S1OKTOBER 2020 - DEUTSCHE DIABETES ...
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Vorsicht: Bildbreite 134 mm ► Diabetologie Diabetologie und Stoffwechsel und Stoffwechsel Supplement S1 Heft S1 • Oktober 2020 • 15. Jahrgang • Seite S1– S272 PRAXISEMPFEHLUNGEN DDG Oktober 2020 Seite S1–S272 15. Jahrgang Praxisempfehlungen der Deutschen Diabetes Gesellschaft Herausgegeben von A. Neu und M. Kellerer im Auftrag der DDG This journal is listed in Science Citation Index, EMBASE and SCOPUS CLINICAL PRACTICE RECOMMENDATIONS Offizielles Organ der Deutschen Diabetes Gesellschaft ▪ Aktualisierte Version 2020
DDG-Praxisempfehlungen Empfehlungen zur Ernährung von Personen mit Typ-1-Diabetes mellitus Autoren Diana Rubin1, 2, Anja Bosy-Westphal3, Stefan Kabisch4, Peter Kronsbein5, Marie-Christine Simon6, Astrid Tombek7, Katharina Weber8, Thomas Skurk9, für den Ausschuss Ernährung der DDG Institute Bibliografie 1 Vivantes Klinikum Spandau, Berlin Diabetologie 2020; 15 (Suppl 1): S120–S138 2 Vivantes Humboldt Klinikum, Berlin DOI 10.1055/a-1245-5623 3 Institut für Humanernährung, Agrar- und ISSN 1861-9002 Ernährungswissenschaftliche Fakultät, Christian-Albrechts- © 2020. Thieme. All rights reserved. Universität zu Kiel, Kiel Georg Thieme Verlag KG, Rüdigerstraße 14, 4 Deutsches Institut für Ernährungsforschung Potsdam- 70469 Stuttgart, Germany Rehbrücke, Potsdam 5 Fachbereich Oecotrophologie, Hochschule Niederrhein, Korrespondenzadresse Campus Mönchengladbach Prof. Dr. Diana Rubin 6 Institut für Ernährungs- und Lebensmittelwissenschaften, Zentrum für Ernährungsmedizin Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Bonn Vivantes Klinikum Spandau, Neue Bergstraße 6, 13585 Berlin, 7 Diabetes-Klinik Bad Mergentheim Deutschland 8 Institut für Epidemiologie, Christian-Albrechts-Universität Diana.Rubin@vivantes.de zu Kiel, Kiel 9 ZIEL – Institute for Food & Health, Technische Universität München, München [2, 3] sowie angesichts des Consensus Report „Nutrition Therapy AB KÜ R ZU N GEN for Adults with Diabetes or Prediabetes” [4, 5] hat sich der Aus- ADI Acceptable Daily Intake schuss Ernährung der DDG das Ziel gesetzt (geplante Publikation CGM kontinuierliche Glukosemessung 2021), evidenzbasierte praktische Empfehlungen zur Ernährung EFSA European Food Safety Authority zielgruppenspezifisch für die verschiedenen (Sub-)Typen des Di- EN Energierichtwert abetes mellitus in einem zusammenfassenden Werk darzustellen. GI Glykämischer Index Eine nach Diabetestypen und Behandlungsformen getrennte Dar- MNA Mini Nutritional Assessment stellung wird für erforderlich erachtet, da sich die therapeutische n-9RCFA red cell phospholipid fatty acids Bedeutung der Ernährung jeweils deutlich unterscheidet und vor rtCGM real-time CGM dem Hintergrund unterschiedlicher medikamentöser Therapie- iscCGM intermittent-scanning CGM komponenten betrachtet werden muss. T1Dm Typ-1-Diabetes mellitus Der vorliegende Beitrag stellt die bisher geleistete Arbeit zu ausgewählten ernährungstherapeutischen Aspekten in der Be- handlung des Typ-1-Diabetes dar. Ernährungsempfehlungen sollen die individuellen Lebens- und Präambel Ernährungsgewohnheiten der jeweiligen Person mit Diabetes Diese Praxisempfehlung richtet sich an alle Betroffenen mit Typ-1- mellitus berücksichtigen, was letztlich bedeutet, die gewohnte Diabetes sowie alle Berufsgruppen, die Menschen mit Typ- Ernährungsweise so weit wie möglich beizubehalten. 1-Diabetes betreuen. Verschiedene Einflussvariablen wie Bewegung, Stress, Mahlzei- Die letzten „Evidenz-basierten Ernährungsempfehlungen zur Be- tenkomposition und weitere beeinflussen die Blutglukosewerte handlung (und Prävention) des Diabetes mellitus“ stammen aus mit einer hohen individuellen Schwankungsbreite. dem Jahr 2005 [1]. Seither wurde der Aspekt „Ernährung und Dia- Empfehlungen, die gewohnte Ernährungsweise zu modifizie- betes“ von der DDG als Unterkapitel im Rahmen von zahlreichen ren – und damit aus der Sicht des Patienten einzuschränken –, übergeordneten Leitlinien und Praxisempfehlungen abgedeckt. sind dann gerechtfertigt, wenn mit dieser Lebensstiländerung Entsprechend einer geforderten Individualisierung von Thera- evidenzbasiert ein klinisch relevanter gesundheitlicher Vorteil pie, Beratung, Empowerment und diabetes self-management S120 Rubin D et al. Empfehlungen zur Ernährung… Diabetologie 2020; 15 (Suppl 1): S120–S138 | © 2020. Thieme. All rights reserved.
erreicht werden kann bzw. einer gesundheitlichen Bedrohung Die individualisierte Ernährung und die entsprechende Anpas- vorgebeugt wird. sung der Insulindosis-Algorithmen kann zu einer besseren Akzep- Es ist zu beobachten, dass Autorinnen und Autoren von Beob- tanz der Erkrankung führen. Dies ist in besonderem Maße für achtungs- und experimentellen Studien mit kleiner Probanden- Kinder und Jugendliche von Bedeutung. zahl aus ihren Studienergebnisse immer wieder allgemeine Emp- fehlungen ableiten, obwohl dies nicht gerechtfertigt ist, insbesondere wenn es sich um Empfehlungen zur Bevorzugung WIS SE N SCH AF T LICH ER HI NTERGRU ND singulärer Lebensmittel(gruppen) handelt. In diesem Sinne soll Harte Evidenz für die KE Einschätzung liegt nicht vor. In einer die für 2021 geplante Publikation dazu beitragen, aus der Enzy- Pilotstudie wurden 256 Menschen mit T1D in Ernährung entwe- klopädie aktueller Ernährungsempfehlungen auf diejenigen zu der geschult oder nicht. Im Vergleich der beiden Gruppen, hat- fokussieren, die für die spezifische Therapie evidenzbasiert und ten Patienten mit Schulung einen signifikant geringeren HbA1c klinisch/gesundheitlich relevant sind. (7,8 +/– ± 1,3–7,4 +/– ± 0,9 % vs. 7,5 +/– ± 0,8–7,5 +/± 1,1) und In den hiermit vorgelegten Praxisempfehlungen zur Ernährung weniger Hypoglykämien [10]. bei Typ-1-Diabetes wird deutlich, dass die Evidenz für allgemeine In einer Studie mit 43 Kindern im Alter von 8,5–17,7 Jahren mit Empfehlungen begrenzt ist. Bei zahlreichen Aspekten der Ernäh- ICT wurden postprandiale Glukoseverläufe in Abhängigkeit der rung ist das individuelle Testen (CGM) der glykämischen Effekte Kohlenhydratmengen untersucht. Hier konnte gezeigt werden, der Nahrungsaufnahme von Bedeutung. Die so ermittelten Erfah- dass bis auf 10 g Kohlenhydrat genau geschätzt werden muss, rungswerte stellen – neben den eigenen Nahrungspräferenzen – um im postprandialen Ziel zu bleiben [11]. Zu ähnlichen eine geeignete Basis für die individuelle Lebensmittelauswahl Ergebnissen und der Wichtigkeit der guten Schulung für die und die dazu passende Strategie der Insulinapplikation dar. Kohlenhydratberechnung kam auch eine weitere Studie mit Typ-1-Patienten [12]. Die Wichtigkeit des richtigen Trainings in der Kohlenhydratberechnung konnte eine Studie mit Ernährungsaspekte in Bezug auf die Glykämie 102 Kindern und Jugendlichen im Alter von 8,3–18,1 Jahren zei- und glykämische Zielparameter gen. Hier war der mittlere Grammfehler negativ signifikant mit dem HbA1c korreliert (r = –0,7). Es konnte auch gezeigt werden, Abschätzung von Kohlenhydratmengen dass, je länger die Kinder bereits Kohlenhydrate berechneten der mittlere prozentuale Fehler umso größer wurde (r = 0,173). Empfehlung Die Autoren kamen daher zum Schluss, dass Kinder und ihre Patienten sollen Betreuung gut schätzen können, dass aber eine Gramm-Berech- ▪ die Menge aufgenommener Kohlenhydrate auf 1 KE (10 g) nung nicht besser ist als eine Portionsberechnung. Wiederholte genau pro Mahlzeit richtig abschätzen können (als Basis für altersabhängige Schulungen sind aber nötig, um die Fehlerquo- eine algorithmusgeleitete Dosierung des prandialen Insulins). te zur reduzieren [13]. Und auch bei Pumpentherapie konnte ▪ ihre individuellen postprandialen Glukoseverläufe kennen. nachgewiesen werden, dass für eine gute postprandiale Einstel- ▪ ein wiederholtes Testen einer standardisierten Mahlzeit lung, die akkurate Kohlenhydratberechnung mit 10 g Genauig- idealerweise über ein rtCGM bzw. iscCGM durchführen keit von Bedeutung ist. In dieser Studie mit 30 Kindern (8– 18 Jahre) mit CSII Therapie wurde auch gezeigt, dass die Genau- Kommentar igkeit nicht mit der Menge zusammenhängt. Evidenzbasierte Studien liegen kaum vor, allerdings zeigt die prak- tische Erfahrung folgende Ergebnisse. Von entscheidender Bedeu- tung für die Therapie des Typ-1-Diabetes ist, dass die Patienten in Glykämischer Index die Lage versetzt werden, die Glukosewirksamkeit ihrer Ernährung Empfehlung einzuschätzen, um die Insulindosierung entsprechend anpassen zu können [6–8]. Eine strukturierte Schulung soll dafür die Basis ▪ Dem individuellen Testen der Glykämieantwort (durch schaffen. Sie sollte wiederholt stattfinden [6, 8]. Glukose-Selbstkontrollen) auf die präferierten Lebensmittel Eine Empfehlung zur Menge der Kohlenhydrate gibt es nicht und Mahlzeiten kommt eine große Bedeutung zu, um eine [7, 8]. Wie viel von den einzelnen Makronährstoffen gegessen adäquate individuelle prandiale Insulinapplikationsstrategie werden sollte, ist individuell zu betrachten. Die Bewertung der (u. a. über Spritzzeitpunkt und Applikationsmodus bei CSII) postprandialen Glukoseverläufe über rtCGM und iscCGM kann zu entwickeln und umzusetzen. helfen, die richtige Bolusvariante oder den richtigen Spritz-Ess- ▪ Es besteht keine Evidenz, dass Personen mit T1Dm zur Errei- Abstand zu wählen [9]. Gerade bei einer vorliegenden Gastropare- chung ihrer Therapieziele in ihrer Ernährung grundsätzlich se kann über die Steuerung unterschiedlicher Bolusvarianten ein Kohlenhydratträger mit niedrigem GI bevorzugen sollten. individuell angepasster Verlauf gesichert werden. ▪ Für einzelne Mahlzeiten wird empfohlen, kohlenhydratreiche Patienten mit Fixdosis müssen im besonderen Maße die richti- Lebensmittel mit niedrigem GI (unter ca. 30) mit deutlich gen Kohlenhydratmengen in der Mahlzeit abschätzen [7]. Ebenso weniger prandialem Insulin abzudecken, um – insbes. bei einer ist es in der Schwangerschaft für moderate postprandiale Gluko- nahezu normoglykämischen Stoffwechselsituation – Hypogly- severläufe wichtig, die Kohlenhydratmengen richtig zu schätzen. kämien vorzubeugen. Rubin D et al. Empfehlungen zur Ernährung… Diabetologie 2020; 15 (Suppl 1): S120–S138 | © 2020. Thieme. All rights reserved. S121
DDG-Praxisempfehlungen Kommentar Insgesamt ergibt sich aus den vorliegenden mehrwöchigen Diätstudien („diet studies“) keine Evidenz, dass Menschen mit GI-Tabellen kursieren mittlerweile mannigfaltig, allerdings bieten Typ-1-Diabetes in ihrer Ernährung schwerpunktmäßig Kohlenhy- sich nur wenige, die im Rahmen wissenschaftlicher Beiträge publi- dratträger mit niedrigem GI bevorzugen sollten. ziert sind [14–16], als Basis für die Benennung des GI kohlenhyd- Hinsichtlich des Konsums einzelner Lebensmittel/Mahlzeiten rathaltiger Lebensmittel an. Zur Beurteilung des GI ist zu berück- erscheint (entsprechend den „acute food/meal studies“ sowie sichtigen, dass es sich bei den GI-Werten grundsätzlich um der klinischen Erfahrung) die besondere Berücksichtigung von Mittelwerte aus mehreren Studien handelt. Sorte, Reifegrad, kohlenhydrathaltigen Lebensmitteln mit einem sehr niedrigen GI Anbau-/Produktionsort und ggf. Rezeptur eines Lebensmittels ha- (unter ca. 30) bzw. einem sehr hohen GI (über ca. 90) empfehlens- ben entscheidenden Einfluss auf den GI. So wird z. B. für Bananen wert. ein mittlerer GI von 48 (Ref. Glukose = 100 %; Probanden: Typ-2- Die Lebensmittel mit einem sehr niedrigen GI (unter ca. 30: Diabetes) ausgewiesen – mit einer Spannbreite der insgesamt z. B. Hülsenfrüchte, Nüsse) sollten mit weniger prandialem Insulin 9 berücksichtigten Studien von GI 30 bis GI 58 [14]. Für gekochten abgedeckt werden, um bei nahezu normoglykämischen präpran- weißen Reis (mittlerer GI: 59) liegt die Spannbreite sogar zwi- dialen Blutglukosewerten Hypoglykämien zu vermeiden, solche schen GI 43 und GI 112 [14]. mit einem sehr hohen GI (insbesondere zuckergesüßte Getränke) Studien bei Erwachsenen mit Typ-1-Diabetes unter experi- sind eher der Selbstbehandlung von Hypoglykämien vorbehalten. mentellen Bedingungen, die die Blutglukoseantwort auf (einzel- Dem individuellen Testen der Glykämieantwort (durch Glu- ne) ganze Mahlzeiten mit niedrigem vs. hohem GI verglichen [17– kose-Selbstkontrollen) auf die präferierten Lebensmittel und 19], haben signifikant niedrigere Blutglukoseantworten nach Mahlzeiten kommt eine große Bedeutung zu, ähnlich dem He- Mahlzeiten mit niedrigem GI festgestellt und Hypoglykämien rausfinden einer optimalen persönlichen Strategie für körperliche beobachtet, wenn Kohlenhydratträger mit niedrigem GI (Linsen) Aktivität bei Diabetes. mit der üblichen Dosis Mahlzeiteninsulin abgedeckt werden [17]. Auf diese Weise lassen sich die Einflussfaktoren neben der auf- Eine Studie unter experimentellen Bedingungen, die bei Insu- genommenen KH-Menge erfassen, die sich auf die postprandiale linpumpentherapie die Blutglukoseantwort über einen ganzen Blutglukoseantwort auswirken, und das sind außer dem GI z. B. Tag (jeweils 4 Mahlzeiten) untersuchte [20], hat ermittelt, dass auch Trinkmenge, Fett-, Eiweiß-, Alkoholgehalt begleitender eine nahezu normoglykämische Stoffwechselsituation unabhän- Lebensmittel, präprandiale Glykämie, generelle Glykämiesitua- gig vom GI erreicht wird, wenn die Patienten ihre Insulinapplika- tion, Körpergewicht, körperliche Aktivität, Resorption des Insulins tion adäquat anpassen. aus der Applikationsstelle. Mittel- und langfristige Studien zu den Effekten einer Diät mit Die Bewertung der postprandialen Glukoseverläufe über niedrigem durchschnittlichem GI (low-GI diet) vs. hohen durch- rtCGM und iscCGM kann helfen, die entsprechende Insulindosis schnittlichen GI (high-GI diet) bei Erwachsenen mit Typ-1-Diabe- sowie die Bolusvariante oder den entsprechenden Spritz-Ess-Ab- tes unter Alltagsbedingungen existieren kaum; sie stammen vor- stand zu wählen. Menschen mit ICT-Therapie haben die Möglich- wiegend aus den 1990er-Jahren und rekrutierten wenige keit, über Spritz-Ess-Abstände oder gesplittete Boli zu agieren. Probanden [18, 21]. Menschen mit einer CSII-Therapie können über duale Boli/Multi- In eine Metaanalyse aus dem Jahr 2010 [22] wurden 2 Studien wave-Boli oder verzögerte Boli und Spritz-Ess-Abstände agieren. bei Erwachsenen mit Typ-1-Diabetes einbezogen; sie weisen aller- Grundsätzliche Kriterien für die Entscheidung sind Ausgangsgluko- dings methodische Mängel auf bzw. sind für Aussagen zum GI sewerte, die Kohlenhydratmenge (KE) und dem GI der Nahrung. nicht relevant [23, 24]. Ein neueres Review zur Relevanz des GI Insbesondere bei Abendmahlzeiten mit sehr niedrigem GI müssen aus dem Jahre 2018 bei Erwachsenen hat Menschen mit Typ- (nächtliche) Hypoglykämien verhindert werden. 1-Diabetes nicht inkludiert [25]. Die Blutglukoseantwort ist immer in Kombination mit der Insu- Studien bei Kindern und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes linstrategie zu sehen. In der Praxis hat sich bewährt, nach eigenen wurden im Wesentlichen an kleinen Probandenzahlen und unter Erfahrungswerten bei bestimmten Lebensmitteln und Ausgangs- experimentellen Bedingungen durchgeführt [26–28], sodass sich situationen den Injektionszeitpunkt bzw. bei CSII den Insulinapp- daraus keine grundsätzlichen Vorteile und keine favorisierenden likationsmodus zu variieren. Empfehlungen ableiten lassen. Eine Studie aus dem Jahr 2001 [29] untersuchte über 52 Wochen 2 verschiedene Diätempfehlun- gen bei Kindern mit Typ-1-Diabetes. Die Ergebnisse dieser Studie Insulinbedarf für eiweiß- und fettreiche Mahlzeiten werden häufig als Argument für den Vorteil einer Ernährung mit Empfehlung niedrigem GI herangezogen. Dies ist allerdings nicht gerechtfer- ▪ Es besteht keine Evidenz, dass Menschen mit Typ-1-Diabetes tigt, da die Studie keinen Vergleich einer low-GI mit einer high-GI ihre Mahlzeiten grundsätzlich quantitativ auf den Energie-, diet intendierte, sondern primär eine Ernährung mit festgelegter Fett- und Eiweißgehalt hin abschätzen, um daraus einen Kohlenhydratverteilung („KE-Gerüst“) vs. eine Ernährung mit zusätzlichen Insulinbolus abzuleiten. flexibler KH-Aufnahme verglichen hat. Die Auswertung der Ernäh- ▪ Die Blutzuckerantwort auf sehr fett- bzw. eiweißreiche Mahl- rungsprotokolle der Probanden ergab für beide Gruppen identi- zeiten ist individuell unterschiedlich und sollte per Selbstkon- sche Werte für den mittleren GI der konsumierten Kohlenhydrat- trolle ermittelt und dokumentiert werden. Auf dieser Basis träger. wird ggf. ein Mehrbedarf an Insulin individuell entwickelt. S122 Rubin D et al. Empfehlungen zur Ernährung… Diabetologie 2020; 15 (Suppl 1): S120–S138 | © 2020. Thieme. 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▪ Eine Erhöhung der prandialen Insulindosis für eiweißreiche Kommentar Abendmahlzeiten erhöht das Risiko nächtlicher Hypoglykä- Eine ballaststoffreiche Ernährung wird gemeinhin als gesundheits- mien. fördernd angesehen, insbesondere bei Diabetes mellitus. Die ▪ Menschen mit Typ-1-Diabetes sollten die Auswirkung von Fet- Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt für die Allgemein- ten und Eiweißen auf die Glukosewerte einschätzen können. bevölkerung die tägliche Aufnahme von mindestens 30 g Ballast- stoffen, was vom Durchschnitt der deutschen Bevölkerung jedoch Kommentar nicht erreicht wird [36]. Evidenzgesicherte Empfehlungen für eine Auch proteinreiche Mahlzeiten bewirken einen gewissen Insulin- bestimmte Menge an Ballaststoffen bei Diabetes bestehen bislang bedarf und können zu einer postprandialen verzögerten und nicht. Auch wenn viele Studien für Typ-2-Diabetes konzipiert wur- nachhaltigen Hyperglykämie führen [30–32]. Bei einer Kohlenhy- den, wird häufig nicht explizit zwischen den Diabetestypen diffe- dratzufuhr von etwa 50 Energieprozent und der restlichen Vertei- renziert, obwohl es bestimmte Aspekte gibt, die eine getrennte lung auf Fett und Eiweiß werden ca. 50 % des Gesamtinsulins auf Betrachtung erfordern [37]. das schnellwirksame Mahlzeiteninsulin verteilt und 50 % über die Im späteren Leben ist bezüglich z. B. renaler Endpunkte die Stu- Basalversorgung abgedeckt. Menschen mit Typ-1-Diabetes, die dienlage für Ernährungsformen, die ballaststoffreich sind (DASH Di- sich low carb ernähren, haben dementsprechend einen höheren ät, vegetarisch, vegan), uneinheitlich, jedoch mit einem schwachen Basalanteil und einen geringeren Anteil des Mahlzeiteninsulins. Hinweis auf den Vorteil von vegetarischer Ernährung im systemati- Es gibt aber Situationen, in denen zur Hauptmahlzeit wenig Koh- schen Review [38]. Als positives Outcome einer höheren Ballast- lenhydrate, viel Fett und Eiweiß gegessen werden oder aber stoffzufuhr werden bei T1Dm ein verminderter Blutdruck [39] und abends ein hoher Anteil an Fett und Eiweiß über beispielsweise eine geringere inflammatorische Last genannt [40]. Nüsse aufgenommen wird. Dann reicht ein einfacher Bolus über Bezüglich des Gewichtsmanagements haben Ballaststoffe das Mahlzeiteninsulin in der Regel nicht aus. Eine Möglichkeit, einen festen Platz zumindest bei Typ-2-Diabetes, wenn diese im den langsamen Glukoseanstieg infolge solcher Mahlzeiten abzu- Rahmen einer Kost verzehrt werden, die einen niedrigen glykämi- decken, wäre beispielsweise eine Korrektur mit schnellem Mahl- schen Index hat [41]. Ballaststoffe tragen zu einer Reduktion der zeiteninsulin zu einem späteren Zeitpunkt. Bei einer CSII-Therapie Energiedichte und zu einer Verminderung des glykämischen Index wäre es ebenfalls möglich, einen verzögerten Bolus zu geben. Um bei und modulieren das Blutglukoseprofil positiv. Auch in Beob- zu wissen, wie viel Bolus gegeben werden muss, wurde als Maß achtungsstudien an Personen mit T1Dm konnte ein Zusammen- die FPE (Fett-Protein-Einheit) propagiert. hang mit einem niedrigeren HbA1c-Wert gezeigt werden, aller- Nach Pankowska werden dazu 100 kcal aus Fett und Eiweiß ana- dings war der Zusammenhang nur schwach signifikant, was log einer KE berechnet und je nach Menge der FPE bis über maximal möglicherweise durch die suboptimale aufgenommene Ballast- 8 Stunden als verzögerter Bolus abgegeben [30, 33]. In der Praxis stoffmenge erklärt sein könnte (MW 16 g BS pro Tag) [42]. und in verschiedenen Studien wurde jedoch beobachtet, dass diese Um den Einfluss der Mikrobiota zu untersuchen, wurden Prä- Formel nicht für alle Menschen mit Typ-1-Diabetes gleich gut ver- biotika zur Verbesserung der Bakteriendiversität angewendet. wendet werden kann. In einer Arbeit von Hermann wurde eine Inulin führte bei jungen Typ-1-Diabetes-Patienten (< 17 Jahre) zu Berechnung mit 200 kcal entsprechend einer KE verglichen [34]. In einer Vermehrung der Bifidobakterien und zeitgleich zu einem dieser Arbeit konnte bestätigt werden, dass kaum eine Formel auf höheren C-Peptid-Wert als in der Kontrollgruppe [43]. alle gleich angewandt werden kann. In einer Pilotstudie mit Nüssen konnte ebenfalls das gleiche Ergebnis ermittelt werden [35]. Es sind Zufuhr von Saccharose und Fruktose Glukoseanstiege nach fett- und eiweißreichen Lebensmitteln fest- Empfehlung zustellen, allerdings muss die Menge der Insulindosierung individu- ell ermittelt und geschult werden. ▪ Es gibt über allgemeingültige Empfehlungen hinaus keine Evi- denz für spezielle Empfehlungen zur Reduktion von zugesetz- Ballaststoffe und glykämische Kontrolle ter Saccharose bei Personen mit T1Dm. ▪ Lebensmittel mit natürlich vorkommenden Zuckern (Glukose Empfehlung und Fruktose) sollten in der Ernährung von Personen mit ▪ Es besteht noch keine hinreichende Evidenz, dass sich Men- Typ-1-Diabetes nicht eingeschränkt werden. schen mit Typ-1-Diabetes ballaststoffreich ernähren sollen, ▪ Die Evidenzlage für die Empfehlung einer Reduktion von um dadurch ihr glykämisches Therapieziel zu erreichen. zugesetzter Fruktose ist unsicher. ▪ Mögliche Effekte einer ballaststoffreichen Ernährung auf weitere gesundheitsfördernde Aspekte (z. B. kardiovaskuläre Kommentar Erkrankungen, Darmgesundheit, Gewichtsmanagement) sind Die Evidenz für erwachsene Personen mit T1Dm bezüglich Emp- separat und individuell zu betrachten. fehlungen zur Saccharose- und Fruktosezufuhr ist begrenzt. Bezo- ▪ Der vermehrte Verzehr ballaststoffreicher Lebensmittel gen auf die Zufuhr von zugesetztem Zucker sprechen die aktuel- scheint einen positiven Effekt auf den Verlauf der postprandia- len evidenzbasierten Leitlinien allgemein für Personen mit len Glykämie zu nehmen, die Empfehlungen für die Ballast- Diabetes mellitus die Empfehlung aus, diese zu minimieren und stoffzufuhr orientieren sich aber an den Empfehlungen für die durch Lebensmittel mit einer höheren Nährstoffdichte zu ersetzen Allgemeinbevölkerung (30 g pro Tag). Rubin D et al. Empfehlungen zur Ernährung… Diabetologie 2020; 15 (Suppl 1): S120–S138 | © 2020. Thieme. All rights reserved. S123
DDG-Praxisempfehlungen [4, 6, 7]. Auch für die Allgemeinbevölkerung spricht die Mehrheit abgeleitet aus der Evidenz für die Allgemeinbevölkerung bzw. der europäischen Fachgesellschaften die Empfehlung aus, die allgemein Personen mit Diabetes und basiert auf den Empfeh- Zufuhr von Zucker (primär freie oder zugesetzte Zucker) zu redu- lungen einer ausgewogenen Ernährung: Auch wenn ein isoka- zieren. Empfehlungen, die eine empfohlene Obergrenze nennen, lorischer Austausch Saccharose- oder Fruktose-haltiger setzen diese meist auf 10 EN% für Erwachsene und 5 EN% für Lebensmittel durch andere Kohlenhydrate ähnliche Effekte Kinder > 2 Jahre [44]. Laut den Ernährungsempfehlungen der auf den Blutglukosespiegel oder andere metabolische Para- American Dietetic Association für Personen mit T1Dm und T2Dm meter haben mag, sollte der Verzehr zugunsten von Lebens- hat jedoch eine Saccharosezufuhr von 10–35 EN% keine negativen mitteln mit einer höheren Nährstoffdichte minimiert werden Effekte auf die glykämische oder die Lipidantwort, wenn Saccha- [54] und die ausgewählten Kohlenhydrat-haltigen Lebensmit- rose isokalorisch für Stärke ersetzt wird [45]. Eine vergleichbare tel in der Ernährung sollten idealerweise reich an Ballaststof- Schlussfolgerung, nämlich dass eine Zuckerzufuhr in einer im fen, Vitaminen, Mineralien sein und arm an zugesetzten Zu- Rahmen der menschlichen Ernährung üblichen Menge zu keinen ckern, Fetten und Natrium [55]. unerwünschten metabolischen Gesundheitseffekten führt, leiten Für Kinder und Jugendliche mit T1Dm können als Begründung Rippe et al. in ihrem Review aus randomisierten, kontrollierten für eine Reduktion der Saccharose- und Fruktosezufuhr noch Studien ab [46]. folgende Studienergebnisse ergänzend angebracht werden: In einer randomisierten, kontrollierten Studie, in der 33 Perso- Daten eines Reviews und einer Beobachtungsstudie zeigen, nen mit T1Dm über 3 Monate entweder eine saccharosefreie oder dass eine höhere Zufuhr von Zucker mit der Entwicklung des eine saccharoseangereicherte Ernährung (mittlere Saccharose- T1Dm im Kindesalter assoziiert ist [56] und insbesondere die bzw. Fruktosezufuhr nach der Intervention: 2 vs. 27 EN% bzw. späte Phase der Krankheitsentstehung beschleunigt werden 6 vs. 9 EN%) zu sich nahmen, wurde ebenfalls bestätigt, dass bei könnte [57]. Bei Jugendlichen mit manifestem T1Dm war die Personen mit der höheren Saccharosezufuhr zwar höhere Konzen- Fruktosezufuhr direkt mit den Triglyzeridkonzentrationen trationen an Entzündungsmarkern (C-reaktives Protein) messbar assoziiert [58]. Die Zufuhr natürlich vorkommender Zucker waren, beide Gruppen sich jedoch nicht bezüglich ihres Insulinbe- (innerhalb des normalen Rahmens der Ernährung) war jedoch darfs, der glykämischen Kontrolle, anthropometrischer Parame- mit verbesserten Parametern der glykämischen Kontrolle ter, der Körperzusammensetzung oder der Triglyzeridkonzentra- assoziiert, woraus Nansel et al. schlussfolgern, dass Lebens- tionen unterschieden [47]. mittel mit dieser Zuckerquelle keine negativen Effekte auf die Blutglukosekontrolle bei Jugendlichen mit T1Dm haben [59]. WIS SE N SCH AF T LICH ER HI NTERGRU ND Die Zufuhr von Fruktose wird durch den zur Glukose abwei- Verwendung von Süßstoffen chenden Stoffwechsel in Bezug auf Diabetes mellitus intensiv Empfehlung diskutiert. Da Fruktose zunächst in der Leber verstoffwechselt wird, führt sie im Gegensatz zur Glukose nicht zu einem ▪ Süßstoffe können als gelegentlicher Zusatz in Lebensmitteln Anstieg des Blutglukosespiegels und löst somit keine Insulin- und Getränken im Rahmen einer diabetesgerechten Ernährung freisetzung aus. Weiterhin wird Fruktose, jedoch nur zu einem und Insulintherapie sinnvoll sein und sind, sofern sie unter den geringen Anteil von etwa 1–5 %, in der de-novo-Lipogenese zu jeweiligen Höchstmengen konsumiert werden, gesundheitlich freien Fettsäuren konvertiert [48]. Systematische Reviews und unbedenklich. Meta-Analysen, die neben anderen Personengruppen auch Individuen mit T1Dm inkludierten, sowie eine randomisierte Kommentar kontrollierte Studie mit T1Dm Patienten zeigen bei einem iso- Das Thema „Süßstoffe“ steht in der Ernährung immer wieder in kalorischen Vergleich von Fruktose mit anderen Kohlenhydra- der Diskussion. Süßstoffe sind synthetisch hergestellte oder na- ten niedrigere postprandiale Peaks für Blutglukose, niedrigere türliche Verbindungen mit hoher Süßintensität, die insulinunab- Gesamtcholesterin-Konzentrationen, keine Unterschiede in hängig verstoffwechselt werden und nicht kariogen sind. Auch anderen Serumlipidparametern, jedoch möglicherweise wenn bei manchen Süßstoffen der Kaloriengehalt ebenso wie bei erhöhte Harnsäurekonzentrationen und oxidativen Stress herkömmlichem Zucker (Saccharose) 4 kcal/g beträgt, werden sie [49–52]. Aufgrund des hepatischen Stoffwechsels der Fruk- aufgrund ihrer hohen Süßkraft nur in sehr geringen Mengen im tose wird auch ihr Einfluss auf die hepatische Insulinsensitivi- Milligramm-Bereich verwendet, sodass die Kalorienzufuhr zu ver- tät vielfach diskutiert. Die Evidenz für Personen mit und ohne nachlässigen ist. Als Zusatzstoffe unterliegen Süßstoffe vor einer T2Dm zeigt hier, dass nur eine sehr große Steigerung der Zulassung einer gesundheitlichen Bewertung durch die Europä- Fruktosezufuhr auf ca. 80 g/d zu einer moderaten Reduktion ische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA), die jeweils ak- der hepatischen Insulinsensitivität führt, ohne eine begleiten- zeptable tägliche Aufnahmemengen (ADI) ableitet. Der ADI-Wert de klinisch signifikante Erhöhung der Nüchtern-Blutglukose- gibt die Menge eines Zusatzstoffs an, die täglich während des konzentration [53]. gesamten Lebens pro Kilogramm Körperwicht aufgenommen Zusammenfassend ist die Begründung für eine Reduktion der werden kann, ohne dass es zu gesundheitlichen Risiken kommt. Saccharose- und Fruktosezufuhr für Erwachsene mit T1Dm Auch nach einer Zulassung untersucht die EFSA die Süßstoffe bei aufgrund fehlender Evidenz für diese Personengruppe primär Bedarf weitergehend. Obwohl Süßstoffe daher nach derzeitigem S124 Rubin D et al. Empfehlungen zur Ernährung… Diabetologie 2020; 15 (Suppl 1): S120–S138 | © 2020. Thieme. All rights reserved.
Wissensstand als gesundheitlich unbedenklich gelten, werden vor Blutzuckerwirksame Lebensmittel bei Hypoglykämie allem mögliche langfristige Folgen für die Gesundheit seit vielen Empfehlung Jahren immer wieder diskutiert. Der Vorbehalt eines erhöhten Krebsrisikos durch Süßstoffe ▪ Personen mit T1Dm und einer milden Hypoglykämie (kann geht vorwiegend auf ältere Studien zurück, die sich auf Ergebnisse selbstständig therapiert werden) sollen 15–20 g schnell resor- aus Tierexperimenten stützen. Dabei wurden jedoch sehr hohe bierbare Kohlenhydrate zu sich nehmen. Diese Maßnahme soll Mengen des betreffenden Süßstoffs eingesetzt, die weit über der nach 15 Minuten wiederholt werden, wenn die Blutglukose- für den Menschen äquivalenten akzeptablen Tagesdosis liegen, konzentration weiterhin gering ist. sodass die Ergebnisse nicht auf den Menschen übertragbar sind. ▪ Personen mit T1Dm und einer schweren Hypoglykämie mit Nach neueren Tierstudien und verfügbaren Humandaten gibt es Bewusstseinstrübung sollen 30 g schnell resorbierbare Kohlen- bei Einhaltung der ADI-Werte keine Hinweise auf ein erhöhtes hydrate zu sich nehmen. Individuell kann es nötig sein, 15–20 g Krebsrisiko durch Süßstoffe [60, 61]. langsam resorbierbare Kohlenhydrate nachzureichen. Eine gewichtssteigernde Wirkung von Süßstoffen ist wissen- schaftlich bislang nicht belegt. Die zu diesem Thema diskutierten Kommentar klinischen Studien divergieren teilweise deutlich. Während epide- Besonders geeignet zur Behandlung einer Hypoglykämie sind miologische Studien überwiegend feststellen, dass der Süßstoff- schnelle Kohlenhydrate wie orale Glukose in fester und flüssiger konsum mit einem erhöhten Risiko für Übergewicht bzw. Adiposi- Form. Weiterhin können saccharosehaltige Getränke wie Limona- tas assoziiert ist, weisen Studien höherer Evidenzgrade eher auf den und Säfte zur Anwendung kommen. einen gewichtsneutralen Effekt hin bzw. darauf, dass Süßstoffe Langsame resorbierbare Kohlenhydrate können individuell in ein begrenzt sinnvolles Hilfsmittel zur Reduktion der Energieauf- Abhängigkeit von der Situation zur Stabilisierung der Blutglukose nahme und Gewichtskontrolle darstellen [62, 63]. beitragen [6–8]. Einige Beobachtungsstudien zeigen einen positiven Zusam- Um Hypoglykämien im Vorfeld zu vermeiden, sollten in beson- menhang zwischen dem Verzehr von Süßstoffen und dem Risiko deren Situationen bereits vorab zur Anhebung des Zielwertes für Typ-2-Diabetes und anderen kardiometabolischen Erkrankun- schnell resorbierbare Kohlenhydrate und in Ergänzung zur Stabili- gen; eine Verzerrung der Studienergebnisse durch Übergewicht sierung des Verlaufs langsam resorbierbare Kohlenhydrate und reverse Kausalität stellt dabei jedoch häufig ein Problem dar zugeführt werden. Die Menge ist individuell und abhängig von [61, 63, 64]. der Situation zu wählen. Klassische Situationen, deren Folgen Bezüglich eines Effekts von Süßstoffen auf den Appetit zeigen Hypoglykämien sein können, sind körperliche Aktivität und Alko- Interventionsstudien, dass süßstoffhaltige Getränke eine ähnliche holkonsum [6]. Wirkung auf Appetit und Energiezufuhr haben wie Wasser [63, 65, Menschen, die eine schwere Hypoglykämie erleiden, bei denen 66]. Auch eine aktuelle Übersicht verschiedener Studien, die den eine Selbsttherapie nicht mehr möglich ist oder die bewusstlos Effekt von Süßstoffen auf den Appetit und den Verzehr von süßen sind, sollen keine oralen Kohlenhydrate zugeführt werden. In Produkten untersucht, zeigte keinen appetit- und verzehrstei- diesen Fällen ist eine Behandlung mit Glukagon durch An- und gernden Effekt [67]. Zugehörige möglich oder eine professionelle i. v. Glukosegabe. Hinsichtlich der Auswirkungen auf die menschliche Darmmi- An- und Zugehörige sollen im Umgang mit Glukagon-Kits krobiota sind die Daten bislang begrenzt und liefern keine ausrei- geschult sein [71]. chenden Beweise dafür, dass Süßstoffe in den für den menschli- chen Gebrauch relevanten Verzehrmengen einen negativen Einfluss auf die Mikrobiota haben [63, 68]. Allgemeine Ernährungsaspekte Der potenzielle Nutzen von Süßstoffen bei Patienten mit Typ-1- Diabetes ergibt sich vor allem aus ihrer Verwendung als Ersatz für Proteinzufuhr Zucker, ohne jedoch eine glykämische Reaktion auszulösen. Trotz kontroverser Diskussionen besteht nach derzeitigem Forschungs- Empfehlung stand die kollektive Evidenz, dass der Verzehr von Süßstoffen keine ▪ Zur Begrenzung oder gesteigerten Proteinzufuhr als Teil einer nachteiligen Auswirkungen auf die Blutglukose- und Insulinregulie- spezifischen Diabeteskost liegen widersprüchliche Aussagen rung (HbA1c-Wert, Nüchtern- und postprandiale Glukose- und hinsichtlich der Nutzen-/Schadensbilanz vor. Allenfalls bei Insulinspiegel) bei Personen mit und ohne Diabetes hat [63, 69]. bestehenden Nierenerkrankungen kann unter wenigen spezi- Generell wird die Forschung zum Thema Süßstoffe erschwert fischen Umständen eine Beschränkung der täglichen Eiweiß- durch die chemische und metabolische Heterogenität der zufuhr sinnvoll sein. Süßstoffe, ihre zum Teil in Kombination erfolgende Verwendung in verschiedenen Produktgruppen sowie die wechselnden Trends Kommentar im Konsumverhalten [61, 70]. Eine erhöhte Zufuhr von Proteinen wurde bei Personen mit Diabe- tes mellitus Typ 1 wissenschaftlich vor allem im Hinblick auf die akute glykämische Antwort untersucht [72]. Dazu wird auf die Empfehlung zu „Insulinbedarf für eiweiß- und fettreiche Mahlzei- ten“ verwiesen. Rubin D et al. Empfehlungen zur Ernährung… Diabetologie 2020; 15 (Suppl 1): S120–S138 | © 2020. Thieme. All rights reserved. S125
DDG-Praxisempfehlungen Es konnten in der Literatur keine Hinweise dafür gefunden wer- ausgewählte Personen, die intensive Insulinmanagementprak- den, dass eine gesteigerte Proteinzufuhr bei Personen mit Diabe- tiken anwandten, einschließlich häufiger Blutzuckermessung und tes Typ 1 zu positiven oder negativen Effekten führt. zusätzlicher Insulinkorrekturen mit engen glykämischen Zielen. Eine Begrenzung der Proteinzufuhr wurde vor allem im Hin- Daher sind diese Ergebnisse nicht unbedingt auf Patienten mit blick auf die Progressionsverlangsamung einer diabetischen Typ-1-Diabetes allgemein übertragbar. Kohlenhydrathaltige Nephropathie untersucht. Lebensmittel wie Getreide, Obst und Milch sind wichtige Nähr- Im Allgemeinen zeigen RCT mit Interventionszeiten > 6 Mona- stoffquellen. Daher erfordern kohlenhydratarme Diäten die te, dass Proteinziele < 0,8 g/kg KG/d selbst unter Studienbedin- Beachtung der Vitamin- und Energiezufuhr, um Mikronährstoff- gungen selten eingehalten werden. mangel und bei Kindern Wachstumsprobleme zu vermeiden. Die In einer größeren randomisierten, kontrollierten Studie erziel- Einhaltung restriktiver Diäten ist eine Herausforderung und kann te eine proteinarme Ernährung bei Personen mit Diabetes Typ 1 sich auf die soziale Normalität auswirken. Bei Personen mit Typ-1- oder 2 und Nephropathie signifikante Verbesserungen bezüglich Diabetes bestehen zudem theoretisch nachteilige Gesundheitsri- der GFR, wenn die Compliance gut war [73]. siken wie diabetische Ketoazidose, Hypoglykämie, Dyslipidämie In einer anderen methodisch gut durchgeführten Studie schien und Glykogenmangel [75]. eine eingeschränkte Proteinzufuhr das Fortschreiten einer diabe- Generell ist in Beobachtungsstudien häufig eine hohe Fettauf- tischen Nephropathie ebenso zu verlangsamen, jedoch waren die nahme und niedrige Kohlenhydrataufnahme mit einem höheren Effekte nicht signifikant. Die Compliance war auch in dieser Studie BMI assoziiert [76], was aber nicht den Schluss zulässt, dass eine schlecht und für die Patienten schwierig einzuhalten. Eine weitere niedrige Fett- und hohe Kohlenhydrataufnahme generell empfeh- Studie zeigte keinen Unterschied in der Progressionsgeschwindig- lenswert ist. Die Qualität der aufgenommenen Fette und Kohlen- keit einer diabetischen Nephropathie bei niedrig normaler hydrate wird in Beobachtungsstudien häufig nicht adressiert, Proteinaufnahme (0,8 g/kg KG, 16 Energie%) vs. hochnormaler so dass dabei nicht berücksichtigt wird, dass in der Regel zu viel Proteinaufnahme (19 Energie%) [74]. niedrigwertige Fette und zu wenig komplexe Kohlenhydrate auf- Zusammenfassend ist die Evidenz für eine Empfehlung zur Pro- genommen werden (siehe auch DDG-Stellungnahme zu ADA- teinreduktion – auch bei diabetischer Nephropathie – unzurei- Empfehlungen 2019 [5]). chend. In einzelnen Situationen und unter Berücksichtigung einer Vielmehr sollten für die Beantwortung der Frage nach einer hohen biologischen Wertigkeit der Proteine kann eine milde Pro- Modifikation der Fettzufuhr für Personen mit Typ-1-Diabetes ran- teinrestriktion mit dem Ziel einer Progressionshemmung einer domisierte, kontrollierte Interventionsstudien mit Bewertung der diabetischen Nephropathie gerechtfertigt sein. Diese sollte Qualität der Makronährstoffe Berücksichtigung finden. jedoch stets von einer professionellen Ernährungsberatung be- gleitet sein, da gerade in fortgeschrittenen Stadien der Nierenin- suffizienz das Risiko einer Mangelernährung besteht. Ernährungsmuster (Eating patterns) Empfehlung Allgemeine Ernährungsaspekte ▪ Für Personen mit T1Dm gibt es eine Vielzahl an Ernährungs- mustern, die geeignet sind. Die vorliegende Evidenz ist unzu- Fettzufuhr reichend, um ein Ernährungsmuster für ein erfolgreiches Empfehlung Diabetesmanagement besonders zu empfehlen. ▪ Es kann keine spezielle Empfehlung für die Menge der Fett- Kommentar zufuhr bei Personen mit T1Dm ausgesprochen werden. ▪ Effekte der Fettsäurezusammensetzung (Fettqualität) auf Laut den Empfehlungen der amerikanischen, kanadischen und weitere gesundheitsfördernde Aspekte sind ggf. separat zu britischen Diabetesgesellschaften gibt es eine Vielzahl an Ernäh- betrachten. Die Fettqualität sollte jedoch den Empfehlungen rungsmustern, die für Personen mit Diabetes geeignet sind. So für die Allgemeinbevölkerung entsprechen. könnte ein an die mediterrane Ernährung oder die Diät „Dietary Approaches to Stop Hypertension“ (DASH) angelehntes Ernäh- Kommentar rungsmuster dazu beitragen, den Glukosemetabolismus und die Gewichtskontrolle zu verbessern und die kardiovaskulären Risiko- Zur akuten Blutzuckerantwort nach Fettaufnahme wird auf faktoren zu reduzieren. Aber auch kohlenhydratarme, vegane/ das Kapitel „Insulinbedarf für eiweiß- und fettreiche Mahlzeiten” vegetarische, pflanzenbasierte Kostformen oder eine Ernährung verwiesen. reich an Hülsenfrüchten könnte für Personen mit Diabetes geeig- Die Popularität kohlenhydratarmer und damit zumeist fettrei- net sein. Individuelle Präferenzen, Ziele und Bedürfnisse sollten cher Diäten ist hoch. Bisher wurden jedoch fettreiche und kohlen- die Wahl des Ernährungsmusters beeinflussen [6–8]. Auch speziell hydratarme Diäten bei der Behandlung von Typ-1-Diabetes nicht bezogen auf Personen mit T1Dm ist laut der amerikanischen Dia- gut untersucht. Studien, die sich mit glykämischen Ergebnissen betesgesellschaft die Evidenz unzureichend, um ein Ernährungs- aus kohlenhydratarmen Diäten befassten, waren größtenteils muster gegenüber einem anderen stärker zu empfehlen [6]. Querschnittsstudien ohne validierte Ernährungsdaten und ohne Weitere Evidenz aus Interventions- und Beobachtungsstudien Kontrollgruppen. Die Teilnehmer waren hochmotivierte, selbst für Personen mit T1Dm liegt zur mediterranen Ernährung, der S126 Rubin D et al. Empfehlungen zur Ernährung… Diabetologie 2020; 15 (Suppl 1): S120–S138 | © 2020. Thieme. All rights reserved.
DASH-Diät, dem Healthy Eating Index (HEI) bzw. Alternative Heal- inflammatorische Biomarkern, Serumlipidwerte und Parameter thy Eating Index (AHEI) und dem Whole Plant Food Density der Gefäßgesundheit bei Personen mit T1Dm [90–94]. Diese (WPFD) Score vor. In einer Kohortenstudie mit 118 Erwachsenen Studien bestätigen ebenfalls das von den Fachgesellschaften ge- mit T1Dm war eine mediterrane Ernährung mit einem günstigen zogene Fazit, dass es eine Vielzahl an Ernährungsmustern gibt, kardiometabolischen Profil assoziiert [77], wohingegen eine 6- die für Personen mit Diabetes, in diesem Fall T1Dm, vorteilhaft monatige Interventionsstudie mit 28 Erwachsenen mit T1Dm sein können [6–8]. und metabolischem Syndrom keine Überlegenheit einer mediter- ranen vs. einer fettarmen Ernährung bezogen auf anthropometri- sche und metabolische Parameter zeigte [78]. Bei 96 Kindern und Mahlzeitenfrequenz und Meal Timing Jugendlichen mit T1Dm verbesserte ein strukturiertes Ernäh- rungstraining für eine mediterrane Ernährung die Qualität der Empfehlung Nährstoffzufuhr, gefolgt von einer Verbesserung der Serumlipid- ▪ Bei bestehendem Übergewicht sollten Personen mit T1Dm werte [79]. Auch in einer longitudinalen Beobachtungsstudie unregelmäßiges Essen mit einer Energieaufnahme bis spät in über 5 Jahre mit etwa 500 Kindern und Jugendlichen mit T1Dm den Abend und einem Zeitfenster für die tägliche Nahrungs- war eine größere Adhärenz zur mediterranen Ernährung mit einer aufnahme > 12 Stunden meiden. Stattdessen sollten sie die besseren glykämischen Kontrolle und besseren Serumlipidwerten Kalorien überwiegend in der ersten Tageshälfte konsumieren, assoziiert [80]. da sich dies günstig auf die Körpergewichtsregulation und das Im Rahmen der SEARCH for Diabetes in Youth Study wurde in kardiometabolische Risiko auswirken kann. 2 Querschnittsanalysen an 2440 und 1810 Jugendlichen mit ▪ Eine Empfehlung für Fasten innerhalb des Tages (< 3 Mahlzei- T1Dm beobachtet, dass eine größere Adhärenz zur DASH-Diät in- ten pro Tag) oder modifiziertes intermittierendes Fasten an vers mit Hypertonie, HbA1c-Wert und dem LDL-HDL-Quotienten einem oder mehreren Tagen die Woche kann nicht gegeben assoziiert ist [81, 82]. In einer vorläufigen kontrollierten Interven- werden. tionsstudie an 16 Jugendlichen mit T1Dm wurde jedoch gezeigt, dass die Teilnehmer mit der DASH-Diät im Vergleich zu ihrer übli- Kommentar chen Ernährung eine erhöhte glykämische Variabilität zeigten. Eine Anpassung der DASH-Diät an Personen mit Diabetes (z. B. Unregelmäßige Nahrungsaufnahme wie das Auslassen von Mahlzei- statt 20E% Fett 30E%) führte zu einer zur üblichen Ernährung ver- ten und Snack-Verhalten, bei dem häufig kleine Portionen zwischen- gleichbaren glykämischen Variabilität, aber einer niedrigeren durch und nahezu rund um die Uhr gegessen werden, sind ein Kenn- durchschnittlichen Blutglukosekonzentration und einer geringe- zeichen des modernen Lebensstils [139]. Für die Untersuchung des ren Zeit im hyperglykämischen Bereich [83]. Einflusses von Frequenz und Timing der Nahrungsaufnahme auf die Die Rolle des HEI, eines Index, der die Übereinstimmung mit Energiebilanz und das kardiometabolische Risiko werden im Folgen- den amerikanischen Ernährungsempfehlungen misst, wurde in den Studien bei Gesunden und Probanden mit einem hohen meta- 4 Beobachtungsstudien an Kindern und Jugendlichen mit T1Dm bolischen und kardiovaskulären Risiko berücksichtigt. untersucht. Die Studien zeigten widersprüchliche Ergebnisse hin- Eine hohe Mahlzeitenfrequenz könnte das Risiko für Überge- sichtlich der Assoziation zwischen dem HEI und der glykämischen wicht erhöhen [140, 141], da viele kleine Mahlzeiten bei dersel- Kontrolle und keine Assoziation zwischen dem HEI und kardiovas- ben Energiezufuhr zu einer geringeren Sättigung führen als 3 grö- kulären Biomarkern [84–86]. In einer Beobachtungsstudie an ßere Mahlzeiten [142, 143]. Darüber hinaus führten Protokolle 12 Personen mit T1Dm und 75 Personen mit T2Dm (keine stratifi- mit gleicher Energiezufuhr bei häufigen im Vergleich zu wenigen zierte Analyse) war eine größere Adhärenz zum AHEI (alternate Mahlzeiten zu einem höheren Leberfettgehalt [143, 144]. healthy eating index) prospektiv mit einer besseren Gefäßgesund- Auf der anderen Seite war eine geringere Mahlzeitenfrequenz heit assoziiert [87]. mit einer geringeren Energieaufnahme bei der Frühstücksmahl- Zwei Querschnittstudien an Jugendlichen mit T1Dm zeigten, zeit oder dem kompletten Auslassen des Frühstücks in prospekti- dass weder die mediterrane Ernährung noch die DASH-Diät oder ven Langzeituntersuchungen mit einer höheren Gewichtszunah- der HEI mit ausgewählten Biomarkern der Inflammation assoziiert me und einem Anstieg des Risikos für Diabetes, Herzinfarkt und war, und dass nur der HEI invers mit Mikroalbuminurie zusammen- Schlaganfall assoziiert [145]. Interventionsstudien mit unter- hing, was jedoch nach Adjustierung mit dem HbA1c-Wert und dem schiedlicher Dauer liefern weitere Belege dafür, dass das Auslas- systolischen Blutdruck nicht mehr signifikant war [88, 89]. sen der Frühstücks- und/oder Mittagsmahlzeit keine durchweg Eine größere Adhärenz zu Vollkornprodukten, Obst, Gemüse, positiven Auswirkungen auf die Körpergewichtsregulation und Hülsenfrüchten, Nüssen und Samen war in einer longitudinalen den Glukosestoffwechsel hat [139, 146–149]. Demgegenüber Beobachtungsstudie an Jugendlichen mit T1Dm mit einer besse- führten das Auslassen der Abendmahlzeit und der Verzehr dreier ren glykämischen Kontrolle assoziiert [72]. Mahlzeiten bis zum frühen Nachmittag im Vergleich zu einem Zusätzlich zu den Erkenntnissen für die oben beschriebenen isokalorischen Frühstück-Mittag-Abendessen-Protokoll zu einer hypothesenbasierten Ernährungsmuster untersuchten 4 Quer- Verbesserung von Insulinsensitivität, ß-Zellantwort, Blutdruck schnitts- und eine longitudinale Beobachtungsstudie Assozia- und Appetit [150, 151]. tionen zwischen explorativen Ernährungsmustern und metaboli- Der Einfluss des Zeitpunktes der Mahlzeiteneinnahme auf das schen Parametern wie glykämische Kontrolle und Blutdruck, Körpergewicht und das kardiovaskuläre und metabolische Risiko Rubin D et al. Empfehlungen zur Ernährung… Diabetologie 2020; 15 (Suppl 1): S120–S138 | © 2020. Thieme. All rights reserved. S127
DDG-Praxisempfehlungen ist zum einen durch zirkadiane Unterschiede im Stoffwechsel (z. B. Kommentar im Hinblick auf die Insulinsensitivität) erklärt. Auf der anderen Sei- Ein höherer BMI ist mit makrovaskulären Erkrankungen und Reti- te benutzt die zirkadiane Uhr die Nahrungszufuhr als Zeitgeber, nopathie bei Typ-1-Diabetes verknüpft [6, 7]. Es gibt keine weshalb der Zeitpunkt der Mahlzeiten mithilfe von sog. Clock-Ge- evidenzbasierten Studien, die einen Zusammenhang zwischen nen und clockkontrollierten Genen Einfluss auf die Energiebilanz Gewicht und glykämischer Kontrolle bei Typ-1-Diabetes zeigen. und das metabolische Risiko haben kann [152]. Erfolgt die Nah- Es ist jedoch davon auszugehen, dass bei einem Typ-1-Diabetes rungsaufnahme entgegen den natürlichen zirkadianen Rhythmen bei gleichzeitiger Insulinresistenz oder parallel vorliegendem Me- vorwiegend abends oder in der Nacht, wie z. B. unter Weglassen tabolischem Syndrom eine Gewichtsabnahme ähnliche Effekte der Frühstücksmahlzeit, führt dies zu einer geringeren postpran- zeigt wie beim Typ-2-Diabetes. [78, 83, 155]. dialen Thermogenese sowie zu einer höheren postprandialen Gly- Daher ist eine Gewichtsreduktion bei adipösen T1Dm-Patien- kämie und Insulinantwort [153]. Werden Lebensmittel mit niedri- ten im Rahmen einer Ernährung mit einer geringen Kaloriendich- gem glykämischem Index (GI) am Morgen verzehrt, führt dies zu te, aber hoher Nahrungsqualität wahrscheinlich sinnvoll, insbe- einer größeren Verbesserung der Glykämie, als wenn sie am sondere wenn vorwiegend eine bauchbetonte Fettverteilung Abend verzehrt werden [154]. reduziert wird. Darüber hinaus begünstigt ein langes tägliches Zeitfenster, in Very-low-Carb-Diäten, Formuladiäten oder Intervallfasten kön- dem Energie zugeführt wird, unabhängig vom Zeitpunkt der Nah- nen das Hypoglykämierisiko erhöhen und sollten daher nur unter rungsaufnahme, eine Gewichtszunahme [139]. Eine Reduktion engmaschiger Anpassung des Insulinschemas angewendet und des täglichen Zeitfensters, in dem gegessen wurde, von über mit dem Diabetesteam besprochen werden 14 Stunden auf 10–12 Stunden führte bei sonst unveränderter Es gibt keine wissenschaftliche Evidenz zur Überlegenheit eines Ernährung zu einem Gewichtsverlust [155]. Ernährungskonzepts (z. B. low carb oder low fat) bezüglich der Ge- Intermittierendes Fasten ist ein populäres Konzept zur Ge- wichtsreduktion bei T1Dm. Bezüglich der Mahlzeitenfrequenz wichtsabnahme, das auf größeren Zyklen der Nahrungsrestriktion wird auf den Textabschnitt „Mahlzeitenfrequenz und Meal basiert, die nicht das Auslassen einer einzelnen Mahlzeit betref- Timing“ verwiesen. fen, sondern eine stark reduzierte Kalorienzufuhr (0 bis < 25 % Gerade bei den eher jüngeren T1Dm-Patienten ist der Patien- des Energiebedarfs) jeden 2. Tag oder 2–3 Mal die Woche vorse- tenwunsch nach Gewichtsreduktion kritisch gegen das Risiko hen. Intermittierendes Fasten hat in Abhängigkeit von der Fre- abzuwägen, eine Essstörung zu bedienen oder zu entwickeln. Pa- quenz der Fastentage eine deutliche Gewichtsreduktion zur Folge, tientinnen sind dafür verglichen mit männlichen T1Dm-Patienten die sich jedoch nicht von dem Erfolg einer Reduktionsdiät mit besonders vulnerabel [162]. Eine Befragungsstudie an 34 normal- kontinuierlicher Energierestriktion unterscheidet [156–159]. Die und übergewichtigen T1Dm-Patienten/-innen zeigte, dass Maß- Auswirkungen dieser negativen Energiebilanz führen je nach nahmen zum Gewichtsmanagement und zur Stoffwechselkontrol- Höhe der Ausgangswerte zu einer unterschiedlich stark ausge- le sich oftmals widersprechen. Daraus können Konfliktpotenzial prägten Senkung von kardiometabolischen Risikofaktoren. und Incompliance resultieren [163]. Es wird befürchtet, dass intermittierendes Fasten die Variabili- Eine bariatrische Chirurgie als Methode zur Gewichtsreduktion tät der Glykämie verstärkt, indem es das Risiko sowohl für Hypo- bei Patienten mit T1Dm ist kritisch zu bewerten und muss im glykämien als auch für postprandiale Hyperglykämien verstärken Einzelfall mit dem Adipositas-Team und dem Diabetes-Team ab- könnte [160, 161]. Die fehlende Überlegenheit von intermittie- gestimmt werden. rendem Fasten gegenüber einer kontinuierlichen, moderaten Gewichtsreduktion bei adipösen T1Dm-Patienten als Nebenef- Kalorienrestriktion sowie die fehlenden Studien zu den Risiken fekt einer generell metabolisch vorteilhaften Ernährung ist wahr- und Langzeitergebnissen bei Probanden mit T1 Dm machen eine scheinlich vertretbar, insbesondere wenn vorwiegend viszerale Empfehlung für intermittierendes Fasten unmöglich. Fettdepots abgebaut werden. Die Datenlage dazu ist aber unzu- reichend. Very-low-Carb-Diäten oder Intervallfasten können das Hypoglykämierisiko erhöhen und sollten daher nur unter engma- Empfehlungen für das Körpergewicht schiger Anpassung des Insulinschemas angewendet werden. Empfehlung ▪ Personen mit T1Dm und Normalgewicht sollen ein normales WIS SE N SCH AF T LICH ER HI NTERGRU ND Körpergewicht beibehalten. Eine Studie verglich eine Gewichtsreduktionsdiät high/fat ▪ Die Studienlage reicht nicht aus, um Personen mit Typ-1- versus High carb/low fat, hier zeigte sich kein Unterschied im Diabetes und Übergewicht generell eine Gewichtsreduktion zu Hinblick auf den HbA1c [184]. empfehlen. Die Empfehlung zur Gewichtsreduktion kann aber Beobachtungstudien bzw. Studien an kleinen Probandenzah- beim Vorliegen von Begleiterkrankungen oder einer Insulinre- len zum Verzehr ungesättigter Fettsäuren, n-9-Fettsäuren sistenz sinnvoll sein (z. B. sekundäre Dyslipoproteinämie, oder Olivenöl erbrachten bisher noch keine belastbare Basis Bluthochdruck, Steatohepatitis etc.). für Empfehlungen. ▪ Dabei sollten die Nahrungsqualität und mögliche Hypoglykä- In einer spanischen Beobachtungsstudie war eine Aufnahme mien insbesondere bei Low-Carb-Diäten beachtet werden, von PUFAs/SFAs > 0,4 und MUFAs/SFAs > 1,5 mit nahezu opti- auch können Essstörungen resultieren. malen Zielen der Stoffwechselkontrolle und einer Verringe- S128 Rubin D et al. Empfehlungen zur Ernährung… Diabetologie 2020; 15 (Suppl 1): S120–S138 | © 2020. Thieme. All rights reserved.
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