Schulweg Fachdokumentation 2.365 Bern, 2021 - Polizei.news

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Schulweg Fachdokumentation 2.365 Bern, 2021 - Polizei.news
Schulweg
Sabine Degener, Katja Marthaler, Barbara Schürch,   Fachdokumentation 2.365
Simone Studer, Andrea Uhr                           Bern, 2021
Schulweg Fachdokumentation 2.365 Bern, 2021 - Polizei.news
Autorinnen

             Sabine Degener
             Beraterin Verkehrstechnik, BFU , s.degener@bfu.ch
             Stadtplanerin, Dipl. Ing.; Raumplanungsstudium an
             der Technischen Universität Dortmund. Seit 2012 bei
             der BFU . Arbeitsschwerpunkte: Schulwegberatungen,
             Road Safety Inspection (RSI ), Unfallanalysen gemäss
             Black Spot Management (BSM ) sowie Schulungen der
             Behörden.

             Katja Marthaler
             Projektleiterin Schulwegsicherheit, VCS Verkehrs-
             Club der Schweiz, katja.marthaler@verkehrsclub.ch
             Master of Science in Geography, Universität Fribourg
             Bachelor of Science in Geography, Universität Bern

             Barbara Schürch
             Von 2011 bis 2020 Leiterin der Abteilung Schule und
             Familie. Arbeitsschwerpunkte: Konzepte und Unter-
             richtstools für die Unfallprävention in Schulen,
             Unfallprävention und Bewegungsförderung bei
             Kindern, unfallpräventive Aus- und Weiterbildung von
             Schulleitungen, Lehr- und Betreuungspersonen,
             Unfallprävention bei Kindern im Vorschulalter.

             Simone Studer
             Wissenschaftliche Mitarbeiterin Recht, BFU ,
             s.studer@bfu.ch
             Rechtsanwältin, Studium der Rechtswissenschaft an
             der Universität Freiburg (CH ). Seit 2010 bei der BFU .
             Schwerpunkte: Kinder, Senioren und Neulenkende,
             Kindertransporte, Trendfahrzeuge, rechtl. Aspekte zur
             Leistungsüberforderung von Menschen.

             Andrea Uhr
             Wissenschaftliche Mitarbeiterin Forschung, BFU ,
             a.uhr@bfu.ch
             MSc in Psychologie, MPH ; Psychologiestudium, Uni-
             versität Zürich. MAS in Public Health, Universitäten
             Basel, Bern, Zürich. Seit 2013 bei der BFU . Schwer-
             punkte: Fahrradverkehr, Entwicklungspsychologie,
             ältere Verkehrsteilnehmende, Risikokommunikation.
Schulweg Fachdokumentation 2.365 Bern, 2021 - Polizei.news
Schulweg
Leitfaden für die Schulwegplanung

   Schulweg           Zusammenfassung   3
Schulweg Fachdokumentation 2.365 Bern, 2021 - Polizei.news
Inhalt

I.     Zusammenfassung                         5    2.3  Selbsterklärende und fehlertolerante
                                                         Verkehrsanlagen                         25
II.    Einleitung                              6
                                                    2.4 Modell Tempo 30/50                       26
III.   Grundlagen                              7    2.5 Begegnungszone                           26
                                                    2.6 Sicht                                    27
1. Unfallgeschehen                              7
                                                    2.7 Signalisation                            27
2. Unfallauswertungen                           8
                                                    2.8 Wahl der Führungsformen                  28
3. Rechtliche Aspekte                           8
                                                    2.9 Ergänzende Markierungen                  28
4. Entwicklungspsychologische Aspekte           9
                                                    2.10 Ausserorts                              29
5. Verkehrsbildung                             12
                                                    2.11 Haltestellen                            30
5.1 Eltern und Betreuungspersonen              12
                                                    3. Infrastrukturmassnahmen für
5.2 Kindergarten und Schule                    12
                                                       Fussgängerinnen und Fussgänger            32
5.3 Verkehrsinstruktion                        12
                                                    3.1 Fussgängerquerungen                      32
IV.    Beurteilungskriterien von Schulwegen    14   3.2 Fussgängerlängsführung                   35
                                                    4. Infrastrukturmassnahmen für
1. Allgemeines                                 14      Velofahrerinnen und Velofahrer            37
2. Schulweg zu Fuss                            14   4.1 Längsführung                             37
2.1 Generelle Aspekte                          14   4.2 Radweg                                   38
2.2 Zumutbarkeit                               15   4.3 Veloführung an Knoten                    40
2.3 Gefahrenkompetenz                          15   4.4 Veloführung an Kreisverkehrsplätzen      43
3. Schulweg mit dem Velo                       15
3.1 Generelle Aspekte                          15   VII.    Organisatorische Massnahmen          44
3.2 Zumutbarkeit                               16
                                                    1.     Allgemein                             44
3.3 Gefahrenkompetenz                          16
                                                    2.     Schulbus                              44
4. Schulweg mit fahrzeugähnlichen Geräten
                                                    3.     Öffentliche Verkehrsmittel            45
   (fäG)                                       17
                                                    4.     Pedibus                               45
5. Schulweg mit öffentlichen Verkehrsmitteln   17
                                                    5.     Patrouilleure / Lotsen                45
V.     Konzeptionelle Massnahmen               18   6.     Kontrolle von Geschwindigkeiten       46
                                                    7.     Kontrolle von Halteverboten           46
1. Übersicht                                   18   8.     Kontrolle der Anhaltebereitschaft     46
2. Schulwegplan                                18
2.1 Ausgangslage                               18   VIII. Anhang                                 47
2.2 Arbeitsgruppe «Schulwegsicherheit»         18
                                                    1. Beurteilungskriterien                      47
2.3 Erarbeitung von Schulwegplänen             19
                                                    2. Begleitschreiben zum Fragebogen
3. Das «Mobilitätskonzept Schule» des VCS      21
                                                       «Sicherheit Ihres Kindes auf dem Schulweg» 49
3.1 Grundidee                                  21
                                                    3. Fragebogen «Der Schulweg meines Kindes» 50
3.2 Raumplanung aus der Kinderperspektive      22
                                                    4. Begleitschreiben zum Schulwegplan          51
3.3 Partizipation von weiteren Beteiligten     22
                                                    Quellenverzeichnis                           52
VI.    Verkehrstechnische Massnahmen           23
                                                    Fachdokumentationen                          55
1. Übersicht                                   23
2. Übergeordnete Massnahmen                    24   Ausgewählte Forschungspublikationen          56
2.1 Allgemein                                  24
                                                    Impressum                                    58
2.2 Netzplanung                                25

           4                                        Zusammenfassung
Schulweg Fachdokumentation 2.365 Bern, 2021 - Polizei.news
I.                  Zusammenfassung

Der Schulweg nimmt für Kinder und Jugendliche ei-        und Ortsbesichtigungen sollen sie nützliche Empfeh-
nen wichtigen Stellenwert ein: Er trägt zur sozialen     lungen zum sichersten Schulweg geben.
Entwicklung bei und dient gleichzeitig der Bewe-
gungsförderung. Zudem bietet er den Kindern die          Verkehrstechnische Massnahmen zur adäquaten
Möglichkeit, ein sicheres Verhalten im Strassenver-      Ausgestaltung des Strassenraums haben eine dau-
kehr zu erlernen. Leider ist der reale Strassenverkehr   erhafte Wirkung auf die Verkehrssicherheit. Ein nach
nicht besonders kindgerecht. Daher ist es wichtig, bei   den Kriterien der Schulwegsicherheit gestaltetes
der Schulwegplanung systematisch vorzugehen, um          Strassennetz bietet mehr Sicherheit für alle Verkehrs-
ein möglichst sicheres Verkehrsumfeld zu schaffen.       teilnehmenden – ganz im Sinne der Unfallprävention.

Als Basis für dieses systematische Vorgehen bei der      Falls verkehrstechnische Massnahmen nicht verhält-
Schulwegplanung dient die Unfallanalyse. Die Aus-        nismässig oder nicht zielführend sind, können organi-
wertung muss prioritär bei den Unfällen ansetzen, in     satorische Massnahmen helfen, Schulwege für Kin-
welche Fussgängerinnen und Fussgänger sowie Ve-          der sicherer zu machen.
lofahrende speziell beim Überqueren der Strasse in-
volviert sind – denn der Wechsel auf die andere Stras-
senseite stellt für die Schulkinder die Hauptschwie-
rigkeit im Strassenverkehr dar.

Rechtliche und entwicklungspsychologische Aspekte
bilden weitere Grundlagen für die Auswahl und Be-
wertung von Schulwegen. Es gibt in der Schweiz ge-
setzliche Grundlagen sowie Rechtsprechungen zum
Thema Schulwege und deren Zumutbarkeit für Kinder
diverser Altersgruppen – in unterschiedlicher Rolle
als Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer.
Entwicklungspsychologische Aspekte helfen zu ver-
stehen, ab wann ein Kind allein den Schulweg zu
Fuss, mit dem Velo, dem fahrzeugähnlichen Gerät
fäG (z. B. Trotti oder Skateboard) oder dem öffentli-
chen Verkehr zurücklegen kann. Sie bilden die Grund-
lage für die Beurteilung der Zumutbarkeit von Schul-
wegen in Abhängigkeit der jeweiligen Örtlichkeiten.

Wichtiger ergänzender Aspekt bei der Schulwegsi-
cherheit ist eine abgestufte Verkehrsbildung. Diese
muss sowohl durch die Eltern als auch durch die Ver-
kehrsinstruktion in der Schule oder im Kindergarten
erfolgen.

Schulwegpläne oder Mobilitätskonzepte empfehlen
sich vor allem für Gemeinden und Städte mit mehre-
ren Schulhäusern. Auf Basis von Unfalluntersuchun-
gen, Angaben der Fachbehörden, Elternbefragungen

         Schulweg                                        Zusammenfassung                                     5
Schulweg Fachdokumentation 2.365 Bern, 2021 - Polizei.news
II.                 Einleitung
Schulwege sind Wege für Kinder. Sie müssen sicher gestaltet sein. Die
BFU setzt sich für sichere Schulwege ein.

Da es keine «verkehrsgerechten» Kinder gibt, ist es nö-     Die Gemeinden wenden sich daher häufig mit ihren
tig, Verkehrsanlagen auf Schulwegen möglichst kin-          Fragen zur sogenannten «Zumutbarkeit eines Schul-
dergerecht zu planen und zu gestalten. Kinder sind je-      wegs» bzw. zu verkehrssicheren Schulwegen an die
doch noch im Entwicklungsprozess – ihnen fehlen             BFU. Diese hat in Zusammenarbeit mit diversen Part-
ganz viele Fähigkeiten, um sich im Verkehr alleine si-      nern aus verschieden Fachdisziplinen Hilfestellungen
cher zu bewegen. Dadurch sind sie im Strassenverkehr        erarbeitet, die den Gemeinden helfen, sichere Schul-
besonders gefährdet.                                        wege zu planen, sichere Infrastrukturmassnahmen
                                                            umzusetzen und dabei auch die Entwicklung der Kin-
Der Schulweg nimmt für Kinder und Jugendliche einen         der zu berücksichtigen.
wichtigen Stellenwert ein: Er trägt zur sozialen Entwick-
lung bei und dient gleichzeitig der Bewegungsförde-         Ziel dieser Dokumentation ist es, planerische, ver-
rung. Zudem bietet er den Kindern die Möglichkeit, ein      kehrstechnische und organisatorische Massnahmen
sicheres und angepasstes Verhalten im Strassenver-          zur Sicherheit auf Schulwegen aufzuzeigen. Für eine
kehr zu erlernen. In diesem Zusammenhang ist es             ganzheitliche Betrachtungsweise werden Exkurse in
nicht einfach, den besten Schulweg für die Kinder der       die Entwicklungspsychologie und die Verkehrsbildung
Gemeinde zu definieren. Behörden werden z. B von be-        gemacht. Die hier formulierten Empfehlungen richten
sorgten Eltern kritisiert, nicht «zumutbare» Schulwege      sich an alle planenden Fachleute, die in irgendeiner
für die Kinder anzubieten.                                  Form mit Sicherheitsfragen des Schulwegs konfron-
                                                            tiert sind. Sie sollen die Planung und Ausgestaltung un-
                                                            terstützen und damit als Grundlage für den sicheren
                                                            Betrieb von Schulwegen dienen.

          6                                                 Einleitung
Schulweg Fachdokumentation 2.365 Bern, 2021 - Polizei.news
III.                 Grundlagen
Es braucht viele Komponenten, damit eine gute Schulwegplanung gelingt.
Dazu gehören neben der Unfallanalyse und entwicklungspsychologischen
Hintergründen auch die Rechtsprechung sowie die Verkehrsbildung.

1.     Unfallgeschehen                                     Die Unfallzahlen zeigen den unverändert hohen
Die Statistik der polizeilich registrierten Strassenver-   Handlungsbedarf für die Belange der Schulwegsi-
kehrsunfälle des Bundesamts für Strassen [1] zeigt:        cherheit, und zwar nicht nur für die Schulkinder, die zu
von 2015 bis 2019 verunfallten auf Schweizer Stras-        Fuss unterwegs sind, sondern auch für jene auf dem
sen im Durchschnitt 1306 Kinder zwischen 0 und             Velo.
14 Jahren.

Unterscheidet man noch die Art der Verkehrsteil-
nahme und die verschiedenen Altersgruppen der Kin-
der (Tabelle 1), wird deutlich: die meisten verunfallten
Kinder im Alter zwischen 5 und 9 Jahren waren zu
Fuss oder auf einem fäG unterwegs (217 Kinder). Bei
der Gruppe der 10- bis 14-Jährigen ist zudem das
Velofahren unfallkritisch (280 verunfallte Kinder in
dieser Altersgruppe).

Abbildung 1: Unfallgeschehen in einem Stadtgebiet

          Schulweg                                         Grundlagen                                            7
Schulweg Fachdokumentation 2.365 Bern, 2021 - Polizei.news
Tabelle 1: Verunfallte Kinder nach Alter und Verkehrsteilnahme Ø 2015–2019

Alter      Personenwagen Motorrad                 Mofa       E-Bike     Fahrrad Fussgänger           FäG     Andere       Total
0-4                   80        0                    0            1           3        61             16        11         172
5-9                  123        3                    0            1          60       160             57        11         415
10-12                 80        6                    1            1        126         86             29          8        337
13-14                 54        6                  72             5        154         72              9        10         382
Total                    336            15          73             8         343            379      111             40   1 306

2.      Unfallauswertungen                                          der Schüler erteilt werden; die räumliche Distanz zwi-
Unfallauswertungen sind sowohl für bauliche und ver-                schen Wohn- und Schulort darf den Zweck der ausrei-
kehrsregelnde Massnahmen zur Erhöhung der Ver-                      chenden Grundschulausbildung nicht gefährden1. Dar-
kehrssicherheit als auch für die Erstellung von Schul-              aus ergibt sich, in Übereinstimmung mit der Rechtspre-
wegplänen die entscheidende Voraussetzung. Stras-                   chung und Lehre, dass Kinder nicht nur Anspruch auf
senverkehrsunfälle, vor allem Unfälle mit Fussgängerin-             unentgeltlichen Unterricht, sondern auch auf einen
nen und Fussgängern sowie Radfahrenden, geben Hin-                  Schulweg haben, der für sie zumutbar ist und dadurch
weise auf gefährliche Stellen auf dem Schulweg. Die                 den Schulbesuch gewährleistet2. Gemäss Bundesge-
Unfallunterlagen der Polizei enthalten wichtige Anga-               setz über Fuss- und Wanderwege FWG (Art. 2 i.V.m. Art.
ben zu jedem gemeldeten Unfall [2].                                 6) und Strassenverkehrsgesetz SVG (Art. 6a) wird fest-
                                                                    gehalten, dass Kantone und Gemeinden unter ande-
Da sich Kinder im komplexen Strassenverkehr noch                    rem dafür sorgen müssen, dass Wege und Strassen
nicht sicher bewegen können, benötigen sie Unterstüt-               möglichst gefahrlos begangen werden können.
zung. Es können deshalb – abhängig vom Einzelfall –
auch dann Massnahmen empfehlenswert sein, wenn                      Die Zumutbarkeit des Schulwegs richtet sich nach den
die Unfallhäufigkeit an einer für Kinder besonders ge-              konkreten Umständen im Einzelfall. Massgebend sind
fährlichen Stelle unter dem Grenzwert für einen Unfall-             sowohl die Länge, die Höhendifferenz bzw. die Topo-
schwerpunkt liegt. Neben den Unfallkarten können hier               grafie und die Gefährlichkeit des Schulwegs als auch
Befragungen und Beobachtungen helfen, kritische Be-                 der Entwicklungsstand und die Gesundheit des jeweils
reiche zu entdecken. Deshalb sollten Unfallauswertun-               betroffenen Kindes3 [3; S. 226]. Bei der Beurteilung der
gen für ein gesamtes Gebiet angestrebt werden, also                 Gefährlichkeit des Schulwegs gilt es zu beachten, dass
z. B. für die Einzugsbereiche mehrerer Primarschulen                jegliche Teilnahme am Verkehr mit Gefahren verbun-
und die dazugehörigen weiterführenden Schulen (Ab-                  den ist, weshalb ein Schulweg nie vollkommen unge-
bildung 1). Gute Schulwegsicherheit beginnt also mit ei-            fährlich sein kann. Wesentlich ist daher, ob einem
ner umfassenden Analyse der Unfälle im Gemeindege-                  Schulkind die bestehenden Gefahren zugemutet wer-
biet. Solche Unfallanalysen können auf einen entspre-               den können, mit anderen Worten, ob keine übermäs-
chenden Handlungsbedarf hinweisen.                                  sige Gefährlichkeit besteht. Sollte der Schulweg als un-
                                                                    zumutbar gelten, hat der Schulträger (Kanton bzw. Ge-
3.      Rechtliche Aspekte                                          meinde) zu gewährleisten, dass die schulpflichtigen
                                                                    Kinder sicher, zuverlässig und zeitgerecht zur Schule
Die Bundesverfassung gewährleistet als Grundrecht ei-
                                                                    und zurückbefördert werden. Es liegt grundsätzlich in
nen Anspruch auf ausreichenden und unentgeltlichen
                                                                    der Gestaltungsfreiheit des verantwortlichen Schulträ-
Grundschulunterricht (Art. 19 und 62 der Bundesver-
                                                                    gers, sich für eine zweckmässige Lösung zu entschei-
fassung BV). Nach Art. 62 Abs. 1 und Abs. 2 BV sorgen
                                                                    den (Transport mit öffentlichen Verkehrsmitteln, Ein-
die für das Schulwesen zuständigen Kantone für einen
                                                                    richtung eines Schülertransportes, bauliche Massnah-
ausreichenden, allen Kindern offenstehenden und an
                                                                    men, Lotsendienst, Mittagsverpflegung in der Schule
öffentlichen Schulen unentgeltlichen obligatorischen
                                                                    usw.).4
Grundschulunterricht. Kinder und Jugendliche vom Kin-
dergarten (soweit dieser obligatorisch ist) bis und mit
der Sekundarstufe I (Zyklus 1–3) sind Träger dieses
Rechts. Der Unterricht muss grundsätzlich am Wohnort

1
     Urteil des Bundesgerichts 133/156 vom 7. Mai 2007, E.3.1.
2
     Urteil des Bundesgerichts 2C_733/2018 vom 11. Februar 2019, E.5.2.1
3
     Urteil des Bundesgerichts 2C_733/2018 vom 11. Februar 2019, E.5.2.1 und 2P.101//2005 vom 25. Juli 2005, E.5.1
4
     Urteil des Bundesgerichts 2C_733/2018 vom 11. Februar 2019, E.5.2.1

            8                                                      Grundlagen
Schulweg Fachdokumentation 2.365 Bern, 2021 - Polizei.news
4.   Entwicklungspsychologische Aspekte                    Informationsverarbeitung
Der Schulweg nimmt für Kinder und Jugendliche einen        Die Teilnahme am Strassenverkehr ist sehr anspruchs-
wichtigen Stellenwert ein: Er trägt zur sozialen           voll. Es müssen viele Informationen gleichzeitig berück-
Entwicklung bei und dient gleichzeitig der Bewegungs-      sichtigt und Entscheidungen getroffen werden (z. B. Wo
förderung. Auf dem Schulweg können die Kinder aus-         halte ich an? Stehen wirklich alle Räder still, auch dieje-
serdem, ein sicheres und angepasstes Verhalten im          nigen der Fahrzeuge auf der Gegenfahrbahn?). Kinder
Strassenverkehr erlernen. Weil sich Kinder aber noch       können noch weniger Informationen gleichzeitig verar-
in der Entwicklung befinden, sind sie im Strassenver-      beiten als Erwachsene. Sie sind deshalb darauf ange-
kehr besonders gefährdet. Im Folgenden werden ei-          wiesen, dass Verkehrssituationen möglichst einfach ge-
nige für die infrastrukturelle Planung wichtige Aspekte    staltet sind, z. B. mit einer Fussgängerschutzinsel, um je-
dieses Entwicklungsprozesses kurz skizziert [4,5].         weils nur eine Fahrbahn überblicken zu müssen.

Körperliche Entwicklung                                    Aufmerksamkeit
Die Körpergrösse der Kinder kann ihre Sicherheit im        Solange sich Kinder und Jugendliche mit voller Auf-
Strassenverkehr beeinträchtigen. Wegen der geringen        merksamkeit auf den Strassenverkehr konzentrieren,
Grösse sehen Kinder schlechter über Hindernisse hin-       sind sie recht sicher unterwegs. Nicht immer richten sie
weg (z. B. parkierte Autos, Hecken) und werden von den     ihre Aufmerksamkeit aber auf die relevanten Dinge. Zu-
Fahrzeuglenkenden weniger gut wahrgenommen.                dem sind Kinder verspielt und leicht ablenkbar. Alltägli-
Jüngere Kinder haben zudem oft einen starken Bewe-         che Dinge, die Erwachsene oft gar nicht wahrnehmen,
gungsdrang und können ihre Motorik noch nicht so gut       können die ganze Aufmerksamkeit eines Kindes in An-
kontrollieren (z. B. nicht rechtzeitig stoppen oder aus-   spruch nehmen und es ablenken. Dann treten das Ge-
weichen, überraschende Tempo- oder Richtungsän-            fahrenbewusstsein, die Verkehrsregeln und das sichere
derungen).                                                 Verhalten schnell in den Hintergrund.

Wahrnehmung                                                Impulskontrolle und Risikoverhalten
Sicheres Queren von Strassen setzt die Identifikation      Kinder, aber auch Jugendliche reagieren oft unüberlegt
von sicheren Querungsstellen voraus, d. h. von Stellen     und auf eine für andere Verkehrsteilnehmende nicht vor-
mit ungehinderter Sicht auf herannahende Fahrzeuge.        hersehbare Weise. Dies deshalb, weil sie ihr Handeln
Es hat sich gezeigt, dass Kinder grosse Schwierigkei-      noch nicht in jedem Moment steuern oder kontrollieren
ten haben, solche sicheren Querungsstellen zu erken-       können. So können spontane Impulse und Reaktionen
nen. Um sicher queren zu können, müssen zudem Dis-         (z. B. dem davonrollenden Ball hinterherrennen, quer
tanzen und Geschwindigkeiten richtig eingeschätzt          über die Strasse zu einer Freundin eilen) noch nicht im-
werden. Auch das fällt Kindern schwer. Beides sind         mer unterdrückt werden.
aber wichtige Voraussetzungen, um passende Que-
rungslücken zwischen den Fahrzeugen wahrnehmen             Mit Beginn der Pubertät muss insbesondere bei den
zu können. Überdies muss bei der Entscheidung zur          Knaben mit einer ansteigenden Tendenz zu riskantem
Querung auch die eigene Gehgeschwindigkeit einbe-          Verhalten im Strassenverkehr gerechnet werden. Zwar
zogen werden. Um diese komplexe Aufgabe zu bewäl-          verfügt diese Altersgruppe über die elementaren Fähig-
tigen, müssen nicht nur die geistigen Fähigkeiten weit     keiten, sich im Strassenverkehr sicher zu verhalten. In
genug entwickelt sein – die Kinder brauchen auch viel      emotionalen Situationen, in der Gegenwart von Peers
Erfahrung.                                                 oder dann, wenn impulsives Verhalten unterdrückt wer-
                                                           den müsste, steigt jedoch die Wahrscheinlichkeit für un-
                                                           vernünftige oder sicherheitsabträgliche Entscheidungen.

          Schulweg                                         Grundlagen                                               9
Schulweg Fachdokumentation 2.365 Bern, 2021 - Polizei.news
10   Grundlagen
«Kinder sind spontan, impulsiv und zeigen un-
 vorhergesehene Reaktionen.»

 Altersbezogene Unterschiede                               2.    Signal- und Regelkenntnis sowie deren Anwen-
 Es ist nicht möglich, pauschale Altersangaben zu                dung:
 machen, ab wann ein Kind über eine bestimmte Fä-                Bedeutung der wichtigen Signale für Velofah-
 higkeit verfügt oder wann es im Strassenverkehr si-             rende und Verhaltensregeln kennen und zuver-
 cher alleine unterwegs sein kann. Die individuellen             lässig anwenden (z. B. Linksabbiegen, Vortritts-
 Entwicklungsunterschiede sind gross. Klar ist aber,             regeln usw.)
 dass die verschiedenen Fähigkeiten bei jüngeren Kin-      3.    Velospezifisches Gefahrenbewusstsein:
 dern deutlich weniger weit entwickelt sind als bei äl-
                                                                 Kritische Situationen wie Ausfahrten, toter Win-
 teren. Die elementarsten, sensorischen und motori-
                                                                 kel, potenzielle Vortrittsmissachtungen usw. er-
 schen Fähigkeiten (z. B. Sehschärfe, räumliches Se-
                                                                 kennen und darauf reagieren können (z. B. not-
 hen, Richtungshören, Laufen, Hüpfen) sind zwar in
                                                                 falls auf Vortritt verzichten)
 der Regel bis zum Alter von ca. 6 Jahren recht gut
 entwickelt. Je mehr kognitive Fähigkeiten (z. B. Auf-
                                                           Während des Velofahrens müssen verschiedenste
 merksamkeit, Denkvermögen, Impulskontrolle) es
                                                           dieser Prozesse koordiniert und korrekt umgesetzt
 aber für eine Aufgabe braucht, desto später ist die
                                                           werden. Velofahren stellt somit eine komplexe Mehr-
 Entwicklung abgeschlossen. Gewisse dieser Fähig-
                                                           fachtätigkeit dar. Die höheren Fortbewegungsge-
 keiten entwickeln sich bis in die Pubertät oder gar bis
                                                           schwindigkeiten erfordern zudem oft eine schnellere
 ins junge Erwachsenenalter hinein [4,6]. Im Strassen-
                                                           Aufmerksamkeitszuwendung, schnellere Wahrneh-
 verkehr spielen kognitive Fähigkeiten eine sehr wich-
                                                           mung, höhere Verarbeitungsgeschwindigkeit und
 tige Rolle. Zuverlässiges verkehrssicheres Verhalten
                                                           eine kürzere Reaktionszeit als beim Zufussgehen [5].
 kann von Kindern deshalb lange Zeit nicht erwartet
 werden.
                                                           Ungeübtere Personen benötigen für die motorischen
                                                           Elemente viel Aufmerksamkeit, die dann für die ande-
 Entwicklungspsychologische Aspekte: Fokus Velo
                                                           ren Prozesse und die Verkehrsumwelt fehlt. Mit zu-
 Velofahren ist eine Fertigkeit, die verschiedene Kom-     nehmender Übung werden die Bewegungen automa-
 ponenten beinhaltet. Dazu zählen motorische Ele-          tisiert und die frei gewordene Aufmerksamkeit kann
 mente, kognitive Elemente und Fähigkeiten der senso-      anderen Aufgaben gewidmet werden [10,11]. Da
 rischen Informationsverarbeitung [7,8]. Das heisst        aber verschiedene für das Velofahren nötige Kompe-
 konkret: Kinder müssen neben den grundlegenden Fä-        tenzen einer altersbedingten, lang andauernden Ent-
 higkeiten für die sichere Verkehrsteilnahme (z. B. Auf-   wicklung unterliegen, kann auch bei Kindern, welche
 merksamkeit, Einschätzung von Distanzen und Ge-           die Motorik des Velofahrens beherrschen, noch nicht
 schwindigkeiten, Perspektivenübernahme) folgende          davon ausgegangen werden, dass sie nun sicher al-
 spezifischen Fähigkeiten/Fertigkeiten erwerben, um im     leine im Strassenverkehr Velo fahren können.
 Strassenverkehr sicher Velo fahren zu können [5,8,9]:
 1.   Motorische Fähigkeiten:                              Auch Kinder/Jugendliche im Pubertätsalter sind auf
      Auf- und Absteigen, gerade Linien und Kurven         dem Velo oft noch keine zuverlässigen Verkehrsteil-
      fahren, unvorbereitet und rechtzeitig bremsen        nehmenden, z. B. bei Ablenkung, sozialer Interaktion
      (mit beiden Bremsen), Gangschaltung                  mit Gleichaltrigen oder infolge der zunehmenden Ri-
      angemessen betätigen, Schulterblick,                 sikofreudigkeit. Gewisse Situationen, wie z. B. das
      Handzeichen geben, Fahren über Hindernisse           Linksabbiegen an ungesicherten Kreuzungen, sind
      und schräge Flächen, komplexere Aufgaben             auch für sie noch äusserst anspruchsvoll [5]. Zudem
      wie z. B. gleichzeitig Schulterblick, Handzei-       dürfte es auch ihnen noch an Erfahrung mit komple-
      chen geben und abbiegen                              xen Verkehrssituationen und Verständnis für gewisse
                                                           Gefahrensituationen fehlen (z. B. Gefahr des Über-

           Schulweg                                        Grundlagen                                         11
Abbildung 2: Eltern üben mit Kindern im Verkehr

sehenwerdens durch Motorfahrzeuglenkende, Ge-             Lernens in diesem Alter ist das Lernen am Vorbild. Es
fährlichkeit von Regelmissachtungen). Die Unfallsta-      ist deshalb wichtig, dass sich Eltern und Betreuungs-
tistik zeigt, dass auch Kinder/Jugendliche im Ober-       personen im Strassenverkehr angemessen und kor-
stufenalter bei schweren Kollisionen mit dem Velo in      rekt verhalten, denn die Kinder ahmen die Erwachse-
mehr als der Hälfte der Fälle als Hauptverursacher        nen nach, insbesondere die unmittelbaren Bezugs-
registriert werden (v. a. wegen Vortrittsmissachtun-      personen. Darüber hinaus helfen einfache Regeln
gen). Bei den Erwachsenen fällt dieser Anteil deutlich    und Erklärungen, die Kinder in den Strassenverkehr
geringer aus (rund 30 %).                                 einzuführen (z. B. «am Strassenrand immer anhal-
                                                          ten»). Später ist es wichtig, dass Eltern und
Sicheres Velofahren bedarf ausreichend Übung und          Betreuungspersonen mit den Kindern den Weg in den
Erfahrung. Da das Velofahren nicht in allen Haushal-      Kindergarten oder in die Schule einüben (Abbildung
ten praktiziert wird und einige Kinder generell motori-   2). Kinder sollten zudem so lange wie nötig begleitet
sche Schwierigkeiten haben [12], sollte nicht davon       werden.
ausgegangen werden, dass alle Kinder ab einem ge-
wissen Alter mit dem Velo zur Schule fahren können.       5.2     Kindergarten und Schule
Die individuellen Unterschiede dürften sehr gross         Nebst Eltern und Betreuungspersonen sind auch Kin-
sein. Zwar erhalten viele Kinder in der Verkehrsin-       dergarten und Schule dazu angehalten, einen Beitrag
struktion eine Veloausbildung und absolvieren eine        zur Verkehrsbildung zu leisten. Hinweise dazu finden
Veloprüfung. Dies ist aber nicht flächendeckend in        sich in den jeweiligen Lehrplänen. Die Lerninhalte rei-
der ganzen Schweiz der Fall. Für Kinder mit erhebli-      chen von der Wahrnehmungsschulung bis zum Üben
chen motorischen Mängeln bei der Velobeherr-              von sicheren Verhaltensweisen. Idealerweise spre-
schung reicht die Übungszeit in der Verkehrsinstruk-      chen sich die Lehrpersonen mit der zuständigen Per-
tion zudem nicht aus, um danach sicher alleine unter-     son der Verkehrsinstruktion der Polizei ab. Während
wegs zu sein.                                             der Schulweg im Kindergarten und in den ersten
                                                          Schuljahren (Zyklus 1) meist als Anlass für die Ver-
5.    Verkehrsbildung                                     kehrsbildung genutzt und teilweise auch an Eltern-
Für die Verkehrssicherheit von Kindern und                abenden thematisiert wird, stehen für die Verkehrs-
Jugendlichen braucht es nebst Schulwegplanung und         bildung in den höheren Schulstufen (Zyklus 2 und 3)
verkehrstechnischen Massnahmen auch Verkehrs-             meist leider kaum Unterrichtsressourcen zur Verfü-
bildungsmassnahmen. Im Kleinkindalter sind es Eltern      gung.
und Betreuungspersonen, die den Kindern im Alltag
die ersten sicheren Verhaltensweisen im Strassen-         5.3     Verkehrsinstruktion
verkehr beibringen. Ab Kindergarten/ Schuleintritt ist    Eine weitere, sehr wichtige Säule der Verkehrsbildung
die Verkehrsbildung institutionalisiert. Die Inhalte      ist die Verkehrsinstruktion durch speziell ausgebil-
sollen sich am Entwicklungsstand der Kinder               dete Polizistinnen und Polizisten. Diese arbeiten mit
orientieren und gemäss den neuen Lehrplänen               den Kindergärten und Schulen zusammen und über-
(Lehrplan 21, Plan d’études romand, Piano di studio)      nehmen einzelne Lektionen im Rahmen des obligato-
kompetenzorientiert vermittelt werden. Die folgenden      rischen Unterrichts (Abbildung 3). Während im Kin-
Abschnitte beschreiben, welche Akteure an der             dergarten und in den beiden ersten Schuljahren die
Verkehrsbildung beteiligt sind.                           Verkehrsteilnahme zu Fuss oder mit fahrzeugähnli-
                                                          chen Geräten im Zentrum steht, gewinnt ab dem drit-
5.1     Eltern und Betreuungspersonen
                                                          ten Schuljahr das Velofahren an Bedeutung.
Bereits im Kleinkindalter können Kinder erste
Kompetenzen erlernen. Die unmittelbarste Form des

           12                                             Grundlagen
«Warte – luege – lose – laufe»

 Beim Unterricht der Verkehrsinstruktion steht der Lern-          sicherem Umfeld eingeübt und vertieft. Vielerorts wird
 transfer bzw. die Kompetenzorientierung im Zentrum,              die Veloausbildung durch die Verkehrsinstruktion mit
 d. h., die Lerninhalte werden so aufbereitet, dass die           einer Veloprüfung abgeschlossen (je nach Region theo-
 Kinder sie im Alltag 1:1 anwenden können. Dafür wer-             retische und/oder praktische Prüfungen). Der Verkehrs-
 den die Lerninhalte spielerisch und anschaulich prä-             unterricht durch die Polizei ist bei Kindern beliebt und
 sentiert und eingeübt, z. B. mit dem Pylonis-Unterrichts-        von Eltern, Betreuungspersonen und Lehrpersonen
 koffer der BFU.                                                  sehr anerkannt: Polizisten sind Profis und glaubwürdige
                                                                  Respektpersonen, was nebst der Professionalität einen
 Nach ersten Übungen im Klassenzimmer wird der Un-                weiteren positiven Effekt auf den Lernerfolg hat.
 terricht im realen Strassenverkehr fortgesetzt. Was im
 Schulzimmer vorbereitet wurde, wird in der Realität ein-         Die den Polizeien zur Verfügung stehenden Ressourcen
 geübt und verinnerlicht. Wohl bekanntestes Beispiel              sind kantonal, regional und kommunal unterschiedlich.
 dafür ist «Warte – luege – lose – laufe». Solche Merk-           Auf der Kindergarten- und Primarschulstufe (Zyklus 1
 sätze erleichtern den Kindern später das eigenständige           und 2) können die Klassen erfreulicherweise mindes-
 Anwenden des Gelernten. Fürs sichere Velofahren wer-             tens einmal im Jahr vom Verkehrsunterricht durch die
 den am Übergang zwischen Theorie und Praxis prakti-              Polizei profitieren. Auf der Sekundarstufe 1 (Zyklus 3) ist
 sche Velo-Übungen im Schonraum eingebaut: Auf dem                die Verkehrsbildung durch die Polizei aus Mangel an
 Pausenplatz oder im Verkehrsgarten wird das Handling             Ressourcen meist nur sehr beschränkt möglich. Eine
 des Velos bzw. das Anwenden der Verkehrsregeln in                breitere Abdeckung ist anzustreben.

 Abbildung 3: Kinder üben und lernen mit dem Verkehrsinstruktor

            Schulweg                                              Grundlagen                                              13
IV.                Beurteilungskriterien von Schulwegen
Infrastruktur lässt sich nach sicherheitstechnischen Kriterien bewerten,
Kinder nicht. Sie müssen üben, üben, üben.

1.   Allgemeines                                           In jedem Fall sind zwingend folgende Punkte situativ
Oft wird von Eltern die Frage nach der Zumutbarkeit        zu prüfen:
von Schulwegen gestellt. Doch was heisst «Zumut-           •     Machbarkeit / Eingriffe in Privatareale
barkeit»? Die Zumutbarkeit sagt aus, ob ein Kind rein      •     Investitionskosten
physisch in der Lage ist, einen Schulweg alleine zu
                                                           •     Unterhaltskosten
schaffen (Distanz, Höhendifferenz). Die Zumutbarkeit
hängt entsprechend vom Alter jedes einzelnen Kin-          •     Dauer / Umfang der Massnahme
des sowie von der Länge und Topografie des Schul-          •     Synergien für den Fuss-/Veloverkehr allgemein
wegs ab.                                                   •     Möglichkeiten für alternative Wegführung / alter-
                                                                 native Lösungsansätze
Ein zweiter Aspekt ist die Beurteilung, ob ein Kind auf
                                                           •     Anzahl betroffene Kinder (kurz-, mittel-, langfristig)
dem Schulweg bestimmte Gefahrenstellen meistern
kann. Diese Fragestellung hängt von vielen Faktoren
                                                           Die Erkenntnisse, die diesem Kapitel zugrunde lie-
ab (Verkehrsmengen, Geschwindigkeit des motori-
                                                           gen, beruhen zum einen auf der SVI-Forschungsar-
sierten Individualverkehrs, vorhandene Infrastruktur
                                                           beit «Sichere Schulwege – Gefahrenanalyse und
usw.). Ist ein Schulweg nur schon aufgrund der Länge
                                                           Massnahmenplanung», zum anderen auf Forschun-
und Topografie nicht zumutbar, entfallen weitere ver-
                                                           gen zur kindlichen Entwicklung [4,5].
kehrstechnische Abklärungen.

                                                           2.     Schulweg zu Fuss
Leider gibt es bis heute sehr wenig Forschung zu die-
sem Thema, die Hilfestellung zu einer gefahrenorien-
                                                           2.1       Generelle Aspekte
tierten Beurteilung der Schulwege gibt. Das vorhan-
dene Forschungsmaterial wurde in den folgenden             Zu Fuss zum Kindergarten und zur Schule zu gehen,
Abschnitten aufbereitet. Die Angaben der Abbildun-         hat positive Auswirkungen auf die Gesundheit der
gen 39 bis 45 im Anhang (S. 47–48) aus «Sichere            Kinder, auf ihre Persönlichkeitsentwicklung und Lern-
Schulwege – Gefahrenanalyse und Massnahmenpla-             fähigkeit. Regelmässige Bewegung stärkt zudem ihre
nung» (Steiner R, Picard R, Leitner J et al.; 2016) [13]   Abwehrkräfte, beugt Haltungsschäden und Überge-
sind aber mit Vorsicht anzuwenden und lediglich als        wicht vor und macht Spass. Es fördert die körperliche,
grobe Hilfestellung zu verstehen.                          motorische und geistige Entwicklung. Ausserdem
                                                           nehmen Kinder ihre Umgebung bewusster wahr und
Zudem müssen in jedem Fall die einzelnen Örtlichkei-       lernen, sich selbstständig im Verkehr zu bewegen.
ten unter Berücksichtigung des Entwicklungsstandes
des einzelnen Schulkindes hinsichtlich Verkehrssi-         Im Rahmen der Beurteilung, ob Kinder den Schulweg
cherheit beurteilt werden.                                 zu Fuss allein schon schaffen, wird als erstes Krite-
                                                           rium die Distanz hinsichtlich der altersbezogenen
Falls Kinder nicht über die Voraussetzungen verfü-         «Zumutbarkeit» der Kinder beurteilt. Ist die Distanz
gen, einen Schulweg allein zurückzulegen und/oder          grundsätzlich zumutbar, sind für die definitive Beur-
keine angemessenen verkehrstechnischen Mass-               teilung noch zwei weitere Aspekte zu prüfen: Die Ge-
nahmen möglich sind, muss auf organisatorische             fahrenstellen für den Fussverkehr längs und quer.
Massnahmen zurückgegriffen werden. Ein zentrales
Kriterium bei der Wahl der Massnahmen ist die «Ver-
hältnismässigkeit».

          14                                               Beurteilungskriterien von Schulwegen
«Manche Kompetenzen, die es für das sichere
 Velofahren braucht, unterliegen einer alters-
 bedingten, lang andauernden Entwicklung.»

2.2       Zumutbarkeit                                              toren, die in die Beurteilung einbezogen werden sollen.
Es kann davon ausgegangen werden, dass 4- und 5-                    Auf Ausserortsstrecken sind Mischverkehrsflächen
Jährige mit max. 1 bis 2 km/h unterwegs sind5. Der                  grundsätzlich nicht geeignet.
Schulweg dauert daher bei 500 m zwischen 15 und
30 Minuten. Ab dem Alter von 6 Jahren kann davon aus-               2.3.2          Fussverkehr quer
gegangen werden, dass Kinder mit ca. 3 bis 4 km/h un-               Analog dem Kriterium «Fussverkehr längs» sind für die
terwegs sind6. Ein 1000 m langer Schulweg dauert in                 Beurteilung der Querungen die Verkehrsmenge und das
dieser Altersgruppe demnach zwischen 15 bis 20 Mi-                  Geschwindigkeitsregime wichtig (VIII. Anhang, Abbil-
nuten7.                                                             dung 42, S. 48). Für Querungen entscheidend sind zu-
                                                                    dem die Sichtbeziehungen. Das Massnahmenspektrum
In Gruppen bewegen sich Kinder tendenziell langsamer.               der Sicherheitsmassnahmen ist sehr gross. Auch hier
Zu beachten ist auch, dass die Topografie und die Be-               gilt es, situativ die beste Lösung zu finden.
schaffenheit des Wegs (insbesondere im Winter) starke
Auswirkungen auf die zumutbare Strecke haben kön-                   3.       Schulweg mit dem Velo
nen.
                                                                    3.1        Generelle Aspekte
Im Sinn von Leistungskilometern sind die Höhenunter-                Velofahren im Strassenverkehr ist eine anspruchsvolle
schiede in die Distanz einzurechnen8. 100 m Höhenun-                Tätigkeit, die verschiedene Fähigkeiten und Fertigkeiten
terschied entsprechen bei allen Altersstufen einem zu-              voraussetzt: Motorische Fähigkeiten, Signal- und Regel-
sätzlichen Kilometer. Ein Beispiel: gemessene Distanz               kenntnis, velospezifisches Gefahrenbewusstsein, Koor-
zwischen A und B = 600 m, Höhenunterschied zwi-                     dination verschiedener Prozesse. Manche Komponen-
schen A und B = 100 m. D. h., Leistungskilometer sind               ten, die es für das sichere Velofahren braucht, unterlie-
600 m + 1000 m = 1600 m, somit gelten die 1,6 km                    gen einer altersbedingten, lang andauernden Entwick-
als bereinigte Distanz (VIII. Anhang, Abbildung 39, S.              lung (Kap. III.4, S. 9). Daher ist gerade bei jüngeren Kin-
47).                                                                dern von der Benützung des Velos für den Schulweg ab-
                                                                    zuraten. Hinzu kommen im Bereich des Velofahrens inf-
2.3       Gefahrenkompetenz                                         rastrukturelle Probleme, die in den Gemeinden häufig
                                                                    anzutreffen sind:
2.3.1         Fussverkehr längs
                                                                    •       Fehlende Velonetzplanung gerade für das Basis-
Die Überprüfung des Schulwegs ist entsprechend den                          netz. Bisher wird der Veloverkehr häufig «einfach»
jeweiligen Alterskategorien vorzunehmen. Entlang von                        mit dem motorisierten Verkehr mitgeführt.
wenig frequentierten Strassen mit einem tiefen Ge-
                                                                    •       Keine abseits geführte, sichere Veloinfrastruktur
schwindigkeitsregime sind separate, ununterbrochene
                                                                            neben den Ausserortstrassen. Dies ist wegen der
Flächen für den Fussverkehr nicht zwingend. Punktuelle
                                                                            grossen Geschwindigkeitsdifferenz für Velofahre-
Sicherungsmassnahmen sind aber auch bereits bei tie-
                                                                            rinnen und Velofahrer gefährlich.
fen Geschwindigkeitsregimes und geringen Verkehrs-
mengen prüfenswert (VIII. Anhang, Abbildung 40,                     Die Beurteilung, ob ein Schulweg mit dem Velo alleine
S. 47). Neben der Verkehrsmenge und dem Geschwin-                   zurückgelegt werden kann, erfolgt analog dem Schul-
digkeitsregime sind für die Beurteilung auch der                    weg zu Fuss.
Schwerverkehrsanteil und die Sichtbeziehungen Fak-

5
      Urteil des Bundesgerichts 2C_495/2007 vom 27. März 2008, E. 2.3
6
      Urteil des bundesgerichts 1C_1143/2018
7
      Urteil des Bundesgerichts 2C_191/2019 vom 11. Juni 2019, E.3.2
8
      Urteil des Bundesgerichts 2C_414/2015 vom 12. Februar 2016, E.4.4.2

             Schulweg                                               Beurteilungskriterien von Schulwegen                     15
3.2       Zumutbarkeit                                                ziehen. Ein hoher Schwerverkehrsanteil führt zu zu-
Als erstes Kriterium wird die «Distanz» hinsichtlich                  sätzlichem Massnahmenbedarf. Die Sicherheits-
Zumutbarkeit beurteilt, wiederum unterschieden                        massnahmen sind situativ und unter Berücksichti-
nach Alterskategorie. Auch bei der Beurteilung des                    gung ihrer Verhältnismässigkeit zu bestimmen.
Schulwegs mit dem Velo ist die Distanz aufgrund der
Topografie zu bereinigen. Wie zu Fuss gilt die Faust-                 Eine Sonderform der Längsführung des Veloverkehrs
regel, dass 100 Meter Höhenunterschied einem zu-                      ist das Mitbenützen des Trottoirs. Das Befahren von
sätzlichen Kilometer entsprechen.                                     Trottoirs mit dem Fahrrad ist grundsätzlich verboten.
                                                                      Ausnahmen können vorgesehen werden (Art. 43
Beispiel:
                                                                      Abs. 2 SVG). Eine solche Ausnahme gilt insbeson-
Gemessene Distanz zwischen A und B = 600 m                            dere zur Schulwegsicherung. Laut Artikel 65 Abs. 8
Höhenunterschied zwischen A und B = 100 m                             SSV kann es Radfahrenden ausnahmsweise gestat-
Bereinigte Distanz 600 m + 1000 m = 1600 m vgl.                       tet werden, das Trottoir zu befahren. Das muss signa-
(Anhang, VIII, Abbildung 43, S. 48)                                   lisiert werden und ist nur auf relativ stark befahrenen
                                                                      Strassen und schwach begangenen Trottoirs mög-
Bei sehr komplexen Verkehrsverhältnissen ist diese                    lich.
Distanz ebenfalls zu bereinigen: Aufgrund der hohen An-
forderungen an die Konzentrationsfähigkeit ist die zu-                Im Innerortsbereich sind die Trottoirs für velofah-
mutbare Distanz zu reduzieren. Grundsätzlich sollte die               rende Kinder wegen der zahlreichen Einmündungen
Fahrzeit pro Weg (resp. pro Fahrtrichtung) nicht mehr als             und Querstrassen keineswegs ungefährlich, insbe-
40 Minuten (bei einer Fahrgeschwindigkeit von ca.                     sondere, wenn gegen die Fahrtrichtung auf dem Trot-
12 km/h)9 betragen. Es ist zudem möglich, dass Kinder,                toir gefahren wird. Unübersichtliche Hauseingänge,
wenn sie in einer Gruppe unterwegs sind, langsamer                    Ausfahrten aus Garagenvorplätzen und Parkplätzen
fahren.                                                               sowie sichtbehindernde Bepflanzungen bergen das
                                                                      Risiko von Kollisionen. Zudem ist jedes fahrende Velo
Kann die bereinigte Distanz grundsätzlich als «zu-                    auf dem Trottoir eine potenzielle Gefahr für Fussgän-
mutbar» eingestuft werden, sind für die definitive Be-                gerinnen und Fussgänger – und somit auch für an-
urteilung der Bewältigbarkeit zusätzlich die Gefähr-                  dere Kinder.
lichkeit hinsichtlich dem längsfahrenden (VIII. An-
hang, Abbildung 44, S. 48) und dem querenden Ve-                      Die neue Regelung, dass Kinder bis 12 Jahre auf
loverkehr (VIII. Anhang, Abbildung 45, S. 48) zu beur-                dem Trottoir fahren dürfen, wenn es keinen Radweg
teilen10.                                                             oder Radstreifen gibt, ändert nichts an dieser Bewer-
                                                                      tung und ist nicht zu empfehlen. Die Altersgrenze von
3.3       Gefahrenkompetenz                                           12 Jahren ist deutlich zu hoch angesetzt. Es sind
                                                                      dann punktuell zu viele Velofahrende auf dem Trottoir
3.3.1         Veloverkehr längs                                       unterwegs. Zudem ist aufgrund der höheren kineti-
                                                                      schen Energie (Masse und Geschwindigkeit) der älte-
Abhängig vom Geschwindigkeitsregime und der Ver-
                                                                      ren Kinder und ihrer Velos im Falle von Kollisionen mit
kehrsmenge sind für den Veloverkehr Massnahmen,
                                                                      Fussgängerinnen und Fussgängern sowie kleineren
z. B. separate Flächen, notwendig. In diese Beurtei-
                                                                      Kindern auf einem Kinderrad mit gravierenderen Un-
lung ist auch der Schwerverkehrsanteil einzube-
                                                                      fallfolgen zu rechnen. In Anbetracht der gegebenen

9
      Urteil des Bundesgerichts 2 P.101/2004 vom 14. Oktober 2004
10
      Entscheid des Erziehungs- und Kulturdepartements Luzern vom 29. September 2000, E.6c und Entscheid des Bildungs- und Kulturde-
      partements, LGVE 2004 III Nr.16 vom 29. Januar 2004

             16                                                       Beurteilungskriterien von Schulwegen
Rahmenbedingungen und unter Abwägung der Vor-                       5.     Schulweg mit öffentlichen Verkehrsmitteln
und Nachteile empfiehlt die BFU, Kindern das Velo-                  Das Zurücklegen des Schulwegs mit öffentlichen Ver-
fahren auf Trottoirs höchstens bis zum 8. Geburtstag                kehrsmitteln (ÖV) ist für 4- bis 6-jährige Kinder allein
zu erlauben. Dabei ist sicherzustellen, dass Eltern                 grundsätzlich nicht zumutbar11. Je nach Örtlichkeit
ihre Kinder auf dem Trottoir nicht in falscher Sicher-              ist der Weg mit ÖV für die 6- bis 8-Jährigen zumutbar,
heit wähnen.                                                        sofern keine langen Wartezeiten bestehen und nicht
                                                                    umgestiegen werden muss. In der Gesamtbeurtei-
Aufgrund der Gesetzesänderung wird es die Regel                     lung des Schulwegs ist zwingend auch der Weg zur
sein, dass bis 12-Jährige auf dem Trottoir fahren. In-              Haltestelle zu berücksichtigen, der analog (Kap. VII.4)
folgedessen müssen Trottoirs infrastrukturell verbes-               zu beurteilen ist (VIII. Anhang, Abbildung 41, S. 47).
sert werden (Verbreiterung, Entfernen von Sichthin-
dernissen, keine Abstellflächen für Kehricht usw. auf
Trottoir etc.), wann immer der Veloverkehr innerorts
im Mischverkehr geführt wird und wo velofahrende
Kinder bis 12 Jahre das Trottoir mitbenützen.

3.3.2        Veloverkehr quer
Bei höherem Verkehrsaufkommen ist für den Velover-
kehr bei wichtigen Abbiegebeziehungen eine Que-
rungs- und/oder Abbiegehilfe notwendig (z. B. Ange-
bot für indirektes Abbiegen, Velofurt oder Schutzin-
sel). Die Sicherheitsmassnahmen sind situativ und
unter Berücksichtigung ihrer Verhältnismässigkeit zu
bestimmen.

4.     Schulweg mit fahrzeugähnlichen Geräten
       (fäG)
Fahrzeugähnliche Geräte (fäG) – dazu gehören u. a.
Trottinette – sind aus Sicht der Verkehrssicherheit
nicht für den Schulweg zu empfehlen. Auch wenn die-
ser länger ist, um zu Fuss noch als zumutbar einge-
stuft werden zu können, sollten fäG nicht als Alterna-
tive in Betracht gezogen werden. Diese Geräte verlei-
ten die Kinder mehr zum Spielen und «schnell sein»
als zum konzentrierten Fahren. Erfahrungen aus dem
Schulwegalltag zeigen, dass Kinder mit fäG den
Schulweg im Strassenverkehr nicht aufmerksam ge-
nug zurücklegen und es deshalb gefährlich ist, wenn
Kinder mit dem fäG zur Schule kommen.

11
     Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern 100 2013 433 vom 15. Juli 2014

            Schulweg                                                Beurteilungskriterien von Schulwegen                 17
V.                  Konzeptionelle Massnahmen
Hilfestellungen für Eltern und Schule sind vorhanden. Sie müssen nur an-
gewandt werden. Dann kommen die Kinder sicher zur Schule.

1.    Übersicht                                         •     deckt mittels Befragung der Kinder, Eltern und
Eltern und Kinder können in der Regel nicht genau             Lehrpersonen die subjektiven Gefahrenstellen
wissen, welcher von mehreren möglichen Wegen von              auf den Schulwegen auf.
der Wohnung zur Schule der sicherste ist. Der           •     bezieht das Unfallgeschehen der letzten fünf
kürzeste Weg kann sich als gefährlich herausstellen.          Jahre mit ein.
Daher helfen die im Folgenden beschriebenen             •     beinhaltet eine themenspezifische Road Safety
konzeptionellen Massnahmen, sichere Schulwege zu              Inspection (RSI), aber nur der in der Befragung
finden respektive unsichere Stellen durch gezielte            genannten Stellen.
Massnahmen sicherer zu machen.
                                                        •     resultiert in einem Massnahmenvorschlag zur
                                                              Behebung der identifizierten Gefahrenstellen.
Unter konzeptionellen Massnahmen sind insbeson-
dere die Erarbeitung eines Schulwegplans und die Er-    •     kann bei Bedarf um Sensibilisierungs-
stellung eines «Mobilitätskonzepts Schule» zu verste-         massnahmen der verschiedenen Interessen-
hen. Beide Methoden binden Behörden, Schulen so-              gruppen ergänzt werden.
wie Eltern und Kinder bei der Erarbeitung ein. Die
grundlegenden Unterschiede sind in der Komplexität      2.     Schulwegplan
zu sehen: während das Mobilitätskonzept auf die Ört-
                                                        2.1      Ausgangslage
lichkeiten eingeht, die von den Eltern als gefährlich
eingestuft werden, wird beim Schulwegplan das ge-       Basis für eine erfolgreiche Schulwegplanung sind Un-
samte Gemeindegebiet auf Gefahrenstellen für Kin-       fallanalysen, bauliche, verkehrsregelnde sowie orga-
der mithilfe normierter Methoden untersucht.            nisatorische Massnahmen. Schulwegplanung ist als
                                                        eine gemeinsame Aufgabe für Behörden, Polizei,
Der Schulwegplan                                        Schulen, Eltern und Kinder zu sehen. Der Schulweg-
                                                        plan als Endergebnis soll dabei aufzeigen, welcher
•    wird durch die Gemeinde erstellt.
                                                        Weg für die Schülerinnen und Schüler am sichersten
•    umfasst eine flächendeckende,                      ist. Er macht z. B. deutlich, auf welcher Strassenseite
     themenspezifische Road Safety Inspection [14]      gegangen und wo die Strasse überquert werden soll
     der Gemeindestrassen aus Sicht der Kinder.         und wo ggf. Gefahrenstellen bestehen, die zu umge-
•    zeigt die Gefahrenstellen auf den Schulwegen       hen sind.
     auf, die durch die Inspection und durch den
     Einbezug des Unfallgeschehens in der               2.2      Arbeitsgruppe «Schulwegsicherheit»
     Gemeinde ermittelt wurden. Sie werden ergänzt      Es ist sinnvoll, unter der Leitung einer Behörde sowohl
     durch Hinweise der Eltern, die Örtlichkeiten       bei der Erarbeitung als auch bei der Umsetzung von
     subjektiv als unsicher empfinden.                  Schulwegplänen eine Arbeitsgruppe «Schulwegsi-
•    macht Massnahmenvorschläge zur Behebung            cherheit» zu gründen. Eine längerfristige Zusammen-
     der Gefahren- und Unfallstellen.                   arbeit ist anzustreben. In dieser Arbeitsgruppe arbei-
•    resultiert in einem Plan der empfohlenen,          ten Eltern, Mitglieder der Schulbehörde, Polizei, Sig-
     sicher(er)en Schulwege.                            nalisationsbehörde sowie die Bau- und Planungsbe-
                                                        hörde mit.
Das Mobilitätskonzept Schule
•    ist ein kostenpflichtiges Angebot des VCS für
     Gemeinden und Schulen – für die Gemeinde fällt
     nur wenig Arbeit an.

           18                                           Konzeptionelle Massnahmen
Abbildung 4: Auszug eines Schulwegplans in Zürich

2.3      Erarbeitung von Schulwegplänen                   2.3.2       Analyse der Unfälle
                                                          Zunächst sind die Unfallauswertungen der Polizei
2.3.1        Grundlagen
                                                          heranzuziehen. Da Fussgänger- und Radfahrerun-
Der Schulwegplan umfasst in der Regel den gesam-          fälle mit Kindern relativ selten sind, sollen alle Unfälle
ten Einzugsbereich der Schule. Aus Lesbarkeitsgrün-       mit Fussgänger- und Radfahrerbeteiligung aus fünf
den (Massstab) ist aber eine Entfernung von 1500 m        Jahren ausgewertet werden (Kap. III.2, S. 8).
von der Schule nicht zu überschreiten. Kartenmate-
rial kann in den Geoportalen der Kantone oder des         2.3.3       Themenspezifisches RSI
Bundes gefunden werden: z. B. Massstab 1:5000 für
                                                          Im Auftrag der Gemeinde oder des Kantons führt ein
weniger dicht besiedelte Gebiete oder Massstab
                                                          zertifizierter Road-Safety-Inspektor ein themenspezi-
1:2500 für städtische Regionen
                                                          fisches RSI zum Thema Schulwegsicherheit auf dem
                                                          betroffenen Strassennetz durch. Die Gemeinde kann
Der Schulwegplan baut auf den folgenden Untersu-
                                                          anschliessend mittels geeigneter Massnahmen
chungsschritten auf:
                                                          diese Gefahrenstellen beseitigen.
•     Analyse der Unfälle mit Personenschaden der
      letzten fünf Jahre; Unfälle mit Fussgänger- und     2.3.4       Information der Behörden zur Situation
      Radfahrerbeteiligung sind besonders zu beach-
                                                          Die Verkehrsanlagenmerkmale, die für die Schulwegsi-
      ten.
                                                          cherheit wichtig sind, werden gesammelt und in den
•     Informationen der Behörden zur Situation der        Schulwegplan eingetragen – z. B. Fussgängerquerungs-
      baulichen und verkehrstechnischen Gegeben-          stellen, Radstreifen, Radwege, Mehrzweckstreifen als
      heiten; zu beachten sind auch geplante Bau-         Linksabbiegehilfe und vieles mehr.
      massnahmen.
•     Themenspezifische Road Safety Inspection – RSI      Falls längerfristige Baustellen in einer Gemeinde ge-
      (Ortsbesichtigung im Hinblick auf die Verkehrssi-   plant sind, die z. B. zu zusätzlichen Gefahren für Fuss-
      cherheit). Dabei werden alle Sicherheitsdefizite    gängerinnen und Fussgänger sowie für Velofahrerin-
      der Verkehrsinfrastruktur aus Sicht der Schüle-     nen und Velofahrer führen, ist diese auch bei der RSI
      rinnen und Schüler (zu Fuss oder mit dem Velo)      zu berücksichtigen und die Ergebnisse sind bei der
      beurteilt und das jeweilige Unfallrisiko abge-      Schulwegempfehlung zu beachten. Nach Durchfüh-
      schätzt.                                            rung der Baumassnahmen können sich die Randbe-
•     Elternbefragung: Wie sehen die bisherigen           dingungen für Schulwegempfehlungen möglicher-
      Schulwege aus? Wo sehen die Eltern besonders        weise ändern.
      gefährliche Stellen?
                                                          2.3.5       Elternbefragung
•     Verhaltensbeobachtungen: Wo überqueren Kin-
      der besonders oft? Wo gehen Kinder gerne hin        Erkenntnisse über einzelne, für Kinder kritische Stel-
      (Kiosk, Spielplatz, Gewässer)? Welche Linksab-      len lassen sich häufig nur über die Eltern ermitteln.
      biegestellen verleiten zu gefährlichem Velofah-     Eine Elternbefragung hat den Vorteil, die Eltern stär-
      ren? Wo bestehen Netzlücken für den Velover-        ker für sichere Schulwege zu sensibilisieren und sie
      kehr? Verhaltensbeobachtungen könnten ggf. El-      an der Erstellung des Schulwegplans zu beteiligen.
      ternbefragungen ersetzen und mit Ortsbesichti-
      gungen kombiniert werden.                           Am besten eignet sich eine schriftliche Befragung,
                                                          um den Aufwand für Eltern und Schulen möglichst ge-
Im Folgenden wird auf diese Untersuchungsschritte         ring zu halten. Ein Beispiel für einen Fragebogen zeigt
näher eingegangen.                                        die Abbildung im Anhang auf S. 50.

            Schulweg                                      Konzeptionelle Massnahmen                              19
Die gemeldeten Gefahrenpunkte werden von der Ar-                    •    Durch die Gesetzesänderung, die zulässt, dass
beitsgruppe Schulwegsicherheit (Kap. V.2.3.2) über-                      Kinder bis 12 Jahre mit dem Velo das Trottoir
prüft und ausgewertet. Erfahrungsgemäss enthalten                        benützen dürfen, ist die Breite des Trottoirs in
die Elternangaben neben tatsächlich problemati-                          Abhängigkeit der Fussgänger- und
schen Stellen auch relativ risikoarme Punkte. Dort ge-                   Velofrequenzen zu wählen12.
nügen kleine Tipps zum Verkehrsverhalten als Hilfe-
stellung.                                                           Je komplizierter die Empfehlungen und je grösser
                                                                    die Umwege sind, umso geringer wird die Akzeptanz
2.3.6        Verhaltensbeobachtung                                  sein. Schulwegpläne müssen einfach zu verstehen
Für Verbesserungsmassnahmen im Strassenraum                         sein. Empfehlungen sind nur dort zu geben, wo die
ist es wichtig zu wissen, wo die Kinder tatsächlich ge-             Verkehrsverhältnisse schwierig sind.
hen und wie sie sich dabei verhalten. Dabei können                  Normalerweise kann auf eine Empfehlung verzichtet
Beobachtungen helfen. Am besten geschieht dies zu                   werden bei
Zeiten, zu denen möglichst viele Schulkinder unter-
                                                                    •    Tempo-30-Zonen, in denen wenig Verkehr
wegs sind (morgens vor Schulbeginn und direkt nach
                                                                         herrscht und wo die Sichtverhältnisse
Schulschluss), durch ortskundige und verkehrserfah-
                                                                         ausreichend sind;
rene Personen wie z. B. Mitarbeiter der Signalisati-
onsbehörde, der Polizei, durch Lehrerinnen und Leh-                 •    Sackgassen;
rer oder Elternvertreterinnen und Elternvertreter.                  •    sonstigen Stellen mit geringem und langsamem
                                                                         Verkehr und ausreichender Sicht;
2.3.7        Auswahl der empfehlenswerten                           •    Strassen mit nur einem Trottoir, das von den
             Schulwege                                                   Kindern automatisch benützt wird;
Die Auswahl der empfehlenswerten Schulwege                          •    Strassen mit durchgehenden und ausreichend
erfolgt anhand folgender Aspekte:                                        breiten Radwegen.
•    Möglichst seltene Überquerung insbesondere
     von stark befahrenen Strassen.                                 Stellen, die möglichst zu vermeiden sind, werden im
•    Notwendige Querungen möglichst nur an Knoten                   Schulwegplan entsprechend markiert.
     und Einmündungen sowie bei Querungshilfen.
                                                                    2.3.8         Aktualisierung und Überarbeitung
•    Überqueren auf Strecken zwischen
                                                                    Der beste Plan ist wertlos, wenn er nicht aktuell ist.
     Knotenpunkten nur dort, wo Querungshilfen z. B.
                                                                    Verkehrsentwicklungen, Zusammenlegung von
     in Form von Fussgängerschutzinseln,
                                                                    Schulen und Bauaktivitäten verändern immer wieder
     Fussgängerstreifen oder Lotsendiensten
                                                                    die Verkehrssituation. Deshalb ist der Schulwegplan
     bestehen.
                                                                    regelmässig zu überarbeiten.
•    Es besteht ein ausreichend breites Trottoir ohne
     Sichthindernisse für die Fussgängerlängsführung
     auf der empfohlenen Strassenseite.

12
     Forschungsprojekt VSS 2016/623. Entwurf und Gestaltung von durch Fuss- und Fahrverkehr gemeinsam genutzten Flächen im urbanen
     Raum. Noch nicht veröffentlicht. Stand Oktober 2020.

            20                                                      Konzeptionelle Massnahmen
Abbildung 5: Schulwegplan des VCS im Kanton Waadt

3.     Das «Mobilitätskonzept Schule» des VCS                   der BFU) eine Begehung vor Ort durch. Jede ge-
                                                                nannte Gefahrenstelle wird begutachtet, fotogra-
3.1      Grundidee                                              fiert und analysiert (analog Schulwegplan – je-
Das «Mobilitätskonzept Schule» ist ein Produkt des              doch nicht flächendeckend). Daraus resultiert ein
Verkehrs-Club der Schweiz VCS, welches den Ge-                  Bericht mit konkreten Empfehlungen zur Erhö-
meinden als massgeschneidertes Angebot zur Verfü-               hung der Schulwegsicherheit.
gung gestellt wird. Ein «Mobilitätskonzept Schule»          •   Information und Sensibilisierung
kann eine oder auch mehrere Schulen und Kindergär-
                                                                Die Eltern erhalten ein Schreiben mit den wich-
ten abdecken.
                                                                tigsten Ergebnissen, erfahren, wie sie zur Schul-
                                                                wegsicherheit ihres Kindes beitragen können
Das «Mobilitätskonzept Schule» ist in folgende fünf
                                                                und wie wichtig der selbstständig bewältigte
Schritte gegliedert:
                                                                Schulweg für die Entwicklung ist.
•     Mobilitätsumfrage
                                                                Begleitend thematisieren die Lehrpersonen den
      Die Kinder, deren Eltern und die Lehrerschaft so-         Schulweg und sicheres Verhalten im Strassenver-
      wie bei Bedarf weitere Involvierte äussern sich           kehr im Unterricht – Vorschläge und Unterlagen
      mittels auf die Interessengruppe zugeschnittener          werden ihnen zur Verfügung gestellt.
      Fragebogen zur aktuellen Schulwegsituation und
      markieren die zurückgelegten Schulwege und            •   Evaluation
      gefährliche Stellen auf einer Karte. Diese schrift-       Rund ein Jahr nach Abschluss des «Mobilitäts-
      liche Umfrage wird auf die Gegebenheiten der              konzepts Schule» zieht der VCS zusammen mit
      Gemeinde angepasst.                                       der Gemeinde Bilanz über den durchlaufenen
                                                                Prozess und bespricht das weitere Vorgehen. Oft
•     Mobilitätsbilanz
                                                                zeigt sich: Wirkungsvolle Massnahmen müssen
      Ein Bericht mit den Umfrageergebnissen und                nicht zwingend aufwendig oder teuer sein.
      aufbereitetes Kartenmaterial geben ein genaues
      Bild der aktuellen Schulwegsituation. Die Karten
      visualisieren die ermittelten Schülerströme und
      die von den Eltern und Lehrpersonen identifizier-
      ten Gefahrenstellen.

•     Begehung vor Ort und Empfehlungen
      Auf Basis des erarbeiteten Kartenmaterials füh-
      ren die Fachleute des VCS und ein zertifizierter
      Road-Safety-Inspektor (in der Regel vonseiten

            Schulweg                                        Konzeptionelle Massnahmen                          21
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