Schlechtes Timing Das zwischen der EU - Internationale Politik
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Schlechtes Timing Weltspiegel Schlechtes Timing Das zwischen der EU und China Ende 2020 geschlossene Investitionsabkommen CAI hat einige gute Seiten; ins Bild transatlantischer Zusammenarbeit passt es nicht so recht. Von Stormy-Annika Mildner und Claudia Schmucker K urz vor dem Jahreswechsel und öffentlichen Auftragsvergabe. Die Europä- wenige Stunden vor dem Ende der ische Kommission führte 2013 eine Folgen- deutschen EU-Ratspräsidentschaft abschätzung und zwischen 2015 und 2018 war es so weit: Nach rund sieben Jahren eine Nachhaltigkeitsprüfung durch, um harter Verhandlungen verständigten sich die möglichen wirtschaftlichen, sozialen Brüssel und Peking im Grundsatz auf das und ökologischen Auswirkungen des Ab- EU-China Comprehensive Agreement on kommens zu bewerten. Nach der Grund- Investment (CAI). Dazu gab es ein paar satzeinigung vom 30. Dezember 2020 muss Dr. Stormy-Annika vorsichtig-lobende Worte aus der Wirt- nun das Europäische Parlament das Ab- Mildner schaft (BDI-Hauptgeschäftsführer Joachim kommen ratifizieren. Die Parlamente der ist Direktorin des Lang sprach von einem „entscheidenden EU-Mitgliedstaaten haben dagegen keine Aspen Institute Germany und Ad- Schritt“), ansonsten erntete das Abkom- Mitsprache. junct Lecturer an men viel Kritik: Es sei zu China-freundlich, Das CAI muss als Teil der neuen der Hertie School habe Peking zu einem geopolitischen Sieg EU-Strategie, dem Streben nach „strate- in Berlin. verholfen und die neue US-Regierung vor gischer Autonomie“, verstanden werden. den Kopf gestoßen. Wer hat Recht? Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will die EU in einem veränderten Besser als nichts geoökonomischen Umfeld neu positio- Der Startschuss für die Verhandlungen fiel nieren und die Handelspolitik auch zur 2014. Zu diesem Zeitpunkt verhandelten Durchsetzung geopolitischer Ziele nutzen. auch die USA über ein bilaterales Investi- Dazu gehört die Stärkung der Partner- tionsabkommen (BIT). Das CAI sollte die schaft mit den USA – aber eben auch das Dr. Claudia Schmucker 26 bestehenden BITs der EU-Mitgliedstaa- CAI. Hintergrund ist u.a. die Erkenntnis, leitet das Pro- ten (Ausnahme: Irland) mit China erset- dass die europäische Industrie in Schlüs- gramm Geoökono- zen. Neben dem Investitionsschutz ging selsektoren hinterherhinkt und die EU mie bei der Deut- schen Gesellschaft es erstmals auch um Marktzugang, viele somit für ihre Interessen und für gleiche für Auswärtige hofften zudem auf die Einbeziehung der Wettbewerbsbedingungen kämpfen muss. Politik (DGAP). IP • März /April 2021 | 87
Weltspiegel Große Teile des Vertragstexts sind öf- vate Krankenhäuser wegfallen. Auch in fentlich zugänglich, es fehlen allerdings anderen Sektoren, darunter Forschung noch detaillierte Anhänge zu den genauen und Entwicklung (biologische Ressour- Marktzugangsverpflichtungen. Daher fällt cen), Telekommunikation/Cloud-Diens- eine abschließende Bewertung nach wie te, Computerdienste und internationaler vor schwer. Sicher ist jedoch: Das CAI wird Seeverkehr, soll es Erleichterungen geben. China nicht in ein offenes Investitionsland Das CAI bestätigt dabei fast ausschließlich verwandeln. Auch wird es den meisten frühere Öffnungen durch Peking, das in europäischen Unternehmen wenig neue der Vergangenheit immer wieder sekto- Marktzugangsmöglichkeiten öffnen. Es ral einzelne Zugeständnisse gemacht hat. ist lediglich ein erster Schritt, um faire Trotzdem ist die vertragliche Bindung die- Wettbewerbsbedingungen herzustellen, ser Konzessionen ein Fortschritt. Die EU auch „level playing field“ genannt. Nun musste hingegen kaum Zugeständnisse kommt es auf Chinas Verhalten an, ob das machen, da der europäische Markt schon Abkommen auch mit Leben gefüllt wird. jetzt deutlich offener ist als der chinesi- Als WTO-Mitglied hat sich Peking bei- sche. Wer jedoch darauf hoffte, dass Chi- spielsweise den umfassenden Regeln der na im Zuge des CAI auch seinen öffent- Handelsorganisation unterworfen, diese lichen Vergabemarkt liberalisiert, wurde aber immer wieder gebrochen. enttäuscht. Allerdings gehörte dies auch Das CAI schreibt den Marktzugang für nicht zum Verhandlungsmandat der EU. ausländische Investitionen fest und ver- hindert so Rückschritte für EU-Unterneh- Ein fairerer Wettbewerb? men. Darüber hinaus sieht es die Abschaf- Darüber hinaus soll das CAI die Wettbe- fung von quantitativen Beschränkungen, werbsbedingungen für EU-Unternehmen Grenzen für Auslandsbeteiligungen oder verbessern. Und tatsächlich: Erzwungener auch Joint-Venture-Anforderungen in ei- Technologietransfer an einen Joint-Ven- ner Reihe von Sektoren vor. ture-Partner und Eingriffe in die Vertrags- freiheit bei der Lizenzierung von Techno- logie werden nun verboten. Chinesische Als WTO-Mitglied hat sich Staatsunternehmen sollen nach Marktkri- terien handeln und dürfen beim Kauf und Peking deren Regeln unter- Verkauf von Waren oder Dienstleistungen worfen, diese aber immer nicht diskriminieren. China verpflichtet sich, auf Anfrage spezifische Informa- wieder gebrochen tionen zur Verfügung zu stellen, damit beurteilt werden kann, ob das Verhalten Im Automobilsektor erklärte sich China eines bestimmten Unternehmens den bereit, Joint-Venture-Anforderungen abzu- CAI-Verpflichtungen entspricht. Zudem schaffen und Marktzugang zu gewähren. sollen vertrauliche Geschäftsinformati- Bei Elektroautos hat sich die chinesische onen zukünftig besser gewahrt werden. Seite allerdings nur bei Neuinvestitionen Bleibt ein Streitfall ungelöst, kann auf die in Höhe von über einer Milliarde Dollar im CAI verankerte Streitbeilegung zurück- zu einem unbegrenzten Marktzugang gegriffen werden. verpflichtet. Im Gesundheitssektor sol- Auch das Thema Subventionen wird an- len Joint-Venture-Anforderungen für pri- gegangen: Hier geht es um neue Transpa- 88 | IP • März/April 2021
Schlechtes Timing Weltspiegel Direktinvestitionen (FDI) in der EU und in China Mrd. $ Chinas FDI in der EU 35 FDI der EU in China 30 25 20 15 Quelle: Rhodium Group 10 5 0 2014 2015 2016 2017 2018 2019 renzverpflichtungen im Dienstleistungs- den einzelnen Provinzen häufig unter- sektor, vor allem durch die Ausweitung der schiedlich ausgelegt oder umgesetzt – für geltenden WTO-Transparenzrichtlinien Unternehmen ein erhebliches Marktzu- für Industriegüter auf den Dienstleis- gangshemmnis. Der Vertragstext macht tungssektor. Zudem verpflichtet sich Chi- daher klar, dass er sich auf alle Ebenen des na zum Austausch von Informationen über Regierungshandelns bezieht. In puncto bestimmte Subventionen, die sich negativ Diskriminierungsverbot haben sich die EU auf die Investitionsinteressen der EU aus- und China auf Inländerbehandlung (aus- wirken könnten. In der WTO wollen die EU ländische und inländische Anbieter müs- und China die im Übereinkommen über sen grundsätzlich gleichbehandelt wer- Subventionen und Ausgleichsmaßnah- den) und Meistbegünstigung verständigt. men (ASCM) enthaltenen Disziplinen für Zum Schutz vor kompensationsloser Ent- Industriegüter aktualisieren. eignung oder auch ungerechter Behand- Die Erfahrungen in der WTO haben al- lung findet sich allerdings nichts in den lerdings gezeigt, dass China die Transpa- bisher veröffentlichten Vertragstexten. renzanforderungen oftmals nicht erfüllt. Diese ausgehandelten Anforderungen Dem CAI könnte leicht dasselbe Schick- in Sachen „fairer Wettbewerb“ gehen sal ereilen. Zudem wird ein gravierendes zumeist über bestehende WTO-Verpflich- Problem des ASCM nicht angegangen: die tungen hinaus. Sie ähneln auch den Zu- vagen und begrenzten Definitionen von geständnissen, die die USA im Rahmen Subventionen. Der EU scheint es nicht des „Phase-One“-Handelsabkommens gelungen zu sein, hier die Vorschläge der erhalten haben. Trilateralen Initiative (USA–EU–Japan) Besonders umstritten waren und sind auf das Abkommen zu übertragen. die Bestimmungen beim Arbeits- und Um- Chinesische Behörden handeln auf weltschutz. China verpflichtet sich, die verschiedenen Regierungsebenen oft bestehenden Arbeits- und Umweltstan- uneinheitlich. Regulierungen werden in dards nicht abzusenken, um Investitionen IP • März /April 2021 | 89
Weltspiegel anzuziehen, sowie seine internationalen weil US-Präsident Donald Trump mit sei- Verpflichtungen in den entsprechenden nem Zollkrieg den nationalen Alleingang Verträgen – den Verpflichtungen aus wählte. Anfang 2020 verständigten sich dem Pariser Abkommen und der Inter- die USA und China auf einen „Phase One“- nationalen Arbeitsorganisation (ILO) – Deal; an einem „Phase Two“-Abkommen einzuhalten. Dabei will es „nachhaltige zu strukturellen Fragen wurde bisher und kontinuierliche Anstrengungen“ ohne Erfolg weitergearbeitet. Aufgrund unternehmen, um die ILO-Konventionen der Blockadehaltung der Trump-Regie- zur Zwangsarbeit zu ratifizieren. China ist rung gegenüber der WTO war zudem ein somit im Rahmen des CAI neue internati- gemeinsames Vorgehen gegen China über onale Verpflichtungen eingegangen, doch den Streitbeilegungsmechanismus der ist der Vertrag gespickt mit Kann-Bestim- Handelsorganisation nicht möglich. mungen und vagen Absichtserklärungen. Umgesetzt werden soll das Abkom- men durch einen Überwachungsmecha- Biden wird die Linie seines nismus und eine neue Gremienstruktur. Vorgängers fortführen, sich Dazu gehören der hochrangig besetzte Investitionsausschuss, Arbeitsgruppen aber auch für Menschen- zu Investitionen und nachhaltiger Ent- wicklung sowie ein zivilgesellschaftli- rechte einsetzen ches Beratungsgremium. Zudem wird ein Streitschlichtungsmechanismus auf der Mit der Wahl von Joe Biden zum US-Prä- zwischenstaatlichen Ebene geschaffen, sidenten verbindet sich nun die Hoffnung wie er auch in anderen Handelsabkommen auf einen Neustart der transatlantischen der EU zu finden ist. Dieser bezieht sich Beziehungen. Biden hatte angekündigt, allerdings nicht auf das Kapitel zur Nach- enger mit der EU zusammenarbeiten zu haltigkeit. Wie in EU-Handelsabkommen wollen, gerade auch in Sachen China. üblich, setzt die Europäische Union hier Er dürfte den Konfrontationskurs seines auf einen strukturierten Dialogprozess, Vorgängers fortsetzen – und kann sich nicht auf harte Sanktionsmechanismen. dabei der Unterstützung des Kongresses und der Bevölkerung sicher sein. Anders Transatlantischer Spielraum als bei Trump gilt dies allerdings nicht nur In den vergangenen vier Jahren haben für die Handelspolitik, sondern auch für die USA immer wieder die zu laxe China- Menschenrechtsfragen. So wird sich der Politik der EU kritisiert. Dabei ging es un- Druck auf Peking in Sachen Hongkong, ter anderem um Investitions- und Export- Taiwan, Xinjiang und das Südchinesische kontrollen, aber auch um die Verurteilung Meer erhöhen. Biden wird konsequent die von Menschenrechtsverletzungen. Wa Umsetzung des „Phase One“-Deals ein- shington begrüßte den Brüsseler Vorstoß fordern. Die hohen Zölle haben zunächst für eine stärker europäisierte China-Poli- weiter Bestand. tik ebenso wie die strengeren Investitions- In dieser Situation kam das CAI über- kontrollen Deutschlands. raschend, auch für die USA. Kritiker war- Eine engere Zusammenarbeit zwi- nen, dass das Abkommen den Spielraum schen der EU und den USA zu China war der EU einschränken werde, mit den jedoch allein deswegen nicht möglich, USA zusammenzuarbeiten. Befürworter 90 | IP • März/April 2021
Schlechtes Timing Weltspiegel rgumentieren, dass die EU mit diesem a bereits Gespräche mit der Europäischen Abkommen nun ein Partner auf Augen- Union geführt. Insgesamt wird Biden von höhe für die USA sei. Wer Recht hat, lässt der EU in der China-Politik mehr Engage- sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht ment und eine klarere geopolitische Po- beurteilen. Sicher ist, dass ein gemeinsa- sitionierung einfordern. Dies wird auch mes US-EU-China-Abkommen illusorisch wichtige Einzelthemen wie die Frage einer gewesen wäre. Denn bei Marktzugangsfra- Beteiligung chinesischer Firmen am Auf- gen geht es auch immer um Wettbewerb. bau von 5G-Netzen betreffen. Selbst wenn die USA und die EU wichtige Partner füreinander sind, sind sie doch Kein Keil Wettbewerber, wenn es darum geht, neue Der europäische CAI-Schnellschuss passt Märkte zu erschließen. Zudem haben bei- da nicht richtig ins Bild. Der Abschluss de unterschiedliche Marktzugangsinteres- der Verhandlungen kurz vor Jahresen- sen. Für die EU ist das Thema verarbeiten- de hat den Eindruck erweckt, eine Chi- des Gewerbe besonders wichtig; die USA na-freundliche Bundesregierung habe haben hingegen einen Wettbewerbsvor- ein zu China-freundliches Abkommen teil bei Dienstleistungen, insbesondere durchgeboxt, um es als Erfolg ihrer Rats Finanzdienstleistungen. präsidentschaft verbuchen zu können. Sicher ist aber auch, dass es weiterhin Wirtschaftliche Interessen wahren auf viel Raum für transatlantische Koopera- Kosten von Menschenrechten, Arbeits- tion gibt. Dazu gehört der Umgang mit und Umweltschutz: Auch wenn das nicht China in der WTO, der bereits seit 2017 die Intention war – dieser entstandene Thema der Trilateralen Initiative ist. Auf Eindruck wird sich auf die Ratifizierung bilateraler Ebene wäre vor allem eine Zu- des Abkommens auswirken. sammenarbeit beim Thema Handel und Es wäre besser gewesen, die Amtsüber- Sicherheit sinnvoll. Dazu gehören die nahme durch Joe Biden abzuwarten und Überprüfung sensibler ausländischer In- die USA über die Ziele und Inhalte des Ab- vestitionen (Investitions-Screening) sowie kommens zu informieren. China hatte sich Exportkontrollen. Auch bei der gemeinsa- in den Wochen zuvor bei zahlreichen Ver- men Bekämpfung von Cyber-Attacken und handlungspunkten bewegt. Aus Sicht der Cyber-Diebstahl bietet sich ein transatlan- EU-Kommission eröffnete dies ein Fenster tisches Vorgehen gegenüber China an. für den Abschluss des Abkommens, das Aber es gibt noch weitere Ansätze. Im sich möglicherweise bald wieder geschlos- November 2019 gründeten die USA, Japan sen hätte. Möglicherweise aber auch nicht. und Australien das Blue Dot Network als So konnte China das CAI als strategischen Alternative zur chinesischen Belt and Erfolg für sich verbuchen. Road Initiative. Dabei sollen Infrastruk- Ob das Abkommen aber tatsächlich turprojekte bewertet und zertifiziert einen Keil zwischen die EU und USA trei- werden, die hohe Standards in Sachen ben wird, bleibt abzuwarten. Denn es ist Transparenz, Nachhaltigkeit und wirt- damit zu rechnen, dass es noch Nachver- schaftliche Entwicklung erfüllen. Private handlungen geben wird. Wichtig ist, dass Investoren sollen mobilisiert werden, in die EU nun so bald wie möglich den Aus- ausländische Infrastrukturprojekte ein- tausch mit der Biden-Regierung sucht und zusteigen. Bisher sind noch keine ande- sich auf gemeinsame Themen im Umgang ren Länder beigetreten, aber es werden mit China verständigt. IP • März /April 2021 | 91
Sie können auch lesen