SUN - UNIVERSITÄT MÜNSTER

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                                                                                                                   Heft 01/2021
Soziologie und Nachhaltigkeit -
Beiträge zur sozial-ökologischen Transformationsforschung

   Luigi Droste / Björn Wendt

   Who Cares?
   Eine ländervergleichende Analyse klimawandelbezogener Besorgnis
   in Europa

   Zusammenfassung: Dieser Beitrag untersucht              Abstract: This article investigates a rarely studied
   ein bislang in der deutschsprachigen Klimaforschung     issue in climate change research in Germany: the
   weithin vernachlässigtes Thema: Die Besorgnis           worries about climate change among citizens.
   über den Klimawandel in der Bevölkerung. Auf            Against the backdrop of current sociological
   der Grundlage eines zeitdiagnostischen Zugangs,         diagnoses of the times which suggest worries as
   der von der zentralen Bedeutung von Sorgen in der       of central importance in present society, we first
   Gegenwartsgesellschaft ausgeht, untersuchen wir in      address previous research on worries about climate
   einem ersten Schritt mittels eines internationalen      change by taking a look at international research
   Literaturüberblicks den Forschungsstand zur Wahr-       on climate change perceptions. On this basis, we
   nehmung des Klimawandels in der Bevölkerung             formulate a set of hypotheses for explaining worries
   mit Schwerpunkt auf der Dimension der Klimabe-          about climate change. We examine these hypotheses
   sorgnis. Davon ausgehend leiten wir Hypothesen          empirically by taking on a multi-level approach and
   zur Erklärung der klimabedingten Besorgnis ab, die      utilizing data from the European Social Survey.
   wir mittels einer Mehrebenenanalyse und auf Basis       The analyses show that worry about climate change
   von Daten des European Social Survey empirisch          depends strongly on individual attributes, rather
   überprüfen. Die Analysen zeigen, dass Klimasorgen       than the country people live in. In particular, indi-
   relativ weit verbreitet sind, sich jedoch nur in sehr   vidual value orientations, climate change awareness
   geringem Maß über die Varianz zwischen Ländern          and political attitudes prove to be consistent and
   erklären lassen. Vielmehr sind verschiedene soziale     important correlates of climate worries.
   Prädikatoren auf Individualebene von zentraler
   Bedeutung. Insbesondere Variablen wie die indivi-
   duelle Wertorientierung, die Gewissheit über den
   Klimawandel und die politische Orientierung der
   Befragten erweisen sich als konsistente und wirk-
   mächtige Korrelate klimawandelbezogener Sorgen.
Autoren:

Dr. Luigi Droste ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie der Universität
Münster. Arbeitsschwerpunkte: Wirtschaftssoziologie, Politische Soziologie, Methoden der empiri-
schen Sozialforschung.

Dr. Björn Wendt ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie der Universität
Münster. Arbeitsschwerpunkte: Soziologie der Nachhaltigkeit und Umweltsoziologie, Wissenssozio-
logie und Utopieforschung, Politische Soziologie, Elitensoziologie und Bewegungsforschung.

Soziologie und Nachhaltigkeit
Beiträge zur sozial-ökologischen Transformationsforschung

ISSN 2364-1282

Heft 1/2021, 7. Jahrgang
Eingereicht 28.08.2020 – Peer-Review 28.10.2020 – Überarbeitet 01.12.2020 – Akzeptiert 21.12.2021

                 Lizenz CC-BY 4.0 (www.creativecommons.org/licenses/by/4.0)

Herausgeber*innen: Benjamin Görgen, Matthias Grundmann, Anna Henkel, Melanie Jaeger-Erben,
            Björn Wendt

Redaktion:   Niklas Haarbusch, Jessica Hoffmann

Layout/Satz: Frank Osterloh/Niklas Haarbusch

Anschrift:   WWU Münster, Institut für Soziologie
             Scharnhorststraße 121, 48151 Münster
             Telefon: (0251) 83-25303
             E-Mail: sun.redaktion@wwu.de
             Website: www.ejournals.wwu.de/index.php/sun
Luigi Droste / Björn Wendt – Who Cares

              Einleitung                                              wandel ein eklatanter Mangel an empirischer
                                                                      Forschung im deutschsprachigen Raum attes-
              Der Klimawandel wird in vielen Ländern der
                                                                      tiert werden. Überraschend ist dieses Desiderat
              Welt als eine der größten globalen Bedrohungen
                                                                      insofern, als dass die Umweltsoziologie seit
              wahrgenommen (Poushter/Huang 2019, Fagan/
SuN 01/2021

                                                                      ihrer Entstehung breit in die Untersuchung des
              Huang 2019) und ist in den letzten Jahren zu
                                                                      „Umwelt- und Naturbewusstseins“ bzw. umwelt-
              einem kontrovers diskutierten politischen Thema
                                                                      bezogener Einstellungsmuster der Bevölkerung
              avanciert. Auf der einen Seite artikulieren Pro-
                                                                      involviert war (prägend u. a. Van Liere/Dunlap
              testbewegungen wie Fridays for Future oder
                                                                      1980, 1981 sowie für Deutschland: Dierkes/
              Extinction Rebellion sowie eine Reihe von Vertre-
                                                                      Fietkau 1988, Poferl et al. 1997, Diekmann/
              ter*innen der Wissenschaft öffentlich ausgeprägte
                                                                      Preisendörfer 1998, überblickend siehe auch
              Zukunftsängste und plädieren in der Folge für ein
                                                                      Neugebauer 2004, Wendt/Görgen 2017). Die em-
              vor-sorgend antizipierendes Handeln gegenüber
                                                                      pirische Umweltbewusstseinsforschung hat sich
              den mithin als apokalyptisch inszenierten Risiken
                                                                      in diesem Rahmen zwar relativ früh mit der Ver-
              des Klimawandels (Schellnhuber 2015, extinction
                                                                      teilung und sozialen Basis von umweltbezogenen
              rebellion 2019, Neubauer/Reppening 2019, Thun-
                                                                      Sorgen und Ängsten beschäftigt. Allerdings ist
              berg 2019, Wallace-Wells 2019). Auf der anderen
                                                                      dies zum einen vor allem mit Blick auf allgemeine
              Seite hat sich – sei es innerhalb von Initiativen wie
                                                                      Umweltprobleme geschehen, während das Klima-
              Fridays for Hubraum, in liberalen, neokonserva-
                                                                      bewusstsein im Speziellen lange Zeit relativ wenig
              tiven und rechtspopulistischen Milieus oder der
                                                                      Beachtung gefunden hat.1 Zum anderen wurden
              Klimawandelleugnungsszene – eine Gegenbewe-
                                                                      Sorgen und Ängste stets als (affektive) Elemente
              gung formiert, die sich über die „Klimahysterie“
                                                                      des Umweltbewusstseinskonstrukts konzipiert,
              der Klimaaktivist*innen und Klimawissenschaft-
                                                                      sodass diese lediglich als Bestandteil in entspre-
              ler*innen empört und diesen vorwirft, den Weg
                                                                      chende Indizes integriert und damit im Detail nur
              in einen neuen „Totalitarismus der Besorgten“
                                                                      ansatzweise adressiert wurden.
              (Broder 2019: 59, Hervorhebung L.D/B.W.) zu
              bahnen. Diese Polarisierung der Debatte macht           Obgleich klimawandelbezogene Sorgen aktuell
              nicht nur deutlich, wie unterschiedlich der Kli-        eine zentrale Rolle im gesellschaftspolitischen
              mawandel in der Gesellschaft wahrgenommen
              und bewertet wird, sondern verweist auch darauf,
              dass Ängsten und Sorgen sowie Gefühlslagen per          1   Dieses Desiderat drückt sich im deutschsprachigen
                                                                          Raum z. B. auch darin aus, dass die Thematik selbst in
              se eine zentrale Rolle im Klimadiskurs zukommt.
                                                                          klimawandel- und umweltbewusstseinsbezogenen Auf-
                                                                          sätzen des Handbuchs Umweltsoziologie (Viehhöver
              Nachdem Constanze Lever-Tracy noch im Jahr                  2011, Reusswig 2011, Lange 2011) sowie in Sammel-
              2008 prominent kritisieren konnte, dass der                 bänden zur sozialwissenschaftlichen Klimaforschung
                                                                          (z. B. Voss 2010, Besio/Romano 2016) bisher kaum
              Klimawandel in der Soziologie kaum zum For-                 diskutiert wurde. Wenngleich klimarelevante Einstel-
              schungsgegenstand gemacht würde (Lever-Tracy                lungen in den zyklischen Erhebungen des Umwelt-
                                                                          bundesamtes in neueren Untersuchungen als weit
              2008), hat sich inzwischen ein äußerst dynami-              verbreitet, allerdings auch milieugebunden, ausge-
              scher soziologischer Diskurs zu klimabezogenen              wiesen werden (Rubik et. al 2019: 16 ff.), so wurden
                                                                          verschiedene Aspekte des Klimabewusstseins lange
              Fragestellungen entwickelt (überblickend u. a.              Zeit nicht abgefragt und erst ab dem 21. Jahrhundert
              Lorenz 2013, Dunlap/Brulle 2015, Sommer 2016,               verstärkt aufgenommen (Kuckartz 2000; Kuckartz/
                                                                          Grunenberg 2002: 47 f.; für eine Übersicht: Bauske/
              Reusswig/Engels 2018, Koehrsen et al. 2020).                Kaiser 2019: 58 ff.). Auch der Begriff des Klimabe-
              Überraschenderweise kann jedoch mit Blick auf               wusstseins selbst wird erst etwa Mitte der 2000er Jahre
                                                                          in einschlägigen Publikationen verwendet (Kuckartz et
              die Sorgen in der Bevölkerung über den Klima-               al. 2007, Weber 2008, Kuckartz 2010).

              3
Soziologie und Nachhaltigkeit – Beiträge zur sozial-ökologischen Transformationsforschung

Diskurs spielen, und Untersuchungen zudem                     schiede in den klimawandelbezogenen Sorgen der
gezeigt haben, dass diesen eine Bedeutung für                 Bürger*innen erklären?
klimabewusste Handlungsbereitschaft zukommt
                                                              In einem ersten Schritt werden wir im Folgenden
(Dietz et al. 2007, Smith/Leiserowitz 2014), liegen

                                                                                                                       SuN 01/2021
                                                              kurz einige Überlegungen zum Begriff der
hierzu bislang lediglich vereinzelte und in der
                                                              Sorge und ihrer soziologischen Thematisierung
Regel beschreibende Befunde für einzelne Länder
                                                              skizzieren und in den Forschungsstand zum
vor (für Deutschland etwa Hüther et al. 2012). Dies
                                                              Klimabewusstsein und klimabezogenen Sorgen
gilt auch für die meisten ländervergleichenden
                                                              in der Bevölkerung einführen (Abschnitt 1). Aus
Analysen zur Wahrnehmung und Bewertung des
                                                              diesem Literaturüberblick werden wir in einem
Klimawandels (siehe etwa Fagan/Huan 2019).
                                                              nächsten Schritt untersuchungsleitende Hypo-
Ländervergleichende Untersuchungen, die kli-
                                                              thesen ableiten und die Datengrundlage sowie
mabedingte Besorgnis entlang verschiedener
                                                              Methode der Untersuchung vorstellen (Abschnitt
sozialer Dimensionen mit statistischen Verfahren
                                                              2). Auf Basis von Umfragedaten der achten
untersuchen, sind bis heute eine Seltenheit in der
                                                              Welle des European Social Survey (ESS) für 23
soziologischen Klimaforschung (für eine Aus-
                                                              europäische Länder aus den Jahren 2016/2017
nahme siehe aber Poortinga et al. 2019). Damit
                                                              präsentieren wir anschließend die zentralen Er-
fehlt es bislang an wichtigem Grundlagenwissen,
                                                              gebnisse eines Mehrebenenmodells, das sowohl
inwiefern die Befunde der Umweltbewusstseins-
                                                              individuelle als auch strukturelle Faktoren zur
forschung auch auf die klimabedingten Sorgen
                                                              Erklärung der Varianz der Klimasorgen berück-
der Bevölkerung bezogen werden können und
                                                              sichtigt (Abschnitt 3). Abschließend diskutieren
inwiefern sich diese Befunde seit den 1990er
                                                              wir die Befunde vor dem Hintergrund der Leit-
Jahren, in denen sich die Forschungsdisziplin vor
                                                              fragen unserer Untersuchung (Abschnitt 4).
allem mit diesen Fragen beschäftigt hat, in der
jüngeren Vergangenheit verschoben haben.2

Vor diesem Hintergrund nehmen wir in unserem                  1. Klimasorgen: Zeitdiagnostische
Beitrag eine vergleichende Untersuchung der                      Annäherungen und der
Besorgnis über den Klimawandel in Europa vor:                    Forschungsstand der Klima-
Welches Ausmaß hat die Besorgnis über die                        bewusstseinsforschung
Folgen des Klimawandels bei den Bürger*innen in
Europa und inwiefern lassen sich hierbei Unter-
                                                                 Zeitdiagnose: Die besorgte Gesellschaft
schiede zwischen bestimmten sozialen Gruppen
sowie Ländern feststellen? Wie lassen sich Unter-             Menschen machen sich über vieles Sorgen.
                                                              Glaubt man soziologischen Zeitdiagnosen, so
                                                              sind Sorgen und Ängste gar zum bestimmenden
2   Eine Erklärung für den Rückgang an der diesbezügli-       Gefühl unserer Zeit geworden (Beck 2008a, Bude
    chen Forschung kann vor allem darin gesehen werden,
                                                              2014, Baumann 2016). Vor dem Hintergrund
    dass der erwünschte und in den Ausgangsmodellen
    postulierte Übersetzungsprozess eines zunehmenden         einer „gesellschaftlichen Gesamtsituation, die von
    Umweltbewusstseins in umweltverträgliches Ver-
                                                              Krisen, Populismus, Unsicherheit und Radikali-
    halten nur sehr begrenzt stattgefunden hat. Insbeson-
    dere mittels praxistheoretischer Annahmen wurden          sierung geprägt zu sein scheint“ wird inzwischen
    der methodologische Individualismus und der ratio-        sogar vorgeschlagen „Sorge als Schlüsselbegriff
    nal-choice-basierte Ansatz der Umweltbewusstseins-
    und Verhaltensforschung sowie anderer klima- und          der modernen Gesellschaft“ (Henkel et al. 2019:
    nachhaltigkeitsbezogener        Transformationszugänge
    seither wiederholt kritisiert (z. B. Shove 2010, Görgen
    2020).

                                                                                                                  4
Luigi Droste / Björn Wendt – Who Cares

              7) zu betrachten.3 Besonders prominent diagnos-              Zukunft, mit allen Vorzeichen der Unsicherheit
              tizierte Ulrich Beck bereits in den 1980er Jahren            versehene Antizipation, die auf eine Änderung des
              den Wandel der Ersten Moderne hin zur Zweiten                gegenwärtigen Handelns zielt“ (Beck 2017: 160).
              Moderne und beschrieb diese als eine globale
                                                                           Wenn in der „Weltrisikogesellschaft“ der „Rest­
SuN 01/2021

              „Risikogesellschaft“ (Beck 1986), in der vor allem
                                                                           risikoempfänger“ letztlich das Individuum ist,
              technische und ökonomische Nebenfolgen des
                                                                           auf das von Märkten und Politik die „ultimative
              Modernisierungsprozesses neue ökologische und
                                                                           Verantwortung des Entscheidens“ übertragen
              soziale Risikolagen, Selbstgefährdungen, Unsi-
                                                                           wird (Beck 2008a: 347), so geht mit einer solchen
              cherheiten, Ungleichheiten, Machtverhältnisse
                                                                           Vergesellschaftungsform auch ein subjektives
              und Nebenfolgen-Katastrophen produzieren.
                                                                           Erleben einher, bei dem Sorge und Angst vor sich
              Neben Reaktorkatastrophen und Finanzkrisen,                  realisierenden Risiken zu einem bestimmenden
              zählt zu letzteren auch der durch menschliches               Lebensgefühl und handlungsleitenden Moment
              Verhalten ausgelöste Klimawandel, der sogar als              werden. Auch die Sorge ist demnach „gegen-
              „womöglich ‚das‘ Weltrisiko der Epoche“ (Beck                wärtig als eine mögliche Zukunft. Sorge wirkt
              2010: 43, siehe auch Beck 2008a: 153 ff., Beck               also gegenwärtig durch die Voraussicht, durch
              2008b, Beck 2017) betitelt wird. Der Klima-                  die Vergegenwärtigung dessen, was nicht ist,
              wandel, so könnte man mit Beck argumentieren,                aber doch werden könnte“ (Henkel et al. 2016:
              zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass er in eine         21). In diesem schwerpunktmäßig problem-kon-
              „Zukunftskrise“ eingebettet ist, „deren Schau-               notierten Sinne wollen wir Sorge bzw. Besorgnis
              platz und politischer Auseinandersetzungsort                 als eine vorausschauend-emotionalisierte Bewer-
              die Gegenwart ist“ (Beck 1995: 94). Wie andere               tungspraxis verstehen, die antizipiert, was sich
              Risiken der Zweiten Moderne, die die Zukunft                 in negativer Weise zukünftig ereignen könnte.4
              in der Gegenwart wissens-, d.h. erfahrungs- und              Kennzeichnend für das in vielen Zeitdiagnosen
              erwartungsbezogen, politisieren, so kann auch be-            attestierte Lebensgefühl der Angst und Besorgnis
              züglich des Klimawandels diagnostiziert werden,              sind dabei nicht allein selbst-bezogene Sorgen,
              dass dieser zugleich „wirklich und unwirklich                sondern gerade auch die Sorge „um den Anderen
              ist. Einerseits sind viele Gefährdungen und Zer-             und die Sorge um die Umwelt“ (Henkel et al.
              störungen bereits real [...]. Auf der anderen Seite          2016: 21). Die Sorgen der Weltrisikogesellschaft
              liegt die eigentlich soziale Wucht des Verelen-              reichen demnach weit über das Individuum
              dungsargumentes in projizierten Gefährdungen                 und seine potenzielle individuelle Betroffenheit
              der Zukunft“ (Beck 1995: 94). Gerade in der                  hinaus. Ihnen wohnt in der Regel eine soziale
              Antizipation dystopischer Zukunftsrisiken des                Dimension inne, die besonders prominent etwa
              Klimawandels und seiner Risikowahrnehmung                    in der vielfach im Nachhaltigkeitsdiskurs zitierte
              liegt demnach das eigentliche Mobilisierungsmo-              Besorgnis zum Ausdruck kommt, dass „künftige
              ment der Weltrisikogesellschaft (Wendt 2020,                 Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht be-
              2021). Da der „Risikobegriff“ in erster Linie „ein           friedigen können“ (Weltkommission für Umwelt
              Möglichkeitsbegriff“ (Beck 2000: 196) ist, so
              sind auch die Klimarisiken in erster Linie „eine
                                                                           4   Das Bedeutungsspektrum des Sorgebegriffs ist unge-
              drohende Wirklichkeit, eine vergegenwärtigte                     mein groß. Im englischen Sprachraum drückt sich diese
                                                                               Varianz unter anderem in der Unterscheidung zwischen
                                                                               dem „Care“-Begriff, im Sinne des Sorgens für jemanden
                                                                               oder etwas, und „worries“ oder „concern“ aus, als sich
              3   Für überblickende und kritische Diskussionen zu dieser
                                                                               um etwas oder jemanden Sorgen aus, wenngleich allen
                  Zeitdiagnose siehe Lübke/Delhey (2019) sowie Eckert
                                                                               Begriffen diese vielschichtige normative Bestimmung
                  (2019).
                                                                               innewohnt (Thelen 2014: 23).

              5
Soziologie und Nachhaltigkeit – Beiträge zur sozial-ökologischen Transformationsforschung

und Entwicklung 1987: 51), wenn weiterhin, so                 bezüglich der Einstellungen und allgemeinen
gewirtschaftet, verteilt und gelebt wird, wie wir es          Risikowahrnehmung zum Klimawandel und
gewohnt waren und sind.                                       zum Klimabewusstsein liegt mittlerweile eine
                                                              große Anzahl von Studien vor (siehe für Deutsch-

                                                                                                                           SuN 01/2021
In der Tat wird gesellschaftsbezogenen Sorgen auf
                                                              land etwa: Engels et. al 2013, Andor et al. 2014,
Basis von Bevölkerungsumfragen regelmäßig eine
                                                              überblickend: Capstick et al. 2015, Hornsey et al.
große Verbreitung attestiert. Dies gilt sowohl für
                                                              2016). Wie diese Untersuchungen zeigen, sind es
weltweite Befragungen (Poushter/Huang 2019,
                                                              gerade solche Risikowahrnehmungen und Ein-
Atkinson et al. 2020) als auch für Befragungen
                                                              stellungen zur Umwelt- und Klimakrise, die in
der deutschen Bevölkerung (R+V 2019, Lübke
                                                              hohem Maße politisches Engagement für den Kli-
2019). Obgleich zahlreiche Erscheinungen wie
                                                              maschutz, Akzeptanz staatlicher Klimapolitiken
etwa Armut und Ungleichheit, Arbeitslosigkeit,
                                                              und persönliche Handlungsbereitschaft in Fragen
Terrorismus, Gesundheitsfragen, Migration und
                                                              des Klimawandels beeinflussen (etwa Bord et al.
Friedenserhalt zu den größten Sorgen der Men-
                                                              2000, Engels et al. 2013).
schen zählen, so nehmen auch die Sorgen über den
Klimawandel einen zentralen Platz im Sorgenpool               Bisher vorliegende Analysen von Einstellungen
der Menschen ein (Poushter/Huang 2019, Pous-                  zum Klimawandel haben sich in erster Linie
hter/Manevich 2019). Dass klimabedingte Sorgen                auf der Individualebene damit befasst, wie der
im 21. Jahrhundert bei Menschen auf der ganzen                Klimawandel wahrgenommen und bewertet
Welt weit verbreitet sind, ist weithin unumstrit-             wird. Dabei scheint sich ein konsistentes Bild
ten.5 Obgleich sich die empirische Forschung mit              für die Einstellungen unterschiedlicher sozialer
der Verbreitung und sozialen Strukturierung un-               Gruppen zu ergeben. Generell zeigt sich, dass
terschiedlicher Sorgen und Ängste beschäftigt hat             Männer, ältere Geburtskohorten und Personen
(Rackow et al. 2012, Dehne 2017, Lübke/Delhey                 mit niedrigem Bildungsgrad dem Klimawandel
2019), so sind die Sorgen über den Klimawandel                eher skeptisch gegenüberstehen (Poortinga
bislang empirisch nur unzureichend erforscht.                 et al. 2011, McCright et al. 2016, Milfont et al.
                                                              2015). Für die USA wurde dementsprechend ein
    Die sozial-temporale Strukturiertheit des                 white male effect bzw. ein conservative male
                Klimabewusstseins                             effect postuliert, wonach gerade weiße Männer
                                                              mit konservativer politischer Orientierung im
Vielfach erforscht sind hingegen die Einstel-
                                                              Vergleich durch ein höheres Maß an Skepsis ge-
lungen der Bevölkerung zu Umweltfragen
                                                              genüber dem Klimawandel sowie einer weniger
sowie der Zusammenhang zwischen Umwelt-
                                                              ausgeprägten Sensibilität bezüglich ökologischer
bewusstsein und Umweltverhalten (Van Liere/
Dunlap 1980, Franzen/Meyer 2010, Kollmuss/
Agyeman 2002, Franzen/Vogl 2013).6 Und auch                      delliert: (1) dem Wissen über Umweltprobleme und
                                                                 mögliche Umgänge mit ihnen (kognitive Dimension),
                                                                 (2) der emotionalen Affiziertheit (affektive Dimension)
                                                                 sowie (3) der Bereitschaft und dem Wille sein Handeln
5    Studien vom Pew Research Center kommen wiederholt           in Anbetracht dieser Umweltprobleme zu verändern
     sogar zu dem Ergebnis, dass der Klimawandel global als      (konative Dimension), wobei die Umwelteinstellung
     größte Bedrohung für das eigene Land wahrgenommen           wiederum als Summe der zweiten und dritten Dimen-
     wird (Kohut et al. 2013, Poushter/Huang 2019) und           sion (Huber 2011, S. 81) oder als Teil der affektiven
     weltweit von 67 Prozent der Befragten als große Bedro-      Dimension des Umwelt- bzw. Klimabewusstseins kon-
     hung eingeschätzt wird (in Deutschland lag der Wert         zipiert wird (Weber 2008, S. 115 ff.). In den gängigen
     bei 71 Prozent).                                            Operationalisierungen wird die affektive Dimension
                                                                 in Deutschland häufig mittels durch Umweltprobleme
6    Das Umwelt- bzw. Klimabewusstsein wird dabei in             ausgelöste Beunruhigung, Wut oder Empörung opera-
     der Regel als Konstrukt mit drei Komponenten mo-            tionalisiert (Diekmann/Preisendörfer 2001: 104).

                                                                                                                      6
Luigi Droste / Björn Wendt – Who Cares

              und technologischer Risiken gekennzeichnet              Eine ganze Reihe von Studien konnte auch zeigen,
              sind (McCright 2011, McCright/Dunlap 2011b).            dass Einstellungen zum Klimawandel besonders
              Damit verbunden konnte zudem gezeigt werden,            stark mit politischen und wertbezogenen Ori-
              dass auch der Wohnort einen Effekt auf skepti-          entierungen zusammenhängen. Gerade in den
SuN 01/2021

              sche Haltungen zum Klimawandel hat. Während             USA bilden sich Einstellungen zum Klimawandel
              diese im ländlichen Raum weiter verbreitet              entlang parteipolitischer Grenzziehungen ab
              sind, ist Klimawandelskepsis in Städten seltener        (McCright/Dunlap 2011a, Brulle et al. 2012,
              (Marquart-Pyatt 2008, Whitmarsh 2011). Zudem            McCright et al. 2014): Während Konservative
              wurde teilweise auch deutlich, dass das Vertrauen       (Republikaner) dem Klimawandel eher skeptisch
              in die Problemlösungskompetenz von politischen          gegenüberstehen, erkennen Liberale (Demo-
              Institutionen mit positiven Haltungen zu Um-            kraten) ihn in der Regel an und fordern teilweise
              weltpolitiken einhergeht (Lorenzoni/Pidgeon             seine Bekämpfung ein. Auch für EU-Länder lässt
              2006, Konisky et al. 2008).                             sich eine ähnliche ökologische Konfliktlinie in der
                                                                      Politik vermuten (Poortinga et al. 2011, Milfont
              Sowohl ländervergleichende Untersuchungen
                                                                      et al. 2015, McCright et al. 2016). Die Rolle be-
              zum Klimabewusstsein als auch Analysen für ein-
                                                                      stimmter Wertorientierungen für die Haltung
              zelne Länder haben regelmäßig auf Alterseffekte
                                                                      gegenüber sozialen Fragen bzw. politischen Sach-
              oder Kohorteneffekte verwiesen (McCright 2010,
                                                                      fragen ist empirisch gut belegt (Inglehart 1990).
              Milfont et al. 2015, Poortinga et al. 2011). Auch für
                                                                      Auch für Einstellungen zum Klimawandel scheint
              den Bildungsgrad ergeben sich in vorliegenden
                                                                      der Unterschied zwischen individualistischen und
              Untersuchungen einheitliche Befunde. Personen
                                                                      kollektivistischen sowie materialistischen und
              mit einem höheren formalen Bildungsgrad oder
                                                                      postmaterialistischen Wertorientierungen beson-
              einer größeren Anzahl an Bildungsjahren zeichnen
                                                                      ders bedeutsam (Dietz et al. 2007, Milfont et al.
              sich nicht allein durch ein ausgeprägteres Um-
                                                                      2015, Shi et al. 2016, Poortinga et al. 2019).
              weltbewusstsein aus (z. B. Marquart-Pyatt 2008,
              Franzen/Vogl 2013, Lee et al. 2015), sondern            Insbesondere in Folge eines sinkenden Klima-Pro-
              akzeptieren auch in höherem Maß den Klima-              blembewusstseins seit Mitte der 2000er Jahre
              wandel als reale Tatsache und sind sich häufiger        wurde ferner vor allem für die USA vermehrt
              der mit dem Klimawandel verbundenen Risiken             nach strukturellen Erklärungen hierfür gesucht.
              bewusst. In diesem Zusammenhang wird oftmals            Scruggs und Benegal (2012) thematisierten als
              angenommen, dass formale Bildung mit einem              Erklärungsfaktoren die Medienberichterstattung,
              besseren Wissen und Verständnis in Bezug auf            Temperaturanomalien und die wirtschlichen
              Klimaphänomene einhergeht. Wie gezeigt werden           Entwicklungen in Folge der Finanz- und Wirt-
              konnte, stellt Bildung jedoch einen eigenständigen      schaftskrise der Jahre 2007/2008. Sie kamen
              Faktor dar, der weitestgehend unabhängig von            zu dem Ergebnis, dass eine schlechte Wirt-
              Klimawissen und -verständnis ist. Beim Wissen           schaftslage und steigende Arbeitslosigkeit
              über den Klimawandel handelt es sich um einen           einen negativen Einfluss auf die Akzeptanz des
              lediglich schwachen Prädiktor von Einstellungen         Klimawandels haben, globale Temperaturano-
              zum Klimawandel (Whitmarsch 2011) und Klima-            malien jedoch einen positiven Einfluss.7 Dies
              wandelskeptiker*innen verfügen mitunter sogar
              über besseres Wissen in Klimafragen als Befragte,
              die sich nicht skeptisch äußern (Hornsey et al.         7   Auch Kahn und Kotchen (2011) kommen in ihrer Ana-
                                                                          lyse von Suchanfragen bei Google in den USA zu dem
              2016).
                                                                          Ergebnis, dass erhöhte Arbeitslosenraten die Sucher-
                                                                          gebnisse nach „global warming“ absenken.

              7
Soziologie und Nachhaltigkeit – Beiträge zur sozial-ökologischen Transformationsforschung

kann unter anderem damit erklärt werden, dass              Basis von Daten des International Social Survey
klimabezogene Risiken mit anderen Problemen                Programme (ISSP), dass sich in Westeuropa eine
konkurrieren und nur ein begrenzter „Pool“ an re-          vergleichbare Spaltungslinie zwischen rechten
levanten Gefahren von den Individuen verarbeitet           und linken ideologischen Lagern in Bezug auf

                                                                                                                           SuN 01/2021
werden kann (Whitmarsh 2011).                              die Meinung zu Klimafragen finden lässt, wie in
                                                           den USA, wenngleich dieser nicht ganz so stark
Brulle et al. (2012) unterscheiden in ihren Un-
                                                           ausgeprägt ist und dieser Befund nicht für die
tersuchungen ferner fünf Einflussfaktoren, die in
                                                           postkommunistischen Staaten gilt. Auch Kvaløy
der Literatur diskutiert werden: 1. Inwiefern der
                                                           et al. (2012) bestätigen mit Daten des World
Öffentlichkeit akkurate Informationen zugänglich
                                                           Value Survey (WVS), dass die Wahrnehmung
sind, 2. Extremwetterereignisse, 3. die Medienbe-
                                                           des Klimawandels als ernsthaftes Problem auch
richterstattung, 4. die Präsenz und Anwaltschaft
                                                           ländervergleichend mit einem hohen Bildungsab-
von Klima-Bewegungen und Gegenbewegungen
                                                           schluss, postmaterialistischer Wertorientierung
und 5. Hinweise auf den Klimawandel durch Eliten
                                                           sowie einer linken politischen Selbstverortung
(siehe auch: Carmichael/Brulle 2017, Carmichael
                                                           korreliert und auch religiösen Orientierungen eine
et al. 2017). Sie zeigen, dass Extremwetterereig-
                                                           Bedeutung für diese Einschätzungen zukommt.9
nisse keinen Einfluss auf die Klimawahrnehmung
in der Bevölkerung haben, sondern vor allem                Auf struktureller Ebene sprechen bisherige
Bewegungen und Eliten, die das Thema öffent-               Befunde entgegen einer Wohlstandshypothese
lich vertreten sowie die Medienberichterstattung           bislang weder für signifikante Zusammenhänge
und wirtschaftlichen Bedingungen. Bergquist                mit dem BIP, noch für einen Zusammenhang
und Warshaw (2019: 686) kommen auf der                     zwischen Klimawahrnehmung und CO2-Emis-
Grundlage eines Indizes, der 170 Umfragen mit              sionen (siehe Mostafa 2016). Klimabewusstsein
über 400.000 Befragten umfasst, in Bezug auf               ist demnach ein weltweites Phänomen, das nicht
den Zusammenhang von Klimawahrnehmung                      auf wohlhabende Länder begrenzt ist. Sandvik
und Temperaturentwicklung hingegen zu einem                (2008) kommt mit Bezug auf die Analyse von
gegensätzlichen Befund: Auf nationaler Ebene               Daten aus 46 Ländern in seiner Analyse sogar zu
spiegeln sich Temperaturentwicklungen in der               dem entgegengesetzten Ergebnis. Sowohl das BIP
öffentlichen Meinung.                                      als auch die CO2-Emmionen eines Landes korre-
                                                           lieren seinen Analysen zufolge sehr wohl mit dem
Es liegen demnach einerseits mittelweile eine
                                                           Anteil der Bevölkerung, der den Klimawandel als
Vielzahl von Befunden für einzelne Länder
                                                           ein ernsthaftes Problem bewertet, allerdings ist
(v.a. für Großbritannien und die USA8) vor, die
                                                           dieser Zusammenhang negativ.10 Die Befunde von
Einstellungen, Risikowahrnehmungen und das
Wissen zum Klimawandel auch im Zeitverlauf
untersucht haben. Zugleich geben inzwischen                9   Ähnlich auch Mostafa (2016), der neben diesen Effekten
                                                               auch noch die Kontrollüberzeugung von Personen
einige Studien auch einen Einblick in weitere län-
                                                               als einen weiteren Faktor herausarbeitet. Lewis et al.
dervergleichende Determinanten der allgemeinen                 (2019: 768) kommen in Bezug auf die „westliche“ Welt
                                                               zu dem Ergebnis, dass sich Frauen, jüngere und we-
Klimawahrnehmung (überblickend: Capstick et
                                                               niger religiöse Menschen in den englisch-sprechenden
al. 2015). McCright et al. (2015) bestätigen auf der           Ländern der westlichen Welt mehr Sorgen über den
                                                               Klimawandel machen, während die Klimasorgen in der
                                                               restlichen Welt nur schwach mit dem Geschlecht korre-
                                                               lieren, aber mit dem Alter, der Religiosität, Bildung und
8   Für die USA siehe insbesondere auch: https://www.          demokratischen Werten zunehmen.
    climatechangecommunication.org/climate-chan-
                                                           10 Tranter und Booth (2015) kommen in einer länderver-
    ge-in-the-american-mind-reports/
                                                              gleichenden Untersuchung zum Klimaskeptizismus

                                                                                                                      8
Luigi Droste / Björn Wendt – Who Cares

              Lo und Chow (2015) wiederum verweisen in Bezug               Umweltbewusstseins sind (siehe Franzen/Meyer
              auf den Zusammenhang zwischen nationalem                     2010; Franzen/Vogl 2013) und zweitens Gefühls-
              Wohlstand und Klimawahrnehmung darauf,                       lagen in einer spätmodernen „Affektgesellschaft“
              dass in reicheren Ländern der Klimawandel als                (Reckwitz 2017) als eine bedeutsame Ressource
SuN 01/2021

              wichtigstes Problem, jedoch weniger als ernstzu-             für klimabewusste Handlungsbereitschaft sowie
              nehmende Gefahr bewertet wird. Auch Fielding                 klimapolitische Mobilisierung gesehen werden
              et al. (2019) bestätigen dieses Ergebnis und ver-            können (Dietz et al. 2007, Smith/Leiserowitz
              binden in ihrer Analyse von elf OECD-Staaten                 2014). So zeigen z. B. auch Untersuchungen zu
              individuelle Charakteristiken ihrer Befragten, mit           Fridays for Future-Protesten in Städten auf der
              Haushalts- und Ländermerkmalen. Ihre Ergeb-                  ganzen Welt, dass Sorge über den Klimawandel
              nisse zeigen, dass bei zusätzlicher Betrachtung              (gefolgt von Furcht und Angst) das verbreitetste
              des Gefühls der Kontrolle, die Gefahreneinschät-             Gefühl unter den Protestierenden war und weitaus
              zung nicht mehr mit dem nationalen Wohlstand                 häufiger geteilt wird als Empörung, Frustration
              korreliert und schließen daraus, dass Wohlstand              oder Hilflosigkeit (de Moor et al. 2020).
              vor allem als eine Ressource angesehen werden
                                                                           Besorgnis scheint also einerseits eine zentrale
              kann, mit der auf die imaginierten Risiken des
                                                                           mentale und affektuelle Auswirkung des Klima-
              Klimawandels reagiert werden kann und die
                                                                           wandels zu sein und beeinflusst auf der anderen
              dadurch ein Kontrollgefühl erzeugt.
                                                                           Seite den Anpassungsprozess an diesen (Swim et
                                                                           al. 2011: 111). Untersuchungen, die, ausgehend
                   Klimasorgen: Forschungsstand und
                                                                           vom Vorwurf von Klimaskeptiker*innen, dass Kli-
                              Desiderate
                                                                           maaktivist*innen eine Klimahysterie betreiben,
              Zwar gibt es demnach ländervergleichende                     Verbindungen zwischen Klimabesorgnis und
              Analysen, die Klimawandelskepsis, Risiko- und                pathologischer Besorgnis untersucht haben, sind
              Problemwahrnehmung sowie Handlungsbereit-                    zum Ergebnis gekommen, dass zwischen diesen
              schaft in ländervergleichenden Analysedesigns                beiden Formen der Sorge kein signifikanter
              adressieren (McCright et al. 2016, Tranter/Booth             Zusammenhang besteht. „[H]abitual ecological
              2015) und Studien, die deskriptiv untersuchen,               worrying“ ist vielmehr mit umweltschonenden
              als wie gefährlich der Klimawandel im Vergleich              Verhaltensweisen sowie Persönlichkeitsstruk-
              zu anderen Problemen in unterschiedlichen                    turen verbunden, die sich durch die Anerkennung
              Ländern eingeschätzt wird (European Com-                     neuer Ideen und ein hohes Umweltbewusstsein
              mission 2009, The World Bank 2009, Brechin/                  auszeichnen (Verplanken/Roy 2013). Kli-
              Bhandar 2011, Kohut et al. 2013, Carle 2015).                masorgen stellen aus dieser Perspektive also nicht
              Gefühlslagen in Bezug auf den Klimawandel (wie               nur keine Pathologie und kein Hemmnis für
              Sorgen) wurden im Unterschied zu den oben skiz-              einen Wandel zur Nachhaltigkeit dar, sondern
              zierten Einstellungen und Risikoeinschätzungen               scheinen geradezu Bedingung und Ressource für
              zum Klimawandel jedoch vergleichsweise wenig                 eine sozial-ökologische Transformation zu sein.
              in den Blick genommen (Ojala 2012). Dies er-                 In einer Studie über die Handlungsbereitschaft
              scheint überraschend, da Sorgen erstens ein fester           CO2-Emissionen zu reduzieren zeigt sich, dass
              Bestandteil des Konstrukts eines allgemeinen                 diese mit einer zunehmenden Besorgnis über die
                                                                           Konsequenzen des Klimawandels zunimmt und
                                                                           im Unterschied zu kognitiven Risikoeinschät-
                  zu dem Ergebnis, dass ein höherer CO2-Ausstoß und        zungen gerade Sorgen und Ängste zum Handeln
                  auch die Klima-Vulnerabilität eines Landes positiv mit
                  diesem korrelieren.                                      führen (Sundblad et al. 2014). Auf der einen

              9
Soziologie und Nachhaltigkeit – Beiträge zur sozial-ökologischen Transformationsforschung

Seite scheint Besorgnis damit transformations-           concern“ auf, das ebenfalls diese Unterschiede
fördernd (siehe auch Shi et al. 2016, Stevenson/         stark macht:
Peterson 2016, Nauges/Wheeler 2017), auf der
                                                          „In short, an individual may think that climate
anderen Seite ist aus der Forschung zum Kli-

                                                                                                                    SuN 01/2021
                                                          change (and associated impacts) are likely to occur,
maskeptizismus bekannt, dass sich keine Sorgen            but that doesn’t mean that someone also perceives
über den Klimawandel zu machen, ein fester                climate change to be a serious issue. In turn, an in-
Bestand des „denial belief“ (McCright/Dunlap              dividual can perceive climate change to be a serious
                                                          issue, but that doesn’t necessarily imply that they are
2011b) ist und die Emotionalität und Besorgnis
                                                          concerned about it. Finally, although the public may
von Klimawissenschaft und Klimabewegung                   express generalized concern about climate change,
von Klimawandelskeptiker*innen als Hysterie               this often does not mean that people also personally
und Irrationalität delegitimiert wird (siehe auch         worry about the issue or think it is a high priority”
                                                          (van der Leyden 2017: 24).
Wendt 2021). Kurzum: Klimabesorgnis stellt eine
zentrale Konfliktlinie dar, die den Klimadiskurs         Wir wollen bei unserer folgenden Thematisierung
zwischen den Klimaskeptiker*innen und Klima-             des Forschungsstandes zur Klimabesorgnis daher
bewegten scheidet.                                       einen engen, trennscharfen Begriff anlegen, der
                                                         vor allem hinsichtlich seiner Operationalisierung
Zur Differenzierung unterschiedlicher Kompo-
                                                         in den Umfragen kontrolliert wurde; d. h., wir
nenten der Wahrnehmung des Klimawandels
                                                         beziehen uns nicht wie bisher auch auf Studien,
in der Bevölkerung unterscheiden Capstick et
                                                         die unter „climate concerns“ nahezu alle Katego-
al. (2015) in einer umfassenden Analyse des
                                                         rien der Klimawahrnehmung fassen, sondern auf
Forschungsfeldes neun Fragen-Foki, mit denen
                                                         Forschungen, die explizit die „Besorgnis“ oder
die Wahrnehmung des Klimawandels in der Be-
                                                         „Sorgen“ bzw. die „concerns“ oder „worries“ der
völkerung bisher untersucht wurde (Tabelle 1).
                                                         Bevölkerung zum Klimawandel abfragen und
Häufig wird in Untersuchungen nicht trennscharf
                                                         im Capstick’schen Schema daher der Kategorie 7
zwischen diesen Komponenten des Klimabe-
                                                         entsprechen. Wie verteilen sich die Klimasorgen
wusstseins der Bevölkerung unterschieden.
                                                         entlang eines solchen engen Begriffes in der Be-
Insbesondere Aussagen dazu, inwiefern der Klima-
                                                         völkerung und welche Faktoren beeinflussen sie?
wandel als eine Gefahr angesehen wird (Kategorie
4), wie ernst die Risiken eingeschätzt werden (Ka-
tegorie 5) und wie groß die Sorgen bezüglich des
Klimawandels sind (Kategorie 7), werden häufig
gemeinsam unter dem Label „climate concerns“
besprochen, wenngleich die Besorgnis nicht ex-
plizit abgefragt wird. Gleichwohl sind auch diese
Dimensionen nicht zwangsläufig in eins zu setzen,
denn der Klimawandel kann z. B. als bedrohlich
wahrgenommen werden, ohne dass man sich
deshalb Sorgen über seine Folgen machen muss
– etwa, wenn in die Problemlösungsfähigkeit der
Wissenschaft oder des politischen Personals ver-
traut wird.

Van der Leyden (2017) stellt im Hinblick auf die
zentralen Dimensionen der Wahrnehmung des
Klimawandels das Modell einer „hierarchy of

                                                                                                               10
Luigi Droste / Björn Wendt – Who Cares

                                 Fokus                                     Frageformulierung                                     Antwortmöglichkeiten
                     1. awareness and un-              •     Have you heard or read anything about the issue •                   Yes/no/not sure
                     derstandings of climate                 of global warming?                              •                   Very well/fairly well/not very
                     change                            •     Thinking about the issue of global warming, how                     well/not at all
                                                             well do you feel you understand this?
SuN 01/2021

                     2. existence of climate           •     As far as you know, do you personally think that            •       Yes/no/DK
                     change at present time                  the world’s climate is changing, or not?
                     3. causes of climate              •     Assuming global warming is happening, do you                •       Caused mostly by human activ-
                     ​change                                 think it is…?                                                       ities/caused mostly by natural
                                                                                                                                 changes in the environment
                                                                                                                                 (also ‘none of the above’ and
                                                                                                                                 ‘other’)
                     4. perceived threats from         •     Please tell me how serious a problem you perso-             •       Very serious/somewhat serious/
                     climate change                          nally believe global warming to be in the world?                    not very serious/not serious at
                                                                                                                                 all/DK
                     5. seriousness of climate •             Which of the following do you consider to be the            •       Eight possible ‘problems’
                     change compared to other                single most serious problem facing the world as                     presented, including climate
                     issues                                  a whole?                                                            change, ‘the economic situa-
                                                                                                                                 tion’, and ‘armed conflicts’
                     6. certainty of climate           •     Most scientists agree that humans are causing               •       5-point scale from ‘strongly
                     science                                 climate change                                                      agree’ to ‘strongly disagree’
                     7. personal concern or            •     [Do] you personally worry about global warming              •       A great deal/a fair amount/only
                     worry about climate ch-                 a great deal, a fair amount, only a little, or not at               a little/not at all
                     ange                                    all?                                                        •       Very worried/somewhat wor-
                                                       •     Are you very worried, somewhat worried, not                         ried/not very worried/not at all
                                                             very worried or not at all worried about global                     worried
                                                             warming?                                                    •       Very concerned/fairly con-
                                                       •     How concerned, if at all, are you about climate                     cerned/not very concerned/not
                                                             change, sometimes referred to as global war-                        at all concerned/DK
                                                             ming?
                     8. requirements for action •            Do you think the United States should – or                  •       USA should abide/USA should
                     on climate change (at nati-             should not – agree to abide by the provisions of                    not abide
                     onal and personal level)                the Kyoto agreement on global warming?                      •       5-point scale from ‘strongly
                                                 •           I am prepared to greatly reduce my energy use                       agree’ to ‘strongly disagree’
                                                             to help tackle climate change
                     9. open-ended/sponta-             •     When you think of ‘global warming,’ what is the             •       Open-ended response
                     neous response permitted                first word or phrase that comes to your mind?

              Tabelle 1: Auswahl an Survey-Items für die öffentliche Meinung in Klimafragen nach Capstick et al. (2015: 41 f.)

              Die Entwicklung der Klimabesorgnis in Europa,                                     9 f.) kamen in ihrer Untersuchung zum Klimabe-
              den USA und der Welt                                                              wusstsein in Deutschland zu dem Ergebnis, dass
                                                                                                39 Prozent der Befragten der Aussage, dass sie
              Wenngleich Meinungsumfragen ergeben, dass
                                                                                                sich über den Klimawandel Sorgen machen, voll
              in Deutschland etwa 71 Prozent der Befragten
                                                                                                und ganz zustimmen, 20 Prozent eher zustimmen,
              angeben, „die Veränderung des Weltklimas
                                                                                                26 Prozent die mittlere Kategorie wählen, und
              mache ihnen persönlich besonders große Sorgen“
                                                                                                10 Prozent eher nicht und 5 Prozent überhaupt
              (Der Westen 2017), stellen umfassendere Studien
                                                                                                nicht zustimmen.12 Der Klimawandel hatte dabei
              zu klimabedingten Sorgen im deutschsprachigen
              Raum eine Seltenheit dar.11 Hüther et al. (2012:
                                                                                                      dels. Ein Anteil von 38 Prozent gab den mittleren Ska-
                                                                                                      lenwert an, während 8 Prozent sich eher keine Sorgen
                                                                                                      und 3 Prozent sich überhaupt keine Sorgen machten
              11 Den Daten des SOEP zufolge schwankt der Anteil der                                   (Statista 2020). In der jährlich in Deutschland durch-
                 Deutschen, der sich große Sorgen über die Klimafolgen                                geführten „Angst-Studie“ der R+V bekundeten im Jahr
                 macht, in den Jahren 2009-2016 stets zwischen etwa                                   2019 hingegen 41 Prozent der Befragten Angst vor den
                 25 und 30 Prozent (Lübke 2019: 58). Einer Umfrage                                    Folgen des Klimawandels (R+V 2019, ähnlich auch
                 der Marktforschungsinstituts Marketagent zufolge                                     Centrum für Strategische und Höhere Führung 2020).
                 machten sich 19 Prozent der in Deutschland lebenden
                 Menschen 2012 sehr große Sorgen und 34 Prozent eher                            12 Eine Studie in Großbritannien kam zu dem Ergebnis,
                 große Sorgen über die Auswirkungen des Klimawan-                                  dass die Sorgen bezüglich der globalen Erwärmung

              11
Soziologie und Nachhaltigkeit – Beiträge zur sozial-ökologischen Transformationsforschung

mit Blick auf das Verhältnis zu anderen Sorgen              sehr/überhaupt nicht besorgt) in den beobach-
zusammen mit Terrorismus und Kriminalität die               teten 12 EU-Ländern etwas zugenommen (1995:
höchste Priorität bei den Befragten, während sich           14 Prozent, 2002: 17 Prozent). Bemerkenswerter-
die Befragten über Ausländerfeindlichkeit, die              weise ging der Anteil der Unentschlossenen im

                                                                                                                      SuN 01/2021
wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands, die               Zeitverlauf immer weiter zurück von 5 Prozent
eigene Gesundheit, Zuwanderung und die eigene               Ende der 1980er Jahre auf schließlich 1 Prozent
wirtschaftliche Situation deutlich weniger Sorgen           im Jahr 2002. Seit 2002 wurde die Besorgnis
machten.                                                    über den Klimawandel in den Berichten an die
                                                            EU-Kommission nicht mehr auf die herkömm-
In Europa wurde zu Beginn der 1980er im Auftrag
                                                            liche Art und Weise abgefragt, sodass sich dieser
der Europäischen Kommission damit begonnen,
                                                            Trend nicht auf Basis der gleichen Messmethode
im Rahmen des Eurobarometers zu erheben,
                                                            bis in die Gegenwart verfolgen lässt.
wie besorgt die europäischen Bürger*innen über
umweltbezogene Probleme sowie explizit auch                 Während die Datenlage in der EU in Bezug auf
die Erderwärmung sind (siehe Abbildung 1).                  die Analyse längerer Zeitreihen somit äußerst
Nachdem Anfang der 1980er Jahre bereits etwa                problematisch ist, existieren für die USA etab-
60 Prozent der Befragten angaben sehr oder                  lierte Erhebungsinstrumente, die seit Ende der
ziemlich besorgt zu sein, wuchs dieser Anteil               1980er Jahre abgefragt werden und die über etwa
1988 auf 70 Prozent und im Jahr 1992 auf sogar              drei Jahrzehnte eine Polarisierung der Besorgnis
89 Prozent an (62 Prozent gaben sogar an sehr               in der amerikanischen Bevölkerung aufzeigen
besorgt zu sein) (siehe hierzu z. B. Commission of          (Abbildung 1). Wie auch in Europa bekundeten
the European Communities 1982). Entsprechend                Ende der 1980er Jahre mehr als 60 Prozent der
ging der Anteil derjenigen, die nicht sehr oder             Befragten über den Klimawandel besorgt zu
überhaupt nicht besorgt waren von etwa einem                sein und auch der Anteil der Unentschlossenen
Viertel der Befragten (25 Prozent) im Jahr 1988             schrumpfte im Zeitverlauf stetig bis auf unter
bis 1992 auf etwa 9 Prozent zurück. Im Jahre 1995           ein Prozent. Insgesamt zeigen sich jedoch zwei
sank der Anteil der Besorgten allerdings erstmals           markante Unterschiede. Erstens lag der Anteil
wieder und ging um etwa 5 Prozentpunkte zurück.             derjenigen, die sehr oder ziemlich besorgt waren
Gleichzeitig schrumpfte in diesem Zeitraum der              in den USA grundsätzlich stets unter dem jewei-
Anteil von Befragten, die sich ziemlich über den            ligen europäischen Wert. Im Zeitverlauf hat dieser
Klimawandel besorgt zeigten auf 54 Prozent                  Abstand stetig zugenommen. Betrug der Abstand
(1995) und dann 39 Prozent (2002). Auch 2002                Ende der 1980er Jahre noch 7 Prozentpunkte,
lag der Anteil der Besorgten (sehr oder ziemlich            so erhöhte er sich Anfang der 1990er auf 27 Pro-
besorgt) mit 83 Prozent etwas unter dem gemes-              zentpunkte und Mitte der 1990er Jahre auf 34
senen Spitzenwert von 1992. Gleichzeitig hat seit           Prozentpunkte. Auch im Jahre 2002 betrug der
1992 die Minderheit der Nicht-Besorgten (nicht              Unterschied trotz Rückgangs immerhin noch 25
                                                            Prozentpunkte. Zweitens lag damit einhergehend
   zwischen 2005 und 2019 durch starke Varianzen ge-        der Anteil derjenigen, die sich nur wenig oder
   kennzeichnet waren. Während zwischenzeitlich eine        gar keine Sorgen machen in den USA seit Beginn
   Annährung in Großbritannien zu beobachten war
   (2011: 63 Prozent besorgt, 35 Prozent nicht besorgt)     der 1990er Jahre deutlich höher als in Europa.
   ist inzwischen eine ähnlich ausgeprägte Polarisierung    Der Anteil derjenigen, der angab sich überhaupt
   zwischen Besorgten (85 Prozent) und nicht Besorgten
   (14 Prozent) zu beobachten, wie zu Beginn der Erhe-      keine oder nur wenig Sorgen zu machen, wuchs
   bungswelle (Dickmann/Skinner 2019). Angehörige der       in den USA bis Mitte der 1990er Jahre stetig, bis
   Mittelklasse äußerten dabei tendenziell eine größere
   Besorgnis als die der Arbeiterklasse.                    auf nahezu 46 Prozent der Befragten an und ging

                                                                                                                12
Luigi Droste / Björn Wendt – Who Cares

              2002 jedoch auf 40 Prozent zurück. Insgesamt ist                          betrachtet wird. Vor allem die Bevölkerungen der
              vor diesem Hintergrund anders als in Europa, wo                           südeuropäischen Staaten (mit Ausnahme von
              Klimabesorgnis eine weit verbreitete Gefühlslage                          Spanien) wiesen tendenziell die höchsten Be-
              darstellt, für die USA eine Polarisierung in den                          sorgniswerte auf (z. B. Griechenland: 63 Prozent,
SuN 01/2021

              Einstellungshorizonten der Befragten über die                             Italien: 49 Prozent und Portugal: 47 Prozent),
              Zeit aus den Daten abzulesen.                                             während die skandinavischen Länder (Schweden:
                                                                                        29 Prozent, Dänemark: 28 Prozent, Finnland:
              Kommen wir noch einmal zurück zum europä-
                                                                                        26 Prozent), Großbritanniens (26 Prozent) und
              ischen Kontext. Mit Blick auf die Verteilung der
                                                                                        Irland (25 Prozent) sowie Belgien (29 Prozent)
              Sorgen auf unterschiedliche Länder waren bis
                                                                                        und die Niederlande (21 Prozent) niedrigere
              Mitte der 1990er Jahre kaum Ausreißer festzu-
                                                                                        Werte aufwiesen (European Commission 2002:
              stellen.13 In der Erhebung aus dem Jahre 2002
                                                                                        10). Obwohl demnach ein beachtlicher Teil der
              werden hingegen ausgeprägter Unterschiede
                                                                                        Befragten (sehr) besorgt über den Klimawandel
              sichtbar, wenn nur der Anteil der sehr Besorgten

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              ϲϬй

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                           ϭϵϴϵ             ϭϵϵϭ            ϭϵϵϳ             ϮϬϬϮ            ϭϵϴϴ             ϭϵϵϮ             ϭϵϵϱ            ϮϬϬϮ
                                                     h^                                                             ƵƌŽƉĂ

                           ƐĞŚƌďĞƐŽƌŐƚ
              Abbildung 1: Trend                njŝĞŵůŝĐŚďĞƐŽƌŐƚ
                                 der Klimabesorgnis in den USA und EuropaŶŝĐŚƚƐĞŚƌďĞƐŽƌŐƚ         ƺďĞƌŚĂƵƉƚŶŝĐŚƚďĞƐŽƌŐƚ            ǁĞŝƘŶŝĐŚƚ

              Datenquellen: Eurobarometer Surveys (gewichtet) (Commission of the European Communities 1988, 1992, European Commission 1995, 2002) für
              Europa und Gallup Polls (gewichtet) 1989, 1991, 1997, 2002 für die USA. Die Daten für Europa beziehen sich für alle Erhebungszeitpunkte auf 12
              EU-Länder, die 1988 am Eurobarometer teilgenommen haben, um das Sample über den Zeitverlauf konstant zu halten (Belgien, Dänemark, Deutsch-
              land, Frankreich, Großbritannien, Griechenland, Irland, Italien, Luxemburg, Niederlande, Portugal und Spanien).

              13 Die Mittelwerte liegen bei fast allen Ländern im Spek-
                 trum von 3,3–3,6. Lediglich die griechische Bevölke-
                 rung (3,9) erreichte einen höheren Wert, während er in                     und Belgien (3,2) etwas niedriger ausfiel (European
                 Finnland (3,1), den Niederlanden (3,1) Frankreich (3,2)                    Commission 1995: 58).

              13
Soziologie und Nachhaltigkeit – Beiträge zur sozial-ökologischen Transformationsforschung

war, wurde in den neueren Untersuchungen                                                                                                                        Industrieunfällen (47 bzw. 46 Prozent). In der
deutlich, dass der Klimawandel auch unter den                                                                                                                   nächsten Erhebungswelle 2008 hingegen war der
Umweltthemen lange Zeit nicht an vorderster                                                                                                                     Klimawandel mit 57 Prozent die größte umweltbe-
Stelle rangierte, sondern die Zerstörung der                                                                                                                    zogene Sorge in Europa (European Commission

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                SuN 01/2021
Ozonschicht oder der Verlust der Regenwälder                                                                                                                    2005: 8, European Commission 2008: 8). Im
stärkeres Gewicht bekam. Die Erhebungen zeigen                                                                                                                  Ländervergleich lassen sich hierbei erneut aus-
ferner, dass Sorgen über die Zerstörung der                                                                                                                     geprägte Unterschiede zwischen den Ländern
Umwelt im Vergleich zu anderen Sorgen, wie vor                                                                                                                  erkennen. Deutlich wird hierbei, dass Sorgen
Gewalt, Krankheiten, Arbeitslosigkeit, Armut und                                                                                                                über den Klimawandel – abgesehen von Italien
sozialer Ausgrenzung, eine eher nachgeordnete                                                                                                                   – in „neuen“ EU-Mitgliedstaaten (Baltikum und
Rolle zukam (European Commission 1999: 15).                                                                                                                     andere osteuropäische Länder) eine vergleichs-
                                                                                                                                                                weise untergeordnete Rolle spielen. Wenngleich
Wie weiter oben bereits angesprochen lässt sich
                                                                                                                                                                zu bemerken ist, dass auch hier zwischen 38 und
die Zeitreihe der Klimasorgen nach 2002 auf Basis
                                                                                                                                                                51 Prozent der Befragten angaben, besorgt zu
der Eurobarometer-Daten nicht mehr weiterver-
                                                                                                                                                                sein. Interessanterweise fiel das Besorgnisniveau
folgen, da das Erhebungsinstrument ausgetauscht
                                                                                                                                                                der Befragten auch in den Niederlanden und
wurde. Seitdem wird erhoben, über welche fünf
                                                                                                                                                                Großbritannien weiterhin vergleichsweise gering
Umweltprobleme sich die Befragten am meisten
                                                                                                                                                                aus, wobei die Sorgen über die Klimafolgen in den
Sorgen machen. So rangierte der Klimawandel
                                                                                                                                                                skandinavischen Ländern nun im Vergleich zu
im Jahre 2005 im umweltbezogenen Sorgenpool
                                                                                                                                                                vorher relativ stark ausgeprägt waren.
mit 45 Prozent der Nennungen an dritter Stelle
hinter der Verschmutzung von Gewässern und
 80 %

 70 %

 60 %

 50 %

 40 %

 30 %

 20 %

 10 %

   0%
                                                                                                                                                                                    Portugal
                                                           Dänemark
                   Schweden

                                                                                                                      Belgien
                                                                                                                                Irland

                                                                                                                                                   Ungarn

                                                                                                                                                                                                                                      Slowakei
                                                                                                                                                                                                                                                 Tschechien
                                                                                                                                         Spanien

                                                                                                                                                            Österreich

                                                                                                                                                                                                                                                                                    Polen
                              Deutschland
                                            Griechenland

                                                                                                                                                                                               Niederlande

                                                                                                                                                                                                                                                              Bulgarien
                                                                                                                                                                                                                                                                          Italien

                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Lettland
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 Litauen
                                                                                  Finnland
                                                                      Luxemburg

                                                                                                                                                                                                                              Malta
          Zypern

                                                                                                         Frankreich

                                                                                                                                                                         Rumänien
                                                                                             Slowenien

                                                                                                                                                                                                                                                                                            Estland
                                                                                                                                                                                                             Großbritannien

Abbildung 2: Der Klimawandel als eine der fünf größten Umweltsorgen in Europa im Jahre 2008

Daten: European Commission 2008, gewichtet.

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           14
Luigi Droste / Björn Wendt – Who Cares

              Obwohl der Klimawandel im Jahre 2009 hinter            den Klimawandel ist, wenngleich mitunter deut-
              Armut und Wirtschaftsabschwung, aber noch              liche Unterschiede zwischen einzelnen Regionen
              vor Terrorismus und bewaffneten Konflikten, im         und Ländern bestehen, die es durch soziologische
              Sorgenpool der Befragten an dritter Stelle stand       Analysen aufzuklären gilt.
SuN 01/2021

              (European Commission 2009: 7), wurde er in fol-
                                                                     Die sozial-temporale Basis der Klimabesorgnis:
              genden Erhebungen des Eurobarometers 2009,
                                                                     Individuelle und strukturelle Faktoren
              2014 und auch 2017 bei den größten umweltbezo-
              genen Sorgen überraschend nicht mehr abgefragt         Untersuchungen, die danach fragen, wie Varianz
              (European Commission 2014: 12, European Com-           und Struktur der Besorgnis über den Klimawandel
              mission 2017: 12).                                     in der Bevölkerung und in ihrem Zeitverlauf
                                                                     erklärt werden können, wurden erst ab der Mitte
              Global betrachtet zeigt sich, dass vor allem in
                                                                     der 2000er Jahre auf der Ebene einzelner Länder
              Lateinamerika, Afrika und Teilen Asiens Sorgen
                                                                     durchgeführt. Für Deutschland ist hierfür bisher
              über den Klimawandel verbreitet sind, während
                                                                     lediglich bekannt, dass Frauen, Menschen mitt-
              in Europa und anderen Wohlstandsgesellschaften
                                                                     leren und hohen Alters und Befragte mit einem
              vor allem der IS Sorgen bereitete (Carle 2015,
                                                                     niedrigen Schulabschluss (Hauptschule und
              Poushter/Manevich 2017). Im Jahr 2019 ist
                                                                     weniger) etwas häufiger Sorgen bekunden, als
              der Klimawandel gleichwohl auch in westlichen
                                                                     Männer, die jüngste Alterskohorte (18–29 Jahre)
              Wohlstandsgesellschaften zunehmend als be-
                                                                     und Befragte mit mittleren und hohen Schul-
              sonders besorgniserregende und größte globale
                                                                     abschlüssen (Hüther et al. 2012). Vorliegende
              Gefahr wahrgenommen worden (Poushter &
                                                                     Ergebnisse bewegen sich jedoch größtenteils auf
              Huang 2019). Aktuell rangiert der Klimawandel
                                                                     einer deskriptiven Ebene. Dies gilt auch für die
              jedoch, wenn er im Vergleich zu anderen Sorgen
                                                                     meisten weltweiten und ländervergleichenden
              abgefragt wird, nicht an vorderste Stelle im Sor-
                                                                     Erhebungen zur Besorgnis über den Klimawandel
              genpool der Weltbevölkerung. Im Rahmen der
                                                                     sei es im Querschnitt, im Trend oder auch mit
              Studie „What worries the world“ liegt er lediglich
                                                                     Bezug auf Zusammenhänge. Für die USA, Groß-
              im Mittelfeld der geäußerten Sorgen (Atkinson
                                                                     britannien, einige skandinavische Länder und
              et al. 2020: 5). Nach den drei größten Sorgen
                                                                     die Schweiz liegen hingegen länderspezifische
              gefragt, gaben nur 16 Prozent der Befragten hier
                                                                     Zusammenhangsanalysen vor.
              den Klimawandel an, während Armut und soziale
              Ungleichheit (34 Prozent), Arbeitslosigkeit (31        Sundblad et al. (2007) bestätigen für Schweden
              Prozent), Kriminalität und Gewalt (30 Prozent)         hierbei etwa, dass Frauen sich besorgter über
              als auch finanzielle und politische Korruption (30     den Klimawandel äußern als Männer, während
              Prozent) an der Spitze lagen.                          alle anderen sozio-demografischen Merkmale
                                                                     keinen signifikanten Einfluss haben. Auf der
              In der Zusammenschau wird somit deutlich, dass
                                                                     anderen Seite wurde am Beispiel Schweden her-
              Ausmaß und Reichweite der Klimabesorgnis stark
                                                                     ausgearbeitet und untersucht, dass Elternschaft
              von den Konjunkturen der gesellschaftlichen Ent-
                                                                     bei Männern mit einer erhöhten Besorgnis in
              wicklungen, bestimmten Ereignissen auf globaler
                                                                     Bezug auf den Klimawandel einhergeht (Ekholm/
              Ebene und der Virulenz öffentlicher Diskurse
                                                                     Olofsson 2017, Ekholm 2020). Für Großbritan-
              abhängen, jedoch auch auf Umfragemethodik
                                                                     nien lässt sich dahingegen kein Zusammenhang
              und Operationalisierung der Items zurückgehen.
                                                                     zwischen Elternschaft und erhöhtem klimawan-
              Gleichwohl lässt sich zweifelsfrei feststellen, dass
                                                                     delbezogenem Sorgenniveau feststellen (Thomas
              ein Großteil der Weltbevölkerung besorgt über
                                                                     et al. 2018).

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