Branchenausblick 2030+ - Die Papier- und Zellstoffindustrie - Stiftung Arbeit und ...

Die Seite wird erstellt Pascal Ackermann
 
WEITER LESEN
Branchenausblick 2030+
Die Papier- und Zellstoffindustrie
2                                                                            Stiftung Arbeit und Umwelt der IG BCE

Impressum

BRANCHENAUSBLICK 2030+                                    LEKTORAT
Die Papier- und Zellstoffindustrie                        Gisela Lehmeier, FEINSCHLIFF

ERSTELLT IM AUFTRAG VON                                   SATZ UND LAYOUT
Stiftung Arbeit und Umwelt der IG BCE                     pandamedien GmbH & Co. KG
•• Inselstraße 6, 10179 Berlin
•• Königsworther Platz 6, 30167 Hannover                  TITELBILD
Telefon +49 30 2787 14                                    Adobe Stock, pandamedien

AUTOREN                                                   DRUCK
Stiftung Arbeit und Umwelt der IG BCE                     Spree Druck Berlin GmbH
••   Dr. Kajsa Borgnäs
••   Dr. Indira Dupuis                                    VERÖFFENTLICHUNG
••   Malte Harrendorf                                     Januar 2021
••   Stephan Hoare
••   Dr. Klaus-W. West                                    BITTE ZITIEREN ALS
mit inhaltlicher Unterstützung von Dr. Ulrich Petschow,   Stiftung Arbeit und Umwelt der IG BCE (2021): Branchenaus-
Institut für Ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW)       blick 2030+: Die Papier- und Zellstoffindustrie. Berlin.
Branchenausblick 2030+: Die Papier- und Zellstoffindustrie                                                              3

Vorwort

Die Bundesrepublik Deutschland und die Europäische             Obwohl es immer schwierig ist, mittelfristige Prognosen
Union haben sich ambitionierte Klimaschutzziele gesetzt:       zu industriellen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen
Klimaneutralität bis 2050. Im Rahmen des Green Deal wur-       Veränderungen zu machen, ist ein solcher Blick auf ak-
den die Emissionsminderungsziele für die EU jüngst von         tuelle Trends und Entwicklungstendenzen notwendig, um
-40 auf -55 Prozent bis 2030 (im Vergleich zu 1990) an-        strategische Antworten auf strukturelle Veränderungen
gehoben. Für Deutschland bedeutet dies unter anderem,          zu entwerfen. Es geht darum, die Zukunftsfähigkeit der
dass der Ausbau der erneuerbaren Energien deutlich be-         Industrie kritisch zu beleuchten, Risiken zu identifizieren
schleunigt werden muss, dass die CO2-Zertifikatsmenge          und politischen sowie gewerkschaftlichen Handlungsbe-
im Rahmen des ETS-Systems (Emissions Trading System)           darf zu diskutieren.
schneller reduziert wird, dass der CO2-Preis voraussicht-
lich steigt und dass dadurch der Dekarbonisierungsdruck        Unser Ausgangspunkt ist und bleibt, dass die notwen-
auf die ganze Gesellschaft – und insbesondere auf die In-      dige industrielle Modernisierung mit sozialer Gerech-
dustrie – zunimmt.                                             tigkeit, Guter Arbeit und gestärkter Mitbestimmung
                                                               einhergehen muss.
Gleichzeitig ist die Klimapolitik nicht der einzige Prozess,
der derzeit die Gesellschaft und die Industrie massiv he-      Wir hoffen, mit dieser Studienreihe konstruktiv zur De-
rausfordert. Die Corona-Krise, die Veränderungen der           batte über die Herausforderungen, die Potenziale und die
Globalisierung, die Digitalisierung und der demografische      konkrete Ausgestaltung der sozial-ökologischen Trans-
Wandel haben große Auswirkungen auf alle Marktakteure.         formation in der deutschen Industrie beizutragen.

Wie sind deutsche Industriebranchen von diesen gleich-
zeitig stattfindenden Transformationstrends betroffen?
Welche Stärken und Schwächen mit Blick auf Dekarboni-          Ich freue mich auf den Austausch!
sierung unter beibehaltener Wettbewerbsfähigkeit zeigen
sie auf? Was sind besondere Risiken und Chancen des an-        Dr. Kajsa Borgnäs
stehenden Umbaus hin zu Nachhaltigkeit und langfristiger       Geschäftsführerin Stiftung Arbeit und Umwelt der IG BCE
Leistungsfähigkeit? Und wie wird die Arbeit selbst und die
Arbeitnehmer*innen in der Industrie dadurch betroffen?

In einer Studienreihe – Branchenausblick 2030+ – unter-
sucht die Stiftung Arbeit und Umwelt der IG BCE die
Auswirkungen verschiedener Transformationsprozesse auf
ausgewählte Industriebranchen. Der Fokus liegt dabei auf
technischen, wirtschaftlichen und regulatorischen Poten-
zialen zur Nachhaltigkeit und Treibhausgasneutralität,
aber auch andere, für die Industriebranchen transforma-
tive Entwicklungen werden beleuchtet. Die Studienreihe
komplementiert den Szenarienprozess der IG BCE, in dem
Zukunftsszenarien und industriepolitische Strategien für
die kommende Dekade entwickelt wurden.
4                                                                              Stiftung Arbeit und Umwelt der IG BCE

Die wichtigsten Ergebnisse auf einen Blick
(Zusammenfassung)

Die Papierindustrie gehört zu den rohstoff-, energie- und     Der Branchenausblick zeigt, dass die deutsche (und euro-
kapitalintensiven Industrien. Wie andere Industrien des       päische) Papierindustrie für die anstehenden Transforma-
verarbeitenden Gewerbes, insbesondere die energie-            tionsprozesse relativ gut aufgestellt ist – mit innovativen
und handelsintensiven Industrien in Deutschland, ist die      Unternehmen, Kundennähe, qualifizierten Fachkräften
Papierindustrie stark von gesellschaftlichen Transforma-      und einer vergleichsweise starken Mitbestimmungsstruk-
tionsanforderungen und -trends betroffen. Dies sind auf       tur in vielen Unternehmen. Der Papiermarkt verändert sich
der einen Seite die Globalisierung, die Digitalisierung und   zwar seit einigen Jahren, die Branche gilt aber als grund-
der demografische Wandel. Auf der anderen Seite for-          sätzlich nachhaltig beziehungsweise auf nachwachsen-
dern die wachsenden deutschen und europäischen kli-           den Rohstoffen basierend. Papierprodukte könnten in
ma- und energiepolitischen Anforderungen die Branche          einer zukünftigen Bio- und Kreislaufökonomie eine grö-
stark heraus. Sie beeinflussen Produktionsstrukturen, Be-     ßere Rolle spielen.
legschaften, Kundenerwartungen, Lieferketten sowie die
wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen            Um den Energie- und Ressourcenverbrauch der Branche
tiefgehend.                                                   zu reduzieren, sind sowohl weitere Effizienzmaßnahmen,
                                                              aber vor allem Innovationssprünge in vielen Kerntechno-
Der Branchenausblick 2030+ „Papier- und Zellstofferzeu-       logien, -prozessen und -produkten notwendig. Hierfür
gung“ basiert auf der Analyse der aktuellen Forschungsla-     sind stärkere unternehmens- und branchenübergreifende
ge und Branchendaten sowie auf Interviews mit Vertretern      Innovationsanstrengungen sowie Verbesserungen des re-
der Branche und ihrer Unternehmen. Die folgenden Fra-         gulatorischen Umfelds geboten. Die Stärken, Schwächen,
gen stehen im Zentrum:                                        Chancen und Risiken der Branche können wie folgt zu-
                                                              sammengefasst werden:
(1) Wie ist die wirtschaftliche und handelspolitische
    Ausgangslage der Papierindustrie, auch mit Blick auf
    Unternehmensstruktur, Beschäftigung und die Corona-
    Pandemie?

(2) Inwiefern ist die Papierindustrie von
    Transformationstrends wie der Digitalisierung, den
    Veränderungen der Globalisierung und dem Aufstieg
    Chinas sowie dem demografischen Wandel getroffen?

(3) Welche Technologien und Prozesse, aber auch
    Regularien und politische Weichenstellungen können zu
    einer erfolgreichen Nachhaltigkeitstransformation und
    Dekarbonisierung der Branche beitragen?

(4) Mit Blick auf Innovation, Transformation und
    Leistungsfähigkeit in den kommenden zehn Jahren:
    Welche Stärken und Schwächen, Risiken und Chancen
    ergeben sich für die deutsche Papierindustrie?
Branchenausblick 2030+: Die Papier- und Zellstoffindustrie                                                   5

 Stärken ("Strengths")                                  Chancen ("Opportunities")
  Hohe Wettbewerbsfähigkeit deutscher Produkte           Verpackungs- und Hygienebereich als
  Innovative Produkte                                     Wachstumsfelder
  Kundennähe (Export v. a. nach Europa)                  Spezialisierung auf hochwertige Nischenprodukte
  Papier als nachwachsender Rohstoff                     Positives Image durch Kreislaufwirtschaft und
  Dekarbonisierung technisch möglich/potenziell           nachwachsende Rohstoffe, Bioökonomie
   neue Geschäftsfelder durch nachhaltige Produkte        Verlängerung der Wertschöpfungskette,
  (Duales) Ausbildungssystem und                          neue Anwendungsgebiete, z. B. als Ersatz für
   Mitbestimmungsstrukturen sorgen für bessere             fossilbasierte Produkte
   Innovationslandschaft und können dem                   Beitrag zur Sektorenkopplung und
   Fachkräftemangel entgegenwirken                         Systemstabilität

 Schwächen ("Weaknesses")                               Risiken ("Threats")
  Hoher Preis- und Wettbewerbsdruck bei                    Drohende Überkapazitäten im
   Standardprodukten                                         Verpackungsbereich
  Kapitalintensive Produktion mit geringer                 Wachsender internationaler bzw. chinesischer
   Anlagenflexibilität, z. T. alte Anlagenparks              Wettbewerb auf dem europäischen Markt
  Energieintensive Produktion                              Demografischer Wandel – Fachkräftesicherung
  Problematik Fachkräftesicherung und Attraktivität        Steigende Rohstoff- und Energiekosten (Holz,
   der Branche                                               Zellstoff, Altpapier, Energie und CO2), auch
  Unzureichende Innovationsdynamik und                      wegen Nutzungskonkurrenz
   -partnerschaften in der Branche                          Verfügbarkeit und Qualität von Altpapier und
  Fehlende Rahmenbedingungen für Innovation,                Holz
   Investitionen und Carbon-Leakage-Schutz                  Widersprüchliche Anreizsysteme
                                                             und Marktsignale investitions- und
                                                             innovationshemmend
6                                                                                                                                 Stiftung Arbeit und Umwelt der IG BCE

Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

Die wichtigsten Ergebnisse auf einen Blick (Executive Summary) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4

Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

1.       Überblick der Branche  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

         1.1 Definition der Branche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

         1.2 Wirtschaftliche Lage der Branche  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

         1.3 Unternehmensstruktur und Beschäftigung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

         1.4 Längerfristige europäische und globale Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

         1.5 Investitionen und Innovationsdynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

         1.6 Rohstoffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

         1.7 Transformation und Nachhaltigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14

2.       Transformationstrends: Digitalisierung, Globalisierung, demografischer Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16

         2.1 Digitalisierung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16

         2.2 Globalisierung und die wachsende Rolle Asiens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

         2.3 Demografischer Wandel und Fachkräftesicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

3.       Herausforderung Nachhaltigkeit und Treibhausgasneutralität  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

         3.1 Energiebedarf, -kosten und Prozessemissionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

         3.2 Dekarbonisierungsoptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

         3.3 Branchenübergreifende Innovations- und Geschäftsfelder  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

         3.4 Handlungsfeld Nachhaltigkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

4.       Rahmenbedingungen für eine nachhaltige Papierindustrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  29

5.       Fazit: SWOT-Analyse der Papier- und Zellstoffindustrie 2030+ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32

Literaturverzeichnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  34
Branchenausblick 2030+: Die Papier- und Zellstoffindustrie                                                                                                               7

Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Papiersorten, Anteil der Gesamtproduktion (Prozent)  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

Abbildung 2: Nachfrage nach Toilettenpapier in der Folge der Corona-Krise 2020  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

Abbildung 3: Beschäftigung, Unternehmen und Papiermaschinen in Europa 1991–2016 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

Abbildung 4: Entwicklung europäischer Produktgruppen 1991–2017  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

Abbildung 5: Entwicklung europäischer Zellstoff- und Altpapierproduktion 1991–2017  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

Abbildung 6: Globaler Papierverbrauch 1961–2016  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

Abbildung 7: Innovationsdynamik der deutschen Papierindustrie  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

Abbildung 8: SWOT-Analyse der deutschen Papierindustrie  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33

Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Relative Knappheiten nach Berufen 2010–2030 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  20

Tabelle 2: Energieeinsatz in der Papierindustrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

Tabelle 3: Anwendungsmöglichkeiten für Papierprodukte in anderen Branchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
8                                                                                           Stiftung Arbeit und Umwelt der IG BCE

1
1. Überblick der Branche

1.1 Definition der Branche
Die Branche Papier- und Zellstoffindustrie umfasst die
                                                                        •• Grafische Papiere sind Papiere, die beschrieben oder
                                                                           bedruckt werden können, wie Papiere für Zeitungen,
Produktion verschiedener Papiersorten sowie die vor-                       Magazine, Bücher oder Briefpapier.
gelagerte Erzeugung von Holz- beziehungsweise Zell-
stoff.1 Deutschland ist mit rund 25 Prozent Marktanteil der             •• Hygienepapiere umfassen unter anderem Toiletten-
größte Papierproduzent innerhalb der EU und der Viert-                     papier, Taschentücher sowie Küchentücher.
größte weltweit, nach China, den USA und Japan. Die
europäische Papierindustrie insgesamt hat einen Anteil                  •• Im Segment der technischen und Spezialpapiere
von 23 Prozent am globalen Markt.2                                         werden Papiere für verschiedene (Spezial-)Funktionen
                                                                           produziert. Beispiele sind Dachpappen, Pappen für die
Es wird in der Papierbranche zwischen vier Sortenbe-                       Automobilindustrie oder Foto- und Filterpapiere.3
reichen unterschieden: Verpackungspapiere, grafische
Papiere, Hygienepapiere und Spezialpapiere.                             Der Bereich Verpackungspapiere ist der größte Bereich
                                                                        mit 54,8 Prozent der deutschen Produktion (2019); die
•• Verpackungspapiere werden zu Verpackungszwecken                      Produktion von grafischen Papieren hat einen Anteil von
   verwendet, beispielsweise in der Kosmetik- oder Phar-                32,2 Prozent; Hygienepapiere haben einen Anteil von
   maindustrie oder im Versandhandel.                                   6,8 Prozent an der Gesamtproduktion und technische und

    Abbildung 1: Papiersorten, Anteil der Gesamtproduktion (Prozent)
Abbildung 1: Papiersorten, Anteil der Gesamtproduktion (Prozent)

                   6,2
            6,8

     32,2                              54,8
                                                           Verpackungspapiere

                                                           grafische Papiere

                                                           Hygienepapiere

                                                           technische Spezialpapiere

Quelle: VDP 2020

    Quelle: VDP 2020
1
  	 Die EU nutzt statistische Normen für die Erhebung, Übermittlung und Veröffentlichung nationaler und gemeinschaftlicher Statistiken
     zu den Wirtschaftszweigen, sodass Unternehmen, Finanzinstitute, Regierungen und andere Binnenmarktteilnehmer Zugang zu
     einheitlichen, verlässlichen und vergleichbaren Daten haben. Hierfür wird das Wirtschaftsklassifikationssystem „NACE“ genutzt.
     Das hier verwendete Güterverzeichnis stammt aus dem Statistischen Bundesamt, Abteilung 17: Papier, Pappe und Waren daraus:
     Statistisches Bundesamt Destatis 1. Nach den Klassifikationen des Statistischen Bundesamtes fällt diese Branche in Abteilung NACE 17
     „Herstellung von Papier, Pappe und Waren“. Sie findet sich in der statistischen Systematik der Wirtschaftszweige in der Europäischen
     Gemeinschaft (NACE Rev. 2) auf S. 68. Abteilung 17 ist in zwei Gruppen untergliedert: 17.1 „Herstellung von Holz- und Zellstoff, Papier,
     Karton und Pappe“ und 17.2 „Herstellung von Waren aus Papier, Karton und Pappe“.
2
   	 CEPI 2018, 10f.
3
  	 VDP 2020b.
Branchenausblick 2030+: Die Papier- und Zellstoffindustrie                                                                        9

Spezialpapiere machen 6,2 Prozent aus (Abbildung 1).4               der deutschen Exporte erfolgten in die osteuropäischen
Insgesamt werden rund 3 000 verschiedene Papiersorten               Länder. Die Exporte nach Asien sanken 2019 um ein Pro-
in Deutschland produziert.5                                         zent. Vor den USA ist Deutschland das größte Importland
                                                                    der Welt für Papier, Karton und Pappe,10 auch innerhalb
1.2 Wirtschaftliche Lage der Branche                                der EU ist es der größte Importeur und Exporteur von
2019 wurden 22,1 Millionen Tonnen Papier, Karton und                Papierwaren.11 2019 betrug die Importquote 55,5 Prozent.
Pappe in Deutschland produziert, 2,7 Prozent weniger als            Schweden ist das größte Lieferland nach Deutschland.12
2018. Die Branche erwirtschaftete 2019 14,3 Milliarden
Euro; 2018 lag der Umsatz bei 15,5 Milliarden Euro.6 Da-            Der Papiermarkt verändert sich seit mehreren Jahren.
bei ging der Inlandsabsatz 2019 um 3,9 Prozent zurück;              Während die Produktion von grafischen Papieren rückläu-
der Auslandsabsatz ist aber um 0,6 Prozent gestiegen. Auf           fig ist – insbesondere wegen der kontinuierlich sinkenden
den Umsatz betrachtet ist die Papier- und Zellstoffindust-          Zeitungsauflagen13 – steigt sie im Bereich der Verpa-
rie die zehntgrößte Industriebranche in Deutschland.7 Der           ckungspapiere sowie leicht in den Bereichen Hygiene- und
Auslastungsgrad der Papiermaschinen liegt bei 92 Pro-               Spezialpapiere. Dieser Trend hat sich im Laufe der Coro-
zent; in den vergangenen Jahren wurden einige Maschi-               na-Pandemie 2020 verstärkt. Aktuell (Stand Januar 2021)
nen stillgelegt.8                                                   ist aber schwer zu überblicken, ob die Corona-Pandemie
                                                                    mittel- bis langfristige Veränderungen der deutschen und
Im Jahr 2019 exportierte Deutschland Produkte aus                   europäischen Papierindustrie bewirken wird. Am Anfang
Papier, Pappe und Waren daraus im Wert von 20 Milliarden            des Jahres 2020 hat die Papierbranche wie viele andere
Euro und importierte Produkte für rund 15 Milliarden Euro.          Industriebranchen die Erfahrung gemacht, dass sich Lie-
Die Exportquote liegt bei rund 57 Prozent des Umsatzes              ferketten teilweise als wenig robust erwiesen haben.14 Ver-
und ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestie-            schiedene Sparten wurden aber sehr unterschiedlich von
gen.9 Europäische Nachbarländer nehmen knapp 80 Pro-                der Krise getroffen. Ab Mitte Februar 2020 stieg in Euro-
zent der Exporte ab, allen voran Polen. Knapp 26 Prozent            pa die Nachfrage nach Toilettenpapier sowie vielen an-

Abbildung
Abbildung2:
          7: Nachfrage
             Nachfrage nach
                       nach Toilettenpapier
                            Toilettenpapier in
                                             in der
                                                der Folge
                                                    Folge der
                                                          der Corona-Krise
                                                              Corona-Krise 2020
                                                                           2020

800 %

600 %

400 %

    200 %

      0%
               Seife             Toilettenpapier          Reis           Passierte Tomaten           Mehl           Desinfek-
                                                                                                                    tionsmittel

            KW 9         KW 10             KW 11         KW 12

Quelle: BCSE
        Quelle: BCSE

4
   	 VDP 2020.
5
   	 Vgl. VDP 2019a; VDP 2019b.
6
   	 VDP 2020.
7
  	 Statista 1.
8
   	 VDP 2020.
9
   	 Laut Statistischem Bundesamt 2020: absolute Zahlen: Exporte 20.154 Mio. €, Importe 15.069 Mio. €, Stand 18.06.2020.
10
    	 Vgl. VDP 2019b, 26.
11
    	 Eurostat, letzte Datenaktualisierung: 06.02.2020.
12
    	 VDP 2020.
13
    	 Baurmann 2018.
14
    	 Fieten 2020; VDP 2020a und EUWID 2020a.
10                                                                                      Stiftung Arbeit und Umwelt der IG BCE

deren Hygieneartikeln stark an (Abbildung 2).15 Vertreter            Gewerkschafts- und tarifpolitisch werden die Beschäf-
der Branche erwarten, dass auch nach der Corona-Pan-                 tigten von IG BCE (historisch IG Chemie-Papier-Keramik)
demie insbesondere der Bereich Professional Hygiene                  oder ver.di (historisch IG Druck und Papier) vertreten.
in Krankenhäusern, Büros und zu Hause eine wichtigere                Etwa 60 Prozent der Betriebe und 80 Prozent der Be-
Rolle einnehmen könnte. Eine weitere Folge der Pande-                schäftigten werden von Flächentarifverträgen gedeckt,
mie könnte ein langfristig erhöhter Verbrauch von Verpa-             13 respektive 10 Prozent von Haustarifverträgen. Rund
ckungspapier für den Online-Handel sein.16 Dennoch ist               26 Prozent der Betriebe und 11 Prozent der Beschäftigten
die Corona-Pandemie laut Branchenvertretern nicht vor-               haben keinen Tarifvertrag.
rangig als „Game-Changer“ zu verstehen, sondern scheint
vor allem Trends und Verschiebungen zu verstärken, die               1.4 Längerfristige europäische und globale Entwicklung
schon vorher sichtbar waren.17                                       Längerfristig betrachtet verringerte sich aufgrund von Ra-
                                                                     tionalisierungen in der ehemaligen DDR sowie einer star-
1.3 Unternehmensstruktur und Beschäftigung                           ken Konsolidierungswelle im ersten Jahrzehnt nach der
Es gibt in Deutschland 156 größtenteils mittelständisch              Jahrtausendwende in Deutschland und Europa die Zahl
strukturierte Betriebe in der Papier- und Zellstoffindus-            der Beschäftigten sowie der Papiermaschinen und Unter-
trie.18 Die durchschnittliche Betriebsgröße liegt bei 216            nehmen (Abbildung 3).
Beschäftigten.19 Allerdings weisen auch hier die Sparten
innerhalb der Branche Unterschiede auf: Die Unterneh-                Auf der Produktionsseite befand sich die europäische
men, die Schreibwaren produzieren, sind eher kleine oder             Papierindustrie aber bis zur Finanzkrise 2008 wegen ef-
mittelständische Betriebe. Im Haushalts- und Hygienebe-              fizienterer Maschinen auf einem kontinuierlichen Wachs-
reich besteht die Mehrheit der Unternehmen aus Großbe-               tumspfad.23 Danach ging die Produktion zurück oder
trieben mit über 500 Beschäftigten. Teilweise dominieren             stagnierte (Abbildung 4), eine Ausnahme ist das Segment
internationale Konzerne die deutschen Standorte. Dane-               Verpackungspapiere. Gleichzeitig rief die wachsende
ben gibt es zahlreiche familiengeführte Unternehmen, die             Nachfrage in Asien, insbesondere China, höhere Export-
sich zum Teil mit Nischenprodukten auf dem Markt be-                 raten hervor.24
haupten. In manchen Regionen Deutschlands – zum Bei-
spiel in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und                  Die europäische Zellstoff- sowie Altpapierproduktion ent-
Sachsen – herrscht eine besonders hohe Standortdichte.               wickelte sich ähnlich wie die Produktion von Endproduk-
Dort hat die Papierbranche eine große regionalwirtschaft-            ten: Bis 2007 stieg die Produktion, danach stagnierte sie
liche Bedeutung.20                                                   (Abbildung 5).

2019 beschäftigte die Branche insgesamt 39 850 Men-                  Auch der globale Papierverbrauch zeigt einen ähnlichen
schen, verzeichnete aber einen Beschäftigtenrückgang                 Verlauf. Er wuchs in den vergangenen Dekaden bis etwa
von 1,7 Prozent verglichen mit dem Vorjahr.21 Längerfristig          zum Jahr 2007. Danach flachte das Wachstum ab. Elektro-
betrachtet blieb die Beschäftigung in der Branche im ver-            nische Medien substituierten Printmedien, was vor allem
gangenen Jahrzehnt relativ stabil. In der Entwicklung ver-           in Nord-Amerika zu einer sinkenden Nachfrage führte. Sie
schiedener Sparten gab es aber Verschiebungen, die auch              wurde durch einen allgemeinen Verbrauchszuwachs in
die Qualifikationsstruktur der Beschäftigten betrafen. So            Asien kompensiert (Abbildung 6). Für die Zukunft wird ein
wurde beispielsweise der Anteil von Fachkräften immer                globales Wachstum in Hygiene-, Verpackungs- und Zell-
größer und ein Arbeitsplatzabbau ging in erster Linie zu-            stoffbereichen vor allem im asiatischen, osteuropäischen
lasten von An- und Ungelernten.22                                    und lateinamerikanischen Raum erwartet.

15
    	 Beispielhaft gab der Essity-Konzern, zu dem die Marken „BSN medical“, „Tempo“, „Zewa“ und „Danke“ gehören, einen höheren
      Umsatz im ersten Quartal 2020 bekannt, teilweise in der Folge der COVID-19-Pandemie: Essity (2020). Ferner: Freytag, Diemand
      2020.
16
    	 Jaensch 2019.
17
   	 BVSE 2020.
18
    	 VDP 2019b, 36.
19
    	 Statistisches Bundesamt 2018.
20
    	 Vgl. BMWi 2019, 4; IG BCE 2016.
21
    	 VDP 2019a; VDP 2020.
22
    	 HBS 2013.
23
    	 VDP 2019b.
24
    	 Vgl. Roth et al. 2016.
Branchenausblick 2030+: Die Papier- und Zellstoffindustrie                                                                                                                                   11

Abbildung 3: Beschäftigung, Unternehmen und Papiermaschinen in Europa 1991–2016
 Abbildung 2: Beschäftigung, Unternehmen und Papiermaschinen in Europa 1991–2016

                                                      2 500                                                                                                                            450
     Anzahl der Unternehmen und Papiermaschinen

                                                                                                                                                                                       400
                                                      2 000

                                                                                                                                                                                             Beschäftigte in 1 000
                                                                                                                                                                                       350

                                                      1 500
                                                                                                                                                                                       300

                                                                                                                                                                                       250
                                                      1 000

                                                                                                                                                                                       200

                                                       500
                                                                                                                                                                                       150

                                                          0                                                                                                                            100
                                                               1991     2000        2005      2007      2008    2009     2010      2011      2012     2013      2014    2015   2016

                                                                 Unternehmen                     Papiermaschinen                                  Lorem ipsum
                                                                                                                                          Beschäftigung

Quelle: CEPI, Key Statistics 2016
              Quelle: CEPI, Key Statistics 2016

Abbildung 4: Entwicklung
     Abbildung           europäischer
               3: Entwicklung         Produktgruppen
                              europäischer           1991–2017
                                           Produktgruppen 1991–2017

                                   120

                               100

                                                  80
Million tonnes

                                              60

                                           40

                                           20

                                                  0
                                                       1991      1993     1995         1997      1999       2001       2003      2005      2007      2009       2011    2013    2015     2017

                                                              Total Paper & Board                         Total Graphic Papers                        Total Packaging Papers
                                                                                                                                            Lorem ipsum
                                                              Sanitary and Household                     Other Paper & Board

Quelle: Quelle: CEPI 2017
        CEPI 2017
12                                                                                                                                                                        Stiftung Arbeit und Umwelt der IG BCE

    Abbildung 5: Entwicklung europäischer Zellstoff- und Altpapierproduktion 1991–2017
    Abbildung 4: Entwicklung europäischer Zellstoff- und Altpapierproduktion 1991–2017

                              Entwicklung europäischer Zellstoffproduktion 1991–2017                                                                      Entwicklung europäischer Altpapierproduktion 1991–2017
                      15                                                                                                                             55

                      14                                                                                                                             50

                      13                                                                                                                             45
     Million tonnes

                                                                                                                                    Million tonnes
                      12                                                                                                                             40

                      11                                                                                                                             35

                      10                                                                                                                             30

                      9                                                                                                                              25

                      8                                                                                                                              20
                              1991

                                     1993

                                            1995

                                                    1997

                                                            1999

                                                                   2001

                                                                          2003

                                                                                 2005

                                                                                         2007

                                                                                                2009

                                                                                                       2011

                                                                                                               2013

                                                                                                                      2015

                                                                                                                             2017

                                                                                                                                                          1991

                                                                                                                                                                 1993

                                                                                                                                                                        1995

                                                                                                                                                                               1997

                                                                                                                                                                                      1999

                                                                                                                                                                                             2001

                                                                                                                                                                                                    2003

                                                                                                                                                                                                           2005

                                                                                                                                                                                                                   2007

                                                                                                                                                                                                                          2009

                                                                                                                                                                                                                                 2011

                                                                                                                                                                                                                                        2013

                                                                                                                                                                                                                                               2015

                                                                                                                                                                                                                                                      2017
     Quelle: CEPI, Key Statistics 2017
                              Quelle: CEPI 2017

     Abbildung 6: Globaler Papierverbrauch 1961–2016
     Abbildung 5: Globaler Papierverbrauch 1961–2016

                      450

                      450

                      350
Million tonnes

                      300

                      250

                      200

                      150

                      100

                       50

                          0
                               1961                1966              1971                1976            1981                1986                     1991                 1996              2001                 2006              2011              2016

                                     Africa                Latinamerica                 Oceania               Asia           N. America                          Europe

     Quelle: FAO
            Quelle: FAO

     Die Unternehmensstruktur der globalen Papierindustrie                                                                          1.5 Investitionen und Innovationsdynamik
     veränderte sich ebenfalls. Die Konzentration, insbesonde-                                                                      Die Investitionsausgaben der deutschen Papier- und Zell-
     re auf dem amerikanischen Markt, hat in manchen Markt-                                                                         stoffindustrie lagen 2019 bei 925 Millionen Euro.25 Vie-
     segmenten stark zugenommen. In Europa und Asien ist                                                                            le Unternehmen der Branche betreiben kontinuierlich
     der Markt aber bislang relativ wettbewerbsfähig geblieben.                                                                     Forschung und Entwicklung (FuE) und die Branche be-

     25
                  	 VDP 2020.
Branchenausblick 2030+: Die Papier- und Zellstoffindustrie                                                                                                                                                                                                                                                                                      13

  schäftigt überdurchschnittlich viele Mitarbeiter*innen in                                                                                                                             Wettbewerbsfähigkeit, der Nachhaltigkeit/Treibhaus-
  Unternehmen mit FuE. Im Vergleich mit der deutschen                                                                                                                                   gasneutralität und der Digitalisierung. Das Innovations-
  Wirtschaft insgesamt verfügt die Papierbranche über                                                                                                                                   geschehen ist stark auf die Erhöhung der Produktivität
  überdurchschnittlich viele Unternehmen, die Marktneu-                                                                                                                                 und die Senkung des spezifischen Ressourcenverbrauchs
  heiten herausbringen. Gleichzeitig ist die Innovations-                                                                                                                               (Energie, Rohstoffe, Wasser und Chemikalien) gerichtet.
  intensität26 der Papierindustrie stark zyklisch geprägt. Sie                                                                                                                          Zudem erforschen viele Marktteilnehmer neue Produkt-
  schwankte in den Jahren 2008 bis 2018 zwischen 1,1 und                                                                                                                                portfolien beziehungsweise neue Felder der Anwendung
  1,9 Prozent als Anteil am Umsatz:27 Die Innovationsauf-                                                                                                                               für einen im Grunde knapp 2 000 Jahre alten – und nach-
  wendungen der Papierbranche lagen zwischen 470 und                                                                                                                                    wachsenden – Werkstoff.30
  760 Millionen Euro jährlich.28 Beim Branchenvergleich
  liegt die deutsche Papierindustrie bezüglich der Inno­                                                                                                                                1.6 Rohstoffe
  vationsintensität somit im Mittelfeld (Abbildung 7).29                                                                                                                                Der wichtigste Rohstoff der deutschen Papierindustrie ist
                                                                                                                                                                                        Altpapier (Sekundärfasern) mit einem Anteil von knapp
  Die Innovationsdynamik der Branche erhält derzeit starke                                                                                                                              78 Prozent. Der Verbrauch von Altpapier als Rohstoff
  Anreize insbesondere von den Zielen der beibehaltenen                                                                                                                                 ist im vergangenen Jahrzehnt gewachsen, obwohl die

 Abbildung 7: Innovationsdynamik der deutschen Papierindustrie
 Abbildung 8: Innovationsdynamik der deutschen Papierindustrie

                                  Unternehmen mit Marktneuheiten                                                                                         Unternehmen mit kostensenkenden                                                                             Unternehmen mit kontinuierlicher FuE
                                                                                                                                                                Prozessinnovationen

                          25                                                                                                                 40                                                                                                                 80
Unternehmensanteil in %

                                                                                                                   Unternehmensanteil in %

                                                                                                                                                                                                                                      Unternehmensanteil in %
                          20                                                                                                                 32
                                                                                                                                                                                                                                                                60
                          15                                                                                                                 24
                                                                                                                                                                                                                                                                40
                          10                                                                                                                 16
                                                                                                                                                                                                                                                                20
                           5                                                                                                                  8

                          0                                                                                                                  0                                                                                                                  0
                               2007
                                      2008
                                             2009
                                                    2010
                                                           2011
                                                                  2012
                                                                         2013
                                                                                2014
                                                                                       2015
                                                                                              2016
                                                                                                     2017
                                                                                                            2018

                                                                                                                                                  2007
                                                                                                                                                         2008
                                                                                                                                                                2009
                                                                                                                                                                       2010
                                                                                                                                                                              2011
                                                                                                                                                                                     2012
                                                                                                                                                                                            2013
                                                                                                                                                                                                   2014
                                                                                                                                                                                                          2015
                                                                                                                                                                                                                 2016
                                                                                                                                                                                                                        2017
                                                                                                                                                                                                                               2018

                                                                                                                                                                                                                                                                     2007
                                                                                                                                                                                                                                                                            2008
                                                                                                                                                                                                                                                                                   2009
                                                                                                                                                                                                                                                                                          2010
                                                                                                                                                                                                                                                                                                 2011
                                                                                                                                                                                                                                                                                                        2012
                                                                                                                                                                                                                                                                                                               2013
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      2014
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                             2015
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    2016
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           2017
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                  2018
                               Innovationsintensität                                                                                                                                                                                                                   Beschäftigte in Unternehmen mit
                                                                                                                                                                                                                                                                         kontinuierlicher FuE-Tätigkeit
                           Papierindustrie
                                                                                                                                                                                                                                                                30
                                                                                                                                                                                                                                      Unternehmensanteil in %

                    Konsumgüterindustrie
  Sonstige materialverarbeitende Industrie
                Chemie-/Pharmaindustrie                                                                                                                                                                                                                         24
                   Kunststoffverarbeitung
                            Metallindustrie                                                                                                                                                                                                                     18
                          Elektroindustrie
                            Maschinenbau                                                                                                                                                                                                                        12
                             Fahrzeugbau
                Ver-/Entsorgung, Bergbau                                                                                                                                                                                                                         6
                    Großhandel, Transport
         Information und Kommunikation
                                                                                                                                                                                                                                                                0
                   Finanzdienstleistungen
                                                                                                                                                                                                                                                                      2016
                                                                                                                                                                                                                                                                     2007
                                                                                                                                                                                                                                                                     2008
                                                                                                                                                                                                                                                                     2009
                                                                                                                                                                                                                                                                     2010
                                                                                                                                                                                                                                                                      2011
                                                                                                                                                                                                                                                                     2012
                                                                                                                                                                                                                                                                     2013
                                                                                                                                                                                                                                                                     2014
                                                                                                                                                                                                                                                                     2015

                                                                                                                                                                                                                                                                     2017
                                                                                                                                                                                                                                                                     2018

              technische Dienstleistungen
                       Beratung, Werbung
                    Unternehmensdienste

                                                                                                     0             2                          4          6        8           10       12                                                                              Papierindustrie
                                                                                                             Anteil am Umsatz in %                                                                                                                                     Deutsche Wirtschaft insgesamt

  Quelle: ZEW 2019

  26
     	 Die Innovationsintensität bezeichnet den Anteil der Innovationsaufwendungen aller Unternehmen am Branchengesamtumsatz.
  27
     	 Statista 4.
  28
     	 Statista 5.
  29
      	 ZEW 2020.
  30
      	 Laudenbach 2017.
14                                                                               Stiftung Arbeit und Umwelt der IG BCE

Papierproduktion im gleichen Zeitraum leicht zurück-            Altpapier noch im ersten Quartal 2020 aufgrund sehr ho-
ging. Deutschland hat ein Altpapieraufkommen von 15,2           her Lagerbestände sowie zurückgehender Aufträge bei
Millionen Tonnen und einen Verbrauch von 17,2 Millionen         gleich hoher Anlieferung und eingeschränkten Export-
Tonnen (2019). Die deutsche Papierindustrie nimmt hinter        möglichkeiten fiel, kam es im zweiten Quartal zu einem
China und den USA international eine Spitzenstellung ein:       massiven Preisanstieg. In den vergangenen Monaten hat
In diesen drei Ländern und Japan werden fast 55 Prozent         sich der Preis schrittweise stabilisiert.
des weltweiten Altpapieraufkommens verbraucht.31
                                                                Mit Blick auf die Zukunft sind sowohl die Verfügbarkeit als
Der verbleibende, nicht aus Altpapier gedeckte Bedarf an        auch der Preis von Altpapier und Frischfasern eine wach-
Primärzellstoff wird zu rund 80 Prozent aus importiertem        sende Herausforderung der Branche. Die Verfügbarkeit
und zu 20 Prozent aus heimisch produziertem Zellstoff           von Altpapier ist unter anderem deshalb eine Heraus­
gedeckt. Etwa 40 Prozent des in Deutschland verarbeite-         forderung, da die Qualität der verfügbaren Altpapiere
ten Zellstoffs stammen aus Skandinavien, fast ein Viertel       nicht immer den Qualitätsvorgaben in der Produktion
aus Brasilien und geringere Mengen aus Chile, Uruguay           entspricht (Kapitel 3). In der Folge des Klimawandels ver-
und Indonesien.32 Auf dem europäischen Markt für Zell-          ändern sich die Wälder, und eine wachsende Nutzungs-
stoff ist Deutschland nach Schweden, Finnland und Polen         konkurrenz ist denkbar.
mit 6,4 Prozent der viertgrößte Produzent.33, 34 Der Bedarf
an Holz wird vorwiegend aus dem Inland gedeckt. Sons-           1.7 Transformation und Nachhaltigkeit
tige Rohstoffe sind Mineralien, Additive, Füllstoffe und        Die Papierindustrie gehört zu den rohstoff-, energie- und
sonstige Hilfsmittel, die einen Anteil von knapp 14 Prozent     kapitalintensiven Industrien. Wie andere Branchen des ver-
des Rohstoffeinsatzes ausmachen.35                              arbeitenden Gewerbes, insbesondere die energieintensi-
                                                                ven Industrien in Deutschland (EID), ist die Papierindustrie
Einzelne Papierfabriken in Deutschland haben ihre eige-         stark von gesellschaftlichen Transformationsanforderun-
ne Holzstoff- beziehungsweise Zellstofferzeugung. Es            gen und -trends betroffen. Dies sind auf der einen Seite
existieren insgesamt sechs Zellstoffwerke: Neben zwei           die Globalisierung, die Digitalisierung und der demografi-
großen Marktzellstoffwerken (mit über 1 000 Mitarbeitern        sche Wandel (Kapitel 2). Auf der anderen Seite fordern die
und einem Umsatz von über einer Milliarde Euro), die den        wachsenden deutschen und europäischen klima- und
Zellstoff in Platten an externe Kunden verkaufen, gibt es       energiepolitischen Anforderungen die Branche stark he-
vier integrierte Werke, die den erzeugten Zellstoff in die      raus (Kapitel 3). Sie beeinflussen Produktionsstrukturen,
Papierfabrik des eigenen Unternehmens pumpen.36                 Belegschaften, Kundenerwartungen, Lieferketten sowie
                                                                die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen
Die Zellstoff- und Altpapierpreise werden global gesetzt.       tiefgehend.
In den vergangenen Jahren waren diese sehr volatil. China
trug seinen Anteil dazu bei. Die Entscheidung der chine-        Insbesondere das Ziel Deutschlands und der EU, bis 2050
sischen Führung im Jahr 2017, die chinesischen Importe          die Treibhausgasneutralität zu erreichen, setzt die Papier-
von Altpapier zu begrenzen, sorgte am Weltmarkt für ein         industrie mit Blick auf Rohstoff- und Energieeinsatz, Pro-
Überangebot von Altpapier, was die Preise stark fallen ließ.    dukte und Produktionsprozesse unter einen wachsenden
Gleichzeitig stieg der Bedarf chinesischer Papierfabriken       Druck. Obwohl der Altpapiereinsatz weniger energiein-
an Frischzellstoff, mit dem eine Verknappung an Zellstoff       tensiv ist als der Einsatz von Frischfasern, stellt die Auf-
am weltweiten Markt einherging, was den Zellstoffpreis          bereitung von Altpapier für die deutschen Papierhersteller
massiv steigen ließ. Doch schon im Laufe des Jahres 2019        den CO2-intensivsten Prozessschritt dar. Die Forderung
kam es beim Zellstoff aufgrund niedrigerer Nachfrage            nach Nachhaltigkeit hat somit einen prinzipiellen Konflikt
zum Preiseinbruch. Aktuell hat die Corona-Pandemie zu           zwischen einem erhöhten Recyclingbedarf (Altpapierein-
einer Veränderung der Zellstoff-Endmärkte geführt, wel-         satz) und der notwendigen Minderung des CO2-Aussto-
che sich auch in einer volatilen Preisgestaltung widerspie-     ßes der Branche entstehen lassen.
gelt. Bis April 2020 sind die Preise um durchschnittlich vier
Prozent gestiegen. Im Mai und Juni sind sie um durch-           Die deutsche Papierindustrie ist im internationalen Ver-
schnittlich fünf Prozent gefallen. Während der Preis für        gleich innovativ und ressourceneffizient. Sie reagierte

31
   	 VDP 2020.
32
    	 Umweltbundesamt 2.
33
    	 FAO 2020.
34
    	 Statista 3.
35
   	 VDP 2020.
36
    	 VDP 2020e.
Branchenausblick 2030+: Die Papier- und Zellstoffindustrie                                                                           15

früh auf die Ansprüche einer zunehmend umweltbe-                     Zusammenfassend lässt sich festhalten: Die deutsche
wussten Gesellschaft mit entsprechenden Zertifizierun-               Papierindustrie hat sich trotz Veränderungen von Markt
gen (zum Beispiel PEFC, FSC37) und Validierungsverfahren             und Konsum in den vergangenen Jahren als relativ wand-
(zum Beispiel ISO 14001, 5000138).39 Die Unternehmen                 lungsfähig, flexibel und wettbewerbsfähig erwiesen. Die
konnten durch die Entwicklung von neuen Produkten und                Branche zeichnet sich durch Kundennähe, die zentrale La-
Verfahren die Ressourceneffizienz erheblich steigern.40              ge innerhalb Europas, eine hohe Fertigungstiefe, Qualität
Neben diesen Innovationen zur Prozess- und Rohstoffef-               und Kompetenz sowie durch innovative und finanzstarke
fizienz haben in der vergangenen Dekade auch Produkt-                Großkonzerne und KMUs aus. Mit ihrem hohen Recyc-
innovationen, die beispielsweise auf die Möglichkeiten der           linganteil und den Energieeinsparungen der vergangenen
Formgebung und Resistenz von Papier zielten, eine wach-              Jahrzehnte hat sich die deutsche Papierindustrie auf den
sende Rolle gespielt. In der Zukunft könnte dies dazu füh-           Weg in eine nachhaltige und treibhausgasneutrale Zu-
ren, dass Papier verstärkt mit bestimmten Kunststoffen in            kunft gemacht. Diese Stärken gilt es für die anstehenden
Konkurrenz tritt.41 Beispielsweise werden extrem reißfeste           Transformationsprozesse zu nutzen und weiter zu ent-
und robuste Krepppapiere für die Automobilindustrie ge-              wickeln. Denn sowohl mit Blick auf die Globalisierung,
nutzt. Papier kann zudem als Isolationsplatte verwendet              den demografischen Wandel, die Digitalisierung sowie die
werden und 3-D-Drucker auf Papierbasis können für die                weitere Treibhausgasminderung und Ressourcenscho-
kostengünstige Prototypen-Erstellung eingesetzt werden               nung stehen der Papierindustrie noch gewaltige Heraus-
(Kapitel 3).                                                         forderungen bevor.

Gleichzeitig sind die Investitionszyklen der Branche sehr
lang. Es lässt sich keine durchschnittliche Lebensdauer von
Papiermaschinen für Mutterrollen angeben, dennoch ist
der Maschinenpark der deutschen Papierbranche nach Ein-
schätzung des Branchenverbands VDP im Vergleich mit an-
deren deutschen Industriebranchen relativ jung.42 Allerdings
ist die Grundsubstanz mancher Maschinen fast 70 Jahre
alt. Die Maschinen werden ständig nachgerüstet und erst
grundsätzlich erneuert, wenn das nicht mehr möglich be-
ziehungsweise die Anlage nicht mehr rentabel ist.

37
    	 PFEC und FSC sind Waldzertifizierungssysteme. Sie stellen hohe Anforderungen insbesondere an die Nachhaltigkeit, an die
      Umweltverträglichkeit der Waldbewirtschaftung, die Arbeitsqualität und an die soziale Kompetenz der Forstbetriebe.
38
    	 Die internationale Norm ISO 14001 legt Anforderungen an ein Umweltmanagementsystem fest, mit dem eine Organisation
      ihre Umweltleistung verbessern, rechtliche und sonstige Verpflichtungen erfüllen und Umweltziele erreichen kann. ISO ist ein
      Energiemanagementsystem für Unternehmen.
39
    	 Mediamundo o. J.
40
    	 Europäische Kommission o. J.
41
   	 Markus Biesalski, Professor für Makromolekulare Chemie und Papierchemie an der TU Darmstadt, zitiert nach Laudenbach 2017.
42
    	 VDP 2020e.
16                                                                            Stiftung Arbeit und Umwelt der IG BCE

2
2. Transformationstrends: Digitalisierung, Globalisierung,
demografischer Wandel

2.1 Digitalisierung
Digitalisierung und das Produktportfolio
                                                             Noch 2017 hatten Bundesregierung und Behörden des
                                                             Bundes circa 1 255 Milliarden Blatt Papier verbraucht. Das
Die Digitalisierung der Gesellschaft macht sich im Pro-      Ziel des Programms war die vollständige Digitalisierung
duktportfolio der Papierindustrie bisher vor allem durch     aller Akten bis Ende 2020. Darüber hinaus wurden im Co-
zwei Trends bemerkbar: durch den Wandel des Medien-          rona-Konjunkturpaket von Juni 2020 weitere Finanzmittel
markts von Print zu elektronischen beziehungsweise           für die öffentliche und private Digitalisierung von Verwal-
digitalen Medien sowie durch den zunehmenden On-             tungsabläufen bereitgestellt.44 Auch in der Wirtschaft wi-
line-Handel.                                                 ckelten im Jahr 2017 noch 19 Prozent der Unternehmen
                                                             ihre Verwaltungsarbeit komplett auf Papier ab. Allerdings
Seit Jahrzehnten sinken die Zeitungsauflagen und in allen    haben 75 Prozent der Unternehmen schon die Hälfte oder
Printmedienbereichen etablieren sich neue digitale Ange-     mehr der Prozesse auf eine papierlose Abwicklung um-
bote, Geschäftsmodelle und Plattformen.43 Die Gesamt-        gestellt.45
auflage der deutschen Tagespresse hat sich seit dem Jahr
2000 fast halbiert. Entsprechend sank die Produktion von     Auch die Logistikbranche hat ein großes Optimierungs-
grafischen Papieren. Der grafische Sektor war über Jahre     potenzial durch Digitalisierung festgestellt: Papier könne
hinweg von Überkapazitäten geprägt. Mittlerweile hat sich    unter anderem bei den Frachtbegleitdokumenten ein-
die Branche angepasst.                                       gespart werden.46 In allen Wirtschaftssegmenten könn-
                                                             te zudem durch die sogenannte Smart Maintenance der
Ein zweiter Trend ist der zunehmende Versandhandel           Papierkonsum reduziert werden. Es ist zu erwarten, dass
über Online-Plattformen, was insbesondere in der jünge-      die Kontrolle und Dokumentation der Inbetriebnahme
ren Generation sichtbar ist und sich mit der Corona-Pan-     von Maschinen sowie von Überprüfungs-, Wartungs- und
demie verstärkte. Die Produktion der Verpackungspapiere      Instandhaltungsarbeiten sukzessive auf digitale Geräte
ist entsprechend kontinuierlich angestiegen, in Deutsch-     umgestellt wird.47 In der Summe verstärken somit diese
land, Europa und global. Es wird erwartet, dass diese Ent-   Entwicklungen die bereits beobachteten Tendenzen hin
wicklung sich fortschreiben wird. Gleichzeitig werden        zu mehr Verpackungspapierverbrauch und weniger Ver-
vielerorts durch den Online-Handel Verpackungen zweit-       brauch von grafischen Papieren.
rangig bei Kaufentscheidungen, was die Herstellung von
Verpackungen (etwa Design) negativ beeinflussen könnte.      Digitalisierung in der Produktion
                                                             Der Blick in die Unternehmen und Betriebe zeigt, dass
Weiter ist ein Rückgang der Schreibwaren infolge der         die Papierbranche ebenso wie viele andere Industrie-
Digitalisierung zu beobachten. Zwar ist die seit den         branchen erst am Anfang der Digitalisierung von Produk-
1970er-Jahren geäußerte Prophezeiung einer papier-           tionsprozessen steht. Am grundsätzlichen Verfahren der
losen Gesellschaft bisher nicht eingetreten. Jedoch          Papierherstellung hat sich trotz aller Optimierungen we-
stehen viele Digitalisierungsstrategien erst am Anfang       nig geändert. Dennoch steht die Papiererzeugung mit der
ihrer Realisierung. Ein Beispiel ist die deutsche Verwal-    Digitalisierung vor möglicherweise größeren technischen
tung – hier laufen noch viele Prozesse über Papier und       Fortschritten. Dazu gehören beispielsweise der Einsatz
die nötigen Plattformen sind erst im Aufbau begriffen.       von 3-D-Druckern beziehungsweise Faserguss-Anla-
Auf Bundesebene wurde erst in der 18. Legislaturperio-       gen auf Papierbasis. Mit ihnen lässt sich Prototypen- und
de das Programm „Digitale Verwaltung 2020“ erarbeitet.       Kleinserienherstellung umsetzen. Dazu gehört auch die

43
    	 Hans-Bredow-Institut 2017.
44
    	 Vgl. Bundesregierung 2019.
45
    	 Bitkom 2017.
46
    	 Bitkom 2019.
47
   	 acatech 2019.
Branchenausblick 2030+: Die Papier- und Zellstoffindustrie                                                                         17

Idee des digitalen Produktzwillings, der bereits bei Kon-                 Allerdings wusste die Mehrheit der Befragten wenig über
zeption und Design von Produkten sowie Prozessen ent-                     den konkreten Inhalt der Digitalisierungsstrategien in
steht und den realen Zwilling während des gesamten                        ihren Unternehmen. Zudem führten sie zum Teil negative
Lebenszyklus begleitet. Verbraucherdaten werden bereits                   Veränderungen ihrer Arbeit auf die Digitalisierung zurück:
bei Produktherstellungsprozessen verstärkt genutzt; dar-                  Es gebe „mehr Stress auf der Arbeit“ und von ihnen wer-
auf basierend werden zunehmend Tailor-Made-Produk-                        de zunehmend erwartet, mehrere Aufgaben gleichzeitig
te angeboten. Damit lassen sich auch gezielt Nischen                      zu bewältigen. Insbesondere ältere Beschäftigte und Be-
besetzen. Grundsätzlich wird zudem erwartet, dass die                     schäftigte mit niedrigerem Berufsabschluss stehen digita-
Unternehmen der Papierbranche die digitalen Techno-                       len Technologien eher skeptisch gegenüber.
logien deutlich stärker nutzen könnten, um die Effizienz
sowohl in der Produktion als auch in Logistik und Ver-                    Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Beschäftig-
trieb weiter zu erhöhen. In einer Studie von McKinsey &                   ten der Papierindustrie grundsätzlich offen für eine stärke-
Co wurde geschätzt, dass die Gesamtkosten der Branche                     re Digitalisierung sind. Aber bei der Einführung im Betrieb
durch die stärkere Einführung digitaler Fertigungstechno-                 und bei der praktischen Anwendung digitaler Techno-
logien um bis zu 15 Prozent gesenkt werden könnten. Das                   logien sind die Arbeitsqualität, eine mögliche Zunahme
Unternehmen bewertet das Potenzial, insbesondere die                      der quantitativen Arbeitsbelastung, die Entwicklung von
Logistik effizienter zu machen, als sehr groß: Sogenann-                  konkreten Weiterbildungsoptionen für alle Beschäftigten-
te B2B2C-Wertschöpfungsketten könnten beispielsweise                      gruppen sowie Mitbestimmungs- und Informationsstruk-
in den Verpackungssegmenten oder bei Tissue-Produk-                       turen im Blick zu behalten.
ten den Weg zwischen Herstellern und Endverbrauchern
deutlich verkürzen.48                                                     2.2 Globalisierung und die wachsende Rolle Asiens
                                                                          Die Papierindustrie unterliegt den weltwirtschaftli-
Zusammengefasst werden mit der Digitalisierung mehr                       chen und handelspolitischen Rahmenbedingungen:
Datentransparenz, Interaktion und digitale Services bei                   Sie exportiert einen großen Teil ihrer Produkte und der
der Produktion möglich.                                                   Rohstoffpreis für Altpapier und Holzfaser wird global
                                                                          gesetzt.50 Für die kurz- und mittelfristigen Perspektiven
Um der Digitalisierung der Produktionsprozesse der                        der Branche spielen damit internationale Faktoren eine
Papierindustrie einen Schub zu geben, wird von Branchen-                  wichtige Rolle: die abflauende Weltwirtschaft der ver-
vertretern die Notwendigkeit gesehen, konkrete Digitalisie-               gangenen Jahre, die Handelskonflikte zwischen China
rungsstrategien beziehungsweise branchenübergreifende                     und den USA, die unklaren Auswirkungen des Brexits so-
Digitalisierungs-Roadmaps zu erstellen. Diese könnten die                 wie die Corona-Pandemie könnten die Branche negativ
erforderliche Infrastruktur und den Investitionsbedarf für                beeinflussen.
weitere Digitalisierungsschritte betriebsübergreifend erfas-
sen und gestalten.                                                        In den vergangenen Dekaden setzte die zunehmende
                                                                          Billigkonkurrenz aus Asien und Lateinamerika die M ­ argen
Digitalisierung und Arbeit                                                europäischer Hersteller unter Druck.51 Insbesondere der
Untersuchungen zu den Auswirkungen der Digitali-                          asiatische Markt entwickelte sich sehr stark: China ist der
sierung auf die Arbeit in der Papierindustrie sind rar.                   weltgrößte Papierproduzent52 mit insgesamt 8 000 Her-
In einer Umfrage im Jahr 201949 gab die Mehrheit                          stellern sowie dem weltweit größten produzierenden
der befragten Beschäftigten der Papierbranche an,                         Unternehmen Nine Dragon Paper geworden.53 Die chi-
den Maßnahmen zur Digitalisierung im Betrieb positiv                      nesische Papierindustrie konsolidiert sich: Unter anderem
gegenüberzustehen. Digitalisierung könne ein wich-                        neue Umweltauflagen tragen dazu bei, dass vor allem
tiger Hebel der zukünftigen Wettbewerbsfähigkeit des                      größere, effizientere Papierhersteller wachsen können.
eigenen Betriebs sein sowie den Arbeitsalltag in vielen                   Die Importabhängigkeit Chinas im Zellstoff- sowie im Alt-
Aspekten erleichtern.                                                     papierbereich bleibt weiterhin hoch.54

48
    	 Vgl. McKinsey 2019, 8f.
49
    	 Stiftung Arbeit und Umwelt der IG BCE 2019.
50
    	 VDP 2019, 25.
51
    	 Boerse-online 2016.
52
    	 VDP 2019b, 74.
53
    	 EUWID 2020b.
54
    	 Zellstoff importiert China vor allem aus Russland. Wittmann 2019.
18                                                                              Stiftung Arbeit und Umwelt der IG BCE

Jedoch führte die Regierung 2018 Restriktionen für den         Abwasserreinigung investieren oder Teile der Produktion
Import von unsortiertem beziehungsweise besonders              ins Hinterland verlegen. Nichtsdestotrotz ist der Anlagen-
verunreinigtem Altpapier ein.55 Daher ist im Gegen-            park der asiatischen Papierindustrie im Vergleich mit dem
zug der Anteil von Zellstoffimporten angestiegen.56            europäischen eher altmodisch und auf den Import von
In den vergangenen Jahren steigerte China seine Expor-         Produktionstechnologien angewiesen. Der Nachholbe-
te von Pappe und Verpackungspapieren,57 zumindest bis          darf an Automatisierung, Steuerungstechnologien, Qua-
zum Beginn des US-chinesischen Handelskonflikts. Chi-          litätssicherung und Fachkräften ist groß. Viele Anlagen,
na ist aber noch nicht mit einem Unternehmen in der EU         insbesondere in Indien, haben Probleme mit Filtern, Klär-
vertreten – obwohl die Unternehmensstrategien unter            anlagen, Faserrückgewinnung und Wasser einsparenden
anderem von dem Unternehmen Asia Pulp and Papier               Technologien.61 Der Mangel an Wasser ist ein generelles
(APP) auch Aktivitäten auf dem europäischen Markt mit          Produktionsproblem in Asien.62
einbeziehen.58
                                                               Obwohl sich das Zentrum und das Wachstum der Papier-
Japan ist der zweitgrößte Erzeuger von Papier und Zell-        branche somit in den vergangenen Jahren Richtung Asien
stoff in Asien. Das Land weist ähnliche Verbrauchertrends      verschoben hat, ist gegenwärtig keine präzise Prognose
wie Europa auf: Die Nachfrage nach Zeitungs- und Druck-        über die weitere Globalisierung oder die Rolle Asiens am
papier sinkt und die nach Verpackungs- und Hygienear-          europäischen Papiermarkt möglich. Dies hängt mit tech-
tikeln steigt, was maßgeblich auf dem demografischen           nischen, handelspolitischen und ökologischen Faktoren
Wandel beruht.59 Zudem will Japan das Aufkommen von            beziehungsweise Rahmenbedingungen zusammen. Eine
Kunststoffabfällen verringern, was zu einer steigenden         Analyse geht davon aus, dass der globale Papiermarkt ins-
Nachfrage nach Papierverpackungen führen könnte.               gesamt weiterwachsen wird, dabei vor allem die großen,
                                                               globalen Firmen, wenn auch langsamer als in den vergan-
Indien ist derzeit global der am schnellsten wachsende         genen Dekaden. Da der Markt bereits weitgehend kon-
Papiermarkt, sowohl im Kartonbereich wegen wachsen-            solidiert ist, werden sich Firmen aber stark in einzelnen
der Nachfrage nach Konsumgütern und Medizinproduk-             Marktsegmenten konzentrieren, gegebenenfalls auch in
ten als auch im Hygienebereich. Die mangelnde lokale           Gruppen von Akteuren und weiterhin stark nach Konti-
Versorgungsbasis Indiens, fehlende Waldflächen und eine        nenten gegliedert.63 Für Deutschland bleibt Europa kurz-
Papierrecyclingquote von etwa 30 Prozent zwingen den           bis mittelfristig der primäre Markt: Noch immer sind die
Subkontinent, in großer und zunehmender Menge Zell-            deutschen Exporte und Importe maßgeblich europäisch
stoffe und Altpapier zu importieren. Wegen der Importre-       geprägt und die Importanteile aus Asien sehr gering.
striktionen Chinas hat Indien im ersten Halbjahr 2018 aus
der EU 200 Prozent mehr Altpapier importiert.                  2.3 Demografischer Wandel und Fachkräftesicherung
                                                               Der demografische Wandel trifft die deutsche Papier-
Im sonstigen asiatischen Raum steigt insbesondere in In-       industrie erstens dadurch, dass ihre Belegschaften altern.
donesien die Nachfrage nach Zellstoff. Das Land baut sei-      Zweitens steigt mit einer älter werdenden Bevölkerung
ne Kapazitäten zur Zellstoffherstellung stark aus, obwohl      in Europa und dem globalen Bevölkerungswachstum die
die Papierherstellung sich nicht wesentlich entwickelte.60     Nachfrage insbesondere nach Hygieneartikeln; höhere
                                                               Krankheitsrisiken verursachen einen wachsenden Bedarf
Nimmt man die Modernisierung der Produktion in den             an Pflege-Artikeln zu Hause, in Krankenhäusern und Pfle-
Blick, wird deutlich, dass in China viele innovative Papier-   geeinrichtungen.
maschinenhersteller intensiv daran arbeiten, den Einsatz
alternativer Faserstoffe zu vergrößern und die Betriebs-       Insbesondere der Mangel an qualifizierten Fachkräften ist
kosten zu senken. Die chinesische Regierung hat kontinu-       eine weitere große Herausforderung für die Branche. Wie
ierlich die Vorgaben zur Luftreinhaltung erhöht, vor allem     viele andere Industriezweige hat die Papier- und Zellstoff-
in großen Städten. Deshalb müssen die Firmen verstärkt in      industrie das Problem, dass sich weniger junge Menschen

55
    	 Rohde 2019a.
56
    	 Rohde 2019a
57
    	 Rohde 2019a.
58
    	 Rohde 2019b.
59
    	 Maurer 2019.
60
    	 Malerius 2019.
61
    	 VDP 2019, 74.
62
    	 Jaensch 2019.
63
    	 McKinsey 2019, 4.
Branchenausblick 2030+: Die Papier- und Zellstoffindustrie                                                                19

als in der Vergangenheit für einen Beruf in ihrer Branche          Aus- und Weiterbildungssysteme für die zukünftigen Be-
entscheiden. 67 Prozent aller Papier-Unternehmen in                dürfnisse der Papierindustrie ausgewertet und den Qua-
Europa haben laut einer EU-weiten Befragung Schwie-                lifikations- und Einstellungsbedarf ermittelt.67 Demnach
rigkeiten, Fachkräfte zu gewinnen. Die Gründe dafür                sind digitale Fähigkeiten und die Stärkung der technischen
sind unter anderem belastende Arbeitsbedingungen wie               Kernkompetenzen von wachsender Bedeutung sowie
Hitze, Lärm und Schichtarbeit, aber auch der schnelle              Verhaltenskompetenzen wie Kommunikation, Ergebnis-
technologische Wandel und eine Vorstellung, dass die               orientierung, Team- und Lernfähigkeit. Branchenvertre-
Papierbranche umweltverschmutzend sei.64 In Deutsch-               ter argumentieren, dass modulares, lebenslanges Lernen
land sind insbesondere die neuen Bundesländer von der              stärker ausgebaut werden sollte sowie Mentorat und die
demografischen Alterung sowie der Abwanderung von                  Validierung von Qualifikationen. Es wurde vorgeschlagen,
Fachkräften tangiert. Wenn in den nächsten Jahren die              gezielte Antizipierungsinstrumente zu entwickeln, um
sogenannten Babyboomer in den Ruhestand gehen, wird                die notwendigen zukünftigen Kompetenzen der Branche
in den Unternehmen der Bedarf an neuen Fachkräften                 frühzeitig zu ermitteln. Darüber hinaus sollten Vorstände
weiter steigen.65                                                  und Personalentwickler bei der Personalplanung und der
                                                                   systematischen Qualifizierung in den Betrieben mehr zu-
Zudem nimmt für viele Beschäftigte, insbesondere für               sammenarbeiten und Partnerschaften mit Schulen und
Frauen, die Bedeutung von Aspekten wie Arbeitszeit, Fle-           Bildungseinrichtungen stärker ausbauen, um junge Leute
xibilität und Qualität der Arbeit zu, was zum Teil zu ver-         für die Papierbranche zu gewinnen.
stärkten Rollenmustern im Betrieb beitragen kann: Männer
sind in der Schichtarbeit im Produktionsbereich und Frau-
en überwiegend in der Verwaltung, in FuE oder (zuneh-
mend) in den Führungskräfteetagen tätig. Diese Muster
könnten laut Branchenvertretern eine Teil-Erklärung dafür
sein, dass immer noch relativ wenig Frauen in den höchs-
ten Führungspositionen zu finden sind: Dadurch, dass den
Mitarbeiterinnen Erfahrungen in der Produktion fehlen,
könnte ihnen der Aufstieg in die höchsten Führungsposi-
tionen in den Unternehmen erschwert werden.

In der Papierindustrie arbeiten hoch spezialisierte Fach-
kräfte, die sich größtenteils – insbesondere in den klei-
neren Betrieben – die notwendigen technologischen
Innovationen und Prozesse im Arbeitsalltag erschließen,
beim sogenannten „Training on the Job“. Mit steigenden
Qualifikationsanforderungen steigt die Nachfrage nach
höheren Bildungsabschlüssen.66 Einen zunehmenden
Fachkräftemangel prognostizierte das Bundesarbeitsmi-
nisterium (BMAS) bereits in seiner Arbeitsmarktprognose
2013: Für die Papierbranche („Papier- und Druckberufe“)
sagte es bis 2030 einen „Knappheits-Indikator“ von -33
voraus, was im Vergleich mit dem übrigen verarbeitenden
Gewerbe ein relativ hoher Wert ist (Tabelle 1).

Um dem Fachkräftemangel entgegen zu wirken, sind in-
nerbetriebliche sowie unternehmensübergreifende Ini-
tiativen ergriffen worden. Auf europäischer Ebene wurde
2016 eine „Kompetenzagenda“ angenommen, die die
Qualität der Qualifikationen der Arbeitnehmer stärken soll.
Die europäische Industriegewerkschaft IndustriAll und der
europäische Papierverband CEPI haben die europäischen

64
    	 IndustriAll & CEPI 2016.
65
    	 Industrie.de 2019.
66
    	 IG BCE 2016.
67
   	 IndustriAll & CEPI: Zukünftige Kompetenzen für die Papierindustrie: 160040-CEPI-brochure-DE-04.pdf
Sie können auch lesen