Schutzhandeln bei Hochwasser, Hitze und Co - Umweltpsychologische Theorien für die Naturrisikenforschung - Universität ...

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Schwerpunkt

    Schutzhandeln bei Hochwasser, Hitze
    und Co. – Umweltpsychologische
    Theorien für die Naturrisikenforschung
    Anna Heidenreich, Sabrina Köhler, Sebastian Seebauer & Torsten Masson

                                   Anna Heidenreich                                                                  Sebastian Seebauer
                                   ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am                                            ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei
                                   Institut für Umweltwissenschaften und                                             der JOANNEUM RESEARCH Forschungs-
    Geographie an der Universität Potsdam. Im Kontext Naturrisiken                         gesellschaft. Seine Forschungsschwerpunkte sind private Anpas-
    befasst sie sich insbesondere mit Risikokommunikation, Risiko-                         sung an Naturgefahren und die Nutzung energieeffizienter Tech-
    wahrnehmung und Vorsorgeverhalten. Nach dem Psychologiestu-                            nologien in Wohnen und Mobilität. Frühere Tätigkeiten u.a. an
    dium in Jena, Budapest und Magdeburg war sie an der Fachhoch-                          der Universität Graz, den Technischen Universitäten Wien und
    schule Bielefeld tätig.                                                                Graz sowie als selbständiger Marktforscher.

                                   Sabrina Köhler                                                                    Torsten Masson
                                   ist Doktorandin am Lehrstuhl für Sozi-                                            arbeitet als wissenschaftlicher Mitar-
                                   alpsychologie an der Universität Leip-                                            beiter am Lehrstuhl für Sozialpsycho-
    zig. Sie befasst sich mit Themen der Umweltpsychologie, insbe-                         logie an der Universität Leipzig. Er forscht zu sozialem Einfluss in
    sondere mit dem Einfluss sozialer Identität auf kollektives                            Gruppen und motivierter sozialer Kognition, vor allem im Kontext
    Schutz- und Hilfeverhalten im Bedrohungskontext.                                       umweltschonenden Handelns. Davor war er u.a. an der Fachhoch-
                                                                                           schule Bielefeld und am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung
                                                                                           - UFZ tätig.

    92                                       Umweltpsychologie, 24. Jg., Heft 2, 2020, 92-109

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Zusammenfassung                                                              Abstract
             In den vergangenen Jahrzehnten haben ganz       Protective action against flooding, heat etc.
             Europa und im speziellen Deutschland zahlrei-   – Theories from Environmental Psychology
             che Wetterextreme erlebt, die finanzielle Schä- for Natural Hazards Research
             den in Milliardenhöhe verursacht und zehntau-   In the past decades, we have experienced nu-
             sende Todesopfer gefordert haben. Naturgefah-   merous weather extremes that caused large fi-
             ren wie Hochwasser, Starkregen und Hitzewel-    nancial damage and killed ten thousands of
             len können durch den fortschreitenden Klima-    people across Europe and Germany in particu-
             wandel häufiger und stärker auftreten. Durch    lar. Natural hazards such as flooding, heavy rain-
             Vorsorgemaßnahmen kann das Schadensausmaß       fall and heat waves are likely to occur more fre-
             gemindert und die Gesundheit der Bevölkerung    quently and more intense as a result of climate
             geschützt werden. Es ist jedoch nicht nur staat-change. Protection measures can reduce damage
             liche Vorsorge geboten, wie der Bau von Dei-    and improve public health. However, not only
             chen und Spundwänden. Die Bürger*innen          public protection is needed, such as the con-
             sind auch gefordert, selbst vorzusorgen.        struction of dykes and sheet pile walls. Citizens
                                                             are also responsible to take up private precau-
             In der aktuellen Risikoforschung werden ver- tion.
             schiedene psychologische Theorien angewandt,
             um privates Schutzhandeln zu erklären.Wir stel- In current risk research various theories are ap-
             len die Protection Motivation Theory (PMT), plied to explain private protection behaviour.
             das Protective Action Decision Model (PADM) We introduce the Protection Motivation Theo-
             und das Risk Information Seeking and Proces- ry (PMT), the Protective Action Decision
             sing Model (RISP) vor, vergleichen deren Er- Model (PADM) and the Risk Seeking and Pro-
             klärungskraft und praktische Bedeutung und cessing Model (RISP), compare their explana-
             schlagen Anpassungen und Erweiterungen der tory power and practical significance, and pro-
             bestehenden Theorieangebote für die zukünf- pose theoretical adaptations and extensions for
             tige Naturrisikoforschung vor.                  future research on natural hazards.

             Wir empfehlen, kollektives Schutzhandeln stär-                               We recommend a stronger focus on collective
             ker in den Fokus zu rücken, Schutzhandeln als                                action in protection behaviour. Furthermore,
             Prozess zu untersuchen und das Raumerleben                                   protective action should be explored as a grad-
             im Kontext von Naturrisiken zu erforschen.                                   ual learning and adaptation process. Finally, we
             Etablierte Forschungsansätze aus der Umwelt-                                 describe how methods like cognitive mapping
             psychologie und anderen Disziplinen können                                   can be applied in natural hazards research. This
             auf die Naturrisikenforschung übertragen wer-                                article serves as an overview on expertise from
             den. Der Artikel dient als Überblick über die                                environmental psychology for practitioners of
             umweltpsychologische Expertise und gibt Prak-                                disaster risk management.
             tiker*innen Anknüpfungspunkte für die Unter-
             stützung des Risikomanagements, insbesondere                                 Keywords: Natural hazards, self-provision, com-
             die Risikokommunikation.                                                     parison of models, climate change adaptation,
                                                                                          environmental behaviour
             Schlüsselwörter: Naturgefahren, Eigenvorsorge,
             Modellvergleich, Klimawandelanpassung, Um-
             weltverhalten

                                                                                          Heidenreich, Köhler, Seebauer & Masson             93

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Schwerpunkt                                                                               mit dem Ziel, sich selbst vor Schäden durch eine
                                                                                                   (mögliche oder aktuelle) Naturgefahr zu schüt-
                     1          Schutz vor klimabedingten                                          zen, ergriffen werden können. Das schließt so-
                                Naturgefahren                                                      wohl Bauvorsorge, also bauliche Maßnahmen,
                                                                                                   die direkt am eigenen Haus bzw. der eigenen
                     Durch den anthropogenen Klimawandel ereig-                                    Wohnung durchgeführt werden, als auch Ver-
                     nen sich unterschiedliche Extremwetterereig-                                  haltensvorsorge mit ein, also eine Anpassung
                     nisse vielerorts zum Teil häufiger oder in stärke-                            und Ergänzung der alltäglichen Handlungen.
                     rer Intensität als in der Vergangenheit und es ist                            Bei Bauvorsorge handelt es sich zumeist um
                     wahrscheinlich, dass sich dieser Trend fortsetzen                             Maßnahmen, die einmalig durchgeführt werden
                     und verstärken wird (IPCC, 2012, 2014; Blun-                                  und häufig eine kostspielige Investition darstel-
                     den & Arndt, 2019). Hitzewellen, Hochwasser,                                  len (z. B. wasserdichte Fenster einbauen, den
                     Starkregen, Stürme und andere Extremereignis-                                 Öltank gegen Aufschwimmen sichern, eine
                     se treten für viele Betroffene oft überraschend                               Markise zur Verschattung der Wohnung anbrin-
                     auf und können dadurch starke, teils lebensbe-                                gen). Maßnahmen der Verhaltensvorsorge sind
                     drohliche Auswirkungen annehmen. So kam es                                    oft mit geringeren oder keinen monetären Kos-
                     beispielsweise in den Jahren 2002 und 2013 ent-                               ten verbunden, entfalten ihren vollen Nutzen
                     lang der Elbe und Donau zu extremen Hoch-                                     aber zumeist nur, wenn sie routiniert im Alltag
                     wassern, die Schäden von insgesamt über 17                                    durchgeführt werden. Regelmäßiges Abrufen
                     Milliarden Euro verursachten und 35 Men-                                      der aktuellen Warnlage, Absprachen mit der Fa-
                     schenleben forderten (DKKV, 2015). Mit dem                                    milie oder Hausgemeinschaft zu Maßnahmen
                     Hitzesommer 2003 werden in ganz Europa                                        im Ernstfall und das Bereitstellen (und regelmä-
                     70.000 Todesfälle in Verbindung gebracht (Ro-                                 ßige Kontrollieren) eines „Notfallkoffers” fallen
                     bine, Cheung, Le Roy,Van Oyen, Griffiths, Mi-                                 in diesen Bereich.
                     chel & Herrmann, 2008); den gehäuften Hitze-
                     tagen im Sommer 2018 werden allein in Berlin Privates Schutzhandeln ist eine wichtige Ergän-
                     490 Todesfälle zugeschrieben (an der Heiden, zung zu staatlichen Schutzmaßnahmen. Jedoch
                     Buchholz & Uphoff, 2019).                          konnten Befragungen aufzeigen, dass die Mehr-
                                                                        heit der Menschen, die zum Beispiel in hoch-
                     Oft kommt es zu diesen Verlusten sowie im- wassergefährdeten Gebieten leben, weder über
                     mensen monetären, physischen und psychischen ihr Hochwasserrisiko nachdenkt noch sich für
                     Schäden wegen unzureichendem oder ausge- ihren Hochwasserschutz verantwortlich fühlt
                     bliebenem Anpassungsverhalten (IPCC, 2014). (Terpstra, 2010) oder Eigenvorsorgemaßnah-
                     Jede Naturgefahr fordert selbstredend unter- men umgesetzt hat (Krasovskaia, Gottschalk,
                     schiedliche Vorsorgemaßnahmen, welche zum Skiple Ibrekk & Berg, 2007). Ein Anliegen der
                     Teil von staatlicher Seite ergriffen werden, wie Naturrisikenforschung ist es daher, Faktoren zu
                     beispielsweise den Bau von Deichen (Hochwas- identifizieren, die privates Schutzhandeln för-
                     ser) und das Aufstellen von Trinkbrunnen (Hit- dern können.
                     ze), aber auch von Privatpersonen und -haus-
                     halten umgesetzt werden können. Dieser Artikel Anfänglich wurden vor allem Bedingungen der
                     fokussiert auf privates Schutzhandeln - dazu ge- Risikowahrnehmung erforscht (z.B. Slovic,
                     hören sowohl die präventive Eigenvorsorge als 1987). Wie der ingenieurstechnische Risikobe-
                     auch die unmittelbare Reaktion auf ein akut griff wird auch in der sozialwissenschaftlichen
                     eintretendes Ereignis. Schutzhandeln umfasst Naturrisikenforschung Risiko als die Kombina-
                     alle Maßnahmen, die von einer Privatperson tion aus Auftrittswahrscheinlichkeit des Gefah-

    94                                           Schutzhandeln bei Hochwasser, Hitze und Co.

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renprozesses, Exposition und Verletzlichkeit ei-                             öffentliche Behörden, Ingenieur*innen und
             nes Haushalts verstanden (siehe auch Birkmann,                               Hilfsorganisationen wollen Privatpersonen zum
             2008). Risikowahrnehmungen unterscheiden                                     richtigen Umgang mit Naturrisiken anregen.
             sich zwischen den verschiedenen Naturrisiken:                                Die einfache Informationsgabe mittels Risiko-
             Hitze wird beispielsweise zumeist nur als lästig,                            kommunikation und Warnungen genügt jedoch
             nicht aber als ernsthafte Bedrohung betrachtet,                              in der Regel nicht, um Schutzhandeln zu moti-
             obwohl sie in Europa statistisch betrachtet die                              vieren (Kellens, Terpstra & De Maeyer, 2013;
             meisten Todesopfer fordert (Forzieri, Cescatti, e                            O’Sullivan, Bradford, Bonaiuto, Dominics, Rot-
             Silva & Feyen, 2017). Die Wahrnehmung, von                                   ko, Aaltonen, Waylen & Langan, 2012). Wir
             den Folgen eines Extremwetterereignisses be-                                 möchten mit diesem Artikel aufzeigen, welchen
             droht zu sein, ist jedoch nur einer von mehreren                             theoretischen Beitrag umweltpsychologische
             Faktoren, die Schutzhandeln beeinflussen. Neu-                               Expertise zum Risikomanagement leisten kann
             ere Handlungsmodelle der Naturrisikenfor-                                    und einen Überblick für Praktiker*innen und
             schung beziehen daher weitere psychologische                                 Fachleute anderer Disziplinen geben.Wir stellen
             Einflussfaktoren mit ein.                                                    drei etablierte Handlungsmodelle vor und be-
                                                                                          schreiben ihre Anwendungsbereiche und Lü-
             Bisher ist die Umweltpsychologie in der Natur-                               cken; anschließend diskutieren wir Konzepte,
             risikenforschung unterrepräsentiert, obwohl                                  die sich in anderen umweltpsychologischen
             sich hier das umweltpsychologische Kernthema                                 Forschungsfeldern bewährt haben, aber noch
             der Mensch-Umwelt-Interaktion deutlich dar-                                  nicht von der Naturrisikenforschung aufgegrif-
             stellt: Naturgefahrenprozesse treffen auf men-                               fen wurden.
             schengemachte       Siedlungsstrukturen     und
             Schutzmaßnahmen, die ihrerseits den Verlauf
                                                                                          2        Etablierte Handlungsmodelle
             dieser Prozesse beeinflussen. Angesichts zuneh-
                                                                                                   der Naturrisikenforschung
             mender Risiken stoßen klassische technische
             Maßnahmen an ihre Grenzen, und private Ei-
                                                                                          2.1       Protection Motivation Theory
             genvorsorge wird politisch zunehmend einge-
             fordert (Kuhlicke, Seebauer, Hudson, Begg, Bu-                               Die Protection Motivation Theory (PMT) nach
             beck, Dittmer, Grothmann, Heidenreich,                                       Rogers (1975, 1983) basiert auf der Annahme,
             Kreibich, Lorenz, Masson, Reiter,Thaler,Thieke                               dass Furchtappelle zu erhöhten Verhaltensinten-
             &, Bamberg, 2020).                                                           tionen (hier: Schutzmotivati-
                                                                                          on) führen. Die Grundidee Protection Motivation
             Das Wasserhaushaltsgesetz (§ 5 Abs. 2 WHG) re-                               entspricht einer Erwartungs- Theory – eine der
             gelt seit 2005, dass jede Person in Deutschland                              mal-Wert-Überlegung: Die zentralen Theorien zur
             selbst „im Rahmen des ihr Möglichen und Zumutba-                             Einzelperson wägt die eigene Erklärung von Schutz-
             ren“ Vorsorge gegen Hochwasser treffen muss.                                 Bedrohung und die persönli- handeln
             In Österreich hingegen haben Bürger*innen                                    che Bewältigungsfähigkeit ab.
             keinen rechtlichen Anspruch auf öffentlichen                                 Die Bedrohungseinschätzung (siehe Abbildung
             Schutz gegen Naturrisiken, sind aber auch nicht                              1) ergibt sich aus der Verwundbarkeit (Betrof-
             zur Eigenvorsorge verpflichtet. Staatliche Vorga-                            fenheit) und dem wahrgenommenen Schwere-
             ben zur Eigenvorsorge sind nur im Bewilli-                                   grad der potenziellen Auswirkungen. Beides
             gungsverfahren von Neubauten möglich (Rau-                                   wird von der Furcht beeinflusst, die auch einen
             ter, Schindelegger, Fuchs & Thaler, 2019).                                   direkten Effekt auf die Schutzmotivation hat.
             Verschiedene Institutionen und Disziplinen wie                               Die Bewältigungseinschätzung setzt sich zusam-
             z.B. meteorologische Dienste, Versicherungen,                                men aus der Handlungswirksamkeit, also der

                                                                                          Heidenreich, Köhler, Seebauer & Masson            95

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Schwerpunkt                                                                               2000; Milne, Sheeran & Orbell, 2000). Groth-
                                                                                                   mann und Reusswig (2006) wandten die PMT
                     wahrgenommenen Wirksamkeit von Schutz-                                        zum ersten Mal im deutschsprachigen Raum im
                     handlungen, der Selbstwirksamkeit, also der                                   Kontext der Hochwasservorsorge an; darauf
                     Überzeugung, Schutzhandeln erfolgreich um-                                    folgte eine Reihe von u.a. europäischen Studien
                     setzen zu können, und den Handlungskosten.                                    (Bubeck, Botzen, Kreibich & Aerts, 2013; Dit-
                     Bei gleichzeitig hoher Bedrohungs- und Bewäl-                                 trich, Wreford, Butler & Moran, 2016; Richert,
                     tigungseinschätzung steigt die Schutzmotivation                               Erdlenbruch & Figuières, 2017; Zaalberg, Mid-
                     und damit auch die Wahrscheinlichkeit für akti-                               den, Meijnders & McCalley, 2009). Die PMT
                     ves Schutzhandeln (z.B. Umsetzung baulicher                                   wurde aber auch in Bezug auf andere Naturge-
                     Schutzmaßnahmen am eigenen Haus). Wenn                                        fahren genutzt, wie z.B. Dürren (Truelove, Car-
                     eine hohe Bedrohungs- auf eine niedrige Be-                                   rico & Thabrew, 2015), Erdbeben (Mulilis &
                     wältigungseinschätzung trifft, wird die daraus                                Lippa, 1990), Vulkanausbrüche (Paton, Smith &
                     entstehende Dissonanz durch problemabge-                                      Johnston, 2000) und Tornados (Weinstein, Lyon,
                     wandte Bewältigungsstrategien verringert, wie                                 Rothman & Cuite, 2000).
                     z.B. Verdrängen und Leugnen („Es wird hier si-
                     cher nicht (nochmal) zu einem Hochwasser kom-                                 Die Metaanalyse von Bamberg, Masson, Brewitt
                     men.”, „Uns wird es schon nicht treffen.” usw.),                              und Nemetschek (2017) fasst 35 Studien zur
                     oder fatalistischen Glauben an höhere Mächte                                  PMT im Kontext der Hochwasservorsorge zu-
                     („So Gott will...”, „Hochwasser ist eine unkontrol-                           sammen. Es fanden sich signifikante bivariate
                     lierbare Naturgewalt.”).                                                      Korrelationen sowohl der Bewältigungs-
                                                                                                   (r = .25) als auch der Bedrohungseinschätzung
                     Die PMT hat ihren Ursprung in der Gesund-                                     (r = .23) mit der Schutzmotivation. Es wird
                     heitspsychologie und besitzt in der Erklärung                                 deutlich, dass beide Faktoren bedeutsam für die
                     gesundheitsrelevanten Verhaltens, wie z.B. Rau-                               Erklärung von Schutzmotivation und Vorsorge-
                     cherentwöhnung, Krankheitsprävention und                                      verhalten sind. Darüber hinaus zeigen Bamberg
                     Gewichtsabnahme, eine gute Evidenzlage (Me-                                   et al. (2017) Effekte von hochwasserbezogenen
                     taanalysen von Floyd, Prentice-Dunn & Rogers,                                 Emotionen (r= .17) und Hochwassererfahrun-

                     Abbildung 1. Eigene Darstellung der Protection Motivation Theory (PMT) nach Rogers
                     (1983)

    96                                           Schutzhandeln bei Hochwasser, Hitze und Co.

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gen (r= .15) auf die Schutzmotivation. Die Me-                               hungseinschätzung, die Einschätzung von
             taanalyse zeigt auch die Grenzen der PMT auf:                                Schutzhandeln und die Einschätzung von rele-
             Insgesamt können nur rund 13% der Varianz des                                vanten Stakeholdern. Letztere sind beispiels-
             Risikovorsorgeverhaltens erklärt werden.                                     weise Behörden, Regierungen, Medien, Arbeit-
                                                                                          geber*innen, Hilfsorganisationen und andere
             2.2        Protective Action Decision Model                                  Privatpersonen. Diese Einschätzungen formen
                                                                                          wiederum die Basis dafür, wie man auf unmit-
             Das Protective Action Decision Model (PADM) von                              telbare oder langfristige Bedrohungen reagiert:
             Lindell und Perry (2004, 2012) enthält die                                   Es kommt zur Entscheidungsfindung über
             Konstrukte der PMT in leicht abweichenden                                    Schutzhandeln. Das Ergebnis dieses Entschei-
             Bezeichnungen; hinzu kommen Elemente der                                     dungsfindungsprozesses leitet in Verbindung mit
             Risikokommunikation, des sozialen Umfelds                                    möglichen situativen Vermittlern und Hürden
             und relevanter Stakeholder.                                                  das Verhalten ein, welches sich als aktives
                                                                                          Schutzhandeln, als Informationssuche oder als
             Gemäß PADM durchläuft eine Person typi-                                      emotionsbasierte Bewältigung äußern kann.
             scherweise auf dem Weg zu einem konkreten                                    Über eine zusätzliche Feedbackschleife kann
             Schutzhandeln mehrere Stufen (Abbildung 2).                                  der Prozess erneut beginnen und neue Um-
             An erster Stelle wird der Kontext der Person                                 welt- und soziale Reize einbeziehen.
             betrachtet. Es wird berücksichtigt, welche In-
             formationen die Umwelt und das soziale Um-                                   Das PADM wurde entwickelt, um Prozesse der
             feld bereitstellen, welche Informationsquellen                               Risiko- und Krisenkommunikation erforschen
             zugänglich sind und genutzt werden, welche                                   und verbessern zu können (Lindell & Perry,
             Warnungen es gibt und welche Eigenschaften                                   2004). Seinen großen Mehr-
             den Empfänger oder die Empfängerin auszeich-                                 wert machen die Integration PADM als Rahmenkon-
             nen. Die nächste Stufe beinhaltet Vorentschei-                               von Kommunikationselemen- zept für Risikokommu-
             dungsprozesse: Es geht um die Exposition und                                 ten sowie die Wahrnehmung nikation und Gefahren-
             die Aufmerksamkeit gegenüber einer Warnung                                   von anderen Akteuren aus. Es warnungen
             und das Verständnis der Bedrohung. Ist eine Per-                             gibt bereits mehrere empiri-
             son der konkreten Warnung ausgesetzt, nimmt                                  sche Untersuchungen, die das PADM als theo-
             diese wahr und interpretiert sie korrekt, werden                             retische Grundlage nutzen. Oft behandeln sie
             drei Einschätzungen eingeleitet: Die Bedro-                                  die Evakuierungsbereitschaft bei Naturrisiken

             Abbildung 2. Eigene Darstellung des Protective Action Decision Model (PADM) nach
             Lindell und Perry (2004, 2012)

                                                                                          Heidenreich, Köhler, Seebauer & Masson            97

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Schwerpunkt                                                                               toren zu erklären, welche die Suche oder Such-
                                                                                                   vermeidung sowie die Verarbeitung von Risiko-
                     (z.B. Terpstra & Lindell, 2012) oder den Um-                                  informationen bestimmen. Die Informations-
                     gang mit technischen Risiken, wie z.B. im Um-                                 suche bzw. -vermeidung kann dabei habituell
                     kreis von Chemie- oder Kraftwerken (z.B. He-                                  oder nicht habituell erfolgen und die Informa-
                     ath, Lee, Palenchar & Lemon, 2018). Die                                       tionsverarbeitung kann heuristischer oder syste-
                     Anwendung des PADM wurde unseres Wissens                                      matischer Natur sein.
                     bisher nicht metaanalytisch zusammengefasst.
                                                                                                   Das Modell postuliert, dass sieben Faktoren das
                     2.3        Risk Information Seeking and                                       Ausmaß der Informationsbeschaffung und die
                                Processing Model                                                   Verarbeitung von Risikoinformationen beein-
                                                                                                   flussen (Abbildung 3). Basierend auf dem Suffi-
                     Ein weiterer wichtiger theoretischer Impuls                                   zienzprinzip des Heuristic-Systematic Model of In-
                     wird durch das Risk Information Seeking and Pro-                              formation Processing (HSM; Eagly & Chaiken,
                     cessing Model gegeben (RISP; Griffin, Dunwoo-                                 1993) und der Theory of Planned Behavior (TPB;
                     dy & Neuwirth, 1999). Während die PMT und                                     Ajzen, 1991) nimmt das RISP an, dass Men-
                     das PADM vor allem relevant für die Erklärung                                 schen, die sich intensiver mit der Suche und Ver-
                     und die Vorhersage von Risikovorsorgeverhal-                                  arbeitung von Informationen beschäftigen, eher
                     ten sind, zielt das RISP darauf ab, die sozialen,                             risikobezogene Kognitionen, Einstellungen und
                     psychologischen und kommunikativen Fak-                                       Verhaltensweisen entwickeln. Der zentrale Aus-

                     Abbildung 3. Eigene Darstellung des Risk Information Seeking and Processing Models
                     (RISP) nach Griffin et al. (1999) und Yang, Aloe et al. (2014)

    98                                           Schutzhandeln bei Hochwasser, Hitze und Co.

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gangspunkt des Modells ist die wahrgenomme-                                  Eine Metaanalyse von Yang, Aloe und Feeley
             ne Diskrepanz zwischen dem eigenen aktuellen                                 (2014) fasst Ergebnisse von 13
             Informationsstand und dem Informationsbe-                                    Studien zusammen und belegt RISP beschreibt die
             dürfnis. Demnach sind Menschen bemüht, In-                                   seine konzeptionelle Rele- Suche und Verarbeitung
             formationen zu suchen und zu verarbeiten, bis                                vanz. Gemäß Yang et al. (ebd.) von Risikoinformation
             eine bestimmte Bedarfsschwelle erreicht ist, ab                              erklären insbesondere zwei
             der sie sich ausreichend informiert fühlen, um                               Variablen, und zwar der aktuelle Informations-
             mit einem Risiko gut umgehen zu können. Die                                  stand und die subjektiven Informationsnormen,
             Höhe der Schwelle wird zum einen von subjek-                                 einen Großteil der Varianz im Informations-
             tiven Informationsnormen, also dem empfun-                                   such- und -verarbeitungsverhalten.
             denen sozialen Druck, welche Informationen
             man besitzen sollte, beeinflusst. Zum anderen                                2.4       Zwischenfazit
             wird sie von emotionalen Reaktionen auf das
             Risiko, welchen eine kognitive Einschätzung                                  Die drei beschriebenen Modelle bieten unter-
             des Risikos vorausgeht, bedingt. Neben dem In-                               schiedliche Ansatzpunkte zur Erklärung priva-
             formationsbedürfnis spielen die wahrgenom-                                   ten Schutzhandelns bei Naturgefahren. Es gibt
             mene Fähigkeit zum Sammeln von Informatio-                                   einige konzeptionelle Überlappungen, bei-
             nen und die wahrgenommenen Eigenschaften                                     spielsweise zwischen der Bewältigungseinschät-
             des Medienangebots eine Rolle für das Infor-                                 zung in der PMT und der Bewertung von
             mationsverhalten. Hintergrundfaktoren im Mo-                                 Schutzhandeln im PADM. Die PMT ist das äl-
             dell sind die individuellen Charakteristika der                              teste und am weitesten verbreitete der drei vor-
             Suchenden, wie zum Beispiel die Erfahrungen                                  gestellten Modelle. Allerdings hat die PMT nur
             mit der Bedrohung und soziodemografische                                     geringe prädiktive Validität zur Vorhersage von
             Merkmale.                                                                    Schutzhandeln (Bamberg et al., 2017); für das
                                                                                          PADM und das RISP existieren bisher keine
             Eine sorgfältige Informationsverarbeitung führt                              vergleichbar umfassenden Metaanalysen in der
             dem RISP zufolge zu einer stärkeren Beachtung                                Naturrisikenforschung. Das PADM hat seinen
             der in Risikomeldungen kommunizierten                                        Nutzen in der Konzeption und Evaluation von
             Empfehlungen. In der Kommunikation von                                       Risikokommunikationsstrategien und der Er-
             Naturrisiken ist diese Betrachtung wichtig,                                  forschung von Evakuationsbereitschaft. Das
             denn die bloße Verfügbarkeit von Informatio-                                 RISP bietet eine Grundlage zur Erklärung von
             nen über Naturrisiken und die Zunahme von                                    risikobezogener Informationssuche. PADM und
             Extremwetterereignissen führt nicht notwendi-                                RISP sind vergleichsweise neu und empirisch
             gerweise zu mehr oder besserem Wissen über                                   weniger überprüft. Es gibt bereits mehrere An-
             die Thematik (Leiserowitz, Smith & Marlon,                                   sätze zur Ergänzung der PMT (Bamberg et al.,
             2010). Obwohl Informationen verfügbar sind,                                  2017; Botzen, Kunreuther, Czajkowski & Moel,
             beachten Menschen diese möglicherweise nicht                                 2019) und des RISP (Kahlor, 2010) um weitere
             oder meiden diese aktiv.                                                     Einflussfaktoren. Das PADM stellt bereits den
                                                                                          Versuch einer theoretischen Integration der
             Genau wie die PMT stammt das RISP aus der                                    PMT und anderer Konzepte dar, in der For-
             Gesundheitsforschung, wurde jedoch bereits                                   schung und Praxis muss sich das Modell aber
             mehrfach im Naturrisikenkontext (siehe Yang,                                 noch bewähren.
             Rickard, Harrison & Seo, 2014) und ebenso
             speziell in Bezug auf Hochwasserrisiken ange- Mehrere systematische Übersichtsarbeiten un-
             wandt (Kellens, Zaalberg & De Maeyer, 2012). tersuchen die Beziehung zwischen potenziellen

                                                                                          Heidenreich, Köhler, Seebauer & Masson             99

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Schwerpunkt                                                                               Die drei Modelle wurden bisher vorrangig zur
                                                                                                   Erklärung von Handeln eingesetzt, aber kaum
                     Einflussfaktoren und Schutzhandeln (Bubeck,                                   zur Erklärung von problemabgewandter Bewäl-
                     Botzen & Aerts, 2012; Kellens et al., 2013, Bu-                               tigung, also Nicht-Handeln oder Fehlhandeln.
                     beck, Botzen, Laudan, Aerts & Thieken, 2018).                                 Hohes Vertrauen in öffentliche Schutzmaßnah-
                     Van Valkengoed und Steg (2019) identifizierten                                men kann etwa Privatpersonen von Eigenvor-
                     in ihrer Metaanalyse 13 Faktoren, die mit Kli-                                sorge abhalten (Richert et al., 2017). Fehl- oder
                     maanpassungsverhalten in verschiedenen Ge-                                    maladaptives Handeln stellt individuelle Vorteile
                     fahrenkontexten assoziiert sind. Die Ergebnisse                               vor die Kosten für die Allgemeinheit und um-
                     zeigen, dass negativer Affekt (Furcht), Selbst-                               fasst kurzfristige Lösungen, die langfristige
                     wirksamkeit, Handlungswirksamkeit und soziale                                 Nachteile mit sich bringen (IPCC, 2014). Ein
                     Normen mitunter den stärksten Effekt auf ver-                                 plakatives Beispiel ist die Anschaffung einer mit
                     schiedene Arten von Schutzhandeln haben. Ri-                                  Kohlestrom betriebenen Klimaanlage, um Hit-
                     sikowahrnehmung wirkt besonders auf Verhal-                                   zewellen bewältigen zu können. Problemabge-
                     tensabsichten. Dagegen scheinen Erfahrung,                                    wandte Bewältigungsstrategien in der PMT und
                     Wissen, Ortsverbundenheit und Vertrauen eine                                  Informationsvermeidung im RISP bilden As-
                     schwächere Rolle zu spielen.                                                  pekte von Nicht-Handeln ab; erstere sind je-
                                                                                                   doch in der PMT-Forschung bisher weitgehend
                     Die Ergebnisse von van Valkengoed und Steg                                    unterrepräsentiert (Babcicky & Seebauer, 2019).
                     (2019) stützen die Relevanz vieler, aber nicht                                Wenn Betroffene mit unsicheren, durch indivi-
                     aller in PMT, PADM und RISP enthaltener                                       duelles Handeln kaum ausschließbaren Natur-
                     Faktoren. Furcht (negativer Affekt) und Risiko-                               risiken konfrontiert sind, sind problemabge-
                     wahrnehmung sind Kernelemente in allen drei                                   wandte Bewältigungsstrategien ebenso zu
                     Modellen. Selbst- und Handlungswirksamkeit                                    erwarten wie Schutzhandeln. Dennoch hat die
                     sind in PMT und PADM enthalten. Charakte-                                     umweltpsychologische Naturrisikenforschung
                     ristische Elemente des PADM (z.B. Informatio-                                 bisher kaum untersucht, wie weit die etablierten
                     nen der Umwelt und des sozialen Umfelds,                                      Handlungsmodelle auf Nicht- und Fehlhandeln
                     Wahrnehmung von Stakeholdern) oder des                                        übertragbar sind.
                     RISP (z.B. Informationsbedürfnis) wurden in
                     der Metaanalyse hingegen nicht berücksichtigt.
                                                                                                   3      Weitere Konzepte für die
                     Am deutlichsten ist die Diskrepanz zwischen
                                                                                                          umweltpsychologische
                     etablierten Handlungsmodellen einerseits und
                     empirischer Relevanz andererseits bei sozialen
                                                                                                          Naturrisikenforschung
                     Normen:Während soziale Normen in der PMT                                      Die im Folgenden skizzierten Ansätze greifen
                     gar nicht, im PADM lediglich als Quelle der Be-                               auf etablierte Theorien der (Sozial-)Psychologie
                     drohungswahrnehmung und im RISP nur als                                       zurück, sie werden in der umweltpsychologi-
                     Auslöser von Informationsbedürfnis enthalten                                  schen Forschung genutzt und finden insbeson-
                     sind, verdeutlichen die metaanalytischen Ergeb-                               dere in der Erklärung umweltfreundlichen Ver-
                     nisse die Relevanz sozialer Normen für die Er-                                haltens Anwendung. Wir wollen damit bisher
                     klärung des Umgangs mit Naturrisiken. Dies                                    weniger berücksichtigte relevante Faktoren ins
                     unterstreicht einen „blinden Fleck” bisheriger                                Blickfeld rücken und die umweltpsychologi-
                     Theorien in der Naturrisikenforschung hin-                                    sche Naturrisikenforschung weiter in Richtung
                     sichtlich sozialer und kollektiver Prozesse.                                  qualitativer Methoden öffnen.

    100                                          Schutzhandeln bei Hochwasser, Hitze und Co.

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3.1        Kollektives Handeln im Umgang mit tion), die mit sozialen Identitäten verknüpften
                        Naturrisiken                      Normen und Ziele (Gruppennormen) und die
                                                                                          Wahrnehmung sozialer Gruppen als handlungs-
             Die bisherige (psychologische) Forschung zum                                 wirksame Akteure (kollektive Wirksamkeit;
             Umgang mit Naturrisiken berücksichtigt vor                                   Fritsche, Barth, Jugert, Masson & Reese, 2018b).
             allem individuelle Faktoren bei der Erklärung                                Studien zum Umweltverhalten zeigen z.B., dass
             von Schutzhandeln, etwa den Einfluss individu-                               Versuchspersonen eine höhere Bereitschaft zum
             eller Selbstwirksamkeitsüberzeugungen („Ich                                  Kauf von Bio-Lebensmitteln angaben, wenn die
             kann mich schützen“) oder der Abwägung indivi-                               Normen einer für sie bedeutsamen Eigengrup-
             dueller Verhaltenskosten und -nutzen. Weniger                                pe dies nahelegten (Masson & Fritsche, 2014).
             Aufmerksamkeit erhielten dagegen kollektive                                  Übertragen auf den Kontext von Naturrisiken
             Faktoren, beispielsweise kollektive Wirksam-                                 kann eine erhöhte Bereitschaft zu kollektivem
             keitsüberzeugungen („Wir können uns schützen“)                               Schutzhandeln, d.h. Schutzhandeln auf Basis sa-
             oder die Identifikation mit einer lokalen Ge-                                lienter sozialer Identität, vor allem dann erwar-
             meinschaft (Wilson, Herziger, Hamilton &                                     tet werden, wenn 1) die Beteiligten sich stark
             Brooks, 2020). Das heißt, Schutzhandeln wird                                 mit der betreffenden Eigengruppe, z.B. den Ein-
             vorrangig als persönliches Wahrnehmungs- und                                 wohner*innen ihres Wohnorts, identifizieren, 2)
             Entscheidungsproblem konzipiert. Naturrisiken                                die Normen der Gruppe Schutzhandeln nahe-
             sind jedoch meist kollektive Herausforderun-                                 legen, und 3) die Gruppe als effektiv bei der Er-
             gen, deren Bewältigung jenseits individueller                                reichung ihrer Ziele wahrgenommen wird.
             Bemühungen auch der Mobilisierung kollekti-
             ver Ressourcen bedarf. Eine umfassend infor-                                 Wichtig ist dabei, dass kollektives Schutzhan-
             mierte Psychologie des Umgangs mit Naturrisi-                                deln im Sinne der SIT nicht allein auf gemein-
             ken sollte daher ebenfalls die kollektive                                    schaftliches Handeln als ‘collective action‘ be-
             Dimension von Schutzhandeln in den Blick                                     schränkt ist (z.B. Beteiligung an lokaler
             nehmen und gezielte Interventionen zur Etab-                                 Wasserwehr), sondern auch Maßnahmen der
             lierung und Stärkung gemeinschaftlich-solidari-                              privaten Eigenvorsorge umfassen kann. Hierbei
             scher Vorsorgekonzepte entwickeln.                                           sind es vor allem die Normen und Ziele der
                                                                                          sozialen Identität, d.h. die Erwartungen und das
             Einen theoretischen Rahmen für den kollekti-                                 Verhalten anderer Mitglieder der Eigengruppe,
             ven Umgang mit Naturrisiken bietet die Theo-                                 die die Wahrscheinlichkeit bestimmen, ob ein
             rie der sozialen Identität (SIT; Tajfel & Turner,                            bestimmtes Schutzverhalten ausgeführt wird
             1979). Die SIT nimmt an, dass Menschen ihre                                  oder nicht. Es ist also die Salienz sozialer Identi-
             Identität in vielen Alltagssituationen über ihre                             tät, die individuelles Vorsorgeverhalten in kol-
             Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen definieren                                 lektives Schutzhandeln (im Sinne der Gruppe)
             (z.B. Identifikation als Frau, Angehörige der                                verwandelt, und es sind die Normen und Ziele
             jungen Generation), die, sind sie aktiviert (d.h.                            der salienten Gruppe, die bestimmen, ob und
             salient), unser Denken, Fühlen und Verhalten                                 welches Schutzhandeln ausgeführt wird.
             leiten (für eine weiterführende Beschreibung
             der SIT siehe Fritsche, Barth, Jugert, Masson &                              Eine systematische Übertragung der kollektiven
             Reese, 2018a). Bisherige Forschung zeigt, dass                               Perspektive auf den Bereich der Naturrisiken-
             vor allem drei kollektive Variablen Einfluss auf                             forschung steht noch aus. Bisherige Arbeiten
             unser Verhalten auch über individuelle Faktoren                              geben jedoch Hinweise auf die Relevanz kol-
             hinaus ausüben: die Wichtigkeit sozialer Identi-                             lektiver Faktoren für die Erklärung des Um-
             täten für das Selbst (psychologische Identifika-                             gangs mit Naturrisiken. So konnte zum Beispiel

                                                                                          Heidenreich, Köhler, Seebauer & Masson                 101

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Schwerpunkt                                                                               men häufig schrittweise ausprobiert, angepasst
                                                                                                   und aufgegeben werden, weil die Betroffenen
                     gezeigt werden, dass individuelle Evakuierungs-                               Erfahrungen sammeln (Terpstra, 2011), weil die
                     entscheidungen durch das Evakuierungsverhal-                                  Risikoeinschätzung mit wachsendem zeitlichen
                     ten der Nachbar*innen beeinflusst werden                                      Abstand zu einem konkreten erlebten Extrem-
                     (Huang, Lindell, Prater, Wu & Siebeneck, 2012;                                wetterereignis abnimmt (Bubeck et al., 2012),
                     Stein, Dueñas‐Osorio & Subramanian, 2010),                                    weil sich Haushaltsstruktur und Wohnbedürf-
                     oder dass die Bereitschaft zum Abschluss einer                                nisse ändern (Wilson, Pettifor & Chryssochoidis,
                     Hochwasserschutzversicherung steigt, wenn da-                                 2018) oder weil regelmäßige Notfallübungen
                     von ausgegangen wird, dass andere Haushalte                                   und Instandhaltungsarbeiten unterbleiben (Sco-
                     ebenfalls eine solche Versicherung abgeschlossen                              lobig, Prior, Schröter, Jörin & Patt, 2015). Auch
                     haben (Lo, 2013). In einer Studie von Bubeck et                               aus hydrologisch-ingenieurstechnischer Sicht
                     al. (2018) konnte gezeigt werden, dass soziale                                kann es sinnvoll sein, das Schutzniveau von
                     Normen und Netzwerke Einfluss auf den in der                                  Maßnahmen allmählich nachzujustieren, weil
                     PMT verankerten Pfad der Bewältigungsein-                                     etwa das kleinräumige Abflussgeschehen bei ei-
                     schätzung nehmen und daher eine wichtige                                      nem bestimmten Gebäude schwer prognosti-
                     Rolle bei der Hochwasservorsorge spielen. An-                                 zierbar ist und damit kein exaktes Bemessungs-
                     dere empirische Arbeiten deuten darauf hin,                                   ereignis für die Dimensionierung von
                     dass kollektive Wirksamkeitsüberzeugungen ei-                                 Schutzmaßnahmen festgelegt werden kann
                     nen Einfluss auf die Bereitschaft zur individuel-                             (Nordbeck, Steurer & Löschner, 2019).
                     len Erdbebenvorsorge in Japan und Neuseeland
                     (Paton, 2008; Paton, Bajek, Okada & McIvor,                                   In anderen Bereichen der Umweltpsychologie
                     2010) sowie auf individuelles und kommunales                                  werden bereits Stufenmodelle der Verhaltensän-
                     (kollektives) Anpassungsverhalten an Trinkwas-                                derung eingesetzt (Bamberg, 2013). Beispiele
                     serknappheit in Indien haben (Thaker, Maibach,                                sind das Model of Action Phases (Gollwitzer,
                     Leiserowitz, Zhao & Howe, 2016).                                              1990), das Motivation-Intention-Volition Model
                                                                                                   (Martens & Rost, 1998) oder der Health Action
                     Diese Beispiele verdeutlichen, dass kollektive                                Process Approach (Schwarzer, 2008). Schutzhan-
                     Faktoren für Vorsorgeverhalten in der Naturrisi-                              deln wird als Abfolge mehrerer Phasen be-
                     kenforschung durchaus rezipiert werden, zu be-                                schrieben: (1) in der Motivationsphase wird die
                     mängeln ist jedoch die bisher noch unzurei-                                   Bedrohung wahrgenommen und als persönlich
                     chende theoretische Einbettung dieser Faktoren                                relevant bewertet; (2) in der Intentionsphase
                     in etablierte Handlungsmodelle (Solberg, Ross-                                werden verschiedene Handlungsmöglichkeiten
                     etto & Joffe, 2010).                                                          hinsichtlich erwarteter Schutzwirkung, Auf-
                                                                                                   wand und Selbstwirksamkeit verglichen; (3) in
                     3.2        Schutzhandeln als Prozess                                          der Volitionsphase wird die gebildete Intention
                                                                                                   in manifestes Schutzhandeln umgesetzt, abhän-
                     Bisherige Theorien betrachten Schutzhandeln                                   gig von situativen Einflüssen, Barrieren und
                     als einmaliges, momentanes Ereignis. Die Um-                                  Selbstkontrollstrategien. Bisher wurden Stufen-
                     setzungsbereitschaft für eine private Schutz-                                 modelle der Verhaltensänderung im Kontext
                     maßnahme wird durch das zeitgleiche Vorhan-                                   von Naturrisiken noch nicht empirisch ange-
                     densein motivationaler Faktoren erklärt, etwa                                 wandt (Rohland, Pfurtscheller & Seebauer,
                     durch statistische Zusammenhänge in Quer-                                     2016).
                     schnittsuntersuchungen. Eine realistischere
                     Sichtweise berücksichtigt aber, dass Maßnah-

    102                                          Schutzhandeln bei Hochwasser, Hitze und Co.

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Diese Stufenmodelle sollten als konzeptionelle                               sich jedoch oft nur teilweise mit den subjektiven
             Heuristik für die notwendigen Schritte bis zur                               Risikokonstruktionen seitens der allgemeinen
             Realisierung von Schutzhandeln verstanden                                    Bevölkerung. Naturgefahren und Schutzgüter
             werden, nicht als zwingende unidirektionale                                  sind räumlich verortet; ebenso werden Risiko-
             Abfolge. Bei individuellen Verläufen der Verhal-                             und Vulnerabilitätswahrnehmungen in Bezug
             tensänderung können Haushalte in frühere Stu-                                auf die räumliche Umgebung konstruiert (Pe-
             fen zurückfallen oder einzelne Stufen über-                                  trucci & Pasqua, 2012; Ruin, Gaillard & Lutoff,
             springen (Klöckner, 2014; Pettifor, Wilson &                                 2007).
             Chryssochoidis, 2015). Erfahrungen nach einem
             Naturgefahrenereignis können zu einer Neube-                                 Kognitive Karten (Mental Maps) sind eine etab-
             wertung der Bedrohung führen oder können                                     lierte umweltpsychologische Methode, um die
             zeigen, dass die vorhandenen Schutzmaßnah-                                   Wahrnehmung und Nutzung der persönlichen
             men unzureichend sind (Kellens et al., 2013).                                Lebensumgebung qualitativ zu erfassen (Deinet,
             Hier besteht Forschungsbedarf, wie Erlebnisse                                2009; Lynch, 1960), etwa den Aktionsradius und
             oder veränderter Kontext den Fort- oder Rück-                                bedeutsame Orte von Schulkindern (Flade,
             schritt zwischen den Stufen der Verhaltensände-                              1996).Trotz ihrer hohen Anwendungsnähe wer-
             rung beeinflussen.                                                           den kognitive Karten aber bisher kaum einge-
                                                                                          setzt, um Risikowahrnehmung im räumlichen
             Rekursive und stufenweise Prozesse spielen                                   Kontext darzustellen (Ruin et al., 2007; O’Neill,
             auch in den bisher etablierten Theorien eine                                 Brennan, Brereton & Shahumyan, 2015). Sub-
             Rolle. In der PMT wirken problemabgewandte                                   jektive und objektive Risiken in gemeinsamen
             Bewältigungsstrategien auf die Bedrohungsein-                                Karten zu georeferenzieren, kann wechselseitige
             schätzung zurück; im PADM kann Vorsorgever-                                  Lernprozesse zwischen Bürger*innen und Risi-
             halten zu neuen Umwelt- und sozialen Reizen                                  komanager*innen anstoßen, etwa indem orts-
             hinführen. PADM und RISP sehen stufenweise                                   bezogenes Laienwissen für verbesserte Exper-
             Abfolgen kognitiver Schritte der Entschei-                                   tenbewertungen nutzbar gemacht wird (Lidskog,
             dungsfindung und Informationsverarbeitung                                    Uggla & Soneryd 2011; O’Neill et al., 2015).
             vor. Da es aber so gut wie keine Längsschnitt-
             untersuchungen zu Naturrisiken gibt (Hudson, Die Frage nach der räumlichen Anordnung
             Thieken & Bubeck, 2019), sind diese dynami- wahrgenommener Risiken schließt an das Ele-
             schen Prozesse noch nicht empirisch bestätigt. ment der Umweltreize im PADM an. Altein-
                                                              gesessene Bewohner*innen in Risikogebieten
             3.3 Risikowahrnehmung im                         sind oft mit dem Prozessge-
                     räumlichen Kontext                       schehen in ihrer unmittelba- Objektive Gefahren- und
                                                              ren Wohnumgebung sehr ver- Risikokarten in Bezie-
             Im Risikomanagement werden mit hohem Auf- traut und können an kleinen hung zu subjektiver
             wand objektive Gefahren- und Risikokarten für Umweltveränderungen           er- Verortung von wahrge-
             Hochwasser, Lawinen und andere Naturgefah- kennen, aus welcher Richtung nommenen Risiken
             ren erstellt, um regulatorische und verwaltungs- welche Gefahr kommt (z.B. setzen
             technische Entscheidungen zu unterstützen eine Bodensenke füllt sich mit
             (Meyer, Kuhlicke, Luther, Fuchs, Priest, Dorner, Wasser, ein Bach ändert die Fließrichtung; Bot-
             Serrhini, Pardoe, McCarthy, Seidel, Palka, Un- zen, Aerts & Van Den Bergh, 2009; Siegrist &
             nerstall, Viavatenne & Scheuer, 2012; Fuchs, Gutscher, 2006). Kognitive Karten sind ein be-
             Spachinger, Dorner, Rochman & Serrhini, währtes Instrument in der Stadtplanung und der
             2009). Diese objektive Risikoinformation deckt Sozial- und Humangeografie. Hier besteht gro-

                                                                                          Heidenreich, Köhler, Seebauer & Masson              103

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Schwerpunkt                                                                               nung von Risikokommunikationsstrategien.
                                                                                                   Der Mangel an empirischer Evidenz für PADM
                     ßes Potenzial für eine interdisziplinäre Erweite-                             und RISP ist aber auch darauf zurückzuführen,
                     rung der umweltpsychologischen Forschung,                                     dass diese beiden Modelle wegen ihres jüngeren
                     um wahrgenommene Risiken nicht als abstrakte                                  Alters bisher weniger stark beforscht wurden
                     Angaben auf Ratingskalen zu Wahrscheinlich-                                   und die höhere Komplexität dieser Prozessmo-
                     keit und Schaden zu erfassen, sondern im Erle-                                delle deutlich höhere Anforderungen an die
                     ben und Nutzen der Wohnumgebung zu ver-                                       Operationalisierung der Modellelemente stellt,
                     orten.                                                                        bis hin zu Längsschnittstudien.

                                                                                                   Wir skizzierten mögliche Schritte für die weite-
                     4          Schlussfolgerungen und
                                                                                                   re umweltpsychologische und interdisziplinäre
                                Ausblick
                                                                                                   Naturrisikoforschung. Zentral ist hierbei die
                     Das Verständnis des Schutzhandelns von Privat-                                Untersuchung kollektiven Schutzhandelns, da
                     personen ist ein wichtiger Baustein im Risiko-                                eine Naturgefahr zumeist Auswirkungen auf
                     management. Die Umweltpsychologie steht in                                    eine Gruppe hat und individuelles Schutzhan-
                     der Verantwortung, hier ihren Beitrag zu leisten.                             deln meist nicht genügt, um Risiken zu reduzie-
                     Privates Schutzhandeln und die zugrundelie-                                   ren.Wie in der Diskussion rund um PADM und
                     genden Motivationen gilt es besser zu untersu-                                RISP aufgezeigt, sind Längsschnittstudien von-
                     chen, förderliche und hemmende Faktoren zu                                    nöten, um Schutzhandeln als dynamischen Pro-
                     identifizieren, um somit Risikomanager*innen                                  zess zu erfassen und untersuchen zu können.
                     konkrete Hinweise zur Förderung von Eigen-                                    Weitere Möglichkeiten ergeben sich, wenn das
                     vorsorge anbieten zu können.                                                  Raumerleben im Zusammenhang mit Schutz-
                                                                                                   handeln in Betracht gezogen wird. Mittels qua-
                     Wir stellten drei zentrale Modelle der psycho-                                litativer Methoden, wie insbesondere kognitiver
                     logischen Naturrisikenforschung vor. Die PMT                                  Karten, welche über die umweltpsychologische
                     ist am besten etabliert; sie wurde in den 1970ern                             Forschung hinaus Anwendung finden, ließen
                     in der Gesundheitsforschung entwickelt und                                    sich räumliche Facetten des Erlebens von Na-
                     wird seit ca. 15 Jahren bei Naturgefahren ange-                               turgefahren und -risiken beleuchten. Diese
                     wandt. Dennoch hat sie eingeschränkte Erklä-                                  Ansatzpunkte sind bewährte Konzepte der Um-
                     rungskraft (Bamberg et al., 2017) und lässt re-                               weltpsychologie und könnten auf die Natur-
                     levante Einflussfaktoren außer Acht (van                                      risikenforschung übertragen werden.
                     Valkengoed & Steg, 2019). Zu beachten ist zu-
                     dem, dass bei der bisherigen Forschung zur                                    Maßnahmen der Risikokommunikation und
                     PMT problemabgewandte Bewältigung bisher                                      konkrete Warnungen werden zumeist von Be-
                     meist vernachlässigt wurde. PADM und RISP                                     hörden, Versicherungen, meteorologischen
                     sind als Prozessmodelle mit komplexeren Wir-                                  Diensten, Ingenieur*innen und Hilfsorganisati-
                     kungsbeziehungen zwischen Einflussfaktoren                                    onen herausgegeben. Diese bringen eine große
                     konzipiert. Beide Modelle wurden allerdings                                   praktische Expertise im Umgang mit Naturge-
                     noch nicht in ihrer vollständigen Struktur un-                                fahren mit. Oft bewirken informative Risiko-
                     tersucht; stattdessen überprüfen bisherige empi-                              kommunikationsmittel und aktuelle Warnungen
                     rische Studien nur Zusammenhänge zwischen                                     aber nicht die gewünschte Reaktion. Die vor-
                     einzelnen Modellelementen. Zum jetzigen                                       gestellten Modelle können als Checkliste für die
                     Stand der Forschung bieten PADM und RISP                                      Entwicklung von Kommunikationskampagnen
                     eher einen heuristischen Rahmen für die Pla-                                  dienen: So zeichnen die PMT und das PADM

    104                                          Schutzhandeln bei Hochwasser, Hitze und Co.

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nach, über welche Faktoren aktives Schutzhan-                                den Blick genommen, um Bewältigungskapazi-
             deln begünstigt werden kann, und das RISP                                    täten bzgl. Naturgefahren zu erklären (Kuhlicke
             verdeutlicht, wie die Informationssuche und                                  et al., 2020). Eine engere Zusammenarbeit mit
             -verarbeitung typischerweise funktioniert. Das                               anderen Disziplinen kann neue Impulse für die
             Erleben und Verhalten der Betroffenen spielen                                umweltpsychologische       Theorieentwicklung
             eine große Rolle beim Umgang mit (Natur-)                                    bringen. So bringen z. B. die (Umwelt-)Sozio-
             Risiken. Das Risiko von Hochwasser, Hitzewel-                                logie, Humangeographie und Politikwissen-
             len und anderen Naturgefahren wird von Pri-                                  schaften auch die Perspektive qualitativer For-
             vatpersonen nicht so objektiv-rational bewertet                              schungsmethoden ein,die in der psychologischen
             wie von Expert*innen – beide Perspektiven, die                               Naturrisikenforschung bisher eine untergeord-
             der Laien und die der Expert*innen, sollten da-                              nete Rolle spielen, und öffnen den Fokus auf
             her beim Risikomanagement Beachtung finden.                                  kollektives Schutzhandeln. Umweltmedizini-
                                                                                          sche und ökonomische Untersuchungen brin-
             Es bleibt zu klären, ob sich die vorgestellten                               gen Erkenntnisse über die Wirksamkeit von
             Handlungsmodelle synonym auf verschiedene                                    Schutzmaßnahmen, welche wiederum für eine
             Naturgefahren und Bevölkerungsgruppen an-                                    fundierte Risikokommunikation genutzt wer-
             wenden lassen. Erdrutsche haben etwa eine an-                                den.
             dere Charakteristik als Flusshochwasser (mini-
             male Vorwarnzeit und Bedrohung von                                           Der Schwerpunkt der bisherigen psychologi-
             Menschenleben versus bis zu mehreren Tagen                                   schen Naturrisikenforschung liegt auf der (Wei-
             Vorwarnzeit und Bedrohung von Sachgütern),                                   ter-)Entwicklung von Theorien hin zu besserer
             was unterschiedliche Bedrohungswahrnehmun-                                   Erklärungskraft und detaillierteren Wirkungsbe-
             gen und Bewältigungskapazitäten nahelegt. Ein                                ziehungen zwischen Einflussfaktoren. Die hier
             systematischer Vergleich der Einflussstärken ver-                            vorgestellten Handlungsmodelle werden ver-
             schiedener Modellelemente je nach Naturge-                                   wendet, um post-hoc zu erklären, warum be-
             fahr könnte ein besseres Verständnis der zugrun-                             stimmte Eigenvorsorgemaßnahmen umgesetzt
             deliegenden kognitiven Prozesse ermöglichen.                                 wurden (z.B. warum sich eine Hochwasser-Bür-
             Verletzlichkeit und Bewältigungskapazitäten                                  gerinitiative formiert hat oder warum gefährde-
             variieren zwischen Bevölkerungsgruppen: Im                                   te Haushalte lokalen Objektschutz errichtet
             Fall von Hitzewellen stellen das Alter (Kleinkin-                            haben). Offen bleibt jedoch, diese Modelle für
             der und Ältere sind besonders betroffen), aber                               das Design von gezielten Interventionen im Ri-
             auch bestimmte medizinische Einschränkungen                                  sikomanagement anzuwenden. Der Transfer der
             (u. a. bestimmte Krankheitsbilder, starke Medi-                              Handlungsmodelle in die praktische Anwen-
             kamenteneinnahme, Über- und Untergewicht                                     dung könnte Impulse für die
             oder Drogenabhängigkeit) Risikofaktoren dar                                  Theorienentwicklung brin- Umweltpsychologische
             (Koppe, Kovats, Jendritzky & Menne, 2004;                                    gen, etwa indem evaluiert Theorien auf verschie-
             Schuster, Honold, Lauf & Lakes, 2017). Die                                   wird, inwieweit die theore- dene Naturgefahren,
             Gruppenzugehörigkeit kann möglicherweise                                     tisch postulierten Wirkungs- Bevölkerungsgruppen
             die Einflussstärke einzelner Faktoren in den be-                             beziehungen zwischen Mo- und Interventionen
             schriebenen Modellen moderieren. Daher sollte                                dellelementen auch im Feld anwenden und verglei-
             die Heterogenität der potenziell Betroffenen                                 nachgewiesen werden kön- chen
             nicht aus den Augen verloren werden. Soziode-                                nen.
             mografische Variablen wie Alter, Geschlecht,
             Religion und Einkommen werden von sozial-                                    Darüber hinaus sehen wir bei den diskutierten
             wissenschaftlichen Nachbardisziplinen längst in                              Forschungsansätzen um Naturrisiken ein großes

                                                                                          Heidenreich, Köhler, Seebauer & Masson            105

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Schwerpunkt                                                                                  Raumordnung, 66(1), 5–22. https://doi.org/10.1007/BF0318
                                                                                                      4043
                     Transferpotential auf andere Umwelt- oder kol-                                Blunden, J. & Arndt, D. S. (2019). State of the Climate in 2018.
                     lektive Gesundheitsrisiken. Zum Zeitpunkt der                                    Bulletin of the American Meteorological Society, 100(9), Si-S306.
                     Fertigstellung dieses Artikels stellt der Umgang                                 https://doi.org/10.1175/2019BAMSStateoftheClimate.1
                     mit der Corona-Pandemie eine globale Heraus-                                  Botzen, W. J. W., Aerts, J. C. J. H. & Van Den Bergh, J. C. J. M.
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                     Anna Heidenreich                                                                 tion behavior. Risk Analysis: An International Journal, 32(9),
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