Emotionsbezogene therapeutische Techniken zur Behandlung von psychischen Erkrankungen
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Journal für Neurologie, Neurochirurgie und Psychiatrie www.kup.at/ JNeurolNeurochirPsychiatr Zeitschrift für Erkrankungen des Nervensystems Emotionsbezogene therapeutische Homepage: Techniken zur Behandlung von www.kup.at/ psychischen Erkrankungen JNeurolNeurochirPsychiatr Lammers CH, Berking M Online-Datenbank mit Autoren- Journal für Neurologie und Stichwortsuche Neurochirurgie und Psychiatrie 2008; 9 (4), 30-34 Indexed in EMBASE/Excerpta Medica/BIOBASE/SCOPUS Krause & Pachernegg GmbH • Verlag für Medizin und Wirtschaft • A-3003 Gablitz P.b.b. 02Z031117M, Verlagsor t : 3003 Gablitz, Linzerstraße 177A /21 Preis : EUR 10,–
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Emotionsbezogene therapeutische Techniken bei psychischen Erkrankungen Emotionsbezogene therapeutische Techniken zur Behandlung von psychischen Erkrankungen C. H. Lammers1, M. Berking2 Kurzfassung: Nahezu jede psychotherapeuti- Ziele helfen können, zählen u. a. Emotionsexpo- avoiding negative emotions. Specific treatment sche Schule betrachtet die korrigierende Arbeit sition, Emotionsanalyse, Entspannungstechni- targets that focus on emotions include: gaining an emotionalen Prozessen als zentralen thera- ken, Akzeptanztechniken, Schemaanalysen, so- insight in the existence of problematic emo- peutischen Ansatzpunkt. Belastende Emotionen wie ein umfassendes emotionales Kompetenz- tions, enhancing the abilities to experience sind bei der überwiegenden Zahl psychischer training. Dabei stellen emotionsbezogene Stra- these emotions consciously, enhancing the abili- Störungen ein zentraler Bestandteil der Sympto- tegien keine neue Therapierichtung dar, sondern ties to understand, accept, regulate and/or tol- matik. Andere Symptome lassen sich oft als sind notwendige methodische Bausteine, wel- erate problematic emotions. Additionally, it is dysfunktionale Bewältigungsstrategien zur Ver- che in allen Psychotherapieschulen ihren Platz important that patients learn to recognize the meidung negativer Emotionen verstehen. Zu den haben sollten. needs that cue problematic emotions. Moreover, therapeutischen Zielen im Umgang mit dysfunk- patients need to learn adaptive ways to express tionalen emotionalen Prozessen gehören u. a. problematic emotions that take their needs into die Einsicht in die Existenz problematischer account. Several therapeutic strategies can help Emotionen und die Fähigkeit, diese erleben, ver- Abstract: Emotion-Focused Techniques in to attain these goals. These strategies include stehen, akzeptieren, regulieren, und gegebenen- the Psychotherapeutic Treatment of Pa- emotion-activating techniques, chain analyses of falls auch aushalten zu können. Von besonderer tients. Almost all psychotherapeutic orientation emotions, acceptance techniques, scheme analy- Bedeutung ist der Aufbau der Kompetenz, emo- treatments consider dysfunctional emotional ses and complex emotion regulation trainings. tionsaktivierende Bedürfnisse zu erkennen und processes to be important treatment targets. These strategies do not define a new treatment auf der Grundlage dieses Wissens einen ange- The relevance of emotional processes is prima- “school”; they can rather be seen as compo- messenen behavioralen Ausdruck für problema- rily derived from the hypothesis that psycho- nents that should be integrated into any form of tische Emotionen zu finden. Zu den psychothera- pathological symptoms are either emotional in psychotherapy. J Neurol Neurochir Psychiatr peutischen Techniken, die beim Erreichen dieser nature or can be conceptualized as ways of 2008; 9 (4): 30–4. Einleitung Emotionale Schemata sind Folge von Lernerfahrungen und somit ein Gedächtniskorrelat im Sinne einer emotionalen Emotionen sind ein unabdingbarer Bestandteil des menschli- Konditionierung. chen Erlebens. Sie koordinieren motivationale, kognitive und behaviorale Reaktionen auf interne und externe Reize so, dass Zusammengefasst sind Emotionen interne Soll-Werte (v. a. Bedürfnisse und Ziele) leichter er- • Informationen (über Bedürfnisse und Ziele) reicht werden können. Somit liefern Emotionen zum einen • Signale an Mitmenschen wichtige Information darüber, inwieweit die Wahrnehmung • Handlungsstimulatoren und Interpretation der aktuellen Situation mit den Bedürfnis- • Gedächtniskorrelate sen und Zielen des Individuums übereinstimmen. Zum ande- • Grundlage von Sinn, Bedeutung und Wohlbefinden ren legen Emotionen Handlungen nahe, die diesbezügliche Diskrepanzen reduzieren sollen [1]. Grundlegende emotio- Die Bedeutung von Emotionen für die nale Reaktionsmuster gehören zum stammesgeschichtlichen Erbe des Menschen und werden durch die Lernerfahrungen Psychotherapie des Individuums weiter ausgeformt. Somit sind unsere Problematische und belastende emotionale Prozesse stehen emotionalen Reaktionen gleich zweifach Produkte der Ver- bei fast allen psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressio- gangenheit. Dies impliziert, dass emotionsgeleitete Situa- nen, Angsterkrankungen, aber auch Persönlichkeitsstörun- tionseinschätzungen und Handlungsvorbereitungen, die in gen, im Mittelpunkt und stellen daher einen Ansatzpunkt für der phylogenetischen oder ontogenetischen Vergangenheit emotionsbezogene Techniken dar [4]. Nach Mahoney [5] sind hilfreich und existenzsichernd gewesen sein mögen, in der Ärger, Angst, Traurigkeit, Ekel, Hass, Peinlichkeit, Schuld heutigen modernen Gesellschaft mehr Nachteile als Vorteile und Scham die häufigsten belastenden Emotionen von Patien- mit sich bringen können (insbesondere Ängste). Oft werden ten in einer Psychotherapie. Obwohl die verschiedenen psy- solche dysfunktionalen Emotionen dadurch aufrechterhalten, chotherapeutischen Schulen sich in wesentlichen Aspekten dass sie Kognitionen und Verhaltensweisen aktivieren, die der Konzeption und Therapie seelischer Erkrankungen unter- ihrerseits wieder emotionale Reaktionen verstärken. Für sol- scheiden, betrachten sie alle die Beeinflussung von emotiona- che komplexen Ablaufmuster, bei denen Emotionen die len Prozessen als zentral für die therapeutische Wirksamkeit Dynamik das Geschehens entscheidend beeinflussen, hat sich des jeweiligen Verfahrens [3]. der Begriff „emotionale Schemata“ etabliert (vgl. [2, 3]). Patienten weisen in der Regel die folgenden dysfunktionalen Prozesse in Bezug auf Emotionen auf: Aus der 1Asklepios-Klinik Nord-Ochsenzoll, Hamburg und dem 2Department of Psychol- • Durch emotionale Konditionierung ergibt sich in der Lern- ogy, Behavioral Research and Treatment Clinics, University of Washington, Seattle, USA Korrespondenzadresse: PD Dr. med. Claas-Hinrich Lammers, Asklepios-Klinik geschichte eine Verknüpfung zwischen einem Stimulus Nord-Ochsenzoll, D-22419 Hamburg, Langenhorner Chaussee 560; (z. B. Kritik, Anforderungen oder Einsamkeit) mit einer E-Mail: c.lammers@asklepios.com bestimmten Emotion (z. B. Minderwertigkeit, Unsicher- 30 J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2008; 9 (4) For personal use only. Not to be reproduced without permission of Krause & Pachernegg GmbH.
Emotionsbezogene therapeutische Techniken bei psychischen Erkrankungen heit oder Angst). Aus lerngeschichtlichen Ursachen emp- durch die Emotionen zum Ausdruck kommen, kennen ihre findet der Patient diese so genannte primäre Emotion [2] primären Emotionen nicht, können belastende Emotionen als unerträglich bzw. bedrohlich (in der Regel sind dies nicht ertragen, und sind nicht kompetent in emotions- negative Emotionen wie z. B. Scham, Minderwertigkeit, bezogenem Ausdruck und Verhalten. Angst oder Traurigkeit; seltener aber auch positive Emoti- onen wie z. B. Stolz oder Zuneigung). Diese primären Angesichts dieser Defizite im Bereich der Emotionsverarbei- Emotionen sind bei psychisch kranken Patienten oft Teil tung ist es leicht nachvollziehbar, dass die emotionale Akti- eines selbstabwertenden Schemas, d. h. einer grundsätzli- vierung und deren adaptive Prozessierung im Rahmen ver- chen negativen Beurteilung des Selbst durch Emotionen schiedener Therapiekonzepte positive Prädiktoren für den wie Scham, Minderwertigkeit, Angst oder Furcht. Sie Erfolg einer Psychotherapie sind [9, 10]. gehen mit entsprechenden Kognitionen und Verhaltens- weisen einher, deren negative Folgen, insbesondere auch Emotionsbezogene therapeutische Ziele durch dysfunktionale Bewältigungsstrategien (s. u.) zu psychischem Leiden führen [3]. In Anlehnung an Greenberg [2] (siehe auch [11]) kann man • Um diese Emotion nicht spüren zu müssen, vermeiden bzw. fünf wesentliche psychotherapeutische Ziele und Prozesse zur bekämpfen die Patienten diese Emotionen im Sinne dys- Veränderung von Emotionen beschreiben: funktionaler Bewältigungsstrategien. Leigh McCoullough 1. Die Förderung der Wahrnehmung und des Erlebens von spricht in diesem Zusammenhang treffend von einer Emotionen. Patienten sollten ihre Emotionen wahrnehmen, Emotionsphobie [6]. Diese dysfunktionalen Bewältigungs- erleben und aushalten können (Emotionstoleranz). Hilf- strategien des Vermeidens und Bekämpfens von Emotio- reich hierzu sind erlebnisorientierte Prozesse in der Thera- nen führen letztlich zu dem manifesten psychischen Lei- pie, eventuell u. a. Emotionsstimulation, Emotionsexposi- den. So kann die Vermeidung von Ärger und Wut durch tion, Emotionsanalysen und Führen eines Emotionstage- sozialen Rückzug zu Einsamkeit und Minderwertigkeits- buchs. Ein sprachlich-symbolischer Ausdruck für Emotio- gefühlen und damit in die Depressivität führen (z. B. bei nen ist hierbei unabdingbar. depressiven Prozessen). Die Bekämpfung von Unsicher- 2. Vermittlung von regulatorischen Fähigkeiten im Umgang heit und Insuffizienzgefühlen durch Entwertung, Beleidi- mit Emotionen bzw. emotionalen Durchbrüchen. Hierzu gung der Interaktionspartner zu negativen sozialen Konse- gehören wesentlich die Korrektur dysfunktionaler, emo- quenzen wie z. B. Partnerschafts- oder Jobverlust. Wahr- tionsbestimmender kognitiver Bewertungsprozesse („emo- genommen werden dann nur noch Gefühle wie Ärger und tionales Denken“), die Steigerung emotionaler Kompe- Wut (dies sind natürlich nur Beispiele; so kann z. B. Ärger tenzstrategien im Verhalten bei zwischenmenschlichen und Wut soweit vermieden werden, dass Depressivität im Kontakten, die gezielte Senkung des emotionalen Arousals Vordergrund steht). Das psychische Leiden erfolgt dann u. a. durch so genannte Skills [12] und Entspannungstech- zum großen Teil in Form der oben beschriebenen so ge- niken. Aber auch die grundsätzliche Akzeptanz bzw. radi- nannten sekundären Emotionen, d. h. Emotionen, welche kale Akzeptanz für Emotionen (s. u.) und die direkte Zu- sich aus der Vermeidung oder Bekämpfung von primären wendung hin zu den Emotionen u. a. mittels der so genann- Emotionen ergeben [2]. Die Forschung zu Bewältigungs- ten „Inneren Achtsamkeit“ sind hierzu unabdingbar [13]. strategien hat ergeben, dass insbesondere die Vermeidung 3. Die Steigerung der Einsicht in die Bedeutung von Emotio- des emotionalen Erlebens von individuellen Problemen zu nen. Hierzu gehört u. a. die Unterscheidung von adaptiven einer negativen Entwicklung dieser Probleme und damit zu versus maladaptiven Emotionen, die Differenzierung von psychischen Symptomen führt [7, 8]. primären und sekundären Emotionen und die Einsicht in • Häufig können Patienten nicht zwischen adaptiven und die Verknüpfung von Emotionen mit individuellen Bedürf- maladaptiven Emotionen unterscheiden, so dass sie wichti- nissen und Zielen. Patienten sollen die Informationen, wel- ge adaptive Emotionen vermeiden bzw. bekämpfen, auf che durch Emotionen zum Ausdruck kommen, verstehen, der anderen Seite aber maladaptive, d. h. situativ-unange- um ihre Handlungen hierauf abstimmen zu können. messene Emotionen ernst nehmen und sich ihnen gemäß 4. Die qualitative Veränderung von Emotionen. Wesentlicher verhalten. Diese Schwierigkeiten können u. a. folgende Bestandteil dieses Ziels ist die ressourcenorientierte Ver- Ursachen haben: (1) Patienten orientieren sich nicht an den änderung emotionaler Prozesse, d. h. die Suche nach adap- tatsächlichen Konsequenzen von Emotionen und deren tiven Emotionen, welche an die Stelle der problematischen Ausdrucksformen, sondern beurteilen diese anhand von maladaptiven Emotionen treten sollen. Bislang nicht wahr- (ansozialisierten) Vorurteilen (z. B. „Weinen ist ein Zei- genommene adaptive Emotionen werden im Erleben geför- chen von Schwäche“). (2) Patienten messen den kurzfristi- dert und kognitive Bewertungsprozesse in Bezug auf diese gen Konsequenzen von Emotionen mehr Bedeutung bei als Emotionen verändert, um deren Intensität, Auftretens- den langfristigen (z. B. Vermeidung von angstauslösenden wahrscheinlichkeit und Qualität zu beeinflussen. Situationen). (3) Patienten machen falsche (katastrophisie- 5. Aufbau neuer Verhaltensfertigkeiten: Der Patient lernt, rende) Prognosen in Bezug auf die Konsequenzen emotio- seine adaptiven Emotionen in angemessene Ausdrucks- naler Reaktionen (z. B. „Alle werden mich ablehnen, wenn und Verhaltensweisen umzusetzen, damit er das zugrunde ich losheule“). liegende Bedürfnis besser befriedigen kann. Handelt es • Patienten haben eine geringe Kompetenz in der direkten sich um eine maladaptive Emotion, kann der Patient die Auseinandersetzung mit problematischen emotionalen Emotion und das dysfunktionale, d. h. gegenwärtig nicht Prozessen. Sie fehlinterpretieren die Bedeutung ihrer Emo- angemessene Bedürfnis hinter der Emotion, als Teil eines tionen, haben keine Einsicht in die Bedürfnisse, welche emotionalen Schemas begreifen und sich schemakorrigie- J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2008; 9 (4) 31
Emotionsbezogene therapeutische Techniken bei psychischen Erkrankungen rend verhalten. Hierzu gehört auch das Erlernen von Ver- Existenz einer maladaptiven Emotion, ohne diese als be- haltensweisen, welche entgegengesetzt zur Emotion rechtigt und angemessen zu betrachten und ohne deren sind (so z. B. bei Minderwertigkeitserleben in der Situation Ausdruck langfristig zu fördern (eine kurzfristige Stimula- bleiben, sich nicht verteidigen, aufrecht stehen und be- tion des Ausdrucks in der therapeutischen Beziehung kann wusst entspannen). hingegen durchaus sinnvoll sein). Die radikale Akzeptanz soll das Leiden des Patienten aus seinem aussichtslosen Eine grundsätzliche Frage der emotionsbezogenen Arbeit ist Kampf gegen eine Emotion reduzieren und ihm damit die die Wahl zwischen Stimulation und Regulation einer Emo- Möglichkeit einer Neuorientierung im Umgang mit dieser tion. Stabile Patienten (u. a. keine Suizidalität, keine Impuls- Emotion ermöglichen [13]. durchbrüche, keine selbst- oder fremdschädigenden Verhal- • Emotionsexposition: Patienten lernen hierdurch, unange- tensweisen, guter therapeutischer Kontakt) bedürfen eher nehme und problematische Emotionen auszuhalten (Emo- einer Stimulation ihrer häufig vermiedenen und bekämpften tionstoleranz), um ihre bisherigen dysfunktionalen Bewäl- emotionalen Prozesse (zum Vorgehen siehe [2, 3]). Hierdurch tigungsstrategien außer Kraft zu setzen. Diese Technik erhalten sie Zugang zu wichtigen, oftmals adaptiven Emotio- wird in der Verhaltenstherapie routinemäßig bei Ängsten nen, welche Auskunft über bedrohte oder unerfüllte Bedürf- eingesetzt (z. B. bei Zwangserkrankungen und Phobien) nisse darstellen. Instabile Patienten mit zerstörerischen Emo- und lässt sich auch bei anderen Emotionen wie z. B. Min- tionen (z. B. narzisstisch gestörte Patienten oder Borderline- derwertigkeit, Traurigkeit oder Ärger anwenden. Patienten) bedürfen eher einer Regulation ihrer Emotionen, so • Förderung der „inneren Achtsamkeit“: Mit dieser Technik dass sie die Qualität und Intensität ihres emotionalen Erlebens kann der Patient seine Emotionen erleben, ohne sich von und die hieraus entspringenden destruktiven Verhaltenswei- diesen jedoch zu dysfunktionalen Kognitionen und Hand- sen kontrollieren können (zum Vorgehen siehe [3, 12]). lungen drängen zu lassen. Die innere Achtsamkeit kann bei sehr intensiven und destruktiven Emotionen eine abgemil- Emotionsbezogene therapeutische Techni- derte Form der Emotionsexposition darstellen [13]. • Emotionsregulation: Die Grundfertigkeiten der Emotions- ken regulation bestehen in (1) Stimuluskontrolle, (2) Aufmerk- Nach einer individuellen Diagnostik, in der die Art und Inten- samkeitslenkung, (3) kognitiver Repräsentation der Emo- sität der vom Patienten erlebten Emotionen sowie dessen tion, (4) Veränderung der kognitiven Bewertungsprozesse Umgangsweisen mit diesen abgeklärt werden (siehe [14]), und (5) Verhaltensänderung [15]. Mit den Techniken der steht die Erarbeitung der (emotionsbezogenen) individuellen Emotionsregulation lernen Patienten, ihr emotionales Erle- Therapieziele und eines Therapieplans im Vordergrund. Für ben im Sinne des Selbstmanagements hinsichtlich Intensi- die Umsetzung stehen dem Therapeuten die folgenden Tech- tät und Qualität zu beeinflussen. Viele der Techniken der niken zur Verfügung: Emotionsregulation finden sich in den emotionsbezogenen • Die Gestaltung der therapeutischen Beziehung (insbeson- Techniken der kognitiven Verhaltenstherapie wieder (z. B. dere Empathie und Validierung). Die Fähigkeit des Thera- ABC-Schema der Emotion). peuten, dem Patienten eine sichere und wertschätzende • Emotionsanalyse (emotionsbezogene Verhaltensanalyse): Beziehung in der Therapie anzubieten, ermöglicht es die- Mit dieser Technik lernt der Patient, sich seinen problema- sem, Zugang zu problematischen Emotionen (häufig angst- tischen Emotionen zuzuwenden und diese hinsichtlich ih- bzw. schambesetzten Emotionen) zu finden und diese zum rer Entstehungsfaktoren zu analysieren (Wahrnehmungen, Ausdruck zu bringen. Bewertungen, Bedürfnisse, Ziele etc.). Eine solche Analy- • Emotionsstimulation (u. a. durch direktes Ansprechen von se erleichtert das Finden von Veränderungspunkten oder Emotionen, Imagination emotionsauslösender Situationen, die Einsicht in die Notwendigkeit, bestehende Gefühle ak- Stimuluspräsentation, 2-Stuhltechnik, Rollenspiele, Focu- zeptieren und aushalten zu müssen (vgl. [11]). sing). Bislang vermiedene oder bekämpfte Emotionen wer- • Schemaanalyse (Suche nach primären Emotionen und den erlebbar und einer therapeutischen Bearbeitung zu- Explizierung eines impliziten Schemas): Dysfunktional gänglich. Beispielsweise kann angemessener Ärger über verhaltenswirksame Schemata basieren zumeist auf einer eine frustrierende Beziehung aktiviert werden, welcher emotionalen Konditionierung durch vorangegangene prob- bislang durch eine sekundäre Emotion wie z. B. Traurig- lematische Lernerfahrungen. Die daraus resultierenden keit oder Schuldgefühl maskiert wurde. Auch können hier- belastenden primären Emotionen fungieren als Initiator der mit funktionale Emotionen (Ressourcenorientierung) akti- weiteren kognitiven und behavioralen Aspekte dieses viert werden, welche an die Stelle von maladaptiven Emo- Schemas und sind regelhaft maladaptive Emotionen wie tionen treten und damit verhaltenswirksam werden kön- Scham, Minderwertigkeit, Angst, Furcht etc. Durch die nen. Identifikation der maladaptiven primären Emotion lässt • Akzeptanz adaptiver Emotionen und so genannte „radikale sich das Schema explizieren, d. h., es wird eine Klärung Akzeptanz“ maladaptiver Emotionen (vgl. [12]). Die Tech- des Schemas und seiner biographischen Ursachen vorge- nik der Akzeptanz bezieht sich sowohl auf die Existenz nommen. Diese Klärung hat an sich eine therapeutische einer bislang vermiedenen bzw. bekämpften Emotion als Wirkung, da sie das aktuelle Verhaltensmuster verständ- auch auf deren adaptive Bedeutung. Der Patient lernt, eine lich macht und gleichzeitig die Einsicht in die situative angemessene Emotion und das damit verbundene Bedürf- Unangemessenheit fördert. Damit erleichtert die Schema- nis als auch dessen notwendigen Ausdruck bzw. Umset- Explikation oft in entscheidendem Maße die sich danach zung in eine Handlung anzunehmen. Die radikale Akzep- anschließende konstruktive Bearbeitung der primären tanz hingegen bezieht sich alleinig auf die Annahme der Emotion [16]. 32 J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2008; 9 (4)
Emotionsbezogene therapeutische Techniken bei psychischen Erkrankungen • Führen eines Emotionstagebuchs: Mit diesem wird die nalen Prozesse, deren empathisch-validierendes Begleiten Aufmerksamkeit des Patienten auch zwischen den Thera- durch den Therapeuten, das Erleben des verborgenen Bedürf- piestunden auf seine emotionalen Prozesse gelenkt, so dass nisses und die Aktivierung von adaptiven emotionalen Pro- er nicht nur sich an diese habituieren, sondern auch Zusam- zessen im Vordergrund. Von Leslie Greenberg stammt auch menhänge zwischen seinem Verhalten und seinen Emotio- die Unterscheidung von primären und sekundären Emotionen. nen erkennen kann. Der emotionsfokussierte Ansatz von Greenberg bezieht sich • Verhaltensfertigkeiten zum Umgang mit Emotionen von überwiegend auf überregulierte, d. h. vermiedene bzw. be- sehr hoher Intensität (so genannte Skills nach Linehan kämpfte Emotionen von stabilen Patienten. Ein wesentlicher [12]). Da sehr intensive Emotionen über Projektionen der Teil der Interventionen besteht deswegen in der Stimulation Amygdala auf den präfrontalen Kortex dessen emotions- des emotionalen Erlebens der Patienten. bezogene kognitive Leistungen zunehmend einschränken, ist der Patient nicht mehr in der Lage, sein emotionales Er- Marsha Linehan [12] hat insbesondere für Borderline-Patient- leben zu regulieren. Deswegen bedarf es sogenannter innen ein Modul für die Emotionsregulation entwickelt, wel- Skills, d. h. Verhaltensfertigkeiten, welche ihm das Ertra- ches sich im Gegensatz zu Leslie Greenbergs Ansatz auf den gen dieser Emotionen ermöglichen, ohne dass er mit dys- Umgang mit intensiven und zerstörerischen Emotionen kon- funktionalen Verhaltensweisen wie aggressiven Durchbrü- zentriert. Hier stehen Skills (Verhaltensfertigkeiten) zur chen, Selbstverletzung und Suizidalität u. ä. reagieren Regulation von intensiven zerstörerischen Emotionen, die muss. Analyse von deren Entstehung (Emotionsanalyse) und deren • Emotionales Kompetenztraining. Wenn ein Patient Ein- Beeinflussung durch kognitive und behaviorale Prozesse sicht in die Bedürfnisse gewonnen hat, welche durch seine (soziales Kompetenztraining) im Vordergrund. Emotionen ausgedrückt werden, erfolgt ein Training von diesbezüglichen Ausdrucks- und Verhaltensfertigkeiten. Matthias Berking hat ein verhaltenstherapiebasiertes Pro- So kann die Emotion Ärger das Erleben einer Grenz- gramm zur Steigerung der emotionalen Kompetenz entwi- überschreitung und das Bedürfnis nach mehr Kontrolle ckelt [11]. Das Training emotionaler Kompetenzen (TEK) zum Ausdruck bringen. Wurde dieser Ärger aber bislang wurde ursprünglich als flankierende Maßnahme konzipiert, vermieden, muss der Patient Verhaltensfertigkeiten erler- die sich mit allen empirisch validierten Interventionsformen nen, um diesen Ärger so zum Ausdruck zu bringen, dass er kombinieren lässt. Der Kern des Trainings besteht in der Ver- mehr Kontrolle erreicht, ohne über das Ziel hinauszuschie- mittlung von sieben Kompetenzen und deren intensivem Trai- ßen und z. B. durch Wutanfälle negative soziale Konse- ning, die für den konstruktiven Umgang mit negativen Gefüh- quenzen zu erfahren. len besonders hilfreich sind. Erste Studien sprechen dafür, • Körpertherapeutische Verfahren: Da Emotionen auf das dass die Effektivität anerkannter Verfahren durch die Integra- engste mit körperlichem Erleben und Ausdruck verbunden tion des TEK weiter gesteigert kann [18]. sind, können körpertherapeutische Verfahren wesentlich zu einer Bearbeitung emotionaler Prozesse beitragen [17]. Von Claas-Hinrich Lammers wurde eine Synthese der emo- • Kreativverfahren: Da bei Patienten der verbale Zugang zu tionsbezogenen Vorgehensweisen vorgelegt, welche die be- und der Ausdruck von Emotionen bekanntermaßen einge- stehenden Ansätze von Greenberg und Linehan sowie andere schränkt sind, bieten sich insbesondere kreative Verfahren emotionsbezogene Ansätze aus der Verhaltenstherapie und an, um sich mit emotionalen Prozessen auseinander zu set- anderen psychotherapeutischen Schulen zusammenfasst [3]. zen. Hierzu gehört z. B. das Malen als Ausdruck von emo- Dieser Ansatz stellt Strategien und Techniken sowohl für Pa- tionalen Zuständen und der Versuch, diese durch das Ent- tienten mit intensiven unterregulierten Emotionen als auch werfen von neuen Bildern zu verändern. Auch der musika- überregulierten Emotionen zur Verfügung. Außerdem wird lische Ausdruck von Emotionen kann zu deren therapeuti- die neurobiologische Dimension der Psychotherapie an und scher Veränderung beitragen. mit Emotionen ausführlich dargestellt. • Entspannungsverfahren: Um die negative Feedback- schleife von problematischen Emotionen durch die einher- Relevanz für die Praxis gehende körperliche Anspannung zu unterbrechen und Emotionen ertragen und das Ertragen von sehr belastenden Nahezu jede psychotherapeutische Behandlung zielt auf Emotionen zu lernen, ist die Anwendung von Entspan- die Veränderung emotionaler Prozesse. Hierzu bedarf es nungsverfahren sehr hilfreich (z. B. Muskelrelaxation, einer Konzeptualisierung pathologischer emotionaler Pro- Atemübungen). Diese Techniken sind insbesondere zur zesse mit spezifischen Techniken bzw. Interventionen. Regulation von maladaptiven Emotionen und bei der Beides wird in diesem Artikel übersichtsartig dargestellt. Emotionsexposition wichtig [11]. Emotionsbezogene therapeutische Kon- Literatur: 4. Rottenberg J, Johnson SL. Emotion and Psychopathology. American Psychological zepte 1. Lazarus RS. Emotion and Adaption. Oxford Association, Washington, DC, 2007. University Press, Oxford, 1991. 5. Mahoney MJ. Emotionality and health: Es gibt mittlerweile eine Reihe von psychotherapeutischen lessons from and for psychotherapy. In: Konzepten, welche sich vorrangig auf die Arbeit an Emotio- 2. Greenberg L. Emotionsfokussierte Thera- Nathanson DL (ed). Knowing Feeling: Affect, pie. Lernen mit eigenen Gefühlen umzuge- Script, and Psychotherapy. Norton, New York, nen beziehen. Hierzu gehört in erster Linie die emotions- hen. DGVT-Verlag, Tübingen, 2006. 1996; 84–95. fokussierte Psychotherapie von Leslie Greenberg [2]. Für 3. Lammers CH. Emotionsbezogene Therapie. 6. McCullough L, Kuhn N, Andrews S, Kaplan Greenberg steht die Aktivierung der problematischen emotio- Schattauer Verlag, Stuttgart, 2006. A. Treating affect phobia. A manual for short- J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2008; 9 (4) 33
Emotionsbezogene therapeutische Techniken bei psychischen Erkrankungen term dynamic psychotherapy. The Guilford 13. Lammers CH. Achtsamkeit und Akzeptanz Press, New York, 2003. bei der therapeutischen Arbeit an Emotionen. PD Dr. med. Claas-Hinrich Lammers 7. Hayes SC, Wilson KG, Gifford, EV. Experi- Psychotherapie im Dialog 2006; 3: 292–6. ential avoidance and behavioural disorders: a 1983–1990 Studium der Medizin in Hom- 14. Berking M, Znoj H. Entwicklung und Vali- functional dimensional approach to diagnosis dierung eines Fragebogens zur standardisier- burg/Saar, Hamburg und den USA. 1990 and treatment. J Consult Clin Psychol 1996; ten Selbsteinschätzung emotionaler Kompe- Promotion in Psychiatrie. 1990–2000 As- 64: 1152–68. tenzen (SEK-27). Z Psychiatrie, Psychol sistenzarzt Psychiatrie und Neurologie am 8. Campbell-Sills L, Barlow DH, Brown TA, Psychother (in Druck). Hofman SG. Acceptability and suppression of Max-Planck-Institut für Psychiatrie, Mün- 15. Gross JJ. Handbook of Emotion Regula- chen, Universität Marburg und Universi- negative emotion in anxiety and mood disor- tion. The Guilford Press, New York, 2007. der. Emotion 2006; 6: 587–95. tät Lübeck. 1992–1994 Forschungsauf- 16. Young JE, Klosko JS, Weishaar ME. 9. Elliot R, Greenberg L, Lietaer G. Research Schematherapie. Ein praxisorientiertes Hand- enthalt am Centre Paul Broca, l´INSERM, on the experiential psychotherapies. In: Lam- Paris und 1996–1999 am National Insti- bert MJ (ed). Psychotherapy and Behaviour buch. Junfermann Verlag, Paderborn, 2005. Change. Wiley, New York, 2004; 123–31. 17. Görlitz G. Körper und Gefühl in der Psy- tute of Health, Bethesda, USA. 2000– 10. Whelton WJ. Emotional processes in psycho- chotherapie. Basisübungen. Klett-Cotta, 2006 Oberarzt an der Klinik für Psychiatrie therapy: Evidence across therapeutic modalities. Stuttgart, 2006. und Psychotherapie an der Universität Lübeck und der Charité, Berlin. Clin Psychol Psychother 2004; 11: 58–71. 18. Berking M, Wupperman P, Reichardt A, 1990–2006 Zusatzausbildungen in Verhaltenstherapie, Supervision- 11. Berking M. Training emotionaler Kompe- Pejic T, Dippel A, Znoj H. Emotion-regulation Verhaltenstherapie, Traumatherapie, Hypnotherapie, dialektisch-beha- tenzen. Springer-Verlag, Heidelberg, 2007. skills as a treatment target in psychological 12. Linehan M. Dialektisch behaviorale The- interventions for mental health problems: vioraler Therapie, emotionsfokussierter Therapie. Seit 2006 ärztlicher rapie der Borderline-Persönlichkeitsstörung. Preliminary results of a controlled trial (zur Direktor und Chefarzt der I. und III. Abteilung der Asklepios-Klinik Nord, CIP Medien, München, 1996. Veröffentlichung eingereicht). Ochsenzoll, Hamburg. 34 J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2008; 9 (4)
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