Seltene Superinfektion bei einem COVID-19-Patienten - Eine Chronologie
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Kasuistiken Anaesthesist https://doi.org/10.1007/s00101-021-01018-2 Eingegangen: 29. Januar 2021 Seltene Superinfektion bei einem Überarbeitet: 21. Juni 2021 Angenommen: 23. Juni 2021 COVID-19-Patienten – Eine © Springer Medizin Verlag GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 Chronologie E. Gamon · D. Tammena · M. Wattenberg · T. Augenstein Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Notfallmedizin, Klinikum Links der Weser, Bremen, Deutschland Zusammenfassung Bei einem 55-jährigen Mann, der sich zur elektiven Ablation bei Vorhofflimmern in der Klinik befand, wurde nach einer Reanimationssituation auf der peripheren Station ein SARS-CoV-2-Abstrich positiv getestet. Anamnestisch gab es im Vorwege gesicherten Kontakt zu einem COVID-19-positiven Patienten. Im Verlauf entwickelte sich das Vollbild einer COVID-19-Pneumonie mit umfangreicher intensivmedizinischer Behandlung. Nach rund 2-wöchiger Therapie musste das Weaning bei erneuter Verschlechterung abgebrochen werden, und es ergaben sich bei dem wiederholt hochseptischen Patienten mikrobiologische Nachweise einer Superinfektion mit Cryptococcus neoformans und später Leclercia adecarboxylata. Der Patient wurde erfolgreich behandelt und überlebte die Erkrankung. Schlüsselwörter Leclercia adecarboxylata · Cryptokokkus neoformans · Sepsis · ARDS · SARS-CoV-2 Präambel Bei Verdacht auf eine ambulant erwor- bene Pneumonie („community-acquired Ein 55-jähriger Mann wurde während der pneumonia“, CAP) war im peristationären ersten Welle der Coronapandemie 2020 Verlauf bereits eine Antibiotikatherapie in Deutschland nach einer innerklinischen mit Ampicillin & Sulbactam und Clari- Reanimationssituation bei Asystolie von thromycin angesetzt worden. Da sich der peripheren kardiologischen Station in- die Entzündungssituation trotz dieser tubiert und beatmet auf die Intensivstation Antibiotikatherapie in den Folgetagen verlegt. weiter aggravierte, war durch die kardio- Der Herz-Kreislauf-Stillstand erfolg- logischen Kollegen zwei Tage vor dem te bei dem Verdacht einer hypoxischen Reanimationsereignis eine Eskalation auf Genese, und ein Wiedererlangen des Kreis- Meropenem erfolgt, mutmaßlich, um ein laufs („return of spontaneous circulation“, größeres Spektrum an Erregern abzude- ROSC) konnte durch das Reanimations- cken. team nach 4 min erreicht werden. Trotz gesicherten Kontakts zu einer COVID-19- Aufnahmebefund positiven Person galt der Patient zum Zeit- punkt der Reanimation, aufgrund eines Bei der Aufnahme auf die Intensivstation 6 Tage zuvor abgenommenen SARS-CoV- zeigte sich der intubierte und beatmete Pa- 2-PCR-Abstrichs als COVID-19-negativ. tient hämodynamisch instabil und benö- Der Grund der ursprünglichen Auf- tigte moderate Katecholamindosierungen nahme in die Klinik waren rezidivierende (Noradrenalin 0,26 μg/kgKG/min sowie Tachyarrhythmie-Episoden bei bekann- Dobutamin3 μg/kgKG/min),um einausrei- tem Vorhofflimmern, die bislang nicht chendes Herzzeitvolumen (HI > 2,5 l/min/ dauerhaft kardiovertiert werden konnten m2) und einen ausreichenden Mitteldruck und nun eine Woche vor dem Reanimati- (MAP > 65 mm Hg) zu erreichen. onsereignis über die elektrophysiologische Zu diesem Zeitpunkt ging man von QR-Code scannen & Beitrag online lesen Abteilung abladiert werden sollten. einem septischen Schock auf dem Bo- Der Anaesthesist 1
Kasuistiken Abb. 1 8 Thoraxröntgenaufnahme am Tag –7, Abb. 3 8 Thoraxröntgenbild direkt nach Auf- vermutete CAP nahme auf die Intensivstation am Tag 0. Befund zum Thoraxröntgen: [...] Pleuraergüsse, Min- Abb. 2 8 Thoraxröntgenaufnahme am Tag –1, derbelüftungen begleitend in den Lungen UF deutliche Progredienz sowie überwiegend fleckförmige Verdichtun- gen in diffuser Verteilung [...] rechts Führung des Befundes [...] mond Agitation Sedation Scale (RASS) an- noch nicht umfangreich, somit erfolgte gestrebt. der primäre Behandlungspfad anhand der Nach Sichtung der kompletten Vorbe- gültigen ARDS-Leitlinie [1]. Die Evidenz funde des Patienten, dem aktuellen klini- zur Gabe von Steroiden bei einer COVID- schen Eindruck und neuen radiologischen 19-Infektion war noch sehr gering, daher und laborchemischen Befunden wurde di- wurde auf die Gabe von Hydrocortison rekt nach der Aufnahme bei einer Broncho- bei tendenziell fallenden Katecholamin- skopie ein erneuter SARS-CoV-2-PCR-Test dosierungen verzichtet. Die Dexametha- Abb. 4 8 Thorax-CT-Aufnahme im Verlauf abgenommen. Der Patient war zu diesem songabe, wie sie heute aus den Daten der Therapie auf der Intensivstation am Tag 0. Zeitpunkt bereits vorsorglich isoliert. Die- der RECOVERY-Studie hervorgeht, wurde Befund zum Thorax-CT: [...] in allen Lappen/ ser SARS-CoV-2-Test wurde noch am sel- noch nicht empfohlen [2]. Ebenso war Segmenten diffus verteilte, teils peribronchia- le Verdichtungen, welche zu entzündlichen ben Tag positiv bestätigt. Zum Zeitpunkt die antivirale Medikation mit Remdesivir ® Parenchymveränderungen passen. Gröbere des beschriebenen Falls in der ersten Welle noch nicht in den Behandlungsalgorith- flächenhafte Konsolidierungen fallen nicht der Pandemie wurden durch das zuständi- men der COVID-19-Erkrankung verankert. auf. [...] ge Labor noch keine ct-Werte übermittelt. Eine Aufnahme dieser Therapie erfolgte Bei der nun aktualisierten Diagnose ei- nach erster Studienlage für ein sehr um- den der ambulant erworbenen Pneumo- ner COVID-19-Pneumonie mit konsekuti- schriebenes Patientenkollektiv während nie aus, die zusammen mit dem hochgra- ver Hypoxämie und Asystolie wurde die des Jahres 2020, wurde später wieder dig eingeschränkten Gaswechsel zur Hy- bis dato laufende Antibiotikatherapie mit verworfen. poxie und schließlich zum Herz-Kreislauf- Meropenem aus dem peripher-stationären Die folgende Chronologie fasst die Stillstand geführt hat. Aufenthalt abgesetzt. Radiologisch erhär- Ereignisse zusammen, die schließlich zur Die mikrobiologische Diagnostik wur- tete sich folgend der Verdacht einer be- Superinfektion mit Cryptococcus neofor- de umgehend erweitert und eine Post- gleitenden Aspirationspneumonie, sodass mans und Leclercia adecarboxylata in reanimationsbehandlung eingeleitet, bei bei dem schwer kranken Patienten eine Bronchialsekretisolaten führten. Der Tag 0 der der Patient nach Protokoll mittels Antibiose mit Piperacillin/Tazobac und Ci- beschreibt dabei den Tag der Reanimation. Feedback-gesteuerter Oberflächenküh- profloxacin begonnen wurde. ® lung (ArcticSun 5000, Medivance Inc. Aufgrund der vorbekannten dilatativen Verlauf/Chronologie by BARD Medical Devision Inc., Louisville, Kardiomyopathie (DCM) war die Hämody- CO, USA) auf 33,0 °C für 24 h herunterge- namik stark kompromittiert, und es ließ Tag –16 kühlt wurde. Ein Thermoblasenkatheter sich in einem transthorakalen Echo (TTE) bestimmte die notwendige Temperatur lediglich eine Ejektionsfraktion des linken Es erfolgt die elektive stationäre Aufnahme zur Steuerung der Oberflächenkühlung. Ventrikels (LVEF) von 25 % messen. des Patienten zur Ablation bei rezidivie- Die Sedierung wurde zu diesem Zeit- Eine routinemäßig bestimmte NSE zeig- renden Tachyarrhythmie-Episoden bei Vor- punkt mit Sufentanil und Midazolam ge- te einen Initialwert von 52 μg/l. hofflimmern. Mehrfache Kardioversionen führt und während der Hypothermie mit Die Erkenntnisse zur Behandlung von waren bei bekannter DCM bislang frustran. einer Sedierungstiefevon–5 nach der Rich- beatmeten COVID-19-Patienten waren in Es wird eine Aufsättigung mit Amiodaron diesem frühen Stadium der Pandemie auf eine Kumulativdosis von 7 g begonnen. 2 Der Anaesthesist
Tab. 1 Erregerspektrum CAP. (Nach [3]) Infobox 1 Häufige und Seltene Erreger Keine Erreger Erregerspektrum der HAP. (Nach [4]) mögliche Erre- – Enterobacteriaceae ger j E. coli Streptococcus Enterobakterien (E. coli, Vergrünend wachsende Streptokokken j Klebsiella-Spezies pneumoniae K. pneumoniae, P. mirabilis) j Enterobacter-Spezies Haemophilus Pseudomonas aeruginosa Staphylococcus epidermidis und andere – Haemophilus influenzae influenzae Koagulase-negative Staphylokokken – Staphylococcus aureus (MSSA) – Streptococcus pneumoniae Staphylococcus Enterokokken – Zusätzlich: aureus Corynebakterien j Methicillin-resistente Staphylococcus Neisserien (außer (sehr selten) N. menin- aureus (MRSA) gitidis) j ESBL-bildende Enterobakterien Haemophilus-Spezies (außer H. influen- j Pseudomonas aeruginosa zae) j Acinetobacter baumannii j Stenotrophomonas maltophilia Candida-Spezies Zu diesem Zeitpunkt der Coronapande- Beatmungsform oder High-Flow-Atem- aus. Die auf der peripheren Station begon- mie werden bei der Aufnahme von Patien- therapie. nene kalkulierte Antibiotikatherapie mit ten in die Klinik noch keine Routinetestun- Die Kollegen der zu diesem Zeitpunkt Meropenem bei einer unklaren Infektsitua- gen auf SARS-CoV-2 durchgeführt. Da der betreuenden Station eskalieren die Anti- tion wird nach einer nur einmaligen Gabe Patient nicht symptomatisch ist, wird kei- biotikatherapie auf Meropenem. Warum des Meropenem bei dem nun hochgradi- ne Notwendigkeit für einen solchen Test diese Eskalationsstufe gewählt wird, bleibt gen Verdacht einer nichtsuperinfizierten gesehen. unklar. Mutmaßlich soll das Erregerspek- COVID-19-Pneumonie abgesetzt. trum des Antibiotikums maximal erwei- Radiologisch und bronchoskopisch er- Tag –7 tert werden. Ein mikrobiologischer Befund härtet sich jedoch im Verlauf der Diag- liegt zu diesem Zeitpunkt nicht vor. nostik der Verdacht einer stattgefundenen Bei progredienter Dyspnoe erfolgt ein ra- Aspiration unter der Reanimation, wes- diologischer Nachweis von linksführenden Tag 0 halb eine Kombinationsantibiotikathera- Infiltraten (. Abb. 1). Es erhärtet sich der pie mit Piperacillin/Tazobactam und Cipro- Verdacht auf eine Pneumonie und eine Im Patientenzimmer kommt es zum Herz- floxacin begonnen wird (. Abb. 3 und 4). Antibiotikatherapie mit Ampicillin & Sul- Kreislauf-Stillstand, am ehesten bei einer Die Wahl der antibiotischen Therapie ist bactam und Clarithromycin wird unmit- hypoxischen Genese im Sinne der vorbe- neben dem Verdacht der Aspiration durch telbar begonnen. Da diese Symptomatik stehenden Pneumonie. Ein ROSC wird nach die zu diesem Zeitpunkt lange Hospitali- nun durch eine erneute Anamnese seit 4 min erreicht und der Patient beatmet auf sierungsdauer von über 14 Tagen bedingt. Klinikaufnahme bestehen soll, wird von die Intensivstation gebracht. Darüber hinaus ist ein Vorhandensein ei- einer CAP ausgegangen und diese kalku- Die Beatmungssituation zeigt sich nes erweiterten Erregerspektrums mit Ver- lierte Antibiose nach der aktuellen Leitli- direkt nach der Intubation mit hohen änderungen im gramnegativen Keimspek- nie für ambulante Pneumonien gewählt Beatmungsdrücken und hohen Sauer- trum möglich, ebenso wie die vorherige [3; . Tab. 1]. Ebenso wird zu diesem Zeit- stofffraktionen schwerwiegend beein- lange Behandlung mit Ampicillin & Sul- punkt in Erfahrung gebracht, dass es vor trächtigt (FIO2 0,8/PEEP 10 mmHg/„driving bactam. der Klinikaufnahme gesicherten Kontakt pressure“ 15 mmHg/Oxygenierungsindex Hier wird entsprechend der Leitlinie mit einem COVID-19-positiven Patienten 227). zur nosokomialen Pneumonie („hospital- gab. Es erfolgt ein SARS-CoV-2-PCR-Test, Eine transthorakale Echokardiographie acquired pneumonia“, HAP) gehandelt, der als Mund-Rachen-Nasen-Abstrich ab- zeigt keine wesentliche Änderung zu den dies entspricht in vollem Umfang den genommen wird. Dieser Test ist negativ. vorherigen Befunden im Sinne von neu- hausinternen Leitlinien ([4]; . Infobox 1). en regionalen Wandbewegungsstörungen Die Entzündungswerte sind zu diesem Tag –1 oder Klappenvitien. Auf eine Herzkatheter- Zeitpunkt moderat mit einem CRP von untersuchung wird aufgrund fehlender En- 149 mg/l und einem PCT von 0,9 μg/l. Bei weiterhin deutlicher Einschränkung zymkinetik (Troponin, CK-MB) und fehlen- In den folgenden Tagen lässt sich mikro- des Gaswechsels und weiterhin progre- der EKG-Veränderungen vorerst verzichtet. biologisch aus dem Bronchialsekret ledig- dienter Dyspnoe des Patienten fallen in Der Patient wird im Rahmen des Post- lich Enterococcus faecium isolieren. Die einem erneuten Röntgenbild nun flecki- reanimationsschemas mit einer therapeu- Antibiotikatherapie wird – trotz der Entero- ge Infiltrate beidseitig auf (. Abb. 2). Zu tischen Hypothermie (TTM) behandelt und kokkenresistenz auf das verabreichte Pi- diesem Zeitpunkt findet lediglich eine auf 33 °C heruntergekühlt. peracillin/Tazobactam – nicht umgestellt, Sauerstoffinsufflation auf der peripheren Ein erneuter SARS-CoV-2-Test aus dem da Enterokokken keine Pneumonie-Erre- Station statt und keine druckunterstützte Sekret einer Bronchoskopie fällt positiv ger sind und die Befundkonstellation des- Der Anaesthesist 3
Kasuistiken scheidung zu einer Vertiefung der Sedie- rung und einer folgenden 16-stündigen Bauchlage fällt. Tag 10 Zu diesem Zeitpunkt kann die Katechola- mintherapie beendet werden. Die Wea- Abb. 5 9 NSE-Ver- ning-Versuche und Sedierungsreduktion lauf in der ersten der letzten Tage sind erfolgreich, sodass Woche nach Reani- erste Kontaktaufnahmen mit dem Patien- mation in μg/l ten möglich sind. Tag 11 Erste neurologisch adäquate Reaktionen wie Händedrücken und Blickkontakt sind möglich und lassen auf ein gutes neurolo- gisches Outcome schließen. Die NSE-Werte zeigen sich nach einem initialen Wert von 52,7 μg/l am Tag 0 bis zum Tag 6 fallend (. Abb. 5). Jedoch kommt es im weiteren Tages- verlauf zu einer Verschlechterung des Gaswechsels, begleitet von steigenden Abb. 6 8 Thoraxröntgenaufnahmen, a Tag 5, b Tag 9. Befund zum Thoraxröntgen, Tag 5 (a): Beidseits Entzündungswerten (CRP 253 mg/l) und infrahiläre Zeichnungsvermehrung des pulmonalen Parenchyms [...] rückläufiger Befund bezüglich einem erneuten Katecholaminbedarf. Als der Infiltrationen [...]. Befund zum Thoraxröntgen, Tag 9 (b): Basale Ergüsse in diskreter Ausprägung. Hauptfokus wird ein erneuter pulmonaler Minderbelüftungen rechts infrahilär, DD entzündlich [...] Infekt vermutet. Es erfolgt eine umfangreiche mikro- halb ohne klinische Bedeutung gewertet Die Therapie mit Ciprofloxacin muss biologische Diagnostik mit Blutkulturen, wird. Zu keiner Zeit wird dieser Erreger bei erhöhten QTc-Zeiten abgesetzt wer- Trachealsekret und einer Liquorpunkti- in einer Blutkultur nachgewiesen, und es den. Die elektrophysiologische Abteilung on, bei auffälliger Neurologie und einer treten im gesamten Verlauf keine Vanco- mittlerweile neben der vermuteten hypo- möglichen zerebralen Beteiligung der mycin-resistenten Stämme (VRE) auf. xischen Genese eine rhythmogene Ursa- Virusinfektion. Darüber hinaus werden Es zeigen sich erwartete Laborwer- che (Long-QT) vermutet. Das Piperacillin/ alle Fremdmaterialien und alle Katheter te hinsichtlich einer COVID-19-Erkran- Tazobactam wird aber weitergeführt. gewechselt. Sonographisch und radio- kung verändert, insbesondere D-Dimere logisch zeigen sich die Infiltrate erneut 7990 μg/l, Neutrophile 9,1/nl und LDH Tag 4 zunehmend (. Abb. 6a, b). 1127 U/l. Nach Vertiefung der Sedierung wird Bei täglicher Besserung der pulmonalen der Patient erneut auf dem Bauch gela- Tag 1 Situation wird versucht, das Weaning gert. Die antibiotische Therapie wird auf auszudehnen, allerdings bleibt es unter Meropenem und Linezolid bei vermuteter Die Situation des Gaswechsels und der verschiedenen medikamentösen Regi- Superinfektion der COVID-19-Pneumonie globalen pulmonalen Situation zeigt sich men frustran, sodass der Patient unter im Sinne eines Substanzwechsels ver- unter der Beatmungstherapie gebessert. strenger Einhaltung aller Schutzmaßnah- ändert. Bei Vorbehandlung der initialen men bei bestätigter SARS-CoV-2-Infektion Aspirationspneumonie mit Piperacillin/ Tag 2 dilatativ tracheotomiert wird. Zu diesem Tazobactam bis einschließlich zum Vor- Zeitpunkt wird die Technik des Abdeckens tag (Therapiedauer 10 Tage) und eines Der Patient erreicht die Normothermie des Patienten mit einer durchsichtigen nun erneuten inflammatorischen Bildes und soll in ein niedrigeres Sedierungsle- Kunststofffolie verwendet, um die Aero- unter laufender antibiotischer Therapie vel (RASS –3 bis –2) gebracht werden, um solbildung während der Maßnahme zu wird diese Kombination gewählt, um ein in eine druckunterstützte Beatmung im reduzieren. größeres Wirkspektrum (MRSA, ESBL-Pro- Sinne von CPAP/ASB überführt zu werden Nach der Tracheotomie ist der Gas- duzenten und 3-MRGN) zu erreichen. Da (FIO2 0,3/PEEP 12/Driving pressure 10). wechsel bei vermuteten Atelektasen wie- 4-MRGN eine Rarität im Klinikum Links der der deutlich schlechter, sodass die Ent- 4 Der Anaesthesist
Abb. 7 8 Mikrobiologischer positiver Nachweis von Cryptococcus neofor- mans im Bronchialsekret Weser darstellen, wird das Meropenem als ausreichend erachtet. Bis auf die bereits bekannten mikrobio- logischen Befunde gibt es bis dato keine neuen Erkenntnisse. Abb. 8 8 Mikrobiologischer negativer Nachweis von Cryptococcus neofor- mans im Liquor Tag 13 Retrospektiv muss an einen kontami- Tag 25 Der Patient entwickelt ein septisches nierten ZVK vor dem Wechsel am Tag 11 Schockgeschehen, gekennzeichnet durch gedacht werden, dieser zeigt sich aber in Unter dem laufenden Weaning kommt es steigende Temperaturen und einen kon- einer mikrobiologischen Untersuchung als zu Fieberspitzen bis knapp 40 °C. Nach der tinuierlich erhöhten Bedarf an Katecho- steril. Die Bakteriämie mit Staphylococcus Abnahme weiterer Blutkulturen werden al- laminen bis 0,14 μg/kgKG/min für einen epidermidis kann in diesem Stadium des le vorhandenen Katheter gewechselt und suffizienten Kreislauf. Krankheitsverlaufs und bei dem immun- eine weitere Antibiotikatherapie kalkuliert Die mikrobiologischen Untersuchun- kompromittierten Zustand des Patienten mit Meropenem und Linezolid begonnen. gen liefern den Nachweis von Cryptococ- nicht ignoriert werden und damit auch Da die letzte Therapie mit diesen Sub- cus neoformans in mehrfachen mikro- keine abwartende Haltung eingenommen stanzen etwa 11 Tage zurückliegt, wird biologischen Bronchialsekretproben; die werden. Als Auslöser des septiformen Bil- wiederholt auf das große Wirkspektrum Liquorbefunde sind unauffällig (. Abb. 7 des muss ebenfalls Cryptococcus neofor- dieser Kombination zurückgegriffen. Um- und 8). mans in Betracht gezogen werden. fangreiche diagnostische Untersuchungen Es wird eine antimykotische Therapie Ein transösophageales Echo zeigt keine (CT, TEE, Sonographie) bleiben ohne neuen mit Amphotericin B und Flucytosin zusätz- Vegetationen auf den Herzklappen, aller- pathologischen Befund; lediglich die Infil- lich zum laufenden Meropenem und Line- dings aber einen bis dato unbekannten trate erscheinen progredient (. Abb. 9). zolid begonnen. intraatrialen Septumdefekt, der nach in- Es wird die Entscheidung zur CVVHD ge- terdisziplinärer Besprechung mit den Kol- troffen, da die Retentionswerte (Kreatinin, Tag 14 legen der Kardiologie und Elektrophysio- Harnstoff) unter der Diuretikatherapie mit logie als Folge der erfolgten Pulmonalve- Furosemid ansteigen und auch das Kalium Während sich der Gesamtzustand unter nenisolation gewertet wird. 5,9 mmol/l überschreitet. der Therapie deutlich stabilisiert, wird ein In den darauffolgenden Tagen wird bei Schon am Folgetag kommt es zu einer Staphylococcus epidermidis in den meis- zunehmender Besserung erneut mit dem deutlichen Besserung dieser septischen Si- ten Blutkulturen nachgewiesen und somit Weaning begonnen. Im Weiteren werden tuation. nicht als Kontamination gewertet. In der das Vancomycin und schließlich das noch antibiotischen Therapie erfolgt als Konse- laufende Meropenem abgesetzt. Tag 31 quenz die Umstellung von Linezolid auf Vancomycin, da zu diesem Zeitpunkt noch Tag 22 In weiteren Bronchialsekretproben erfolgt kein Antibiogramm vorliegt und eine mög- der Nachweis von Leclercia adecarboxyla- liche Resistenzlage (zunehmend Linezolid- Unter der medikamentösen Therapie mit ta. Gemäß dem Antibiogramm erfolgt die resistente S. epidermidis) berücksichtigt Dexmedetomidin können bei neu aufge- Deeskalation der laufenden Antibiotika- werden muss. Des Weiteren wird die Emp- tretenen Agitations- und Angstzuständen therapie auf Piperacillin/Tazobac. Auch die fehlung zur Behandlung einer Blutstrom- eine gute Führbarkeit und Kontaktierbar- dato gegebene antibiotische Therapie war infektion umgesetzt, die eine bakterizide keit des Patienten erreicht werden. Das für dieses Resistenzmuster vollumfänglich Therapie der antibiotischen Therapie mit Weaning schreitet nach Protokoll voran, wirksam (. Abb. 10). dem bakteriostatischen Linezolid vorzieht und es kommt zu ersten Spontanatmungs- [5]. phasen. Der Anaesthesist 5
Kasuistiken Abb. 9 8 Thorax-CT-Aufnahme, Tag 25 im Abb. 10 8 Mikrobiologischer positiver Nachweis Leclerciaadecarboxylata im Bronchialsekret Fieberanstieg. Befund zum CT am Tag 25: [...] erscheinen die vorbeschriebenen infiltratsu- spekten fleckigen Verdichtungen abschnitts- weise progredient, insbesondere im rechten gen bewirken [6]. Die genaue Ursache des Exkurs Leclercia adecarboxylata Oberlappen, teilweise auch mit progredienten Herz-Kreislauf-Stillstands blieb unklar. Milchglasparenchymeintrübungen. Geringe Diese Fallschilderung passt in der zeitli- Leclercia adecarboxylata ist ein gramne- Pleuraergüsse beidseits [...] Begleitende basale chen Abfolge zur heutigen Erkenntnis des gatives, fakultativ anaerobes Bakterium, Dystelektasen Verlaufs einer COVID-19-Infektion. Die kli- das zu der Familie der Enterobakterien ge- nische Verschlechterung nach anfänglich hört und zuerst 1962 von Leclerc beschrie- Tag 34 leichtenSymptomentratetwa8 bis 15 Tage ben worden ist ([10]; . Abb. 14). Es kommt nach der Virusexposition und damit dem ubiquitär in der Natur vor und wurde u. a. Zum weiteren Weaning, der folgenden De- Krankheitsbeginn auf [7]. aus Nahrungsmitteln und Wasser isoliert. kanülierung und zur späteren Atemthera- Der Gesamtverlauf einer COVID-19- Darüber hinaus gehört es zur Darmflora. pie wird der Patient 34 Tage nach der Erkrankung wird durch das Modell der In der Regel bestehen keine ausgeprägten Reanimation auf die Weaning-Station der drei Krankheitsphasen beschrieben. In der Antibiotikaresistenzen, wobei auch schon Lungenfachabteilung der Schwesterklinik ersten Phase, in der eine initiale Virus- resistente Stämme beschrieben worden verlegt (. Abb. 11 und 12). replikation stattfindet, imponieren meist sind [11]. nur leichte Krankheitssymptome, und Infektionen mit Leclercia adecar- Diskussion diese Phase endet mit einem leichten Ab- boxylata treten in den meisten Fällen klingen der Krankheitssymptome. In der bei immunsupprimierten Patienten auf, Der dargestellte Fallbericht beschreibt den zweiten Phase zeigt sich die fulminante jedoch ließ sich das Bakterium in der Verlauf einer COVID-19-Infektion bei ei- septisch-pulmonale Exazerbation, in der Vergangenheit auch bei polymikrobiellen nem männlichen, 55-jährigen Patienten hohes Fieber und eine Hypoxämie domi- Infektionen immunkompetenter Patienten mit konsekutiver Intensivbehandlung und nieren und kann schließlich in der dritten nachweisen. Langzeitbeatmung. Phase münden, als Vollausprägung der Fallberichte über Monoinfektionen Während ein initial abgenommener Hyperinflammation im Bild eines „acute bei immunkompetenten Patienten gibt es SARS-CoV-2-PCR-Test negativ war und respiratory distress syndrome“ (ARDS; ebenfalls [12, 13]. Merza et al. beschrieben daher von einer CAP ausgegangen wur- . Abb. 13, [8]). 2019 den Fall einer 51-jährigen Patien- de, ist ein zweiter Test 7 Tage später Bei 20–25 % der Patienten kommt es tin im septischen Schock aufgrund einer nach einem hypoxisch bedingten Reani- zu einem schweren Verlauf; etwa 6–7 % Cholezystitis. Aus der Gallenflüssigkeit ließ mationsereignis positiv. Im Kontext der der Patienten entwickeln ein ARDS [9]. sich Leclercia adecarboxylata isolieren. Reanimation wurde zusätzlich zur Hypoxie Während der Intensivtherapie des be- Ein Immundefizit war bei dieser Patientin ein Long-QT-Syndrom diskutiert, weshalb schriebenen Patienten kam es zusätzlich hingegen nicht nachweisbar. Sie verstarb eine laufende Antibiose mit Ciprofloxacin zur COVID-19-Pneumonie zu weiteren re- [14]. beendet werden muss. Chinolone haben zidivierenden pulmonalen Infektionen. Es Im Jahr 2013 veröffentlichten Eiland das Potenzial einer QT-Zeit-Veränderung ließen sich, nach unterschiedlichen kal- et al. einen Fall einer 55-jährigen Patientin oder der Aggravation einer bestehenden kulierten Antibiotikatherapien – zwei sel- mit einer Pneumonie durch Leclercia ade- Herzrhythmusstörung. Es muss allerdings tene opportunistische Keime – Leclercia carboxylata, die ebenfalls einen schweren zwingend auch die bis zu diesem Zeitpunkt adecarboxylata und Cryptococcus neo- Verlauf hatte, aber kein nachweisliches Im- laufende Aufsättigung mit Amiodaron in formans, nachweisen und schließlich suf- mundefizit [15]. In einem Fallbericht von Betracht gezogen werden. Auch dieses fizient behandeln. Prakash et al. 2015 wurden 3 Fälle mit Medikament kann QT-Zeit-Veränderun- einer Pneumonie durch Leclercia adecar- boxylata beschrieben. Ein Patient litt an 6 Der Anaesthesist
Abb. 11 8 Thoraxröntgenaufnahme bei Verle- gung auf die Weaning-Station an Tag 34. Befund zum Thoraxröntgen am Tag 34: [...] Minderbe- lüftungen beidseits peri-/infrahilär als Ausdruck möglicher Restinfiltrate. Keine neu aufgetre- tenen entzündlichen Parenchymveränderung, soweit hier bewertbar. [...] einem Immundefizit, die anderen beiden nicht [16]. Auch in 2 dargestellten Fäl- len von Mokkapati 2014 zeigen sich lo- kale Infektionsherde (vaginal und gluteal) mit systemischer Entzündung, die primär von einer Infektion mit Leclercia adecar- boxylata ausgingen, und bei denen die Patienten nicht immunkompromittiert wa- ren [17]. In einem weiteren „case report“ von Keren 2014 wurde von einem 46-jäh- rigen Mann berichtet, der sich durch eine Verletzung beim Surfen im Mittelmeer mit Leclercia adecarboxylata infizierte, eine lokale Entzündung ausbildete, anamnes- tisch allerdings völlig gesund war [18]. Exkurs Cryptococcus neoformans Cryptococcus neoformans ist ein be- kapselter Sprosspilz, welcher weltweit hauptsächlich in Vogelfäkalien vorkommt (. Abb. 15). Er löst bei immunsupprimier- ten Patienten Infektionen der Atemwege und des Zentralnervensystems aus; Infek- tionen immunkompetenter Patienten sind selten. Die Inkubationszeit beträgt ver- mutlich Monate. In der Regel verlaufen In- fektionen mit Cryptococcus neoformans bei immunkompetenten Menschen milde bzw. subklinisch, sodass eine Therapie nicht erforderlich ist bzw. die Erkran- kung aufgrund der fehlenden Schwere gar nicht erst diagnostiziert wird. Fälle Abb. 12 9 Tabella- von schweren Verläufen sind allerdings rischer Verlauf der auch für immunkompetente Patienten Antibiotikatherapie Der Anaesthesist 7
Kasuistiken Stadium I Stadium II Stadium III (frühe Infektion) (pulmonale Phase) (hyperinflammatorische Phase) IIA IIB Krankheitsschwere Lokale Reaktion auf das Virus globale Entzündungsreaktion des Wirtes Zeitlicher Verlauf Leichte körperliche Symptome Atemnot ohne (IIA) und ARDS Klinische mit Hypoxie (IIB) Fieber >37,5°C SIRS/Schock Symptome (paO2/FIO2≤300 mmHg) Trockener Husten Herzversagen Abnorme Bildgebung des Thorax Erhöhte Entzündungswerte Klinische Lymphopenie Transaminasenanstieg (CRP, LDH, IL-6, D-Dimer, Ferritin) Befunde Niedrig-normales Procalcitonin Troponin, NT-proBNP erhöht Mögliche Remdesivir, Chloroquin, Hydroxychloroquin, Rekonvaleszenzplasma-Transfusion Therapien Reduktion der Immunsuppression Vorsichtige Anwendung von Kortikosteroiden, Statinen, (Übermäßige Gabe von Steroiden vermeiden) Immunglobuline, IL-1/IL-2/IL-6/JAK-Inhibitoren/GM-CSF-Inhibitoren Abb. 13 8 Klinischer Verlauf einer COVID-19-Erkrankung. (Aus Siddiqi und Mehra [8], mit freundlicher Genehmigung) Abb. 14 8 E. coli als bekanntester Vertreter der Enterobacteriaceae, zu de- Abb. 15 8 Cryptococcus neoformans; „light India ink staining prepara- nen auch Leclercia adecarboxylata gehört; „magnification“: 6,836×. Scan- tion“. (Content Providers(s): CDC/Dr. Leanor Haley – Dieses Medium stammt ning electron micrograph (SEM). (Author. Janice Haney Carr, Quelle Wikime- aus der Public Health Image Library (PHIL), mit der Identifikationsnummer dia Commons, public domain [46]) #3771 der Centers for Disease Control and Prevention) beschrieben, insbesondere das Auftreten kgKG und Tag) und Flucytosin (100 mg/ war radiologisch durch Infiltrate und eine von Meningitiden [19]. Die Kryptokok- kgKG und Tag) für einen Zeitraum von entsprechende Kinetik der Inflammati- kose zählt zu den AIDS-definierenden zunächst 4 Wochen [21]. onswerte nachvollziehbar. Zum Zeitpunkt Erkrankungen [20]. Die Diagnose erfolgt Beide opportunistischen Erreger, Le- der Infektion bestand eine Lymphopenie als mikroskopischer Direktnachweis bzw. clercia adecarboxylata und Cryptococcus mit 980/μl. Eine HIV-Infektion oder ein mittels Antigentest. Die Therapie erfolgt neoformans, hatten im beschriebenen angeborenes Immundefizit lagen nicht primär mit Amphotericin B (0,7–1 mg/ Fall zu einer Pneumonie geführt. Dies vor. 8 Der Anaesthesist
ten veranschaulicht . Abb. 16 den Verlauf der Lymphozytenzahlen des beschriebe- nen Patienten. Es gibt Berichte aus der intensivme- dizinischen Versorgung von COVID-19-Pa- tienten über häufige unspezifische CRP- Erhöhungen, meist ohne Nachweis von in- fektiösen Erregern [24]. Allerdings zeigt die Auswertung vieler international durchge- führter Studien ein deutliches Biomarker- profil in den Inflammationswerten wäh- rend einer COVID-19-Pneumonie als Aus- druck des Zytokinsturms. Es scheint bei der Interpretation auf die Gesamtheit der Laborparameter anzukommen, nicht auf Abb. 16 8 Lymphozytenzahlverlauf von der stationären Aufnahme bis zur Reanimation (roter Punkt), grün markiert ist der Zeitpunkt um den ersten negativen Coronatest einen singulären Wert [25]. . Tab. 2 ver- deutlicht diese Zusammenhänge. Die Arbeit von Kaneko et al. aus 2020 Scabies Erkrankung HR (95%CI) * zeigt darüber hinaus, dass SARS-CoV-2 zur Scabies 1,64 (1,30-2,06)** Reduktion der B-Zellen und T-Helfer-Zel- Dermatophytose 1,22 (1,08-1,37)** Lokale Candidiasis 4,93 (4,60-5,29)** len führt [26]. Eine Veränderung des Im- Dermatophytosen Varizella 3,44 (1,85-6,42)** 2,37 (2,12-2,65)** munsystems und eine daraus resultierende Herpes Zoster Kutane Zellulitis 2,21 (2,06-2,37)** Immunschwäche tritt bei vielen schweren Lokale Candidiasis LRTI 5,42 (5,23-5,61)** Septikämie 3,96 (3,19-4,93)** viralen Infektionen auf. So untersuchten Gu et al. 2005 die Auswirkung des „severe Varizella acute respiratory syndrome“ (SARS) und fanden heraus, dass neben der pulmona- Herpes Zoster len Manifestation v. a. Zellen der Immun- abwehr betroffen waren. Sie wiesen im Zy- toplasma von Lymphozyten und Monozy- Kutane Zellulitis ten Virusbestandteile nach. Besonders die T-Helfer-Zellen waren betroffen [27]. Für LRTI Influenza (H5N1) wurde 2010 durch Gao ebenfalls ein Befall lymphatischer Organe Septikämie beschrieben, ähnliches auch bei Ebola [28, 1 2 3 4 5 6 29]. Hazard Ratios Zum Zeitpunkt des beschriebenen Falls im Frühjahr 2020 gab es im Be- Abb. 17 8 Infektionsrisiko in der glukokortikoidexponierten Gruppe im Vergleich zu der nicht mit handlungsalgorithmus der Corona-Er- Glukokortikoiden behandelten Gruppe. LRTI „lower respiratory tract infection“ (Infektion der unteren krankung noch keine Empfehlung zur Atemwege). * angepasst für Geschlecht, Alter, Diabetes und Verwendung anderer Immunsuppressiva; Gabe von Steroiden. Die beschriebe- **p < 0,001 für alle Infektionen außer Dermatophytose (p = 0,001) (Aus Fardet et al. [30], Open-Access- ne Superinfektion mit Leclercia ade- Abbildung) carboxylata und Cryptococcus neofor- mans entstand unter einer Langzeit- Eine Erniedrigung der Lymphozyten- Guan et al. fanden 2020 bei einer Un- intensivtherapie ohne immunsupprimie- zahl und der Quotient aus neutrophilen tersuchung an 1099 Patienten heraus, dass rende Medikamente. Dass die Möglichkeit Granulozyten und Lymphozyten (Neu- 83,2 % der COVID-19-Patienten eine Lym- einer Infektion unter immunsuppressiver trophilen-Lymphozyten-Ratio (NLR)) sind phopenie aufwiesen. Je schwerer die Er- Therapie mit Glukokortikoiden erhöht als Prädiktor für einen schweren Verlauf krankung ausgeprägt war, desto niedriger ist, konnten Fardet et al. 2016 in ihrer einer COVID-19-Erkrankung identifiziert lag die Lymphozytenzahl. Schon bei Dia- Studie nachweisen. Ausgewertet wurden worden. Eine anhaltende und schwere gnosestellung kann eine Lymphozytope- hier Daten aus Großbritannien zwischen Verminderung der peripheren Lymphozy- nie mit Werten
Kasuistiken Tab. 2 Darstellung der Biomarker aus verschiedenen Studien. (Aus Fraga-Silva et al. [25]) schlechter kardiovaskulärer Zustand, eine Mild vs. Mild vs. Schwer vs. Überlebende vs. Nicht- Niereninsuffizienz, Diabetes mellitus und schwer kritisch kritisch überlebende Adipositas [42]. Interessanterweise deckt D-Dimer ⇑ ⇑ – ⇑ sich diese Beobachtung mit einer Studie Serumamyloid A ⇑ ⇑ – ⇑ aus 2018 zum Auftreten von Aspergillosen C-reaktives Protein ⇑ ⇑ ⇑ ⇑ unter Influenzapneumonien, was einen di- Interleukin-6 ⇑ ⇑ ⇑ ⇑ rekten Zusammenhang einer Viruspneu- Interleukin-10 ⇑ ⇑ ⇑ ⇑ monie mit dem Risiko einer Aspergillen- Neutrophile ⇑ ⇑ ⇑ ⇑ infektion vermuten lässt [43]. Neutrophile-Lympho- ⇑ ⇑ ⇑ ⇑ In Bezug auf den hier vorgestellten Fall zyten-Ratio muss man daher postulieren, dass die be- Lymphozyten ⇓ ⇓ – ⇓ schriebene seltene Superinfektion unter CD 4+-Zellen ⇓ ⇓ – ⇓ einer steroidfreien Therapie entstanden ist CD 8+-Zellen ⇓ ⇓ – ⇓ und somit die medikamentöse Immunsup- NK-Zellen – ⇓ – ⇓ pression sicherlich keinen entscheidenden Faktor gespielt hat. Allerdings muss Be- CD 4 „Cluster-of-differentiation“-4-T-Helferzellen, CD 8 Cluster-of-differentiation-8-zytotoxische- T Zellen, NK-Zellen natürliche Killerzellen rücksichtigung finden, dass es hier andere ⇑ erhöht oder ⇓ verringert in COVID-19-Patienten einflussreiche Faktoren gab, so der Selekti- onsdruckdurchdieverschiedenenAntibio- tika-Therapie-Regime und die grundsätz- Tab. 3 Multivariate Analyse von Prädiktoren, die unabhängig assoziiert sind mit Superinfektio- liche Immunmodulation durch die SARS- nen bei hospitalisierten Patienten mit COVID-19. (Nach Falcone et al. [41]) Prädiktor OR (95 %-KI) p-Wert CoV-2-Infektion [44]. Intestinale Besiedlung durch CRE 16,03 (6,5–39,3)
so wie in der aktuellen Leitlinie empfohlen 3. S3-Leitlinie Behandlung von erwachsenen Pa- IntImmunopharmacol84:106504. https://doi.org/ tienten mit ambulant erworbener Pneumonie 10.1016/j.intimp.2020.106504 [45], auf diese opportunistischen Infektio- und Prävention – Update 2016, AWMF Leitlinien- 23. Guan WJ et al (2020) Clinical characteristics of nen im Langzeitverlauf auswirken. Register Nummer 020/020, Stand 31. Dez. 2015 coronavirus disease 2019 in China. N Engl J Unter diesen Aspekten lässt sich als Fa- (zurzeit in Revision) Med 382(18):1708–1720. https://doi.org/10.1056/ 4. S3-Leitlinie Epidemiologie, Diagnostik und The- NEJMoa2002032 zit die Empfehlung ableiten, im Verlauf rapie erwachsener Patienten mit nosokomialer 24. Feldt T et al (2020) Welche Rolle spielt ein der stationären COVID-19-Therapie konti- Pneumonie, AWMF Leitlinien-Register Nummer mögliches Hyperinflammationssyndrom bei einer nuierlich umfangreiche mikrobiologische 020/013, Stand 11. 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