Sichere Stromversorgung bei hohen Anteilen volatiler erneuerbarer Energien - eLib
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Analysen und Berichte Klimapolitik DOI: 10.1007/s10273-016-1980-6 Paul Lehmann, Erik Gawel, Klaas Korte, Matthias Reeg, Dominik Schober Sichere Stromversorgung bei hohen Anteilen volatiler erneuerbarer Energien Was kann ein Strommarkt 2.0 leisten? In den letzten Jahren wird vermehrt die Sorge geäußert, dass die Energiewende die Sicherheit der Stromversorgung in Deutschland langfristig durch Engpässe und Stromausfälle gefährden könnte. Während der Ausbau von volatiler Stromerzeugung aus Wind- und Sonnenenergie mit hohem Tempo voranschreitet, sinken die Anreize, in konventionelle Reservekraftwerke zu investieren. Auf diese Befürchtungen reagiert die Bundesregierung nun mit einem energiepolitischen Reformpaket für einen sogenannten „Strommarkt 2.0“. Aber kann damit die Stromversorgung tatsächlich nachhaltig gesichert werden? In Sachen Stromversorgungssicherheit geben insbe- für Wirtschaft und Energie (BMWi) im letzten Jahr nach sondere die Ankündigungen einiger Kraftwerksbetrei- langer und kontroverser Debatte ein Konzept für einen ber, ihre bestehenden Kraftwerke vom Netz zu nehmen ertüchtigten „Strommarkt 2.0“ vorgelegt.3 Der entspre- und bereits geplante neue Kraftwerke nicht mehr zu chende Gesetzentwurf der Bundesregierung wird gegen- bauen, Grund zur Sorge.1 Ursachen sind sinkende Bör- wärtig im Bundestag beraten.4 Dieser „Strommarkt 2.0“ senstrompreise und mangelnde Auslastung, die in den beruht dabei im Kern auf zwei Säulen. Zum einen setzt letzten Jahren insbesondere den Betrieb von Gaskraft- der Entwurf explizit auf die Stärkung der Marktmechanis- werken zunehmend unrentabel gemacht haben. Bislang men (§ 1a Energiewirtschaftsgesetz, EnWG-E). Die Hö- ist jedoch umstritten, ob es sich bei diesen Entwicklun- he der Strompreise im Großhandel (Termin-, Day-Head-, gen um ein grundsätzliches, strukturelles Problem han- Intraday-, Day-After- und Regelleistungsmärkte) soll delt, das im Zuge der Energiewende auftritt. So können (weiterhin) nicht regulatorisch beschränkt werden. Die die gegenwärtig niedrigen Börsenstrompreise zwar auch Bilanzkreisverantwortlichen sollen als Mittler der Markt- darauf zurückgeführt werden, dass staatlich geförderter transaktionen mehr Verantwortung und durch Pönale Strom aus erneuerbaren Energiequellen mit Grenzkos- Anreize zur Sicherung der Stromversorgung erhalten. ten von Null auf den Markt drängt. Maßgeblicher haben Kleinen, dezentralen Anbietern von flexibler Stromerzeu- bislang jedoch der Verfall von CO2- und Rohstoffpreisen gung und -nachfrage soll der Zugang zu den Regelener- sowie Überkapazitäten in der Stromerzeugung zu sin- giemärkten erleichtert werden. Zudem soll grundsätzlich kenden Börsenstrompreisen beigetragen.2 Trotzdem wird die Transparenz der Strommärkte erhöht werden. Gleich- befürchtet, dass die Energiewende mittelfristig vor einem zeitig soll der Strommarkt aber auch durch mehrere Versorgungssicherheitsproblem stehen könnte, zumal bis Kraftwerksreserven abgesichert werden: eine gestärkte 2022 auch die verbliebenen Kernkraftwerke schrittweise Netzreserve (§ 13d EnWG-E) sowie eine neu geschaffe- abgeschaltet werden. ne Kapazitätsreserve (§ 13e EnWG-E). Außerdem werden die ältesten Braunkohlekraftwerke zur Erreichung der na- Gesetzentwurf für einen „Strommarkt 2.0“ tionalen Klimaschutzziele vorläufig stillgelegt und in ei- ne Klimareserve überführt (§ 13g EnWG-E). Kraftwerke, Als Reaktion auf diese Befürchtungen und massiven die diesen drei Reserven zugerechnet werden, müssen Branchendruck hat das zuständige Bundesministerium in Einsatzbereitschaft gehalten werden, dürfen jedoch 1 M. Balser, M. Bauchmüller: RWE könnte weitere Kraftwerke stilllegen, 3 BMWi: Ein Strommarkt für die Energiewende. Ergebnispapier des Bun- in: Süddeutsche Zeitung vom 12.8.2014; o.V.: Energieversorger wollen desministeriums für Wirtschaft und Energie (Weißbuch), Berlin 2015, 57 Kraftwerke abschalten, in: Die Welt vom 24.8.2015. http://www.bmwi.de/BMWi/Redaktion/PDF/Publikationen/weissbuch, 2 Vgl. etwa T. Kallabis, C. Pape, C. Weber: A parsimonious fundamen- property=pdf,bereich=bmwi2012,sprache=de,rwb=true.pdf. tal model for wholesale electricity markets – Analysis of the plunge 4 Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung des Strommarktes in German future prices, EWL Working Paper, Nr. 4/15, Universität (Strommarktgesetz), Bundestagsdrucksache 18/7317, http://dip21. Duisburg-Essen 2015. bundestag.de/dip21/btd/18/073/1807317.pdf. Wirtschaftsdienst 2016 | 5 344
Analysen und Berichte Klimapolitik nur im Engpassfall und auf Anweisung der Netzbetreiber Strom einspeisen. Für die Bereitstellung dieser Kapazi- Dr. Paul Lehmann leitet die Forschungsgruppe Ener- tät erhalten die Kraftwerksbetreiber eine Ausgleichszah- lung. Zudem soll die zukünftige Versorgungssicherheit gieökonomik im Department Ökonomie am Helm- durch ein Monitoring fortlaufend überwacht werden (§ 51 holtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ in Leipzig. EnWG-E). Prof. Dr. Erik Gawel ist Direktor des Instituts für In- Insgesamt setzt das BMWi zur Sicherung der Stromver- frastruktur und Ressourcenmanagement der Univer- sorgung zukünftig also auf eine Doppelstrategie. Grund- sität Leipzig und Leiter des Departments Ökonomie sätzlich soll das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit des am UFZ. Marktes gestärkt werden. In Anbetracht der Unsicherheit über die tatsächliche zukünftige Entwicklung von Strom- angebot und -nachfrage wird mit den Reserven jedoch Klaas Korte, Dipl.-Ökonom, ist wissenschaftlicher ein zusätzliches Fangnetz aufgespannt, um die Stromver- Mitarbeiter des Departments Ökonomie am UFZ. sorgung zu sichern. Von einer grundlegenderen Reform des Strommarktes, insbesondere der Schaffung völlig Matthias Reeg, Dipl.-Wirtschaftsingenieur, ist wis- neuer „Kapazitätsmärkte“, wie sie weite Teile der Ener- senschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Tech- giewirtschaft gefordert hatten,5 wurde hingegen Abstand nische Thermodynamik am Deutschen Luft- und genommen. Es bleibt die Frage offen, ob ein so abgesi- Raumfahrtzentrum (DLR) in Stuttgart. cherter „Strommarkt 2.0“ dazu taugt, die Versorgungs- sicherheit mittel- und langfristig in nachhaltiger Weise zu Dr. Dominik Schober betreut den Forschungs- gewährleisten. So hat die Monopolkommission bereits Kritik am Gesetzentwurf geäußert.6 Grundsätzlich stellt schwerpunkt Wettbewerb und Regulierung in Netzin- sie infrage, ob (in Knappheitssituationen extreme) Preis- dustrien am Zentrum für Europäische Wirtschaftsfor- spitzen auf Strommärkten politisch durchgehalten wer- schung (ZEW) in Mannheim. den können und unter Marktmachtgesichtspunkten kon- trollierbar bleiben.7 Nur dann könne ein „Strommarkt 2.0“ marktgerecht funktionieren. Zudem sei der Ansatz einer Kapazitätsreserve durch die diversen administrativen Vorgaben allokativ ineffizient und anfällig für Marktmacht und politische Einflussnahme. Die Monopolkommissi- haltige Sicherung der Stromversorgung sinnvoll.8 Diese on plädiert daher dafür, Kapazitätsreserven nur für eine können in vier Thesen zusammengefasst werden: Übergangsphase zu nutzen und nach spätestens zehn Jahren wieder abzuschaffen. 1. Alle Marktteilnehmer können Beiträge zur Versorgungs- sicherheit leisten! Versorgungssicherheit im Strom- Nachhaltige Sicherung der Stromversorgung versorgungssystem wird häufig als die dauerhafte und unterbrechungsfreie Deckung einer als gegeben Um den Vorschlag des BMWi wie auch die Kritik daran angenommenen Stromnachfrage in einem Versor- einordnen und bewerten zu können, ist zunächst ein Blick gungsgebiet definiert.9 In diesem Sinne ist die Ver- auf die grundlegenden Voraussetzungen für eine nach- sorgungssicherheit insbesondere durch die Stromer- zeuger zu gewährleisten. Diese Definition verengt die Diskussion um Versorgungssicherheit jedoch stark. Versorgungssicherheit kann nicht nur durch den Bau 5 Für einen Überblick vgl. etwa W.-P. Schill, J. Diekmann: Die Kontro- verse um Kapazitätsmechanismen für den deutschen Strommarkt, oder Weiterbetrieb von Kraftwerken gewährleistet wer- DIW Roundup 5/2014, http://www.diw.de/de/diw_01.c.434277.de/ den. Vielmehr können prinzipiell alle Akteure im Strom- presse/diw_roundup/die_kontroverse_um_kapazitaetsmechanismen_ versorgungssystem – Betreiber von konventionellen fuer_den_deutschen_strommarkt.html. 6 Monopolkommission: Energie 2015: Ein wettbewerbliches Marktde- sign für die Energiewende. Sondergutachten 71, 2015, http://www. monopolkommission.de/images/PDF/SG/s71_volltext.pdf. 8 Vgl. ausführlicher M. Reeg et al.: Kapazitätsmechanismen als Ret- 7 So auch U. Leprich: Versorgungssicherheit im Spannungsfeld von tungsschirm der Energiewende? Zur Versorgungssicherheit bei ho- Märkten und Regulierung – zum Design des zukünftigen Strom- hen Anteilen fluktuierender erneuerbarer Energien im Stromsystem, systems. Impulsvortrag im Rahmen der 8. Eberbacher Klosterge- ENERGY-TRANS Discussion Paper, Nr. 1/2015, https://www.energy- spräche zu ökonomischen Grundsatzfragen der Transformation des trans.de/925_1454.php. Energiesystems, 12.10.2015, https://www.htwsaar.de/wiwi/fakultaet/ 9 Vgl. BMWi: Monitoring-Bericht des Bundesministeriums für Wirtschaft personen/profile/leprich.uwe/publikationen/LeprichKlosterEberbach12. und Technologie nach § 51 EnWG zur Versorgungssicherheit im Be- Oktober 2015.pdf. reich der leitungsgebundenen Versorgung mit Elektrizität, Berlin 2012. ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft 345
Analysen und Berichte Klimapolitik Kraftwerken, Erneuerbaren-Energie-Anlagen, Netzen Ob und wie die Akteure im Stromversorgungssys- und Speichern sowie Stromverbraucher – Beiträge tem auf diese Herausforderungen reagieren und ihre zur Versorgungssicherheit leisten. Vor diesem Hinter- Entscheidungen an veränderte Rahmenbedingungen grund sollte Versorgungssicherheit als der permanen- anpassen, hängt jedoch auch maßgeblich von der te Ausgleich von Stromangebot und -nachfrage unter grundlegenden Funktionsfähigkeit des Strommark- Einbeziehung aller möglichen Handlungsoptionen der tes ab. Prinzipiell honoriert der Strommarkt in seiner Marktakteure verstanden werden.10 Versorgungssi- gegenwärtigen Ausgestaltung sowohl Investitionen in cherheit bezieht sich dabei zunächst auf die Fähigkeit neue Kraftwerke und Speicher als auch Anpassungen des Stromversorgungssystems, die maximal erwar- der Stromnachfrage. Der Markt für Regelenergie zur tete Spitzenlast (auch unter Berücksichtigung mögli- Sicherung der kurzfristigen Systemstabilität belohnt cher Reduktions- und Flexibilisierungspotenziale der dabei zusätzlich besonders flexible Optionen zum Nachfrage) durch gesicherte Erzeugung decken zu Ausgleich von Angebot und Nachfrage. Langfristige können (Angemessenheit der Stromversorgung).11 Da- Signale zum Bau von Kraftwerken oder Speichern rüber hinaus müssen jedoch auch ausreichend flexible werden theoretisch durch die Terminmärkte gesen- Kapazitäten vorgehalten werden, um auf kurzfristige, det.15 Die Funktionsfähigkeit des Strommarktes kann unerwartete Störungen im System reagieren und die jedoch aufgrund verschiedener Ursachen zusätzlich Netzstabilität idealerweise jederzeit gewährleisten zu beeinträchtigt werden. Marktmacht, kurzfristiges Ren- können (Stabilität der Stromversorgung).12 ditestreben oder der imperfekte Umgang mit Markt- unsicherheiten – insbesondere im Zusammenhang 2. Die Versorgungssicherheit hängt nicht allein an der Ener- mit asymmetrischer Information – können die Effizienz giewende! Zweifellos fordern die Energiewende und der Entscheidungen der Marktakteure beeinträchti- insbesondere der massive Ausbau der Stromerzeu- gen. Unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen gung aus fluktuierender und nur bedingt prognosti- reagieren auch die Stromverbraucher nur begrenzt zierbarer Wind- und Sonnenenergie die Gewährleis- auf kurzfristig veränderte Knappheitssignale der tung der Versorgungssicherheit zusätzlich heraus. So Strompreise, zumal diese oftmals gar nicht bis zum müssen die steuerbaren (konventionellen) Kraftwerke Endverbraucher durchgereicht werden. Zudem kön- ihre Erzeugung nicht mehr primär an den Verlauf der nen die regulatorischen Rahmenbedingungen – bei- Stromnachfrage anpassen. Vielmehr müssen sie vor spielsweise politisch gesetzte Preisobergrenzen oder allem die Residuallast decken, also nur den Teil der langwierige Genehmigungsverfahren – Investitionen Stromnachfrage, der nicht durch Strom aus erneu- bremsen.16 Damit wird deutlich, dass die Diskussion erbaren Energiequellen befriedigt werden kann. Da- um Versorgungssicherheitsprobleme nicht allein auf für bedarf es in größerem Umfang als bisher flexibler die Ausgestaltung der Energiewendeinstrumente zur Kapazitäten im Stromsystem.13 Gleichzeitig führt die Forcierung des Erneuerbare-Energien-Ausbaus fo- Erneuerbaren-Förderung zu sinkenden Börsenstrom- kussieren kann, sondern alle möglichen Ursachen in preisen und Erlösen für Betreiber konventioneller (Re- den Blick nehmen muss. serve-)Kraftwerke.14 Ob es dabei im Zuge der Strom-Energiewende tatsäch- lich zu Versorgungsengpässen kommen wird, bleibt weiterhin höchst unsicher. Typische Indikatoren wei- sen darauf hin, dass prinzipiell genügend Kapazitäten 10 Vgl. M. Gottstein, S. Skillings: Über Kapazitätsmärkte hinausdenken: Flexibilität als Kernelement, in: Energiewirtschaftliche Tagesfragen, verfügbar sind, um die maximal zu erwartende Strom- 62. Jg. (2011), H. 11, S. 18-25; T. Beckers, A. Hoffrichter: Grundsätz- nachfrage zu decken. So fällt die Leistungsbilanz, also liche und aktuelle Fragen des institutionellen Stromsektordesigns – der Saldo aus (gesicherter) Kraftwerksleistung und der Eine institutionenökonomische Analyse zur Bereitstellung und Refi- nanzierung von Erzeugungsanlagen mit Fokus auf FEE, Berlin 2014; maximalen Stromnachfrage gegenwärtig und wohl auch M. Reeg: Entwurf eines ganzheitlichen Marktdesigns für hohe Anteile erneuerbarer Energien, Diskussionspapier, Nr. 01/2014, Systemanaly- se und Technikbewertung, DLR-Institut für Technische Thermodyna- mik, Stuttgart 2014. 11 Vgl. ENTSO-E: Scenario Outlook and Adequacy Forecast 2013-2030, 15 Vgl. BMWi: Ein Strommarkt für die Energiewende, Diskussionspapier European Network of Transmission System Operators for Electricity des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (Grünbuch), Ber- (ENTSO-E), Brüssel 2013. lin 2014; Frontier Economics: Strommarkt in Deutschland – Gewähr- 12 Vgl. M. Gottstein, S. Skillings, a.a.O.; M. Reeg, a.a.O. leistet das derzeitige Marktdesign Versorgungssicherheit?, Frontier 13 Vgl. ebenda. Economics, London 2014. 14 Vgl. T. Traber, C. Kemfert: Gone with the wind? — Electricity market 16 Für einen Überblick zu möglichen Ursachen vgl. P. Cramton, A. prices and incentives to invest in thermal power plants under increa- Ockenfels: Economics and Design of Capacity Markets for the Power sing wind energy supply, in: Energy Economics, 33. Jg. (2011), Nr. 2, Sector, in: Zeitschrift für Energiewirtschaft, 36. Jg. (2012), Nr. 2, S. 13- S. 249-256. 134; Frontier Economics, a.a.O. 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Analysen und Berichte Klimapolitik Abbildung 1 Installierte Leistung der Stromerzeugung und die Spitzenlast der Stromnachfrage in Deutschland bis 2035 installierte Leistung in GW 230 220 210 200 190 180 170 Photovoltaik 160 Wind Offshore 150 Wind Onshore 140 Erneuerbare-Energien- 130 Rest (Gase, Geo, etc.) 120 Laufwasser 110 100 Biomasse 90 Gas (Gasturbine) 80 Gas (Gas- und Dampfturbine) 70 Steinkohle 60 50 Braunkohle 40 Kernkraft 30 Pumpspeicher 20 10 Spitzenlast 0 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 Für die Beurteilung der Versorgungssicherheit ist insbesondere zu berücksichtigen, welcher Anteil der installierten Leistung gesichert, also ständig ver- fügbar, ist. Für konventionelle Kraftwerke liegt die gesicherte Leistung nahe an der installierten Leistung. Für Windkraft und Photovoltaik (gestrichelte Bereiche der installierten Leistung) beträgt die gesicherte Leistung jedoch deutlich unter 10% der installierten Leistung. Die Abbildung illustriert also, dass die gesicherte Leistung mittelfristig weiter über der Spitzenlast der Stromnachfrage liegen wird. Die Abbildung vernachlässigt Aspekte der regionalen Verfügbarkeit und der Flexibilität der gesicherten Erzeugungskapazität, die zusätzlich für die Sicherung der Stromversorgung wichtig sind. Quelle: Eigene Abbildung, J. Nitsch et al.: Langfristszenarien und Strategien für den Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland bei Berücksich- tigung der Entwicklung in Europa und global, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU), 2012, http://elib.dlr.de/76043/; PLATTS: World Electric Power Plants Database, McGraw Hill Financial, 2010 und 2015. für die nächsten Jahre positiv aus (vgl. Abbildung 1).17 eher Ausdruck von Netzengpässen als von zu geringen Zudem bestehen auch Überkapazitäten in anderen eu- Erzeugungskapazitäten.19 ropäischen Ländern, aus denen Deutschland zusätzli- chen Strom importieren könnte. Einschränkungen gibt 3. Versorgungssicherheit sollte nicht um jeden Preis gewähr- es möglicherweise jedoch beim kurzfristigen Ausgleich leistet werden! Für eine angemessene Bewertung von von Stromangebot und -nachfrage, also der Flexibilität Maßnahmen zur Gewährleistung von Versorgungssi- des Stromversorgungssystems. Darauf weisen unter cherheit müssen zudem alle gesellschaftlich relevanten Umständen durch die Bundesnetzagentur untersagte Kriterien und Ziele berücksichtigt werden. Zweifellos Stilllegungen von Kraftwerken und der Abruf der Netz- sollte ein bestimmtes Niveau an Versorgungssicherheit reserve hin.18 Jedoch sind diese Maßnahmen bislang zu möglichst geringen Kosten gewährleistet werden. Vor diesem Hintergrund muss der regulatorische Rah- men so gewählt werden, dass die aus volkswirtschaft- licher Sicht günstigsten Investitionen vorgenommen werden – ganz gleich, ob diese nun die Errichtung neu- 19 Vgl. Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), Institut für 17 Vgl. auch Bundesnetzagentur, Bundeskartellamt: Monitoringbe- Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung (IER): Szena- richt 2015, Bonn 2015, S. 68, http://www.bundesnetzagentur.de/ rien der Versorgungssicherheit in Deutschland und Süddeutsch- SharedDocs/Downloads/DE /Allgemeines/Bundesnetzagentur/ land, Kurzstudie im Auftrag des Ministeriums für Umwelt und Ener- Publikationen/Berichte/2015/Monitoringbericht_2015_BA.pdf?__ giewirtschaft Baden-Württemberg (UMBW), Stuttgart 2016, https:// blob=publicationFile&v=4. um.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/m-um/intern/Dateien/ 18 So stieg der Netzreservebedarf von 3,636 MW 2014/15 auf 7,515 GW Dokumente/5_Energie/Versorgungssicherheit/160315_Szenarien_ 2015/16, vgl. ebenda, S. 66 f. der_Versorgungssicherheit_in_D_und_Sueddeutschland.pdf. ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft 347
Analysen und Berichte Klimapolitik er Kraftwerke, den Ausbau von Speichern und Netzen, sionsarmer und flexiblerer Gaskraftwerke verschieben. Nachfragemanagement oder aber einen Mix aus die- Darüber hinaus könnten gezielte Maßnahmen den Aus- sen Optionen betreffen. Gleichzeitig müssen Maßnah- bau und Betrieb von Netzen, Speichern und Nachfra- men zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit in gemanagement anreizen. Auch hier ist das denkbare Einklang mit den politischen Zielen des Klimaschutzes, Portfolio breit und reicht von Anpassungen bei der des Erneuerbaren-Ausbaus und der Energieeffizienz Anreizregulierung von Netzen bis hin zur Technologie- stehen. Zudem muss geprüft werden, wer etwaige und Forschungsförderung für Batteriespeicher und in- Zusatzkosten einer höheren Versorgungssicherheit zu telligente Stromnetze.22 tragen hätte, welche Zusatzbelastungen also auf die privaten Haushalte und Unternehmen zukämen. Und Gerade unter dem Gesichtspunkt der allokativen Ef- nicht zuletzt müssen die Maßnahmen auch praktikabel fizienz ist es geboten, Stromversorgung durch einen sein – also mit vertretbarem administrativem Aufwand breiten Instrumentenmix zu sichern. Mit einem Maß- verbunden, in Anbetracht der diversen Unsicherheiten nahmenbündel können die diversen Ursachen mögli- an veränderte Rahmenbedingungen und Wissens- cher Versorgungsengpässe zielgerechter und kosten- stände anpassbar sowie mehrheitsfähig und zugleich günstiger adressiert werden als etwa mit pauschalen resistent gegen Einflussnahme partikularer Interessen. Kapazitätszahlungen. Zudem brächten manche der Eine bloße Verengung der Debatte auf das Ziel Ver- Instrumente auch zusätzliche Vorteile neben einer ver- sorgungssicherheit kann den Anforderungen an eine besserten Versorgungssicherheit mit sich. So wäre nachhaltige Umgestaltung des Energiesystems nicht etwa eine Verschärfung des Emissionshandels auch gerecht werden und den Transformationsprozess unter einem effektiveren Klimaschutz dienlich. Naturgemäß Umständen sogar behindern. muss dabei auch in einem Instrumentenmix für die ein- zelnen Maßnahmen sorgfältig geprüft werden, welcher 4. Versorgungssicherheit muss durch einen Instrumen- Grad staatlicher Intervention tatsächlich notwendig ist tenmix gewährleistet werden! Wie bereits angedeutet, und inwieweit wettbewerbliche Elemente in den Mix können Beiträge zur Versorgungssicherheit durch eine integriert werden können. Angesichts der hohen re- Vielzahl von Maßnahmen, die bei den unterschiedli- gulatorischen Komplexität müssen die Maßnahmen chen Akteuren im Stromversorgungssystem anset- im Verbund zudem sorgfältig aufeinander abgestimmt zen, geleistet werden. Mögliche Optionen reichen von werden. Ebenso ist jedoch klar, dass einzelinstrumen- der Vollendung der Strommarktliberalisierung (um telle Ansätze, die etwa primär auf eine Reform der För- Marktmacht einzudämmen und Preisobergrenzen derung erneuerbarer Energien oder die Einführung von überflüssig zu machen) über regional differenzierte Kapazitätszahlungen setzen, keine nachhaltigen Steu- Großhandelspreise (um regionale Kapazitätsengpäs- erungsoptionen darstellen können. se besser zu signalisieren) bis hin zu beschleunigten Genehmigungsverfahren für Infrastrukturneubauten.20 Bewertung des „Strommarktes 2.0“ Im Bereich der Energiewendepolitik könnten verstärkt Anreize für eine bedarfsgerechtere Einspeisung von Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen kann die Ent- erneuerbaren Energien gesetzt werden.21 Eine grund- scheidung der Bundesregierung für einen „Strommarkt legende Ertüchtigung des Emissionshandels würde 2.0“, der mit einem breiten Maßnahmenpaket unterlegt Investitions- und Einsatzentscheidungen im Kraft- werden soll, grundsätzlich positiv bewertet werden. Die werksbereich zudem wieder stärker zugunsten emis- im Vorfeld der Entscheidung immer wieder geforderte al- ternative Lösung, die Stromversorgung vorrangig durch 20 BMWi: Ein Strommarkt …, a.a.O.; Frontier Economics, a.a.O.; A. Lö- völlig neue Kapazitätsmärkte zu sichern, hätte zum ge- schel, F. Flues, F. Pothen, P. Massier: Den Strommarkt an die Wirk- genwärtigen Zeitpunkt hohe Risiken mit sich bringen lichkeit anpassen – Skizze einer neuen Marktordnung, in: Energiewirt- schaftliche Tagesfragen, 63. Jg. (2013), H. 10, S. 22-25. können. Kapazitätsmärkte hätten das Betriebskonzept 21 E. Gawel, A. Purkus, K. Korte, P. Lehmann: Förderung der Markt- und für konventionelle Kraftwerke grundlegend verändert: Systemintegration erneuerbarer Energien – Perspektiven einer inst- Betreiber hätten fortan nicht mehr nur eine Vergütung rumentellen Weiterentwicklung, in: Vierteljahreshefte zur Wirtschafts- forschung, 82. Jg. (2013), H. 3, S. 123-136; E. Gawel, A. Purkus: Pro- moting the Market and System Integration of Renewable Energies through Premium Schemes – A Case Study of the German Market 22 M. Achtnicht, R. Madlener: Factors Influencing German House Owners’ Premium, in: Energy Policy, 61. Jg. (2013), S. 599-609; P. Lehmann, Preferences on Energy Retrofits, in: Energy Policy, 68. Jg. (2014), E. Gawel: Die Förderung der erneuerbaren Energien nach der EEG- S. 254-263; I. Kastner, E. Matthies: Implementing web-based inter- Reform 2014, in: Wirtschaftsdienst, 94. Jg. (2014), H. 9, S. 651-658; ventions to promote energy efficiency behavior at organizations – a A. Purkus et al.: Der Beitrag der Marktprämie zur Marktintegration er- multi-level challenge, in: Journal of Cleaner Production, 62. Jg. (2014), neuerbarer Energien – Erfahrungen aus dem EEG 2012 und Perspek- Nr. 1, S. 89-97; K. Korte, E. Gawel: Stromnetzinvestitionen und An- tiven der verpflichtenden Direktvermarktung, in: Energiewirtschaftli- reizregulierung – Problemfelder und Lösungsansätze, in: Wirtschafts- che Tagesfragen, 64. Jg. (2014), H. 12, S. 8-16. dienst, 95. Jg. (2015), H. 2, S. 127-134. Wirtschaftsdienst 2016 | 5 348
Analysen und Berichte Klimapolitik je Megawattstunde erzeugten Stroms erhalten, sondern nicht frei von Problemen, wie die Monopolkommission zusätzlich auch noch je Megawatt vorgehaltener Kapa- richtig anmerkt. Marktmacht und politische Einflussnah- zität. Trotz der Bezeichnung „Markt“ im Titel hätte es me können die Kosteneffizienz der Reserve infrage stel- sich dabei um einen massiven staatlichen Eingriff in den len. Derartige Probleme stellten sich jedoch in ganz ähn- Strommarkt gehandelt, etwa weil die Menge und Quali- licher Weise auch bei weiterführenden Kapazitätsmecha- tät der vorzuhaltenden Kapazität administrativ festzu- nismen. legen wären. Ob eine derartige staatliche Umsteuerung das Stromversorgungssystem tatsächlich in die richtige Als eindeutig falsch muss jedoch die Entscheidung be- Richtung gelenkt hätte, wäre angesichts der bestehen- trachtet werden, alte Kohlekraftwerke in einer „Edel- den Überkapazitäten und Unsicherheit völlig unklar ge- Klimareserve“ zu parken. Auf diese Weise können zwar wesen. In Anbetracht des massiven Branchendrucks möglicherweise nationale Klimaziele kurzfristig erreicht wäre die Gefahr groß gewesen, dass gestrandete Inves- werden. Am globalen Ausstoß von Treibhausgasen ändert titionen in konventionelle Kraftwerke zusätzlich vergoldet das jedoch nichts, da die Reduktionen durch den Mecha- und die notwendige Marktbereinigung und der Umbau nismus des europäischen Emissionshandels an anderer des deutschen Kraftwerksparks weiter verlangsamt wor- Stelle, d.h. außerhalb des Stromsektors und/oder außer- den wären. Gleichzeitig hätten die neuen Zusatzzahlun- halb Deutschlands, notwendigerweise kompensiert wer- gen in Zukunft wohl nur schwerlich wieder abgeschafft den. Zudem behindert diese Maßnahme einmal mehr den werden können, auch wenn sie sich als überflüssig und notwendigen Strukturwandel in der deutschen Stromer- nicht zielführend erwiesen hätten. Schließlich wäre zu zeugung und damit auch die Erreichung der langfristigen erwarten, dass die zukünftigen Zahlungsempfänger ein nationalen Klimaziele. Der ursprüngliche Vorschlag eines großes Interesse an der Aufrechterhaltung der Zahlungen mit dem Emissionshandel zu vereinbarenden „Klimabei- hätten und dieses Interesse auch politisch geltend ma- trages“ hatte im Vergleich dazu deutlich mehr Reiz, wenn chen würden. er auch ebenfalls theoretisch nicht so effizient gewesen wäre wie eine Ertüchtigung des Emissionshandels selbst.23 Mit dem vorgeschlagenen Maßnahmenmix setzt die Bun- desregierung primär auf die schrittweise Weiterentwick- Langfristige Energiepolitik in der Zwickmühle lung und Ertüchtigung der regulatorischen Rahmenbedin- gungen. Dabei nimmt sie alle Akteure auf der Angebots- Insgesamt begibt sich die Bundesregierung mit ihrer Dop- und Nachfrageseite in den Blick und setzt insbesondere pelstrategie aus „vertrauender“ Stärkung und „misstrau- auf die Stärkung der Marktmechanismen. Dieser Ansatz ender“ Absicherung des Strommarktes aber in eine politi- ist prinzipiell besser geeignet, die diversen Ursachen sche Zwickmühle. Das signalisierte Marktvertrauen wirkt möglicher Versorgungsengpässe gezielt zu adressieren. umso stärker als Investitionsanreiz für private Akteure, je Ob der Instrumentenmix genug Wirkung entfalten kann, weniger der Regulierer selbst die Funktionsfähigkeit des bleibt freilich abzuwarten. So wirken insbesondere die Marktes in Zweifel zieht und je weniger wahrscheinlich vorgeschlagenen Maßnahmen in den Bereichen Netze, weitere politische Eingriffe in der Zukunft sind. Durch die Speicher und Nachfragemanagement noch recht vage Absicherung des Marktes mit zusätzlichen Kraftwerksre- und erratisch und bedürfen voraussichtlich weiterer An- serven werden aber gerade solche Zweifel genährt – auch passungen und Präzisierungen. Es muss dabei jedoch wenn dieser Schritt in Anbetracht der herrschenden Un- klar sein, dass Versorgungssicherheit aufgrund der be- sicherheit nachvollziehbar ist. Je höher die Reserve aus- stehenden Unsicherheiten in jedem Fall nur durch konti- fällt, desto weniger glaubhaft kann Vertrauen in den Markt nuierliches politisches Lernen und Nachsteuern in nach- vermittelt werden. Hinzu kommt, dass die Bundesregie- haltiger Weise gesichert werden kann. rung auch weitere regulatorische Anpassungen in der Zu- kunft nicht glaubhaft ausschließen kann. Neue Sachlagen Dass sich die Bundesregierung dazu entschlossen hat, können weitere regulatorische Schritte erfordern. dem Marktmechanismus doch nicht vollständig zu ver- trauen, sondern durch zusätzliche Kraftwerksreserven für Zudem stellt sich – wie die Monopolkommission zu Recht eine Absicherung zu sorgen, ist ebenfalls nachvollziehbar. anmerkt – die grundsätzliche Frage, ob die Preisspitzen Die politischen (und wirtschaftlichen) Risiken etwaiger politisch wirklich durchgehalten werden können. Zwar Stromausfälle wären zu groß. Dabei können die Reserven gehen Studien davon aus, dass extreme Preisspitzen ordnungspolitisch als minimalinvasive Maßnahme zur Ab- zwischen 500 Euro und 3000 Euro pro Megawattstun- sicherung der Stromversorgung verstanden werden, die nur ausgewählte Kraftwerke betrifft – wohingegen etwa 23 Vgl. E. Gawel, S. Strunz: Ist ein nationaler „Klimabeitrag“ für die Koh- ein Kapazitätsmarkt flächendeckend Zusatzzahlungen lekraft sinnvoll – und wenn ja, welcher?, in: ifo-Schnelldienst, 68. Jg. verteilt hätte. Natürlich ist auch eine Kraftwerksreserve (2015), H. 14, S. 8-11. ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft 349
Analysen und Berichte Klimapolitik de nur in 20 bis 50 Stunden pro Jahr auftreten müssten, expliziter dazu einladen, den „Strommarkt 2.0“ scheitern um beispielsweise Investitionen in Gaskraftwerke loh- zu lassen. Noch größer wäre dann der Anreiz, in einer nend zu machen. Dies war beispielsweise in den Jahren solchen Testphase durch strategische Zurückhaltung 2005 bis 2007 der Fall, in denen in ca. 5 GW Gaskraft- bei Stromerzeugung und Investitionen möglichst oft die werksleistung investiert wurde.24 Doch selbst derart sel- Reserve zu aktivieren – und damit den Weg für einen für tene Preisspitzen können, der Aufmerksamkeitslogik von diesen Fall faktisch in Aussicht gestellten umfassenderen Politik und Medien folgend, bereits Forderungen nach Kapazitätsmarkt zu ebnen. Genauso wenig hülfe es, die Preisobergrenzen laut werden lassen, wie seinerzeit ge- skizzierten politischen Unsicherheiten unerwähnt zu las- schehen – zumal schwer zu unterscheiden sein dürfte, ob sen. Rationale Marktakteure würden die Möglichkeit wei- Preisspitzen wirklich Kapazitätsengpässe oder eher die terer politischer Anpassungen trotzdem antizipieren und Ausnutzung von Marktmacht abbilden.25 Ob diese punk- ihr Investitionsverhalten entsprechend anpassen. Mög- tuellen Preisspitzen tatsächlich risikoaverse Betreiber liche Alternativen zum jetzt eingeschlagenen Weg des mit rationalen Erwartungen zu den gewünschten Invest- „Strommarkt 2.0“, allen voran der Einsatz von Kapazitäts- ments veranlassen, bleibt offen – insbesondere, wenn sie märkten schon zum jetzigen Zeitpunkt, brächten jedoch darauf spekulieren dürfen, dass Attentismus in Zukunft unter Umständen noch größere Risiken mit sich. doch mit Extrazahlungen belohnt werden könnte. Daher ist unklar, ob die Politik dem Lobbydruck der Energiewirt- Somit stellt sich die Frage, ob es überhaupt eine sinn- schaft nach zusätzlichen Kapazitätszahlungen dauerhaft volle Alternative zum eingeschlagenen Weg des „Strom- standhalten kann, da das Damoklesschwert drohender marktes 2.0“ gibt. Dem Grundkonflikt zwischen Stärkung Blackouts stets über den politischen Entscheidungen des Marktvertrauens und (misstrauender) staatlicher schweben wird. Mithin muss zurzeit offen bleiben, ob das Absicherung zur Gewährleistung der Stromversorgung Maßnahmenpaket des „Strommarktes 2.0“ in der Praxis kann jedenfalls kaum aus dem Wege gegangen werden. angemessene Investitionen der privaten Marktakteure Das ist jedoch kein Grund, vor den Herausforderungen zur Sicherung der Stromversorgung anreizen wird, selbst der Versorgungssicherheit bereits jetzt durch vorausei- wenn es theoretisch dazu geeignet scheint. lende flächendeckende Zahlungen für gesicherte Leis- tung zu kapitulieren oder gar die Strom-Energiewende Fazit: Keine Ideallösungen vorhanden infrage zu stellen. Lehrbuchhafte Ideallösungen sind nicht verfügbar und Zielkonflikte unvermeidbar. Vor Wie kann die deutsche Energiepolitik mit dieser Zwick- diesem Hintergrund erscheint der Versuch sinnvoll und mühle umgehen? Der Vorschlag der Monopolkommissi- pragmatisch, etwaige Versorgungssicherheitsprobleme on, den abgesicherten „Strommarkt 2.0“ in Anbetracht zunächst durch einen abgesicherten „Strommarkt 2.0“ der Unwägbarkeiten gleichsam als „Testphase“ zu annon- zu lösen. Der einzige offensichtliche Makel im Maßnah- cieren, ist jedenfalls polit-ökonomisch kaum zielführend. menprogramm bleibt die Kohle-Klimareserve. In jedem Eine solche Ankündigung würde die regulatorische Unsi- Fall war es jedoch zum gegenwärtigen Zeitpunkt die cherheit zusätzlich erhöhen und die Energiebranche noch volkswirtschaftlich richtige Entscheidung, die Einführung umfassender Kapazitätsmärkte abzuwehren. Gleichfalls 24 Bundesnetzagentur: Kraftwerksliste, 2015, http://www.bundes- ist es wahrscheinlich, dass die Debatte um den richtigen netzagentur.de/EN/Areas/Energy/Companies/SecurityOfSupply/ Weg zur Sicherung der Stromversorgung in den nächs- GeneratingCapacity/PowerPlantList/PubliPowerPlantList_node.html. ten Jahren regelmäßig wieder auf die politische Tages- 25 Vgl. C. Weber, P. Vogel: Marktmacht in der Elektrizitätswirtschaft – Welche Indizien sind aussagekräftig, welche Konsequenzen adäquat?, ordnung gesetzt wird und weitere politische Nachjustie- in: Energiewirtschaftliche Tagesfragen, 57. Jg. (2007), H. 4, S. 20-24. rungen folgen werden. Title: Security of Power Supply With High Shares of Volatile Renewables: Does the Power Market Reform Deliver? Abstract: Recently, concerns have been rising that the energy transition may impair the security of power supply in Germany by increas- ing the risk of shortages and black-outs in the long run. While power generation from volatile wind and solar energy has grown rapidly, incentives to invest in conventional back-up capacity have diminished. To respond to these concerns, the German government has adopted an energy policy reform package to strengthen the regulatory framework for the power market. But is this package appropriate to sustainably safeguard the German power supply? JEL Classification: L11, L51, L94, Q41, Q48 Wirtschaftsdienst 2016 | 5 350
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