RUNTER MIT DER LAST! - Gesunde Arbeit
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Ausgabe 2/2021 www.gesundearbeit.at Eine Initiative von ÖGB und AK RUNTER MIT DER LAST! Muskel- und Skeletterkrankungen vorbeugen Homeoffice Arbeitsmedizin ÖGK Neue Regeln bringen DDr. Karl Hochgatterer: „Stehen vor Bewegungsangebote für Verbesserungen großen Herausforderungen“ Betriebe und Versicherte Seite 5 Seite 12–13 Seite 7
E D I T O R I A L / I N H A L T EDITORIAL | INHALT 3 AKTUELLES Cartoon4 Weißer Hautkrebs erstmals als Berufskrankheit anerkannt 4 Homeoffice-Paket geschnürt 5 Liebe Leserinnen, liebe Leser! Salzburg: Hohe Arbeitsintensität, starke Arbeitsbelastungen 6 Muskel-Skelett-Erkrankungen – dazu gehören etwa Rücken- Ein bewegtes Leben 7 schmerzen sowie Schmerzen im Bereich von Nacken, Schultern Gesunde Arbeitsplätze – Entlasten Dich! 31 und Armen – sind das häufigste arbeitsbedingte Gesundheitspro- blem in Europa. Laut aktuellem Fehlzeitenreport sind mehr als ein ARBEITNEHMERiNNENSCHUTZ Fünftel (21,3 Prozent) aller Krankenstandstage in Österreich darauf Runter mit der Last! 8 zurückzuführen – pro Krankenstand durchschnittlich 15,5 Tage. Arbeitsmedizin vor großen Herausforderungen 12 Aber nicht nur langes Sitzen oder schweres Heben und Tragen schädigen den Muskel-Skelett-Apparat. Auch psychosoziale Fak- In neuem Glanz: Jetzt sechs Leitmerkmalmethoden verfügbar 14 toren können eine Rolle spielen. Studien belegen, dass sich die Belastungen des Muskel-Skelett-Apparates in der Pflege 16 Arbeitsumgebung, die Arbeitsaufgaben, die Arbeitsorganisation, Kopfschmerzen ade 17 die Arbeitsmittel sowie die sozialen Gegebenheiten im Betrieb (Arbeitsklima) in Form von Muskel-Skelett-Beschwerden auswir- Elektromobilität für moderne Baustellen 18 ken können. Nickel-Grenzwert: Nicht genügend? 21 Die Gestaltung gesundheitssichernder und -fördernder Ar- Gesundheitsversprechen oder Marketingmaßnahme? 22 beitsbedingungen ist das oberste Ziel des ArbeitnehmerInnen- schutzes. Dazu braucht es eine menschengerechte Gestaltung Muskel- und Skeletterkrankungen als Berufskrankheiten der Arbeitsbedingungen. Also eine umfassende Belastungser- anerkennen 23 mittlung am Arbeitsplatz, zielgerichtete Unterweisung und Infor- 5G und Senderbau unter der Lupe 33 mation sowie eine „gelebte“ betriebliche Prävention. Darüber hinaus braucht es aber auch gesellschaftspolitische PSYCHISCHE BEL ASTUNGEN Bemühungen, Erwerbsarbeit generell weniger intensiv und belas- Rückendeckung für die Psyche 19 tend zu gestalten sowie Ausgleichs- und Regenerationsmöglich- keiten zu fördern – etwa durch Formen der Arbeitszeitverkürzung AUS DER PR A XIS (bei vollem Lohnausgleich). Aktive Vorbeugung von Muskel- und Skeletterkrankungen am Bau 24 Bernd Wimmer AK-Arbeitnehmerschützer ARBEITSINSPEKTION UNTERWEGS Muskel-Skelett-Erkrankungen in Betrieben verhindern 29 K AMPAGNEN EU-Kampagne: Muskel-Skelett-Erkrankungen verhindern 20 Betriebe brauchen starke Stimmen 32 BUCHTIPPS26 SERVICE30 BROSCHÜREN | IMPRESSUM 34 2/2021 3
A K T U E L L E S CARTOON VON PHILIPP SELLS Weißer Hautkrebs erstmals über Generalklausel als Berufskrankheit anerkannt W eißer Hautkrebs bzw. die medizinische Diagnose „Plat- tenepithelkarzinom oder multiple aktinische Keratosen“ ist in Deutschland seit 2015 als Berufskrankheit anerkannt, nicht Im Sinne der Transparenz sollte weißer Hautkrebs möglichst rasch in die Berufskrankheitenliste aufgenommen werden. Dies bedeutet für die Betroffenen in der Regel auch eine schnellere aber in Österreich. In Deutschland ist weißer Hautkrebs mittler- Entscheidung über die Anerkennung. weile nach Lärmschwerhörigkeit die zweithäufigste Berufskrank- Es gibt noch einen zweiten Fall einer Anerkennung über die heit. In Österreich kommt er in der Berufskrankheitenliste nicht Generalklausel. Eine Kellnerin erkrankte an Lungenkrebs. Sie war vor. Es gibt nun aber einen ersten anerkannten Fall von weißem durch ihre Tätigkeit jahrelang Passivrauch ausgesetzt. Auch diese Hautkrebs bei einem Dachdecker. Seine Erkrankung wurde über Erkrankung ist nun als Berufskrankheit anerkannt worden. die sogenannte „Generalklausel“ im Sozialministerium auf An- Im Regierungsprogramm wurde die Modernisierung der Be- trag der AUVA als Berufskrankheit anerkannt. rufskrankheitenliste angekündigt, allerdings gab es bis jetzt dazu Weißer Hautkrebs wird durch UV-Strahlung verursacht und keine Aktivitäten des Sozialministeriums. betrifft vor allem ArbeitnehmerInnen, die im Freien arbeiten, wie z. B. BauarbeiterInnen, HandwerkerInnen, KellnerInnen auf Hüt- Ingrid Reifinger, ÖGB ten usw. Diese Gruppe umfasst ca. 400.000 ArbeitnehmerInnen ingrid.reifinger@oegb.at in Österreich. Eine Aufnahme in die österreichische Berufskrank- heitenliste ist überfällig. In Analogie zu Deutschland ist in Öster- reich von ca. 400 Fällen pro Jahr auszugehen. 4 2/2021 www.gesundearbeit.at/aktuelles
A K T U E L L E S Homeoffice-Paket geschnürt Die Sozialpartner haben 2020 ein Homeoffice-Paket ausverhandelt. Gewerkschaften und AK konnten dabei Verbesserungen für ArbeitnehmerInnen erreichen. D as Paket benennt arbeits-, steuer- und sozialrechtliche Rahmenbedingungen fürs Homeoffice. Wie schon bisher ist die Arbeit im Homeoffice freiwillig. Arbeitneh- merInnen können nicht dazu gezwungen werden, haben aber auch keinen Rechtsan- spruch gegenüber dem/der ArbeitgeberIn. Die Vereinbarung von regelmäßigem Home- office muss schriftlich erfolgen und ist von beiden Seiten aus wichtigen Gründen mit einmonatiger Frist kündbar. In den Gesetzesmaterialien wird klarge- stellt, dass das ArbeitnehmerInnenschutz- gesetz auch im Homeoffice anwendbar ist. Ausgenommen sind die Bestimmungen, die sich auf die Arbeitsstätte beziehen. Ar- beitgeberInnen haben also sehr wohl die © Adobe Stock / goodluz Pflicht, für Sicherheit und Gesundheits- schutz zu sorgen, insbesondere •• eine Arbeitsplatzevaluierung durchzu- führen, •• für präventivdienstliche Betreuung sowie Die Bestimmungen des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes gelten auch im Homeoffice. •• Information und Unterweisung zu sorgen. Mitbestimmung einzelne ArbeitnehmerIn dem zustimmen. Auch das Arbeitszeit- und Arbeitsruhe- Gibt es einen Betriebsrat, empfiehlt sich Zur Unfallversicherung wird ausdrücklich gesetz gelten bei der Arbeit zu Hause. So eine Betriebsvereinbarung. Dazu wird ein klargestellt, dass der Aufenthaltsort (Ho- ist auf die Einhaltung von Ruhepausen, eigener Betriebsvereinbarungs-Tatbestand meoffice) erfasst ist. Zudem gibt es Haf- Höchstarbeitszeiten und Ruhezeiten zu „Festlegung von Rahmenbedingungen für tungserleichterungen, sollten Haushalts- achten. Arbeit im Homeoffice“ geschaffen. In so angehörige oder Tiere einen Schaden, z. B. Die Arbeitsinspektion ist nicht berech- einer Betriebsvereinbarung können z. B. am Firmenlaptop, verursachen. Dem Geld- tigt, Wohnungen von ArbeitnehmerInnen die Bereitstellung von Arbeitsmitteln, das börsel kommen steuerliche Erleichterungen im Homeoffice zu betreten. Mit deren Zu- Rückkehrrecht vom Homeoffice und Regeln zugute: Unter anderem können Arbeitneh- stimmung ist dies aber möglich. Arbeitneh- zum (pauschalen) Kostenersatz festgelegt merInnen Ausgaben für Drehstuhl, Schreib- merInnen bleibt es somit unbenommen, werden. AK und Gewerkschaften haben tisch und Beleuchtung im Homeoffice in sich an die Arbeitsinspektion zu wenden. sich mit ihrer Forderung, dass die Betriebs- gewissem Ausmaß von der Steuer absetzen. Klargestellt wird, dass ArbeitgeberIn- vereinbarung erzwingbar sein muss, nicht nen die erforderlichen „digitalen Arbeits- durchgesetzt. Der Abschluss ist freiwillig. Petra Streithofer, AK Wien mittel“ zur Verfügung stellen müssen. Bestimmte Maßnahmen benötigen aber petra.streithofer@akwien.at Dazu zählen IT-Hardware, Software, Inter- die Zustimmung des Betriebsrates, bei- netverbindung, Diensthandy etc. Alterna- spielsweise wenn ArbeitgeberInnen Kont- Die Homeoffice-Regeln ab 1.4.2021 tiv kann vereinbart werden, dass der/die rollmaßnahmen, die die Menschenwürde https://tinyurl.com/horegeln ArbeitnehmerIn dies stellt und die Kosten berühren (z. B. per IT), einführen wollen. Homeoffice-Broschüre der AK Wien erstattet bekommt. Gibt es keinen Betriebsrat, muss der/die https://tinyurl.com/hobr2021 www.gesundearbeit.at/aktuelles 2/2021 5
A K T U E L L E S Salzburg: Hohe Arbeitsintensität, starke Arbeitsbelastungen Die Arbeitsbelastungen sind in Salzburg – wie in Österreich – stark gestiegen, der Arbeitsalltag der Salzburger Beschäftigten ist geprägt von hoher Arbeitsintensität. Viele sorgen sich, ob sie ihren derzeitigen Job bis zur Pension durchhalten können. Das zeigt eine aktuelle Auswertung des Salzburger Arbeitsklima Index der AK Salzburg. fen macht. Knapp jede/r Dritte fühlt sich (sehr) durch Zeitdruck am Arbeitsplatz be- lastet. Gegenüber 2019 (18,2 Prozent) hat 70% sich damit die Anzahl fast verdoppelt. 60,7 59,5 Weiters stimmen 20 Prozent (2019: 15 60% Prozent) der Salzburger Beschäftigten der 50,9 Aussage zu, dass sie „dauernd unter Ar- Ständiges Multitasking 50% beitsdruck arbeiten und keine Zeit zu ver- Pausenlos erforderliche Konzentration schnaufen haben“. Hier zeigt sich 2020 ein Anstieg von 30 Prozent gegenüber dem 40% Häufig wechselnde Anforderungen Vorjahr. Über 19 Prozent der Salzburger 31,5 30,8 Beschäftigten geben an, eine psychisch Quelle: Arbeitsklima Index 2020 30% 27,2 Ständiger Arbeitsdruck aufreibende und belastende Arbeit zu ha- Ständige Unterbrechungen ben. 2019 waren es noch knapp 14 Prozent 20% Häufige Wartezeiten (Anstieg von 36 Prozent). und Leerläufe 10% Fokus auf bessere Arbeits- bedingungen Geht es nach den Bedürfnissen der Arbeit- 0% nehmerInnen, ist klar, welche Maßnah- men es braucht, um dieser Entwicklung entgegenzusteuern und bis zur Pension arbeiten zu können: Neben höheren Ein- Die Arbeitsbelastungen der Salzburger ArbeitnehmerInnen sind stark gestiegen. Um die Gesund- heit der Beschäftigten zu erhalten, müssen diese Belastungen reduziert werden. kommen sind es kürzere Arbeitszeiten, eine Verringerung der Stressfaktoren, also weniger psychische Belastung, und ge- D ie aktuellen Daten des Arbeitskli- ma Index 2020 verweisen auf eine hohe Arbeitsintensität der Salzburger Be- läufe sind für 27 Prozent der Beschäftigten ein zentrales Thema. Die durch die Digitalisierung sich rapide sundheitsfördernde Maßnahmen, um die Belastungen zu reduzieren. Ersichtlich wird, dass es nachhaltiger schäftigten. Ca. 60 Prozent der Salzburger verändernden Anforderungen an Beschäf- Veränderungen in der Arbeitswelt bedarf, Beschäftigten arbeiten unter den Bedin- tigte werden vermehrt belastend wahr- um die bestehenden Arbeitsbelastungen gungen hoher Reizintensität, dauerhaften genommen. Der Trend steigender psychi- zu reduzieren und die Gesundheit der Be- Multitaskings und pausenlos erforderli- scher Belastungen wird fortgesetzt. schäftigten erhalten zu können. Es braucht cher Konzentration. Jede/r Zweite berich- eine gerechte Verteilung von Arbeit und tet von häufig wechselnden Anforderun- Arbeitsdruck steigt Einkommen sowie eine Entschleunigung gen. Und knapp jede/r Dritte berichtet von Bei einem genaueren Blick zeigt sich, dass des Arbeitsprozesses. Grundvorausset- dauerndem Arbeitsdruck. Über 30 Prozent es vor allem der (hohe, gegenüber 2019 zung dafür ist eine deutliche Arbeitszeit- der Beschäftigten können sich (eher) nicht abermals gestiegene) Zeit- und Arbeits- verkürzung, weil sie Arbeits- und Zeitdruck ihrer Arbeit widmen, weil sie ständig un- druck ist, der den Salzburger Arbeitneh- herausnimmt und ermöglicht, die Arbeit terbrochen werden. Wartezeiten und Leer- merinnen und Arbeitnehmern zu schaf- auf mehr Köpfe zu verteilen. 6 2/2021 www.gesundearbeit.at/aktuelles
A K T U E L L E S Ein bewegtes Leben Bewegung und Aktivität haben einen großen Einfluss auf unsere körperliche Konstitution und Gesund- heit. Oft fällt es uns schwer, in Bewegung zu kommen. Dabei gibt es sowohl für Betriebe als auch für jede und jeden Einzelne/n einfache Möglichkeiten, um ein bewegteres Leben zu starten. Unser Körper ist für ein aktives Leben ge- macht. Langes Sitzen, Bewegungsman- gel und eine falsche Haltung können zu Verspannungen und Rückenschmerzen führen. Körperliche Inaktivität begünstigt zudem Übergewicht sowie Herz-Kreis- lauf-Erkrankungen und vermindert den Stressabbau. Um diesen Fehlbeanspru- chungen entgegenzuwirken, bietet die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) Bewegungsangebote für Betriebe im Rah- men der Betrieblichen Gesundheitsför- derung und für alle ÖGK-Versicherten im Bundesland Salzburg. Ziele der Angebote sind ein Ausgleich für körperliche und psy- chische Belastung, das Setzen neuer Im- © Chris Hofer_ÖGK Salzburg pulse für mehr Bewegung im Alltag und die Steigerung der Freude an Bewegung. Was können Sie im Betrieb tun? Betriebe, die gemeinsam mit der Sozial- versicherung und den Sozialpartnern im Rahmen des Österreichischen Netzwerks Bei der ÖGK Salzburg gibt es zahlreiche Bewegungsangebote für Versicherte und Betriebe. für Betriebliche Gesundheitsförderung (ÖNBGF) ein Gesundheitsförderungspro- werden. Im Frühjahr 2021 startete wieder allen Menschen die Möglichkeit, sich in jekt umsetzen, werden als BGF-Betrieb das von der ÖGK unterstützte Programm öffentlichen Parks kostenfrei und an der geführt. Ihnen steht die Möglichkeit offen, „Österreich radelt“. Alle Wege mit dem frischen Luft zu bewegen. Das Kurspro- spezielle Bewegungsangebote im Betrieb Rad zählen, egal ob zur Arbeit, zum Ein- gramm wird von den Sportverbänden von der ÖGK in Anspruch zu nehmen. kauf oder zum Sportplatz. Zur kostenlosen ASKÖ, ASVÖ und SPORTUNION gestaltet Hier gibt es eine breite Auswahl. Bewe- Teilnahme werden die geradelten Kilome- und findet in Kooperation mit den Sozial- gungstrainings mit den Schwerpunkten ter online oder über die „Österreich ra- versicherungen und Städten/Gemeinden Rückenfit oder Yoga, MultiplikatorInnen- delt“-App eingetragen. statt. schulungen wie „Mitarbeiter*innen bewe- Für alle, die an einem professionell gen Mitarbeiter*innen“ oder das Erlernen geleiteten Bewegungskurs teilnehmen Österreichische Gesundheitskasse von Ausgleichsübungen im Workshop möchten, bietet die ÖGK in Salzburg kos- in Salzburg, Abteilung Gesundheit „Gestalten und Bewegen“. Wichtig ist, tenlose Aktivgruppen unter dem Mot- Sandra Berger, M.Sc. dass bei den Angeboten nicht nur das indi- to „Beweg dich – gemeinsam aktiv“ an. s.berger@oegk.at viduelle Verhalten, sondern auch betrieb- In den Herz-Kreislauf-Gruppen werden www.gesundheitskasse.at/bgf liche Rahmenbedingungen und das Mitei- Kraft und Ausdauer trainiert. In den nander aufgegriffen werden. Rückenfit-Gruppen wird mit der Stärkung des Rückens Beschwerden und vorzeitigen Weitere Angebote der ÖGK Abnützungserscheinungen vorgebeugt. Auch außerhalb des Betriebs kann jede In den Sommermonaten bietet die In- und jeder Versicherte eigenständig aktiv itiative „Bewegt im Park“ österreichweit www.gesundearbeit.at/aktuelles 2/2021 7
A R B E I T N E H M E R i N N E N S C H U T Z Runter mit der Last! ArbeitnehmerInnen sind tagtäglich mit vielen Belastungen konfrontiert, die zu Muskel- und Skeletter- krankungen (MSE) führen können. Es braucht gesetzliche Vorgaben und ein größeres Bewusstsein für die diesbezüglichen Risiken. Denn viele der Erkrankungen ließen sich durch präventive Maßnahmen verhindern. TEXT Beatrix Mittermann, FOTO Markus Zahradnik B elastungen des Muskel- und Skelett- apparates sind so unterschiedlich wie die Tätigkeiten, die im Zuge des Ar- liche Pakete zahlreiche Belastungen. In der Pflege ergeben sich durch das Heben, Ziehen und Tragen Überbeanspruchungen Erkrankungen hervorrufen, wie Dr. Erich Pospischil, Facharzt für Arbeitsmedizin, betont. Dazu zählen Erkrankungen des beitsalltages verschiedenster Berufs- der Rückenmuskeln und ungleichmäßige Stützapparates (der Wirbelsäule), aber gruppen ausgeführt werden. In den ein- Bandscheibenbelastungen. Bei Berufs- auch der Gelenke (Schultern, Ellenbogen, zelnen Branchen gibt es dafür zahlreiche kraftfahrerInnen kommt es durch die lang Knie) sowie kleiner Gelenke (Fußwurzel Beispiele: und Handwurzel). Aber auch chronische So stellen Tätigkeiten, die am Boden Erkrankungen sowie entzündliche Erkran- verrichtet werden, wie beispielsweise bei kungen (Rheuma) können auftreten. Zu FliesenlegerInnen, vor allem eine starke Je mehr Abwechslung unterscheiden ist zudem zwischen akuten Belastung der Knie dar. In der Produkti- in den Bewegungen Erkrankungen, wie beispielsweise einem on ruft die Fließbandarbeit aufgrund der ist, desto besser fühlt Bandscheibenvorfall oder Unfällen (zum repetitiven Tätigkeit und Schnelligkeit Beispiel Muskeleinrisse oder Knochenbrü- eine Daueranspannung der Rücken- und sich der Körper. che), und Muskelerkrankungen, die durch Armmuskeln hervor. Wenn am Bau Arbei- Überbeanspruchung, Fehlbeanspruchung ten über Kopf ausgeführt werden müs- oder Verhärtungen im Muskelbereich her- sen, wie beispielsweise beim Bedienen andauernde sitzende Tätigkeit zu Über- vorgerufen werden. eines Bohrers über Kopf, bedeutet das lastungen der Rückenmuskeln, ungleich- eine Daueranspannung von Muskeln und mäßiger Bandscheibenbelastung sowie Unterschiedliche Belastungen eine statische Überbelastung. Arbeiten in Blutstauung in den Beinen. Darüber hi- Bei den Belastungen des Muskel- und gebückter Haltung über einen längeren naus stellen je nach Straßenverhältnissen Skelettapparates wird unterschieden Zeitraum können zu einer Verbiegung der Schwingungen und Stöße eine zusätzliche zwischen Fehlbelastungen und Über- Wirbelsäule führen. Im Handel kommt es Belastung für den Muskel- und Skelettap- belastungen. Neben schwerem Heben beim Einräumen von Regalen zu einer kör- parat dar. und Tragen sind auch einseitige Zwangs- perlichen Belastung durch das ständige Dies sind nur einige Beispiele, die ver- haltungen und Dauerbelastungen ohne Hocken und Strecken, die die Rückenmus- deutlichen, wie vielfältig die Belastungen Abwechslung schädlich für den Körper. kulatur überlastet und zu einer schlechten im Berufsalltag sein können und wie viele Grundsätzlich gilt: Je mehr Abwechslung Durchblutung der Beinmuskeln führt. Bei Tätigkeiten davon betroffen sind. in den Bewegungen ist, desto besser fühlt PaketzustellerInnen, die besonders seit sich der Körper. Beginn der Corona-Pandemie vermehrt Arten von Muskel- und Wenn es darum geht, die Belastungen im Einsatz sind, ergeben sich aufgrund Skeletterkrankungen zu klassifizieren, so kann in körperliche der Geschwindigkeit, der Fehlbelastun- Wie diese Beispiele bereits zeigen, kön- und psychische Faktoren unterteilt wer- gen sowie durch ungünstige Verhältnisse nen die Belastungen auf den Muskel- den (Quelle: AK-Broschüre „Heben und wie Stockwerke ohne Lift oder unhand- und Skelettapparat unterschiedliche Tragen leicht gemacht“): 8 2/2021 www.gesundearbeit.at/arbeitnehmerschutz
A R B E I T N E H M E R i N N E N S C H U T Z Belastungen des Muskel- und Skelett- apparates können zu Erkrankungen des Stützapparates (der Wirbelsäule), aber auch der Gelenke (Schultern, Ellenbogen, Knie) sowie kleiner Gelenke (Fußwurzel und Handwurzel) führen. www.gesundearbeit.at/arbeitnehmerschutz 2/2021 9
A R B E I T N E H M E R i N N E N S C H U T Z Bei Fließbandarbeit kann es zu Fehlbelastungen und Überlastungen des Muskel- und Skelettapparates kommen. © Adobe Stock / Nejron Photo Körperliche Belastungen Psychische Belastungen •• Belastungsarten •• Zwangshaltungen des Körpers: Auch psychische Belastungen haben eine •• Belastungsstärke zum Beispiel länger dauerndes Stehen, Auswirkung auf das Auftreten und die •• Belastungsanzahl Sitzen, Bücken, Knien, Hocken etc. Ausprägung von Rückenbeschwerden •• Belastungshäufigkeit •• Daueranspannung von einzelnen und können zu Fehlbeanspruchungen des •• Belastungsdauer Muskeln: zum Beispiel Bohrmaschine Muskel- und Skelettsystems führen: über Kopf halten, Tragen einer Last etc. •• Arbeitsunzufriedenheit Auch die Eigenschaften der Person sowie •• Rasche Bewegungswiederholungen: •• Monotonie das Belastungsumfeld haben Auswirkun- zum Beispiel ständig wiederholte •• Schlechte Arbeitsbeziehungen und gen auf das Entstehen von MSE. Beim und rasche Bewegungsabläufe wie Rollenkonflikte Belastungsumfeld spielen unter anderem Tastaturarbeit, Schraubendrehen, •• Widersprüchliche Zielsetzungen Faktoren wie Hitze, Kälte, Lichtverhältnis- Fließbandarbeit etc. •• Arbeitsstress, Zeitdruck und se, der Bewegungsraum oder die Boden- •• Hohe Muskelanstrengung: zum Arbeitstempo beschaffenheit eine Rolle. Beispiel Sand schaufeln, Gehen mit •• Fehlende Entscheidungsmöglichkeiten einer Last etc. •• Geringe Anerkennung ArbeitnehmerInnenschutz •• Schwingungen und Vibrationen: •• Wahrgenommene Gefährlichkeit der großschreiben zum Beispiel Vibrationen, die über Arbeit Laut aktuellen Angaben der Arbeitsin- Kontakt der Hände und Arme mit •• Emotionale Anstrengung spektion sind etwa 20 Prozent aller Kran- Maschinen wirken (über einen Bohr- kenstände auf Muskel- und Skeletterkran- hammer oder eine Schleifmaschine) Wie stark sich diese körperlichen und psy- kungen (MSE) zurückzuführen. In einer eu- oder die über Kontakt der Füße, Beine chischen Belastungen auf den Muskel- ropäischen Erhebung der EU-OSHA über bzw. des gesamten Körpers mit und Skelettapparat auswirken, hängt von die Arbeitsbedingungen aus dem Jahr 2015 Maschinen und Fahrzeugen wirken mehreren Faktoren ab (Quelle: AK-Bro- gaben sogar rund 3 von 5 ArbeitnehmerIn- (Traktoren, Gabelstapler, Kompresso- schüre „Heben und Tragen leicht ge- nen an, unter Muskel- und Skeletterkran- ren, Stanzen etc.) macht“): kungen zu leiden, wobei Schmerzen im 10 2/2021 www.gesundearbeit.at/arbeitnehmerschutz
A R B E I T N E H M E R i N N E N S C H U T Z Rücken und in den oberen Gliedmaßen am was sich durch Schmerzen im Bereich der gewartet werden, bis es zu spät ist. Wenn häufigsten genannt wurden. Handwurzel bemerkbar machte. Zwar man von akuten Verletzungen absieht, Was es vor allem braucht, um die Be- kann durch eine Operation in diese chro- sind MSE vor allem Erkrankungen, die lastungen des Muskel- und Skelettappa- nische Erkrankungsform eingegriffen häufig eine lange Latenzzeit aufweisen. rates zu verringern, sind verbindliche ge- werden, doch was es laut Dr. Pospischil Das bedeutet, dass die körperlichen Aus- setzliche Vorgaben. Ein großer Kritikpunkt in einem solchen Fall vor allem braucht, wirkungen oft nicht sofort sichtbar sind, der ArbeitnehmervertreterInnen ist, ist eine Intervention am Arbeitsplatz, die sondern erst über einen längeren Zeit- dass es keine Verordnung für das Heben die ergonomischen Verhältnisse verbes- raum bzw. ab einem gewissen Alter auf- und Tragen gibt. Hier müssten dringend sert. Durch den Einsatz einer Handauflage treten. Obergrenzen für Einzellasten und Gren- konnten bereits wesentliche Verbesse- zen für maximal zulässige Gesamtlasten rungen erzielt werden, sodass der chroni- Fokus Prävention pro Tag festgelegt werden. Zwar gibt es sche Verlauf der Erkrankung unterbrochen Dies macht den Stellenwert von Präventi- im Mutterschutz sowie im Jugendschutz werden konnte und eine Operation nicht on deutlich. Denn jede Erkrankung – egal gesetzliche Obergrenzen, aber im Arbeit- mehr nötig war. ob Rückenschmerzen oder Verschleißer- nehmerInnenschutz existieren lediglich krankungen bei Arm- und Fußgelenken, Empfehlungen, die rechtlich nicht ver- Knien und Bandscheiben –, die bereits von bindlich sind. „Bis dato gibt es keine Ver- vornherein vermieden wird, erspart in der Es sollte niemals ordnung zur Lastenhandhabung“, kriti- Zukunft körperliches Leid der Arbeitneh- siert Dr. Pospischil. gewartet werden, merInnen bzw. im schlimmsten Fall sogar Die systematische Ermittlung von Ge- bis es zu spät ist. eine Arbeitsunfähigkeit. Darüber hinaus fahren am Arbeitsplatz (Arbeitsplatzeva- reduzieren heute gesetzte präventive luierung) ist ein wichtiger Schritt in Rich- Maßnahmen auch Krankenstände in der Quelle: AK-Broschüre „Heben und Tragen leicht gemacht“ tung gesündere Arbeitsbedingungen und Zukunft sowie Kosten für ambulante und die Eindämmung der Belastungen. Nur Ein weiterer Fall betraf einen Arbeitneh- stationäre Behandlungen oder Rehabilita- so kann proaktiv gehandelt und sicherge- mer, der aufgrund der repetitiven Tä- tions- und Therapiemaßnahmen. stellt werden, dass Erkrankungen gar nicht tigkeit am Fließband an einem Tennisel- Wichtig sind laut Dr. Pospischil ausrei- erst auftreten. lenbogen litt. Dies schränkte ihn in den chende Erholungspausen zwischen den Drehbewegungen der Hände ein, was zu Tätigkeiten, Ausgleichsübungen, Arbeits- Nicht warten, bis es zu spät ist einem Kraftverlust und zu vermehrten hilfen, die die Belastungen reduzieren, er- Arbeitsmediziner Dr. Erich Pospischil kennt Krankenständen führte. Die Behandlung gonomische Anpassungen des Arbeitsbe- einige Beispiele aus seinem Berufsalltag, ist mit vielen Strapazen verbunden, doch reiches sowie ein stärkeres Bewusstsein bei denen er mit den Auswirkungen von schon minimale Änderungen im Bewe- für die Gefahren durch regelmäßige Schu- Belastungen des Muskel- und Skelettap- gungsablauf können eine solche Erkran- lungen, Beratungen und ein entsprechen- parates konfrontiert war. So berichtet er kung verhindern. Dr. Pospischil betont des Trainingsangebot. von einer Arbeitnehmerin, die im Bürobe- daher die Wichtigkeit von präventiven reich tätig ist und aufgrund des abgewin- Maßnahmen, um solche Erkrankungen AK-Broschüre kelten Handgelenks bei der Bildschirmar- gar nicht erst entstehen zu lassen. Denn „Heben und Tragen leicht gemacht“ beit an einem Carpaltunnelsyndrom litt, der Grundsatz lautet: Es sollte niemals https://tinyurl.com/hutlg Wenn Belastungen täglich über Wochen, Monate und Jahre auftreten, dann nimmt auch die Wahrscheinlichkeit, davon krank zu werden, stark zu. www.gesundearbeit.at/arbeitnehmerschutz 2/2021 11
A R B E I T N E H M E R i N N E N S C H U T Z Arbeitsmedizin vor großen Herausforderungen Der Facharzt für Arbeitsmedizin und hauptberufliche Leiter des Arbeitsmedizinischen Zentrums Perg, DDr. Karl Hochgatterer, M.Sc., trat mit Anfang 2021 die Präsidentschaft in der etablierten Österreichi- schen Gesellschaft für Arbeitsmedizin (ÖGA) an. Gleichzeitig ist er seit Oktober 2019 Präsident der Österreichischen Akademie für Arbeitsmedizin und Prävention (AAMP) – die marktbeherrschende arbeitsmedizinische Ausbildungsstätte in Österreich. Damit steht erstmals seit vielen Jahren wieder eine Person beiden Organisationen vor. „Gesunde Arbeit“ fragt nach, wie es mit der Arbeitsmedizin weitergeht. INTERVIEW Alexander Heider, AK Wien | FOTOS Markus Zahradnik Welche wichtigsten Herausforderungen gehen Sie an? Am Beginn meiner Funktion als AAMP-Präsident stand die Formulierung eines neuen, zeitgemäßen Berufsbildes ArbeitsmedizinerIn, das den Beruf als at- traktives Aufgabengebiet darstellt. Dieses Berufsbild wurde im vergangenen Jahr publiziert und bildet eine wesentliche Grundlage für eines der wichtigsten Ziele überhaupt: die Erhöhung des Images der Arbeitsmedizin als herausfordernde, in- terdisziplinäre Tätigkeit. Aufgrund der de- mografischen Entwicklung brauchen wir nämlich unbedingt zahlreichen arbeits- medizinischen Nachwuchs. Weiters ist vor Kurzem ein Buch mit dem Titel „Basiswissen Arbeitsmedizin“ erschienen, welches das Standardwerk für die arbeitsmedizinische Ausbildung in Ös- terreich werden soll. Qualitätssicherung bei arbeitsmedizinischen Ausbildungsein- richtungen ist mir nämlich ebenfalls ein wichtiges Anliegen. Und schließlich möch- te ich auch die Basis dafür schaffen, dass geschultes arbeitsmedizinisches Fachper- sonal zu einer strukturellen Entlastung der ArbeitsmedizinerInnen beiträgt. Wie kann das Image der Arbeitsmedizin verbessert werden? Professionelle Öffentlichkeitsarbeit ist er- forderlich, um die MedizinerInnen für das „Eine kompetente arbeitsmedizinische Betreuung ist wesentlich für das Funktionieren des Fach zu gewinnen. Uns schwebt ein ziel- betrieblichen Alltags.“ gruppenorientiertes PR-Konzept vor, das 12 2/2021 www.gesundearbeit.at/arbeitnehmerschutz
A R B E I T N E H M E R i N N E N S C H U T Z „Die präventivmedizinische Beratungs- kompetenz der ArbeitsmedizinerInnen ist während der Corona-Krise noch mehr gefordert als sonst.“ DDr. Karl Hochgatterer, M.Sc. auch langfristig und nachhaltig wirksam April 2021 unter das Motto „Arbeitsmedi- de Aufgabenstellungen auch unmittelbar wird. Und wir brauchen wissenschaftli- zin in Zeiten der Pandemie“ gestellt und zu bearbeiten. che Leuchttürme! Die Schaffung eines bei dieser Veranstaltung allen KollegInnen Bewusstseins, dass es ohne Förderung der fundierte Fachinformationen gegeben. Was können ArbeitsmedizinerInnen in universitären Arbeitsmedizin, z. B. durch den Betrieben zur EU-Kampagne „Gesun- Einrichtung von Arbeitsmedizin-Instituten de Arbeitsplätze – Entlasten Dich!“ bei- an allen Medizin-Universitäten, nicht ge- tragen? lingen kann, ein aktuell gehaltenes wissen- „Ich möchte das Erkrankungen des Stütz- und Bewegungs- schaftliches Fundament zu legen. apparates sind nach wie vor sehr häufig. Image der Arbeits- ArbeitsmedizinerInnen verfügen über Die Corona-Krisenzeit fordert uns alle. medizin als heraus- Kenntnisse in Ergonomie, das heißt in der Wo hilft da die Arbeitsmedizin? fordernde, interdis- menschengerechten Gestaltung von Ar- Mit Ausnahme von Gesundheitseinrich- beit und Arbeitsplätzen. Dieses Wissen tungen sind ArbeitsmedizinerInnen die ziplinäre Tätigkeit um die Gesundheitsschäden und deren einzigen ExpertInnen in den Unterneh- erhöhen.“ Verhütung können ArbeitsmedizinerIn- men, die dem Management und den Be- nen zur fundierten Beratung sowohl der schäftigten als Ansprechpersonen in allen betroffenen Menschen als auch in die Ar- Fragen rund um die Corona-Pandemie beitsgestaltung im Betrieb einbringen. Die unmittelbar und niederschwellig zur Ver- Kommt dann nicht der ArbeitnehmerIn- Beratung berücksichtigt damit verhältnis- fügung stehen. Die präventivmedizinische nenschutz mit den mageren Mindestein- und verhaltenspräventive Aspekte. Beratungskompetenz der Arbeitsmedizi- satzzeiten zu kurz? nerInnen ist hier noch mehr gefordert als In besonderen Zeiten wie diesen erkennen Wo soll die Arbeitsmedizin in fünf Jahren sonst, weil häufig Ängste bestehen und Unternehmen, dass eine kompetente ar- stehen? leider „Fake News“ viel an Unsicherheiten beitsmedizinische Betreuung wesentlich Ich würde gerne in fünf Jahren zurückbli- auslösen. Aufgrund des bestehenden Ver- für das Funktionieren des betrieblichen cken und feststellen, dass es uns gelungen trauensverhältnisses zum Arzt/zur Ärztin Alltags ist. Die aktuelle Pandemie ist nun ist, eine ausreichende Zahl an Mediziner- im Betrieb kommt den Arbeitsmedizine- einmal das bestimmende Gesundheits- Innen für den Beruf begeistert und ausge- rInnen hier eine wichtige Informations- thema und die Anstrengungen gegen ihre bildet zu haben. Um diese Entwicklung als und Kommunikationsrolle zu. Durch die Ausbreitung stehen verständlicherweise nachhaltig bezeichnen zu können, möchte Einbindung in Teststrategien und in die im Fokus. Ich erlebe in den von mir be- ich dann auch das Licht von mindestens Impfkampagne können Arbeitsmedizine- treuten Betrieben durchwegs, dass Zeitli- drei Leuchttürmen an den Medizin-Uni- rInnen eine zentrale Rolle für große Teile mits im Moment kein großes Thema sind. versitäten Österreichs leuchten sehen. der Bevölkerung im Setting Arbeit einneh- Dort, wo arbeitsmedizinische Expertise men. Die ÖGA hat naheliegenderweise benötigt wird, wird sie auch angefragt, www.aamp.at das 22. Wiener Forum Arbeitsmedizin im und wir sind angehalten, akut auftreten- www.gamed.at www.gesundearbeit.at/arbeitnehmerschutz 2/2021 13
A R B E I T N E H M E R i N N E N S C H U T Z In neuem Glanz: Jetzt sechs Leit- merkmalmethoden verfügbar Durch das Projekt „MEGAPHYS“ wurden die drei bekannten Leitmerkmalmethoden zur Evaluierung körperlicher Arbeitsbelastungen neu adaptiert und durch drei weitere ergänzt. Damit stehen aktuali- sierte und treffsichere Methoden im Kampf gegen Muskel-Skelett-Erkrankungen zur Verfügung. Jetzt heißt es nur noch richtig anpacken bei der Arbeitsplatzevaluierung! M uskel-Skelett-Erkrankungen (MSE) gehören weiterhin zu den häu- figsten arbeitsbedingten Erkrankungen in Europa – Österreich miteingeschlossen. Trotz technischem Fortschritt in der Ar- beitsgestaltung werden auch zukünftig die körperlichen Arbeitsbelastungen, nicht zuletzt aufgrund des demografischen Wandels, eine Rolle spielen. Die Präventi- on von MSE ist mehr gefragt denn je. Auf Basis neuer wissenschaftlicher Erkennt- nisse bei deren Bewertung und aufgrund © Adobe Stock / jannoon028 anstehender Kampagnen rückt das Thema wieder stärker in den Fokus! Gesundheitsgefahren am Arbeitsplatz entdecken und bewerten Die Evaluierung – in Deutschland „Gefähr- dungsbeurteilung“ – von Belastungen am Arbeitsplatz bildet die Basis für die Prä- Zeitgemäße Bewertungen von körperlichen Belastungen für einen besseren Schutz der vention von Gesundheitsschäden. Durch ArbeitnehmerInnen. die detaillierte Analyse und Bewertung von Tätigkeiten können Maßnahmen zur Von der Arbeitswissenschaft auf geben. Insgesamt sind nun sechs Metho- besseren Arbeitsgestaltung und der da- die Anwenderebene den zur Beurteilung von unterschiedlichen mit einhergehenden körperlichen Entlas- Nachdem seit 2013 die betriebliche Prä- körperlichen Belastungsarten vorhanden, tung der ArbeitnehmerInnen entwickelt vention von Muskel-Skelett-Erkrankun- die für Präventivfachkräfte und Exper- werden. In Deutschland gibt es seit vielen gen ein Schwerpunkt der Deutschen tInnen anderer Disziplinen eine wichtige Jahren eine Tradition bei der wissenschaft- Gemeinsamen Arbeitsschutzstrategie Grundlage schaffen, um Gefahren durch lichen Bearbeitung dieses Themas. (GDA) ist, wurde das umfangreiche Pro- körperliche Belastungen besser zu beurtei- Alles begann im Jahr 2001, als die erste jekt „MEGAPHYS“ (Mehrstufige Gefähr- len. Allein die Vorstudie zur Erprobung der „Leitmerkmalmethode“ zur Beurteilung dungsanalyse physischer Belastungen am LMM umfasste 40 Unternehmen, mehr von manuellem Heben, Tragen und Halten Arbeitsplatz) durch die Bundesanstalt für als 200 betriebliche AkteurInnen und ca. von Lasten von der deutschen Bundesan- Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) 600 Tätigkeitsbewertungen. Durch an- stalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedi- und die Deutsche Gesetzliche Unfallver- schließende Modifizierung und Prüfung zin (BAuA) herausgegeben wurde. 2002 sicherung (DGUV) gestartet. Im Rahmen der Gütekriterien stehen nun arbeitswis- und 2012 folgten zwei weitere Leitmerk- des Gemeinschaftsprojektes wurden die senschaftlich gesichert sechs neu- und malmethoden zum manuellen Ziehen und drei vorhandenen Leitmerkmalmethoden weiterentwickelte Leitmerkmalmethoden Schieben von Lasten und zu manuellen Ar- weiterentwickelt und drei weitere neue zur Verfügung, die zur Anwendung in der beitsprozessen. Leitmerkmalmethoden (LMM) herausge- Praxis empfohlen werden. 14 2/2021 www.gesundearbeit.at/arbeitnehmerschutz
A R B E I T N E H M E R i N N E N S C H U T Z Die neuen Leitmerkmalmethoden baus Druck zu erzeugen. Dabei sollte am im Detail Anfang eine fachgerechte Bewertung der Die Diskussion um eine Die neuen Leitmerkmalmethoden ermög- realen, körperlichen Belastungen stehen. lichen das Erkennen von Defiziten bei Die neuen LMM können die unterschied- verbesserte, ergonomi- der Arbeitsgestaltung. Weiters geben sie lichen Belastungsarten im Zuge der Ar- sche Gestaltung von Hinweise auf Maßnahmen, die das Risiko beitsplatzevaluierung jetzt detaillierter für negative gesundheitliche Auswirkun- erfassen und bewerten. Präventivfach- Arbeitsplätzen oder gen verringern können. Sie zählen zu den kräfte und andere ExpertInnen haben Arbeitsabläufen wird im Screening-Methoden, setzen aber eine damit ein zeitgemäßes Instrument zur Regelfall kaum geführt. gute Kenntnis der zu beurteilenden Arbeits- Hand, um Fehlbelastungen zu erkennen, plätze voraus. Die neuen Methoden haben zu vermeiden oder so weit wie möglich zu umfangreiche Prüfungen der Gütekriterien durchlaufen und können jetzt in der Praxis eingesetzt werden. Die sechs LMM unter- teilt in folgende Belastungsarten: •• LMM-HHT: Manuelles Heben, Halten und Tragen von Lasten •• LMM-ZS: Manuelles Ziehen und Schie- ben von Lasten •• LMM-MA: Manuelle Arbeitsprozesse •• LMM-GK: Ganzkörperkräfte •• LMM-KH: Körperzwangshaltung •• LMM-KB: Körperfortbewegung © Adobe Stock / Pormezz Auf www.baua.de stehen die Formblätter zum kostenlosen Download zur Verfü- gung. Erkenntnisse auf der betrieblichen Ebene noch weit entfernt Wissenschaftliche Grundlagen gibt es seit 2001 aufgrund der LMM – gleichzei- tig ist seit Jahrzehnten das Dauerproblem In der Beratung und in Gesprächen mit BetriebsrätInnen zeigt sich schnell, dass konkrete Erkran- Muskel-Skelett-Erkrankungen vorhanden! kungen immer wieder als individuelles Problem der ArbeitnehmerInnen abgetan werden. Wie passt das zusammen bzw. woran hakt es hier? In der Beratung und in Ge- minimieren. Nun muss es nur noch auf der Deutschland regelt seit Langem eine Ver- sprächen mit BetriebsrätInnen zeigt sich betrieblichen Ebene angewandt werden. ordnung die betrieblichen Pflichten bei schnell, dass konkrete Erkrankungen im- körperlich belastenden Arbeiten. In Ös- mer wieder als individuelles Problem der Gesetzliche Verordnung in terreich fehlt diese jedoch weiterhin. Ar- ArbeitnehmerInnen abgetan werden. Das Österreich notwendig beiterkammern und Gewerkschaften Abschieben auf die persönliche Ebene Die neuen Leitmerkmalmethoden werden fordern diese Verordnung ein – damit die der ArbeitnehmerInnen (und deren Sport- auf ExpertInnenebene für einen neuen Prävention in diesem Bereich endlich vor- oder Freizeitverhalten) verlagert das The- Impuls sorgen, wie auch die kommende anschreitet. ma raus aus dem Betrieb. Die Diskussion europäische Kampagne zu MSE. Nationale um eine verbesserte, ergonomische Ge- Kampagnen von Unfallversicherungsträ- Marlene Zemann, AK Wien staltung von Arbeitsplätzen oder Arbeits- gern und Projekte in Vorzeigebetrieben marlene.zemann@akwien.at abläufen wird im Regelfall kaum geführt. werden für einen gewissen Rückenwind Harald Bruckner, AK Wien Es sei denn, ein Betriebsrat oder ein/e en- sorgen. Erfahrungen und Umfragen zei- harald.bruckner@akwien.at gagierte/r ArbeitsmedizinerIn nimmt sich gen aber, dass es neben Bewusstseinsbil- des Themas an. Im Regelfall wird versucht, dung auch gesetzliche Mindestvorgaben BAuA-Infos zur Arbeitsplatzevaluierung mit dem Totschlagargument der Kosten braucht, damit Prävention großflächig mit den Leitmerkmalmethoden eines eventuell nötigen Arbeitsplatzum- auf betrieblicher Ebene gelebt wird. In https://tinyurl.com/baua221 www.gesundearbeit.at/arbeitnehmerschutz 2/2021 15
A R B E I T N E H M E R i N N E N S C H U T Z Belastungen des Muskel- Skelett-Apparates in der Pflege Ungünstige Bewegungen und übermäßiges Heben bei der Pflegearbeit sowie fehlende technische Aus- stattung können zu Belastungen des Muskel-Skelett-Apparates von Pflegekräften führen. Um dies zu verhindern, braucht es mehr Bewusstsein durch präventive Maßnahmen und regelmäßige Schulungen. P flegekräfte leisten tagtäglich essenzi- elle Arbeit und sind wichtige Bezugs- personen für pflegebedürftige Menschen. beim Aufstehen und Gehen, beim Heben in den Rollstuhl, aber auch die Hilfestel- lung bei täglichen Barrieren wie etwa tont Guglberger. In der mobilen Pflege sind die Standards jedoch sehr unter- schiedlich. In privaten Haushalten ist Im Zuge ihrer Arbeit kommt es jedoch Treppen. In der mobilen Pflege kommen nicht immer die modernste bzw. ergono- immer wieder zu Belastungen ihres Mus- oft auch noch Tätigkeiten wie Einkaufen mischste Ausstattung vorhanden. Nicht kel-Skelett-Apparates – durch Heben und hinzu und in ländlichen Bereichen das jede Wohnung in höheren Stockwer- Tragen, vor allem aber auch durch ungüns- Schneeschaufeln von Ausfahrten, um ken ist mit einem Aufzug ausgestattet, tige Bewegungen, weiß Michaela Guglber- überhaupt freie Zufahrt zum Arbeitsort in nicht überall ist ein barrierefreier Zugang ger, Fachbereichssekretärin der Gewerk- einem privaten Haushalt zu erlangen. „Das möglich, nicht jedes Badezimmer ver- schaft vida für den Fachbereich Soziale sind Tätigkeiten, die nicht zu den Haupt- fügt über einen Lifter (Hebehilfe). „Vor Dienste: „Oft werden falsche Bewegungen aufgaben von PflegerInnen gehören, die allem im mobilen Bereich, wo Pflegekräf- aus Zeitmangel durchgeführt oder weil un- daher häufig auch nicht gesehen werden, te in privaten Haushalten arbeiten, ist es ter Druck keine Zeit bleibt, nachzudenken.“ aber dennoch erledigt werden müssen“, schwierig, ArbeitnehmerInnenschutzbe- © Adobe Stock / Tyler Olson gibt Guglberger zu bedenken. stimmungen einzuhalten“, so Guglberger. Viele körperliche Belastungen „Natürlich gibt es auch moderne Haus- Ihr zufolge gibt es bei der Pflegearbeit vie- Unterschiedliche Standards halte bzw. Angehörige, die dafür sorgen, les, das den Muskel-Skelett-Apparat einer „Vor allem im stationären Umfeld ist in dass Pflegekräften alles zur Verfügung Pflegekraft belastet: die Unterstützung den letzten 20 Jahren viel passiert“, be- steht, was ihnen den Arbeitsalltag er- leichtert. Aber es ist wichtig, in den ande- ren Haushalten auch die heutigen Stan- dards einzuführen.“ Prävention ist wichtig Richtiges Heben und Bewegen wird in zeitkritischen Situationen oft vergessen. „Deswegen braucht es regelmäßige Schu- lungen“, fordert Guglberger. Ebenso sind Angebote zur Rückengymnastik wichtig und dass regelmäßige Ausgleichsbewe- gungen durchgeführt werden. „Es muss noch mehr Bewusstsein geschaffen wer- den. Mit Prävention muss bereits in jungen Jahren begonnen werden, um Schäden im weiteren Berufsleben zu verhindern. Jede in Prävention investierte Stunde spart Schmerzen und Krankenstände in der Zu- kunft – damit ArbeitnehmerInnen länger in Gesundheit leben können.“ Beatrix Mittermann Hebehilfen (Lifter) entlasten den Muskel-Skelett-Apparat der Pflegekräfte. beatrix.mittermann@oegbverlag.at 16 2/2021 www.gesundearbeit.at/arbeitnehmerschutz
A R B E I T N E H M E R i N N E N S C H U T Z Kopfschmerzen ade Nach längerem Arbeiten im Homeoffice können Kopfschmerzen vermehrt auftreten. Nur Symptome zu lindern, hilft kaum. Die ergonomische Gestaltung des Arbeitsplatzes und Bewegungspausen beugen dem Schmerz vor. S eitdem Lea S. im Homeoffice arbei- tet, leidet sie sehr häufig unter Kopf- schmerzen. Obwohl sie sich über die dadurch gewonnene Zeit – Lea S. hatte bisher immer einen langen Arbeitsweg – ursprünglich gefreut hatte, wurde ihr der Arbeitsalltag mittlerweile zur Qual. Lea S. versuchte die Schmerzen zunächst mit der Einnahme von Kopfschmerztabletten zu lindern. Doch Selbstmedikation hat ihre Grenzen, denn die häufige Einnahme von Kopfschmerztabletten kann auch zu einer Chronifizierung der Schmerzen führen. Chronische Kopfschmerzen schränken die Lebensqualität ein Ein großer Teil der österreichischen Bevölke- © Adobe Stock / sebra rung leidet regelmäßig unter Kopfschmer- zen, weshalb dies als weitverbreitetes Gesundheitsproblem nicht außer Acht zu lassen ist. Oft klagen PatientInnen nicht nur über unerträgliche stechende, pochen- de oder hämmernde Schmerzen, sondern Zwangshaltungen bei Bildschirmarbeitsplätzen sind oftmals Ursache von Kopfschmerzen. auch über Begleiterscheinungen wie Übel- keit, Schwindel- und Nackenschmerzen, schirm, separate Tastatur und Maus, hö- Gestaltung ihres Bildschirmarbeitsplat- Überempfindlichkeit gegen Lärm und Licht, henverstellbarer Tisch mit ausreichender zes zu finden. Lea S. wurde von ihrem Ar- allgemeine Konzentrationsschwäche und Arbeitsfläche, höhenverstellbarer Büro- beitgeber weder ein Monitor noch eine Sehstörungen. Darüber hinaus können drehstuhl) zu achten. Tastatur zum Einsatz im Homeoffice zur chronische Schmerzen in schlimmeren Fäl- Neben der Verhältnisprävention (z. B. Verfügung gestellt. Sie arbeitete täglich len zu Depressionen führen. gute Arbeitsplatzergonomie) kann auch mit einem Laptop, was zu einer perma- das richtige Verhalten Kopfschmerzen vor- nent vorgebeugten Haltung, Verspannun- Ursachen entdecken – Schmerzen beugen. Hilfreich sind regelmäßige Pausen gen im Nacken und schließlich zu diesen vorbeugen an der frischen Luft und Bewegung nach unerträglichen Spannungskopfschmerzen Hinter Kopfschmerzen können verschie- mehrstündigen, sitzenden Tätigkeiten. Die führte. denste Ursachen stecken. Oft wird Stress optimale Verteilung der Arbeitszeit bei Bü- als Ursache genannt. Doch chronische roarbeit besteht aus 50 Prozent Sitzen, 25 Marlene Zemann, AK Wien Kopfschmerzen, die keinen organischen Prozent Stehen und 25 Prozent Bewegen. marlene.zemann@akwien.at Befund aufweisen, sind oft auch auf Fehl- Zusätzlich sind kurze Nackenmassagen haltungen im Kopf-Nacken-Bereich und – welche in 5-minütigen Arbeitspausen Bildschirmpause mit den Verspannungen in der Muskulatur zurück- Platz haben – mit einem Faszien-Massa- 12 Bildschirm-Tibetern zuführen. Gerade bei ArbeitnehmerInnen, ge-Ball hilfreich, um so die Verspannungen https://tinyurl.com/bstibeter die einer Bildschirmarbeit nachgehen, ist zu lockern. auf die richtige Ergonomie des Arbeits- Auch bei Lea S. war schlussendlich der platzes (z. B. großer reflexionsarmer Bild- Auslöser für ihre Kopfschmerzen in der www.gesundearbeit.at/arbeitnehmerschutz 2/2021 17
A R B E I T N E H M E R i N N E N S C H U T Z Elektromobilität für moderne Baustellen Der massive Abgasausstoß durch Baumaschinen und die damit einhergehende Schadstoff- und Lärmexposition werden auf Baustellen oftmals unhinterfragt von ArbeitnehmerInnen hingenommen. Dabei liegen enorme Verbesserungsmöglichkeiten durch die Elektromobilität auf der Hand. mittel. Auch im Bereich des Bauwesens kommen nun laufend neue Produkte auf den Markt. Das serienreife Angebot reicht mittlerweile von Rüttelplatten bis zum Kleinbagger. Eigentlich handelt es sich ge- nau um jene Arbeitsmittel und Einsatzbe- reiche, wo BauarbeiterInnen aufgrund der räumlichen Begrenztheit besonders ex- poniert sind. Die Herstellerfirmen bieten diese Baumaschinen auch als Leihgeräte auf ihren Plattformen an. Das gibt allen Baufirmen bereits jetzt die Möglichkeit, diese Geräte in kritischen Bereichen auch © Adobe Stock / Hoda Bogdan einzusetzen oder einfach einmal zu testen. Schadstoffreduktion mittelfristig unvermeidbar Niedrigere Grenzwerte bei gesundheits- gefährdenden Arbeitsstoffen werden in absehbarer Zukunft dazu führen, dass neue Arbeitstechniken und -verfahren E-Baumaschinen: keine Abgase, weniger Lärm am Bau. oder emissionsreduzierte Arbeitsmittel erforderlich werden. Um auf diese Situa- E missionen am Arbeitsplatz werden oftmals unterschätzt. Während man bei der Baustellenabwicklung immer mehr Gefahr, langfristig eine arbeitsbedingte Krebserkrankung zu entwickeln, einfach verdrängt. Dabei wären viele der einge- tion gut vorbereitet zu sein, sollte daher bereits jetzt am Ziel der emissionslosen Baustelle gearbeitet werden. Neben dem auf Digitalisierung setzt, ist beim Einsatz setzten Maschinen mittlerweile auch als ArbeitnehmerInnenschutz ist im städte- und der Auswahl der Arbeitsmittel die emissionsfreie Elektrovariante erhältlich. baulichen Kontext auch die Beeinträch- technologische Entwicklung weit weniger tigung der BaustellenanrainerInnen eine sichtbar. Jahrzehntealte Geräte kommen Elektromobilität am Bau bietet wichtige Kenngröße, welche immer öfter zum Einsatz, solange diese funktionieren. Chancen für Konflikte sorgt. Dieses Problem könn- Gerade dort, wo in geschlossenen Räu- Die ArbeitnehmerInnenschutzvorteile, te auf elektrisch betriebenen Baustellen men oder an ähnlichen Arbeitsplätzen welche sich durch die Elektro- und Ak- massiv minimiert werden. Nicht zuletzt (Baugruben, Künetten, Innenausbau usw.) kutechnologie am Arbeitsplatz ergeben, sind auch der Klimaschutz und die daraus mit Verbrennungsmotorenantrieben ge- liegen auf der Hand: keine gesundheits- notwendige Reduktion von Abgasen ein arbeitet wird, ist die Situation besonders schädigende Schadstoffexposition von Ar- großes und öffentlich relevantes Thema. bedenklich. ArbeitnehmerInnen befin- beitnehmerInnen und dazu noch weniger Auch hier wird vermehrt das Baugesche- den sich an diesen Arbeitsplätzen über Lärm und Gestank – auch für die Baustel- hen ins Blickfeld rücken. lange Zeit direkt in der Abgaswolke der lenanrainerInnen. Im Privatbereich gibt es Arbeitsmittel. Solange es nicht zu akuten mittlerweile bereits eine starke Verbrei- Harald Bruckner, AK Wien Gesundheitsproblemen kommt, wird die tung und Akzeptanz elektrischer Arbeits- harald.bruckner@akwien.at 18 2/2021 www.gesundearbeit.at/arbeitnehmerschutz
P S Y C H I S C H E B E L A S T U N G E N Rückendeckung für die Psyche Für die Psyche ungünstig gestaltete Arbeitsbedingungen stellen ein Risiko für Muskel-Skelett-Erkrankungen dar. Bei deren Prävention gilt es daher auch psychosoziale Aspekte zu berücksichtigen. M uskel-Skelett-Erkrankungen gehö- ren zu den häufigsten arbeitsbe- dingten Erkrankungen in Österreich – laut aktuellem Fehlzeitenreport verursachen sie 21,3 Prozent aller Krankenstandstage und 13,4 Prozent aller Krankenstandsfäl- le. Rückenbeschwerden sind dabei das Schmerzthema Nummer eins: Rund ein Viertel der Bevölkerung berichtet von chronischen Kreuzschmerzen oder ande- ren chronischen Rückenleiden (Statistik Austria, 2020). Wenig bekannt ist jedoch: Auch die psychische Belastung in der Ar- beit kann bei der Entstehung von Mus- kel-Skelett-Erkrankungen eine gewichtige Rolle spielen – die psychische Last, die © Adobe Stock / Antonioguillem jobbedingt geschultert werden muss, ist buchstäblich zu schwer geworden. Ungünstige Arbeitsbedingungen fördern Muskel-Skelett- Erkrankungen Heute orientiert sich die moderne Wis- senschaft meist am sogenannten biopsy- Für die Psyche ungünstige Arbeitsbedingungen erhöhen die Wahrscheinlichkeit von chosozialen Krankheitsmodell: Die Ursa- Muskel-Skelett-Erkrankungen. che einer Erkrankung wird hierbei nicht mehr allein körperlich bedingt gesehen durch KollegInnen und Vorgesetzte, sozia- Schwäche, muskuläre Verhärtungen, man- – körperliche, psychische und auch sozi- le Konflikte am Arbeitsplatz und die hie- gelhafte Durchblutung oder eine einge- ale Faktoren sind vielmehr miteinander raus entstehende Unzufriedenheit. Eine schränkte Stoffwechselversorgung. verbunden und beeinflussen sich gegen- besondere Gefahr stellt eine Kombination seitig. Dennoch: Psychosoziale Risikofak- von psychischen und körperlichen Risiko- Psychosoziale Risiken nicht auf toren werden bei der Prävention von Mus- faktoren dar. leichte Schulter nehmen kel-Skelett-Erkrankungen am Arbeitsplatz Für ArbeitgeberInnen gilt es bei der oft zu wenig mitbedacht. Stress als eine Ursache Prävention von arbeitsbedingten Mus- Dabei zeigen verschiedene Studien: Für Wie aber hängen nun arbeitsbedingte psy- kel-Skelett-Erkrankungen auch psycho- die Psyche ungünstige Arbeitsbedingun- chische Belastung und Muskel-Skelett-Er- soziale Arbeitsplatzrisiken nicht auf die gen erhöhen die Wahrscheinlichkeit von krankungen zusammen? Bekannt ist: Für leichte Schulter zu nehmen und diese zu Muskel-Skelett-Erkrankungen beträcht- die Psyche schlecht gestaltete Arbeit (wie berücksichtigen. Klar muss sein: Neben lich. Risikofaktoren für Rückenschmerzen etwa hoher Arbeitsdruck, wenig Feed- dem Schutz vor körperlichem Verschleiß sind beispielsweise ein hohes Arbeitstem- back) verursacht Stress. Stress wiederum braucht es stets auch Rückendeckung für po, monotone Arbeitsaufgaben, mangeln- führt zu einer, oft unbemerkten, Anspan- die Psyche der ArbeitnehmerInnen. de Rückmeldung, eine geringe Kontrolle nung der Muskulatur – Beschwerden und über die eigenen Arbeitsbedingungen, Schmerzen können längerfristig die Folge Johanna Klösch, AK Wien Gratifikationskrisen, wenig Unterstützung sein. Beispiele sind etwa Müdigkeit und johanna.kloesch@akwien.at www.gesundearbeit.at/psychischebelastungen 2/2021 19
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