SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT - Beschluss
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Az.: 3 B 81/21 SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Beschluss In der Verwaltungsrechtssache 1. der Frau L. A. vertreten durch die Betreuer I. A. und K. A., xxxstraße 10, 09xxx Cxxxxx 2. des minderjährigen Kindes N. A. vertreten durch die Eltern I. A. und K. A., xxxstraße 10, 09xxx Cxxxxx - Antragstellerinnen - prozessbevollmächtigt: Rechtsanwalt Martin Kohlmann Brauhausstraße 6, 09111 Chemnitz gegen den Freistaat Sachsen vertreten durch das Sächsische Staatsministerium für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt Albertstraße 10, 01097 Dresden - Antragsgegner -
2 prozessbevollmächtigt: Rechtsanwalt Dr. jur. Dr. Jürgen Rühmann Ullersdorf Prießnitzblick 9, 01454 Radeberg wegen SächsCoronaSchVO vom 5. März 2021 hier: Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO hat der 3. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Freiherr von Welck, die Richter am Oberver- waltungsgericht Kober und Heinlein sowie die Richterinnen am Oberverwaltungsge- richt Nagel und Schmidt-Rottmann am 19. März 2021 beschlossen: Der Antrag wird abgelehnt. Die Antragstellerinnen tragen die Kosten des Verfahrens. Der Streitwert wird auf 10. 000 festgesetzt. Gründe I. 1 Die Antragstellerinnen verfolgen mit ihrem Eilantrag gemäß § 47 Abs. 6 VwGO das Ziel, § 5a Abs. 5 Satz 1 der Verordnung des Sächsischen Staatsministeriums für Sozia- les und Gesellschaftlichen Zusammenhalt zum Schutz vor dem Coronavirus SARS- CoV-2 und COVID-19 (Sächsische Corona-Schutz-Verordnung - SächsCoronaSch- VO) vom 5. März 2021 (SächsGVBl. S. 287) einstweilen außer Vollzug zu setzen. Die Sächsische Corona-Schutz-Verordnung hat - soweit hier streitgegenständlich - nach- folgenden Wortlaut:
3 § 5a Betriebseinschränkungen für Einrichtungen der Kindertagesbetreuung und Schulen ( ) (5) Ab dem 15. März 2021 ist Personen, mit Ausnahme von Schülerinnen und Schü- lern der Primarstufe, der Zutritt zum Gelände von Schulen untersagt, wenn sie nicht durch eine ärztliche Bescheinigung oder durch einen Test auf das Coronavirus SARS- CoV-2 mit negativem Testergebnis nachweisen, dass keine Infektion mit dem Corona- virus SARS-CoV-2 besteht. Die Ausstellung der ärztlichen Bescheinigung und die Durchführung des Tests dürfen nicht länger als drei Tage, für Schülerinnen und Schü- ler nicht länger als eine Woche zurückliegen. Das Zutrittsverbot nach Satz 1 gilt nicht, wenn unmittelbar nach dem Betreten des Geländes der Schule ein Test auf das Coronavirus SARS-CoV-2 durchgeführt wird. Das Zutrittsverbot nach Satz 1 gilt nur für diejenigen Schulen, in denen Selbsttestkits für schulisches Personal, Hortpersonal sowie, mit Ausnahme der Primarstufe, Schülerinnen und Schüler in hinreichender Zahl vorliegen. Sofern ein Zutrittsverbot nach Satz 1 gilt, sind im Eingangsbereich des Geländes der Schule entsprechende Hinweise anzubringen. § 12 Inkrafttreten, Außerkrafttreten (1) Diese Verordnung tritt am 8. März 2021 in Kraft. (2) Diese Verordnung tritt mit Ablauf des 31. März 2021 auer Kraft. 2 Mit ihren Schriftsätzen vom 9. und 17. März 2021 tragen die Antragstellerinnen vor: 3 Der Antrag sei zulässig. Insbesondere seien die Antragstellerinnen antragsbefugt, da sie von der angegriffenen Norm unmittelbar betroffen seien. Die Antragstellerin zu 1) sei 19 Jahre alt und besuche die Förderschule für geistig und körperlich behinderte Menschen in Chemnitz. Die Antragstellerin zu 2) sei 11 Jahre alt und besuche die fünfte Klasse in der xxxSchule Chemnitz. 4 Der Antrag sei auch begründet. Es gebe zwei Arten von Tests auf das Coronavirus: PCR-Tests und Antigen-Schnelltests. Weder aus dem Normtext der Verordnung noch aus der Begründung hierzu ergebe sich, welche Art von Tests vorgesehen sei. Dieser Mangel werde auch nicht durch eine FAQ-Seite der Landesregierung geheilt, die Aus- führungen zum Ablauf der Tests enthalte. Klar sei, dass es sich bei den in Bezug ge-
4 nommenen Tests jedenfalls nicht um Spuktests handele. § 5a Abs. 5 SächsCoronaSchVO verstoße gegen Art. 2 Abs. 2 GG. Die Vornahme eines PCR- Tests sei ein riskanter Eingriff, der bei den Betroffenen zu Schmerzen führe, die mit- unter auch extrem stark sein könnten. Oft erfolge die Testung auf das Coronavirus auf miserable Weise. Mit den Tests sei ein hohes Risiko verbunden, in besonders emp- findlichen Regionen des menschlichen Körpers verletzt zu werden. Erfolge die Tes- tung durch nicht hinreichend geschultes Lehrpersonal, sei das Verletzungsrisiko be- sonders hoch. Es könne nicht angehen, dass der Schulbesuch nur bei Inkaufnahme ei- nes Verletzungsrisikos möglich sei. Ein Verletzungsrisiko bestehe auch dann, wenn sich die Betroffenen im Rahmen von Selbsttests einen Teststab in die Nase schieben müssten. Unbeachtlich sei, dass die Verordnung auf die Möglichkeit des Heimunter- richts verweise. Denn es bestünde faktisch kaum die Möglichkeit, vom Präsenzunter- richt fernzubleiben, weil dies für die Schüler mit erheblichen Nachteilen auch im Hin- blick auf ihre Benotung verbunden wäre. Auch könnten sich nicht alle Schüler vom Präsensunterricht abmelden. Letztlich bestehe eine faktische Testpflicht. Die Verordnung leide schon deswegen an einem erheblichen Mangel, da sie eine Re- gelung zur Haftung bei Verletzungen durch die Tests nicht enthalte. Sie griffe mit der angegriffenen Regelung auch in das Recht auf Bildung ein, das durch Art. 26 der all- gemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen geschützt sei, und verstoße überdies gegen Art. 1 GG. Die Tests seien nicht geeignet, die Verbreitung von COVID-19 einzudämmen. Hiervon ginge offensichtlich selbst der Verordnungs- geber aus. Die für Schulen gültigen strengen Hygienevorschriften sollten wohl auch bei einem Negativtest beibehalten werden. Die Testpflicht könne nicht umgesetzt wer- den. Es sei nicht erkennbar, wie bei den vorgesehenen Tests auf dem Schulgelände den Maßgaben des Infektionsschutzes hinreichend Rechnung getragen werden könnte. Die Anwendung von § 5a Abs. 5 SächsCoronaSchVO könne zur Folge haben, dass bei nur einem positiven Testergebnis eine Vielzahl von Schülern in Quarantäne gehen müsste. Soweit diese Vorschrift zum Nachweis, dass keine Infektion mit dem Corona- virus besteht, auch eine ärztliche Bescheinigung genügen lasse, dürfte es einen An- sturm auf die Arztpraxen geben, wodurch die Erreichung des Ziels gefährdet werde, das Gesundheitssystem zu entlasten. Zwar gebe es nach § 5a Abs. 5 SächsCoronaSchVO verschiedene Möglichkeiten zum Nachweis, dass keine Infektion mit dem Coronavirus bestehe. Tatsächlich werde es aber Aufgabe der Schulen sein, die Tests vorzunehmen, da es nicht möglich sein werde, wöchentliche Arzttermine
5 wahrzunehmen. Die angegriffene Regelung sei auch nicht erforderlich. Denn ein An- gebot der Schule, freiwillige Tests anzubieten, wäre ein milderes Mittel. Es sei davon auszugehen, dass sich ein hoher Prozentsatz der Schüler freiwillig testen lassen würde. Im Übrigen sei die flächendeckende Testung nicht notwendig. Insbesondere gebe es keine medizinischen oder infektionsverdachtsbestimmenden Gründe für die Testung der Schüler ab der 5. Klasse. Auch die in § 5a Abs. 5 SächsCoronaSchVO vorgesehe- ne Häufigkeit der Tests sei nicht sinnvoll. Schließlich sei die angegriffene Regelung jedenfalls nicht verhältnismäßig. Dies ergebe sich aus dem hier entsprechend anwend- baren Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vom 2. März 2021 (- 20 NE 21. 353 -), wonach die Verpflichtung einer Krankenschwester, sich an ihrem Arbeits- platz auf Corona testen zu lassen, nicht mit höherrangigem Recht vereinbar sei. Im Übrigen sei die vorläufige Außervollzugssetzung der angegriffenen Vorschrift im Hinblick auf die betroffenen Rechtsgüter der Antragstellerinnen auch notwendig. 5 Die Antragstellerinnen beantragen, § 5a Abs. 5 Satz 1 der Verordnung des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt zum Schutz vor dem Coronavirus SARS-CoV-2 und COVID-19 (Sächsische Corona-Schutz- Verordnung - SächsCoronaSchVO) vom 5. März 2021 bis zur Entscheidung über den Normenkontrollantrag der Antragstellerin außer Vollzug zu setzen. 6 Der Antragsgegner beantragt, den Antrag abzulehnen. 7 Er tritt dem Antrag entgegen und hält die angegriffene Regelung für wirksam. Formel- le Fehler seien nicht ersichtlich. Insbesondere sei die streitbefangene Verordnung in derselben Weise erlassen worden wie die Corona-Schutzverordnungen, welche der Senat schon bislang geprüft und insoweit nicht beanstandet habe. Fehler in materiell- rechtlicher Hinsicht lägen auch nicht vor. Die Regelung lasse zum Nachweis, dass keine Infektion mit dem Corona-Virus vorliege, auch einen Selbsttest zu. Das Sekret werde bei diesen Tests entweder im vorderen Nasenraum gewonnen oder verlange von den Betroffenen lediglich ein Gurgeln oder Ausspucken auf den Testkit. Im Hinblick darauf sei ein Selbsttest nicht mit einem Eingriff in die grundrechtlich geschützte Menschenwürde verbunden. Es liege auch kein Eingriff in die grundrechtlich ge- schützte körperliche Unversehrtheit vor. Soweit mit dem Test ein Eingriff in die all- gemeine Handlungsfreiheit verbunden sei, sei dieser gerechtfertigt.
6 II. 8 Der Antrag ist nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i. V. m. § 24 Abs. 1 SächsJG statthaft. Danach entscheidet das Sächsische Oberverwaltungsgericht über die Gültigkeit von im Rang unter dem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschriften. Dazu gehören Verord- nungen der Staatsregierung. Der Senat entscheidet gemäß § 24 Abs. 2 SächsJG hier über in der Besetzung von fünf Berufsrichtern. 9 Der Normenkontrollantrag nach § 47 Abs. 6 VwGO ist zulässig. 10 Ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig, wenn ein in der Hauptsache gestellter oder noch zu stellender Normenkontrollantrag nach § 47 Abs. 1 VwGO voraussichtlich zulässig ist (vgl. hierzu Ziekow, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 47 Rn. 387) und die für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes geltenden Zulässigkeitsvoraussetzungen nach § 47 Abs. 6 VwGO vorliegen. Beides ist hier der Fall. 11 Die Antragstellerinnen sind auch antragsbefugt im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO, da sie geltend machen können, in ihren Rechten verletzt zu sein. Sie können sich auf eine mögliche Verletzung von Art. 2 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG stützen. Die Antragstellerinnen sind als Schülerinnen von dem in § 5a Abs. 5 Satz 1 SächsCoronaSchVO normierten Zutrittsverbot betroffen. 12 Der Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO ist allerdings nicht begründet. 1 13 Gemäß § 47 Abs. 6 VwGO kann das Oberverwaltungsgericht die Anwendung der Verordnung des Antragsgegners vorübergehend außer Vollzug setzen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist. Da sich der Wortlaut der Vorschrift an § 32 BVerfGG anlehnt, sind die vom Bundes- verfassungsgericht hierzu entwickelten Grundsätze (BVerfG, Beschl. v. 8. November 1985 - 1 BvR 1290/85 -, juris Rn. 10, und v. 8. November 1994 - 1 BvR 1814/94 -, ju- ris Rn. 21) auch bei § 47 Abs. 6 VwGO heranzuziehen. Als Entscheidungsmaßstab dienen die Erfolgsaussichten eines anhängigen oder möglicherweise nachfolgenden
7 Hauptsacheverfahrens. Ergibt die Prüfung, dass der Normenkontrollantrag voraus- sichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen An- ordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO nicht geboten. Ist hingegen voraussichtlich von ei- nem Erfolg des Normenkontrollantrags auszugehen, wird die angegriffene Norm einstweilen außer Vollzug zu setzen sein, wenn der (weitere) Vollzug der angegriffe- nen Norm bis zum Ergehen einer Hauptsacheentscheidung Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist. Erweisen sich die Erfolgsaussichten in der Hauptsache als offen, sind die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweili- ge Anordnung nicht erginge, eine Hauptsache aber Erfolg hätte, gegenüber den Nach- teilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, einem anhängigen oder möglicherweise nachfolgenden Normenkontrollantrag aber der Erfolg zu versagen wäre. Die für den Erlass der einstweiligen Anordnung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich über- wiegen, also so schwer wiegen, dass der Erlass der einstweiligen Anordnung - trotz of- fener Erfolgsaussichten der Hauptsache - dringend geboten ist (SächsOVG, Beschl. v. 15. April 2020 - 3 B 114/20 -, juris Rn. 11 und Beschl. v. 15. März 2018 - 3 B 82/18 -, juris Rn. 16 m. w. N.). Mit diesen Voraussetzungen stellt § 47 Abs. 6 VwGO an die Aussetzung des Vollzugs einer untergesetzlichen Norm erheblich strengere Anforde- rungen als § 123 VwGO sie sonst an den Erlass einer einstweiligen Anordnung stellt (BVerwG, Beschl. v. 18. Mai 1998 - 4 VR 2.98 -, juris Rn. 3). 14 Unter Anwendung dieser Grundsätze hat der Antrag auf vorläufige Außervollzugset- zung von § 5a Abs. 5 Satz 1 SächsCoronaSchVO keinen Erfolg, da die angegriffene Vorschrift im Normenkontrollverfahren voraussichtlich standhalten wird. Auch eine Interessenabwägung geht zu Lasten der Antragstellerinnen aus. 15 1. Die in Bezug genommene Verordnungsermächtigung genügt voraussichtlich den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 GG (vgl. hierzu Senatsbeschl. v. 2. Februar 2021 - 3 B 8/21 -, juris Rn. 28 ff. m. w. N. und Senatsbeschl. v. 4. März 2021 - 3 B 49/21- ).
8 16 2. Die Voraussetzungen der § 32 Satz 1, § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 sowie § 28a Abs. 1 Nr. 16, Abs. 3 und Abs. 6 IfSG für den Erlass der angegriffenen Regelung dürften er- füllt sein. 17 2.1 Zur gegenwärtigen Infektionslage liegen folgende Erkenntnisse und Bewertungen des Robert-Koch-Instituts (RKI) vor: 18 Es ist nach wie vor eine hohe Anzahl an Übertragungen in der Bevölkerung in Deutschland zu beobachten. Das RKI schätzt die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland insgesamt weiterhin als sehr hoch ein. Die Inzidenz der letzten sieben Tage liegt - Stand 15. März 2021 - deutschlandweit bei 84 Fällen pro 100.000 Einwohner (EW). In Sachsen liegt diese nunmehr wieder deutlich über der Gesamtinzidenz. Aktuell weisen 327 von 412 Kreisen eine hohe Sieben-Tage-Inzidenz von mehr als 50 auf. Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt in 124 Kreisen bei mehr als 100 Fällen/100.000 EW, davon in sechs Kreisen bei mehr als 250 Fällen/100.000 EW. Die Sieben-Tage-Inzidenz bei Personen zwischen 60-79 Jahren liegt aktuell bei 52 und bei Personen, die 80 Jahre oder älter sind, bei 54 Fällen/100.000 EW. Die sieben-Tage- Inzidenz nimmt insbesondere in den Altersgruppen
9 Aktuell kann oft kein konkretes Infektionsumfeld ermittelt werden. Die hohen bun- desweiten Fallzahlen werden durch zumeist diffuse Geschehen mit zahlreichen Häu- fungen insbesondere in privaten Haushalten, zunehmend auch in Kitas, Schulen und im beruflichen Umfeld verursacht. 19 Am 11. März 2021 befanden sich 2.759 COVID-19-Fälle in intensivmedizinischer Behandlung. Insgesamt wurden 24.209 Intensivbetten (Low- und High-Care) für Er- wachsene als betreibbar gemeldet, wovon 20.564 (85%) belegt waren. 3.645 (15%) Erwachsenen-ITS-Betten werden als aktuell frei und betreibbar angegeben. In den meisten Bundesländern setzt sich der zuvor kontinuierliche Rückgang der COVID-19- Fallzahlen auf Intensivstationen nicht weiter fort, sondern die ITS-Belegung mit CO- VID-19-Fällen stagniert aktuell auf einem Plateau. Ein Drittel der Bundesländer ver- zeichnet sogar wieder einen leichten Anstieg. Die Belastung des Gesundheitssystems hängt maßgeblich von der regionalen Verbreitung der Infektionen, den hauptsächlich betroffenen Bevölkerungsgruppen, den vorhandenen Kapazitäten und den eingeleite- ten Gegenmaßnahmen (z.B. Isolierung, Quarantäne, physische Distanzierung) ab. Sie ist aktuell in weiten Teilen Deutschlands nach wie vor angespannt und kann sehr schnell wieder zunehmen, so dass das öffentliche Gesundheitswesen und die Einrich- tungen für die stationäre medizinische Versorgung örtlich überlastet werden. Da die verfügbaren Impfstoffe einen hohen Schutz vor der Entwicklung einer COVID-19- Erkrankung bieten, wird voraussichtlich mit steigenden Impfquoten auch eine Entlas- tung des Gesundheitssystems einhergehen. 20 Auch in Deutschland sind seit Dezember 2020 Infektionen mit besorgniserregenden Virusvarianten nachgewiesen worden, speziell der Variante B.1.1.7. Die bisher vorlie- genden Daten und Analysen zeigen, dass sich der Anteil der Virusvariante B.1.1.7 in den letzten Wochen auf inzwischen ca. 72 % (RKI, Bericht zu Virusvarianten von SARS-CoV-2 in Deutschland, insbesondere zur Variant of Concern (VOC) B.I.I.7, Stand: 17. März 2021) deutlich erhöht hat. Das ist besorgniserregend, weil B.1.1.7 nach bisherigen Erkenntnissen ansteckender ist und vermutlich etwas schwerere Krankheitsverläufe verursacht als andere Varianten. 21 Effektive und sichere Impfstoffe stehen seit Ende 2020 zur Verfügung, aber noch nicht in ausreichenden Mengen. Sie werden aktuell vorrangig den besonders gefährdeten
10 Gruppen angeboten. Es wird erwartet, dass in den nächsten Wochen allen besonders gefährdeten Menschen ein Impfangebot gemacht und damit bereits ein Effekt auf die Zahl der auf Intensivstationen behandelten Personen und Todesfällen erzielt werden kann. Bislang wurden insgesamt 6.712.195 Personen mindestens einmal (Impfquote 8.1 %) und 2.951.692 zwei Mal (Impfquote 3,5 %) gegen COVID-19 geimpft. Hin- weise auf eine substantiell verringerte Wirksamkeit der zugelassenen Impfstoffe gegen die Variante B.1.1.7 gibt es bislang nicht. Ob und in welchem Maße die neuen Varian- ten B.1.351 und P.1 die Wirksamkeit der verfügbaren Impfstoffe beeinträchtigen, ist derzeit noch nicht sicher abzuschätzen. 22 Die Therapie schwerer Krankheitsverläufe ist komplex und erst wenige Therapieansät- ze haben sich in klinischen Studien als wirksam erwiesen. 23 Zur Übertragbarkeit von SARS-CoV-2 ist der wissenschaftliche Erkenntnisstand des RKI weiterhin der, dass diese Erkrankung grundsätzlich leicht von Mensch zu Mensch übertragbar ist. Das Infektionsrisiko ist stark vom individuellen Verhalten (AHA+L- Regel: Abstand halten, Hygiene beachten, Alltag mit Masken und regelmäßiges Lüf- ten), vom Impfstatus, von der regionalen Verbreitung und von den Lebensbedingun- gen (Verhältnissen) abhängig. Hierbei spielen Kontakte in Risikosituationen und deren Dauer (wie z.B. langer face-to-face Kontakt) eine besondere Rolle. Dies gilt auch bei Kontakten mit Familienangehörigen oder Freunden außerhalb des eigenen Haushalts und im beruflichen Umfeld. Die besorgniserregenden Virusvarianten B.1.1.7, B.1.351 und P1 sind nach Untersuchungen aus dem Vereinigten Königreich und Südafrika und gemäß Einschätzung des ECDC noch leichter von Mensch zu Mensch übertragbar. Masken stellen einen wichtigen Schutz vor einer Übertragung durch Tröpfchen bei ei- nem engen Kontakt dar. Wenn der Mindestabstand von 1,5 m ohne Maske unterschrit- ten wird, z. B. wenn Gruppen von Personen an einem Tisch sitzen oder bei größeren Menschenansammlungen, besteht auch im Freien ein erhöhtes Übertragungsrisiko. Bei SARS-CoV-2 spielt die unbemerkte Übertragung über Aerosole eine besondere Rolle. Die Aerosolausscheidung steigt bei lautem Sprechen, Singen oder Lachen stark an. In Innenräumen steigt hierdurch das Risiko einer Übertragung deutlich, auch über einen größeren Abstand als 1,5 m. Im Alltag können Masken die Freisetzung von Aerosolen reduzieren, aber nicht sicher vor einer Ansteckung auf diesem Weg schützen. Regel- mäßiges intensives Lüften führt zu einer Reduktion der infektiösen Aerosole und ist
11 daher ein wichtiger Bestandteil der Schutzmaßnahmen. In welchem Maß die verfügba- ren Impfstoffe nicht nur vor der Erkrankung schützen, sondern auch einen Effekt auf die Übertragung des Erregers haben, ist noch nicht abschließend geklärt. Es liegen aber zunehmend Daten vor, die darauf hinweisen, dass die Impfung auch das Risiko einer Übertragung reduziert, diese aber nicht vollständig blockiert (zum Ganzen: Täg- licher Lagebericht des RKI zur Coronavirus-Krankheit-2019 [COVID-19] vom 11. und vom 16. März 2021, https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/ Maerz_2021/2021-03-11-de.pdf?__blob=publicationFile und https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/ Maerz_2021/2021-03-16-de.pdf?__blob=publicationFile, und Risikobewertung zu COVID-19 vom 26. Februar 2021, 2021, https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.ht ml, abgerufen am 12. März 2021). 24 Für den Freistaat Sachsen waren - Stand 17. März 2021 - in den letzten sieben Tagen 4.441 neue Fälle zu verzeichnen. Der Inzidenzwert für den gesamten Freistaat betrug 109 Fälle je 100.000 Einwohner in den letzten sieben Tagen (RKI, COVID-19: Fall- zahlen in Deutschland und weltweit, Fallzahlen in Deutschland, Stand: 17. März 2021, https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Fallzahlen.html). Dabei weisen nunmehr wieder alle Landkreise und kreisfreien Städte Inzidenzwerte von über 50 je 100.000 Einwohner, hiervon vier Landkreise Inzidenzwerte von über 100 und ein weiterer Landkreis einen Inzidenzwert von 342 auf (RKI, COVID-19- Dashboard, https://www.rki.de/DE/Home/homepage_node.html, Stand: 12. März 2021). Die Inzidenzwerte in Sachsen zeigen dabei seit Ende Februar wieder eine stetig leicht und in den letzten Tagen erheblich steigende Tendenz (https://www.coronavirus.sachsen.de/infektionsfaelle-in-sachsen-4151.html#a-8996). 25 In Sachsen sind ca. 1.500 Intensivbetten vorhanden. Davon sind derzeit - Stand: 17. März 2021 - noch etwa 350 Intensivbetten frei. Der Anteil der COVID-19-Patienten an der Gesamtzahl der Intensivbetten beträgt in Sachsen 13,55 %. Von diesen 203 ak- tuell intensivmedizinisch behandelten Patienten müssen 110 invasiv beatmet werden (https://www.intensivregister.de/#/aktuelle-lage/kartenansichten Stand: 17. März 2021).
12 26 2.2 Angesichts dieser Infektionslage und der weiterhin für die Gesundheit der Bevöl- kerung in Deutschland sehr hohen Gefährdungslage sind die zuständigen Behörden weiterhin zum Handeln verpflichtet. Es dürfen einerseits weiterhin Maßnahmen ergrif- fen werden, um die Infektionszahlen auf ein Maß zu reduzieren, mit dem die personell aufgestockten Gesundheitsämter die Kontaktnachverfolgung verlässlich und zeitnah durchführen können, sowie andererseits weiterhin Maßnahmen erfolgen, um auch die Ausbreitung des Virus und seiner Varianten in Sachsen möglichst so weit zu verzö- gern, bis jedem Bürger ein verlässliches Impfangebot gemacht werden kann (vgl. Be- schluss vom 2. Februar 2021 - 3 B 8/21 -, juris Rn. 36 ff. m. w. N.). 27 Da nach dem Vorgesagten in allen sächsischen Landkreisen ferner der Schwellenwert von über 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen - teil- weise weiterhin massiv - überschritten wird, sind umfassende Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens erwarten lassen (§ 28a Abs. 3 Satz 5 IfSG). Weil diese Situation in Landkreisen bundes- und landesweit gegeben ist, sind bundes- und landesweit abgestimmte umfassende, auf eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens abzielende Schutzmaßnahmen anzustreben (§ 28a Abs. 3 Satz 9 und Satz 10 IfSG). Soweit in diesem Zusammenhang vermehrt be- zweifelt wird, inwieweit der bundesgesetzlich festgelegte Schwellenwert von 50 Neu- infektionen je 100.000 Einwohner weiterhin von Sachgründen getragen ist, vermag der Senat im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes angesichts der hohen Volatilität der aktuellen Pandemieentwicklung und des Fehlens einer verlässlichen und eindeutigen wissenschaftlichen Erkenntnislage zur gegenwärtig eingetretenen Situati- on nicht zu erkennen, dass der parlamentarische Bundesgesetzgeber die ihm auch im Rahmen seiner ihm in tatsächlicher Hinsicht zukommenden Einschätzungsprärogative bei der Bewertung der Gefahrenlage (BVerfG, Beschl. vom 13. Mai 2020 - 1 BvR 1021/20 -, juris Rn. 10; SächsOVG, Beschl. v. 11. November 2020 - 3 B 357/20 -, ju- ris Rn. 41) obliegende Pflicht zur Beobachtung, Überprüfung und Nachbesserung (vgl. BVerfG, Urt. v. 19. September 2018 - 2 BvF 1/15 -, BVerfGE 150, 1, juris Rn. 174 ff.) seiner Regelungen (bereits) verletzt hätte. Die gegenwärtige Lage der Pandemie ist ei- nerseits zwar durch die fortschreitende Durchimpfung der besonders vulnerablen Gruppen und eine verstärkte Verfügbarkeit von Schnell- und Selbsttests, andererseits aber auch durch die schnelle Zunahme der Verbreitung risikoträchtigerer und insbe- sondere deutlich infektiöserer Virusvarianten gekennzeichnet, die in Irland und Portu-
13 gal bekanntermaßen innerhalb sehr kurzer Zeit zu einem rapiden Anstieg der Infekti- onszahlen und einer Überlastung des Gesundheitssystems geführt hatten (vgl. https://www.leopoldina.org/presse-1/nachrichten/darstellung-der-entwicklung-des- infektionsgeschehens-in-irland/ und https://de.wikipedia.org/wiki/COVID-19- Pandemie_in_Portugal). Die Notwendigkeit einer Anpassung der Schwellenwerte des § 28a Abs. 3 IfSG kann derzeit angesichts dieser einander gegenläufigen und in den sich letztlich ergebenden Auswirkungen nicht sicher prognostizierbaren Tendenzen weder hinsichtlich der von einer Seite geforderten Erhöhung noch hinsichtlich der von anderer Seite diskutierten Absenkung als evident und völlig unzweifelhaft bezeichnet werden. Auch das RKI empfiehlt weiterhin eine Orientierung an den in § 28a (Abs. 3 IfSG normierten Schwellenwerten bei der Einleitung oder Rücknahme von Öffnungs- schritten des Lockdowns, wenngleich nunmehr ergänzt um weitere Indikatoren (vgl. ControlCOVID, Strategie und Handreichung zur Entwicklung von Stufenkonzepten bis Frühjahr 2021, Stand 18. Februar 2021), wofür § 28a Abs. 3 Satz 4 IfSG (insbe- sondere ) zudem bereits in der geltenden Fassung auch ohne Weiteres Raum bietet. Besonders schwerwiegende Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Schwellenwert- regelung des § 28a Abs. 3 IfSG, die diesbezüglich die Gewährung vorläufigen Rechts- schutzes allein rechtfertigen könnten (vgl. BayVGH, Beschl. v. 4. April 2007 - 19 CS 07.396 -, juris Rn. 31), sind danach nicht zu erkennen. 28 Der Senat hat im vorgenannten Beschluss vom 2. Februar 2021 (- 3 B 8/21 -) weiter darauf abgestellt, dass dem Verordnungsgeber ein Einschätzungs-, Wertungs- und Ge- staltungsspielraum zukommt, welcher durch die Notwendigkeit der Maßnahme im Einzelfall begrenzt wird. Wenn - wie hier - die Freiheits- und Schutzbedarfe der ver- schiedenen Grundrechtsträger in unterschiedliche Richtung weisen, haben der Gesetz- geber und auch die von ihm zum Verordnungserlass ermächtigte Exekutive nach stän- diger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts von Verfassungs wegen einen Spielraum für den Ausgleich dieser widerstreitenden Grundrechte. Die Abwägungs- entscheidung des Verordnungsgebers muss dabei erkennbar und plausibel vom Prinzip der größtmöglichen Schonung der Grundrechte der von den Freiheits- und Teilhabe- einschränkungen Betroffenen geleitet sein; Unsicherheiten über die Ursachen der Aus- breitung des Coronavirus dürfen nicht ohne Weiteres im Zweifel zu Lasten der Frei- heits- und Teilhaberechte aufgelöst werden. Die Zumutung konkreter Einschränkun- gen bedarf umso mehr der grundrechtssensiblen Rechtfertigung, je unklarer der Bei-
14 trag der untersagten Tätigkeit zur Verbreitung des Coronavirus ist und je länger diese Einschränkung dauert (SächsVerfGH, Beschl. v. 11. Februar 2021 - Vf. 14-II-21 [e.A.] -, juris Rn. 31; VerfGH NRW, Beschl. v. 29. Januar 2021 - VerfGH 21/21.VB -3-, S. 9). Der Verordnungsgeber ist aber auch nicht gehalten, die Gefahr einer (neuerlichen) signifikanten Gefahrerhöhung hinzunehmen, sondern aus dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG sogar prinzipiell zu Maß- nahmen des Gesundheits- und Lebensschutzes verpflichtet (SächsVerfGH, Beschl. v. 11. Februar 2021 - Vf. 14-II-21 [e.A.] -, juris Rn. 31; BVerfG, Beschl. v. 11. Novem- ber 2020 - 1 BvR 2530/20 -, juris Rn. 16 zu Art. 2 Abs. 2 GG; BayVerfGH, Entsch. v. 30. Dezember 2020 - Vf. 96-VII-20 -). 29 Auch die speziellen Voraussetzungen des § 28a Abs. 1 und Abs. 3 IfSG für Verord- nungsregelungen zu besonderen Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 sind erfüllt. Es liegt eine vom Bundestag festgestellte (BT-PlPr 19/215, S. 27052C) epidemische Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Abs. 1 Satz 1 IfSG vor, weil eine dynamische Ausbreitung dieser bedrohlichen übertragbaren Krankheit über mehrere Länder in der Bundesrepublik Deutschland stattfindet (§ 5 Abs. 1 Satz 4 Nr. 2 IfSG). 30 2.3 Der Sächsischen Corona-Schutz-Verordnung liegt die in der Beratung der Minis- terpräsidenten mit der Bundeskanzlerin vom 3. März 2021 beschlossene und damit ei- ne bundesweit abgestimmte Maßnahmekonzeption zugrunde. 31 Die Konzeption berücksichtigt als neue Faktoren der pandemischen Lage die zuneh- mende Menge an Impfstoff und die Verfügbarkeit von Schnell- und Selbsttests in sehr großen Mengen. Die Maßnahmekonzeption legt zugrunde, dass das Impfen eine Redu- zierung der schweren Verläufe bewirkt und zudem in dem Maße, in dem zunehmend auch die Personengruppen und Jahrgänge geimpft werden, die viele Kontakte haben, das Impfen auch kontinuierlich immer stärker der Ausbreitung des Virus entgegen wirkt. Schnelltests geben tagesaktuell zusätzliche Sicherheit bei Kontakten. Regelmä- ßige Testungen können dabei unterstützen, auch Infektionen ohne Krankheitssympto- me zu erkennen. Infizierte Personen können so schneller in Quarantäne gebracht und ihre Kontakte besser nachvollzogen werden. Der Effekt ist dabei umso größer, je mehr Bürgerinnen und Bürger sich konsequent an dem Testprogramm beteiligen.
15 32 Auch wenn die vulnerabelsten Gruppen bald geimpft sein werden, geht die Maßnah- mekonzeption weiterhin davon aus, dass keine beliebigen Neuinfektionsraten toleriert werden können. Wenn die Infektionszahlen erneut exponentiell ansteigen, kann das Gesundheitswesen mit dann jüngeren Patienten schnell wieder an seine Belastungs- grenzen stoßen. Zahlreiche Berichte über COVID-19-Langzeitfolgen (long COVID ) mahnten ebenfalls zur Vorsicht. Bund und Länder sehen aber eine Chance, dass durch die deutliche Ausweitung von Tests und ein Testprogramm in Verbindung mit einer besseren Nachvollziehbarkeit der Kontakte im Falle einer Infektion Öffnungsschritte auch bei höheren sieben-Tage-Inzidenzen mit über 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner möglich werden. 33 Beschlossen wurde ein gemeinsames Vorgehen von Ländern und Bund bei den Öff- nungsschritten nach einheitlichen Maßstäben und ein schnelles und entschiedenes re- gionales Gegensteuern, sobald die Zahlen aufgrund der verschiedenen COVID-19- Virusvarianten in einer Region wieder hochschnellen, um erneute bundesweit gültige Beschränkungen zu vermeiden. 34 In einem Vierklang aus Impfen, Testen, Kontaktnachvollziehung und Öffnungen wurde beschlossen, die Möglichkeiten der Einbeziehung niedergelassener Ärztinnen und Ärzte bei den Impfungen weiterzuentwickeln und ab Ende März/Anfang April die haus- und fachärztlichen Praxen umfassend in die Impfkampagne einzubinden. Auch Betriebsärztinnen und Betriebsärzte und die Unternehmen sollen im Laufe des zweiten Quartals verstärkt in die Impfkampagne eingebunden werden. Die für die Zweitimp- fung zurückgehaltenen Dosen sollen noch weiter deutlich reduziert werden. Für stark betroffene Regionen sollen Impfkontingente des jeweiligen Bundeslands prioritär für Ringimpfungen genutzt werden können. Testkonzepte sollen über wöchentliche Schnelltests einen sicheren Schulbetrieb und eine sichere Kinderbetreuung ermögli- chen. Auch die Unternehmen sollen als gesamtgesellschaftlichen Beitrag für einen um- fassenden Infektionsschutz ihren in Präsenz Beschäftigten pro Woche das Angebot von mindestens einem kostenlosen Schnelltest machen. Allen asymptomatischen Bür- gerinnen und Bürgern wird mindestens einmal pro Woche ein kostenloser Schnelltest ermöglicht.
16 35 Im Übrigen bleibt der Grundsatz, Kontakte zu vermeiden, das wesentliche Instrument im Kampf gegen die Pandemie. Gleichzeitig sollen Planungsperspektiven gegeben werden, wie und wann Beschränkungen wieder aufgehoben werden können. Weil die- se Perspektive besonders bedeutend für Kinder, Jugendliche und deren Eltern ist, ent- scheiden die Länder in Eigenverantwortung über die sukzessive Rückkehr der Schüle- rinnen und Schüler in den Präsenzunterricht (unter besonderen Vorsichtsmaßnahmen wie etwa Wechselunterricht und Hygienemaßnahmen). Da der Anteil der Virusvarian- ten an den Infektionen in Deutschland schnell ansteigt, wodurch die Zahl der Neuin- fektionen wieder zu steigen beginnt, soll ein erneutes Hochfahren des öffentlichen Le- bens vorsichtig erfolgen. 36 Die Möglichkeit zu privaten Zusammenkünften mit Freunden, Verwandten und Be- kannten wird - in Abhängigkeit von der Entwicklung der Inzidenzen - wieder erwei- tert. Im Übrigen werden die bestehenden Beschlüsse der Bundeskanzlerin und der Re- gierungschefinnen und Regierungschefs der Länder beibehalten. Nachdem erste Öff- nungsschritte insbesondere im Bereich der Schulen und Friseure in den Ländern be- reits vollzogen wurden, werden nunmehr in einem zweiten Öffnungsschritt im öffent- lichen Bereich Buchhandlungen, Blumengeschäfte und Gartenmärkte zukünftig ein- heitlich in allen Bundesländern dem Einzelhandel des täglichen Bedarfs zugerechnet und können somit mit entsprechenden Hygienekonzepten wieder öffnen. Darüber hin- aus können ebenfalls die bisher noch geschlossenen körpernahen Dienstleistungsbe- triebe sowie Fahr- und Flugschulen mit entsprechenden Hygienekonzepten wieder öffnen, wobei für die Inanspruchnahme der Dienstleistungen, bei denen nicht dauer- haft eine Maske getragen werden kann, ein tagesaktueller COVID-19-Schnell- oder Selbsttest der Kundin oder des Kunden und ein Testkonzept für das Personal Voraus- setzung ist. In einem dritten Öffnungsschritt kann ein Land in Abhängigkeit vom In- fektionsgeschehen den Einzelhandel, Museen, Galerien, zoologische und botanische Gärten sowie Gedenkstätten wieder öffnen und kontaktfreien Sport in kleinen Gruppen im Außenbereich zulassen, bei sieben-Tage-Inzidenzen von über 50 und unter 100 Neuinfektionen aber nur mit weiteren Einschränkungen, insbesondere nur für sog. Terminshopping-Angebote. Mit den benachbarten Gebieten mit höheren Inzidenzen sind gemeinsame Absprachen zu treffen, um eine länderübergreifende Inanspruch- nahme der geöffneten Angebote möglichst zu vermeiden. Steigt die sieben-Tage- Inzidenz in dem Land oder der Region auf über 100, treten die Regelungen, die bis
17 zum 7. März 2021 gegolten haben, wieder in Kraft (Notbremse). Ein vierter Öffnungs- schritt kann in Abhängigkeit vom Infektionsgeschehen erfolgen, wenn sich die sieben- Tage-Inzidenz nach dem dritten Öffnungsschritt in dem Land oder der Region 14 Tage lang nicht verschlechtert hat. Dies betrifft die Öffnung der Außengastronomie, die Öffnung von Theatern, Konzert- und Opernhäusern sowie Kinos, kontaktfreien Sport im Innenbereich, Kontaktsport im Außenbereich, auch insoweit - je nach Inzidenzwert - ggf. mit Einschränkungen wie der Anforderung einer Terminbuchung oder eines ta- gesaktuellen Selbsttests. Ein weiterer fünfter Öffnungsschritt kann - wiederum in Ab- hängigkeit vom Infektionsgeschehen - erfolgen, wenn sich die sieben-Tage-Inzidenz nach dem vierten Öffnungsschritt in dem Land oder der Region 14 Tage lang nicht verschlechtert hat. Dies betrifft dann - je nach Inzidenz - Freizeitveranstaltungen mit bis zu 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmern im Außenbereich, Sport in Innen- und Außenräumen sowie den Verzicht auf Beschränkungen für den Einzelhandel. 37 Die Verpflichtung der Arbeitgeber, nach Möglichkeit eine Tätigkeit im Homeoffice anzubieten, wird verlängert. 38 Darüber hinaus wurde beschlossen, die existierenden Hilfsprogramme zu verlängern und für Unternehmen, die hiervon bislang nicht profitieren konnten, zu erweitern. 39 Nach dieser Maßnahmekonzeption werden damit nun - in Abhängigkeit von einem Unterschreiten einer Inzidenz von 100 - von den Öffnungsuntersagungen und sonsti- gen Kontaktbeschränkungsmaßnahmen, mittels derer bislang die Reduktion von Kon- takten erfolgt ist, sozial und gesellschaftlich besonders gravierende Beschränkungen der Freiheits- und Teilhaberechte wie die Schulschließungen für die Sekundarstufe und die Begrenzung der privaten Kontakte auf eine haushaltsfremde Person zurückge- nommen. Im Übrigen enthält das Konzept eine gestufte Öffnungskonzeption für zahl- reiche weitere bislang untersagte Betriebe und Angebote, die Ob und Wie der Öffnung vom Erreichen und der Stabilität zunächst v. a. der Inzidenzwerte 50 bzw. 100 abhängig macht und ein schnelles Rückfallen auf die Regelungen des Lock- down bei einem Überschreiten der Inzidenz von 100 vorsieht. Begleitet wird dies durch eine angestrebte sehr breite Infektionsermittlung mittels zum Teil freiwilliger, zum Teil verpflichtender (mindestens) wöchentlicher Tests für die gesamte Bevölke- rung, insbesondere in den Schulen und Unternehmen.
18 40 Dieses Konzept verfolgt dabei ersichtlich das Ziel einer größtmöglichen Schonung der Grundrechte der von den Freiheits- und Teilhabeeinschränkungen Betroffenen, indem in der bestehenden volatilen Pandemielage trotz der evidenten Risiken einer Ausbrei- tung infektiöserer Virusvarianten deutliche Öffnungsschritte bereits oberhalb einer In- zidenz von 50 unter Erprobung der noch unsicheren Realisierbarkeit und Effektivität breiter Testungen unternommen werden, obwohl schon die im Februar 2021 unter- nommenen ersten Öffnungsschritte aus dem Lockdown" dazu geführt hatten, dass die Ausbreitung von SARS-CoV-2 im Bundesgebiet und im Freistaat Sachsen nicht mehr abnahm, sondern stagnierte und sodann wieder stieg. Der Verordnungsgeber nimmt damit nun erhebliche Unsicherheiten über die tatsächliche Beherrschbarkeit der Aus- breitung des Coronavirus mittels breiter Testungen zugunsten einer Aufhebung oder Verringerung der Beschränkungen von Freiheits- und Teilhaberechten in Kauf. 41 Dass er ein stufenweises Vorgehen wählt, welches ihm die Möglichkeit gibt, die Aus- wirkungen einzelner Öffnungsmaßnahmen zunächst zu beobachten, bevor weitere Schritte folgen, ist hierbei angesichts der tatsächlichen Unsicherheiten bezüglich der weiteren Entwicklung der Pandemielage und der nach den Pandemieverläufen in Ir- land und Portugal evidenten Gefahren einer überaus schnellen Ausbreitung infektiöse- rer Virusvarianten, insbesondere der Virusvariante B.1.1.7, nicht zu beanstanden. Es entspricht im Übrigen auch den Empfehlungen des RKI, bei der De-Eskalation vor- sichtig und langsam vorzugehen (RKI, ControlCOVID Strategie und Handreichung zur Entwicklung von Stufenkonzepten bis Frühjahr 2021, Stand 18. Februar 2021, S. 3). Es handelt sich daher nicht um eine willkürliche, sondern um eine von sachlichen Erwägungen getragene Entscheidung, gestufte, an der Entwicklung der Pandemielage ausgerichtete, insgesamt aber noch begrenzte Öffnungsschritte insbesondere für ge- sellschaftlich und wirtschaftlich besonders bedeutsame Bereiche vorzusehen, an den weitergehenden Beschränkungen für eine Vielzahl der Lebens- und Wirtschaftsberei- che zum Zweck der Kontaktreduzierung aber festzuhalten. Diese Regelungskonzeption steht auch nach wie vor im Einklang mit den Vorgaben des § 28a Abs. 6 Satz 2 und Satz 3 IfSG, wonach bei Entscheidungen über Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 soziale, gesellschaftliche und wirtschaftliche Auswir- kungen auf den Einzelnen und die Allgemeinheit einzubeziehen und zu berücksichti- gen sind, soweit dies mit dem Ziel einer wirksamen Verhinderung der Verbreitung von
19 COVID-19 vereinbar ist (vgl. dazu im Einzelnen SächsOVG, Beschl. v. 7. Januar 2021 - 3 B 424/20 -, juris Rn. 36). 42 Der Verordnungsgeber ist dabei voraussichtlich auch nicht durch höherrangiges Recht aufgrund der aktuell nicht mehr unmittelbar drohenden Überlastung des Gesundheits- systems darauf verwiesen, nunmehr schnellere und weitere Öffnungsschritte vorzuse- hen, die eine Kontrolle des Infektionsgeschehens nicht mehr erwarten und eine expo- nentielle Zunahme der Infektionen besorgen lassen, und erst nach einem erneuten er- heblichen Anstieg der Auslastung der Krankenhäuser und Intensivstationen zu - dann notwendig wieder deutlich tiefgreifenderen - Kontaktbeschränkungsmaßnahmen zu- rückzukehren. Mit der Regelung des § 28a Abs. 3 Satz 11 IfSG, der auch nach einer Unterschreitung eines in den Sätzen 5 und 6 genannten Schwellenwertes die Aufrecht- erhaltung der in Bezug auf den jeweiligen Schwellenwert genannten Schutzmaßnah- men erlaubt, soweit und solange dies zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavi- rus-Krankheit-2019 (COVID-19) erforderlich ist, macht bereits das Bundesgesetz deutlich, dass es mit dem Willen des parlamentarischen Gesetzgebers in Einklang steht, keinen solchen Jo-Jo-Effekt von aufeinander folgenden exponentiellen Epide- miewellen und massiven Kontaktbeschränkungsmaßnahmen zuzulassen. Ein solches Vorgehen ist auch nicht in gleicher Weise zur Pandemiebekämpfung geeignet. Die ge- genwärtige volatile Pandemielage ist durch die neuen Faktoren einer fortschreitenden Impfung, der zwar einerseits breiter als vormals verfügbaren Tests aber einer anderer- seits in ihrer Effektivität noch nicht verlässlich beurteilbaren Teststrategie, sowie deut- lich infektiöserer Virusvarianten gekennzeichnet. Für die Auswirkungen von Maß- nahmen und Strategien in dieser neuen Situation existieren weder eindeutige wissen- schaftliche Erkenntnisse noch Erfahrungswerte. Da Hospitalisierungen und Einwei- sungen auf die Intensivstationen (ITS) erst mit einem zeitlichen Verzug nach der In- fektion erfolgen und somit der Infektionsentwicklung ohnehin stets hinterherlaufen, und da auch Kontaktbeschränkungsmaßnahmen erfahrungsgemäß erst mit einer gewis- sen zeitlichen Verzögerung zu wirken beginnen, ist es - allzumal angesichts der in Ir- land und Portugal zu verzeichnenden rasanten Pandemieentwicklungen im Rahmen der Ausbreitung der Virusvariante B.1.1.7 (vgl. https://www.leopoldina.org/presse- 1/nachrichten/darstellung-der-entwicklung-des-infektionsgeschehens-in-irland/ und https://de.wikipedia.org/wiki/COVID-19-Pandemie_in_Portugal) - nicht evident und zweifelsfrei, dass es dem Verordnungsgeber möglich ist, eine exponentielle Ausbrei-
20 tung des Virus so gesteuert zuzulassen, dass eine Überlastung des Gesundheitssystems sicher vermieden wird. Ohnehin liegt der Anteil der COVID-ITS Fälle an der ITS- Kapazität im Freistaat Sachsen noch über 12 % und damit über dem Schwellenwert, den das RKI für die Einleitung von Lockerungsmaßnahmen empfiehlt (RKI, Control- COVID, a. a. O., S. 6). Eine bloße Fokussierung auf eine Vermeidung der Überlastung des Gesundheitssystems vernachlässigt zudem zu Unrecht, dass dies nur einer der As- pekte ist, unter dem in der gegenwärtigen Pandemielage besondere Gefahren für Le- ben und Gesundheit der Bevölkerung drohen. Ein weiterer wesentlicher Gesichtspunkt sind hingegen die Folgen der bislang nicht hinreichend behandelbaren Erkrankung COVID-19 selbst, die auch jenseits der mittlerweile zu einem hohen Anteil geimpften Hochrisikogruppen mit einer zwar geringeren, aber gleichwohl signifikanten statisti- schen Häufigkeit zu tödlichen Verläufen und gravierenden gesundheitlichen Folge- schäden führt. Allzumal angesichts der in wenigen Monaten in Aussicht stehenden Durchimpfung der Bevölkerung stellt es ebenfalls ein legitimes Ziel des Verord- nungsgebers dar, hohe Pandemiewellen auch in der nicht zur Hochrisikogruppe zäh- lenden Bevölkerung zu verhindern, weil auch dort eine massive Verbreitung des Virus letztlich unweigerlich eine entsprechend quantitativ hohe Anzahl von Todesfällen und erheblichen gesundheitlichen Folgeschäden nach sich zieht, die bei einer erfolgreichen Begrenzung der Pandemie bis zur Durchimpfung wohl vermeidbar wären. Es ist schließlich auch nicht evident und eindeutig, dass epidemiologisch verfrühte Öffnun- gen mit dem dann absehbar eintretenden Jojo-Effekt milder und grundrechtsscho- nender gegenüber einem zeitlich zwar verzögerten, dafür aber prognostisch nachhalti- geren Öffnungsschritt sind. Denn auch der Nachvollzug von Öffnungen und Schlie- ßungen ist für die Betriebe und Einrichtungen mit einem zum Teil erheblichen Auf- wand verbunden, der sich bei nur kurzen Phasen einer Öffnung kaum lohnen dürfte. Auch insoweit ist daher dem Verordnungsgeber ein Einschätzungsspielraum eröffnet, dessen Grenzen hier nicht überschritten sein dürften und der daher nicht durch die ei- gene Wertung des Gerichts ersetzt werden kann. 43 § 28a Abs. 1 Nr. 16 IfSG i. V. m. § 33 Nr. 3 IfSG sieht hierbei die Schließung von Schulen oder die Erteilung von Auflagen für die Fortführung des Betriebs als mögli- che notwendige Schutzmaßnahme i. S. d. § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 IfSG zur Verhinde- rung der Verbreitung von COVID-19 ausdrücklich vor. Bei den in § 5a Satz 1 Säch- sCoronaSchVO vorgesehenen Zutrittsverbot in Abhängigkeit von der Durchführung
21 eines Corona-Tests handelt es sich um eine Auflage im vorgenannten Sinne. Da § 28a Abs. 1 Nr. 16 IfSG sogar Schließungen von Schulen vorsieht, bestehen auch keine Be- denken, dass die in § 5a Abs. 5 Satz 1 SächsCoronaSchVO getroffene Regelung von der genannten Ermächtigungsgrundlage umfasst ist. Die Geltungsdauer der Sächsi- schen Corona-Schutzverordnung vom 5. März 2021 beschränkt sich ferner nach ihrem § 12 Abs. 1 und 2 auf weniger als vier Wochen und überschreitet den von § 28a Abs. 5 Satz 2 IfSG vorgegebenen Regelgeltungszeitraum nicht. 44 3. Die angegriffene Regelung dürfte auch im Übrigen mit höherrangigem Recht ver- einbar sein. 45 3.1 § 5a Abs. 5 IfSG verstößt voraussichtlich nicht gegen den Bestimmtheitsgrundsatz aus Art 20 Abs. 3 GG. 46 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts müssen gesetzliche Rege- lungen so gefasst sein, dass der Betroffene seine Normunterworfenheit und die Rechts- lage so konkret erkennen kann, dass er sein Verhalten danach auszurichten vermag. Die Anforderungen an die Bestimmtheit erhöhen sich mit der Intensität, mit der auf der Grundlage der betreffenden Regelung in grundrechtlich geschützte Bereiche ein- gegriffen werden kann. Dies hat jedoch nicht zur Folge, dass die Norm dann überhaupt keine Auslegungsprobleme aufwerfen darf. Dem Bestimmtheitserfordernis ist viel- mehr genügt, wenn diese mit herkömmlichen juristischen Methoden bewältigt werden können (BVerfG, Beschl. v. 27. November 1990 - 1 BvR 402.87 -, juris Rn. 45). Es ist auf die Sicht des durchschnittlichen Normadressaten abzustellen, wobei ein objektiver Maßstab anzulegen ist (SächsOVG, Beschl. v. 12. Mai 2020 - 3 B 177/20 -, juris Rn. 10). 47 (a) Hiervon ausgehend ist die Norm zunächst nicht deshalb unbestimmt, weil das Zu- trittsverbot nach § 5a Abs. 5 Satz 1 SächsCoronaSchVO nach Satz 4 SächsCoronaSchVO nur für diejenigen Schulen gilt, in denen Selbsttestkits für schuli- sches Personal, Hortpersonal sowie, mit Ausnahme der Primarstufe, Schülerinnen und Schüler in hinreichender Zahl vorliegen. Zwar dürften die Normadressaten sich ohne entsprechende Information kaum Klarheit über Geltung des Zutrittsverbots verschaf- fen können. Aber dies gibt die Norm ihnen auch nicht auf. Sie lässt sich vielmehr so
22 auslegen, dass das Zutrittsverbot erst dann gelten soll, wenn von der Schule, der Schulträger oder einer anderen staatlichen Stelle in geeigneter Art und Weise bekannt gemacht worden ist, dass Selbsttestkits in ausreichender Zahl in der betroffenen Schu- le vorliegen. Das lässt sich bereits aus § 5a Abs. 5 Satz 6 SächsCoronaSchV entneh- men, wonach im Eingangsbereich des Geländes der Schule entsprechende Hinweise anzubringen sind, sofern ein Zutrittsverbot nach Satz 1 gilt. Eine andere Auslegung wäre fernliegend. 48 (b) Die angegriffene Norm ist auch nicht deswegen zu unbestimmt, weil sie den Nor- madressaten im Unklaren darüber lässt, welche Art von Tests in der Schule bereitge- stellt werden sollen. Nach § 5a Abs. 5 Satz 4 SächsCoronaSchVO können die Betrof- fen den Nachweis, dass sie nicht mit dem Coronavirus infiziert sind, auch mit soge- nannten Selbsttestkits erbringen. Hierbei kann es sich um Tests handeln, bei denen ein Abstrich direkt im vorderen Nasenbereich erfolgt, oder um vergleichbare Tests, die nicht mit beachtlichen Schmerzen einhergehen können. Zu einer näheren Konkretisie- rung war der Verordnungsgeber im Hinblick auf die Verwendung von Selbsttest im öffentlichen Diskurs nicht verpflichtet. 49 (c) § 5a Abs. 5a SächsCoronaSchVO ist auch nicht deswegen zu unbestimmt, weil sie die Häufigkeit der Testpflicht für Schüler nicht hinreichend bestimmt. Nach § 5a Abs. 5 Satz 2 SächsCoronaSchVO dürfen die ärztliche Bescheinigung und die Durchfüh- rung der Tests nicht länger als drei Tage, für Schülerinnen und Schüler nicht länger als eine Woche zurückliegen. Hieraus folgt, dass sich Schüler nur einmal pro Woche tes- ten lassen müssen. Die Norm ist dahingehend auszulegen, dass dieser Turnus auch für die in § 5a Abs. 5 Satz 4 SächsCoronaSchVO angesprochenen Selbsttests gilt. 50 (d) Schließlich ist § 5a Abs. 5a SächsCoronaSchVO auch nicht unbestimmt, soweit § 5a Abs. 5 Satz 3 SächsCoronaSchVO bestimmt, dass das Zutrittsverbot nach Satz 1 nicht gilt, wenn unmittelbar nach dem Betreten des Geländes ein Test durchgeführt wird. Hieraus wird hinreichend deutlich, dass die betroffene Schule geeignete organi- satorische Maßnahmen treffen muss, um das Risiko einer Ausbreitung des Coronavi- rus durch infizierte Personen zu minimieren. Dabei muss der Schule im Hinblick auf unterschiedliche Gegebenheiten vor Ort ein organisatorischer Spielraum verbleiben. Zu einer näheren Konkretisierung war der Verordnungsgeber nicht verpflichtet.
23 51 3.2 Die angegriffene Vorschrift ist auch nicht deswegen unwirksam, weil sie mit ei- nem Eingriff in das die körperliche Unversehrtheit schützende Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verbunden ist, der nicht von der in Rede stehenden Verordnungser- mächtigung gedeckt ist. 52 Nach § 32 Satz 1 IfSG werden die Landesregierungen ermächtigt, unter den Voraus- setzungen, die für Maßnahmen nach den §§ 28 bis 31 IfSG maßgebend sind, auch durch Rechtsverordnungen entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung über- tragbarer Krankheiten zu erlassen. Die Landesregierungen können die Ermächtigung nach Satz 2 der Vorschrift durch Rechtsverordnung auf andere Stellen übertragen. § 32 Abs. 3 IfSG bestimmt, dass die Grundrechte der Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG), der Freizügigkeit (Art. 11 Abs. 1 GG), der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG), der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 Grundgesetz) und des Brief- und Postgeheimnisses (Art. 10 GG) insoweit eingeschränkt werden können. 53 Das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG (körperliche Unversehrtheit) gehört nicht zu den in § 32 Satz 3 IfSG ausdrücklich aufgeführten einschränkbaren Grundrechten. Dies ist hier aber schon deswegen unschädlich, weil der Schutzbereich dieses Grund- rechts bereits nicht eröffnet ist. 54 Das Recht auf körperliche Unversehrtheit gewährleistet zum einen die Gesundheit im biologisch-physiologischen Sinne, einschließlich der Integrität der Körpersphäre. Über den Wortlaut hinaus garantiert das Recht auf körperliche Unversehrtheit auch das psychisch-seelische Wohlbefinden. Dieses erweiterte Verständnis ergibt sich aus dem Zusammenhang des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG mit der Menschenwürde, die den Schutz der Identität und der Integrität ebenfalls nicht auf den körperlichen Bereich be- schränkt, und aus der Entstehungsgeschichte des Grundrechtsartikels, denn Psychoter- ror, seelische Folterungen und entsprechende Verhörmethoden, die im Dritten Reich zu den Verbrechen jener Zeit gehörten, sollten unter der Geltung des Grundgesetzes geächtet werden. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit schützt damit jedenfalls vor solchen psychischen Beeinträchtigungen, die in ihren Wirkungen körperlichen Schmerzen gleichkommen. Dazu gehören z.B. psychische Folterungen und seelische Quälereien. Die Gesundheit umfasst auch die Freiheit von Schmerz (vgl. hierzu King- reen/Poscher, Grundrechte Staatsrecht II, 33. Aufl., 2017, Rn. 472). Die materielle
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