Schlafender Riese Kongo-Fluss

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Schlafender Riese Kongo-Fluss
Wassernutzung zwischen regionaler Integration und sektoralen Zielkonflikten
Tobias von Lossow

Der Ausbau der Wassernutzung am Kongo könnte der Region einen Entwicklungsschub
verschaffen, droht aber mit der Begünstigung partikulärer Nutzungsinteressen einher-
zugehen. In seinem weitläufigen Einzugsgebiet ist der Fluss das wichtigste Verkehrs-
netz und die Lebensader des afrikanischen Regenwalds, der wiederum die Existenz-
grundlage von Millionen Menschen sichert. Die Wasser- und Nahrungsmittelversor-
gung der Region ließe sich mit seinen Ressourcen deutlich verbessern, die Hydroenergie-
potentiale könnten den Strombedarf des gesamten Kontinents decken. Der geplante
Bau weiterer Großdämme an den Inga-Fällen zeigt, dass die zehn Anrainerstaaten ge-
meinsame Ziele verfolgen, aber auch, dass sich Konflikte zwischen einzelnen Sektoren
verschärfen. Die inkonsistente Haltung Deutschlands in heiklen Grundsatzfragen der
Entwicklungszusammenarbeit und Wasseraußenpolitik erschwert es, diese Prozesse
konstruktiv zu begleiten.

Als die Finanzierung des Großdamms Inga 3                        Kubikmeter Wasser in den Atlantik. Der
im Sommer 2017 stockte, forderte die Regie-                      Kongo ist an einigen Passagen bis zu elf Kilo-
rung der Demokratischen Republik Kongo                           meter breit und bis zu 220 Meter tief; das
(DRK) potentielle Investoren auf, die Anlage                     größte Flusseinzugsgebiet Afrikas erstreckt
neu und größer zu planen. Ein klares Signal,                     sich über 3,7 Millionen Quadratkilometer –
dass die DRK am umstrittenen Ausbau der                          etwa die zehnfache Fläche Deutschlands.
Hydroenergie festhält, der vor allem durch                       Zahllose Verästelungen von Haupt-, Zu- und
die Effekte des Bergbaus erhebliche Risiken                      Nebenflüssen, Wasserstraßen und Kanälen
für das riesige Flusssystem mit sich bringt.                     durchziehen Zentralafrika auf einer Gesamt-
   Der mit über 4700 Kilometern zweitläng-                       länge von 25 000 Kilometern wie das Bron-
ste Strom Afrikas nach dem Nil entspringt                        chialsystem eine Lunge (siehe Karte, S. 2).
im äquatorialen Bergplateau, bahnt sich                          Der Kongo ist das Herz der sozioökonomi-
seinen Weg durch das größte afrikanische                         schen Entwicklung Zentralafrikas. Er ist das
Regenwaldgebiet und mündet an der West-                          wichtigste regionale Verkehrsnetz, Takt-
küste des Kontinents ins Meer. Aus dem                           geber eines riesigen Ökosystems, das größte
nach dem Amazonas wasserreichsten Fluss                          Süßwasservorkommen in Afrika und die
der Welt ergießen sich pro Sekunde 41 000                        weltweit größte Hydroenergiereserve.

Tobias von Lossow ist Stipendiat in der Forschungsgruppe Naher/Mittlerer Osten und Afrika                               SWP-Aktuell 63
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Karte
                 Der Kongo-Fluss und das Kongobecken

                 Kongo I: Transport und Navigation                 noch erneuert. Die Schiffsbesatzungen sind
                 Ein schlecht ausgebautes, zur Regenzeit           oft unzureichend ausgebildet, so dass Hava-
                 vielerorts unpassierbares Straßennetz, ein        rien auf dem schwierig zu befahrenden
                 maroder Schienenverkehr und nur begrenzt          Fluss an der Tagesordnung sind. Aufgrund
                 verfügbare, teure Flugverbindungen machen         von Unwettern sowie Navigationsfehlern
                 den Kongo als Transportweg bedeutender            und weil seeuntaugliche oder überladene
                 als andere afrikanische Flüsse. Viele ent-        Schiffe eingesetzt werden, sterben jährlich
                 legene Gegenden sind ausschließlich auf           über 1000 Menschen bei Schiffsunglücken,
                 dem Wasserweg erreichbar, so dass der             die Dunkelziffer ist höher.
                 Fluss für Teile der Bevölkerung die einzige          Von Unfällen mit Gefahrengut gehen
                 infrastrukturelle Anbindung ist. Vor allem        auch Risiken für die Umwelt aus. Zwar kann
                 im Osten der DRK nehmen viele Menschen            der Kongo mit seinem enormen Wasser-
                 wochenlange Reisen auf sich, um in die            volumen Giftstoffe vergleichsweise gut ab-
                 Hauptstadt Kinshasa zu gelangen – meist           sorbieren, die Zahl solcher Havarien nimmt
                 auf zusammengetauten Lastenkähnen. Auch           aber zu. Ein weiteres Problem sind sogenann-
                 die Wirtschaft ist auf die Schifffahrt angewie-   te »Zölle«, die lokale Netzwerke und krimi-
                 sen: So werden zwischen Bangui und Kin-           nelle Banden entlang einzelner Strecken-
                 shasa pro Jahr über 1,5 Millionen Brutto-         abschnitte illegal erheben – eine Folge
                 registertonnen auf dem Kongo transpor-            unter anderem der mangelnden staatlichen
                 tiert. Das tatsächliche Volumen ist größer,       Regulierung, die den Personen- und Han-
                 da das Gros der verladenen Güter aus dem          delsverkehr maßgeblich beeinträchtigt.
                 informellen Sektor nicht erfasst wird.            Zudem kämpft die Schifffahrt insbesondere
                    Trotz der zentralen Bedeutung des Kongo        im Südosten und im Norden des Kongo-
                 als Transportweg ist die Schifffahrtsinfra-       beckens mit sinkenden Wasserpegeln infol-
                 struktur mangelhaft: Viele Häfen gleichen         ge rückläufiger Niederschläge. Am Ouban-
                 Ruinen, Anlegestellen verfallen, Signale oder     gui beispielsweise, einem wichtigen Zufluss
                 (Warn-)Schilder werden weder gewartet             im Norden, hat sich die Wasserabflussmenge

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in den letzten 40 Jahren um ein Fünftel          fahrt beeinträchtigt und die Hydroenergie-
reduziert, so dass früher dauerhaft schiff-      potentiale mindert. Auch infolge des Klima-
bare Flussabschnitte an mehr als 200 Tagen       wandels fällt vielerorts weniger Regen, was
im Jahr nicht befahren werden können und         sich an sinkenden Pegelständen am Ober-
einige Orte dann von der Außenwelt ab-           und Mittellauf bereits bemerkbar macht.
geschnitten sind.

                                                 Kongo III: Wasserversorgung und
Kongo II: Ökosystem und                          Landwirtschaft
Biodiversität                                    Der Kongo führt mit Abstand die größte
Der Kongo und das ihn umgebende zweit-           Wassermenge aller afrikanischen Flüsse –
größte zusammenhängende Regenwald-               mit jährlich 1,3 Billionen Kubikmeter rund
gebiet der Welt stehen in einem wechselsei-      das Zehnfache des Nils oder das Fünffache
tigen Abhängigkeitsverhältnis zueinander.        des Sambesi. Er stellt ein Drittel der Süß-
Das Flusssystem mit seinen Sumpfgebieten         wasservorkommen des Kontinents bereit. Mit
ist sozusagen die Schlagader des Regen-          diesen Ressourcen ließen sich neben dem
walds, denn es liefert die Wasserressourcen      Ausbau der Wasserversorgung in der Region
für das feucht-tropische Regenwaldklima.         etwa 60000 Quadratkilometer landwirtschaft-
Die Niederschläge über dem Regenwald             lich nutzbare Fläche bewässern, um die pre-
wiederum führen dem Fluss am Mittellauf          käre Ernährungssicherheit zu verbessern.
große Wassermengen zu. Etwa 50 Prozent               Doch werden die Ressourcen des Kongo
des Kongo-Wasserkreislaufs vollzieht sich        bislang nur in geringem Maße genutzt. Die
hier, 75–95 Prozent der Regenfälle in der        Wasserversorgung im Flussbecken ist kata-
Region entstehen durch die Verdunstung           strophal. In der DRK verfügen weniger als
über dem Regenwald.                              zehn Prozent der Haushalte über einen
   Der zentralafrikanische Regenwald ist         Wasseranschluss; nur 26 Prozent der Bevöl-
der artenreichste der Welt. Er beheimatet        kerung haben adäquaten Zugang zu saube-
über 10 000 Pflanzen- und 2500 Tierarten,        rem Trinkwasser. In den anderen Anrainer-
darunter zwei Drittel aller Primaten. Da der     staaten sind diese Zahlen zwar unwesent-
Regenwald bis zu 39 Milliarden Tonnen CO2        lich besser; aufgrund des unzureichenden
absorbiert, was ungefähr den weltweiten          Wassermanagements und fehlender Mittel
Emissionen von 2016 entspricht, beeinflusst      ist der Großteil der Bevölkerung zur Wasser-
der Wasserhaushalt des Kongo nicht nur           versorgung aber auf Brunnen oder ungefil-
das Mikroklima in der Region, sondern auch       terte Oberflächengewässer angewiesen, was
das globale Klima. Etwa dieselbe Menge CO2       zu erheblichen gesundheitlichen Beeinträch-
wird zudem in Torfböden und Feuchtgebie-         tigungen und erhöhter Sterblichkeit führt.
ten des Flussbeckens gebunden.                       Ein ähnliches Bild gibt die Nahrungs-
   Allerdings ist dieses wichtige Ökosystem      mittelproduktion ab, die weit hinter dem
massiv bedroht: Die fortschreitende Abhol-       Bedarf und den Möglichkeiten zurückbleibt.
zung und der Bergbau setzen dem Regen-           Es gibt nur wenige größere Bewässerungs-
wald zu. Jährlich geht eine Fläche von etwa      projekte im Kongobecken, wegen der hohen
2000 Quadratkilometern verloren – mit            Niederschläge wird Landwirtschaft zumeist
Auswirkungen, die über die unmittelbare          im Regenfeldbau betrieben. Der Großteil
Zerstörung des Regenwalds und den Rück-          der Bevölkerung bestreitet zudem seinen
gang der Artenvielfalt hinausgehen. Weil         Lebensunterhalt in Subsistenzlandwirt-
das Ökosystem dadurch immer weniger              schaft. Aufgrund der unzureichend aus-
Wasser speichern und abgeben kann, ver-          gebauten landwirtschaftlichen Strukturen
ringern sich die Flusswassermenge und die        sind alle zehn Kongoanrainer Netto-Impor-
Niederschläge, ein Prozess, der den Regen-       teure von Lebensmitteln, unter anderem
wald in seiner Existenz gefährdet, die Schiff-   von Getreide, Mais und Reis.

                                                                                                 SWP-Aktuell 63
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Kongo IV: Hydroenergie                          zitäten oder stellen die Arbeit wegen der
                 Auf den Kongo entfallen rund 13 Prozent         unzureichenden Stromversorgung immer
                 der weltweiten Hydroenergiepotentiale, was      wieder zeitweise ein. In manchen Fällen
                 einer Leistung von 100 000 Megawatt (MW)        wurden Förderstätten dauerhaft aufgege-
                 entspricht. Damit ließe sich der gegen-         ben, die Neuerschließung einiger Minen
                 wärtige Strombedarf auf dem gesamten            liegt auf Eis.
                 afrikanischen Kontinent decken. Für die
                 hydroenergetische Nutzung gibt es günsti-
                 ge Voraussetzungen: das teils große Gefälle,    Motor regionaler Integration: Kon-
                 geeignete geologische Formationen, die          flikt und Kooperation der Anrainer
                 hohe Fließgeschwindigkeit und der starke        Am Kongo liegen zehn Staaten: Die DRK mit
                 Wasserdruck sowie die große Wassermen-          einem Anteil am Flussbecken von 62 Pro-
                 ge, die keinen größeren jahreszeitlichen        zent, die Zentralafrikanische Republik
                 Schwankungen unterliegt.                        (11 Prozent), Angola (8 Prozent), die Repu-
                    Dennoch werden bis dato weniger als          blik Kongo (7 Prozent), Sambia (5 Prozent),
                 drei Prozent dieses Potentials genutzt. Unter   Tansania (4 Prozent), Kamerun (2 Prozent)
                 den etwa 40 Anlagen erzeugen lediglich die      sowie Gabun, Burundi und Ruanda (je weni-
                 Inga-Talsperren südlich von Kinshasa größe-     ger als 1 Prozent). Da nur ein geringer An-
                 re Strommengen:                                 teil des Kongowassers genutzt wird, gibt es
                  Inga 1 wurde 1972 fertiggestellt und hat      zwischen den Anliegern bislang kaum klas-
                    eine Maximalleistung von 351 MW.             sische Nutzungskonkurrenzen und Vertei-
                  Inga 2 ging 1982 in Betrieb und generiert     lungskonflikte. Neben der großen Wasser-
                    bis zu 1424 MW.                              menge wirkt die Geographie konflikthem-
                  Inga 3 sollte ab 2017 mit einer Kapazität     mend: So ist die DRK gleichzeitig Ober-,
                    von 4800 MW errichtet werden und, als        Mittel- und Unterlieger, zahlreiche Zuflüsse
                    erste Ausbaustufe von Grand Inga, 13 Mil-    und Niederschlagseinzugsgebiete über dem
                    liarden Euro kosten.                         Regenwald liegen im Staatsgebiet der DRK.
                  Grand Inga soll in mehreren Ausbaustu-        An einigen Passagen ist der Kongo Grenz-
                    fen eine Gesamtleistung von 40 000 MW        fluss, was besondere rechtliche Rahmen-
                    erbringen – knapp die Hälfte des derzei-     bedingungen mit sich bringt und bei Stau-
                    tigen Strombedarfs in Afrika. Die Kosten     dammprojekten die Zusammenarbeit bei-
                    des weltweit größten Hydroenergie-           der Uferseiten zwangsläufig macht.
                    projekts liegen bei 50–60 Milliarden Euro.      Die politische Debatte über die Kontrolle
                                                                 des Kongo verläuft demzufolge wenig kon-
                    Hohe Kosten, die fragile Sicherheitslage     trovers. Die DRK sieht den Fluss im Großen
                 und schlechte Investitionsbedingungen           und Ganzen zwar als ihren an. Die anderen
                 waren ursächlich für den schleppenden           Anrainer rütteln aber auch nur bedingt an
                 Ausbau der Hydroenergie in den letzten          diesem Selbstverständnis, da ein Ausbau der
                 Dekaden. Nicht einmal die installierten         Wassernutzung seit jeher unter regionaler
                 Kapazitäten werden ausgeschöpft. Inga 1         Perspektive diskutiert und geplant wurde.
                 und Inga 2 laufen mit einer Auslastung von      Zudem würden von solchen Maßnahmen
                 unter 50 Prozent, auch weil notwendige In-      mehrere Staaten profitieren. Schließlich ist
                 standhaltungsmaßnahmen nicht durch-             die DRK auf finanzkräftige Partner angewie-
                 geführt werden. Gleichzeitig leidet die Re-     sen, um größere Wasserbauvorhaben zu
                 gion unter Strommangel: In der DRK haben        stemmen. Andere Anlieger, die hier inves-
                 weniger als zehn Prozent der Bevölkerung        tieren, versprechen sich davon eine gewisse
                 Zugang zu Elektrizität, auch die wirtschaft-    Kontrolle über die Ressourcen des Kongo.
                 liche Entwicklung ist durch dieses Defizit         Das grundsätzliche Einvernehmen wird
                 stark beeinträchtigt. So fördern im Süden       lediglich von wiederkehrenden Überlegun-
                 der DRK viele Minen mit gedrosselten Kapa-      gen getrübt, dem Kongo Wasser zu entneh-

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men, um es über Leitungssysteme anderen          chenden Stromversorgung und verfolgen in
Wassereinzugsgebieten zuzuführen. Seit           diesem Punkt ähnliche Ziele und Interessen.
den 1980er Jahren gibt es Pläne, das Becken      Mit Südafrika treibt zudem ein regionales
des Kongo mit denen des Nils, des Niger          politisches und wirtschaftliches Schwer-
oder des Tschadsees zu verbinden, etwa um        gewicht, das nicht im Flussbecken liegt, den
die ökologische Katastrophe des rapide aus-      Ausbau der Wasserkraft am Kongo voran,
trocknenden Tschadsees abzufedern. Solche        um seinen Energiehunger auch mit ver-
Gedankenspiele um Wassertransfers bergen         gleichsweise günstigen Stromimporten zu
Konfliktpotential und haben die DRK nach         stillen. In einer Übereinkunft mit Südafrika
und nach dazu bewogen, den grenzüber-            hatte sich die DRK verpflichtet, ab 2021 jähr-
schreitenden Charakter des Kongo stärker         lich eine Leistung von 2500 MW aus der ge-
zu betonen, um die eigenen Interessen über       planten Anlage Inga 3 zu liefern – über die
eine beckenweite, international begleitete       Hälfte der vorgesehenen Gesamtleistung.
Kooperation abzusichern.
   Ausgangspunkt für die bislang weit-
gehend harmonische Zusammenarbeit zwi-           Intersektorale Konflikte und
schen den Anrainerstaaten war die Schiff-        Dominanz des Bergbaus
fahrt. Das Flusssystem verbindet wichtige        Auch wenn zwischenstaatliche Kontrover-
Binnenhäfen miteinander und bietet den           sen über das Kongowasser noch keine große
Staaten in der Region der Großen Seen Zu-        Rolle spielen, kündigen sich direkt und in-
gang zum Atlantik. Kamerun, die Zentral-         direkt intersektorale Zielkonflikte an. Ge-
afrikanische Republik, die Republik Kongo        rade die von den Anrainern gemeinsam
und die DRK haben 1999 die Commission            forcierten, auf eine intensivere Nutzung des
Internationale du Bassin Congo-Oubangui-         Kongo gerichteten Projekte schüren solche
Sangha (CICOS) mit Sitz in Kinshasa ein-         Konflikte, weil sie bestehende Ungleich-
gerichtet, um die Bedingungen des Schiffs-       gewichte zwischen Sektoren verstärken,
verkehrs auf dem Kongo zu verbessern. Das        negative Entwicklungen beschleunigen und
Mandat wurde 2007 um das grenzübergrei-          häufig das Ökosystem in Mitleidenschaft
fende Wassermanagement erweitert. CICOS          ziehen. Ein Ausbau der Wasserversorgung
wurde damit zu einer koordinierenden und         und der Landwirtschaft etwa geht damit
beratenden Flussgebietskommission, die           einher, dass vermehrt ungeklärte Abwässer
sich unter anderem auf die Fahnen geschrie-      eingeleitet und Flüsse mit Pestizideinträgen
ben hat, die Bewässerungslandwirtschaft          belastet werden.
auszubauen. Die Erfahrung der erfolg-               Ungleich größer sind die Konsequenzen
reichen Zusammenarbeit im Bereich der            des von allen Staaten angestrebten massiven
Schifffahrt hat die Mitgliedstaaten zu einer     Ausbaus der Hydroenergie, der nicht nur
entschiedeneren politischen Unterstützung        von der Afrikanischen Union (AU), der
für CICOS bewogen. Auch Gabun ist seit           Afrikanischen Entwicklungsbank und der
2010 Mitgliedstaat, Angola folgte 2016. Die      New Partnership for Africa’s Development
Kooperation in der Kommission dämpft             (NEPAD), sondern auch von der Bergbau-
auch andere Konflikte zwischen den Anlie-        industrie begrüßt und unterstützt wird. Vor
gerstaaten ab, wie zum Beispiel Territorial-     allem mit der Realisierung des Vorhabens
streitigkeiten der DRK mit der Republik          Grand Inga würde zwar ein substantieller
Kongo und Angola.                                Beitrag zur Elektrifizierung und Entwick-
   Neben der Schifffahrt und überwiegend         lung des Kontinents geleistet; allerdings
außerhalb von CICOS ist der Ausbau der           ginge mit der merklich erhöhten Strom-
Hydroenergieerzeugung, insbesondere an           produktion ein deutlicher Ausbau des Berg-
den Inga-Fällen, ein zentraler Pfeiler der Zu-   baus einher, der eine Schädigung des Öko-
sammenarbeit unter den Kongo-Anrainern.          systems nach sich ziehen würde: Die Förder-
Denn sie leiden alle unter einer unzurei-        tätigkeiten beeinträchtigen zum einen un-

                                                                                                   SWP-Aktuell 63
                                                                                                  September 2017

                                                                                                               5
mittelbar die Wasserqualität, wenn giftige      2015 erste vorbehaltliche Zusagen für Kapi-
                 Stoffe das Flusswasser verunreinigen. Zum       talbeteiligungen vor.
                 anderen nimmt die Wassermenge ab, da               Da auch der Abbau von Rohstoffvorkom-
                 der Bergbau sehr wasserintensiv ist. Die        men im Norden Südafrikas, vor allem Dia-
                 Quantität leidet auch indirekt: Werden          manten und Eisenerz, von der Stromproduk-
                 neue Förderstätten erschlossen und Infra-       tion profitieren soll, ist auch Pretoria be-
                 strukturen für den Rohstoffexport aus-          reit, einen wesentlichen Beitrag zu leisten –
                 gebaut, beschleunigt das die Abholzung des      umso mehr, seit die Hydroenergie dort
                 Regenwalds. Dies wiederum beeinträchtigt        wieder im Aufwind ist. Denn die ambitio-
                 den sensiblen Wasserkreislauf im Kongo-         nierten Atomkraftpläne des Landes erhiel-
                 becken und damit die Funktionsweise des         ten im April 2017 einen Dämpfer, als der
                 gesamten Flusssystems, unter anderem weil       oberste Gerichtshof ein Abkommen mit
                 sich die rückläufigen Niederschläge weiter      Russland über den Bau von acht Kernkraft-
                 verringern. Führt der Kongo weniger Was-        werken aufhob. Zudem verzögert sich der
                 ser, schränkt dies die Schifffahrt und damit    Ausbau der Kohlekraftwerke. Auch weil der
                 die Mobilität der Bevölkerung ein. Ebenso       Kohleanteil am Energiemix Südafrikas bis
                 verschlechtern sich die Bedingungen für         2030 von derzeit über 90 Prozent auf zwei
                 die Wasserversorgung und Nahrungsmittel-        Drittel sinken soll, müssen alternative
                 produktion; zudem reduziert sich die an         Kapazitäten geschaffen werden.
                 den Dämmen erzeugte Strommenge – hier              Die sozioökonomische Lage im Kongo-
                 schließt sich der Kreis – mit negativen Aus-    becken macht eine intensivere Nutzung des
                 wirkungen für den Bergbau.                      Flusswassers nahezu unumgänglich. Sollen
                    Anders als an anderen Flussbecken Afri-      die Ressourcen und die damit verbundenen
                 kas haben am Kongo die fördernden Indus-        Möglichkeiten langfristig zur Verfügung
                 trien als wichtigster Wirtschaftszweig beson-   stehen, müssen eine Übernutzung allerdings
                 deren Einfluss auf die Wasserbauprojekte.       verhindert, die Interessen aller Nutzer und
                 Die Branche drängt auf einen intensivierten     Sektoren berücksichtigt und das Ökosystem
                 Abbau der Rohstoffreserven im Osten des         ausreichend geschützt werden. Andernfalls
                 Beckens und entlang des sogenannten Kup-        drohen drastische ökologische Auswirkun-
                 fergürtels, der sich von Angola über den        gen, die nicht nur mit Blick auf den Klima-
                 Süden der DRK bis nach Sambia erstreckt.        wandel über die Region und den Kontinent
                 Die Förderung von Bodenschätzen wie Col-        hinausreichen werden. Die Kongo-Anrainer
                 tan, Gold, Kupfer oder Kobalt (hier lagern      bewegen sich daher auf einem schmalen
                 über 50 Prozent der weltweiten Kobalt-          Grat: Sie sind mit dem Paradoxon konfron-
                 Reserven) scheiterte bisher auch an der         tiert, dass ein Ausbau der Wassernutzung
                 Stromversorgung. Ein Ausbau von Inga war        dringend geboten ist, sie gleichzeitig genau
                 angesichts der hohen Kosten, des unattrak-      damit aber die grundlegenden Funktions-
                 tiven Investitionsklimas und der fragilen       weisen des Flusssystems samt seiner immen-
                 Sicherheitslage lange keine Option. Die         sen Potentiale gefährden.
                 global rasant steigende Rohstoffnachfrage
                 und die anziehenden Weltmarktpreise
                 haben die Ausgangssituation jedoch ver-         Grundsatzfragen der deutschen und
                 ändert und die Investitionsbereitschaft er-     europäischen Wasseraußenpolitik
                 höht. Der etwa 13 Milliarden Euro teure         Die besondere Brisanz der Fragen rund um
                 Ausbau von Inga 3 wurde 2015 auf den Weg        die Nutzung des Kongo ergibt sich aus seinen
                 gebracht, wenngleich die Finanzierung der-      geographischen, klimatischen und sozio-
                 zeit stockt und Kinshasa eine Neuplanung        ökonomischen Maßstäben – im Vergleich
                 des Projekts erwägt. Schien eine Realisie-      mit anderen Flussbecken entfalten positive
                 rung des Megaprojekts Grand Inga vor            wie negative Entwicklungen hier eine un-
                 wenigen Jahren noch utopisch, liegen seit       gleich größere Wirkung. Die Bundesregie-

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September 2017

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rung setzt sich seit über zehn Jahren für den    reiche Zwangsumsiedelungen wie am Drei-
Ausbau von CICOS ein und engagiert sich          Schluchten-Damm in China, wo 1,5 Millio-
mit Maßnahmen zur Verbesserung der               nen Menschen ihre Heimat verlassen muss-
Schifffahrt. Im Mittelpunkt der deutschen        ten, oder irreparable, umfassende ökologi-
Aktivitäten steht dabei die Ausbildung von       sche Schäden wie nach dem Bau des
Kapitänen, Lotsen und Mechanikern. Solche        Assuan-Damms in Ägypten, als flussabwärts
»capacity building«-Projekte haben ein posi-     die Fischbestände drastisch zurückgingen.
tives Echo hervorgerufen, da sie langfristig        Zweifellos sind zahlreiche Bedenken
und über das Kongobecken hinaus wirken.          gegen Großdämme berechtigt, die rigorose
Das finanzielle und institutionelle Engage-      ablehnende Haltung einiger europäischer
ment der Gesellschaft für internationale         Staaten beschränkt sich allerdings lediglich
Zusammenarbeit (GIZ) im Rahmen des Pro-          darauf, den Vorhaben eine direkte politische
jekts GETRACO (Gestion Transfrontalière de       oder finanzielle Unterstützung zu verweh-
l’Eau dans le Bassin du Congo) wurde 2016        ren. Diese Position ist nur bedingt glaub-
um drei Jahre verlängert – ein Beleg für         würdig: Denn gleichzeitig sind es neben
dessen Erfolg, das aufgebaute Vertrauen          chinesischen vor allem europäische Unter-
und die Kontinuität der Zusammenarbeit.          nehmen und Konsortien, die diese hoch-
   Deutschland und seine europäischen            umstrittenen, milliardenschweren Damm-
Partner sollten sich angesichts des bevor-       projekte umsetzen und ihre Investitionen
stehenden Ausbaus der Wassernutzung              teils sogar mit staatlichen Exportkreditgaran-
noch stärker – und auch jenseits von CICOS       tien (Hermesbürgschaften) absichern. Bei-
– in diesen Prozess einbringen. Dazu gilt es     spiele dafür sind die gewährten Bürgschaf-
zuallererst, eine zielgerichtete, ausdifferen-   ten Deutschlands für Bauteile des Soga-
zierte, ausbalancierte und stringente Posi-      moso-Staudamms in Kolumbien (2012) und
tion zu den Großdammprojekten Inga 3             die Italiens für den Itare-Damm in Kenia
und Grand Inga zu entwickeln. Dies fällt         (2015). Hier wurden Studien zu Machbarkeit
bislang schwer, weil solche Vorhaben die         und Folgenabschätzung nur oberflächlich
deutsche und europäische Entwicklungs-           durchgeführt, die Ergebnisse teils geschönt.
zusammenarbeit im Wassersektor immer             Im Nachgang des eigentlichen Dammbaus
wieder mit sensiblen und unbequemen              wird die inkonsistente Haltung internatio-
Grundsatzfragen konfrontieren.                   naler Geldgeber mitunter ebenfalls offen-
   Der Bau von Großdämmen hat in Afrika          bar. So lehnte die Weltbank vor rund zehn
und in Asien wieder Konjunktur, doch             Jahren eine finanzielle Unterstützung des
europäische Staaten und westliche Geld-          Grand Ethiopian Renaissance Dam (GERD)
geber halten sich mit der Unterstützung          in Äthiopien ab. Nachdem Addis Abeba
derartiger Vorhaben zurück. Megadämme            weitgehend selbst für den Bau aufgekom-
bergen jede Menge politischen Sprengstoff,       men ist, erwägt sie seit 2015 offen eine
da sie sozioökonomische Spannungen ver-          Finanzierung von Stromtrassen ins Landes-
stärken können und häufig gegen Wider-           innere und in Nachbarstaaten. Für einen
stände aus der Bevölkerung durchgesetzt          solchen realpolitischen Schwenk mag es in
werden. Nicht selten werden gravierende          der Sache plausible Gründe geben, er sen-
technische, finanzielle, soziale oder öko-       det jedoch ein fatales Signal an Staaten, die
logische Einwände gegen solche Vorhaben          ähnliche Projekte planen.
aus politischen Gründen beiseitegeschoben.          Die prinzipiell ablehnende und trotzdem
Das Ergebnis sind dann zum Beispiel un-          inkonsistente Grundhaltung vermag pro-
geeignete Standorte wie beim Mossul-             blematische Großdammprojekte weder zu
Damm, der auf porösem Grund errichtet            begrenzen noch zu verhindern. Stattdessen
wurde; ausufernde Kosten wie beim Belo-          macht sie europäische Staaten und inter-
Monte-Damm in Brasilien, der um ein Drit-        nationale Geldgeber bei solchen Vorhaben
tel teurer war als veranschlagt, umfang-         zu unglaubwürdigen Zaungästen, deren

                                                                                                   SWP-Aktuell 63
                                                                                                  September 2017

                                                                                                               7
Einfluss auf die Projektgestaltung im weite-    Laufwasserkraftwerk benötigt ein vergleichs-
                              ren Verlauf bestenfalls limitiert ist. Wäh-     weise kleines Staubecken. Und schließlich
                              renddessen ist Saudi Arabien beispielsweise     handelt es sich um ein regionales Vorhaben,
                              in Wasserbauvorhaben im Sudan involviert,       das mehreren Staaten zu Gute kommt.
                              in Sambia und Ghana etwa übernimmt                 Insbesondere für die DRK genießt Inga 3
                              China die Rolle des Finanzpaten.                trotz Finanzierungsschwierigkeiten weiter
                                                                              Priorität. Auf mittlere oder lange Sicht wird
                                                                              auch Grand Inga realisiert werden – die
                              Mittendrin oder außen vor                       Frage ist nicht mehr ob, sondern wann.
                              Das Grand-Inga-Projekt ist Ausdruck eines       Deutschland und seine europäischen Part-
                              Prestige-getriebenen Gigantismus bei Infra-     ner sollten sich bald und klar entscheiden,
                              strukturprojekten und birgt erhebliche          ob die zweifelsohne schwerwiegenden tech-
                              Risiken. Allein die enormen Kosten von          nischen und finanziellen Bedenken sowie
                              50–60 Milliarden Euro sprengen den Rah-         die ökologischen und sozioökonomischen
© Stiftung Wissenschaft und   men sämtlicher Referenzprojekte, muten          Nachteile überwiegen und ein Engagement
Politik, 2017                 angesichts eines aktuellen Staatshaushalts      unmöglich machen. Dann verbietet sich
Alle Rechte vorbehalten
                              der DRK von 5,8 Milliarden Euro geradezu        politisch aber auch die Unterstützung
Das Aktuell gibt die Auf-     absurd an und werden trotz der Beteiligung      involvierter Unternehmen bei der Zuliefe-
fassung des Autors wieder
                              externer Investoren das Haushaltsdefizit        rung von Einzelbauteilen, bei der Beteili-
SWP                           der DRK zusätzlich belasten. Im Zuge der        gung an nachgelagerten Prozessen oder
Stiftung Wissenschaft und     Baumaßnahmen müssen mindestens 35 000           durch die Vergabe von Bürgschaften. Eine
Politik
Deutsches Institut für        Menschen umgesiedelt werden; gleichzeitig       entsprechende Position muss konsequent
Internationale Politik und    droht die Bevölkerung bei der Stromvertei-      und über Zeit aufrechterhalten werden, um
Sicherheit
                              lung das Nachsehen zu haben, da Groß-           Wirkung zu entfalten.
Ludwigkirchplatz 3−4          abnehmer und -investoren von Beginn an             Oder es gilt auszuloten, in welcher Form
10719 Berlin
Telefon +49 30 880 07-0       im Fokus des Mammutvorhabens standen.           diese vergleichsweise CO2-freundliche und
Fax +49 30 880 07-100         Im Fall von Inga 3 sollte nach den ursprüng-    kostengünstige Form der Stromerzeugung
www.swp-berlin.org
swp@swp-berlin.org
                              lichen Plänen eine jährliche Leistung von       am Kongo politisch, technologisch oder
                              2500 MW nach Südafrika exportiert werden,       finanziell unterstützt oder begleitet werden
ISSN 1611-6364                weitere 1300 MW waren für die Bergbau-          kann. Dann sind eingeforderte Maßstäbe
                              industrie in der DRK vorgesehen, so dass        und Standards aber auch tatsächlich ein-
                              mit 1000 MW nur rund ein Fünftel für die        zuhalten, wie unabhängige und sorgsam
                              Haushalte und andere Wirtschaftszweige          durchgeführte Machbarkeitsstudien, die
                              übrigblieb. Da Leitungsverluste nicht ein-      eventuell konstruktionstechnische Änderun-
                              gerechnet wurden, drohte der Anteil für die     gen erfordern.
                              Bevölkerung auf weniger als 100 MW zu              Wie auch immer eine Positionierung aus-
                              sinken. Unterhalb der Anlage sind zudem         sehen mag: Eine vertrauensvolle, langfristig
                              die reichhaltigen Fischbestände gefährdet.      angelegte Zusammenarbeit mit den Kongo-
                                 Gleichwohl hebt sich das Vorhaben in         Anrainern in Wassernutzungsfragen ist ohne
                              einigen Punkten positiv von vergleichbaren      eine klare Haltung in der gleichermaßen
                              Hydroenergieprojekten ab: Aufgrund des          zentralen wie heiklen Frage der Hydroener-
                              großen Gefälles an den Inga-Fällen, des         gieerzeugung perspektivisch nicht glaub-
                              hohen Wasserdrucks und der enormen              haft aufrechtzuerhalten. Eine solche klare
                              Fließgeschwindigkeit des Kongo erzielt die      Position ist die Voraussetzung, um mit ent-
                              Anlage einen relativ hohen Effektivitäts-       sprechenden Beratungsangeboten die tech-
                              grad bei einem vergleichsweise überschau-       nischen Grenzen des Projekts aufzuzeigen,
                              baren ökologischen Eingriff; da die Anlage      eine ausreichende Beteiligung der Bevölke-
                              am Unterlauf liegt, betreffen negative Effek-   rung an den »benefits« anzumahnen und
                              te einen relativ kurzen Flussabschnitt von      dabei mitzuwirken, die Konsequenzen für
                              150 Kilometern. Das für Inga 3 vorgesehene      das Ökosystem Kongo zu begrenzen.

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