Was kann jetzt noch helfen? - Eine neue Methode für Patienten mit Durchblutungsstörungen des Herzens
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Angina pectoris Was kann jetzt noch helfen? Eine neue Methode für Patienten mit Durchblutungsstörungen des Herzens Tanja Rudolph Enge und Druckgefühl im Brustkorb, Atem- sich zunächst bei körperlicher Belastung, weil not, Schmerzen und Angst – die Sympto- das Herz dann vermehrt Sauerstoff benötigt: Es me einer ungenügenden Durchblutung des kommt zu Schmerzen und einem Gefühl der Herzmuskels belasten die Betroffenen stark Enge im Brustraum. Fachsprachlich werden die und schränken ihre Lebensqualität drastisch Symptome unter dem Begriff „Angina pecto- ein. Bei manchen Patienten erweisen sich ris“ (Brustenge) zusammengefasst. Verengen alle herkömmlichen Behandlungsmethoden die Gefäße noch stärker, treten die Beschwer- als wirkungslos. Für sie gibt es ein neues den bereits bei geringer Belastung oder sogar Verfahren – die Reducer-Implantation. in Ruhe auf. Sind größere Herzkranzgefäße betroffen, kann eine Gefäßstütze, ein „Stent“, Bernd W. (66) hat sich vor zehn Jahren einer mit einem Katheter zur Engstelle vorgebracht Bypassoperation unterziehen müssen, weil und das Gefäß mit dem Stent aufgedehnt wer- drei seiner Herzkranzgefäße verengt waren. den. Sind mehrere Gefäße verengt, wird es Danach war er beschwerdefrei. Seit zwei Jahren notwendig, operativ Bypässe anzulegen, die aber machen ihm wieder zunehmend Schmer- wie Umgehungsstraßen die verengte Stelle zen in der Brust, ein schweres Druck- und En- überbrücken, die Durchblutung des Herzmus- gegefühl (Angina pectoris) zu schaffen. Wegen kels bessern und so die Beschwerden lindern der immer wiederkehrenden Probleme war er oder vollständig nehmen. Sind aber kleine und bereits zweimal mit Verdacht auf Herzinfarkt kleinste Herzkranzgefäße nicht mehr durch- in der Notaufnahme, immer wieder suchte gängig – besteht also eine „mikrovaskuläre Bernd W. seinen Hausarzt und seinen Kardio- Durchblutungsstörung“ wie bei Bernd W. – logen auf. Die Herzkatheteruntersuchungen kann weder ein Stent eingesetzt noch ein By- zeigten stets einen guten Zustand der Bypässe. pass gelegt werden. Dann sind für die Behand- Eine „Myokardszintigraphie“ aber, mit der fest- lung einzig Medikamente verfügbar. gestellt werden kann, wie gut der Herzmuskel durchblutet ist, ließ eine Durchblutungsstö- Die klassischen Risikofaktoren, die für Veren- rung in der vorderen Herzwand erkennen. Die gungen (Arteriosklerose) der Herzkranzgefä- Diagnose der Ärzte lautete „Angina pectoris auf ße verantwortlich sind, sind hoher Blutdruck, dem Boden einer mikrovaskulären Durchblu- erhöhte Cholesterinwerte (LDL), Rauchen und tungsstörung“. die Zuckerkrankheit Diabetes mellitus. Der grundsätzlich erste Schritt bei der Behandlung der Angina pectoris ist es, diese Risikofaktoren Verengte Herzkranzgefäße konsequent anzugehen. Im nächsten Schritt Die Herzkranzgefäße versorgen den Herzmus- erhalten die Patienten Medikamente, die Ge- kel mit Blut. Sind sie aufgrund krankhafter Ab- fäße erweitern (Vasodilatanzien). Hierzu zäh- lagerungen verengt, kann der Sauerstoff- und len Nitrate, Betablocker, Kalziumantagonis- Nährstoffbedarf des Herzens nicht mehr ge- ten und Na-Kanalblocker. In der Regel wird deckt werden. Die Mangelversorgung äußert zunächst eines der Medikamente verordnet. 20 HERZ HEUTE 2/2019
Eine Angina pectoris (Brustenge) äußert sich mit Schmerzen im Brustraum, die als dumpf, einschnürend, drückend oder bren- nend empfunden werden und auf einer mangelhaften Versorgung des Herz- muskels mit sauerstoffreichem Blut beruhen. Die Schmerzen können in andere Körperteile ausstrahlen, beispielsweise in Arm oder Unterkiefer. Neues Therapieverfahren Bleiben die Beschwerden dennoch bestehen, Der „Reducer“ – ein kleines, sanduhrförmiges können nach und nach weitere Medikamente Drahtgeflecht – wird mit einem Katheter in die hinzugegeben werden. Zeigen sich die Angina große Vene des Herzens gebracht und dort pectoris-Beschwerden selbst dann noch über eingesetzt. Das filigrane Drahtgeflecht drosselt einen Zeitraum von drei Monaten hinweg, liegt den Rückstrom des venösen Blutes aus dem eine „therapierefraktäre Angina pectoris“ vor Herzmuskel in den rechten Vorhof. Über den – eine Brustenge, die therapeutisch nicht zu Anstieg des Drucks im Koronarvenensinus er- beeinflussen ist. Kommt auch kein Stent oder weitern sich die kleinsten Gefäße im Herzen. Bypass infrage, weil kleine Herzkranzgefäße Infolgedessen verbessert sich die Durchblu- verengt und für die unzureichende Versorgung tung der Herzinnenschicht, die besonders viel des Herzmuskels verantwortlich sind, blieb Sauerstoff und Nährstoffe benötigt. Darüber bislang als letzte Möglichkeit nur eine aufwen- hinaus verlängert sich die Kontaktzeit von Blut dige Behandlung von Nerven im Rückenmark. und Herzmuskel, wodurch mehr Sauerstoff Seit etwa vier Jahren gibt es ein neues Thera- und Nährstoffe in den Muskel abgegeben wer- pieverfahren, das auch diesen Patienten Hilfe den können. verspricht: die Implantation eines sogenann- Die Implantation des Reducers erfolgt im Herz- ten Reducers in die große Vene des Herzens katheterlabor. Der Patient bekommt ein Beru- (Koronarvenensinus). higungsmittel und eine örtliche Betäubung; eine Vollnarkose ist nicht notwendig. Unter HERZ HEUTE 2/2019 21
Der „Reducer“, ein sanduhrförmiges Drahtgeflecht (Bild oben), wird mit einem Katheter in die große Vene des Herzens gebracht. Ultraschallkontrolle punktiert der Arzt zu- 0,1 Prozent) ist eine Verletzung des Koronar- nächst die große Vene auf der rechten Halsseite venensinus. In der Regel kann der Patient das und bringt sodann eine Schleuse ein. Vor hier Krankenhaus nach zwei bis vier Tagen verlas- aus schiebt er den Katheter über den rechten sen. Um einen Verschluss des Reducers durch Vorhof in den Koronarvenensinus. Die Darstel- Blutgerinnsel zu verhindern, nimmt der Patient lung der großen Vene des Herzens mit einem für sechs Monate ASS (100 mg) in Kombination Kontrastmittel erlaubt es, die ideale Stelle für mit Clopidogrel (75 mg) ein. die Implantation des Reducers zu identifizie- ren: Mit einem speziellen Implantationskathe- ter wird das Drahtgeflecht dorthin gebracht Bessere Lebensqualität und mit einem Ballon geöffnet, sodass es sich Die Implantation des Reducers kann die Be- an die Gefäßwand drücken und die Vene of- schwerden von Patienten mit therapierefrak- fen halten kann. Es erfolgt eine Kontrolle, dann tärer Angina pectoris deutlich lindern und die werden der Implantationskatheter zurückge- Lebensqualität steigern – das ergab eine im Jahr zogen, die Schleuse am Hals entfernt und ab- 2015 veröffentlichte Studie, an der 104 Patien- schließend ein Verband aufgebracht. ten teilgenommen haben. Drei weitere Studi- Mit etwa einem Prozent ist die häufigste Kom- en haben die positiven Effekte des Reducers plikation der Reducer-Implantation eine Gefäß bestätigt, ebenso die hohe Sicherheit der Im- verletzung, meist ein Bluterguss. Selten kommt plantation. Eine jüngst veröffentlichte Studie es zu einer Verletzung der Lungenhaut (weni- analysierte die Effekte und die Sicherheit der ger als 0,5 Prozent); extrem selten (weniger als Reducer-Implantation bei Patienten aus ganz 22 HERZ HEUTE 2/2019
Was Patienten wissen müssen Die Implantation eines Reducers kommt in- zu identifizieren, bei denen der Eingriff Erfolg frage, wenn verspricht. n der Patient an einer schweren Durchblu- Bei Bernd W. erfolgte die Implantation des Re- tungsstörung des Herzens (Angina pec- ducers nach ausführlicher Aufklärung ohne toris) leidet, die Beschwerden seit min- Komplikationen. Schon zwei Tage später konn- destens drei Monaten bereits bei leichter te er die Klinik verlassen. Zunächst verspürte Belastung oder in Ruhe bestehen und mit der Patient keine Besserung. Nach etwa acht Medikamenten nicht zu bessern sind (the- Wochen aber bemerkte er, dass die Wegstre- rapierefraktäre Angina pectoris); cken, die er ohne Angina-pectoris-Beschwer- den zurücklegen kann, immer länger werden. n die Untersuchungen zur Durchblutung des Seine Medikamente nimmt er auf Anraten sei- Herzmuskels (Myokardszintigraphie, kar- nes Kardiologen weiterhin ein; womöglich diale Magnetresonanztomographie oder kann er sie zukünftig reduzieren. Spezielle PET-Computertomographie) ergeben ha- Kontrolluntersuchungen sind nicht notwendig. ben, dass die Beschwerden tatsächlich von einer Durchblutungsstörung des Herz- muskels verursacht werden und keine an- PROF. DR. TANJA RUDOLPH deren Gründe haben; ist Oberärztin in der Klinik für Allgemeine und Interventionelle n es nicht möglich ist, die Mangelversorgung Kardiologie, Herz- und Diabetes- des Herzmuskels mit einer Stent-Implanta- zentrum Nordrhein-Westfalen, tion oder dem Anlegen von Bypässen zu Universitätsklinik der Ruhr-Uni- verbessern. versität Bochum, Bad Oeynhausen. Kontakt: trudolph@hdz-nrw.de Unter diesen Bedingungen kann die Implan- tation eines Reducers erwogen werden. Zum Literatur: jetzigen Zeitpunkt sollte der Eingriff aus- Konigstein, Maayan et al. (2014): Transcatheter treat- schließlich im Rahmen kontrollierter klini- ment for refractory angina with the Coronary Sinus scher Studien erfolgen. Reducer. In: EuroIntervention, 9, S. 1158–1164, doi: 10.4244/EIJV9I10A196. Verheye, Stefan et al. (2015): Efficacy of a Device to Narrow the Coronary Sinus in Refractory Angina. In: N Engl J Med, 372, S. 519–527, doi: 10.1056/ Europa. Auch diese Studie ermittelte eine sub- NEJMoa1402556. jektive Besserung der Beschwerden und eine Steigerung der Lebensqualität; darüber hinaus Abawi Masieh et al. (2016): Safety and efficacy of a konnte die Untersuchung objektiv eine besse- device to narrow the coronary sinus for the treatment of refractory angina: A single-centre real-world experience. re Sauerstoffversorgung des Herzmuskels nach In: Neth Heart J, 24, S. 544–551, doi: 10.1007/s12471-016- der Implantation des Reducers nachweisen. 0862-2. Nach den Daten aller bislang publizierten Stu- Giannini, Francesco et al. (2018): Coronary Sinus dien sprechen 70 bis 80 Prozent der Patienten Reducer Implantation for the Treatment of Chronic positiv auf den Reducer an – bei 20 bis 30 Pro- Refractory Angina: A Single-Center Experience. In: zent aber bleibt die Implantation ohne Nutzen. JACC Cardiovasc Interv., 11, S. 784–792. doi: 10.1016/j. jcin.2018.01.251. Warum diese Patienten nicht von dem Reducer profitieren, ist bislang unklar. Weitere Untersu- Giannini, Francesco et al. (2018): Safety and efficacy of chungen sind notwendig, um die Zusammen- the reducer: A multi-center clinical registry – REDUCE hänge klären und vorab diejenigen Patienten study. In: Int J Cardiol, 269, S. 40–44, doi: 10.1016/j. ijcard.2018.06.116. HERZ HEUTE 2/2019 23
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