Russlands Wende nach China - Stiftung Wissenschaft und Politik
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SWP-Aktuell Einleitung Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Russlands Wende nach China Margarete Klein / Kirsten Westphal Seitdem sich die Beziehungen zum Westen im Zuge der Krise um die Ukraine massiv verschlechtert haben, orientiert sich Russland verstärkt Richtung China. Diese Annähe- rung ist vor allem in den strategischen Bereichen Militär- und Energiekooperation zu beobachten. Auch wenn die unmittelbaren Auswirkungen auf Deutschland und die EU begrenzt sind, hat die Dynamik im Verhältnis der beiden großen Nachbarn im Osten globale und ordnungspolitische Relevanz. Deswegen darf ihre langfristige Tragweite nicht unterschätzt werden. Deutschland und die EU sollten diese sich abzeichnenden tektonischen Verschiebungen mit Hilfe inklusiver und multilateraler Kooperations- und Dialogansätze im euro-asiatischen Raum austarieren. Als Leitlinien für eine regio- nale und globale Zusammenarbeit müssten wirtschaftlicher Austausch, der Ausbau von Infrastruktur und die Bearbeitung globaler Probleme dienen. Bereits seit Ende des Kalten Krieges hat an Bedeutung für Russland gewinnt, spie- Moskau seine Beziehungen zu China suk- gelt sich auch im Außenhandel wider: Seit zessive ausgebaut – von der »konstruktiven 2008 importiert Russland mehr Güter aus Partnerschaft« (1994) über die »Partner- China als aus Deutschland, bei den Exporten schaft der strategischen Koordination« liegen beide Länder in wechselnder Folge (1996) bis hin zur »umfassenden, sich ver- auf Platz 1 oder 2. Strategischen Charakter tiefenden strategischen Partnerschaft« besitzt vor allem die Zusammenarbeit bei (2010). Stand in den 1960er bis 1980er Jah- Militär und Energie. Chinas Aufstieg, der ren zunächst die Überwindung bilateraler amerikanische »pivot to Asia« und Moskaus Spannungen im Vordergrund, kooperieren Bestreben, in Ostasien wieder eine größere beide Länder seit Mitte der 1990er Jahre Rolle zu spielen, gaben der russischen dort, wo gemeinsame Interessen bestehen. »povorot na vostok« (Wende nach Osten) Diese reichen von der Ablehnung einer als und der Chinapolitik seit Ende der 2000er amerikanisch dominiert empfundenen Jahre einen weiteren Schub. Aber erst seit Weltordnung und »farbiger Revolutionen« sich die Beziehungen zum Westen im Zuge über den Wunsch nach politischer Stabili- der Krise um die Ukraine massiv verschlech- tät in der gemeinsamen Nachbarschaft tert haben, wird im russischen politischen Zentralasien bis hin zur Ausweitung bilate- Diskurs die Annäherung an Peking nicht raler Wirtschaftsbeziehungen. Dass Asien mehr nur als Ergänzung zur Westpolitik Dr. Margarete Klein ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Osteuropa und Eurasien SWP-Aktuell 78 Dr. Kirsten Westphal ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Globale Fragen September 2015 1
dargestellt, sondern als langfristige Um- mit 129 Mrd. US-Dollar 2014 fast doppelt so orientierung und Abkehr vom Westen. hoch wie das russische Pendant (70 Mrd. US-Dollar). Zwar ist sich die Führung in Moskau be- Sicherheits- und Militärpolitik wusst, dass Chinas militärischer Aufwuchs Im sicherheitspolitischen Bereich verfolgte nicht vorrangig gegen Russland, sondern Moskau bislang eine Doppelstrategie gegen- gegen die USA gerichtet ist und den chinesi- über China. Deren ersten Pfeiler bilden An- schen Führungsanspruch in Ostasien unter- bindungsmechanismen wie militärisch- mauern soll. Das wachsende militärische politischer Dialog, russisch-chinesische Ungleichgewicht birgt aber die Gefahr, dass Übungen und Rüstungskooperation. Auf Peking in Konflikten mit Moskau künftig diese Weise sollen Vertrauen und Trans- fordernder auftreten könnte. Dies betrifft parenz untereinander erhöht sowie eine beispielsweise den Zugang zu Rohstoffen gemeinsame Abwehr von Gefahren erleich- im russischen Osten oder in der Arktis. Aus tert werden. Von außen bedroht sehen sich diesem Grund setzt Moskau auch auf in- beide Länder durch Spillover-Effekte aus direkte Gegenmachtbildung, die den zweiten der Nachbarschaft Zentralasien, etwa Isla- Pfeiler seiner Doppelstrategie bildet. Dazu mismus, Terrorismus und Drogenschmug- gehört, dass Russland seine Verteidigungs- gel, aber auch durch die überlegenen mili- fähigkeit gegenüber China aufrechterhält, tärischen Fähigkeiten der USA. Im Inneren so durch die Modernisierung seines Nuklear- hegen die Führungen in Peking und Mos- arsenals oder den Ausbau der strategischen kau Besorgnis wegen »farbiger Revolutio- Luftverteidigung im Osten des Landes. nen«, die beide Seiten als vom Westen ge- Darüber hinaus versucht Russland China schürte Aufstände mit dem Ziel des Regime- auf zweierlei Weise einzuhegen. Einerseits wechsels wahrnehmen. Gemeinsame Mili- liefert es moderne Waffen an Länder, die tärübungen nutzt darüber hinaus vor allem mit China rivalisieren oder in Territorial- die russische Führung zur Machtdemonst- konflikte verstrickt sind, wie Indien und ration gegenüber NATO und USA. Vietnam. Andererseits vermeidet es, China Zudem sorgt sich Moskau wegen des mit den neuesten russischen Rüstungs- Aufstiegs und der langfristigen Absichten gütern auszustatten. Chinas, auch wenn dies aus politischer Seit Ausbruch der Krise um die Ukraine Rücksichtnahme auf den »strategischen baut Moskau einseitig den Kooperations- Partner« in keinem offiziellen Dokument pfeiler seiner Doppelstrategie aus. Dies lässt auftaucht. Seit Ende des Kalten Krieges hat sich vor allem daran ablesen, dass Zahl, sich das Machtverhältnis zwischen China Reichweite und Intensität der gemeinsamen und Russland in vielen Bereichen zu dessen Manöver erhöht wurden. Beschränkten sich Ungunsten umgekehrt. Das chinesische die russisch-chinesischen Militärübungen Bruttoinlandsprodukt zum Beispiel ist lange Zeit auf die Grenzregion und die ge- heute mehr als viermal so hoch wie das meinsame Nachbarschaft Zentralasien, russische. Im militärischen Bereich kann probten die Marinen beider Länder im Jahr sich Russland zwar weiterhin auf seinen 2015 erstmals im Mittelmeer (Mai) und im Vorsprung bei Nuklearwaffen verlassen, Japanischen Meer (August). Das Aufgaben- doch bei den konventionellen Streitkräften spektrum der Übungen wurde ebenfalls ist China Russland in vielerlei Hinsicht be- ausgeweitet – von der Terror-, Aufstands- reits quantitativ und qualitativ überlegen. und Pirateriebekämpfung über die Abwehr So verfügte die chinesische Volksbefrei- feindlicher Angriffe bis hin zu Offensivaktio- ungsarmee 2014 über mehr als dreimal so nen. Im August 2015 etwa versuchten sich viele Soldaten und deutlich mehr Panzer russische und chinesische Marinesoldaten und Kampfflugzeuge als die russischen zum ersten Mal vereint an einer amphibi- Streitkräfte. Pekings Verteidigungsetat lag schen Landung. Auch der Grad der Inter- SWP-Aktuell 78 September 2015 2
operabilität steigt. Verliefen russisch-chine- wurde laut Presseberichten ein Vertrag sische Übungen bisher eher als parallele über den Verkauf von S-400-Luftabwehr- Manöver der beiden Streitkräfte, trainierten raketensystemen geschlossen. Über die russische und chinesische Soldaten 2014 Lieferung des neuesten Kampfflugzeugs neuerdings in gemischten Gruppen und Su-35 wird noch verhandelt. unter einem gemeinsamen Kommando. Der Export dieser Waffensysteme ist für Gewiss sind Moskau und Peking noch weit Russland nicht nur militärisch, sondern davon entfernt, eine größere integrierte auch politisch heikel. Denn die S-400 mit Operation durchführen zu können. Den- ihrer Reichweite von 400 km wird es China noch erhöhen sie ihre Fähigkeit zu verein- erleichtern, in den Luftraum über den tem militärischem Vorgehen in lokalen Senkaku/Diaoyu-Inseln einzugreifen, die und regionalen Konflikten, insbesondere zwischen Japan und China umstritten sind. in der Nachbarschaft Zentralasien. Indem Moskau die chinesischen Machtpro- Auch in andere Sicherheitsbereiche jektionsfähigkeiten stärkt, unterminiert es dehnten beide Seiten ihre Zusammenarbeit seine bisherige neutrale Position in den aus. Von besonderer Bedeutung ist dabei Territorialkonflikten im Süd- und Ostchine- ein Rahmenabkommen zur Kooperation bei sischen Meer. Dass Moskau seine Neutrali- Fragen internationaler Informationssicher- tät stillschweigend aufgibt und chinesi- heit, das Moskau und Peking am 30. April sches Hegemonialstreben unterstützt, zeigt 2015 unterzeichneten. Darin verpflichteten sich auch daran, dass die russische Marine sich beide Seiten, keine Cyberangriffe gegen- im August 2015 erstmals im Japanischen einander zu führen und miteinander gegen Meer ein gemeinsames Manöver mit China »Technologien« vorzugehen, die die »Sicher- durchführte. Dies war bisher aus Rücksicht heit und Stabilität« des Staates gefährden auf Tokio nicht in Frage gekommen. Infolge oder auf die »Destabilisierung der sozio- der jüngsten Rüstungsverkäufe und Manö- ökonomischen Lage« im Inneren gerichtet ver schrumpft Moskaus politischer Hand- sind. Damit verstärken beide Seiten ihre lungsspielraum in Ostasien. Koordination – sowohl bei der Abwehr von Cyberattacken durch Drittstaaten als auch hinsichtlich der staatlichen Kontrolle des Energie Internets und damit der Verhinderung Traditionell ist Europa der wichtigste Ab- »farbiger Revolutionen«. satzmarkt für russisches Erdöl und Erdgas. Während Moskau seine sicherheitspoliti- Zwei Drittel des Öls und über die Hälfte des sche Kooperation mit Peking substantiell Gases gehen in die EU. Die Komplementari- ausbaut, fällt es ihm jedoch zunehmend tät zwischen ressourcenarmer Verbrauchs- schwer, den Absicherungspfeiler seiner region und energiereichem Förderland Doppelstrategie im bisherigen Umfang sowie die geographische Nähe beförderten aufrechtzuerhalten. Zwar kann sich Mos- den jahrzehntelangen Ausbau von Infra- kau weiterhin auf seine nukleare Abschre- struktur und Handel. Auch in der nächsten ckungsfähigkeit verlassen und setzt die Dekade wird Europa der bedeutendste Rüstungskooperation mit Vietnam und Exportmarkt bleiben. Indien fort. Bei den Waffenlieferungen an Als sich im Gefolge der russisch-ukraini- China allerdings musste Russland seine schen Gaskrisen 2006 und 2009 und der bisherige Zurückhaltung aufgeben. Obwohl Implementierung des Dritten EU-Energie- es seit den 1990er Jahren Chinas wichtigs- Binnenmarktpaketes von 2009 die Bezie- ter Waffenlieferant ist, hat es sich aufgrund hungen zur EU verschlechterten, drohte von Sicherheitsbedenken und teils aus Moskau immer wieder damit, Erdgasaus- Furcht vor Produktpiraterie in der Vergan- fuhren nach China umzuleiten. Seit 2014 genheit geweigert, modernste Waffen nach beschleunigen auch geopolitische Motive China zu exportieren. Ende 2014 aber die Energiekooperation mit China. SWP-Aktuell 78 September 2015 3
Dabei liefern die geoökonomischen Ver- Die Wendung nach Asien folgt also einer änderungen allein schon Anlass genug für ähnlichen Logik wie die enge Energiepart- eine russische Diversifizierung in Richtung nerschaft zwischen Russland und West- Asien. Denn die internationalen Energie- europa in der zweiten Hälfte des 20. Jahr- märkte sind von einem rapiden und tief- hunderts: Das energiereiche Russland ko- greifenden Wandel geprägt. Die Nachfrage operiert mit dem energiehungrigen China. nach Öl und Gas wächst vor allem in der Allerdings zeitigen die Krisenerscheinun- Asien-Pazifik-Region, während der Ver- gen in der russischen Wirtschaft, der gesun- brauch in der EU stagniert oder gar sinkt. kene Ölpreis und die Sanktionen uner- Als traditioneller Exporteur über Pipelines wünschte Wirkungen und erschweren den hat Russland den im letzten Jahrzehnt um Ausbau der Infrastruktur sowie die Erschlie- mehr als ein Viertel gestiegenen Handel ßung der Felder. So zielen die westlichen mit verflüssigtem Erdgas (Liquefied Natural Sanktionen auf neuralgische Technologien, Gas, LNG) fast verschlafen. Erst seit 2010 die unter anderem für eine erfolgreiche und führt Russland, seines Zeichens größter schnelle Wende nach Osten benötigt wer- Gasexporteur, vom Terminal Sachalin-2 den: die Erschließung von Schieferöl- und gerade mal vier Prozent des gesamten welt- Tight-Öl-Formationen sowie Tiefseeprojek- weiten LNG-Aufkommens aus. Zudem steigt ten in der Arktis, aber auch vor der Insel das Öl- und Gasangebot durch Fracking in Sachalin. Außerdem wird die Finanzierung den USA erheblich. Deshalb sieht sich Russ- über die internationalen Kapitalmärkte land wachsender Konkurrenz auf den glo- eingeschränkt. Da der Zugang zu den west- balen Märkten ausgesetzt, aber auch in lichen Finanzmärkten Sanktionen unter- seinem angestammten pipelinegebundenen liegt, braucht Russland umso dringender Markt Europa. Einnahmen in harter Währung. Die Situa- Aus diesen Gründen muss Russland seine tion der russischen Energieunternehmen Ausfuhren diversifizieren sowie Transport- wie Rosneft und Gazprom hängt ebenfalls möglichkeiten und Vertragsstrukturen von ihren Deviseneinnahmen und dem Ver- flexibilisieren, um seine Marktposition als hältnis von Rubel- und Devisenausgaben ab. Exporteur zu verteidigen. Schon im Jahr Zwar wirkte die Krise um die Ukraine in 2010 formulierte Russland in seiner »Ener- den vergangenen Monaten wie ein Kataly- giestrategie 2030« den Ausbau des Handels sator für verstärkte und beschleunigte rus- mit Asien als Ziel und konkretisierte dies sisch-chinesische Zusammenarbeit. Doch Anfang 2014: Bis 2035 sollen die Öl- und schrumpfen Russlands Mittel, die Wendung Gasexporte nach Asien verdoppelt werden. nach China umzusetzen und dabei seine Spät, aber vehement versucht Moskau bei- strategischen Interessen zu wahren. Über spielsweise, über ein seit 2013 mehrfach die im Mai 2014 vertraglich beschlossene geändertes Steuersystem den »povorot na Gaspipeline »Power of Siberia« sollten ab vostok« im Energiebereich voranzubringen. Ende 2017 für 30 Jahre 38 Milliarden Kubik- Für die russische Führung hat dies nicht meter Erdgas jährlich an den großen Nach- nur große außenwirtschaftliche, sondern barn geliefert werden. Schon zum Zeit- auch volkswirtschaftliche Bedeutung, denn punkt des Abschlusses galt als wahrschein- das schon 2007 von der Regierung beschlos- lich, dass sich das Projekt erst in der nächs- sene »Gasprogramm für den Osten« sieht ten Dekade für Gazprom rechnen würde. vor, den Gassektor im Osten Sibiriens und Nun aber belasten die hohen Erschlie- im Fernen Osten zu entwickeln. Aus ökono- ßungs- und Baukosten und die schwierige mischer Perspektive ergibt es daher Sinn, Gaspreisentwicklung den Konzern noch die Erdgasfelder wie die Infrastruktur stärker als angenommen und das Projekt sowohl für den Eigenbedarf als auch für verzögert sich. Das kommt China wohl den Export aufzubauen. nicht ungelegen, da dort gesamtwirtschaft- liche Strukturanpassungsprozesse an- SWP-Aktuell 78 September 2015 4
stehen, sich das Nachfragewachstum ver- 2010 und 2014 haben sich die russischen langsamt sowie Gasmarkt und Gaspreis- Rohölexporte nach China auf fast 30 Millio- mechanismen reformiert werden. Unter nen Tonnen weit mehr als verdoppelt. diesen Rahmenbedingungen kann die Chinas Anteil an Russlands Rohölausfuhr »Westroute«, die sogenannte Altai-Pipeline beträgt gut 13 Prozent. mit einer vorgesehenen jährlichen Kapazi- Die Sanktionen gegen Russland eröffnen tät von zunächst 30 Milliarden Kubikmetern China neue Möglichkeiten, denn der Tech- Erdgas, allenfalls als Zukunftsmusik gelten. nologieimport aus dem Westen wird für Diese Situation stellt Gazprom vor ein Di- Russland wegen der Genehmigungsprozes- lemma: Die Gasfelder im Osten sind noch se langwieriger und komplizierter und vor in der Erschließung und es fehlen Verarbei- allem die Refinanzierung der Projekte wird tungsanlagen, um Gas in der geforderten mühsamer. Angesichts der schwierigen trockenen Qualität über die »Power of Si- Lage hat Russland vormals als strategisch beria« zu liefern. Gleichzeitig aber sieht und im nationalen Interesse stehend defi- sich der Konzern mit einem potentiellen nierte Rohstoffvorkommen für chinesische Erdgasüberschuss im Westen Sibiriens kon- Investoren geöffnet und setzt auf Importe frontiert. Dort hat das Unternehmen Felder strategischer Technologien aus China. So für den europäischen Markt erschlossen, verkaufte Rosneft einen Anteil von zehn deren Gas nun nicht benötigt wird. So er- Prozent am Ölfeld Vankor, Hauptherkunfts- gäbe die Westroute mehr Sinn für Gazprom, quelle des über die ESPO-Pipeline transpor- denn sie würde eine Flexibilisierung des tierten Öls, an den staatlichen chinesischen Exports erlauben. Allerdings würde sie fern- Ölkonzern China National Petroleum Cor- ab der Verbrauchszentren in die Provinz poration (CNPC). Rosneft kooperiert mit Xinjiang münden und damit dort, wo auch dem chinesischen Erdgas- und Mineralöl- die Pipeline aus Zentralasien ankommt. Die unternehmen Sinopec bei der Erschließung russisch-chinesischen Interessen sind also von Tight-Öl-Feldern in Ostsibirien, CNPC nur begrenzt vereinbar und von Asymmet- ist Partner beim Projekt zur Verflüssigung rie gekennzeichnet. von Erdgas auf der russischen Halbinsel In den russischen Ölsektor jedoch sind Jamal. Auch in anderen Bereichen des bereits verstärkt chinesische Langzeit- Energiesektors intensivieren Russland und investitionen geflossen und die Felder Sibi- China ihre Zusammenarbeit. Strategisch riens wurden an Chinas Markt angebunden. wichtig ist dabei vor allem die zivile Atom- Noch 2002 hatte der inzwischen zerschla- technologie. Beide Länder sind Konkurren- gene Energiekonzern JUKOS des Oligarchen ten, profitieren aber auch von Kooperation. Michail Chodorkowskij mit seinem Plan, eine Pipeline nach China zu bauen, Unmut im Moskauer Establishment erzeugt. Schon Symbolpolitik mit Substanz 2008 aber vereinbarten die russischen Russlands Hinwendung nach China ist Staatskonzerne Rosneft und Transneft mit mehr als bloße Symbolpolitik. Sie hat in China die gemeinsame Finanzierung der den vergangenen Jahren in fast allen Berei- Pipeline »Eastern Siberia Pacific Ocean« chen deutlich an Substanz gewonnen. (ESPO) gegen die Lieferung von 15 Millio- China ist zu demjenigen Land außerhalb nen Tonnen Erdöl jährlich über 20 Jahre. des postsowjetischen Raums avanciert, mit Die ersten Lieferungen nach Daqing in dem Russland die engsten militärischen China erfolgten 2011. Die ESPO ist nun die Beziehungen pflegt. Durch intensivierte längste Ölpipeline der Welt mit einer Kapa- Übungsaktivitäten wird es beiden Seiten zität von 1 Million Barrel täglich. Im russi- künftig leichter fallen, gerade in Zentral- schen Skovorodino zweigt sie nach China asien gemeinsam sicherheitspolitisch aktiv und in einem zweiten Strang zum russi- zu werden. Auch bei Cybersicherheit bauen schen Exporthafen Kozmino ab. Zwischen Peking und Moskau ihre Koordination deut- SWP-Aktuell 78 September 2015 5
lich aus. Dennoch ist die westliche Sorge Möglichkeiten, um etwa Infrastruktur für vor einer formalen russisch-chinesischen den Export in andere asiatische Märkte Militärallianz überzogen. Daran ist keine auszubauen. der beiden Seiten ernsthaft interessiert, Russlands Strategie, mit Hilfe der Ver- denn sie würde die jeweilige politische flüssigung von Erdgas und des Baus neuer Handlungsfreiheit einschränken. Pipelines seine Exporte zu flexibilisieren, Die Kooperation im Energiebereich wird stößt in der Partnerschaft mit China an derzeit ebenfalls ausgebaut. So können ihre Grenzen. Russland ist nun eng an beide Seiten ihre Handelsbeziehungen einen einzigen Abnehmer gebunden, was diversifizieren und Russland kann Anteile seine Rolle als globaler Exporteur beein- im chinesischen Markt gewinnen. trächtigt. Das Ziel etwa, den Preis für die Dennoch darf Russlands Annäherung Rohölsorte ESPO Blend als neuen Referenz- an China nicht überbewertet werden. Die preis zu etablieren, wird unterlaufen, denn Kooperation hat ihre Grenzen und trotz die Ausweitung der russischen ESPO-Aus- verbesserter Beziehungen bestehen nach fuhren nach Daqing entzieht dem Spot- wie vor Konfliktfelder, die das Verhältnis in markt in Kozmino Mengen. China hat sich Zukunft belasten können. Hinzu kommt, für 20 Jahre nicht nur Kontingente, son- dass sich die bilaterale Machtbalance seit dern auch eine bestimmte Ölqualität ge- Ende des Kalten Krieges in fast allen Para- sichert. metern zu Ungunsten Moskaus verändert Russland gehen zusehends die finanziel- hat. Die russische Hoffnung, als umworbe- len Mittel aus, die es benötigt, um auf die ner »swing state« China und den Westen geoökonomischen Verschiebungen ange- gegeneinander ausspielen zu können, hat messen zu reagieren. Umso wichtiger wird sich schon vor der Krise um die Ukraine als für den Kreml die Symbolpolitik und jede viel zu optimistisch erwiesen. Nun verliert Demonstration, dass Russland internatio- Russland auch noch die Fähigkeit, seine nal nicht isoliert ist. Der Schwerpunkt hier- Interessen auf Augenhöhe mit China zu bei liegt auf der Eurasischen Wirtschafts- vertreten. Die Kosten der Annäherung an union (EAWU) und der Zusammenarbeit mit China sind daher für Russland beträchtlich. China. Auch die Kooperation der Schwellen- Kurzfristige Interessen an politischer Sym- länder (BRICS) wie beim Gipfel im russischen bolik und handfeste wirtschaftliche Not- Ufa im Juni 2015 sowie die Shanghaier wendigkeiten hebeln langfristige strategi- Organisation für Zusammenarbeit (SCO) sche Überlegungen aus. In der Folge wird gewinnen in diesem Kontext an Bedeutung. Moskaus Handlungsspielraum kleiner. Doch ist es China, das in diesen Formaten Im asiatisch-pazifischen Raum verfolgte immer stärker die Agenda bestimmt. Dies Moskau bislang die Strategie, seine politi- zeigt sich beispielsweise daran, dass Russ- schen und wirtschaftlichen Beziehungen land im Rahmen der SCO in Ufa zugestimmt mit allen Ländern dort auszubauen. Die hat, die Integration der EAWU mit der chi- eigentlich als »povorot na vostok« geplante nesischen Seidenstraßeninitiative (»one Wende hin zum gesamten Osten droht nun belt, one road«, OBOR) anzustreben. Wäh- aber zu einer Hinwendung nach China zu rend des Pekinger Internationalen Wirt- schrumpfen. Zwar bemüht sich Russland schaftsforums im September 2015 haben weiterhin, beispielsweise die sicherheits- beide dieses Vorhaben konkretisiert, näm- und energiepolitische Annäherung an lich in einem Kooperationsabkommen und Japan aufrechtzuerhalten. Wegen der japa- zusätzlichen Vereinbarungen im Kontext nischen Sanktionen sowie der intensivier- der Wirtschaftsallianz Seidenstraße. ten russisch-chinesischen Militärkooperati- on hat sich das Verhältnis zu Tokio jedoch merklich eingetrübt. Zudem schwinden mit den finanziellen Mitteln auch Russlands SWP-Aktuell 78 September 2015 6
Auswirkungen auf die EU und eint zudem der Wunsch, im internationa- Deutschland len Zahlungsverkehr die Dominanz west- Russland versucht in seinem Konflikt mit licher Strukturen (etwa der Society for EU, NATO und USA die China-Karte auszu- Worldwide Interbank Financial Telecom- spielen. Die damit erzeugte Drohkulisse ist munication, SWIFT) und Währungen zu allerdings nicht recht glaubwürdig, denn brechen. Beide Länder sind unzufrieden schließlich sind Moskau und Peking weit mit der institutionellen Architektur von davon entfernt, formal eine antiwestliche Bretton Woods und den von der OECD be- Allianz zu bilden. Dennoch zeichnen sich herrschten Institutionen. Deswegen haben langfristig Folgen für die globale und regio- sie unter anderem die Asiatische Infra- nale Ordnungspolitik und die Steuerung in struktur-Investitionsbank und die Neue wichtigen Politikfeldern ab. Entwicklungsbank (BRICS) mitbegründet. Moskau und Peking teilen wesentliche Gleichzeitig arbeiten Russland und China Kritikpunkte an den westlich dominierten an der Neustrukturierung von Wirtschafts- Governance-Strukturen und -Prinzipien räumen. Beobachten lässt sich dies in den und vereinen ihre Kräfte, um diese entweder Gesprächen um den Abbau von Handels- in ihrem Sinne umzuwandeln oder durch hemmnissen, aber vor allem beim Infra- alternative Foren wie BRICS zu schwächen. strukturausbau. Die Verbindung von OBOR Dies kann die Fähigkeit des Westens ver- und Eurasischer Wirtschaftsunion sowie ringern, die globale Agenda zu bestimmen die Erweiterung der Shanghaier Organisa- und Problemdeutung in der internationa- tion um Beobachter wie die Mongolei und len Politik zu liefern. den Iran schaffen neue Realitäten für west- Betroffen davon sind beispielsweise die liche Steuerungsversuche. Dies stellt zum Attraktivität und Legitimation politischer Beispiel die Zentralasien-Strategie der EU Systeme. So sind Russland und China be- und die deutsche Rohstoffpartnerschaft mit strebt, eine enge Auslegung der humanitä- der Mongolei vor neue Herausforderungen. ren Schutzverantwortung durchzusetzen Zudem beschneidet es Europas Ambitionen, und ihre Interpretation von »farbigen Revo- seine Energiebezüge zu diversifizieren. lutionen« als westliche Kriegsführung zu Die russisch-chinesische Annäherung hat verbreiten. Zudem bauen beide Länder über auch Rückwirkungen auf die bilateralen die normative Ebene hinaus ihre Fähigkeit Energiebeziehungen zwischen Russland zur Abwehr »farbiger Revolutionen« aus, und der EU. Zwar bleibt die EU kurz- und wie die Zusammenarbeit im Cyberbereich mittelfristig der wichtigste Markt für Russ- zeigt. Die Annäherung zwischen Russland land, das zudem dringend die Einnahmen und China besitzt also das Potential, autori- braucht, um die nach Asien gerichteten täre Systeme stärker abzusichern und das Projekte zu finanzieren. Langfristig aber westliche Leitbild von der liberalen, rechts- sind Verschiebungen wahrscheinlich. Zum staatlichen Demokratie zu unterhöhlen. einen sind Folgen für Qualität und Mengen Diese Allianz kann auch die bestehende zu erwarten, da Russland künftig immer liberale Wirtschaftsordnung, die in hohem mehr hochwertiges, leichtes Rohöl aus Maß auf freiem Handel, Investitionen und Westsibirien in Richtung Asien lenkt, um Zugang zu Ressourcen beruht, verändern, die Vereinbarungen zu Mengen und Quali- wenn wohl auch nicht vollständig ablösen. tätsstandards zu erfüllen. Zum anderen Immerhin profitieren Russland und China könnten sich strukturelle Veränderungen vom Funktionieren der Märkte. Allerdings ergeben. Verlieren europäische Firmen hier könnten Knappheitssituationen dazu füh- in Konkurrenz zu chinesischen Konzernen ren, dass beide nicht mehr nur auf Markt- an Zugang zum russischen Markt, schmä- kräfte bauen, sondern die engen Verbin- lert dies ihre Marktmacht und Kapitalisie- dungen von Staatsfirmen entlang der Wert- rung. Auf die Dauer könnte das die Funk- schöpfungskette instrumentalisieren. Beide tionsfähigkeit des freien Marktes empfind- SWP-Aktuell 78 September 2015 7
lich stören, vor allem wenn sich das An- vermieden werden, die Forderungen aus gebot weiter verengt. Zudem sind es west- dem Minsk-2-Abkommen aufzuweichen. liche Firmen, welche über die produktions- Gemeinsame Interessen bestehen beispiels- steigernden Technologien verfügen, die weise an einer Stabilisierung Afghanistans, notwendig sind, um Russlands Ölförderung in der Nichtverbreitungspolitik sowie bei auf hohem Niveau zu halten. der Bekämpfung von Islamismus und Terro- Auch die internationale Governance der rismus. Was Ostasien betrifft, wäre es so- Energiebeziehungen läuft Gefahr, über wohl im Sinne Russlands als auch der EU, kurz oder lang in Mitleidenschaft gezogen etwa den nordkoreanischen Atomwaffen- zu werden. Bisher wird sie von den Organi- konflikt und die Territorialstreitigkeiten im sationen und Mechanismen geprägt, die die Ost- und Südchinesischen Meer friedlich OECD-Staaten nach 1973 und die G8-Staaten beizulegen. Die EU sollte daher ihren poli- nach 2007 angestoßen haben. Dazu gehören tischen Dialog mit Russland zu Ostasien die Internationale Energieagentur (IEA) mit stärken. © Stiftung Wissenschaft und ihren gemeinsamen Krisenmechanismen Im euro-asiatischen Raum sollten jenen Politik, 2015 oder Transparenzinitiativen wie die Joint Staaten, die sich im Sog des russisch-chine- Alle Rechte vorbehalten Organization Data Initiative (JODI) beim sischen Tandems wiederfinden, Handlungs- Das Aktuell gibt die Auf- Internationalen Energieforum (IEF). Auf- alternativen geboten werden. Die Organisa- fassung der Autorinnen grund der geopolitischen Verwerfungen tion für Sicherheit und Zusammenarbeit wieder stockt der Prozess der Assoziierung zur IEA, in Europa (OSZE) muss der Seidenstraßen- SWP unter anderem Russlands und Chinas, der initiative Chinas eine eigene Initiative zur Stiftung Wissenschaft und Politik seit 2007 sukzessive vorangetrieben wurde. Konnektivität zur Seite stellen. Deutsches Institut für Die Energie- und Wirtschaftsbeziehungen Internationale Politik und Sicherheit im euro-asiatischen Raum sollten nicht Fazit und Empfehlungen weiter versicherheitlicht werden. Als Leit- Ludwigkirchplatz 34 10719 Berlin Die Annäherung zwischen Russland und prinzipien sollten stattdessen Handel, Inter- Telefon +49 30 880 07-0 China ist eine Herausforderung für deutsche dependenz und Ausbau von Infrastruktur Fax +49 30 880 07-100 und europäische Politik. Die Zusammen- dienen. www.swp-berlin.org swp@swp-berlin.org arbeit ist substantieller geworden und Bisher hat die EU-Kommission auf bilate- könnte auf lange Sicht europäische Hand- rale Dialoge sowie die Energiegemeinschaft ISSN 1611-6364 lungsspielräume einengen und globale in der unmittelbaren Nachbarschaft ge- Rahmenbedingungen grundlegend ver- setzt. Dieser Ansatz greift geographisch und ändern. Deutschland und Europa sollten inhaltlich zu kurz. Er sollte durch inklusive dieser Entwicklung mehr Aufmerksamkeit regionale Governance-Initiativen (etwa die schenken und sie in ihre strategischen OSZE, den Energiecharta-Prozess oder die Erwägungen einbeziehen. UN-Kommission zur Wirtschaftsförderung Es liegt nicht im deutschen und europäi- in Europa, UNECE) flankiert werden, um schen Interesse, dass Russland als Junior- miteinander vereinbarte Regeln zu ent- partner einseitig die Position Chinas stärkt wickeln. Auf globaler Ebene schließlich oder dass die Annäherung zwischen Peking gilt es, die Assoziierung wichtiger Länder und Moskau auf globaler und regionaler mit der IEA intensiver zu betreiben, denn Ebene zu Lasten von Europas Handlungs- der Aufbau paralleler Institutionen konter- möglichkeiten geht. Deshalb wäre es rat- kariert westliche Interessen. sam, in Feldern gemeinsamen Interesses die pragmatische Kooperation mit Russland wieder zu fördern. Im Sinne einer »Kom- partmentalisierung« ginge es darum, die negativen Spillover-Effekte der Krise um die Ukraine auf andere Regionen und die globale Ebene zu begrenzen. Es sollte aber SWP-Aktuell 78 September 2015 8
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