Die Human-Ressource-Funktion in Zeiten des Digitalen Übergangs - Ayad Al-Ani
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Die Human-Ressource-Funktion in Zeiten des Digitalen Übergangs Wenn die Rolle des Menschen in der Digitalisierung oftmals noch recht unklar ist, welche Aufgabe kann dann der Human Ressource (HR)-Bereich bei der anste- henden Transformation spielen? Es zeigt sich, dass bei aller Unschärfe, einige Herausforderungen recht klar sind: Entwicklung digitaler Zukunftsszenarien, die Öffnung der Organisation gegenüber externen Partnern und das Design lebens- langer Lernpfade. Ayad Al-Ani Prof. Dr. Dr. Ayad Al- Ani, außerordentlicher Professor, School of Public 1. Eigenheiten der Digitalen Transforma- oder Miteigentümer von Plattformen? Was passiert, Leadership, Universität tion für das HR-Management wenn Plattformen für ihre Vermittlungsleistungen Stellenbosch (SA). Assozi- immer mehr Mehrwert extrahieren und die Kun- iertes Mitglied Einstein Der Übergang von der analogen Organisation in denschnittstellen zustellen? (vgl. Srnicek, 2017, Zentrum Digitale Zukunft, eine digitale, automatisierte Produktions- und S. 93 ff.). Berlin. Dienstleistungsstätte beinhaltet im Gegensatz zu Aus der Vielzahl dieser Fragen ergibt sich, dass vergangenen Automatisierungs- und Effizienzstei- der Transformationsprozess wohl einem langfristi- gerungsprogrammen durchaus Besonderheiten. gen Ziel nachgehen wird (weitgehend automati- Dies hat vor allem damit zu tun, dass die Rollen des sierte „Lights Out“-Organisation), der Weg dorthin Menschen in der automatisierten Organisation allerdings wird aufgrund der oft unsicheren Antizi- vielfach unklar sind. Zwar ist das Endziel durchaus pation technologischer Auswirkungen (wann, erkennbar – wenn auch vielfach unaussprechbar, wie?), neuer Wettbewerbssituationen im Hyper- weil die Realität nach dem Event Horizon eine völ- wettbewerb und knapper Umsetzungsressourcen lig andere sein wird (vgl. Sirius/Cornell, 2015, auf vielen Pfaden, mit Unwägbarkeiten und unter S. 218 f.) – doch selbst die nächsten 10 bis 15 Jahre großen Unsicherheiten gefunden. Planung und sind nicht eindeutig: An einer systemischen und Controlling dieser Schritte wird wohl immer nur technologischen Gabelung angelangt, können kurzfristige Abschnitte erfassen und muss immer selbst Aktionen kleinster Gruppierungen, Regeln, wieder – gemäß dem technologischen Fortschritt, Institutionen, Branchen und Unternehmen in eine der erfolgten Umsetzung und dem jeweiligen Wett- radikal andere Richtung verschieben (vgl. Wallers- bewerbskontext – nachjustiert werden. tein, 2013, S. 33 ff.). Welche Rollen fallen wann Aus dieser Pfadbesonderheit ergeben sich auch weg und welche neuen kommen hinzu? In welchen neue Rollen für die Human Ressource (HR)-Funk- Quantitäten? Und: können die bestehenden Mitar- tionen, die hier – nach einer Betrachtung eines beiter diese Transformation persönlich bewältigen technologisch-organisatorischen Zielbildes (Ab- und werden diese Mitarbeiter eine arbeitsteilige, schnitt 2) – beschrieben werden: HR als Futurist, hierarchische Organisation noch annehmbar fin- welche die neuen Rollen der Mitarbeiter immer den? wieder neu beschreiben und antizipieren muss Zusätzlich ist der konkrete technologische Um- (Abschnitt 3), HR als Interface zum Umfeld der Or- setzungspfad für die allermeisten Unternehmen ganisation, welche benötigte Ressourcen von außen unklar. Wird sich maschinelles Lernen in der ge- integriert, aber auch den eigenen Mitarbeitern neue genwärtigen Organisation mit ihren heterogenen Möglichkeiten eröffnet (Abschnitt 4), und HR als Datentöpfen durchsetzen? Wann? Können Roboter Lernorganisation, die individuelle Lernpfade für tatsächlich die meisten manuellen Tätigkeiten effi- die Mitarbeiter auch jenseits der eigenen Möglich- zient übernehmen (vgl. Carbonero et al., 2018)? Der keiten entwickeln (Abschnitt 5). Diese neuen Rol- Aufstieg der Plattformökonomie wird zudem das len erfordern natürlich ein adaptiertes Controlling- Geschäftsmodell der meisten Unternehmen durch- system. In Ansätzen können hier die einfachsten einanderwirbeln. Werden diese nun Zulieferer Kennzahlen skizziert werden. Diese ähneln jenen 12 CONTROLLING – ZEITSCHRIFT FÜR ERFOLGSORIENTIERTE UNTERNEHMENSSTEUERUNG
SCHWERPUNKT Kennzahlen, die Crowdworking-Plattformen ver- Zentrale Aussagen wenden und dies darf nicht verwundern, da tradi- tionelle Unternehmen nun oft Aspekte des Netz- 䊏 Es gibt keinen glatten Pfad der Transformation, da neue Technologien und Wettbewerbssitua- werkarbeitens übernehmen, so zu hybriden „Netar- tionen radikal abweichen und so längerfristige Planungen auch im HR-Bereich kaum möglich chien“ mutieren, um mit ihren hierarchischen sind. Mittel- und langfristige Prognosen müssen durch permanente Checks adaptiert werden. Strukturen flexibel auf kurzfristige Anforderungen 䊏 HR als Futurist muss neue Technologien und Geschäfts- und Beschäftigungsmodelle verste- zu reagieren und gleichzeitig eine „Community“ an hen und antizipieren. Nur diese Antizipation erlaubt einen hinlänglich großen Optionsraum. „Produzenten“ aufzubauen (vgl. Prassl, 2018, 䊏 Die besten Leute sind oft außerhalb der Organisation und müssen durch neue Kooperations- S. 101 ff.; Al-Ani, 2017, S. 133 ff.). modelle identifiziert und angebunden werden. 2. Ziel: Maschinen und Menschen (?) men) und entsprechenden institutionellen Anpas- Im Jahre 1971 erschien unter dem Pseudonym Il- sungen (z. B. stärkere Selbstorganisation) führen nox ein Artikel in der kommunistischen Tageszei- (vgl. Benkler, 2006). Allerdings: Manche Aktivitä- tung „il manifesto“, der den Arbeiter der Zukunft ten sind heute – und in absehbarer Zeit – noch effi- als einen Prozessarbeiter beschrieb: Die direkte Be- zienter vom Menschen zu erledigen. Insbesondere arbeitung des Produkts wird immer selbstständiger die Herausforderung der „letzten Meile“, also der von der Maschine verrichtet, die am Werkstoff die Handgriffe und Schritte, die notwendig sind, einen Operationen durchführt; Die Zuführung der Werk- maschinellen Serienoutput für die jeweiligen kun- stoffe, die Planung der Produktionsabläufe, die denspezifischen Anforderungen zu spezifizieren Kontrolle dieser – so Ilnox – seien nun die eigent- bzw. zu liefern (händischer Mörtelabschliff an der liche Aufgabe des Menschen (vgl. Gorz, 1989, vom Roboter errichteten Ziegelwand, Lieferung S. 11 ff.). In den letzten Jahren haben Fortschritte einer Ware direkt vor die Haustüre etc.) sind doch in den Bereichen der Robotik und des maschinel- noch beachtlich. Aber das Ziel ist klar und wenn len Lernens nun tatsächlich dazu geführt, dass im- der Mensch heute in vielen Aktivtäten noch von mer mehr physische Aktivitäten, aber auch der Maschine unterstützt und nicht substituiert menschliche Entscheidungen durch Maschinen wird, liegt das daran, dass die Maschinen noch bzw. Algorithmen substituiert werden können. nicht leistungsfähig genug sind: Der Uber-Fahrer Zielsetzung etwa im Produktionsbereich ist dann fährt so lange, bis die Daten seiner Fahrten selbst- die sogenannte „Lights Out“-Fabrik. Eine Fabrik, fahrende Systeme ermöglichen. die so durchgängig automatisiert ist, dass das Licht Die Rollen für den Menschen bleiben somit am- Die Rolle des Men- abgedreht werden könnte, ohne den 24/7-Produk- bivalent, oft unklar. Erkennbar aber werden zumin- schen erfährt einen tionsablauf zu stören (vgl. Markoff, 2015, S. 66 ff.). dest eine zunehmende Qualifizierung und Verwi- Kompetenzzuwachs: In diesen Fabriken beschäftigt sich der Mensch vor schung von anleitenden und ausführenden Tätig- Verwischung von allem mit der Wartung und Reparatur der Maschi- keiten: Maschinen unterstützen den Arbeitnehmer anleitenden und nen, er wird aber auch zum Architekten des Pro- immer mehr und helfen, die richtigen Entschei- ausführenden duktionssettings, welches je nach Seriengröße und dungen zu treffen. Ein Zuwachs an Kompetenzen Tätigkeiten. Komplexität zusammengestellt werden muss. Aus ist hier zu erwarten. Zum anderen werden immer dem Fabrikarbeiter wird ein Dirigent des Produk- mehr Managemententscheidungen durch Maschi- tionsablaufes (vgl. Al-Ani, 2017, S. 567). In den im- nen übernommen (Robobosse) (vgl. Moravec, 1999, materiellen Bereichen übernehmen Algorithmen S. 133). Die Optimierung von Produktionsfaktoren Entscheidungen entlang weitgehend automatisier- etwa ist etwas, was Programme schon recht gut be- ter Geschäftsprozesse, welche digitale Abbilder herrschen. Bleibt die Kreativität: Aber auch hier realer Objekte (Akten, Auto, Mensch etc.) bearbei- gilt, dass Algorithmen, die den Zugriff auf riesige ten. Diese digitalen Zwillinge sind dann mit Senso- Datenbanken haben, durch Iterationen dieser Daten ren ausgestattet, welche das digitale Abbild mit der durchaus kreativ im Sinne einer Neukombination Realität im Einklang halten (Sensoren im Auto/ werden (vgl. Jeschke, 2016). Wohnung/Stadt, Wearables am Menschen etc.) (vgl. Auer/Ram, 2019). 3. HR als Futurist Natürlich wird diese Automatisierung nicht so- fort und überall eintreten. Automatisierung im Sin- Die Herausforderung der kommenden Phase bzw. ne der Herausnahme von Schnittstellen aus Ge- nächsten 10 bis 15 Jahre wird es sein, sowohl Res- schäftsprozessen ist zwar schon seit geraumer Zeit sourcen für den schrumpfenden Teil der traditio- eine „normale“ Aktivität (vgl. Noble, 1995), die zu- nellen Organisation zu optimieren als auch Kapazi- letzt allerdings durch Fortschritte im Bereich der täten für den wachsenden Bereich der parallelen, Robotik/Kybernetik und im maschinellen Lernen neuen digitalen Organisation zu suchen und zu einen Schub und damit neue Anwendungsbiete er- entwickeln. Dies vielleicht auch derart, dass die langte (vgl. Jeschke, 2015, S. 277 ff.). Dies wird neue Organisation die Potenziale der Menschen durch weitere Aspekte der Digitalisierung ver- stärker nutzt, also um diese Personen herum gebaut stärkt, die zu neuen Geschäftsmodellen (Plattfor- wird und nicht wie bisher, diese unter- bzw. ein- 31. JAHRGANG 2019 · 5/2019 13
DIE HUMAN-RESSOURCE-FUNKTION IN ZEITEN DES DIGITALEN ÜBERGANGS Stärkung Inhalte Realisierung Effizienzen Technologie ermöglicht die bessere Nutzung von Technologien führen zu weitgehender Mitarbeiterfähigkeiten, die heute suboptimal Automatisierung von repetitiven und strukturierten eingesetzt werden. Tätigkeiten, aber nicht sofort. Funktionen erlangen durch Automatisierungstechnologien einen Funktionen könnten zukünftig in einem signifikantem Ausmaß höheren Wirkungsgrad (z. B. durch fortgeschrittene Technologien abgearbeitet werden Materialkostenbewertungen/Kalkulationen in der Finanz). (z. B. transaktionale Prozesse). Kein unmittelbarer Personalabbau absehbar. Wegfall von Arbeitskapazitäten bzw. eine notwendige Stattdessen: weniger Ressourcenbindung der Höherqualifizierung der involvierten Mitarbeiter ist zu überwiegend hoch qualifizierten Mitarbeiter. erwarten. Erzielung einer höheren Wirkung in diesen (Controlling-) Mengenmäßige Effekte sind zu erwarten. Funktionen. Folgende Maßnahmen sind anzudenken: Stärkung der Funktionen in Richtung Business Partner und Qualifizierung: schrittweise Weiterqualifikation zu zusätzlicher analytischer und strategischer Aufgaben. überwachenden Tätigkeiten (z.B. Risk & Control/IKS, Process Ownership, Process- Analyst-Systeme Nutzung der Zeit bis zum vollständigen Eintritt der Veränderungen (z.B. Mitwirkung Aufbau Datenbasis, Mitarbeit „Anlernen“ Systeme) Abb. 1: Beispiel Technologiefolgeabschätzung für den Finanzbereich der VW AG (Zusammenfassung) (vgl. Al-Ani et al., 2019, S. 31) Technologie- ordnet (vgl. Hagel et al., 2010, S. 7 f.). Die hybride triebswirtschaftliche Optionen zu, dieses wird szenarien steuern Unternehmung kann also zwei „Workforces“ auf- auch breiter in der Organisation verankert, da bei die Personal- weisen, die nach verschiedenen Methoden arbeiten diesem Ansatz mehr Mitarbeiter als bei der klassi- planung. und auch nach unterschiedlichen Kriterien gemes- schen eher elitären und papierlastigen Strategie- sen und gesteuert werden (z. B. hierarchische entwicklung einbezogen werden, etwa um die Ef- Steuerung versus Selbststeuerung, Messung der Ef- fekte auf den Arbeitsplatz zu quantifizieren. Letzt- fizienz versus Messung von Innovationen/Poten- lich nimmt bei aller „Kontingenz“ (es gibt nicht zialen etc.) (vgl. Frank et al., 2017, S. 81; Al-Ani/ einen „best way“, sondern mehrere) auch Unsi- Stumpp, 2018, S. 245 ff.). cherheit ab, da selbst die Möglichkeit „to act other- Organisationen versuchen immer öfter dieser He- wise“ durchaus wieder ein gewisses Maß an Kon- rausforderung zu begegnen, indem sie zunächst trolle zurückgeben kann. versuchen abzuschätzen, welche Aktivitäten in der Daraus lässt sich ein erster möglicher Ansatz für erkennbaren Zukunft durch Maschinen/Algorith- das digitale HR-Controlling ableiten, welcher eine men subsituiert und unterstützt werden können effiziente Planung, Steuerung und Kontrolle des bzw. welche Arbeitsschritte neu hinzukommen, sich stark verändernden Arbeitsumfelds sowie der um Maschinen/Algorithmen zu trainieren, zu steu- Mitarbeiter ermöglicht. ern und die Transformation umzusetzen. Abb. 1 Digitaler HR-Controlling-Ansatz 1: #Ressour- bietet eine beispielhafte Gegenüberstellung dieser cen, die bei bekannten bzw. antizipierten techno- Stärkung von Inhalten und der Realisierung von Ef- logischen Entwicklungen kurz-, mittel- und lang- fizienzen durch Technologie für den Finanzbereich fristig für einzelne Geschäftsfunktionen und -pro- der Volkswagen AG. zesse benötigt werden. Die Informationen können dann in eine strategi- Dieser technikbasierte Personalplanungsprozess sche Personalplanung einfließen, die quantitative geht natürlich mit der Geschäftsstrategie eine und qualitative Ressourcenüberhänge und -bedarfe Wechselbeziehung ein: Neue, heute noch kaum ab- aufzeigt. schätzbare Geschäftsmodelle der Plattformökono- Die hier erarbeiteten Szenarien sind natürlich mie werden die Technologiepfade maßgeblich be- vom jeweils vorhandenen Wissen über Technologi- einflussen und vice versa. Es gibt aus dieser Pla- en, Geschäftsmodellen und Umsetzungskapazitä- nung heraus auch zwei weitere wesentliche An- ten abhängig und müssen in regelmäßigen Abstän- knüpfungspunkte für den HR-Bereich: Die beste- den wiederholt und angepasst werden (vgl. Al-Ani hende Organisation muss geöffnet werden, um et al., 2019, S. 30). Dieser rollierende Ansatz hat neue externe Skills und Ressourcen zu integrieren, trotz seines begrenzten Ereignishorizonts oder viel- aber auch um integrierte Lernpfade für die Mitar- mehr der Halbwertzeit des verwendeten Wissens beiter zu designen, die vermehrt externe Lernmög- eine Reihe von positiven Effekten: Letztlich nimmt lichkeiten benötigen. nicht nur das Wissen über technologische und be- 14 CONTROLLING – ZEITSCHRIFT FÜR ERFOLGSORIENTIERTE UNTERNEHMENSSTEUERUNG
SCHWERPUNKT 4. HR als Interface zur externen tionstypen und -verfahren gesucht und mit der Öffnung gegen- Arbeitswelt klassischen Organisation verknüpft werden. So ist über externen etwa davon auszugehen, dass die meisten Innova- Skills als Wettbe- Einige der Skills, welche die Technikfolgeabschät- tionen (aber wohl auch beispielsweise wenig werbsfaktor. zung als Bedarf erkennen kann, sind heute oft komplexe Arbeiten der Aufbereitung der unter- nicht im ausreichendem Ausmaß (z. B. Datenma- nehmensweiten Datenlandschaften) von externen nagement, digitale Dienstleistungen, Einsatz von Akteuren (Crowdworker etc.) und Partnern (Kun- Blockchain und maschinellem Lernen) vorhanden den, Start-Ups, Crowdworking-Plattformen etc.) und wahrscheinlich auch schwer zu akquirieren entwickelt werden, die nun bedarfsgerecht an die („War for Talents“), noch dazu, wo der Bedarfs- eigene Wertschöpfungskette gekoppelt werden zeitpunkt und die benötigten Quantitäten noch müssen (vgl. Abb. 2). unsicher sind. In diesem Kontext entstehen für Hierbei kann HR als Berater mithelfen, die Ge- den HR-Bereich nicht nur neue Herausforderun- schäftsprozesse an den entsprechenden Stellen zu gen für das Employer Branding – „neue“ Mitarbei- öffnen und jene Partner zu suchen, zu evaluieren tertypen müssen für eine Organisation interessiert und zu integrieren, die an den entsprechenden werden, die in vielen Aspekten noch sehr traditio- Stellen und Zeitpunkten, Point-Skills zur Verfü- nell ist – es müssen wohl auch neue Koopera- gung stellen (vgl. Ansatzpunkte in Abb. 3). Welche Akteure außerhalb des Unternehmens werden in den Wertschöpfungsprozess eingebunden? Angaben in % Entrepreneure und Startups 10,8 Crowd im Internet (via Onlineplattformen) 18,9 Konkurrenten 23,6 Forschung, Hochschulen, Universitäten 31,1 Consulting 46,2 Lieferanten 63,2 Konsumenten und Kunden 72,2 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Abb. 2: Kooperationspartner der deutschen Wirtschaft (vgl. Al-Ani/Stumpp, 2014, S. 14) IT-Projekt Idee / Definition Umsetzung Test Implementierung Platt Dispatcher form Reporting Workshops • Ideen-Sammlung • Arbeitspakte • Applikations-Test • Visionen • Problemstellungen (z.B. API) • Code-Review Roadmap/ • Spezifische Unterstützung Transformation Startups SW-Plattformen Meta-Plattform Auswahlprozess Startups SW-Plattformen Abb. 3: Öffnung eines Softwareentwicklungsprozesses des IT-Bereiches gegenüber externen Koopera- tionspartnern (vgl. Al-Ani, 2017, S. 118) 31. JAHRGANG 2019 · 5/2019 15
DIE HUMAN-RESSOURCE-FUNKTION IN ZEITEN DES DIGITALEN ÜBERGANGS Weitere Kooperationspartner bzw. Schnittstel- Ani, 2016, S. 238). Die Wahrscheinlichkeit, dass lenorganisationen sind natürlich verstärkt auch dieser Lernpfad vollständig aus inhaltlichen Mo- Crowdworking-Plattformen, die punktuell helfen, dulen des Unternehmens zusammengestellt wer- Probleme aufzulösen, an Innovationswettbewerben den kann, ist wohl nicht anzunehmen und auch teilzunehmen, Arbeitspakete zu übernehmen, aber nicht sinnvoll. Vielmehr setzen sich diese Lernstre- auch Freelancer zur Verfügung zu stellen und diese cken aus traditionellen Lernmodulen, aber auch di- zu managen. Vielfach werden diese Kooperations- gitalen und externen Lerneinheiten und Praxismo- formen wohl auch im Mittelpunkt des Aufbaus dulen zusammen. Zudem wird das Individuum sei- einer neuen Organisation und neuer Arbeitsformen ne individuelle Lerngruppe aufbauen, die ihm zur stehen, die zunächst mit Externen erprobt werden Seite steht und über soziale Medien angebunden und dann vielleicht auch selbst entwickelt und un- bleibt (vgl. Kamenetz, 2010, S. 13) (beispielhafter ternehmensweit ausgerollt werden (unternehmens- Lernpfad in Abb. 4). eigene Plattformen). Aus diesen Veränderungen Der HR-Bereich ist hier also wohl nur zum Teil bzgl. der externen Arbeitswelt ergibt sich: Anbieter von Lerninhalten, sondern vielmehr Digitaler HR-Controlling-Ansatz 2: #Externe Res- Coach oder Designer von Lernstrecken, die höchst- sourcen/Skills/Arbeitspakete für bestimmte Zeit- individuell sein können und auch sein sollen. HR punkte. benötigt hierzu also einen Überblick über interne und externe Lerninhalte und kann das Individuum 5. HR als Coach von Lernpfaden und in Bezug auf seine Lernziele (die sich nicht unbe- Designer von Arbeitsmärkten dingt vollständig mit den Anforderungen des Un- ternehmens decken müssen) beraten. Zweitens: Lernpfade werden Für die Mitarbeiter der traditionellen Organisation Um die Lernpfade mit den Anforderungen des Un- mit internen Arbeits- ist die digitale Transformation einerseits eine ternehmens zu koppeln, bietet sich der Aufbau von märkten verknüpft. Chance, indem etwa Automatisierung gefährliche, internen Arbeitsmärkten an, die auf Basis der Tech- körperlich belastende, aber auch monotone Tätig- nikfolgeabschätzung Nachfrage und Angebot der keiten übernimmt und so Freiräume schafft. Ande- einzelnen Unternehmensbereiche auf einem Zeit- rerseits werden aber auch viele Mitarbeiter vor die strahl vermitteln und mit den jeweiligen Ausbil- Herausforderung gestellt, ihre Fähigkeiten und Ar- dungspfaden synchronisiert sind, die helfen, die- beitsweisen kontinuierlich an die neue Arbeitswelt sen Markt möglichst „zu räumen“. Mit fortschrei- anzupassen. Die Strategie der Firmen scheint hier tender Digitalisierung und Umbau der traditionel- klar zu sein: Dort, wo es möglich ist, werden Tätig- len Organisation werden sich Individuen auch au- keiten von Maschinen übernommen. Mitarbeiter ßerhalb der Organisation Aufgaben suchen. Hier können dann neue Aufgaben innerhalb der Organi- wird etwa die Zusammenarbeit mit neuartigen Ar- sation übernehmen oder versuchen, Tätigkeiten au- beitsvermittlungsfunktionen im Vordergrund ste- ßerhalb des Unternehmens zu suchen. Möglich ist hen: Diese investieren, ähnlich wie Stiftungen heu- auch eine Kombination: eine Reduktion des Ar- te, in Stipendien, die die Interessen und Talente beitsvolumens in der Unternehmung und eine Auf- der Individuen fördern anstatt sinnlose Beschäfti- nahme von Tätigkeiten außerhalb dieser (vgl. Berg- gungsmaßnahmen und Trainings anzubieten (vgl. mann, 2017, S. 153 ff.). In jedem Fall scheint eine Bergmann, 2017, S. 327): Hier ist das Second-Skil- Qualifizierung bzw. (Wieder-)Entdeckung von Fä- ling Programm des Stadtstaats Singapur instruktiv: higkeiten, Interessen und Talenten im Zentrum der Jeder Mitarbeiter bekommt eine staatliche Förde- Anpassung des Menschen an die Digitalisierung zu rung für Weiterbildung in seinem bisherigen Fach- stehen. Daraus ergeben sich zwei Handlungssträn- bereich aber auch für jeden anderen Bereich, für ge für den HR-Bereich. Erstens: Für das Individu- den der Mitarbeiter „Leidenschaften und Interes- um muss ein Lernpfad entwickelt werden, der so- sen“ hegt (vgl. Ming/Cheng, 2016). Und auch hier wohl Rücksicht auf die Ausgangssituation und besteht für den HR-Bereich die Möglichkeit, diese Rahmenbedingungen, aber vor allem auf die indivi- Investition zu unterstützen, zu steuern und auch duellen Zielsetzungen im Sinne von Interessen die Umsetzung der einzelnen Ideen mit den Zielen und Leidenschaften des Einzelnen nimmt (vgl. Al- der Unternehmung zu koordinieren, also die Ler- Hochschule Self-Learning Lernpfad Projekte Fab Labs/Open Spaces Learning Communities • Mentoring/Tutoring • Lernen am • Hacken von Produkten • Persönliche Netzwerke • Präsenzformate Arbeitsplatz • Open Design/Open • Communities of Interest • Digitale Formate • Lernen auf Manufacturing • … • Pfadmanagement Plattformen • … Abb. 4: Elemente lebenslanger Lernpfade 16 CONTROLLING – ZEITSCHRIFT FÜR ERFOLGSORIENTIERTE UNTERNEHMENSSTEUERUNG
SCHWERPUNKT nenden und ihre Projekte in das Ökosystem des Implikationen für die Praxis Unternehmens einzuladen und zu integrieren, sodass ein weiterer digitaler HR-Controlling-An- 䊏 HR muss als Futurist die zukünftige Organisation, ihre technische Basis und Workforce satz formuliert werden kann: (mit-)definieren. Digitaler HR-Controlling-Ansatz 3: #Unterstütz- 䊏 HR muss die für die Transformation benötigten Skills über interne Arbeitsmärkte, aber auch te Mitarbeiterlernpfade im Zeitverlauf. über externe Kooperationen und Plattformen auswählen, motivieren und ad-hoc oder länger- Die drei oben beschriebenen Ansätze für das digita- fristig an die Organisation anbinden. le HR-Controlling bilden erste Ansätze, um den He- 䊏 Die Lebensläufe der Unternehmensmitglieder werden erratischer und bedürfen eines lebens- rausforderungen der sich verändernden HR-Funk- langen Lernpfads, zu dem HR sowohl Inhalte, aber vor allem das Design und Coaching bei- tion zu begegnen und eine Planung, Steuerung und trägt. Kontrolle dieser zu ermöglichen. Die Ansätze stel- 䊏 Die neuen Kennzahlen des adaptierten HR-Controllings ähneln denen von Crowdworking- len mögliche Ansatzpunkte für das Controlling dar, Plattformen: Traditionelle Organisation und Netzwerkorganisation nähern sich an. es ist jedoch zu erwarten, dass die Ansätze durch die stetigen Veränderungen modifiziert oder durch neue abgelöst werden. talisierung auf die Wissensarbeit: Beispiel Volkswagen AG, in: PERSONALquarterly, 01/ 6. Zusammenfassung 2019, S. 27–33. 䊏 Al-Ani, A./Stumpp, S., Crowd-Studie 2014 – Die Nicht überraschend sind die Aufgaben des HR-Be- Crowd als Partner der deutschen Wirtschaft. HI- HR-Skills: Speziali- reichs in der neuen Organisation ebenfalls durch- IG Discussion Paper Series, 2014–02. siertes Wissen und aus neuartig: Die Kenntnis über die Möglichkeiten 䊏 Al-Ani, A./Stumpp, S., Übergangsphänomen Kow-how über und Konsequenzen von neuen Technologien war Crowdworking: Die Dinge, die da kommen wer- Menschen und etwas, was bisher – wenn überhaupt – in der IT-Ab- den, in: Bührmann, A./Fachinger, U./Welskop- Maschinen. teilung angesiedelt war. Auch das Wissen über ex- Deffaa, E. (Hrsg.): Hybride Erwerbsformen Digi- terne Produzenten und ihre Arbeitsweisen und talisierung, Diversität und sozialpolitische Ge- Verlinkungsmöglichkeiten zur eigenen Organisa- staltungsoptionen, Wiesbaden 2018, S. 239–264. tion dürfte oftmals neuartig sein, ebenso wie die 䊏 Auer, M. E., Ram, K. (Hrsg.), Cyber-Physical Sys- enge Vertrautheit mit den eigenen Geschäftsprozes- tems and Digital Twins: Proceedings of the 16th In- sen. Und auch die Unterstützung des Individuums ternational Conference on Remote Engineering verlangt wohl ein tiefes Einfühlungsvermögen und and Virtual Instrumentation. Lecture Notes in Net- eine Kenntnis über das Individuum, welche heute works and Systems, Band 80. Wiesbaden 2019. wohl nur zum Teil vorhanden sind. Aber dies ist 䊏 Benkler, Y., The Wealth of Networks. How Social wohl die generelle Einfallsrichtung der Automati- Production Transforms Markets and Freedom, sierung: Administrative und repetitive Tätigkeiten New Haven 2006. werden auf Maschinen und Algorithmen gescho- 䊏 Bergmann, F., Neue Arbeit, neue Kultur, ben. Im Vordergrund steht nun spezialisiertes Wis- 6. Aufl., Freiburg im Breisgau 2017. sen und Know-how über interne und externe Ak- 䊏 Carbonero, F., Ernst, E., Weber, E., Robots World- teure, über Maschinen und Geschäftsmodelle und wide: The Impact of Automation on Employ- die Möglichkeiten, diese produktiv miteinander zu ment and Trade. ILO Research Department Work- vernetzen. ing Paper No. 36, 2018. 䊏 Frank, M, Roehrig, P., Pring, B., What to Do Literatur When Machines Do Everything. How to get Ahead in a World of AI, Algorithms, Bots, and 䊏 Al-Ani, A., Lehren in digitalen Lernwelten. Big Data. Hoboken 2017. Neue Rollen und Funktionen von Lehrenden, 䊏 Gorz, A., Kritik der ökonomischen Vernunft, in: Cendon, E./Mörth, A./Pellert, A. (Hrsg.): Berlin 1989. Theorie und Praxis verzahnen. Lebenslanges 䊏 Hagel, J./Brown, J. S./Davision, L., The Power of Lernen an Hochschulen, Münster 2016, S. 237– Pull. How Small Moves, Smartly Made, Can Set 248. Big Things in Motion, New York 2010. 䊏 Al-Ani, A., CPS and the Worker. Reorientation 䊏 Jeschke, S. Kybernetik und die Intelligenz ver- and Requalification? in: Jeschke, S., Brecher, C., teilter Systeme, in: Jeschke, S., Schmitt, R., Drö- Song, H., Rawat, D. B. (Hrsg): Industrial Internet ge, A. (Hrsg.), Exploring Cybernetics. Kybernetik of Things. 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