RUNDUM NACHHALTIG Synergien und Zielkonflikte von Klimazielen und den SDGs - Synergien und Zielkonflikte von ...
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STUDIE • Für die Bereiche Stromerzeu- gung und Verkehr und Mobilität werden Zielkonflikte und deren Wirkungsketten aufgezeigt und Ansätze zu deren Überwindung erläutert. K L I M AWA N DEL , EN ERG I E U N D U M W ELT • RUNDUM Klimaschutzstrategien sollten Zielkonflikte von Beginn an be- trachten und bei der Prioritäten- NACHHALTIG setzung berücksichtigen, Synergien und Zielkonflikte von Klimazielen • Ansatzpunkte sind die Minimie- und den SDGs rung der Energienachfrage, eine gezielte Förderung von Energie- einsparungen bzw. eine »Klima- dividende« für einen finanziellen Ausgleich. Christiane Beuermann, Hanna Wang-Helmreich, Wolfgang Obergassel, mit Beiträgen von Dr. Stefan Thomas Dezember 2020 • Politischen Entscheidungs- träger_innen sind gefordert, Konflikte abzufedern und gerechter Übergangsstrate- gien im Sinne einer just transition anzustoßen.
K L I M AWA N DEL , EN ERG I E U N D U M W ELT RUNDUM NACHHALTIG Synergien und Zielkonflikte von Klimazielen und den SDGs
Inhalt 1 EINLEITUNG 2 2 PARISER KLIMAABKOMMEN UND SUSTAINABLE DEVELOPMENT GOALS 4 3 SYNERGIEN UND ZIELKONFLIKTE VON KLIMASCHUTZ UND DEN ÜBRIGEN SDGS 6 3.1 Verbindungen zwischen Emissionsminderung und SDGs allgemein.............. 6 3.2 Identifikation von Synergien.................................................................. 8 3.3 Identifikation von Zielkonflikten............................................................. 9 4 ZIELKONFLIKTE IN DER STROMERZEUGUNG 10 4.1 Ziele und Instrumente für Klimaschutzmaßnahmen................................... 10 4.2 Wirkungsketten und Fragen zur Verringerung/Vermeidung von trade offs.... 11 5 ZIELKONFLIKTE IN VERKEHR UND MOBILITÄT 14 5.1 Ziele und Instrumente für Klimaschutzmaßnahmen................................... 14 5.2 Wirkungsketten und Fragen zur Verringerung/Vermeidung von trade offs.... 16 6 ANSÄTZE ZUR ÜBERWINDUNG DER ZIELKONFLIKTE 19 6.1 Integrierte Bewertung von Zielkonflikten................................................. 19 6.2 Integrierte Minderungspolitiken............................................................. 19 6.3 Grundprinzipien für eine gerechte ambitionierte Klimapolitik – Just Transition..................................................................................... 21 7 SCHLUSSFOLGERUNGEN 23 8 LITERATURVERZEICHNIS 26 9 ANHANG 28 9.1 Kurzbeschreibungen der einzelnen SDGs. . ............................................... 28 9.2 Positive Wirkungen von Klimaschutzmaßnahmen auf die übrigen SDGs....... 29 1
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Rundum nachhaltig 1 EINLEITUNG Auf der Klimaschutzkonferenz COP25 in Madrid im Dezem- Mechanismus mit 100 Billionen Euro in den Jahren 2021 bis ber 2019 wurde über die Ambitionssteigerung der globalen 2027 gefördert werden.2 Verpflichtungen und ihre nationale Umsetzung verhandelt. Die Konferenz stand unter dem Motto »Zeit zu handeln«. In Forderungen nach mehr »Ambition« wurden international seiner Eröffnungsrede machte UN-Generalsekretär António und in Deutschland von unterschiedlichen Seiten prominent Guterres deutlich, dass der point of no return in Sicht sei, und und vehement vorgebracht (Fridays for Future und andere forderte die Vertragsparteien zu einer schnellen und tiefgrei- Bewegungen sowie Forderungen der Industrieverbände wie fenden Transformation hin zu ambitioniertem Klimaschutz dem BDI). Mit dem Klimaschutzprogramm 2030 der Bundes- auf. regierung3, das das Erreichen der Sektorziele aus dem Klima- schutzplan 2050 konkretisiert, wurde im Herbst 2019 ein Einige Monate später hat die Corona-Pandemie zunächst Aktionsprogramm verabschiedet, das die verschiedenen Sek- China, dann auch Europa und Mitte 2020 die Welt im Griff. toren umfasst. Als zu kleinteilig und in der Wirkungskraft Die beobachtbaren Auswirkungen auf die Bevölkerungen begrenzt4 kritisiert, wird auch dort das Thema »Ambitions- und Ökonomien sind massiv. In kürzester Zeit verschieben steigerung und Flankierung« entscheidend sein, um die na- sich politische Prioritäten hin zur gesundheitlichen Gefah- tionalen Klimaziele und Deutschlands Beiträge zu den inter- renabwehr. Neue Bewertungskategorien wie »Systemrele- nationalen Zielen auf faire Weise zu erreichen. vanz« werden handlungsleitend, Digitalisierung findet mit den vorhandenen Mitteln überall so gut es geht statt, an- Wesentliche Treiber für diese Diskussionen sowie die politi- statt geplant vorangetrieben zu werden, und vor allem wird sche Umsetzung von nationalen Klimazielen und Maßnah- die ökonomische Entwicklung mit verordneten Ausgangsbe- menprogrammen sind das Übereinkommen von Paris (»Paris schränkungen global den nun wichtigeren Schutzzielen zeit- Agreement«, PA) im Klimaregime und die 17 Nachhaltig- weise untergeordnet. Was bedeutet dies für die geforderte keitsziele (Sustainable Development Goals, SDGs) der Verein- Ambitionssteigerung beim Klimaschutz? ten Nationen. Beide wurden bereits im Jahr 2015 verabschie- det. Das »Paris Agreement« und seine Konkretisierung durch Das Jahr 2019 stand im Zeichen intensiver politischer Diskus- das »Katowice Rulebook« auf der COP24 in Polen wird als sionen über und gesellschaftlicher Forderungen nach mehr Durchbruch bei den UN-Klimaverhandlungen gewertet. Klimaschutz. Von Beginn an stellte EU-Kommissionspräsi- Nach dem IPCC-Sonderbericht (IPCC 2018) sind nicht nur dentin von der Leyen ihre Amtszeit unter das Motto eines intensive, sondern »präzedenzlose« Anstrengungen nötig, »European Green Deal«, um Europa bis zum Jahr 2050 zum um die Pariser Ziele einzuhalten. Dies bedeutet, den Tem- ersten klimaneutralen Kontinent zu machen.1 Dieser auf der peraturanstieg deutlich unter 2 °C, möglichst nicht mehr als COP25 präsentierte »European Green Deal« versteht Klima- 1,5 °C, zu halten, mit einer ungefähren Halbierung der glo- schutz als Gemeinschaftsleistung der EU, ihrer Mitgliedstaa- balen CO2-Emissionen bis 2030 und Netto-Null-CO2-Emis- ten und der Industrie. Er umfasst einen Investment-Plan, mo- sionen bis 2050. Darum ist es wichtig, dass der Prozess der bilisiert werden sollen 1 Trillion Euro. Darüber hinaus soll über Ambitionssteigerung mit Leben gefüllt wird. Obwohl SDGs einen »Just Transition-Mechanismus« sichergestellt werden, und PA rechtlich nicht zusammenhängen, gibt es auf der dass die Klimaneutralität auf eine faire Art und Weise er- Ebene ihrer Zielsetzungen und der Optionen für ihre Um- reicht wird, die niemanden zurücklässt (»… leaving no one setzung starke Wechselwirkungen. Diese sind überwiegend behind«). Besonders betroffene Regionen sollen über diesen 2 https://ec.europa.eu/regional_policy/en/newsroom/news/2020/01/ 14-01-2020-financing-the-green-transition-the-european-green- deal-investment-plan-and-just-transition-mechanism 3 Bundesregierung (2019): Klimaschutzprogramm 2030 der Bundes- regierung zur Umsetzung des Klimaschutzplans 2050; https://www. 1 Von der Leyen, Ursula (o. J.): A Union that strives for more. My bmu.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Klimaschutz/klima- Agenda for Europe. Opolitical Guidelines for the next European Com- schutzprogramm_2030_umsetzung_klimaschutzplan.pdf. mission 2019–2024; https://ec.europa.eu/commission/sites/beta- 4 Wuppertal Institut (2019): Eine Einschätzung des Klimapakets durch political/files/political-guidelines-next-commission_en.pdf. das Wuppertal Institut. Pressemitteilung vom 23.9.2019. 2
Einleitung positiv, aber es gibt auch negative Wechselwirkungen. Die wird aber beispielhaft auf die aktuelle Situation eingegan- Verminderung des Einsatzes fossiler Brennstoffe senkt z. B. gen. Damit soll ein Beitrag dazu geleistet werden, Zielkon- nicht nur den Ausstoß von Treibhausgasen, sondern auch die flikte insgesamt zu thematisieren und Wege aufzuzeigen, lokale Luftverschmutzung und trägt damit zur Verbesserung wie Zielkonflikte möglicherweise aufgelöst oder minimiert der Gesundheit der lokalen Bevölkerungen bei. Andererseits werden können, um die Politiken für den Klimaschutz effizi- können Klimaschutzmaßnahmen zu Flächennutzungskon- enter zu machen und auf eine noch breitere gesellschaftliche kurrenzen führen, z. B. durch den Ausbau erneuerbarer Ener- Basis zu stellen. Das Thema der Zielkonflikte wird anschaulich gien oder eine Entscheidung für Biokraftstoffe. beim Strukturwandel hin zu einer langfristig emissionsfreien Wirtschafts- und Lebensweise. Es spielt bereits jetzt eine zen- Die positiven Wechselwirkungen sind eine starke zusätzli- trale Rolle, wie sich z. B. bei den Diskussionen um den Kohle- che Motivation für den Klimaschutz. Es gibt aber auch gute ausstieg und eine Just Transition zeigt. Gründe, die negativen Wechselwirkungen zu adressieren: Erstens sollten sie im Sinne der SDGs so weit wie möglich Die Studie richtet sich an ein breites Spektrum von Akteu- vermieden, verringert oder ausgeglichen werden, ohne da- ren und ist nicht länderspezifisch ausgerichtet. Für die bei- bei den Klimaschutz zu gefährden, und zweitens können den betrachteten Sektoren Strom und Verkehr wird jedoch sie Ursache für politische und gesellschaftliche Widerstände der deutsche Kontext als Ausgangslage für die Betrachtung sein, die Politiken für Klimaschutz gefährden können. genommen, da sie sonst zu allgemein bleiben würde. Beide Sektoren sind zentral, um ambitionierten Klimaschutz in Mit der Corona-Pandemie wird der Blick auf Wechselwirkun- Deutschland zu erreichen. Bei weiteren konkreten Analysen gen zwischen verschiedenen politischen Zielsetzungen im von Länderstudien zum Thema Synergien und Zielkonflikten Allgemeinen und dem Klimaschutz und den SDGs im Kon- wären die hier genannten Synergien und Zielkonflikte und kreten nochmals geschärft. Auf der übergeordneten Ebene ihre Relevanz immer in dem jeweiligen Länderkontext zu be- geraten die Prioritäten für die drei Bereiche des Zieldreiecks trachten. Die Studie versteht sich als Beitrag für die Weiter- der Nachhaltigkeit (Wirtschaft-Soziales-Umwelt) insgesamt entwicklung und Umsetzung der nationalen Klimaschutzbei- in Bewegung. Als Reaktion auf die Krise und zum Schutz träge im Rahmen des Pariser Abkommens. der Bevölkerung verschieben sich die politischen Handlungs- prioritäten in kürzester Zeit hin zum sozial-gesellschaftlichen Diese Studie wurde weitgehend basierend auf bestehender Bereich. Dies hat verschiedene Auswirkungen auf die an- Literatur erarbeitet.6 Das dritte Kapitel fasst zunächst die we- deren Zielbereiche. So ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in sentlichen Hintergründe der SDGs und des Pariser Abkom- Deutschland von April bis Juni 2020 um 10,1 Prozent im mens zusammen. Das vierte Kapitel bietet einen ersten Über- Vergleich zum Vorquartal gefallen; die Stärke und Dauer des blick über Synergien und Zielkonflikte zwischen den beiden Einbruchs ist unklar und hängt vom weiteren Verlauf der Bereichen. Auf dieser Grundlage erarbeiten die beiden fol- Pandemie ab. Auch weitere soziale Auswirkungen sind – genden Kapitel 5 und 6 eine vertiefte Analyse von möglichen über den Schutz der Gesundheit hinaus – noch unklar. Die Zielkonflikten in den Sektoren Stromerzeugung und Verkehr. Corona-Pandemie wird wahrscheinlich bereits bestehende Abschließend werden in Kapitel 7 Lösungsmöglichkeiten dis- Zielkonflikte verschärfen bzw. bringt eigene Konflikte mit kutiert. In Kapitel 8 werden Schlussfolgerungen und Hand- sich. Gleichzeitig war mit dem Stillstand der wirtschaftlichen lungsoptionen abgeleitet. Aktivitäten ein starker Rückgang der Treibhausgasemissio- nen zu verzeichnen, sodass Deutschland sein Klimaziel für das Jahr 2020 noch erreichen kann. Um die Rezession ab- zumildern, werden in der EU, in Deutschland und anderen Ländern Konjunkturprogramme diskutiert bzw. verabschie- det. Auch dabei werden Wechselwirkungen debattiert: Wie müssen Konjunkturpakete aussehen, damit sie verschiedene Ziele wie wirtschaftliche Erholung, Innovationsförderung und Klimaschutz erreichen? Und was sollte nicht gefördert wer- den, damit diese Ziele nicht beeinträchtigt werden? Diese Studie ist darauf ausgelegt, positive Wechselwirkun- gen zu benennen, aber vor allem auf die bisher noch nicht so stark öffentlich diskutierte Problematik von Zielkonflikten zwischen Klimaschutzmaßnahmen und der Erreichung der SDGs hinzuweisen.5 Der Schwerpunkt der Studie liegt dabei 6 Zum Beispiel: IPCC – Intergovernmental Panel on Climate Change nicht auf den Wechselwirkungen, die sich im Hinblick auf (2018): Global Warming of 1.5 °C. Geneva: IPCC; http://www.ipcc. die Corona-Pandemie und den Klimaschutz / die Nachhaltig- ch/report/sr15/; Röser, F., Gonzales-Zuñiga, S. and J. Rawlins (2018): SCAN (SDG & Climate Action Nexus) tool: Linking Climate Action keit ergeben, sondern er ist weiter gefasst. An einigen Stellen and the Sustainable Development Goals; https://newclimate.org/ 2018/11/07/scan-sdg-climate-action-nexus-tool-linking-climate- action-and-the-sustainable-development-goals/; Kroll, C., Warchold, A. & Pradhan, P. (2019): Sustainable Development Goals (SDGs): Are 5 Mögliche Zielkonflikte zwischen den SDGs selbst werden hier nicht we successful in turning trade-offs into synergies?. Palgrave Commun betrachtet. 5, 140, doi:10.1057/s41599-019-0335–5. 3
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Rundum nachhaltig 2 PARISER KLIMAABKOMMEN UND SUSTAINABLE DEVELOPMENT GOALS Das völkerrechtlich verbindliche Klimaabkommen von Paris Determined Contributions, NDCs) und Politiken und Maß- wurde auf der 21. Vertragsstaatenkonferenz zur Klimarah- nahmen zu ergreifen, um diese zu erreichen (Art. 4.2 PA). Mit menkonvention der Vereinten Nationen im Dezember 2015 dem Klimaziel des PA von 1,5/2 °C ist der Ausstieg aus den verabschiedet. Im Zentrum stehen drei Ziele (Art. 2 PA): fossilen Brennstoffen vorgezeigt (IPCC 2018). Spätestens da- mit ist der Klimawandel auch nicht länger ein reines Umwelt- –– den Anstieg der durchschnittlichen Erdtemperatur im problem, sondern eine Herausforderung für gesellschaftliche Vergleich zum Niveau vor Beginn der Industrialisierung Transformationsprozesse. deutlich unter 2 °C zu halten und Anstrengungen zu unternehmen, um den Temperaturanstieg auf 1,5 °C Gleichzeitig betont das Abkommen in seiner Präambel den gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen7, »inneren Zusammenhang« zwischen Klimaschutz und dem da erkannt wurde, dass dies die Risiken und Auswirkun- »gerechten Zugang zu nachhaltiger Entwicklung und der gen der Klimaänderungen erheblich verringern würde Beseitigung der Armut«. Es anerkennt zudem, dass »die –– die Fähigkeit zur Anpassung an die nachteiligen Auswir- Gewährleistung der Ernährungssicherheit und die Beendi- kungen der Klimaänderungen zu erhöhen, die Wider- gung des Hungers grundsätzlich Vorrang haben«. Außerdem standsfähigkeit gegenüber Klimaänderungen zu fördern wird die Notwendigkeit eines gerechten Strukturwandels im sowie eine Entwicklung zu unterstützen, die mit gerin- Sinne einer Just Transition ebenso wie die Notwendigkeit der gen Treibhausgasemissionen einhergeht und zugleich Achtung und Förderung der Menschenrechte betont. Damit die Nahrungsmittelerzeugung nicht bedroht ist eine übergreifende Betrachtung und Abwägung der Maß- –– die Finanzmittelflüsse zukünftig so zu gestalten, dass nahmen in den NDCs mit den Nachhaltigkeitszielen dort auf sie eine emissionsarme und gegenüber Klimaänderun- sehr allgemeine Weise bereits angelegt. gen widerstandsfähige Entwicklung unterstützen und fördern Maßnahmen zum Klimaschutz sind auch eines der 17 Sustai- nable Development Goals (SDGs), die im Zentrum der »2030 Die Vertragsparteien des Abkommens streben an, den welt- Agenda for Sustainable Development« stehen. Die Agenda weiten Scheitelpunkt der Emissionen von Treibhausgasen wurde in einem partizipativen Prozess mit Regierungen, Zi- so bald wie möglich zu erreichen und danach rasche Re- vilgesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft, der UN und auch duktionen herbeizuführen, um in der zweiten Hälfte dieses Einzelpersonen entwickelt und am 25. September 2015 von Jahrhunderts ein Gleichgewicht zwischen den anthropoge- der UN-Vollversammlung verabschiedet. Sie baut auf den Er- nen Emissionen von Treibhausgasen und dem Abbau von gebnissen der UN-Konferenz zur nachhaltigen Entwicklung Treibhausgasen durch Senken (z. B. Aufforstung) herzustel- (Rio+20) 2012 sowie den Millenniums-Entwicklungszielen len (Art. 4.1 PA). Die globalen Emissionen sollen also netto und deren Zielsetzungen auf, die sich auf das Jahr 2015 be- auf null reduziert werden, um den Anstieg der Temperaturen zogen (UNDP 2016). Die SDGs beinhalten die globalen He- langfristig auf 2 °C, möglichst 1,5 °C, zu begrenzen. rausforderungen für eine nachhaltige Entwicklung und de- finieren Ziele, die bis zum Jahr 2030 erreicht werden sollen Das PA enthält außerdem erstmals für alle Länder die Vorgabe, (Abbildung 1). Sie beziehen sich im Gegensatz zu ihren Vor- nationale Beiträge zum Klimaschutz vorzulegen (Nationally läufern, den Millenniums-Entwicklungszielen, nicht nur auf Entwicklungsländer, sondern auf alle Länder dieser Erde. Sie sind als Gesamtsystem globaler Entwicklungsziele zu ver- 7 Der Weltklimarat (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) stehen. Die SDGs sind voneinander abhängig und untrenn- hat in einem Sonderbericht (IPCC 2018) aufgezeigt, dass es einen er- bar. Dennoch können sie logisch in vier Kategorien geordnet heblichen Unterschied macht, ob die Erwärmung bei 1,5 °C oder bei werden: menschliches Wohlbefinden (SDGs 1–5), sozio- 2 °C stabilisiert wird. Der Unterschied in den Klimafolgen bei einem Temperaturanstieg von 1,5 °C zu 2 °C wurde dort beschrieben und ökonomische Systeme (SDGs 6–12), Umwelt (SDGs 13–15) vom World Ressources Institut (WRI 2018) und anderen verdeutlicht: und gesellschaftliche Beziehungen und Kooperationen (SDGs z. B. Anteil der globalen Bevölkerung, der extremer Hitze ausgesetzt 16–17). Kurzbeschreibungen zu den einzelnen SDGs sind in ist (14 % vs. 37 %), eisfreie arktische Sommer (1 alle 100 Jahre vs. 1 alle 10 Jahre), Artenverlust bei Insekten (6 % vs. 18 %) und Reduk- Anhang 10.1 enthalten. Die SDGs werden durch 169 Unter- tion der Maisernte in den Tropen (3 % vs. 7 %). 4
Pariser Klimaabkommen und Sustainable Development Goals ziele und Indikatoren konkretisiert, mit denen die Beurteilung in den NDCs skizzierten Auswirkungen von Minderungs- und der Zielerreichung ermöglicht wird. Anpassungsmaßnahmen sind jedoch nicht auf die Errei- chung der Klimaziele des Pariser Abkommens beschränkt. Erste Ansatzpunkte, um die Wechselwirkungen zwischen Kli- Diese Aktivitäten haben Auswirkungen auf eine Reihe ande- maschutzmaßnahmen und den SDGs zu betrachten, bieten rer SDGs. Die vorliegenden NDCs sind nicht ausreichend, um die »Nationally Determined Contributions« der Vertragsstaa- die Klimaziele des Pariser Abkommens zu erreichen (Climate ten des Klimaregimes. Die NDCs spiegeln die Bestrebungen Action Tracker 2019).9 Die NDCs vermitteln aber doch einen der Länder wider, die Emissionen zu reduzieren und sich an Eindruck über die möglichen Synergien und Zielkonflikte mit die Klimaauswirkungen anzupassen, wobei ihre nationalen den SDGs. Gegebenheiten und Fähigkeiten berücksichtigt werden. Die Abbildung 1 Übersicht über die 17 Sustainable Development Goals (UN 2020)8 8 Mehr Informationen zu den UN SDGs finden sich auf der United Na- tions Sustainable Development Goals Website: https://www.un.org/ 9 Die vollständige Umsetzung der in den vorliegenden NDCs aufgeführ- sustainabledevelopment/. Die Nutzung der SDG-Abbildung erfolgt ten Klimaschutzmaßnahmen hätte nach Berechnungen des Climate mit dem Hinweis, dass der Inhalt dieser Publikation nicht von den Action Trackers (2019) eine Erwärmung um 2,8 °C bis zum Ende des Vereinten Nationen genehmigt wurde und nicht die Ansichten der Jahrhunderts zur Folge. Legt man die aktuellen Politiken zugrunde, ist Vereinten Nationen oder ihrer Beamten oder Mitgliedstaaten wider- eine Erwärmung von 3 °C bis zum Ende des Jahrhunderts zu erwar- spiegelt. ten, also das Doppelte des 1,5 °-Ziels des PA. 5
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Rundum nachhaltig 3 SYNERGIEN UND ZIELKONFLIKTE VON KLIMASCHUTZ UND DEN ÜBRIGEN SDGS Durch die Vielzahl unterschiedlicher Umweltwirkungen und 3.1 VERBINDUNGEN ZWISCHEN Ziele in der Klima-, Umwelt- und Energiepolitik steigen die EMISSIONSMINDERUNG UND Überschneidungen und Wechselwirkungen. Deshalb kön- SDGS ALLGEMEIN nen Synergien, aber auch Risiken von Widersprüchen bzw. Konflikten zwischen Handlungsfeldern und auch Handlungs- »Wir können die erste Generation sein, der es gelingt, die ebenen und damit Zielkonflikte entstehen, die einer ambitio- Armut zu beseitigen, ebenso wie wir die letzte sein könn- nierten Klimapolitik entgegenwirken. Bei der Weiterentwick- ten, die die Chance hat, unseren Planeten zu retten.« lung der Klimapolitik sowie ihrer Unterlegung mit konkreten Zielen und Maßnahmen ist es deshalb wichtig zu beachten, Dieses Zitat des ehemaligen UN-Generalsekretärs Ban welche Auswirkungen sich auf andere gesellschaftliche Ziele Ki-moon verdeutlicht, wie notwendig es ist, Synergien und ergeben und ob begleitende oder korrektive Maßnahmen Zielkonflikte zwischen den SDGs zu betrachten und ihre Re- notwendig sind (SRU 2017: 35). levanz abzuwägen, um die Nachhaltigkeitsziele gleichzeitig zu erreichen. Maßnahmen zur Emissionsminderung und zur Anpassung an den Klimawandel sind nicht auf die Erreichung der Klimaziele des Pariser Abkommens beschränkt, sondern haben ebenso Auswirkungen auf eine Reihe anderer SDGs. Abbildung 2 Wirkungsgeflecht zwischen Klimaschutzmaßnahmen und SDGs (Ambition to Action 2018, http://ambitiontoaction.net/scan_tool/) 6
Synergien und Zielkonflikte von Klimaschutz und den übrigen SDGs Abbildung 3 Indikative Verknüpfungen zwischen Minderungsoptionen und SDGs (IPCC 2018) Röser et al. (2018) verdeutlichen die übergreifenden Ver- ben, die Kartierung spiegelt den Stand der Literatur zu Wir- knüpfungen und Wirkungen zwischen Emissionsminde- kungen von Klimaschutzmaßnahmen und bezieht sich im rungsmaßnahmen in Sektoren und den einzelnen SDGs in Wesentlichen nur auf technische Maßnahmen. Werden Poli- einem Onlinetool, dem Scan Tool (Abbildung 2). Die Ver- tikmaßnahmen wie CO2-Besteuerung etc. hinzugenommen, knüpfungen und Wirkungen können sowohl positiv als auch ist zu erwarten, dass sich das Wirkungsgeflecht noch ver- negativ sein. dichtet, da auch diese unterschiedlich und ggf. gegensätz- lich auf die SDGs wirken. Die berücksichtigten Wechselwirkungen zwischen Klima- schutzmaßnahmen und SDGs werden dort auch als Über- Auch der Weltklimarat IPCC (Intergovernmental Panel on sicht positiver und negativer Wirkungen dargestellt (s. An- Climate Change 2018) identifiziert in seinem Sonderbericht hang 10.2). Im Ergebnis wurden zu 76 Prozent positive und zur Umsetzung des 1,5 °C-Zieles potenzielle Synergien und zu 24 Prozent negative Wechselwirkungen gefunden. Mit trade offs zwischen Klimaschutzmaßnahmen und den SDGs, dieser Übersicht ist kein Anspruch auf Vollständigkeit gege- bezogen auf sektorale Maßnahmenportfolios zu Energie- 7
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Rundum nachhaltig nachfrage, Energieangebot und Landnutzung sowie deren Synergien zu SDG 7 (saubere Energie) werden z. B. im Be- Wahrscheinlichkeit. Dazu wurde die vorhandene Literatur zu reich der Reduzierung von Energiearmut, d. h. dem Zugang Synergien und Zielkonflikten erfasst und ausgewertet. Ab- aller zu sauberen Energien, gesehen – unter der Bedingung, bildung 3 zeigt, dass in den betrachteten Sektoren zwar Ri- dass der Nutzen der Energieeffizienzmaßnahmen für diese siken für Zielkonflikte bestehen, das Potenzial für Synergien Haushalte größer ist, als es die Kosten sind. Für Großbritan- jedoch sehr viel größer ist. Bei der Gestaltung von Klima- nien wird geschätzt, dass ein nationales Programm für inlän- schutzstrategien gibt es viele Optionen. Sowohl der verwen- dische Energieeffizienzmaßnahmen einen Kostenvorteil von dete Instrumentenmix und die konkrete Ausgestaltung der 2,27: 1 hätte, was dazu führt, dass Haushalte mit niedrigem Instrumente sowie die dahinter stehende Strategie als auch Einkommen von wirtschaftlichen Nettovorteilen profitieren die lokalen Umstände bedingen, in welchem Umfang Syn- würden (Jennings et al. 2019: 9). Für die USA wird angenom- ergien verwirklicht und Zielkonflikte verringert bzw. vermie- men, dass ein typischer Haushalt ein Viertel seiner Energie- den werden können. kosten durch Energieeffizienzmaßnahmen einsparen könnte (EnergySage 2020). 3.2 IDENTIFIKATION VON SYNERGIEN Der Klimawandel hat teilweise verheerende Auswirkun- gen auf fast alle SDGs, birgt er doch sowohl Risiken für alle Die Analysen von IPCC (2018), verschiedener Tools zur Dar- SDGs, die das menschliche Wohlbefinden (SDGs 1–5) und stellung der Synergien (z. B. die Onlinetools Scan Tool oder sozio-ökonomische Systeme (SDGs 6–12) betreffen, als auch NDC-SDG Connections Tool) und vieler anderer Institutionen Leben unter Wasser (SDG 14) und an Land (SDG 15), aber wie der Weltgesundheitsorganisation (WHO 2018) verdeutli- auch Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen (SDG chen, dass ein großer Teil von Klimaschutzmaßnahmen posi- 16). Aktivitäten, die auf den Klimaschutz zielen, senken die tive Wirkungen auf andere SDGs hat. Diese Synergien zeigen Risiken und machen somit die Verwirklichung dieser Ziele Möglichkeiten für eine koordinierte und kohärente Politikge- wahrscheinlicher.11 staltung, die eine effektivere bzw. ehrgeizigere Umsetzung des Klimaabkommens und der SDGs fördern kann. IPCC Eine Reihe von Aktivitäten zur Unterstützung des Klima- (2018) schlussfolgert, dass insbesondere positive Wirkun- schutzes insgesamt konzentriert sich auf den Aufbau von Be- gen von Klimaschutzmaßnahmen auf die Bereiche Gesund- wusstsein, Wissen, Kapazitäten, Innovation, Forschung und heit (SDG 3), saubere Energie (SDG 7), nachhaltige Städte Entwicklung, aber auch auf die Stärkung der Rechtsstaat- und Gemeinden (SDG 11), nachhaltige Konsum- und Pro- lichkeit und von Institutionen. All diese Bereiche sind von duktionsweisen (SDG 12) und Leben unter Wasser (SDG 14) großer Bedeutung für die sinnvolle Gestaltung und effek- ausgehen. tive Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen. Darüber hi- naus unterstützen sie jedoch auch weitere SDGs, wie z. B. Der Sonderbericht der WHO »Klimawandel und Gesund- SDG 4 (hochwertige Bildung). Mit dem langfristigen klima- heit« betont die Verbindungen zwischen Gesundheitsaspek- neutralen Umbau einer Gesellschaft werden neue Technolo- ten und Klimaschutz und verweist darauf, dass Klimawandel gien, neue Industrien, neue Arbeitsplätze, neue Mobilitäts- und Gesundheitsrisiken vielfach die gleichen Ursachen ha- formen etc. benötigt. Damit entstehen neue Anforderungen ben: in besonderem Maße Luftverschmutzung, die aus der an Bildung und Ausbildung, um benötigte hochwertige Qua- Nutzung fossiler Energien im Verkehrs- und Energiesektor re- lifikationen zu schaffen. Auch um die Akzeptanz der Gesell- sultiert. Dies ist regional sehr unterschiedlich und reicht von schaft für diese Transformation und die damit verbundenen der indoor-Luftverschmutzung in ländlichen Regionen des Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft zu fördern, globalen Südens bis hin zu Feinstaub und anderen Luftschad- spielen Bildung und Aufklärung eine wesentliche Rolle. Wei- stoffen aus Verbrennungsmotoren (WHO 2018: 16). Gelingt tere Zusammenhänge bestehen zu den SDGs 5 (Geschlech- es nicht, den Klimawandel zu begrenzen, sei eine Verschlech- tergleichheit), 8 (menschenwürdige Arbeit und nachhaltiges terung des Gesundheitsniveaus in allen Weltregionen, be- Wirtschaftswachstum), 9 (Industrie, Innovation und Infra- sonders aber in städtischen Regionen zu erwarten. Als Folge struktur), 11 (nachhaltige Städte und Gemeinden), 16 (Frie- konsequenter Klimaschutzmaßnahmen zur Erfüllung der den, Gerechtigkeit und starke Institutionen) und 17 (Partner- Ziele des Pariser Klimaabkommens bis 2050 könnten jährlich schaften zur Erreichung der Ziele). mehr als eine Million Menschenleben allein durch eine Re- duktion der Luftverschmutzung gerettet werden. Die gleiche Darüber hinaus sind weitere sektorübergreifende Aktivitäten Analyse zeigt, dass allein der Wert der Gesundheitsgewinne für den Klimaschutz von hoher Bedeutung, z. B. eine klima- etwa doppelt so hoch wäre wie die Kosten der Klimaschutz- freundliche Handelspolitik sowie Technologietransfer und Kli- politiken (WHO 2018: 27). Auf der 24. Vertragsstaatenkon- mafinanzierung. Klimafreundliche Optionen in der Handels- ferenz (COP24) wurde ein Tool präsentiert, das diese Gesund- politik sind u. a. ein freier Handel mit Umweltschutzgütern, heitswirkungen von Klimaschutzmaßnahmen quantifiziert.10 11 Doch nicht nur Emissionsminderungsaktivitäten, sondern auch Maß- nahmen zur Reduktion der Verletzlichkeit gegenüber dem Klimawan- del haben positive Effekte auf die Verwirklichung mehrerer SDGs (v. a. SDGs 1: keine Armut, 2: kein Hunger, 5: Geschlechtergleichstellung, 10 The Carbon Reduction Benefits on Health (CaRBonH) calculation tool; 9: Industrie, Innovation und Infrastruktur und 10: weniger Ungleich- https://euro.sharefile.com/share/view/sacb2fa55ad3474fb. heiten). 8
Synergien und Zielkonflikte von Klimaschutz und den übrigen SDGs die Anwendung nationaler Emissionsstandards im Außen- den, wie die konkrete Ausgestaltung der Instrumente aus- handel, langfristig eine rechtliche Flankierung klimafreund sieht und welche sozio-ökonomischen Bedingungen in den licher Handelspolitik durch Engagement in den Foren der jeweiligen Ländern vorliegen. Darüber hinaus spielt das Ma- Vereinten Nationen (VN) und der WTO oder das Vorantreiben nagement der notwendigen Veränderungsprozesse dahin- der Umsetzung von Klimazielen in regionalen Freihandels- gehend eine entscheidende Rolle, in welchem Ausmaß die abkommen. Bestehende Handelspartnerschaften können negativen Wirkungen zum Tragen kommen (IPCC 2018). auf ihre Klimaverträglichkeit hin überprüft werden (Dröge Sie sind also aktiv beeinflussbar in den Planungsprozessen und Schenuit 2018). Alle drei Bereiche haben insbesondere der Maßnahmen und durch die Einbeziehung von Stakehol- Synergien mit SDG 17 (Partnerschaften zur Erreichung der dern. Ungleichheitswirkungen können vermieden werden, Ziele), während die Klimafinanzierung darüber hinaus auch wenn diese bewusst in den Politikgestaltungsprozessen be- die Erreichung der SDGs 1 (keine Armut), 8 (menschenwür- rücksichtigt werden (Markkanen und Anger-Kraavi 2019). dige Arbeit und nachhaltiges Wirtschaftswachstum), 9 (In- Um einer zunehmenden Ungleichheit entgegenzuwirken dustrie, Innovation und Infrastruktur) und 12 (nachhaltige/r und die politische Akzeptanz von Dekarbonisierungsprozes- Konsum und Produktion) voranbringen kann. sen zu erhöhen, müssen Verteilungswirkungen berücksich- tigt und adressiert werden. Werden diese ignoriert, besteht Weitere positive Wirkungen sektorspezifischer Klimaschutz- eine reale Chance, dass Dekarbonisierungspolitiken einen maßnahmen auf die SDGs sind in Anhang 10.2 aufgelistet. starken politischen Gegenwind erfahren. Ein Beispiel hier- für sind die massiven und teilweise gewalttätigen Proteste 3.3 IDENTIFIKATION VON ZIEL- der »Gelbwesten«-Bewegung in Frankreich. Die Proteste KONFLIKTEN wurden akut durch eine ökologische Steuerreform ausge- löst, ihnen lagen aber lange aufgestaute Frustrationen über Die bisherigen Diskussionen zum Verhältnis von Klimaschutz sozio-ökonomische Benachteiligungen zugrunde, die durch und SDGs fokussieren sehr häufig auf die Synergien von die Verteilungswirkung der Ökosteuer sowie andere Politiken Maßnahmen zur Minderung von Treibhausgasemissionen der Macron-Regierung weiter verstärkt wurden (Ganglebin, und von Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel Graichen, Lenck 2019). mit den anderen SDGs. Warum sollte man sich aber auch mit Zielkonflikten beschäftigen, wenn in der deutlichen Mehr- Wie eingangs erwähnt, stehen die potenziellen Zielkonflikte zahl Synergien belegt werden, die den übergreifenden Nut- zwischen Maßnahmen für die Umsetzung der Klimaziele zen von Klimaschutzmaßnahmen zeigen? des Pariser Klimaabkommens und SDG 13 zum Klimaschutz einerseits und den übrigen SDGs andererseits im Mittelpunkt Zum einen sind die Synergien und trade offs ungleich verteilt dieser Studie. Für die Identifizierung solcher Zielkonflikte und betreffen nicht die gleichen gesellschaftlichen Gruppen. werden im Folgenden die (Sub-)Sektoren Stromerzeugung Zum anderen kann eine breite Akzeptanz für weitreichende und Verkehr genauer betrachtet. Dazu werden in einem ers- Klimaschutzmaßnahmen und eine ambitionierte Klimapolitik ten Schritt Ansatzpunkte, Instrumente und übergeordnete in der Gesellschaft nur entstehen, wenn die Zielkonflikte be- Ziele für Klimaschutzmaßnahmen in diesen Sektoren aufge- nannt und behandelt werden. So erfordert der Klimaschutz führt. Anschließend werden die Instrumente, mit denen die eine vollständige Umgestaltung im Energiesektor, insbeson- Ziele adressiert werden, und die Wirkungsebenen beschrie- dere den Ausstieg aus der Nutzung fossiler Energieträger. ben. Darauf aufbauend erfolgen eine Betrachtung potenziel- Auch in anderen Bereichen wie der Automobilindustrie sind ler Zielkonflikte mit anderen SDGs sowie die Definition von weitreichende Transformationen erforderlich, die sich bereits Fragen, die zur Verringerung / Vermeidung von trade offs bei- heute deutlich abzeichnen. In der bisherigen Geschichte sind tragen können. solche Umwälzungen oft auf dem Rücken der Beschäftig- ten, ihrer Familien und Gemeinschaften ausgetragen wor- Während manche Zielkonflikte häufig auftreten, entstehen den, also u. a. im Widerspruch zu SDG 8 (menschenwürdige andere nur unter bestimmten Bedingungen, die selten ein- Arbeit). Die Gewerkschaften fordern international daher seit treten. Dennoch können auch Letztere von großer Relevanz Langem eine Just Transition, die dafür sorgt, dass negative sein, wenn ihre Auswirkungen gravierende Folgen für die Effekte auf die Arbeitnehmer_innen verringert, vermieden Verwirklichung anderer SDGs haben, wie dies beispielsweise oder kompensiert werden. In den USA wird diese Debatte in manchen Ländern bei Landvertreibungen aufgrund von unter dem Stichwort »Green New Deal« geführt (s. auch de- Landnutzungskonkurrenzen der Fall ist. Insgesamt können taillierter Kapitel 7). Zielkonflikte also sowohl nach der Häufigkeit ihres Auftre- tens als auch nach der Intensität ihrer Wirkung gewichtet Der IPCC (2018) schlussfolgert in seinem Bericht, dass das werden. Die Relevanz der Zielkonflikte ist somit stark kon- Risiko für negative Wirkungen drastischer ausfällt, je spä- textabhängig und sehr länderspezifisch. ter Klimaschutzmaßnahmen umgesetzt werden, um eine Dekarbonisierung bis Mitte des Jahrhunderts zu erreichen, da dann weitreichende Transformationsprozesse in kürzerer Zeit bewältigt werden müssen. Claeys et al. (2018) zeigen in einer Übersichtsstudie zu den Verteilungswirkungen von Klimaschutzmaßnahmen, dass diese davon abhängen, wel- che Politikinstrumente in welchem Sektor eingesetzt wer- 9
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Rundum nachhaltig 4 ZIELKONFLIKTE IN DER STROMERZEUGUNG 4.1 ZIELE UND INSTRUMENTE FÜR werden, die zum einen auf die Reduktion der Emissionsin- KLIMASCHUTZMASSNAHMEN tensität, zum anderen auf die Steigerung von Energieeffi- zienz abzielen: Klimaziele für den deutschen Stromsektor sind im Erneuer bare-Energien-Gesetz (EEG) festgelegt. Im Jahr 2025 sollen 1. Instrumente zur Reduktion der Emissionsintensi- 40 bis 45 Prozent des Stromverbrauchs aus erneuerbaren tät des Strommixes allgemein wie Emissionshandel, Energien gespeist werden. Mit einem Anteil von 42,1 Pro- CO2-Steuer/-Sonderabgabe, Energiesteuer und Emis- zent am Stromverbrauch im Jahr 2019 ist dies fast erreicht. sionsgrenzwerte für den Strommix Wird der Anstieg linear fortgeschrieben, kann das Ziel be- 2. Instrumente zur erhöhten Stromerzeugung aus reits im Jahr 2022 erreicht werden. Die Zielsetzung im Ko- erneuerbaren Energien wie die bevorzugte Einspei- alitionsvertrag der Bundesregierung ist ambitionierter und sung von Strom aus erneuerbaren Energien, eine feste sieht einen Anteil von 65 Prozent im Jahr 2030 vor. Die Agora Einspeisevergütung, klar definierte Ausbaupläne und Energiewende (2019) prognostiziert, dass bei dem derzei- -ziele, die Förderung von Forschung und Entwicklung, tigen Ausbautempo ein Anteil von 63,4 Prozent erreicht finanzielle Förderung (Zuschüsse, zinsverbilligte Darle- werden kann, und verweist daher auf die Notwendigkeit hen, Bürgschaften), das Vorantreiben des Netzausbaus weiterer Anstrengungen. Die veränderten politischen Priori- und Optionen der Stromspeicherung täten, Preissignale und Zukunftserwartungen in der Corona- 3. Instrumente zur reduzierten Stromerzeugung aus Pandemie haben auch Auswirkungen in diesem Bereich. Laut Kohle, Gas und Öl, z. B. Abgaben für besonders emis- »Handelsblatt« erwarten Analysten weltweit einen deutlich sionsträchtige Kraftwerke, die Begrenzung der Einspei- reduzierten Ausbau des Photovoltaikmarktes für 2020. 2021 sung/Erzeugung von Strom aus Kohle, Gas und Öl, den wäre das erste Jahr seit 1980, in dem der Ausbau der Solar- Entzug von Kapazitäten aus Kohle, Gas und Öl (Zuwei- energie weltweit sinkt, anstatt zu steigen. Auch beim Zubau sung zur strategischen Reserve) und Ausstiegspläne und von Windkraft sei weltweit mit einem Einbruch von bis zu -ziele aus Kohle, Gas und Öl fünf Gigawatt zu rechnen.12 4. Instrumente zur Erhöhung der Energieeffizienz in Stromanwendung, Stromerzeugung und Strom- Grundsätzlich kann zur Emissionsminderung in der Strom- netzen, wie Standardsetzung für Energieeffizienz, Emis- erzeugung eine Reihe von Politikinstrumenten13 eingesetzt sionsgrenzwerte für Kraftwerke / Kraftwerkstypen, die Förderung von Forschung und Entwicklung sowie die finanzielle Förderung von Energieeffizienz (Zuschüsse, 12 Handelsblatt (12.4.2020): Warum Corona dem Klima gut tut, aber zinsverbilligte Darlehen, Bürgschaften) und eine Op- die Energiewende ausbremst; https://www.handelsblatt.com/ unternehmen/energie/energie-warum-corona-dem-klima-gut-tut- timierung der Netze. Durch die Verteuerung der End- aber-die-energiewende-ausbremst/25730930.html. kundenpreise schaffen zudem auch Emissionshandel im 13 Nicht als Option werden hier Instrumente zur erhöhten Strom- Stromsektor, CO2-Steuer/-Sonderabgabe und Energie- erzeugung aus Kernbrennstoffen gesehen, wie die bevorzugte steuern Anreize zur Steigerung der Energieeffizienz. Einspeisung von Strom aus Kernbrennstoffen, konkrete Ausbaupläne und -ziele, die Förderung von Forschung und Entwicklung, Haftungs- beschränkungen, staatliche Atommüllentsorgung und finanzielle Förderung (Zuschüsse, zinsverbilligte Darlehen, Bürgschaften). Der Ausbau der Kernenergie birgt insbesondere das Risiko von Importab- hängigkeiten (Uran, Technologie), aber auch ein Risiko katastrophaler Unfälle, die ganze Landstriche auf Dauer unbewohnbar machen und zahlreiche Leben kosten können, mit entsprechendem Haftungsrisiko, sowie das Entsorgungsproblem. Auch Instrumente zur erhöhten Stromerzeugung mit carbon capture and storage (CCS), ins- besondere die Förderung von Forschung und Entwicklung sowie die finanzielle Förderung von CCS (Zuschüsse, zinsverbilligte Darlehen, of the pipe-Technologie ist. Die Anwendung von CCS-Technologie ist Bürgschaften) werden hier nicht betrachtet. Kritik richtet sich gegen in Deutschland im Kohlendioxid-Speicherungsgesetz (KSpG) geregelt, potenzielle negative schwer rückholbare Umweltwirkungen, z. B. das seit 2012 die Erforschung, Erprobung und Demonstration der Grundwasserbeeinträchtigung, aber auch darauf, dass CCS eine end CO2-Speicherung in begrenztem Ausmaß zulässt (UBA 2018). 10
Zielkonflikte in der Stromerzeugung 4.2 WIRKUNGSKETTEN UND FRAGEN sauberer Energie (SDG 7), menschenwürdiger Arbeit ZUR VERRINGERUNG / VERMEIDUNG VON (SDG 8) sowie Informations- und Kommunikations- TRADE OFFS technologie (SDG 9, Indikator 9.c) negativ beeinflusst werden. Für jedes dieser Politikinstrumente bzw. jeweils für Instru- –– Zum anderen kann die Verdrängung jedoch auch mentenpakete aus Instrumenten der Kategorie 1 mit solchen landwirtschaftliche Flächen betreffen, was einen di- der Kategorien 2 bis 4 lässt sich eine Wirkungskette erstel- rekten negativen Einfluss auf die Bekämpfung des len, deren letztes Glied mit den 17 Nachhaltigkeitszielen der Hungers (SDG 2) sowie auf die SDGs 1 (keine Ar- Vereinten Nationen (SDGs) abgeglichen werden kann, um mut), 8 (menschenwürdige Arbeit) und 10 (weniger mögliche Zielkonflikte zu identifizieren. Zur Verdeutlichung Ungleichheiten) haben kann. wird im Folgenden beispielhaft das Instrument einer CO2- 2. In Ländern mit geringerer Rechtssicherheit kann der zu- Steuer im Stromsektor betrachtet. Der Fokus liegt dabei aus- sätzliche Flächenverbrauch auch zu Landvertreibungen schließlich auf der Teilwirkung einer solchen Steuer, nämlich führen. Entsprechend der Wirkungsketten, die mit Ver- der Wirkung auf den Verbrauch von Flächen. Weitere Wir- drängungen einhergehen können, stellen Landvertrei- kungen dieser Steuer werden hier nicht betrachtet. Aus der bungen sogar ein hohes Risiko für die Verwirklichung Analyse dieser Teilwirkungskette lassen sich Zielkonflikte und der SDGs 1 (keine Armut), 2 (kein Hunger), 10 (weniger schlussendlich Fragen ableiten, die dabei helfen, trade offs Ungleichheiten) und 11 (Indikator 11.1: Zugang zu ange- der Steuer mit Flächenverbrauchszielen zu verringern oder messenem, sicherem und bezahlbarem Wohnraum) dar. zu vermeiden. Dasselbe gilt für die SDGs 3 (Gesundheit und Wohlerge- hen), 4 (hochwertige Bildung), 6 (sauberes Wasser und 4.2.1 Wirkungskettenbetrachtung Sanitätseinrichtungen), 7 (bezahlbare und saubere Ener- »Flächenverbrauch als Wirkung einer gie), 8 (menschenwürdige Arbeit) und 9 (Indikator 9.c, CO2-Steuer« Zugang zu Informations- und Kommunikationstechno- Zur Reduktion der Emissionsintensität des Strommixes allge- logie). mein kann im Stromsektor beispielsweise eine CO2-Steuer SDG 16 strebt u. a. nach Frieden und Gerechtigkeit eingesetzt werden (ein Emissionshandelssystem wirkt weit- und zielt z. B. auf die Verringerung von Gewalt (Indika- gehend analog). Sie wirkt auf alle stromgenerierenden Kraft- tor 16.1). Damit wirken Landvertreibungen auch die- werke und Anlagen sowie auf Speicherkraftwerke durch sem SDG entgegen. Nach Vertreibungen sind besonders die Verteuerung des Ausstoßes von CO2 und ggf. anderen Frauen verletzlich in Bezug auf Gewalt, inklusive sexuel- Treibhausgasen, für die nach ihrer Einführung pro Tonne ler Gewalt (United Nations 2014). Dadurch ist SDG 5 eine bestimmte Steuer entrichtet werden muss. Die Verteue- (Geschlechtergleichheit) ebenfalls von Landvertreibun- rung emissionsintensiver Stromerzeugung führt zum einen gen bedroht. zum Ausbau der Stromerzeugung aus emissionsarmen und 3. Die veränderte Nutzung von Flächen kann durch den -neutralen Energiequellen (erneuerbare Energien), zum an- Verlust von Kohlestoffspeichern zum Ausstoß von Treib- deren zu einer Reduktion der Stromerzeugung aus den fos- hausgasen und der Verdrängung von Tier- und Pflan- silen Energieträgern Erdgas, Öl und vor allem Kohle. zenarten sowie einem Verlust an Biodiversität führen. Dies wirkt der Realisierung von SDG 13 (Klimaschutz), Der Ausbau der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien SDG 15 (Leben an Land) und, sofern Küstenökosysteme ist mit zusätzlichem Flächenverbrauch verbunden, insbeson- und/oder Binnengewässer betroffen sind, SDG 14 (Leben dere bei Großwasserkraftwerken und Biokraftstoffen. Wird unter Wasser) entgegen. dies nicht durch gleichwertige freiwerdende Flächen kom- 4. Letztendlich kann erhöhter Flächenverbrauch zu einer pensiert, kann dies je nach Ausmaß des Flächenverbrauchs Verteuerung von Wohn- und Nutzflächen beitragen. unterschiedliche Auswirkungen haben: Dies kann sowohl für Unternehmen als auch für Haus- halte zu einer Kostenbelastung durch höhere Miet- und 1. Ist der zusätzliche Flächenverbrauch hoch, kann es zu Kaufpreise für Immobilien führen. Bei starken Kostenbe- einer Verdrängung bisheriger Nutzer_innen der betrof- lastungen für Unternehmen führt dies zu einer Verteue- fenen Flächen kommen. Dies kann mit vielfältigen Belas- rung der Produktionskosten und niedrigeren Unterneh- tungen für die betroffenen Personen einhergehen. mensgewinnen, die bei erheblichem Ausmaß in einen –– Zum einen kann es zu höheren Preisen für das Woh- Kapazitätsabbau münden können. nen und eine Verschlechterung der Wohnsituation –– Dies hätte einerseits einen negativen Einfluss auf die kommen, die negative Auswirkungen auf SDG 11 wirtschaftliche Gesamtentwicklung und damit auf (Indikator 11.1: Zugang zu angemessenem, siche- die SDGs 9 (Industrie und Infrastruktur) und 8 (men- rem und bezahlbarem Wohnraum) hat. Auch hier- schenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum). mit geht ein erhöhtes Armutsrisiko (kontra SDG 1) –– Andererseits kann dies auch zu Arbeitsplatz- und und somit die Gefahr der Zunahme von Hunger (kon- damit Einkommensverlusten führen mit direkten Ein- tra SDG 2) und mehr Ungleichheit (kontra SDG 10) flüssen auf die SDGs 8 (menschenwürdige Arbeit und einher. Darüber hinaus können die Gesundheitssitu- Wirtschaftswachstum) und 1 (keine Armut) und so- ation verdrängter Personen (SDG 3) sowie ihr Zugang mit je nach Intensität auch auf die SDGs 2 (kein Hun- zu hochwertiger Bildung (SDG 4), sauberem Wasser ger) und 10 (weniger Ungleichheiten). und Sanitätseinrichtungen (SDG 6), bezahlbarer und 11
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Rundum nachhaltig 4.2.2 Fragen zur Verringerung / 4.2.3 Weitere Wirkungsketten Vermeidung von trade offs Neben diesem Strang einer Wirkungskette kommt es durch Um diese trade offs zu verringern und/oder zu vermeiden, die Einführung einer CO2-Steuer zu weiteren Effekten, die können Leitfragen entwickelt werden, die auf die zentralen Einfluss auf die Verwirklichung der SDGs haben können. Im Konfliktfelder abzielen. In Bezug auf den hier untersuchten Folgenden sollen diese Wirkungsketten kurz angerissen wer- Wirkungskettenstrang können beispielsweise folgende Fra- den, um einen Grobüberblick über die Vielfältigkeit und Ver- gen bei der Risikobeurteilung und -verringerung/-vermeidung zweigung der Effekte zu erhalten. für die Verwirklichung der SDGs formuliert werden: Wird die CO2-Steuer nicht kostenneutral für Stromkunden –– Wie groß ist der Flächenbedarf, der infolge der Einfüh- eingeführt, kommt es zu erhöhten Strompreisen und ent- rung der Maßnahme entsteht? sprechenden Kostenbelastungen für Industrie und Haus- –– Wie wird dieser Flächenbedarf gedeckt? halte. Dies zieht eine Kette von Folgen nach sich (s. obige Ausführungen zur Verteuerung von Wohn- und Nutzflä- Und auf anderer Ebene: chen). All diese Effekte können ein Risiko für die Verwirkli- chung verschiedener SDGs darstellen. –– Führt die Einführung der Maßnahme direkt oder indirekt zu einer Kostenbelastung für Haushalte? In Bezug auf den durch eine CO2-Steuer erzeugbaren Ausbau –– Führt die Einführung der Maßnahme direkt oder indirekt erneuerbarer Energien kommt es zu Materialverbrauch, der zu einer Kostenbelastung für Unternehmen? Konsequenzen für mehrere SDGs haben kann. Der Ausbau –– Führt die Maßnahme direkt oder indirekt zu Arbeitsplatz- kann ebenfalls zu Widerstand aus der Bevölkerung führen. verlusten? –– Führt die Einführung der Maßnahme zu Menschen- Die Einführung einer CO2-Steuer kann bei entsprechender rechtsverletzungen? Höhe zu verringerter Stromproduktion aus Kohle, Öl und Gas führen. Dies kann zu Arbeitsplatzverlusten führen. Diese Fragen können bei der Maßnahmengestaltung als Aus- gangsbasis für die Untersuchung dieses Wirkungsketten- Röser et al. (2018) weisen im Besonderen auf die Zielkon- stranges sowie der Verringerung und Vermeidung negativer flikte in Tabelle 1 hin, die sich aus Klimaschutzmaßnahmen Auswirkungen auf die SDGs dienen. in der Stromerzeugung für andere SDGs ergeben. Tabelle 1 Negative Wirkungen von Klimaschutzmaßnahmen in der Stromerzeugung auf SDGs (eigene Zusammenstellung, basierend auf Scan Tool 2018) Potenzielle Zielkonflikte für Klimaschutzmaßnahmen Effekt auf SDGs im Energiesektor Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien Flächenkonkurrenz (v. a. bei großer Wasserkraft und Biokraft SDG 1 Keine Armut, SDG 2 Kein Hunger stoffen) Luftverschmutzung durch Nutzung von Bioenergie SDG 3 Gesundheit und Wohlergehen Konflikte um Wassernutzung bei Wasserkraft, konzentrierter Solar- SDG 6 Sauberes Wasser und Sanitäreinrichtungen energie, Geothermie, Biokraftstoffen Negative Auswirkungen auf Wasserökosysteme bei Wasserkraft, SDG 6 Sauberes Wasser und Sanitäreinrichtungen, konzentrierter Solarenergie, Geothermie und Biokraftstoffen SDG 14 Leben unter Wasser, SDG 15 Leben an Land Negative Auswirkungen auf Bergökosysteme (v. a. Wasserkraft) SDG 15 Leben an Land Wärmebelastung von Gewässern (konzentrierte Solar- und geother- SDG 6 Sauberes Wasser und Sanitäreinrichtungen, male Energie) SDG 14 Leben unter Wasser Reduzierte Verlässlichkeit für manche Technologien wegen Unter- SDG 7 Bezahlbare und saubere Energie brechungen für Wind, konzentrierter Solarenergie und Photovoltaik Arbeitsplatzverluste in Fossilbrennstoffindustrie SDG 8 Menschenwürdige Arbeit und nachhaltiges Wirtschafts- wachstum Steigende Energiepreise könnten Zugang zu Energiedienstleistun- SDG 11 Nachhaltige Städte und Gemeinden gen beschränken Negative Auswirkungen auf Ökosysteme und natürliche Lebens- SDG 11 Nachhaltige Städte und Gemeinden, räume SDG 15 Leben an Land Negativer Einfluss auf Umwelt durch Abfallaufkommen (Solar SDG 11 Nachhaltige Städte und Gemeinden panele, Windturbinen etc.) Erschwerte umweltgerechte Bewirtschaftung durch Abfallaufkom- SDG 12 Nachhaltige/r Konsum und Produktion men (Solarpanele, Windturbinen etc.) Wasserverschmutzung SDG 14 Leben unter Wasser 12
Zielkonflikte in der Stromerzeugung Die Analysen in diesem Kapitel konnten im Rahmen dieser Studie nur qualitativ erfolgen. Eine CO2-Steuer ist grund- sätzlich ein wirksames Instrument für einen besseren Klima- schutz. Aber gerade bei diesem Instrument wird deutlich, dass es Zielkonflikte mit anderen gesellschaftlichen Zielen gibt. Die CO2-Steuer muss daher in einem Gesamtpaket wir- kungsvoll und sozialverträglich gestaltet werden (Fischedick et al. 2019). Die Diskussion um die Einführung einer CO2- Steuer im Rahmen des Klimaschutzpakets der Bundesregie- rung und eine Kompensation für die Bürger_innen zeigt auf, wie Zielkonflikte im politischen Alltag die Einführung eines Instrumentes verzögern, seine Wirkung durch die Ausgestal- tung (zu niedriger Einstiegspreis) vermindert werden kann und gleichzeitig Gerechtigkeitsfragen gelöst werden müs- sen (Kompensation), um eine Akzeptanz zu schaffen. Das Beispiel zeigt aber auch, dass bei entsprechendem politi- schem Willen eine Gestaltungsmöglichkeit gefunden wer- den könnte, die die Zielkonflikte zusammen betrachtet und auflöst. Wie seitens der Klimapolitik eine integrierte Bewer- tung, auch mit den positiven Wechselwirkungen, erfolgen könnte, wird in Kapitel 7.1 näher diskutiert. 13
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Rundum nachhaltig 5 ZIELKONFLIKTE IN VERKEHR UND MOBILITÄT 5.1 ZIELE UND INSTRUMENTE FÜR Die Steigerung des Verkehrsaufkommens wurde in der Ver- KLIMASCHUTZMASSNAHMEN kehrspolitik traditionell größtenteils nicht als Problem gese- hen, sondern als Ausweis wachsenden Wohlstands begrüßt. Der Beitrag des Verkehrssektors ist zentral, um die Klima- Sie hat jedoch auch erhebliche negative Auswirkungen: schutzziele in Deutschland, aber auch global zu erreichen. neben den Treibhausgasemissionen beispielsweise auch Die Debatte Anfang 2019 um den deutschen Klimaschutz- hohe Emissionen lokaler Schadstoffe und hohen Flächenver- plan 2050 und das Maßnahmenprogramm 2030 für die brauch. So stieg der Anteil der Siedlungs- und Verkehrsfläche Festlegung von Maßnahmen im Verkehrssektor verdeutlicht an der Gesamtfläche in den letzten 26 Jahren um 26 Prozent dies. Um eine Minderung der Treibhausgasemissionen bis an. Die Verkehrsfläche dehnte sich um 9,8 Prozent aus. An zum Jahr 2050 um 80–95 Prozent gegenüber 1990 zu er- die Stelle einer landwirtschaftlichen Nutzung tritt die Nut- reichen, soll der Verkehrssektor bis zum Jahr 2030 zunächst zung als Siedlungs- und Verkehrsfläche.15 Durch Versiege- einen Beitrag von minus 40–42 Prozent leisten (BMU 2019). lung verlieren Böden Teile ihre natürlichen Funktionen (Ver- Dem steht bisher ein Anstieg der Emissionen des Verkehrs- sickerung, Kühlung im Hochsommer in Städten etc.), was sektors gegenüber. Während die spezifischen Emissionen des mit einer verringerten Anpassungsfähigkeit an Extremwet- Pkw-Verkehrs, also die Emissionen pro Verkehrsaufwand, um terereignisse einhergeht. etwa 9 Prozent gesunken sind, sind die CO2-Emissionen des Pkw-Verkehrs zwischen 1995 und 2018 um 3,7 Prozent an- Die Ansatzpunkte für eine Reduktion und Vermeidung von gestiegen. Die stetige Zunahme und Konstanz auf hohem Treibhausgasemissionen im Verkehrsbereich sind vielfältig. Niveau ist auf eine deutliche Zunahme des Verkehrs insge- Sie können an der Veränderung von Mobilitätsmustern oder samt zurückzuführen, sodass die technischen Einsparungen an Veränderungen auf der Angebotsseite ansetzen. Das überkompensiert wurden (UBA 2020). In anderen Sektoren Ziel, Verkehr zu vermeiden, lässt sich z. B. durch verkehrs- konnten deutliche Einsparungen erreicht werden. Damit war sparsame Raumstrukturen erreichen. Neben der Umsetzung es insbesondere auf die Entwicklung im Verkehrssektor zu- des Konzeptes der Stadt der kurzen Wege kann so gleichzei- rückzuführen, dass das ursprüngliche Ziel von minus 40 Pro- tig der Flächenverbrauch für Verkehrsinfrastrukturen verrin- zent bis zum Jahr 2020 lange Zeit nicht erreichbar schien. gert werden. Über Verdichtung und planerische Orientierung Durch die Ausgangsbeschränkungen der Corona-Pandemie an der tatsächlichen Mobilität (Wegeketten) werden kurze wurden die CO2-Emissionen des Verkehrs (sowie anderer Wege ermöglicht. In Kombination mit Maßnahmen zur Stär- Sektoren) jedoch zeitweise stark gesenkt.14 Insgesamt wird kung des Umweltverbundes, die auf eine Veränderung der geschätzt, dass das Klimaziel im Verkehr für das Jahr 2020 Anteile der verschiedenen Verkehrsträger hinwirken (modal von minus 40 Prozent punktuell erreicht wird; eine struktu- shift in Richtung ÖPNV, sharing, Rad- und Fußverkehr), wird relle Minderung ist dies jedoch nicht. Mit Rücknahme der auf eine Veränderung des Mobilitätsverhaltens abgezielt. Ausgangsbeschränkungen ist auch wieder ein Anstieg der Ansatzpunkte auf der Angebotsseite zur Verringerung der Verkehrsemissionen und der energiebedingten CO2-Emissio- Emissionsintensität sind Maßnahmen, die eine Verringerung nen insgesamt zu beobachten. Es wird erwartet, dass das des motorisierten Individualverkehrs (mit Verbrennungsmo- Sektorziel Verkehr bis 2030 nicht erreicht wird und auch tor) anstreben, oder die Förderung der Entwicklung emis- mit der Umsetzung des Maßnahmenprogramms 2030 eine sionsarmer Antriebe. Auch in diesem Bereich verdeutlicht die Lücke von 33,4 Mio t CO2e bestehen bleibt (Harthan et al Corona-Pandemie die Wechselwirkungen zwischen Klima- 2020). 15 Umweltbundesamt (27.11.2019): Siedlungs- und Verkehrsfläche. Die Zunahme des Neuverbrauchs geht zurück. Bis 2030 soll nach dem integrierten Umweltprogramm der Neuverbrauch auf 20 ha/Tag zu- rückgehen (heute: 58 ha/Tag) und bis 2050 eine Flächenkreislaufwirt- 14 Zeitweise sanken die täglichen globalen CO2-Emissionen des Ver- schaft erreicht werden (kein Neuverbrauch mehr); https://www.um- kehrs im April 2020 um 17 Prozent (Le Quéré et al. 2020). Zahlen für weltbundesamt.de/daten/flaeche-boden-land-oekosysteme/flaeche/ Deutschland lagen zum Zeitpunkt der Veröffentlichung noch nicht siedlungs-verkehrsflaeche#anhaltender-flachenverbrauch-fur- vor. siedlungs-und-verkehrszwecke- 14
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