertretung 3 Soziale Zwänge 4 Individuelle Einflussfaktoren
1 Der Patient als „autonomes Subjekt“ Es gibt nicht nur “mündige” Patienten Aufklärung notwendig – aber nur empfohlen 2 Einordnung der Patientenverfügung medizinische Behandlungsmaßnahme = Eingriff in die körperliche Unversehrtheit (Art. 2 II 1 GG) Rechtfertigung: Einwilligung einwilligungsfähiger nicht (mehr) einwilligungs- Patient fähiger Patient unmittelbare Entscheidung unmöglich früher kein früher Einwilligung/ erklärter Wille erklärter Wille Ablehnung Patienten- „mutmaßlicher verfügung Wille“ Einleitung/Forts. oder Unterlassen/Abbr. d. Behandlung
Notwendigkeit stellv. Entscheidungen Patientenverfügung „mutmaßlicher Wille“ Anwendungs- Ermittlung prüfung Stellvertretung notwendig Umsetzung Umsetzung Stellvertretung ≠ Autonomie 1. Bevollmächtigung (Vorsorgevollmacht) rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht Bindung im Innenverhältnis an die Weisungen des Vollmachtgebers Umfassendes Vorauswissen des Vollmachtgebers? Grenzenloses Vertrauen des Vollmachtgebers? 2. Betreuung, §§ 1896 ff. BGB gerichtliche Bestellung eines Betreuers Orientierung am Wohl des Betreuten unter Beachtung von Wünschen des Betreuten (§ 1901 II, III BGB) gerichtliche Anleitung und Überwachung Notwendigkeit von Kontrollmechanismen
3 Soziale Zwänge Demographisches Ungleichgewicht Alterseinsamkeit, soziale Isolierung, Bsp.: Alterssuizide Überlastung der Sozialversicherung - Rentenversicherung - Krankenversicherung - Pflegeversicherung „sozialverträgliches Frühableben“ Leistungsgesellschaft Freizeit- und Spaßgesellschaft, Sinnlosigkeit von Leid 4 Individuelle Einflussfaktoren Schlechte Symptom- kontrolle, insbesondere Schmerzbehandlung Einsamkeit / soz. Isolierung Für andere (nahe Angehö- rige) eine Last sein Finanzielle Belastung (Auf- zehrung des Vermögens) Wunsch nach Behandlungs- verzicht, einem „schnellen Tod“ etc. ist oft situationsbedingt
Mögliche soziale Folgewirkungen Überbetonung von Selbstbestimmung und Auto- nomie / Vernachlässigung der Fürsorge trügerische Sicherheit sozialer Druck, eine PV (mit Ablehnung bestimmter Maßnahmen) zu verfassen Verstärkung des Trends zur negativen Selbstbe- wertung indirekte Anerkennung ökonomischer Interessen der Gesellschaft Vernachlässigung von Palliativmedizin und Hospizangeboten Fürsorgepflicht des Gesetzgebers Aufklärung sicherstellen. Verhinderung von „For- mularerklärungen“ Dialog Arzt/Patient bzw. Arzt/Patientenvertreter stärken Stellvertretung: Missbrauchskontrolle Soziale Zwänge abbauen/abschwächen „Koppelungsverbot“: keine Verknüpfung von Patientenverfügungen und positiven oder negativen vertraglichen Folgen Ausbau der Palliativmedizin und Förderung von Hospizangeboten
III. Aktuelle rechtspolitische Überlegungen PV: Rechtspolitische Diskussion Anwendungsbereich - Begrenzung auf Fallkonstella- (Reichweite) tionen mit irreversibel tödlich verlaufender Grunderkrankung? Form - schriftlich / verlässliche Doku- mentation / mündlich? Aufklärung - dringend empfohlen, aber nicht zwingend Geltungsdauer - zeitlich unbegrenzt; regelmäßi- ge Bestätigung nicht erforderlich Hinterlegung/Registr. - nicht zwingend Anwendungsprüfung - Eindeutigkeit / Interpretation Kontrolle - soziale / gerichtliche Kontrolle
Reichweitenbeschränkung aus Fürsorge? „In den Fällen, in denen das Grundleiden keinen irreversibel tödlichen Verlauf angenommen hat, es also um die Lebens- beendigung bei Lebenden geht, wiegt die Schutzpflicht des Staates für das Leben schwerer als dort, wo es um das Sterbenlassen von Sterbenden geht.“ (GE Bosbach u.a.) Ausschluss von „Selbsttötungs-Verfügungen“ verständlich. Aber: in Reinform selten; Grauzone beachten! Freiverantwortlichkeit kritisch prüfen – aber nicht ausge- schlossen. Kein „Recht“ auf Suizid durch PV. Aber: mit welchen Mitteln gegensteuern? Motivation (+), med. Eingriffe (-) Verpflichtung zum Lebensschutz: - lebensfreundliche Bedingungen schaffen - Menschen, die nicht leben wollen, zum Leben zwingen? Aktuelle Rechtslage zu PV Keine ausdrückliche Regelung von PV, in denen lebens- verlängernde Behandlungsmaßnahmen abgelehnt werden Rechtsprechung (BGH 2003): Patientenverfügungen sind grundsätzlich verbindlich § 1904 BGB nicht analog auf Verweigerung der Einwilligung in lebensverlängernde Maßnahmen anwendbar Solche Entscheidungen des Betreuers bedürfen trotzdem der Genehmigung des VormG. Begründung: „unabweisbares Bedürf- nis“ des Betreuungsrechts offengelassen, ob dies auch für Bevollmächtigte gilt
Gesetzentwurf BMJ/Stünker gültig für alle Krankheitssituationen Patientenverfügung mutmaßlicher Wille unmittelbare Anwendung; Arzt u. Betr./Bevollm. Durchsetzung durch Betr./Bevollm. u to no mi e - einig uneinig a zentriert VormG (-) VormG (-) VormG (+) In der Mehrzahl der Fälle entscheiden 1-2 Personen endgültig über den Behandlungsabbruch/-verzicht! Ges-Entw. Bosbach/Röspel/Winkler/Fricke Grundleiden m. unumkehrbar tödl. Verlauf irrev. Bewusst- seinsverlust Patientenverfügung o. mutmaßl. Wille PV beratendes Konsil Arzt u. Betr./Bevollm. l . F ürs org e- deut einig uneinig elemente VormG(-) VormG(+) VormG(+) Verfahrenspfleger u. med. Gutachten eingeschränkte Reichweite; + irrev. Bewusstseinsverlust soziale und gerichtl. Kontrolle
Gesetzentwurf Zöller/Faust gültig für alle Krankheitssituationen Patientenverfügung / mutmaßlicher Wille Autonomie Prüfung /Ermittlung durch Betr./Bevollm. VormG (+) Fürsorge Jede Situation; keine Formvorschrift; immer Genehmigung des VormG notwendig Patientenverfügung – Antwort auf ...? Angst ... Abhilfe: vor Schmerzen Schmerztherapie / Schmerzkontrolle vor „Übertherapie“ Maßnahmen- begrenzung vor Verlust der Ernstnehmen Ansatzpunkt Persönlichkeit der Person der Patienten- verfügung anderen zur Last Entlastung der Ansatzpunkte zu fallen von Belasteten Palliativmedizin und zu vereinsamen/ Hospizbewegung persönliche Betreu- einsam zu sterben ung und Begleitung
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