Schulweg Fachdokumentation 2.365 Bern, 2021 - Polizei.news
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Schulweg Sabine Degener, Katja Marthaler, Barbara Schürch, Fachdokumentation 2.365 Simone Studer, Andrea Uhr Bern, 2021
Autorinnen Sabine Degener Beraterin Verkehrstechnik, BFU , s.degener@bfu.ch Stadtplanerin, Dipl. Ing.; Raumplanungsstudium an der Technischen Universität Dortmund. Seit 2012 bei der BFU . Arbeitsschwerpunkte: Schulwegberatungen, Road Safety Inspection (RSI ), Unfallanalysen gemäss Black Spot Management (BSM ) sowie Schulungen der Behörden. Katja Marthaler Projektleiterin Schulwegsicherheit, VCS Verkehrs- Club der Schweiz, katja.marthaler@verkehrsclub.ch Master of Science in Geography, Universität Fribourg Bachelor of Science in Geography, Universität Bern Barbara Schürch Von 2011 bis 2020 Leiterin der Abteilung Schule und Familie. Arbeitsschwerpunkte: Konzepte und Unter- richtstools für die Unfallprävention in Schulen, Unfallprävention und Bewegungsförderung bei Kindern, unfallpräventive Aus- und Weiterbildung von Schulleitungen, Lehr- und Betreuungspersonen, Unfallprävention bei Kindern im Vorschulalter. Simone Studer Wissenschaftliche Mitarbeiterin Recht, BFU , s.studer@bfu.ch Rechtsanwältin, Studium der Rechtswissenschaft an der Universität Freiburg (CH ). Seit 2010 bei der BFU . Schwerpunkte: Kinder, Senioren und Neulenkende, Kindertransporte, Trendfahrzeuge, rechtl. Aspekte zur Leistungsüberforderung von Menschen. Andrea Uhr Wissenschaftliche Mitarbeiterin Forschung, BFU , a.uhr@bfu.ch MSc in Psychologie, MPH ; Psychologiestudium, Uni- versität Zürich. MAS in Public Health, Universitäten Basel, Bern, Zürich. Seit 2013 bei der BFU . Schwer- punkte: Fahrradverkehr, Entwicklungspsychologie, ältere Verkehrsteilnehmende, Risikokommunikation.
Inhalt I. Zusammenfassung 5 2.3 Selbsterklärende und fehlertolerante Verkehrsanlagen 25 II. Einleitung 6 2.4 Modell Tempo 30/50 26 III. Grundlagen 7 2.5 Begegnungszone 26 2.6 Sicht 27 1. Unfallgeschehen 7 2.7 Signalisation 27 2. Unfallauswertungen 8 2.8 Wahl der Führungsformen 28 3. Rechtliche Aspekte 8 2.9 Ergänzende Markierungen 28 4. Entwicklungspsychologische Aspekte 9 2.10 Ausserorts 29 5. Verkehrsbildung 12 2.11 Haltestellen 30 5.1 Eltern und Betreuungspersonen 12 3. Infrastrukturmassnahmen für 5.2 Kindergarten und Schule 12 Fussgängerinnen und Fussgänger 32 5.3 Verkehrsinstruktion 12 3.1 Fussgängerquerungen 32 IV. Beurteilungskriterien von Schulwegen 14 3.2 Fussgängerlängsführung 35 4. Infrastrukturmassnahmen für 1. Allgemeines 14 Velofahrerinnen und Velofahrer 37 2. Schulweg zu Fuss 14 4.1 Längsführung 37 2.1 Generelle Aspekte 14 4.2 Radweg 38 2.2 Zumutbarkeit 15 4.3 Veloführung an Knoten 40 2.3 Gefahrenkompetenz 15 4.4 Veloführung an Kreisverkehrsplätzen 43 3. Schulweg mit dem Velo 15 3.1 Generelle Aspekte 15 VII. Organisatorische Massnahmen 44 3.2 Zumutbarkeit 16 1. Allgemein 44 3.3 Gefahrenkompetenz 16 2. Schulbus 44 4. Schulweg mit fahrzeugähnlichen Geräten 3. Öffentliche Verkehrsmittel 45 (fäG) 17 4. Pedibus 45 5. Schulweg mit öffentlichen Verkehrsmitteln 17 5. Patrouilleure / Lotsen 45 V. Konzeptionelle Massnahmen 18 6. Kontrolle von Geschwindigkeiten 46 7. Kontrolle von Halteverboten 46 1. Übersicht 18 8. Kontrolle der Anhaltebereitschaft 46 2. Schulwegplan 18 2.1 Ausgangslage 18 VIII. Anhang 47 2.2 Arbeitsgruppe «Schulwegsicherheit» 18 1. Beurteilungskriterien 47 2.3 Erarbeitung von Schulwegplänen 19 2. Begleitschreiben zum Fragebogen 3. Das «Mobilitätskonzept Schule» des VCS 21 «Sicherheit Ihres Kindes auf dem Schulweg» 49 3.1 Grundidee 21 3. Fragebogen «Der Schulweg meines Kindes» 50 3.2 Raumplanung aus der Kinderperspektive 22 4. Begleitschreiben zum Schulwegplan 51 3.3 Partizipation von weiteren Beteiligten 22 Quellenverzeichnis 52 VI. Verkehrstechnische Massnahmen 23 Fachdokumentationen 55 1. Übersicht 23 2. Übergeordnete Massnahmen 24 Ausgewählte Forschungspublikationen 56 2.1 Allgemein 24 Impressum 58 2.2 Netzplanung 25 4 Zusammenfassung
I. Zusammenfassung Der Schulweg nimmt für Kinder und Jugendliche ei- und Ortsbesichtigungen sollen sie nützliche Empfeh- nen wichtigen Stellenwert ein: Er trägt zur sozialen lungen zum sichersten Schulweg geben. Entwicklung bei und dient gleichzeitig der Bewe- gungsförderung. Zudem bietet er den Kindern die Verkehrstechnische Massnahmen zur adäquaten Möglichkeit, ein sicheres Verhalten im Strassenver- Ausgestaltung des Strassenraums haben eine dau- kehr zu erlernen. Leider ist der reale Strassenverkehr erhafte Wirkung auf die Verkehrssicherheit. Ein nach nicht besonders kindgerecht. Daher ist es wichtig, bei den Kriterien der Schulwegsicherheit gestaltetes der Schulwegplanung systematisch vorzugehen, um Strassennetz bietet mehr Sicherheit für alle Verkehrs- ein möglichst sicheres Verkehrsumfeld zu schaffen. teilnehmenden – ganz im Sinne der Unfallprävention. Als Basis für dieses systematische Vorgehen bei der Falls verkehrstechnische Massnahmen nicht verhält- Schulwegplanung dient die Unfallanalyse. Die Aus- nismässig oder nicht zielführend sind, können organi- wertung muss prioritär bei den Unfällen ansetzen, in satorische Massnahmen helfen, Schulwege für Kin- welche Fussgängerinnen und Fussgänger sowie Ve- der sicherer zu machen. lofahrende speziell beim Überqueren der Strasse in- volviert sind – denn der Wechsel auf die andere Stras- senseite stellt für die Schulkinder die Hauptschwie- rigkeit im Strassenverkehr dar. Rechtliche und entwicklungspsychologische Aspekte bilden weitere Grundlagen für die Auswahl und Be- wertung von Schulwegen. Es gibt in der Schweiz ge- setzliche Grundlagen sowie Rechtsprechungen zum Thema Schulwege und deren Zumutbarkeit für Kinder diverser Altersgruppen – in unterschiedlicher Rolle als Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer. Entwicklungspsychologische Aspekte helfen zu ver- stehen, ab wann ein Kind allein den Schulweg zu Fuss, mit dem Velo, dem fahrzeugähnlichen Gerät fäG (z. B. Trotti oder Skateboard) oder dem öffentli- chen Verkehr zurücklegen kann. Sie bilden die Grund- lage für die Beurteilung der Zumutbarkeit von Schul- wegen in Abhängigkeit der jeweiligen Örtlichkeiten. Wichtiger ergänzender Aspekt bei der Schulwegsi- cherheit ist eine abgestufte Verkehrsbildung. Diese muss sowohl durch die Eltern als auch durch die Ver- kehrsinstruktion in der Schule oder im Kindergarten erfolgen. Schulwegpläne oder Mobilitätskonzepte empfehlen sich vor allem für Gemeinden und Städte mit mehre- ren Schulhäusern. Auf Basis von Unfalluntersuchun- gen, Angaben der Fachbehörden, Elternbefragungen Schulweg Zusammenfassung 5
II. Einleitung Schulwege sind Wege für Kinder. Sie müssen sicher gestaltet sein. Die BFU setzt sich für sichere Schulwege ein. Da es keine «verkehrsgerechten» Kinder gibt, ist es nö- Die Gemeinden wenden sich daher häufig mit ihren tig, Verkehrsanlagen auf Schulwegen möglichst kin- Fragen zur sogenannten «Zumutbarkeit eines Schul- dergerecht zu planen und zu gestalten. Kinder sind je- wegs» bzw. zu verkehrssicheren Schulwegen an die doch noch im Entwicklungsprozess – ihnen fehlen BFU. Diese hat in Zusammenarbeit mit diversen Part- ganz viele Fähigkeiten, um sich im Verkehr alleine si- nern aus verschieden Fachdisziplinen Hilfestellungen cher zu bewegen. Dadurch sind sie im Strassenverkehr erarbeitet, die den Gemeinden helfen, sichere Schul- besonders gefährdet. wege zu planen, sichere Infrastrukturmassnahmen umzusetzen und dabei auch die Entwicklung der Kin- Der Schulweg nimmt für Kinder und Jugendliche einen der zu berücksichtigen. wichtigen Stellenwert ein: Er trägt zur sozialen Entwick- lung bei und dient gleichzeitig der Bewegungsförde- Ziel dieser Dokumentation ist es, planerische, ver- rung. Zudem bietet er den Kindern die Möglichkeit, ein kehrstechnische und organisatorische Massnahmen sicheres und angepasstes Verhalten im Strassenver- zur Sicherheit auf Schulwegen aufzuzeigen. Für eine kehr zu erlernen. In diesem Zusammenhang ist es ganzheitliche Betrachtungsweise werden Exkurse in nicht einfach, den besten Schulweg für die Kinder der die Entwicklungspsychologie und die Verkehrsbildung Gemeinde zu definieren. Behörden werden z. B von be- gemacht. Die hier formulierten Empfehlungen richten sorgten Eltern kritisiert, nicht «zumutbare» Schulwege sich an alle planenden Fachleute, die in irgendeiner für die Kinder anzubieten. Form mit Sicherheitsfragen des Schulwegs konfron- tiert sind. Sie sollen die Planung und Ausgestaltung un- terstützen und damit als Grundlage für den sicheren Betrieb von Schulwegen dienen. 6 Einleitung
III. Grundlagen Es braucht viele Komponenten, damit eine gute Schulwegplanung gelingt. Dazu gehören neben der Unfallanalyse und entwicklungspsychologischen Hintergründen auch die Rechtsprechung sowie die Verkehrsbildung. 1. Unfallgeschehen Die Unfallzahlen zeigen den unverändert hohen Die Statistik der polizeilich registrierten Strassenver- Handlungsbedarf für die Belange der Schulwegsi- kehrsunfälle des Bundesamts für Strassen [1] zeigt: cherheit, und zwar nicht nur für die Schulkinder, die zu von 2015 bis 2019 verunfallten auf Schweizer Stras- Fuss unterwegs sind, sondern auch für jene auf dem sen im Durchschnitt 1306 Kinder zwischen 0 und Velo. 14 Jahren. Unterscheidet man noch die Art der Verkehrsteil- nahme und die verschiedenen Altersgruppen der Kin- der (Tabelle 1), wird deutlich: die meisten verunfallten Kinder im Alter zwischen 5 und 9 Jahren waren zu Fuss oder auf einem fäG unterwegs (217 Kinder). Bei der Gruppe der 10- bis 14-Jährigen ist zudem das Velofahren unfallkritisch (280 verunfallte Kinder in dieser Altersgruppe). Abbildung 1: Unfallgeschehen in einem Stadtgebiet Schulweg Grundlagen 7
Tabelle 1: Verunfallte Kinder nach Alter und Verkehrsteilnahme Ø 2015–2019 Alter Personenwagen Motorrad Mofa E-Bike Fahrrad Fussgänger FäG Andere Total 0-4 80 0 0 1 3 61 16 11 172 5-9 123 3 0 1 60 160 57 11 415 10-12 80 6 1 1 126 86 29 8 337 13-14 54 6 72 5 154 72 9 10 382 Total 336 15 73 8 343 379 111 40 1 306 2. Unfallauswertungen der Schüler erteilt werden; die räumliche Distanz zwi- Unfallauswertungen sind sowohl für bauliche und ver- schen Wohn- und Schulort darf den Zweck der ausrei- kehrsregelnde Massnahmen zur Erhöhung der Ver- chenden Grundschulausbildung nicht gefährden1. Dar- kehrssicherheit als auch für die Erstellung von Schul- aus ergibt sich, in Übereinstimmung mit der Rechtspre- wegplänen die entscheidende Voraussetzung. Stras- chung und Lehre, dass Kinder nicht nur Anspruch auf senverkehrsunfälle, vor allem Unfälle mit Fussgängerin- unentgeltlichen Unterricht, sondern auch auf einen nen und Fussgängern sowie Radfahrenden, geben Hin- Schulweg haben, der für sie zumutbar ist und dadurch weise auf gefährliche Stellen auf dem Schulweg. Die den Schulbesuch gewährleistet2. Gemäss Bundesge- Unfallunterlagen der Polizei enthalten wichtige Anga- setz über Fuss- und Wanderwege FWG (Art. 2 i.V.m. Art. ben zu jedem gemeldeten Unfall [2]. 6) und Strassenverkehrsgesetz SVG (Art. 6a) wird fest- gehalten, dass Kantone und Gemeinden unter ande- Da sich Kinder im komplexen Strassenverkehr noch rem dafür sorgen müssen, dass Wege und Strassen nicht sicher bewegen können, benötigen sie Unterstüt- möglichst gefahrlos begangen werden können. zung. Es können deshalb – abhängig vom Einzelfall – auch dann Massnahmen empfehlenswert sein, wenn Die Zumutbarkeit des Schulwegs richtet sich nach den die Unfallhäufigkeit an einer für Kinder besonders ge- konkreten Umständen im Einzelfall. Massgebend sind fährlichen Stelle unter dem Grenzwert für einen Unfall- sowohl die Länge, die Höhendifferenz bzw. die Topo- schwerpunkt liegt. Neben den Unfallkarten können hier grafie und die Gefährlichkeit des Schulwegs als auch Befragungen und Beobachtungen helfen, kritische Be- der Entwicklungsstand und die Gesundheit des jeweils reiche zu entdecken. Deshalb sollten Unfallauswertun- betroffenen Kindes3 [3; S. 226]. Bei der Beurteilung der gen für ein gesamtes Gebiet angestrebt werden, also Gefährlichkeit des Schulwegs gilt es zu beachten, dass z. B. für die Einzugsbereiche mehrerer Primarschulen jegliche Teilnahme am Verkehr mit Gefahren verbun- und die dazugehörigen weiterführenden Schulen (Ab- den ist, weshalb ein Schulweg nie vollkommen unge- bildung 1). Gute Schulwegsicherheit beginnt also mit ei- fährlich sein kann. Wesentlich ist daher, ob einem ner umfassenden Analyse der Unfälle im Gemeindege- Schulkind die bestehenden Gefahren zugemutet wer- biet. Solche Unfallanalysen können auf einen entspre- den können, mit anderen Worten, ob keine übermäs- chenden Handlungsbedarf hinweisen. sige Gefährlichkeit besteht. Sollte der Schulweg als un- zumutbar gelten, hat der Schulträger (Kanton bzw. Ge- 3. Rechtliche Aspekte meinde) zu gewährleisten, dass die schulpflichtigen Kinder sicher, zuverlässig und zeitgerecht zur Schule Die Bundesverfassung gewährleistet als Grundrecht ei- und zurückbefördert werden. Es liegt grundsätzlich in nen Anspruch auf ausreichenden und unentgeltlichen der Gestaltungsfreiheit des verantwortlichen Schulträ- Grundschulunterricht (Art. 19 und 62 der Bundesver- gers, sich für eine zweckmässige Lösung zu entschei- fassung BV). Nach Art. 62 Abs. 1 und Abs. 2 BV sorgen den (Transport mit öffentlichen Verkehrsmitteln, Ein- die für das Schulwesen zuständigen Kantone für einen richtung eines Schülertransportes, bauliche Massnah- ausreichenden, allen Kindern offenstehenden und an men, Lotsendienst, Mittagsverpflegung in der Schule öffentlichen Schulen unentgeltlichen obligatorischen usw.).4 Grundschulunterricht. Kinder und Jugendliche vom Kin- dergarten (soweit dieser obligatorisch ist) bis und mit der Sekundarstufe I (Zyklus 1–3) sind Träger dieses Rechts. Der Unterricht muss grundsätzlich am Wohnort 1 Urteil des Bundesgerichts 133/156 vom 7. Mai 2007, E.3.1. 2 Urteil des Bundesgerichts 2C_733/2018 vom 11. Februar 2019, E.5.2.1 3 Urteil des Bundesgerichts 2C_733/2018 vom 11. Februar 2019, E.5.2.1 und 2P.101//2005 vom 25. Juli 2005, E.5.1 4 Urteil des Bundesgerichts 2C_733/2018 vom 11. Februar 2019, E.5.2.1 8 Grundlagen
4. Entwicklungspsychologische Aspekte Informationsverarbeitung Der Schulweg nimmt für Kinder und Jugendliche einen Die Teilnahme am Strassenverkehr ist sehr anspruchs- wichtigen Stellenwert ein: Er trägt zur sozialen voll. Es müssen viele Informationen gleichzeitig berück- Entwicklung bei und dient gleichzeitig der Bewegungs- sichtigt und Entscheidungen getroffen werden (z. B. Wo förderung. Auf dem Schulweg können die Kinder aus- halte ich an? Stehen wirklich alle Räder still, auch dieje- serdem, ein sicheres und angepasstes Verhalten im nigen der Fahrzeuge auf der Gegenfahrbahn?). Kinder Strassenverkehr erlernen. Weil sich Kinder aber noch können noch weniger Informationen gleichzeitig verar- in der Entwicklung befinden, sind sie im Strassenver- beiten als Erwachsene. Sie sind deshalb darauf ange- kehr besonders gefährdet. Im Folgenden werden ei- wiesen, dass Verkehrssituationen möglichst einfach ge- nige für die infrastrukturelle Planung wichtige Aspekte staltet sind, z. B. mit einer Fussgängerschutzinsel, um je- dieses Entwicklungsprozesses kurz skizziert [4,5]. weils nur eine Fahrbahn überblicken zu müssen. Körperliche Entwicklung Aufmerksamkeit Die Körpergrösse der Kinder kann ihre Sicherheit im Solange sich Kinder und Jugendliche mit voller Auf- Strassenverkehr beeinträchtigen. Wegen der geringen merksamkeit auf den Strassenverkehr konzentrieren, Grösse sehen Kinder schlechter über Hindernisse hin- sind sie recht sicher unterwegs. Nicht immer richten sie weg (z. B. parkierte Autos, Hecken) und werden von den ihre Aufmerksamkeit aber auf die relevanten Dinge. Zu- Fahrzeuglenkenden weniger gut wahrgenommen. dem sind Kinder verspielt und leicht ablenkbar. Alltägli- Jüngere Kinder haben zudem oft einen starken Bewe- che Dinge, die Erwachsene oft gar nicht wahrnehmen, gungsdrang und können ihre Motorik noch nicht so gut können die ganze Aufmerksamkeit eines Kindes in An- kontrollieren (z. B. nicht rechtzeitig stoppen oder aus- spruch nehmen und es ablenken. Dann treten das Ge- weichen, überraschende Tempo- oder Richtungsän- fahrenbewusstsein, die Verkehrsregeln und das sichere derungen). Verhalten schnell in den Hintergrund. Wahrnehmung Impulskontrolle und Risikoverhalten Sicheres Queren von Strassen setzt die Identifikation Kinder, aber auch Jugendliche reagieren oft unüberlegt von sicheren Querungsstellen voraus, d. h. von Stellen und auf eine für andere Verkehrsteilnehmende nicht vor- mit ungehinderter Sicht auf herannahende Fahrzeuge. hersehbare Weise. Dies deshalb, weil sie ihr Handeln Es hat sich gezeigt, dass Kinder grosse Schwierigkei- noch nicht in jedem Moment steuern oder kontrollieren ten haben, solche sicheren Querungsstellen zu erken- können. So können spontane Impulse und Reaktionen nen. Um sicher queren zu können, müssen zudem Dis- (z. B. dem davonrollenden Ball hinterherrennen, quer tanzen und Geschwindigkeiten richtig eingeschätzt über die Strasse zu einer Freundin eilen) noch nicht im- werden. Auch das fällt Kindern schwer. Beides sind mer unterdrückt werden. aber wichtige Voraussetzungen, um passende Que- rungslücken zwischen den Fahrzeugen wahrnehmen Mit Beginn der Pubertät muss insbesondere bei den zu können. Überdies muss bei der Entscheidung zur Knaben mit einer ansteigenden Tendenz zu riskantem Querung auch die eigene Gehgeschwindigkeit einbe- Verhalten im Strassenverkehr gerechnet werden. Zwar zogen werden. Um diese komplexe Aufgabe zu bewäl- verfügt diese Altersgruppe über die elementaren Fähig- tigen, müssen nicht nur die geistigen Fähigkeiten weit keiten, sich im Strassenverkehr sicher zu verhalten. In genug entwickelt sein – die Kinder brauchen auch viel emotionalen Situationen, in der Gegenwart von Peers Erfahrung. oder dann, wenn impulsives Verhalten unterdrückt wer- den müsste, steigt jedoch die Wahrscheinlichkeit für un- vernünftige oder sicherheitsabträgliche Entscheidungen. Schulweg Grundlagen 9
«Kinder sind spontan, impulsiv und zeigen un- vorhergesehene Reaktionen.» Altersbezogene Unterschiede 2. Signal- und Regelkenntnis sowie deren Anwen- Es ist nicht möglich, pauschale Altersangaben zu dung: machen, ab wann ein Kind über eine bestimmte Fä- Bedeutung der wichtigen Signale für Velofah- higkeit verfügt oder wann es im Strassenverkehr si- rende und Verhaltensregeln kennen und zuver- cher alleine unterwegs sein kann. Die individuellen lässig anwenden (z. B. Linksabbiegen, Vortritts- Entwicklungsunterschiede sind gross. Klar ist aber, regeln usw.) dass die verschiedenen Fähigkeiten bei jüngeren Kin- 3. Velospezifisches Gefahrenbewusstsein: dern deutlich weniger weit entwickelt sind als bei äl- Kritische Situationen wie Ausfahrten, toter Win- teren. Die elementarsten, sensorischen und motori- kel, potenzielle Vortrittsmissachtungen usw. er- schen Fähigkeiten (z. B. Sehschärfe, räumliches Se- kennen und darauf reagieren können (z. B. not- hen, Richtungshören, Laufen, Hüpfen) sind zwar in falls auf Vortritt verzichten) der Regel bis zum Alter von ca. 6 Jahren recht gut entwickelt. Je mehr kognitive Fähigkeiten (z. B. Auf- Während des Velofahrens müssen verschiedenste merksamkeit, Denkvermögen, Impulskontrolle) es dieser Prozesse koordiniert und korrekt umgesetzt aber für eine Aufgabe braucht, desto später ist die werden. Velofahren stellt somit eine komplexe Mehr- Entwicklung abgeschlossen. Gewisse dieser Fähig- fachtätigkeit dar. Die höheren Fortbewegungsge- keiten entwickeln sich bis in die Pubertät oder gar bis schwindigkeiten erfordern zudem oft eine schnellere ins junge Erwachsenenalter hinein [4,6]. Im Strassen- Aufmerksamkeitszuwendung, schnellere Wahrneh- verkehr spielen kognitive Fähigkeiten eine sehr wich- mung, höhere Verarbeitungsgeschwindigkeit und tige Rolle. Zuverlässiges verkehrssicheres Verhalten eine kürzere Reaktionszeit als beim Zufussgehen [5]. kann von Kindern deshalb lange Zeit nicht erwartet werden. Ungeübtere Personen benötigen für die motorischen Elemente viel Aufmerksamkeit, die dann für die ande- Entwicklungspsychologische Aspekte: Fokus Velo ren Prozesse und die Verkehrsumwelt fehlt. Mit zu- Velofahren ist eine Fertigkeit, die verschiedene Kom- nehmender Übung werden die Bewegungen automa- ponenten beinhaltet. Dazu zählen motorische Ele- tisiert und die frei gewordene Aufmerksamkeit kann mente, kognitive Elemente und Fähigkeiten der senso- anderen Aufgaben gewidmet werden [10,11]. Da rischen Informationsverarbeitung [7,8]. Das heisst aber verschiedene für das Velofahren nötige Kompe- konkret: Kinder müssen neben den grundlegenden Fä- tenzen einer altersbedingten, lang andauernden Ent- higkeiten für die sichere Verkehrsteilnahme (z. B. Auf- wicklung unterliegen, kann auch bei Kindern, welche merksamkeit, Einschätzung von Distanzen und Ge- die Motorik des Velofahrens beherrschen, noch nicht schwindigkeiten, Perspektivenübernahme) folgende davon ausgegangen werden, dass sie nun sicher al- spezifischen Fähigkeiten/Fertigkeiten erwerben, um im leine im Strassenverkehr Velo fahren können. Strassenverkehr sicher Velo fahren zu können [5,8,9]: 1. Motorische Fähigkeiten: Auch Kinder/Jugendliche im Pubertätsalter sind auf Auf- und Absteigen, gerade Linien und Kurven dem Velo oft noch keine zuverlässigen Verkehrsteil- fahren, unvorbereitet und rechtzeitig bremsen nehmenden, z. B. bei Ablenkung, sozialer Interaktion (mit beiden Bremsen), Gangschaltung mit Gleichaltrigen oder infolge der zunehmenden Ri- angemessen betätigen, Schulterblick, sikofreudigkeit. Gewisse Situationen, wie z. B. das Handzeichen geben, Fahren über Hindernisse Linksabbiegen an ungesicherten Kreuzungen, sind und schräge Flächen, komplexere Aufgaben auch für sie noch äusserst anspruchsvoll [5]. Zudem wie z. B. gleichzeitig Schulterblick, Handzei- dürfte es auch ihnen noch an Erfahrung mit komple- chen geben und abbiegen xen Verkehrssituationen und Verständnis für gewisse Gefahrensituationen fehlen (z. B. Gefahr des Über- Schulweg Grundlagen 11
Abbildung 2: Eltern üben mit Kindern im Verkehr sehenwerdens durch Motorfahrzeuglenkende, Ge- Lernens in diesem Alter ist das Lernen am Vorbild. Es fährlichkeit von Regelmissachtungen). Die Unfallsta- ist deshalb wichtig, dass sich Eltern und Betreuungs- tistik zeigt, dass auch Kinder/Jugendliche im Ober- personen im Strassenverkehr angemessen und kor- stufenalter bei schweren Kollisionen mit dem Velo in rekt verhalten, denn die Kinder ahmen die Erwachse- mehr als der Hälfte der Fälle als Hauptverursacher nen nach, insbesondere die unmittelbaren Bezugs- registriert werden (v. a. wegen Vortrittsmissachtun- personen. Darüber hinaus helfen einfache Regeln gen). Bei den Erwachsenen fällt dieser Anteil deutlich und Erklärungen, die Kinder in den Strassenverkehr geringer aus (rund 30 %). einzuführen (z. B. «am Strassenrand immer anhal- ten»). Später ist es wichtig, dass Eltern und Sicheres Velofahren bedarf ausreichend Übung und Betreuungspersonen mit den Kindern den Weg in den Erfahrung. Da das Velofahren nicht in allen Haushal- Kindergarten oder in die Schule einüben (Abbildung ten praktiziert wird und einige Kinder generell motori- 2). Kinder sollten zudem so lange wie nötig begleitet sche Schwierigkeiten haben [12], sollte nicht davon werden. ausgegangen werden, dass alle Kinder ab einem ge- wissen Alter mit dem Velo zur Schule fahren können. 5.2 Kindergarten und Schule Die individuellen Unterschiede dürften sehr gross Nebst Eltern und Betreuungspersonen sind auch Kin- sein. Zwar erhalten viele Kinder in der Verkehrsin- dergarten und Schule dazu angehalten, einen Beitrag struktion eine Veloausbildung und absolvieren eine zur Verkehrsbildung zu leisten. Hinweise dazu finden Veloprüfung. Dies ist aber nicht flächendeckend in sich in den jeweiligen Lehrplänen. Die Lerninhalte rei- der ganzen Schweiz der Fall. Für Kinder mit erhebli- chen von der Wahrnehmungsschulung bis zum Üben chen motorischen Mängeln bei der Velobeherr- von sicheren Verhaltensweisen. Idealerweise spre- schung reicht die Übungszeit in der Verkehrsinstruk- chen sich die Lehrpersonen mit der zuständigen Per- tion zudem nicht aus, um danach sicher alleine unter- son der Verkehrsinstruktion der Polizei ab. Während wegs zu sein. der Schulweg im Kindergarten und in den ersten Schuljahren (Zyklus 1) meist als Anlass für die Ver- 5. Verkehrsbildung kehrsbildung genutzt und teilweise auch an Eltern- Für die Verkehrssicherheit von Kindern und abenden thematisiert wird, stehen für die Verkehrs- Jugendlichen braucht es nebst Schulwegplanung und bildung in den höheren Schulstufen (Zyklus 2 und 3) verkehrstechnischen Massnahmen auch Verkehrs- meist leider kaum Unterrichtsressourcen zur Verfü- bildungsmassnahmen. Im Kleinkindalter sind es Eltern gung. und Betreuungspersonen, die den Kindern im Alltag die ersten sicheren Verhaltensweisen im Strassen- 5.3 Verkehrsinstruktion verkehr beibringen. Ab Kindergarten/ Schuleintritt ist Eine weitere, sehr wichtige Säule der Verkehrsbildung die Verkehrsbildung institutionalisiert. Die Inhalte ist die Verkehrsinstruktion durch speziell ausgebil- sollen sich am Entwicklungsstand der Kinder dete Polizistinnen und Polizisten. Diese arbeiten mit orientieren und gemäss den neuen Lehrplänen den Kindergärten und Schulen zusammen und über- (Lehrplan 21, Plan d’études romand, Piano di studio) nehmen einzelne Lektionen im Rahmen des obligato- kompetenzorientiert vermittelt werden. Die folgenden rischen Unterrichts (Abbildung 3). Während im Kin- Abschnitte beschreiben, welche Akteure an der dergarten und in den beiden ersten Schuljahren die Verkehrsbildung beteiligt sind. Verkehrsteilnahme zu Fuss oder mit fahrzeugähnli- chen Geräten im Zentrum steht, gewinnt ab dem drit- 5.1 Eltern und Betreuungspersonen ten Schuljahr das Velofahren an Bedeutung. Bereits im Kleinkindalter können Kinder erste Kompetenzen erlernen. Die unmittelbarste Form des 12 Grundlagen
«Warte – luege – lose – laufe» Beim Unterricht der Verkehrsinstruktion steht der Lern- sicherem Umfeld eingeübt und vertieft. Vielerorts wird transfer bzw. die Kompetenzorientierung im Zentrum, die Veloausbildung durch die Verkehrsinstruktion mit d. h., die Lerninhalte werden so aufbereitet, dass die einer Veloprüfung abgeschlossen (je nach Region theo- Kinder sie im Alltag 1:1 anwenden können. Dafür wer- retische und/oder praktische Prüfungen). Der Verkehrs- den die Lerninhalte spielerisch und anschaulich prä- unterricht durch die Polizei ist bei Kindern beliebt und sentiert und eingeübt, z. B. mit dem Pylonis-Unterrichts- von Eltern, Betreuungspersonen und Lehrpersonen koffer der BFU. sehr anerkannt: Polizisten sind Profis und glaubwürdige Respektpersonen, was nebst der Professionalität einen Nach ersten Übungen im Klassenzimmer wird der Un- weiteren positiven Effekt auf den Lernerfolg hat. terricht im realen Strassenverkehr fortgesetzt. Was im Schulzimmer vorbereitet wurde, wird in der Realität ein- Die den Polizeien zur Verfügung stehenden Ressourcen geübt und verinnerlicht. Wohl bekanntestes Beispiel sind kantonal, regional und kommunal unterschiedlich. dafür ist «Warte – luege – lose – laufe». Solche Merk- Auf der Kindergarten- und Primarschulstufe (Zyklus 1 sätze erleichtern den Kindern später das eigenständige und 2) können die Klassen erfreulicherweise mindes- Anwenden des Gelernten. Fürs sichere Velofahren wer- tens einmal im Jahr vom Verkehrsunterricht durch die den am Übergang zwischen Theorie und Praxis prakti- Polizei profitieren. Auf der Sekundarstufe 1 (Zyklus 3) ist sche Velo-Übungen im Schonraum eingebaut: Auf dem die Verkehrsbildung durch die Polizei aus Mangel an Pausenplatz oder im Verkehrsgarten wird das Handling Ressourcen meist nur sehr beschränkt möglich. Eine des Velos bzw. das Anwenden der Verkehrsregeln in breitere Abdeckung ist anzustreben. Abbildung 3: Kinder üben und lernen mit dem Verkehrsinstruktor Schulweg Grundlagen 13
IV. Beurteilungskriterien von Schulwegen Infrastruktur lässt sich nach sicherheitstechnischen Kriterien bewerten, Kinder nicht. Sie müssen üben, üben, üben. 1. Allgemeines In jedem Fall sind zwingend folgende Punkte situativ Oft wird von Eltern die Frage nach der Zumutbarkeit zu prüfen: von Schulwegen gestellt. Doch was heisst «Zumut- • Machbarkeit / Eingriffe in Privatareale barkeit»? Die Zumutbarkeit sagt aus, ob ein Kind rein • Investitionskosten physisch in der Lage ist, einen Schulweg alleine zu • Unterhaltskosten schaffen (Distanz, Höhendifferenz). Die Zumutbarkeit hängt entsprechend vom Alter jedes einzelnen Kin- • Dauer / Umfang der Massnahme des sowie von der Länge und Topografie des Schul- • Synergien für den Fuss-/Veloverkehr allgemein wegs ab. • Möglichkeiten für alternative Wegführung / alter- native Lösungsansätze Ein zweiter Aspekt ist die Beurteilung, ob ein Kind auf • Anzahl betroffene Kinder (kurz-, mittel-, langfristig) dem Schulweg bestimmte Gefahrenstellen meistern kann. Diese Fragestellung hängt von vielen Faktoren Die Erkenntnisse, die diesem Kapitel zugrunde lie- ab (Verkehrsmengen, Geschwindigkeit des motori- gen, beruhen zum einen auf der SVI-Forschungsar- sierten Individualverkehrs, vorhandene Infrastruktur beit «Sichere Schulwege – Gefahrenanalyse und usw.). Ist ein Schulweg nur schon aufgrund der Länge Massnahmenplanung», zum anderen auf Forschun- und Topografie nicht zumutbar, entfallen weitere ver- gen zur kindlichen Entwicklung [4,5]. kehrstechnische Abklärungen. 2. Schulweg zu Fuss Leider gibt es bis heute sehr wenig Forschung zu die- sem Thema, die Hilfestellung zu einer gefahrenorien- 2.1 Generelle Aspekte tierten Beurteilung der Schulwege gibt. Das vorhan- dene Forschungsmaterial wurde in den folgenden Zu Fuss zum Kindergarten und zur Schule zu gehen, Abschnitten aufbereitet. Die Angaben der Abbildun- hat positive Auswirkungen auf die Gesundheit der gen 39 bis 45 im Anhang (S. 47–48) aus «Sichere Kinder, auf ihre Persönlichkeitsentwicklung und Lern- Schulwege – Gefahrenanalyse und Massnahmenpla- fähigkeit. Regelmässige Bewegung stärkt zudem ihre nung» (Steiner R, Picard R, Leitner J et al.; 2016) [13] Abwehrkräfte, beugt Haltungsschäden und Überge- sind aber mit Vorsicht anzuwenden und lediglich als wicht vor und macht Spass. Es fördert die körperliche, grobe Hilfestellung zu verstehen. motorische und geistige Entwicklung. Ausserdem nehmen Kinder ihre Umgebung bewusster wahr und Zudem müssen in jedem Fall die einzelnen Örtlichkei- lernen, sich selbstständig im Verkehr zu bewegen. ten unter Berücksichtigung des Entwicklungsstandes des einzelnen Schulkindes hinsichtlich Verkehrssi- Im Rahmen der Beurteilung, ob Kinder den Schulweg cherheit beurteilt werden. zu Fuss allein schon schaffen, wird als erstes Krite- rium die Distanz hinsichtlich der altersbezogenen Falls Kinder nicht über die Voraussetzungen verfü- «Zumutbarkeit» der Kinder beurteilt. Ist die Distanz gen, einen Schulweg allein zurückzulegen und/oder grundsätzlich zumutbar, sind für die definitive Beur- keine angemessenen verkehrstechnischen Mass- teilung noch zwei weitere Aspekte zu prüfen: Die Ge- nahmen möglich sind, muss auf organisatorische fahrenstellen für den Fussverkehr längs und quer. Massnahmen zurückgegriffen werden. Ein zentrales Kriterium bei der Wahl der Massnahmen ist die «Ver- hältnismässigkeit». 14 Beurteilungskriterien von Schulwegen
«Manche Kompetenzen, die es für das sichere Velofahren braucht, unterliegen einer alters- bedingten, lang andauernden Entwicklung.» 2.2 Zumutbarkeit toren, die in die Beurteilung einbezogen werden sollen. Es kann davon ausgegangen werden, dass 4- und 5- Auf Ausserortsstrecken sind Mischverkehrsflächen Jährige mit max. 1 bis 2 km/h unterwegs sind5. Der grundsätzlich nicht geeignet. Schulweg dauert daher bei 500 m zwischen 15 und 30 Minuten. Ab dem Alter von 6 Jahren kann davon aus- 2.3.2 Fussverkehr quer gegangen werden, dass Kinder mit ca. 3 bis 4 km/h un- Analog dem Kriterium «Fussverkehr längs» sind für die terwegs sind6. Ein 1000 m langer Schulweg dauert in Beurteilung der Querungen die Verkehrsmenge und das dieser Altersgruppe demnach zwischen 15 bis 20 Mi- Geschwindigkeitsregime wichtig (VIII. Anhang, Abbil- nuten7. dung 42, S. 48). Für Querungen entscheidend sind zu- dem die Sichtbeziehungen. Das Massnahmenspektrum In Gruppen bewegen sich Kinder tendenziell langsamer. der Sicherheitsmassnahmen ist sehr gross. Auch hier Zu beachten ist auch, dass die Topografie und die Be- gilt es, situativ die beste Lösung zu finden. schaffenheit des Wegs (insbesondere im Winter) starke Auswirkungen auf die zumutbare Strecke haben kön- 3. Schulweg mit dem Velo nen. 3.1 Generelle Aspekte Im Sinn von Leistungskilometern sind die Höhenunter- Velofahren im Strassenverkehr ist eine anspruchsvolle schiede in die Distanz einzurechnen8. 100 m Höhenun- Tätigkeit, die verschiedene Fähigkeiten und Fertigkeiten terschied entsprechen bei allen Altersstufen einem zu- voraussetzt: Motorische Fähigkeiten, Signal- und Regel- sätzlichen Kilometer. Ein Beispiel: gemessene Distanz kenntnis, velospezifisches Gefahrenbewusstsein, Koor- zwischen A und B = 600 m, Höhenunterschied zwi- dination verschiedener Prozesse. Manche Komponen- schen A und B = 100 m. D. h., Leistungskilometer sind ten, die es für das sichere Velofahren braucht, unterlie- 600 m + 1000 m = 1600 m, somit gelten die 1,6 km gen einer altersbedingten, lang andauernden Entwick- als bereinigte Distanz (VIII. Anhang, Abbildung 39, S. lung (Kap. III.4, S. 9). Daher ist gerade bei jüngeren Kin- 47). dern von der Benützung des Velos für den Schulweg ab- zuraten. Hinzu kommen im Bereich des Velofahrens inf- 2.3 Gefahrenkompetenz rastrukturelle Probleme, die in den Gemeinden häufig anzutreffen sind: 2.3.1 Fussverkehr längs • Fehlende Velonetzplanung gerade für das Basis- Die Überprüfung des Schulwegs ist entsprechend den netz. Bisher wird der Veloverkehr häufig «einfach» jeweiligen Alterskategorien vorzunehmen. Entlang von mit dem motorisierten Verkehr mitgeführt. wenig frequentierten Strassen mit einem tiefen Ge- • Keine abseits geführte, sichere Veloinfrastruktur schwindigkeitsregime sind separate, ununterbrochene neben den Ausserortstrassen. Dies ist wegen der Flächen für den Fussverkehr nicht zwingend. Punktuelle grossen Geschwindigkeitsdifferenz für Velofahre- Sicherungsmassnahmen sind aber auch bereits bei tie- rinnen und Velofahrer gefährlich. fen Geschwindigkeitsregimes und geringen Verkehrs- mengen prüfenswert (VIII. Anhang, Abbildung 40, Die Beurteilung, ob ein Schulweg mit dem Velo alleine S. 47). Neben der Verkehrsmenge und dem Geschwin- zurückgelegt werden kann, erfolgt analog dem Schul- digkeitsregime sind für die Beurteilung auch der weg zu Fuss. Schwerverkehrsanteil und die Sichtbeziehungen Fak- 5 Urteil des Bundesgerichts 2C_495/2007 vom 27. März 2008, E. 2.3 6 Urteil des bundesgerichts 1C_1143/2018 7 Urteil des Bundesgerichts 2C_191/2019 vom 11. Juni 2019, E.3.2 8 Urteil des Bundesgerichts 2C_414/2015 vom 12. Februar 2016, E.4.4.2 Schulweg Beurteilungskriterien von Schulwegen 15
3.2 Zumutbarkeit ziehen. Ein hoher Schwerverkehrsanteil führt zu zu- Als erstes Kriterium wird die «Distanz» hinsichtlich sätzlichem Massnahmenbedarf. Die Sicherheits- Zumutbarkeit beurteilt, wiederum unterschieden massnahmen sind situativ und unter Berücksichti- nach Alterskategorie. Auch bei der Beurteilung des gung ihrer Verhältnismässigkeit zu bestimmen. Schulwegs mit dem Velo ist die Distanz aufgrund der Topografie zu bereinigen. Wie zu Fuss gilt die Faust- Eine Sonderform der Längsführung des Veloverkehrs regel, dass 100 Meter Höhenunterschied einem zu- ist das Mitbenützen des Trottoirs. Das Befahren von sätzlichen Kilometer entsprechen. Trottoirs mit dem Fahrrad ist grundsätzlich verboten. Ausnahmen können vorgesehen werden (Art. 43 Beispiel: Abs. 2 SVG). Eine solche Ausnahme gilt insbeson- Gemessene Distanz zwischen A und B = 600 m dere zur Schulwegsicherung. Laut Artikel 65 Abs. 8 Höhenunterschied zwischen A und B = 100 m SSV kann es Radfahrenden ausnahmsweise gestat- Bereinigte Distanz 600 m + 1000 m = 1600 m vgl. tet werden, das Trottoir zu befahren. Das muss signa- (Anhang, VIII, Abbildung 43, S. 48) lisiert werden und ist nur auf relativ stark befahrenen Strassen und schwach begangenen Trottoirs mög- Bei sehr komplexen Verkehrsverhältnissen ist diese lich. Distanz ebenfalls zu bereinigen: Aufgrund der hohen An- forderungen an die Konzentrationsfähigkeit ist die zu- Im Innerortsbereich sind die Trottoirs für velofah- mutbare Distanz zu reduzieren. Grundsätzlich sollte die rende Kinder wegen der zahlreichen Einmündungen Fahrzeit pro Weg (resp. pro Fahrtrichtung) nicht mehr als und Querstrassen keineswegs ungefährlich, insbe- 40 Minuten (bei einer Fahrgeschwindigkeit von ca. sondere, wenn gegen die Fahrtrichtung auf dem Trot- 12 km/h)9 betragen. Es ist zudem möglich, dass Kinder, toir gefahren wird. Unübersichtliche Hauseingänge, wenn sie in einer Gruppe unterwegs sind, langsamer Ausfahrten aus Garagenvorplätzen und Parkplätzen fahren. sowie sichtbehindernde Bepflanzungen bergen das Risiko von Kollisionen. Zudem ist jedes fahrende Velo Kann die bereinigte Distanz grundsätzlich als «zu- auf dem Trottoir eine potenzielle Gefahr für Fussgän- mutbar» eingestuft werden, sind für die definitive Be- gerinnen und Fussgänger – und somit auch für an- urteilung der Bewältigbarkeit zusätzlich die Gefähr- dere Kinder. lichkeit hinsichtlich dem längsfahrenden (VIII. An- hang, Abbildung 44, S. 48) und dem querenden Ve- Die neue Regelung, dass Kinder bis 12 Jahre auf loverkehr (VIII. Anhang, Abbildung 45, S. 48) zu beur- dem Trottoir fahren dürfen, wenn es keinen Radweg teilen10. oder Radstreifen gibt, ändert nichts an dieser Bewer- tung und ist nicht zu empfehlen. Die Altersgrenze von 3.3 Gefahrenkompetenz 12 Jahren ist deutlich zu hoch angesetzt. Es sind dann punktuell zu viele Velofahrende auf dem Trottoir 3.3.1 Veloverkehr längs unterwegs. Zudem ist aufgrund der höheren kineti- schen Energie (Masse und Geschwindigkeit) der älte- Abhängig vom Geschwindigkeitsregime und der Ver- ren Kinder und ihrer Velos im Falle von Kollisionen mit kehrsmenge sind für den Veloverkehr Massnahmen, Fussgängerinnen und Fussgängern sowie kleineren z. B. separate Flächen, notwendig. In diese Beurtei- Kindern auf einem Kinderrad mit gravierenderen Un- lung ist auch der Schwerverkehrsanteil einzube- fallfolgen zu rechnen. In Anbetracht der gegebenen 9 Urteil des Bundesgerichts 2 P.101/2004 vom 14. Oktober 2004 10 Entscheid des Erziehungs- und Kulturdepartements Luzern vom 29. September 2000, E.6c und Entscheid des Bildungs- und Kulturde- partements, LGVE 2004 III Nr.16 vom 29. Januar 2004 16 Beurteilungskriterien von Schulwegen
Rahmenbedingungen und unter Abwägung der Vor- 5. Schulweg mit öffentlichen Verkehrsmitteln und Nachteile empfiehlt die BFU, Kindern das Velo- Das Zurücklegen des Schulwegs mit öffentlichen Ver- fahren auf Trottoirs höchstens bis zum 8. Geburtstag kehrsmitteln (ÖV) ist für 4- bis 6-jährige Kinder allein zu erlauben. Dabei ist sicherzustellen, dass Eltern grundsätzlich nicht zumutbar11. Je nach Örtlichkeit ihre Kinder auf dem Trottoir nicht in falscher Sicher- ist der Weg mit ÖV für die 6- bis 8-Jährigen zumutbar, heit wähnen. sofern keine langen Wartezeiten bestehen und nicht umgestiegen werden muss. In der Gesamtbeurtei- Aufgrund der Gesetzesänderung wird es die Regel lung des Schulwegs ist zwingend auch der Weg zur sein, dass bis 12-Jährige auf dem Trottoir fahren. In- Haltestelle zu berücksichtigen, der analog (Kap. VII.4) folgedessen müssen Trottoirs infrastrukturell verbes- zu beurteilen ist (VIII. Anhang, Abbildung 41, S. 47). sert werden (Verbreiterung, Entfernen von Sichthin- dernissen, keine Abstellflächen für Kehricht usw. auf Trottoir etc.), wann immer der Veloverkehr innerorts im Mischverkehr geführt wird und wo velofahrende Kinder bis 12 Jahre das Trottoir mitbenützen. 3.3.2 Veloverkehr quer Bei höherem Verkehrsaufkommen ist für den Velover- kehr bei wichtigen Abbiegebeziehungen eine Que- rungs- und/oder Abbiegehilfe notwendig (z. B. Ange- bot für indirektes Abbiegen, Velofurt oder Schutzin- sel). Die Sicherheitsmassnahmen sind situativ und unter Berücksichtigung ihrer Verhältnismässigkeit zu bestimmen. 4. Schulweg mit fahrzeugähnlichen Geräten (fäG) Fahrzeugähnliche Geräte (fäG) – dazu gehören u. a. Trottinette – sind aus Sicht der Verkehrssicherheit nicht für den Schulweg zu empfehlen. Auch wenn die- ser länger ist, um zu Fuss noch als zumutbar einge- stuft werden zu können, sollten fäG nicht als Alterna- tive in Betracht gezogen werden. Diese Geräte verlei- ten die Kinder mehr zum Spielen und «schnell sein» als zum konzentrierten Fahren. Erfahrungen aus dem Schulwegalltag zeigen, dass Kinder mit fäG den Schulweg im Strassenverkehr nicht aufmerksam ge- nug zurücklegen und es deshalb gefährlich ist, wenn Kinder mit dem fäG zur Schule kommen. 11 Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern 100 2013 433 vom 15. Juli 2014 Schulweg Beurteilungskriterien von Schulwegen 17
V. Konzeptionelle Massnahmen Hilfestellungen für Eltern und Schule sind vorhanden. Sie müssen nur an- gewandt werden. Dann kommen die Kinder sicher zur Schule. 1. Übersicht • deckt mittels Befragung der Kinder, Eltern und Eltern und Kinder können in der Regel nicht genau Lehrpersonen die subjektiven Gefahrenstellen wissen, welcher von mehreren möglichen Wegen von auf den Schulwegen auf. der Wohnung zur Schule der sicherste ist. Der • bezieht das Unfallgeschehen der letzten fünf kürzeste Weg kann sich als gefährlich herausstellen. Jahre mit ein. Daher helfen die im Folgenden beschriebenen • beinhaltet eine themenspezifische Road Safety konzeptionellen Massnahmen, sichere Schulwege zu Inspection (RSI), aber nur der in der Befragung finden respektive unsichere Stellen durch gezielte genannten Stellen. Massnahmen sicherer zu machen. • resultiert in einem Massnahmenvorschlag zur Behebung der identifizierten Gefahrenstellen. Unter konzeptionellen Massnahmen sind insbeson- dere die Erarbeitung eines Schulwegplans und die Er- • kann bei Bedarf um Sensibilisierungs- stellung eines «Mobilitätskonzepts Schule» zu verste- massnahmen der verschiedenen Interessen- hen. Beide Methoden binden Behörden, Schulen so- gruppen ergänzt werden. wie Eltern und Kinder bei der Erarbeitung ein. Die grundlegenden Unterschiede sind in der Komplexität 2. Schulwegplan zu sehen: während das Mobilitätskonzept auf die Ört- 2.1 Ausgangslage lichkeiten eingeht, die von den Eltern als gefährlich eingestuft werden, wird beim Schulwegplan das ge- Basis für eine erfolgreiche Schulwegplanung sind Un- samte Gemeindegebiet auf Gefahrenstellen für Kin- fallanalysen, bauliche, verkehrsregelnde sowie orga- der mithilfe normierter Methoden untersucht. nisatorische Massnahmen. Schulwegplanung ist als eine gemeinsame Aufgabe für Behörden, Polizei, Der Schulwegplan Schulen, Eltern und Kinder zu sehen. Der Schulweg- plan als Endergebnis soll dabei aufzeigen, welcher • wird durch die Gemeinde erstellt. Weg für die Schülerinnen und Schüler am sichersten • umfasst eine flächendeckende, ist. Er macht z. B. deutlich, auf welcher Strassenseite themenspezifische Road Safety Inspection [14] gegangen und wo die Strasse überquert werden soll der Gemeindestrassen aus Sicht der Kinder. und wo ggf. Gefahrenstellen bestehen, die zu umge- • zeigt die Gefahrenstellen auf den Schulwegen hen sind. auf, die durch die Inspection und durch den Einbezug des Unfallgeschehens in der 2.2 Arbeitsgruppe «Schulwegsicherheit» Gemeinde ermittelt wurden. Sie werden ergänzt Es ist sinnvoll, unter der Leitung einer Behörde sowohl durch Hinweise der Eltern, die Örtlichkeiten bei der Erarbeitung als auch bei der Umsetzung von subjektiv als unsicher empfinden. Schulwegplänen eine Arbeitsgruppe «Schulwegsi- • macht Massnahmenvorschläge zur Behebung cherheit» zu gründen. Eine längerfristige Zusammen- der Gefahren- und Unfallstellen. arbeit ist anzustreben. In dieser Arbeitsgruppe arbei- • resultiert in einem Plan der empfohlenen, ten Eltern, Mitglieder der Schulbehörde, Polizei, Sig- sicher(er)en Schulwege. nalisationsbehörde sowie die Bau- und Planungsbe- hörde mit. Das Mobilitätskonzept Schule • ist ein kostenpflichtiges Angebot des VCS für Gemeinden und Schulen – für die Gemeinde fällt nur wenig Arbeit an. 18 Konzeptionelle Massnahmen
Abbildung 4: Auszug eines Schulwegplans in Zürich 2.3 Erarbeitung von Schulwegplänen 2.3.2 Analyse der Unfälle Zunächst sind die Unfallauswertungen der Polizei 2.3.1 Grundlagen heranzuziehen. Da Fussgänger- und Radfahrerun- Der Schulwegplan umfasst in der Regel den gesam- fälle mit Kindern relativ selten sind, sollen alle Unfälle ten Einzugsbereich der Schule. Aus Lesbarkeitsgrün- mit Fussgänger- und Radfahrerbeteiligung aus fünf den (Massstab) ist aber eine Entfernung von 1500 m Jahren ausgewertet werden (Kap. III.2, S. 8). von der Schule nicht zu überschreiten. Kartenmate- rial kann in den Geoportalen der Kantone oder des 2.3.3 Themenspezifisches RSI Bundes gefunden werden: z. B. Massstab 1:5000 für Im Auftrag der Gemeinde oder des Kantons führt ein weniger dicht besiedelte Gebiete oder Massstab zertifizierter Road-Safety-Inspektor ein themenspezi- 1:2500 für städtische Regionen fisches RSI zum Thema Schulwegsicherheit auf dem betroffenen Strassennetz durch. Die Gemeinde kann Der Schulwegplan baut auf den folgenden Untersu- anschliessend mittels geeigneter Massnahmen chungsschritten auf: diese Gefahrenstellen beseitigen. • Analyse der Unfälle mit Personenschaden der letzten fünf Jahre; Unfälle mit Fussgänger- und 2.3.4 Information der Behörden zur Situation Radfahrerbeteiligung sind besonders zu beach- Die Verkehrsanlagenmerkmale, die für die Schulwegsi- ten. cherheit wichtig sind, werden gesammelt und in den • Informationen der Behörden zur Situation der Schulwegplan eingetragen – z. B. Fussgängerquerungs- baulichen und verkehrstechnischen Gegeben- stellen, Radstreifen, Radwege, Mehrzweckstreifen als heiten; zu beachten sind auch geplante Bau- Linksabbiegehilfe und vieles mehr. massnahmen. • Themenspezifische Road Safety Inspection – RSI Falls längerfristige Baustellen in einer Gemeinde ge- (Ortsbesichtigung im Hinblick auf die Verkehrssi- plant sind, die z. B. zu zusätzlichen Gefahren für Fuss- cherheit). Dabei werden alle Sicherheitsdefizite gängerinnen und Fussgänger sowie für Velofahrerin- der Verkehrsinfrastruktur aus Sicht der Schüle- nen und Velofahrer führen, ist diese auch bei der RSI rinnen und Schüler (zu Fuss oder mit dem Velo) zu berücksichtigen und die Ergebnisse sind bei der beurteilt und das jeweilige Unfallrisiko abge- Schulwegempfehlung zu beachten. Nach Durchfüh- schätzt. rung der Baumassnahmen können sich die Randbe- • Elternbefragung: Wie sehen die bisherigen dingungen für Schulwegempfehlungen möglicher- Schulwege aus? Wo sehen die Eltern besonders weise ändern. gefährliche Stellen? 2.3.5 Elternbefragung • Verhaltensbeobachtungen: Wo überqueren Kin- der besonders oft? Wo gehen Kinder gerne hin Erkenntnisse über einzelne, für Kinder kritische Stel- (Kiosk, Spielplatz, Gewässer)? Welche Linksab- len lassen sich häufig nur über die Eltern ermitteln. biegestellen verleiten zu gefährlichem Velofah- Eine Elternbefragung hat den Vorteil, die Eltern stär- ren? Wo bestehen Netzlücken für den Velover- ker für sichere Schulwege zu sensibilisieren und sie kehr? Verhaltensbeobachtungen könnten ggf. El- an der Erstellung des Schulwegplans zu beteiligen. ternbefragungen ersetzen und mit Ortsbesichti- gungen kombiniert werden. Am besten eignet sich eine schriftliche Befragung, um den Aufwand für Eltern und Schulen möglichst ge- Im Folgenden wird auf diese Untersuchungsschritte ring zu halten. Ein Beispiel für einen Fragebogen zeigt näher eingegangen. die Abbildung im Anhang auf S. 50. Schulweg Konzeptionelle Massnahmen 19
Die gemeldeten Gefahrenpunkte werden von der Ar- • Durch die Gesetzesänderung, die zulässt, dass beitsgruppe Schulwegsicherheit (Kap. V.2.3.2) über- Kinder bis 12 Jahre mit dem Velo das Trottoir prüft und ausgewertet. Erfahrungsgemäss enthalten benützen dürfen, ist die Breite des Trottoirs in die Elternangaben neben tatsächlich problemati- Abhängigkeit der Fussgänger- und schen Stellen auch relativ risikoarme Punkte. Dort ge- Velofrequenzen zu wählen12. nügen kleine Tipps zum Verkehrsverhalten als Hilfe- stellung. Je komplizierter die Empfehlungen und je grösser die Umwege sind, umso geringer wird die Akzeptanz 2.3.6 Verhaltensbeobachtung sein. Schulwegpläne müssen einfach zu verstehen Für Verbesserungsmassnahmen im Strassenraum sein. Empfehlungen sind nur dort zu geben, wo die ist es wichtig zu wissen, wo die Kinder tatsächlich ge- Verkehrsverhältnisse schwierig sind. hen und wie sie sich dabei verhalten. Dabei können Normalerweise kann auf eine Empfehlung verzichtet Beobachtungen helfen. Am besten geschieht dies zu werden bei Zeiten, zu denen möglichst viele Schulkinder unter- • Tempo-30-Zonen, in denen wenig Verkehr wegs sind (morgens vor Schulbeginn und direkt nach herrscht und wo die Sichtverhältnisse Schulschluss), durch ortskundige und verkehrserfah- ausreichend sind; rene Personen wie z. B. Mitarbeiter der Signalisati- onsbehörde, der Polizei, durch Lehrerinnen und Leh- • Sackgassen; rer oder Elternvertreterinnen und Elternvertreter. • sonstigen Stellen mit geringem und langsamem Verkehr und ausreichender Sicht; 2.3.7 Auswahl der empfehlenswerten • Strassen mit nur einem Trottoir, das von den Schulwege Kindern automatisch benützt wird; Die Auswahl der empfehlenswerten Schulwege • Strassen mit durchgehenden und ausreichend erfolgt anhand folgender Aspekte: breiten Radwegen. • Möglichst seltene Überquerung insbesondere von stark befahrenen Strassen. Stellen, die möglichst zu vermeiden sind, werden im • Notwendige Querungen möglichst nur an Knoten Schulwegplan entsprechend markiert. und Einmündungen sowie bei Querungshilfen. 2.3.8 Aktualisierung und Überarbeitung • Überqueren auf Strecken zwischen Der beste Plan ist wertlos, wenn er nicht aktuell ist. Knotenpunkten nur dort, wo Querungshilfen z. B. Verkehrsentwicklungen, Zusammenlegung von in Form von Fussgängerschutzinseln, Schulen und Bauaktivitäten verändern immer wieder Fussgängerstreifen oder Lotsendiensten die Verkehrssituation. Deshalb ist der Schulwegplan bestehen. regelmässig zu überarbeiten. • Es besteht ein ausreichend breites Trottoir ohne Sichthindernisse für die Fussgängerlängsführung auf der empfohlenen Strassenseite. 12 Forschungsprojekt VSS 2016/623. Entwurf und Gestaltung von durch Fuss- und Fahrverkehr gemeinsam genutzten Flächen im urbanen Raum. Noch nicht veröffentlicht. Stand Oktober 2020. 20 Konzeptionelle Massnahmen
Abbildung 5: Schulwegplan des VCS im Kanton Waadt 3. Das «Mobilitätskonzept Schule» des VCS der BFU) eine Begehung vor Ort durch. Jede ge- nannte Gefahrenstelle wird begutachtet, fotogra- 3.1 Grundidee fiert und analysiert (analog Schulwegplan – je- Das «Mobilitätskonzept Schule» ist ein Produkt des doch nicht flächendeckend). Daraus resultiert ein Verkehrs-Club der Schweiz VCS, welches den Ge- Bericht mit konkreten Empfehlungen zur Erhö- meinden als massgeschneidertes Angebot zur Verfü- hung der Schulwegsicherheit. gung gestellt wird. Ein «Mobilitätskonzept Schule» • Information und Sensibilisierung kann eine oder auch mehrere Schulen und Kindergär- Die Eltern erhalten ein Schreiben mit den wich- ten abdecken. tigsten Ergebnissen, erfahren, wie sie zur Schul- wegsicherheit ihres Kindes beitragen können Das «Mobilitätskonzept Schule» ist in folgende fünf und wie wichtig der selbstständig bewältigte Schritte gegliedert: Schulweg für die Entwicklung ist. • Mobilitätsumfrage Begleitend thematisieren die Lehrpersonen den Die Kinder, deren Eltern und die Lehrerschaft so- Schulweg und sicheres Verhalten im Strassenver- wie bei Bedarf weitere Involvierte äussern sich kehr im Unterricht – Vorschläge und Unterlagen mittels auf die Interessengruppe zugeschnittener werden ihnen zur Verfügung gestellt. Fragebogen zur aktuellen Schulwegsituation und markieren die zurückgelegten Schulwege und • Evaluation gefährliche Stellen auf einer Karte. Diese schrift- Rund ein Jahr nach Abschluss des «Mobilitäts- liche Umfrage wird auf die Gegebenheiten der konzepts Schule» zieht der VCS zusammen mit Gemeinde angepasst. der Gemeinde Bilanz über den durchlaufenen Prozess und bespricht das weitere Vorgehen. Oft • Mobilitätsbilanz zeigt sich: Wirkungsvolle Massnahmen müssen Ein Bericht mit den Umfrageergebnissen und nicht zwingend aufwendig oder teuer sein. aufbereitetes Kartenmaterial geben ein genaues Bild der aktuellen Schulwegsituation. Die Karten visualisieren die ermittelten Schülerströme und die von den Eltern und Lehrpersonen identifizier- ten Gefahrenstellen. • Begehung vor Ort und Empfehlungen Auf Basis des erarbeiteten Kartenmaterials füh- ren die Fachleute des VCS und ein zertifizierter Road-Safety-Inspektor (in der Regel vonseiten Schulweg Konzeptionelle Massnahmen 21
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