SUN - UNIVERSITÄT MÜNSTER
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SuN Heft 01/2021 Soziologie und Nachhaltigkeit - Beiträge zur sozial-ökologischen Transformationsforschung Luigi Droste / Björn Wendt Who Cares? Eine ländervergleichende Analyse klimawandelbezogener Besorgnis in Europa Zusammenfassung: Dieser Beitrag untersucht Abstract: This article investigates a rarely studied ein bislang in der deutschsprachigen Klimaforschung issue in climate change research in Germany: the weithin vernachlässigtes Thema: Die Besorgnis worries about climate change among citizens. über den Klimawandel in der Bevölkerung. Auf Against the backdrop of current sociological der Grundlage eines zeitdiagnostischen Zugangs, diagnoses of the times which suggest worries as der von der zentralen Bedeutung von Sorgen in der of central importance in present society, we first Gegenwartsgesellschaft ausgeht, untersuchen wir in address previous research on worries about climate einem ersten Schritt mittels eines internationalen change by taking a look at international research Literaturüberblicks den Forschungsstand zur Wahr- on climate change perceptions. On this basis, we nehmung des Klimawandels in der Bevölkerung formulate a set of hypotheses for explaining worries mit Schwerpunkt auf der Dimension der Klimabe- about climate change. We examine these hypotheses sorgnis. Davon ausgehend leiten wir Hypothesen empirically by taking on a multi-level approach and zur Erklärung der klimabedingten Besorgnis ab, die utilizing data from the European Social Survey. wir mittels einer Mehrebenenanalyse und auf Basis The analyses show that worry about climate change von Daten des European Social Survey empirisch depends strongly on individual attributes, rather überprüfen. Die Analysen zeigen, dass Klimasorgen than the country people live in. In particular, indi- relativ weit verbreitet sind, sich jedoch nur in sehr vidual value orientations, climate change awareness geringem Maß über die Varianz zwischen Ländern and political attitudes prove to be consistent and erklären lassen. Vielmehr sind verschiedene soziale important correlates of climate worries. Prädikatoren auf Individualebene von zentraler Bedeutung. Insbesondere Variablen wie die indivi- duelle Wertorientierung, die Gewissheit über den Klimawandel und die politische Orientierung der Befragten erweisen sich als konsistente und wirk- mächtige Korrelate klimawandelbezogener Sorgen.
Autoren: Dr. Luigi Droste ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie der Universität Münster. Arbeitsschwerpunkte: Wirtschaftssoziologie, Politische Soziologie, Methoden der empiri- schen Sozialforschung. Dr. Björn Wendt ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie der Universität Münster. Arbeitsschwerpunkte: Soziologie der Nachhaltigkeit und Umweltsoziologie, Wissenssozio- logie und Utopieforschung, Politische Soziologie, Elitensoziologie und Bewegungsforschung. Soziologie und Nachhaltigkeit Beiträge zur sozial-ökologischen Transformationsforschung ISSN 2364-1282 Heft 1/2021, 7. Jahrgang Eingereicht 28.08.2020 – Peer-Review 28.10.2020 – Überarbeitet 01.12.2020 – Akzeptiert 21.12.2021 Lizenz CC-BY 4.0 (www.creativecommons.org/licenses/by/4.0) Herausgeber*innen: Benjamin Görgen, Matthias Grundmann, Anna Henkel, Melanie Jaeger-Erben, Björn Wendt Redaktion: Niklas Haarbusch, Jessica Hoffmann Layout/Satz: Frank Osterloh/Niklas Haarbusch Anschrift: WWU Münster, Institut für Soziologie Scharnhorststraße 121, 48151 Münster Telefon: (0251) 83-25303 E-Mail: sun.redaktion@wwu.de Website: www.ejournals.wwu.de/index.php/sun
Luigi Droste / Björn Wendt – Who Cares Einleitung wandel ein eklatanter Mangel an empirischer Forschung im deutschsprachigen Raum attes- Der Klimawandel wird in vielen Ländern der tiert werden. Überraschend ist dieses Desiderat Welt als eine der größten globalen Bedrohungen insofern, als dass die Umweltsoziologie seit wahrgenommen (Poushter/Huang 2019, Fagan/ SuN 01/2021 ihrer Entstehung breit in die Untersuchung des Huang 2019) und ist in den letzten Jahren zu „Umwelt- und Naturbewusstseins“ bzw. umwelt- einem kontrovers diskutierten politischen Thema bezogener Einstellungsmuster der Bevölkerung avanciert. Auf der einen Seite artikulieren Pro- involviert war (prägend u. a. Van Liere/Dunlap testbewegungen wie Fridays for Future oder 1980, 1981 sowie für Deutschland: Dierkes/ Extinction Rebellion sowie eine Reihe von Vertre- Fietkau 1988, Poferl et al. 1997, Diekmann/ ter*innen der Wissenschaft öffentlich ausgeprägte Preisendörfer 1998, überblickend siehe auch Zukunftsängste und plädieren in der Folge für ein Neugebauer 2004, Wendt/Görgen 2017). Die em- vor-sorgend antizipierendes Handeln gegenüber pirische Umweltbewusstseinsforschung hat sich den mithin als apokalyptisch inszenierten Risiken in diesem Rahmen zwar relativ früh mit der Ver- des Klimawandels (Schellnhuber 2015, extinction teilung und sozialen Basis von umweltbezogenen rebellion 2019, Neubauer/Reppening 2019, Thun- Sorgen und Ängsten beschäftigt. Allerdings ist berg 2019, Wallace-Wells 2019). Auf der anderen dies zum einen vor allem mit Blick auf allgemeine Seite hat sich – sei es innerhalb von Initiativen wie Umweltprobleme geschehen, während das Klima- Fridays for Hubraum, in liberalen, neokonserva- bewusstsein im Speziellen lange Zeit relativ wenig tiven und rechtspopulistischen Milieus oder der Beachtung gefunden hat.1 Zum anderen wurden Klimawandelleugnungsszene – eine Gegenbewe- Sorgen und Ängste stets als (affektive) Elemente gung formiert, die sich über die „Klimahysterie“ des Umweltbewusstseinskonstrukts konzipiert, der Klimaaktivist*innen und Klimawissenschaft- sodass diese lediglich als Bestandteil in entspre- ler*innen empört und diesen vorwirft, den Weg chende Indizes integriert und damit im Detail nur in einen neuen „Totalitarismus der Besorgten“ ansatzweise adressiert wurden. (Broder 2019: 59, Hervorhebung L.D/B.W.) zu bahnen. Diese Polarisierung der Debatte macht Obgleich klimawandelbezogene Sorgen aktuell nicht nur deutlich, wie unterschiedlich der Kli- eine zentrale Rolle im gesellschaftspolitischen mawandel in der Gesellschaft wahrgenommen und bewertet wird, sondern verweist auch darauf, dass Ängsten und Sorgen sowie Gefühlslagen per 1 Dieses Desiderat drückt sich im deutschsprachigen Raum z. B. auch darin aus, dass die Thematik selbst in se eine zentrale Rolle im Klimadiskurs zukommt. klimawandel- und umweltbewusstseinsbezogenen Auf- sätzen des Handbuchs Umweltsoziologie (Viehhöver Nachdem Constanze Lever-Tracy noch im Jahr 2011, Reusswig 2011, Lange 2011) sowie in Sammel- 2008 prominent kritisieren konnte, dass der bänden zur sozialwissenschaftlichen Klimaforschung (z. B. Voss 2010, Besio/Romano 2016) bisher kaum Klimawandel in der Soziologie kaum zum For- diskutiert wurde. Wenngleich klimarelevante Einstel- schungsgegenstand gemacht würde (Lever-Tracy lungen in den zyklischen Erhebungen des Umwelt- bundesamtes in neueren Untersuchungen als weit 2008), hat sich inzwischen ein äußerst dynami- verbreitet, allerdings auch milieugebunden, ausge- scher soziologischer Diskurs zu klimabezogenen wiesen werden (Rubik et. al 2019: 16 ff.), so wurden verschiedene Aspekte des Klimabewusstseins lange Fragestellungen entwickelt (überblickend u. a. Zeit nicht abgefragt und erst ab dem 21. Jahrhundert Lorenz 2013, Dunlap/Brulle 2015, Sommer 2016, verstärkt aufgenommen (Kuckartz 2000; Kuckartz/ Grunenberg 2002: 47 f.; für eine Übersicht: Bauske/ Reusswig/Engels 2018, Koehrsen et al. 2020). Kaiser 2019: 58 ff.). Auch der Begriff des Klimabe- Überraschenderweise kann jedoch mit Blick auf wusstseins selbst wird erst etwa Mitte der 2000er Jahre in einschlägigen Publikationen verwendet (Kuckartz et die Sorgen in der Bevölkerung über den Klima- al. 2007, Weber 2008, Kuckartz 2010). 3
Soziologie und Nachhaltigkeit – Beiträge zur sozial-ökologischen Transformationsforschung Diskurs spielen, und Untersuchungen zudem schiede in den klimawandelbezogenen Sorgen der gezeigt haben, dass diesen eine Bedeutung für Bürger*innen erklären? klimabewusste Handlungsbereitschaft zukommt In einem ersten Schritt werden wir im Folgenden (Dietz et al. 2007, Smith/Leiserowitz 2014), liegen SuN 01/2021 kurz einige Überlegungen zum Begriff der hierzu bislang lediglich vereinzelte und in der Sorge und ihrer soziologischen Thematisierung Regel beschreibende Befunde für einzelne Länder skizzieren und in den Forschungsstand zum vor (für Deutschland etwa Hüther et al. 2012). Dies Klimabewusstsein und klimabezogenen Sorgen gilt auch für die meisten ländervergleichenden in der Bevölkerung einführen (Abschnitt 1). Aus Analysen zur Wahrnehmung und Bewertung des diesem Literaturüberblick werden wir in einem Klimawandels (siehe etwa Fagan/Huan 2019). nächsten Schritt untersuchungsleitende Hypo- Ländervergleichende Untersuchungen, die kli- thesen ableiten und die Datengrundlage sowie mabedingte Besorgnis entlang verschiedener Methode der Untersuchung vorstellen (Abschnitt sozialer Dimensionen mit statistischen Verfahren 2). Auf Basis von Umfragedaten der achten untersuchen, sind bis heute eine Seltenheit in der Welle des European Social Survey (ESS) für 23 soziologischen Klimaforschung (für eine Aus- europäische Länder aus den Jahren 2016/2017 nahme siehe aber Poortinga et al. 2019). Damit präsentieren wir anschließend die zentralen Er- fehlt es bislang an wichtigem Grundlagenwissen, gebnisse eines Mehrebenenmodells, das sowohl inwiefern die Befunde der Umweltbewusstseins- individuelle als auch strukturelle Faktoren zur forschung auch auf die klimabedingten Sorgen Erklärung der Varianz der Klimasorgen berück- der Bevölkerung bezogen werden können und sichtigt (Abschnitt 3). Abschließend diskutieren inwiefern sich diese Befunde seit den 1990er wir die Befunde vor dem Hintergrund der Leit- Jahren, in denen sich die Forschungsdisziplin vor fragen unserer Untersuchung (Abschnitt 4). allem mit diesen Fragen beschäftigt hat, in der jüngeren Vergangenheit verschoben haben.2 Vor diesem Hintergrund nehmen wir in unserem 1. Klimasorgen: Zeitdiagnostische Beitrag eine vergleichende Untersuchung der Annäherungen und der Besorgnis über den Klimawandel in Europa vor: Forschungsstand der Klima- Welches Ausmaß hat die Besorgnis über die bewusstseinsforschung Folgen des Klimawandels bei den Bürger*innen in Europa und inwiefern lassen sich hierbei Unter- Zeitdiagnose: Die besorgte Gesellschaft schiede zwischen bestimmten sozialen Gruppen sowie Ländern feststellen? Wie lassen sich Unter- Menschen machen sich über vieles Sorgen. Glaubt man soziologischen Zeitdiagnosen, so sind Sorgen und Ängste gar zum bestimmenden 2 Eine Erklärung für den Rückgang an der diesbezügli- Gefühl unserer Zeit geworden (Beck 2008a, Bude chen Forschung kann vor allem darin gesehen werden, 2014, Baumann 2016). Vor dem Hintergrund dass der erwünschte und in den Ausgangsmodellen postulierte Übersetzungsprozess eines zunehmenden einer „gesellschaftlichen Gesamtsituation, die von Umweltbewusstseins in umweltverträgliches Ver- Krisen, Populismus, Unsicherheit und Radikali- halten nur sehr begrenzt stattgefunden hat. Insbeson- dere mittels praxistheoretischer Annahmen wurden sierung geprägt zu sein scheint“ wird inzwischen der methodologische Individualismus und der ratio- sogar vorgeschlagen „Sorge als Schlüsselbegriff nal-choice-basierte Ansatz der Umweltbewusstseins- und Verhaltensforschung sowie anderer klima- und der modernen Gesellschaft“ (Henkel et al. 2019: nachhaltigkeitsbezogener Transformationszugänge seither wiederholt kritisiert (z. B. Shove 2010, Görgen 2020). 4
Luigi Droste / Björn Wendt – Who Cares 7) zu betrachten.3 Besonders prominent diagnos- Zukunft, mit allen Vorzeichen der Unsicherheit tizierte Ulrich Beck bereits in den 1980er Jahren versehene Antizipation, die auf eine Änderung des den Wandel der Ersten Moderne hin zur Zweiten gegenwärtigen Handelns zielt“ (Beck 2017: 160). Moderne und beschrieb diese als eine globale Wenn in der „Weltrisikogesellschaft“ der „Rest SuN 01/2021 „Risikogesellschaft“ (Beck 1986), in der vor allem risikoempfänger“ letztlich das Individuum ist, technische und ökonomische Nebenfolgen des auf das von Märkten und Politik die „ultimative Modernisierungsprozesses neue ökologische und Verantwortung des Entscheidens“ übertragen soziale Risikolagen, Selbstgefährdungen, Unsi- wird (Beck 2008a: 347), so geht mit einer solchen cherheiten, Ungleichheiten, Machtverhältnisse Vergesellschaftungsform auch ein subjektives und Nebenfolgen-Katastrophen produzieren. Erleben einher, bei dem Sorge und Angst vor sich Neben Reaktorkatastrophen und Finanzkrisen, realisierenden Risiken zu einem bestimmenden zählt zu letzteren auch der durch menschliches Lebensgefühl und handlungsleitenden Moment Verhalten ausgelöste Klimawandel, der sogar als werden. Auch die Sorge ist demnach „gegen- „womöglich ‚das‘ Weltrisiko der Epoche“ (Beck wärtig als eine mögliche Zukunft. Sorge wirkt 2010: 43, siehe auch Beck 2008a: 153 ff., Beck also gegenwärtig durch die Voraussicht, durch 2008b, Beck 2017) betitelt wird. Der Klima- die Vergegenwärtigung dessen, was nicht ist, wandel, so könnte man mit Beck argumentieren, aber doch werden könnte“ (Henkel et al. 2016: zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass er in eine 21). In diesem schwerpunktmäßig problem-kon- „Zukunftskrise“ eingebettet ist, „deren Schau- notierten Sinne wollen wir Sorge bzw. Besorgnis platz und politischer Auseinandersetzungsort als eine vorausschauend-emotionalisierte Bewer- die Gegenwart ist“ (Beck 1995: 94). Wie andere tungspraxis verstehen, die antizipiert, was sich Risiken der Zweiten Moderne, die die Zukunft in negativer Weise zukünftig ereignen könnte.4 in der Gegenwart wissens-, d.h. erfahrungs- und Kennzeichnend für das in vielen Zeitdiagnosen erwartungsbezogen, politisieren, so kann auch be- attestierte Lebensgefühl der Angst und Besorgnis züglich des Klimawandels diagnostiziert werden, sind dabei nicht allein selbst-bezogene Sorgen, dass dieser zugleich „wirklich und unwirklich sondern gerade auch die Sorge „um den Anderen ist. Einerseits sind viele Gefährdungen und Zer- und die Sorge um die Umwelt“ (Henkel et al. störungen bereits real [...]. Auf der anderen Seite 2016: 21). Die Sorgen der Weltrisikogesellschaft liegt die eigentlich soziale Wucht des Verelen- reichen demnach weit über das Individuum dungsargumentes in projizierten Gefährdungen und seine potenzielle individuelle Betroffenheit der Zukunft“ (Beck 1995: 94). Gerade in der hinaus. Ihnen wohnt in der Regel eine soziale Antizipation dystopischer Zukunftsrisiken des Dimension inne, die besonders prominent etwa Klimawandels und seiner Risikowahrnehmung in der vielfach im Nachhaltigkeitsdiskurs zitierte liegt demnach das eigentliche Mobilisierungsmo- Besorgnis zum Ausdruck kommt, dass „künftige ment der Weltrisikogesellschaft (Wendt 2020, Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht be- 2021). Da der „Risikobegriff“ in erster Linie „ein friedigen können“ (Weltkommission für Umwelt Möglichkeitsbegriff“ (Beck 2000: 196) ist, so sind auch die Klimarisiken in erster Linie „eine 4 Das Bedeutungsspektrum des Sorgebegriffs ist unge- drohende Wirklichkeit, eine vergegenwärtigte mein groß. Im englischen Sprachraum drückt sich diese Varianz unter anderem in der Unterscheidung zwischen dem „Care“-Begriff, im Sinne des Sorgens für jemanden oder etwas, und „worries“ oder „concern“ aus, als sich 3 Für überblickende und kritische Diskussionen zu dieser um etwas oder jemanden Sorgen aus, wenngleich allen Zeitdiagnose siehe Lübke/Delhey (2019) sowie Eckert Begriffen diese vielschichtige normative Bestimmung (2019). innewohnt (Thelen 2014: 23). 5
Soziologie und Nachhaltigkeit – Beiträge zur sozial-ökologischen Transformationsforschung und Entwicklung 1987: 51), wenn weiterhin, so bezüglich der Einstellungen und allgemeinen gewirtschaftet, verteilt und gelebt wird, wie wir es Risikowahrnehmung zum Klimawandel und gewohnt waren und sind. zum Klimabewusstsein liegt mittlerweile eine große Anzahl von Studien vor (siehe für Deutsch- SuN 01/2021 In der Tat wird gesellschaftsbezogenen Sorgen auf land etwa: Engels et. al 2013, Andor et al. 2014, Basis von Bevölkerungsumfragen regelmäßig eine überblickend: Capstick et al. 2015, Hornsey et al. große Verbreitung attestiert. Dies gilt sowohl für 2016). Wie diese Untersuchungen zeigen, sind es weltweite Befragungen (Poushter/Huang 2019, gerade solche Risikowahrnehmungen und Ein- Atkinson et al. 2020) als auch für Befragungen stellungen zur Umwelt- und Klimakrise, die in der deutschen Bevölkerung (R+V 2019, Lübke hohem Maße politisches Engagement für den Kli- 2019). Obgleich zahlreiche Erscheinungen wie maschutz, Akzeptanz staatlicher Klimapolitiken etwa Armut und Ungleichheit, Arbeitslosigkeit, und persönliche Handlungsbereitschaft in Fragen Terrorismus, Gesundheitsfragen, Migration und des Klimawandels beeinflussen (etwa Bord et al. Friedenserhalt zu den größten Sorgen der Men- 2000, Engels et al. 2013). schen zählen, so nehmen auch die Sorgen über den Klimawandel einen zentralen Platz im Sorgenpool Bisher vorliegende Analysen von Einstellungen der Menschen ein (Poushter/Huang 2019, Pous- zum Klimawandel haben sich in erster Linie hter/Manevich 2019). Dass klimabedingte Sorgen auf der Individualebene damit befasst, wie der im 21. Jahrhundert bei Menschen auf der ganzen Klimawandel wahrgenommen und bewertet Welt weit verbreitet sind, ist weithin unumstrit- wird. Dabei scheint sich ein konsistentes Bild ten.5 Obgleich sich die empirische Forschung mit für die Einstellungen unterschiedlicher sozialer der Verbreitung und sozialen Strukturierung un- Gruppen zu ergeben. Generell zeigt sich, dass terschiedlicher Sorgen und Ängste beschäftigt hat Männer, ältere Geburtskohorten und Personen (Rackow et al. 2012, Dehne 2017, Lübke/Delhey mit niedrigem Bildungsgrad dem Klimawandel 2019), so sind die Sorgen über den Klimawandel eher skeptisch gegenüberstehen (Poortinga bislang empirisch nur unzureichend erforscht. et al. 2011, McCright et al. 2016, Milfont et al. 2015). Für die USA wurde dementsprechend ein Die sozial-temporale Strukturiertheit des white male effect bzw. ein conservative male Klimabewusstseins effect postuliert, wonach gerade weiße Männer mit konservativer politischer Orientierung im Vielfach erforscht sind hingegen die Einstel- Vergleich durch ein höheres Maß an Skepsis ge- lungen der Bevölkerung zu Umweltfragen genüber dem Klimawandel sowie einer weniger sowie der Zusammenhang zwischen Umwelt- ausgeprägten Sensibilität bezüglich ökologischer bewusstsein und Umweltverhalten (Van Liere/ Dunlap 1980, Franzen/Meyer 2010, Kollmuss/ Agyeman 2002, Franzen/Vogl 2013).6 Und auch delliert: (1) dem Wissen über Umweltprobleme und mögliche Umgänge mit ihnen (kognitive Dimension), (2) der emotionalen Affiziertheit (affektive Dimension) sowie (3) der Bereitschaft und dem Wille sein Handeln 5 Studien vom Pew Research Center kommen wiederholt in Anbetracht dieser Umweltprobleme zu verändern sogar zu dem Ergebnis, dass der Klimawandel global als (konative Dimension), wobei die Umwelteinstellung größte Bedrohung für das eigene Land wahrgenommen wiederum als Summe der zweiten und dritten Dimen- wird (Kohut et al. 2013, Poushter/Huang 2019) und sion (Huber 2011, S. 81) oder als Teil der affektiven weltweit von 67 Prozent der Befragten als große Bedro- Dimension des Umwelt- bzw. Klimabewusstseins kon- hung eingeschätzt wird (in Deutschland lag der Wert zipiert wird (Weber 2008, S. 115 ff.). In den gängigen bei 71 Prozent). Operationalisierungen wird die affektive Dimension in Deutschland häufig mittels durch Umweltprobleme 6 Das Umwelt- bzw. Klimabewusstsein wird dabei in ausgelöste Beunruhigung, Wut oder Empörung opera- der Regel als Konstrukt mit drei Komponenten mo- tionalisiert (Diekmann/Preisendörfer 2001: 104). 6
Luigi Droste / Björn Wendt – Who Cares und technologischer Risiken gekennzeichnet Eine ganze Reihe von Studien konnte auch zeigen, sind (McCright 2011, McCright/Dunlap 2011b). dass Einstellungen zum Klimawandel besonders Damit verbunden konnte zudem gezeigt werden, stark mit politischen und wertbezogenen Ori- dass auch der Wohnort einen Effekt auf skepti- entierungen zusammenhängen. Gerade in den SuN 01/2021 sche Haltungen zum Klimawandel hat. Während USA bilden sich Einstellungen zum Klimawandel diese im ländlichen Raum weiter verbreitet entlang parteipolitischer Grenzziehungen ab sind, ist Klimawandelskepsis in Städten seltener (McCright/Dunlap 2011a, Brulle et al. 2012, (Marquart-Pyatt 2008, Whitmarsh 2011). Zudem McCright et al. 2014): Während Konservative wurde teilweise auch deutlich, dass das Vertrauen (Republikaner) dem Klimawandel eher skeptisch in die Problemlösungskompetenz von politischen gegenüberstehen, erkennen Liberale (Demo- Institutionen mit positiven Haltungen zu Um- kraten) ihn in der Regel an und fordern teilweise weltpolitiken einhergeht (Lorenzoni/Pidgeon seine Bekämpfung ein. Auch für EU-Länder lässt 2006, Konisky et al. 2008). sich eine ähnliche ökologische Konfliktlinie in der Politik vermuten (Poortinga et al. 2011, Milfont Sowohl ländervergleichende Untersuchungen et al. 2015, McCright et al. 2016). Die Rolle be- zum Klimabewusstsein als auch Analysen für ein- stimmter Wertorientierungen für die Haltung zelne Länder haben regelmäßig auf Alterseffekte gegenüber sozialen Fragen bzw. politischen Sach- oder Kohorteneffekte verwiesen (McCright 2010, fragen ist empirisch gut belegt (Inglehart 1990). Milfont et al. 2015, Poortinga et al. 2011). Auch für Auch für Einstellungen zum Klimawandel scheint den Bildungsgrad ergeben sich in vorliegenden der Unterschied zwischen individualistischen und Untersuchungen einheitliche Befunde. Personen kollektivistischen sowie materialistischen und mit einem höheren formalen Bildungsgrad oder postmaterialistischen Wertorientierungen beson- einer größeren Anzahl an Bildungsjahren zeichnen ders bedeutsam (Dietz et al. 2007, Milfont et al. sich nicht allein durch ein ausgeprägteres Um- 2015, Shi et al. 2016, Poortinga et al. 2019). weltbewusstsein aus (z. B. Marquart-Pyatt 2008, Franzen/Vogl 2013, Lee et al. 2015), sondern Insbesondere in Folge eines sinkenden Klima-Pro- akzeptieren auch in höherem Maß den Klima- blembewusstseins seit Mitte der 2000er Jahre wandel als reale Tatsache und sind sich häufiger wurde ferner vor allem für die USA vermehrt der mit dem Klimawandel verbundenen Risiken nach strukturellen Erklärungen hierfür gesucht. bewusst. In diesem Zusammenhang wird oftmals Scruggs und Benegal (2012) thematisierten als angenommen, dass formale Bildung mit einem Erklärungsfaktoren die Medienberichterstattung, besseren Wissen und Verständnis in Bezug auf Temperaturanomalien und die wirtschlichen Klimaphänomene einhergeht. Wie gezeigt werden Entwicklungen in Folge der Finanz- und Wirt- konnte, stellt Bildung jedoch einen eigenständigen schaftskrise der Jahre 2007/2008. Sie kamen Faktor dar, der weitestgehend unabhängig von zu dem Ergebnis, dass eine schlechte Wirt- Klimawissen und -verständnis ist. Beim Wissen schaftslage und steigende Arbeitslosigkeit über den Klimawandel handelt es sich um einen einen negativen Einfluss auf die Akzeptanz des lediglich schwachen Prädiktor von Einstellungen Klimawandels haben, globale Temperaturano- zum Klimawandel (Whitmarsch 2011) und Klima- malien jedoch einen positiven Einfluss.7 Dies wandelskeptiker*innen verfügen mitunter sogar über besseres Wissen in Klimafragen als Befragte, die sich nicht skeptisch äußern (Hornsey et al. 7 Auch Kahn und Kotchen (2011) kommen in ihrer Ana- lyse von Suchanfragen bei Google in den USA zu dem 2016). Ergebnis, dass erhöhte Arbeitslosenraten die Sucher- gebnisse nach „global warming“ absenken. 7
Soziologie und Nachhaltigkeit – Beiträge zur sozial-ökologischen Transformationsforschung kann unter anderem damit erklärt werden, dass Basis von Daten des International Social Survey klimabezogene Risiken mit anderen Problemen Programme (ISSP), dass sich in Westeuropa eine konkurrieren und nur ein begrenzter „Pool“ an re- vergleichbare Spaltungslinie zwischen rechten levanten Gefahren von den Individuen verarbeitet und linken ideologischen Lagern in Bezug auf SuN 01/2021 werden kann (Whitmarsh 2011). die Meinung zu Klimafragen finden lässt, wie in den USA, wenngleich dieser nicht ganz so stark Brulle et al. (2012) unterscheiden in ihren Un- ausgeprägt ist und dieser Befund nicht für die tersuchungen ferner fünf Einflussfaktoren, die in postkommunistischen Staaten gilt. Auch Kvaløy der Literatur diskutiert werden: 1. Inwiefern der et al. (2012) bestätigen mit Daten des World Öffentlichkeit akkurate Informationen zugänglich Value Survey (WVS), dass die Wahrnehmung sind, 2. Extremwetterereignisse, 3. die Medienbe- des Klimawandels als ernsthaftes Problem auch richterstattung, 4. die Präsenz und Anwaltschaft ländervergleichend mit einem hohen Bildungsab- von Klima-Bewegungen und Gegenbewegungen schluss, postmaterialistischer Wertorientierung und 5. Hinweise auf den Klimawandel durch Eliten sowie einer linken politischen Selbstverortung (siehe auch: Carmichael/Brulle 2017, Carmichael korreliert und auch religiösen Orientierungen eine et al. 2017). Sie zeigen, dass Extremwetterereig- Bedeutung für diese Einschätzungen zukommt.9 nisse keinen Einfluss auf die Klimawahrnehmung in der Bevölkerung haben, sondern vor allem Auf struktureller Ebene sprechen bisherige Bewegungen und Eliten, die das Thema öffent- Befunde entgegen einer Wohlstandshypothese lich vertreten sowie die Medienberichterstattung bislang weder für signifikante Zusammenhänge und wirtschaftlichen Bedingungen. Bergquist mit dem BIP, noch für einen Zusammenhang und Warshaw (2019: 686) kommen auf der zwischen Klimawahrnehmung und CO2-Emis- Grundlage eines Indizes, der 170 Umfragen mit sionen (siehe Mostafa 2016). Klimabewusstsein über 400.000 Befragten umfasst, in Bezug auf ist demnach ein weltweites Phänomen, das nicht den Zusammenhang von Klimawahrnehmung auf wohlhabende Länder begrenzt ist. Sandvik und Temperaturentwicklung hingegen zu einem (2008) kommt mit Bezug auf die Analyse von gegensätzlichen Befund: Auf nationaler Ebene Daten aus 46 Ländern in seiner Analyse sogar zu spiegeln sich Temperaturentwicklungen in der dem entgegengesetzten Ergebnis. Sowohl das BIP öffentlichen Meinung. als auch die CO2-Emmionen eines Landes korre- lieren seinen Analysen zufolge sehr wohl mit dem Es liegen demnach einerseits mittelweile eine Anteil der Bevölkerung, der den Klimawandel als Vielzahl von Befunden für einzelne Länder ein ernsthaftes Problem bewertet, allerdings ist (v.a. für Großbritannien und die USA8) vor, die dieser Zusammenhang negativ.10 Die Befunde von Einstellungen, Risikowahrnehmungen und das Wissen zum Klimawandel auch im Zeitverlauf untersucht haben. Zugleich geben inzwischen 9 Ähnlich auch Mostafa (2016), der neben diesen Effekten auch noch die Kontrollüberzeugung von Personen einige Studien auch einen Einblick in weitere län- als einen weiteren Faktor herausarbeitet. Lewis et al. dervergleichende Determinanten der allgemeinen (2019: 768) kommen in Bezug auf die „westliche“ Welt zu dem Ergebnis, dass sich Frauen, jüngere und we- Klimawahrnehmung (überblickend: Capstick et niger religiöse Menschen in den englisch-sprechenden al. 2015). McCright et al. (2015) bestätigen auf der Ländern der westlichen Welt mehr Sorgen über den Klimawandel machen, während die Klimasorgen in der restlichen Welt nur schwach mit dem Geschlecht korre- lieren, aber mit dem Alter, der Religiosität, Bildung und 8 Für die USA siehe insbesondere auch: https://www. demokratischen Werten zunehmen. climatechangecommunication.org/climate-chan- 10 Tranter und Booth (2015) kommen in einer länderver- ge-in-the-american-mind-reports/ gleichenden Untersuchung zum Klimaskeptizismus 8
Luigi Droste / Björn Wendt – Who Cares Lo und Chow (2015) wiederum verweisen in Bezug Umweltbewusstseins sind (siehe Franzen/Meyer auf den Zusammenhang zwischen nationalem 2010; Franzen/Vogl 2013) und zweitens Gefühls- Wohlstand und Klimawahrnehmung darauf, lagen in einer spätmodernen „Affektgesellschaft“ dass in reicheren Ländern der Klimawandel als (Reckwitz 2017) als eine bedeutsame Ressource SuN 01/2021 wichtigstes Problem, jedoch weniger als ernstzu- für klimabewusste Handlungsbereitschaft sowie nehmende Gefahr bewertet wird. Auch Fielding klimapolitische Mobilisierung gesehen werden et al. (2019) bestätigen dieses Ergebnis und ver- können (Dietz et al. 2007, Smith/Leiserowitz binden in ihrer Analyse von elf OECD-Staaten 2014). So zeigen z. B. auch Untersuchungen zu individuelle Charakteristiken ihrer Befragten, mit Fridays for Future-Protesten in Städten auf der Haushalts- und Ländermerkmalen. Ihre Ergeb- ganzen Welt, dass Sorge über den Klimawandel nisse zeigen, dass bei zusätzlicher Betrachtung (gefolgt von Furcht und Angst) das verbreitetste des Gefühls der Kontrolle, die Gefahreneinschät- Gefühl unter den Protestierenden war und weitaus zung nicht mehr mit dem nationalen Wohlstand häufiger geteilt wird als Empörung, Frustration korreliert und schließen daraus, dass Wohlstand oder Hilflosigkeit (de Moor et al. 2020). vor allem als eine Ressource angesehen werden Besorgnis scheint also einerseits eine zentrale kann, mit der auf die imaginierten Risiken des mentale und affektuelle Auswirkung des Klima- Klimawandels reagiert werden kann und die wandels zu sein und beeinflusst auf der anderen dadurch ein Kontrollgefühl erzeugt. Seite den Anpassungsprozess an diesen (Swim et al. 2011: 111). Untersuchungen, die, ausgehend Klimasorgen: Forschungsstand und vom Vorwurf von Klimaskeptiker*innen, dass Kli- Desiderate maaktivist*innen eine Klimahysterie betreiben, Zwar gibt es demnach ländervergleichende Verbindungen zwischen Klimabesorgnis und Analysen, die Klimawandelskepsis, Risiko- und pathologischer Besorgnis untersucht haben, sind Problemwahrnehmung sowie Handlungsbereit- zum Ergebnis gekommen, dass zwischen diesen schaft in ländervergleichenden Analysedesigns beiden Formen der Sorge kein signifikanter adressieren (McCright et al. 2016, Tranter/Booth Zusammenhang besteht. „[H]abitual ecological 2015) und Studien, die deskriptiv untersuchen, worrying“ ist vielmehr mit umweltschonenden als wie gefährlich der Klimawandel im Vergleich Verhaltensweisen sowie Persönlichkeitsstruk- zu anderen Problemen in unterschiedlichen turen verbunden, die sich durch die Anerkennung Ländern eingeschätzt wird (European Com- neuer Ideen und ein hohes Umweltbewusstsein mission 2009, The World Bank 2009, Brechin/ auszeichnen (Verplanken/Roy 2013). Kli- Bhandar 2011, Kohut et al. 2013, Carle 2015). masorgen stellen aus dieser Perspektive also nicht Gefühlslagen in Bezug auf den Klimawandel (wie nur keine Pathologie und kein Hemmnis für Sorgen) wurden im Unterschied zu den oben skiz- einen Wandel zur Nachhaltigkeit dar, sondern zierten Einstellungen und Risikoeinschätzungen scheinen geradezu Bedingung und Ressource für zum Klimawandel jedoch vergleichsweise wenig eine sozial-ökologische Transformation zu sein. in den Blick genommen (Ojala 2012). Dies er- In einer Studie über die Handlungsbereitschaft scheint überraschend, da Sorgen erstens ein fester CO2-Emissionen zu reduzieren zeigt sich, dass Bestandteil des Konstrukts eines allgemeinen diese mit einer zunehmenden Besorgnis über die Konsequenzen des Klimawandels zunimmt und im Unterschied zu kognitiven Risikoeinschät- zu dem Ergebnis, dass ein höherer CO2-Ausstoß und zungen gerade Sorgen und Ängste zum Handeln auch die Klima-Vulnerabilität eines Landes positiv mit diesem korrelieren. führen (Sundblad et al. 2014). Auf der einen 9
Soziologie und Nachhaltigkeit – Beiträge zur sozial-ökologischen Transformationsforschung Seite scheint Besorgnis damit transformations- concern“ auf, das ebenfalls diese Unterschiede fördernd (siehe auch Shi et al. 2016, Stevenson/ stark macht: Peterson 2016, Nauges/Wheeler 2017), auf der „In short, an individual may think that climate anderen Seite ist aus der Forschung zum Kli- SuN 01/2021 change (and associated impacts) are likely to occur, maskeptizismus bekannt, dass sich keine Sorgen but that doesn’t mean that someone also perceives über den Klimawandel zu machen, ein fester climate change to be a serious issue. In turn, an in- Bestand des „denial belief“ (McCright/Dunlap dividual can perceive climate change to be a serious issue, but that doesn’t necessarily imply that they are 2011b) ist und die Emotionalität und Besorgnis concerned about it. Finally, although the public may von Klimawissenschaft und Klimabewegung express generalized concern about climate change, von Klimawandelskeptiker*innen als Hysterie this often does not mean that people also personally und Irrationalität delegitimiert wird (siehe auch worry about the issue or think it is a high priority” (van der Leyden 2017: 24). Wendt 2021). Kurzum: Klimabesorgnis stellt eine zentrale Konfliktlinie dar, die den Klimadiskurs Wir wollen bei unserer folgenden Thematisierung zwischen den Klimaskeptiker*innen und Klima- des Forschungsstandes zur Klimabesorgnis daher bewegten scheidet. einen engen, trennscharfen Begriff anlegen, der vor allem hinsichtlich seiner Operationalisierung Zur Differenzierung unterschiedlicher Kompo- in den Umfragen kontrolliert wurde; d. h., wir nenten der Wahrnehmung des Klimawandels beziehen uns nicht wie bisher auch auf Studien, in der Bevölkerung unterscheiden Capstick et die unter „climate concerns“ nahezu alle Katego- al. (2015) in einer umfassenden Analyse des rien der Klimawahrnehmung fassen, sondern auf Forschungsfeldes neun Fragen-Foki, mit denen Forschungen, die explizit die „Besorgnis“ oder die Wahrnehmung des Klimawandels in der Be- „Sorgen“ bzw. die „concerns“ oder „worries“ der völkerung bisher untersucht wurde (Tabelle 1). Bevölkerung zum Klimawandel abfragen und Häufig wird in Untersuchungen nicht trennscharf im Capstick’schen Schema daher der Kategorie 7 zwischen diesen Komponenten des Klimabe- entsprechen. Wie verteilen sich die Klimasorgen wusstseins der Bevölkerung unterschieden. entlang eines solchen engen Begriffes in der Be- Insbesondere Aussagen dazu, inwiefern der Klima- völkerung und welche Faktoren beeinflussen sie? wandel als eine Gefahr angesehen wird (Kategorie 4), wie ernst die Risiken eingeschätzt werden (Ka- tegorie 5) und wie groß die Sorgen bezüglich des Klimawandels sind (Kategorie 7), werden häufig gemeinsam unter dem Label „climate concerns“ besprochen, wenngleich die Besorgnis nicht ex- plizit abgefragt wird. Gleichwohl sind auch diese Dimensionen nicht zwangsläufig in eins zu setzen, denn der Klimawandel kann z. B. als bedrohlich wahrgenommen werden, ohne dass man sich deshalb Sorgen über seine Folgen machen muss – etwa, wenn in die Problemlösungsfähigkeit der Wissenschaft oder des politischen Personals ver- traut wird. Van der Leyden (2017) stellt im Hinblick auf die zentralen Dimensionen der Wahrnehmung des Klimawandels das Modell einer „hierarchy of 10
Luigi Droste / Björn Wendt – Who Cares Fokus Frageformulierung Antwortmöglichkeiten 1. awareness and un- • Have you heard or read anything about the issue • Yes/no/not sure derstandings of climate of global warming? • Very well/fairly well/not very change • Thinking about the issue of global warming, how well/not at all well do you feel you understand this? SuN 01/2021 2. existence of climate • As far as you know, do you personally think that • Yes/no/DK change at present time the world’s climate is changing, or not? 3. causes of climate • Assuming global warming is happening, do you • Caused mostly by human activ- change think it is…? ities/caused mostly by natural changes in the environment (also ‘none of the above’ and ‘other’) 4. perceived threats from • Please tell me how serious a problem you perso- • Very serious/somewhat serious/ climate change nally believe global warming to be in the world? not very serious/not serious at all/DK 5. seriousness of climate • Which of the following do you consider to be the • Eight possible ‘problems’ change compared to other single most serious problem facing the world as presented, including climate issues a whole? change, ‘the economic situa- tion’, and ‘armed conflicts’ 6. certainty of climate • Most scientists agree that humans are causing • 5-point scale from ‘strongly science climate change agree’ to ‘strongly disagree’ 7. personal concern or • [Do] you personally worry about global warming • A great deal/a fair amount/only worry about climate ch- a great deal, a fair amount, only a little, or not at a little/not at all ange all? • Very worried/somewhat wor- • Are you very worried, somewhat worried, not ried/not very worried/not at all very worried or not at all worried about global worried warming? • Very concerned/fairly con- • How concerned, if at all, are you about climate cerned/not very concerned/not change, sometimes referred to as global war- at all concerned/DK ming? 8. requirements for action • Do you think the United States should – or • USA should abide/USA should on climate change (at nati- should not – agree to abide by the provisions of not abide onal and personal level) the Kyoto agreement on global warming? • 5-point scale from ‘strongly • I am prepared to greatly reduce my energy use agree’ to ‘strongly disagree’ to help tackle climate change 9. open-ended/sponta- • When you think of ‘global warming,’ what is the • Open-ended response neous response permitted first word or phrase that comes to your mind? Tabelle 1: Auswahl an Survey-Items für die öffentliche Meinung in Klimafragen nach Capstick et al. (2015: 41 f.) Die Entwicklung der Klimabesorgnis in Europa, 9 f.) kamen in ihrer Untersuchung zum Klimabe- den USA und der Welt wusstsein in Deutschland zu dem Ergebnis, dass 39 Prozent der Befragten der Aussage, dass sie Wenngleich Meinungsumfragen ergeben, dass sich über den Klimawandel Sorgen machen, voll in Deutschland etwa 71 Prozent der Befragten und ganz zustimmen, 20 Prozent eher zustimmen, angeben, „die Veränderung des Weltklimas 26 Prozent die mittlere Kategorie wählen, und mache ihnen persönlich besonders große Sorgen“ 10 Prozent eher nicht und 5 Prozent überhaupt (Der Westen 2017), stellen umfassendere Studien nicht zustimmen.12 Der Klimawandel hatte dabei zu klimabedingten Sorgen im deutschsprachigen Raum eine Seltenheit dar.11 Hüther et al. (2012: dels. Ein Anteil von 38 Prozent gab den mittleren Ska- lenwert an, während 8 Prozent sich eher keine Sorgen und 3 Prozent sich überhaupt keine Sorgen machten 11 Den Daten des SOEP zufolge schwankt der Anteil der (Statista 2020). In der jährlich in Deutschland durch- Deutschen, der sich große Sorgen über die Klimafolgen geführten „Angst-Studie“ der R+V bekundeten im Jahr macht, in den Jahren 2009-2016 stets zwischen etwa 2019 hingegen 41 Prozent der Befragten Angst vor den 25 und 30 Prozent (Lübke 2019: 58). Einer Umfrage Folgen des Klimawandels (R+V 2019, ähnlich auch der Marktforschungsinstituts Marketagent zufolge Centrum für Strategische und Höhere Führung 2020). machten sich 19 Prozent der in Deutschland lebenden Menschen 2012 sehr große Sorgen und 34 Prozent eher 12 Eine Studie in Großbritannien kam zu dem Ergebnis, große Sorgen über die Auswirkungen des Klimawan- dass die Sorgen bezüglich der globalen Erwärmung 11
Soziologie und Nachhaltigkeit – Beiträge zur sozial-ökologischen Transformationsforschung mit Blick auf das Verhältnis zu anderen Sorgen sehr/überhaupt nicht besorgt) in den beobach- zusammen mit Terrorismus und Kriminalität die teten 12 EU-Ländern etwas zugenommen (1995: höchste Priorität bei den Befragten, während sich 14 Prozent, 2002: 17 Prozent). Bemerkenswerter- die Befragten über Ausländerfeindlichkeit, die weise ging der Anteil der Unentschlossenen im SuN 01/2021 wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands, die Zeitverlauf immer weiter zurück von 5 Prozent eigene Gesundheit, Zuwanderung und die eigene Ende der 1980er Jahre auf schließlich 1 Prozent wirtschaftliche Situation deutlich weniger Sorgen im Jahr 2002. Seit 2002 wurde die Besorgnis machten. über den Klimawandel in den Berichten an die EU-Kommission nicht mehr auf die herkömm- In Europa wurde zu Beginn der 1980er im Auftrag liche Art und Weise abgefragt, sodass sich dieser der Europäischen Kommission damit begonnen, Trend nicht auf Basis der gleichen Messmethode im Rahmen des Eurobarometers zu erheben, bis in die Gegenwart verfolgen lässt. wie besorgt die europäischen Bürger*innen über umweltbezogene Probleme sowie explizit auch Während die Datenlage in der EU in Bezug auf die Erderwärmung sind (siehe Abbildung 1). die Analyse längerer Zeitreihen somit äußerst Nachdem Anfang der 1980er Jahre bereits etwa problematisch ist, existieren für die USA etab- 60 Prozent der Befragten angaben sehr oder lierte Erhebungsinstrumente, die seit Ende der ziemlich besorgt zu sein, wuchs dieser Anteil 1980er Jahre abgefragt werden und die über etwa 1988 auf 70 Prozent und im Jahr 1992 auf sogar drei Jahrzehnte eine Polarisierung der Besorgnis 89 Prozent an (62 Prozent gaben sogar an sehr in der amerikanischen Bevölkerung aufzeigen besorgt zu sein) (siehe hierzu z. B. Commission of (Abbildung 1). Wie auch in Europa bekundeten the European Communities 1982). Entsprechend Ende der 1980er Jahre mehr als 60 Prozent der ging der Anteil derjenigen, die nicht sehr oder Befragten über den Klimawandel besorgt zu überhaupt nicht besorgt waren von etwa einem sein und auch der Anteil der Unentschlossenen Viertel der Befragten (25 Prozent) im Jahr 1988 schrumpfte im Zeitverlauf stetig bis auf unter bis 1992 auf etwa 9 Prozent zurück. Im Jahre 1995 ein Prozent. Insgesamt zeigen sich jedoch zwei sank der Anteil der Besorgten allerdings erstmals markante Unterschiede. Erstens lag der Anteil wieder und ging um etwa 5 Prozentpunkte zurück. derjenigen, die sehr oder ziemlich besorgt waren Gleichzeitig schrumpfte in diesem Zeitraum der in den USA grundsätzlich stets unter dem jewei- Anteil von Befragten, die sich ziemlich über den ligen europäischen Wert. Im Zeitverlauf hat dieser Klimawandel besorgt zeigten auf 54 Prozent Abstand stetig zugenommen. Betrug der Abstand (1995) und dann 39 Prozent (2002). Auch 2002 Ende der 1980er Jahre noch 7 Prozentpunkte, lag der Anteil der Besorgten (sehr oder ziemlich so erhöhte er sich Anfang der 1990er auf 27 Pro- besorgt) mit 83 Prozent etwas unter dem gemes- zentpunkte und Mitte der 1990er Jahre auf 34 senen Spitzenwert von 1992. Gleichzeitig hat seit Prozentpunkte. Auch im Jahre 2002 betrug der 1992 die Minderheit der Nicht-Besorgten (nicht Unterschied trotz Rückgangs immerhin noch 25 Prozentpunkte. Zweitens lag damit einhergehend zwischen 2005 und 2019 durch starke Varianzen ge- der Anteil derjenigen, die sich nur wenig oder kennzeichnet waren. Während zwischenzeitlich eine gar keine Sorgen machen in den USA seit Beginn Annährung in Großbritannien zu beobachten war (2011: 63 Prozent besorgt, 35 Prozent nicht besorgt) der 1990er Jahre deutlich höher als in Europa. ist inzwischen eine ähnlich ausgeprägte Polarisierung Der Anteil derjenigen, der angab sich überhaupt zwischen Besorgten (85 Prozent) und nicht Besorgten (14 Prozent) zu beobachten, wie zu Beginn der Erhe- keine oder nur wenig Sorgen zu machen, wuchs bungswelle (Dickmann/Skinner 2019). Angehörige der in den USA bis Mitte der 1990er Jahre stetig, bis Mittelklasse äußerten dabei tendenziell eine größere Besorgnis als die der Arbeiterklasse. auf nahezu 46 Prozent der Befragten an und ging 12
Luigi Droste / Björn Wendt – Who Cares 2002 jedoch auf 40 Prozent zurück. Insgesamt ist betrachtet wird. Vor allem die Bevölkerungen der vor diesem Hintergrund anders als in Europa, wo südeuropäischen Staaten (mit Ausnahme von Klimabesorgnis eine weit verbreitete Gefühlslage Spanien) wiesen tendenziell die höchsten Be- darstellt, für die USA eine Polarisierung in den sorgniswerte auf (z. B. Griechenland: 63 Prozent, SuN 01/2021 Einstellungshorizonten der Befragten über die Italien: 49 Prozent und Portugal: 47 Prozent), Zeit aus den Daten abzulesen. während die skandinavischen Länder (Schweden: 29 Prozent, Dänemark: 28 Prozent, Finnland: Kommen wir noch einmal zurück zum europä- 26 Prozent), Großbritanniens (26 Prozent) und ischen Kontext. Mit Blick auf die Verteilung der Irland (25 Prozent) sowie Belgien (29 Prozent) Sorgen auf unterschiedliche Länder waren bis und die Niederlande (21 Prozent) niedrigere Mitte der 1990er Jahre kaum Ausreißer festzu- Werte aufwiesen (European Commission 2002: stellen.13 In der Erhebung aus dem Jahre 2002 10). Obwohl demnach ein beachtlicher Teil der werden hingegen ausgeprägter Unterschiede Befragten (sehr) besorgt über den Klimawandel sichtbar, wenn nur der Anteil der sehr Besorgten ϳϬй ϲϬй ϱϬй ϰϬй ϯϬй ϮϬй ϭϬй Ϭй ϭϵϴϵ ϭϵϵϭ ϭϵϵϳ ϮϬϬϮ ϭϵϴϴ ϭϵϵϮ ϭϵϵϱ ϮϬϬϮ h^ ƵƌŽƉĂ ƐĞŚƌďĞƐŽƌŐƚ Abbildung 1: Trend njŝĞŵůŝĐŚďĞƐŽƌŐƚ der Klimabesorgnis in den USA und EuropaŶŝĐŚƚƐĞŚƌďĞƐŽƌŐƚ ƺďĞƌŚĂƵƉƚŶŝĐŚƚďĞƐŽƌŐƚ ǁĞŝƘŶŝĐŚƚ Datenquellen: Eurobarometer Surveys (gewichtet) (Commission of the European Communities 1988, 1992, European Commission 1995, 2002) für Europa und Gallup Polls (gewichtet) 1989, 1991, 1997, 2002 für die USA. Die Daten für Europa beziehen sich für alle Erhebungszeitpunkte auf 12 EU-Länder, die 1988 am Eurobarometer teilgenommen haben, um das Sample über den Zeitverlauf konstant zu halten (Belgien, Dänemark, Deutsch- land, Frankreich, Großbritannien, Griechenland, Irland, Italien, Luxemburg, Niederlande, Portugal und Spanien). 13 Die Mittelwerte liegen bei fast allen Ländern im Spek- trum von 3,3–3,6. Lediglich die griechische Bevölke- rung (3,9) erreichte einen höheren Wert, während er in und Belgien (3,2) etwas niedriger ausfiel (European Finnland (3,1), den Niederlanden (3,1) Frankreich (3,2) Commission 1995: 58). 13
Soziologie und Nachhaltigkeit – Beiträge zur sozial-ökologischen Transformationsforschung war, wurde in den neueren Untersuchungen Industrieunfällen (47 bzw. 46 Prozent). In der deutlich, dass der Klimawandel auch unter den nächsten Erhebungswelle 2008 hingegen war der Umweltthemen lange Zeit nicht an vorderster Klimawandel mit 57 Prozent die größte umweltbe- Stelle rangierte, sondern die Zerstörung der zogene Sorge in Europa (European Commission SuN 01/2021 Ozonschicht oder der Verlust der Regenwälder 2005: 8, European Commission 2008: 8). Im stärkeres Gewicht bekam. Die Erhebungen zeigen Ländervergleich lassen sich hierbei erneut aus- ferner, dass Sorgen über die Zerstörung der geprägte Unterschiede zwischen den Ländern Umwelt im Vergleich zu anderen Sorgen, wie vor erkennen. Deutlich wird hierbei, dass Sorgen Gewalt, Krankheiten, Arbeitslosigkeit, Armut und über den Klimawandel – abgesehen von Italien sozialer Ausgrenzung, eine eher nachgeordnete – in „neuen“ EU-Mitgliedstaaten (Baltikum und Rolle zukam (European Commission 1999: 15). andere osteuropäische Länder) eine vergleichs- weise untergeordnete Rolle spielen. Wenngleich Wie weiter oben bereits angesprochen lässt sich zu bemerken ist, dass auch hier zwischen 38 und die Zeitreihe der Klimasorgen nach 2002 auf Basis 51 Prozent der Befragten angaben, besorgt zu der Eurobarometer-Daten nicht mehr weiterver- sein. Interessanterweise fiel das Besorgnisniveau folgen, da das Erhebungsinstrument ausgetauscht der Befragten auch in den Niederlanden und wurde. Seitdem wird erhoben, über welche fünf Großbritannien weiterhin vergleichsweise gering Umweltprobleme sich die Befragten am meisten aus, wobei die Sorgen über die Klimafolgen in den Sorgen machen. So rangierte der Klimawandel skandinavischen Ländern nun im Vergleich zu im Jahre 2005 im umweltbezogenen Sorgenpool vorher relativ stark ausgeprägt waren. mit 45 Prozent der Nennungen an dritter Stelle hinter der Verschmutzung von Gewässern und 80 % 70 % 60 % 50 % 40 % 30 % 20 % 10 % 0% Portugal Dänemark Schweden Belgien Irland Ungarn Slowakei Tschechien Spanien Österreich Polen Deutschland Griechenland Niederlande Bulgarien Italien Lettland Litauen Finnland Luxemburg Malta Zypern Frankreich Rumänien Slowenien Estland Großbritannien Abbildung 2: Der Klimawandel als eine der fünf größten Umweltsorgen in Europa im Jahre 2008 Daten: European Commission 2008, gewichtet. 14
Luigi Droste / Björn Wendt – Who Cares Obwohl der Klimawandel im Jahre 2009 hinter den Klimawandel ist, wenngleich mitunter deut- Armut und Wirtschaftsabschwung, aber noch liche Unterschiede zwischen einzelnen Regionen vor Terrorismus und bewaffneten Konflikten, im und Ländern bestehen, die es durch soziologische Sorgenpool der Befragten an dritter Stelle stand Analysen aufzuklären gilt. SuN 01/2021 (European Commission 2009: 7), wurde er in fol- Die sozial-temporale Basis der Klimabesorgnis: genden Erhebungen des Eurobarometers 2009, Individuelle und strukturelle Faktoren 2014 und auch 2017 bei den größten umweltbezo- genen Sorgen überraschend nicht mehr abgefragt Untersuchungen, die danach fragen, wie Varianz (European Commission 2014: 12, European Com- und Struktur der Besorgnis über den Klimawandel mission 2017: 12). in der Bevölkerung und in ihrem Zeitverlauf erklärt werden können, wurden erst ab der Mitte Global betrachtet zeigt sich, dass vor allem in der 2000er Jahre auf der Ebene einzelner Länder Lateinamerika, Afrika und Teilen Asiens Sorgen durchgeführt. Für Deutschland ist hierfür bisher über den Klimawandel verbreitet sind, während lediglich bekannt, dass Frauen, Menschen mitt- in Europa und anderen Wohlstandsgesellschaften leren und hohen Alters und Befragte mit einem vor allem der IS Sorgen bereitete (Carle 2015, niedrigen Schulabschluss (Hauptschule und Poushter/Manevich 2017). Im Jahr 2019 ist weniger) etwas häufiger Sorgen bekunden, als der Klimawandel gleichwohl auch in westlichen Männer, die jüngste Alterskohorte (18–29 Jahre) Wohlstandsgesellschaften zunehmend als be- und Befragte mit mittleren und hohen Schul- sonders besorgniserregende und größte globale abschlüssen (Hüther et al. 2012). Vorliegende Gefahr wahrgenommen worden (Poushter & Ergebnisse bewegen sich jedoch größtenteils auf Huang 2019). Aktuell rangiert der Klimawandel einer deskriptiven Ebene. Dies gilt auch für die jedoch, wenn er im Vergleich zu anderen Sorgen meisten weltweiten und ländervergleichenden abgefragt wird, nicht an vorderste Stelle im Sor- Erhebungen zur Besorgnis über den Klimawandel genpool der Weltbevölkerung. Im Rahmen der sei es im Querschnitt, im Trend oder auch mit Studie „What worries the world“ liegt er lediglich Bezug auf Zusammenhänge. Für die USA, Groß- im Mittelfeld der geäußerten Sorgen (Atkinson britannien, einige skandinavische Länder und et al. 2020: 5). Nach den drei größten Sorgen die Schweiz liegen hingegen länderspezifische gefragt, gaben nur 16 Prozent der Befragten hier Zusammenhangsanalysen vor. den Klimawandel an, während Armut und soziale Ungleichheit (34 Prozent), Arbeitslosigkeit (31 Sundblad et al. (2007) bestätigen für Schweden Prozent), Kriminalität und Gewalt (30 Prozent) hierbei etwa, dass Frauen sich besorgter über als auch finanzielle und politische Korruption (30 den Klimawandel äußern als Männer, während Prozent) an der Spitze lagen. alle anderen sozio-demografischen Merkmale keinen signifikanten Einfluss haben. Auf der In der Zusammenschau wird somit deutlich, dass anderen Seite wurde am Beispiel Schweden her- Ausmaß und Reichweite der Klimabesorgnis stark ausgearbeitet und untersucht, dass Elternschaft von den Konjunkturen der gesellschaftlichen Ent- bei Männern mit einer erhöhten Besorgnis in wicklungen, bestimmten Ereignissen auf globaler Bezug auf den Klimawandel einhergeht (Ekholm/ Ebene und der Virulenz öffentlicher Diskurse Olofsson 2017, Ekholm 2020). Für Großbritan- abhängen, jedoch auch auf Umfragemethodik nien lässt sich dahingegen kein Zusammenhang und Operationalisierung der Items zurückgehen. zwischen Elternschaft und erhöhtem klimawan- Gleichwohl lässt sich zweifelsfrei feststellen, dass delbezogenem Sorgenniveau feststellen (Thomas ein Großteil der Weltbevölkerung besorgt über et al. 2018). 15
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