Sinndeutung und Zeitlichkeit - MATHIAS OBERT - FELIX MEINER VERLAG HAMBURG - Zur Hermeneutik des Huayan-Buddhismus
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MATHIAS OBERT Sinndeutung und Zeitlichkeit Zur Hermeneutik des Huayan-Buddhismus FELIX MEINER VERLAG HAMBURG
Im Digitaldruck »on demand« hergestelltes, inhaltlich mit der ursprüng lichen Ausgabe identisches Exemplar. Wir bitten um Verständnis für un- vermeidliche Abweichungen in der Ausstattung, die der Einzelfertigung geschuldet sind. Weitere Informationen unter: www.meiner.de/bod Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar. isbn 978-3-7873-1553-6 ISBN eBook: 978-3-7873-2568-9 © Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 2000. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, so- weit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Gesamtherstellung: BoD, Norderstedt. Gedruckt auf alterungsbeständigem Werkdruckpapier, hergestellt aus 100 % chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany. www.meiner.de
INHALT Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII I. Zu Vorhaben und Gegenstand dieser Untersuchung . . . . . . . . . . . . 1 1. Eine philosophische Studie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 2. Inhalt und Vorgehen der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 3. Der Huayan-Buddhismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Il. Der Huayan-Buddhismus im Blick der Forschung . . . . . . . . . . . . . . 27 1. Allgemeine Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 2. Huayan als metaphysische Theorie: Universalismus, Holismus, Totalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 3. Die idealistische Deutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 4. Pragmatik und Geschichte im Huayan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 5. Eine offene ideengeschichtliche Annäherung . . . . . . . . . . . . . . . . 46 III. >>Über den Goldlöwen nach der Huayan-Lehre« (Übersetzung nach Fazang) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 IV. Interpretation des »Goldlöwen
VI Inhalt VI. Grnndlagen der Hermeneutik 137 1. Die hermeneutische Ausrichtung des Huayan ............. . 137 2. Ein hermeneutisches Programm ......................... . 139 3. Exkurs: Die hermeneutische Grundsituation .............. . 148 VII. Zeitlichkeit nnd Zeitlich-Sein im Huayan .................... . 167 1. Die >>zehn Generationen>Sachen>Abhandlung über die zehn GenerationenÜber das Aufgehenlassen des Bodhi-Herzens nach dem Huayan
VORWORT Die vorliegende Studie erwächst aus dem Bemühen, der europäischen Phi- losophie einen philologisch zuverlässigen, dabei aber philosophisch reflek- tierten Zugang zu wichtigen, indes bisher kaum beachteten Quellen des chi- nesischen Denkens zu verschaffen. Neben der Übersetzung dreier zentraler Texte aus einer der großen Lehrrichtungen des chinesischen Mahayana-Bud- dhismus nehmen in ihr daher eine Reihe von Einzeluntersuchungen zu den philosophischen Grundlagen dieser Lehre einen weiten Raum ein. Und in größerem Maße als allen mir bekannten sinologischen und buddhalogischen Vorarbeiten war es mir darum zu tun, im Bewußtsein um philosophische Me- thodik und Sachfragen der Philosophie das hier vorgestellte Material auf sinnvolle Weise in einen fächer- und kulturübergreifenden Diskurs einzu- bringen. Denn nur eine gezielte philosophische Textbefragung wird uns nach meiner Auffassung in die Lage versetzen, die Eigenart eines außerhalb der uns geläufigen Bahnen sich vollziehenden Denkens auf einer ihm angemes- senen Ebene des Gedankens zu erfassen und es -jenseits eines rein histori- schen Interesses - in seinen spezifischen Problemstellungen und Ansätzen für die gegenwärtige Philosophie fruchtbar zu machen. Gerade die gewaltige, für die gesamte ostasiatische Geistesgeschichte so einflußreiche buddhistische Gelehrsamkeit im China des ersten Jahrtausends unserer Zeitrechnung fand bisher in unserem Bild von chinesischem Denken so gut wie keine Berücksichtigung. Die buddhistische Überlieferung ist es aber, die sich vielleicht noch besser für eine philosophische Auseinanderset- zung aus der Sicht abendländischer Traditionen eignet als die, bis heute bei uns so oft als »unphilosophisch« abgelehnten, »autochthonen
VIII Vorwort Dieser Band konnte nur durch die Aufgeschlossenheit des Felix Meiner Verlags für außereuropäisches Denken und für neue Versuche seiner philo- sophischen Erschließung zustande kommen, wofür ich dem Verlag, insbe- sondere aber Herrn Horst D. Brandt zu aufrichtigem Dank verpflichtet bin. Eine erste Fassung dieser Studien, die ich hier um neuere Erkenntnisse er- gänzt und in einigen Punkten überarbeitet habe, legte ich mit der Unterstüt- zung durch ein zweijähriges Promotionsstipendium des bayerischen Staates 1997 als Inauguraldissertation an der Universität München vor. Anlaß zu die- ser Forschungsarbeit waren zwei unvergessene Seminare meines Doktorva- ters, Michael Friedrichs, die mich nicht nur in Sprache und Geist des Buddis- mus einführten, sondern in denen mir zugleich eindringlich Schwierigkeiten und Möglichkeiten einer >>philosophischen Lektüre>Pioniergeist
I. Zu VORHABEN UND GEGENSTAND DIESER UNTERSUCHUNG 1. Eine philosophische Studie Ich möchte in der vorliegenden Arbeit einige Thesen zu einer »hermeneuti- schen Philosophie
2 Vorhaben und Gegenstand gegenseitig zur Abhebung zu bringen, um ein substantielles Denken zu befruchten. Die herrschaftliche Aneignung des Fremden über die Analogie zu den Kategorien des Eigenen scheint dazu nicht wirklich in der Lage. Das besagte >>Arbeitsfeld>Vernetzungsdebat- ten>globale Weltordnung>geistige Situation der Zeit>buddhistisches Den- ken
Eine philosophische Studie 3 men fraglos zugrunde gelegt, kann dessen Eigenart nicht mehr befriedigend gesehen werden.2 Hermeneutik- Historie- hermeneutische Philosophie Geforscht wird im Zuge dieser Untersuchung - in inhaltlicher wie nicht minder in methodischer Hinsicht - nach Wegen einer hermeneutischen Reflexion, die im Ausgang vom Verstehen einer fremden Überlieferung die eigenen Verständnisvoraussetzungen in den Horizont der Frage einrückt. Hermeneutik als verstehende Deutung des Fremden auf den ihm im Hinblick auf das Eigene zukommenden Sinn hin wird demnach zur Reflexion auf die- ses Eigene. Eine rein >>historischeGeschichtsbild>weltanschauliches« oder methodisch-systematisches Raster der Gege- benheitsweisen von Gegebenem, >>historischen Fakten« also, ein und sucht ihn vor diesem Hintergrund genauer zu bestimmen. Geschichte ist ihr das vergangene Faktische schlechthin, der geschichtliche Ablauf faktischer Zu- ständlichkeiten und Ereignisse. Eine hermeneutisch-historische Einstellung hingegen sieht sich selbst, die historische Reflexion, als ein wesentliches Eie- 2 Dieser kritische Einwand wendet sich nicht zuletzt an so eine grundlegende Untersu- chung wie das Werk >>Chugoku Kegon shisoshi no kenkyu« von Kamata Shigeo (Tokyo 1965). Wenn dort mit Nachdruck eine Geschichtsschreibung der buddhistischen Dogmatik (kyorigaku shi) zurückgewiesen und statt dessen eine historische >>Aufklärung der Voraus- setzungen und Gründe in der Entstehung, Entfaltung und im Wandel eines Denkens« (S. 2: shiso no keisei, tenkai, henbo no genin to riyu to o setsumei) angemahnt wird, so kann an einer solchen Perspektive als unumgägliche Bedingung für eine philosophiegeschichtliche ErheBung des Phänomens kein Zweifel bestehen. Und die Gründlichkeit Kamatas verleiht dem Werk sicherlich den Wert eines Handbuches zum Huayan-Buddhismus. Fraglich indes scheint mir, ob Kamatas enge Fixierung auf den >>geschichtlich-gesellschaftlichen Hinter- grund« (rekishiteki shakaiteki haikei) zur Erklärung von >>gedanklichen Veränderungen« (S. 7: shiso no henbo) nicht zu leichtfertig den Sinngehalt eines jeweiligen Denkens als bekannt voraussetzt, so daß von hier aus nicht zur hermeneutischen Klärung desselben aus seinen inneren Voraussetzungen zu gelangen ist. Beinhaltet Kamatas Darstellung etwa der Lehren von Jizang und Fazang nicht in der Tat einen Zirkel, wenn diese auf wenig vorur- teilsfreie Weise im Horizont und in der Begrifflichkeit anderer Schulstandpunkte oder einer sehr unspezifischen philosophischen Sprache - im Rahmen eines allgemeinen buddhalogi- schen Vorwissens also -abgehandelt und schließlich gar mit der >>Eigenart des chinesischen DenkensHintergrund
4 Vorhaben und Gegenstand ment von Geschichte an. Sie zieht ein ungeschichtliches Gegebensein von >>Fakten
Eine philosophische Studie 5 Gegenstand ist ihr nicht die geschichtliche Überlieferung von Sinn als er- kenntnismäßig konstitutiv für den Sinn des Seins. Gegenstand der >>herme- neutischen Philosophie>situationistisch>situativ>pragmatisch>praktischTheorie>Praxis>praktischen Umsetzung>dort>hier>Ver- stehen>Verwertung gei- steswissenschaftlicher Wahrheiten
6 Vorhaben und Gegenstand de.s Das Gegebene kommt vor unserem eigenen Lebenshintergrund sowie vor einem geschichtlich gewachsenen und seinerseits auf früheres Verstehen zurückgehenden, allgemeinen Verständnishorizont zur Betrachtung. Und auf letzteren ist hier noch näher einzugehen. Der für uns maßgebliche, »geisteswissenschaftliche>erklärende>Geschichtsbildes>Kenntnis- se>InformationenReich der Mitte>Dialog zwischen den Kulturen
Eine philosophische Studie 7 Demgemäß sind im folgenden weniger Aussagen darüber angestrebt, wie eine buddhistische Schulrichtung in den geistesgeschichtlichen Kontext ein- zuordnen sei. Gefragt wird nicht danach, was >>in Wahrheit>desengagierten Kenntnisnahmeverstehen>esoterische>neue Einsichten«, gilt es vor allem, den eigenen metaphysischen Verständnishorizont, was Themen, Begriffe und Methoden
8 Vorhaben und Gegenstand anlangt, bewußt in die geistige Auseinandersetzung einzubringen. So erst können dort zu ähnlichen Problemen andere Fragestellungen, zu verwandten Fragen aber ungewohnte Antworten sichtbar werden. Wird die intuitive Ana- logie hingegen nicht durch den differenzierenden Kontrast ergänzt, bleibt sie stumpf. Läßt sich das hier geforderte Vorgehen also genauer beschreiben? Eigenart und Richtung der Textbefragung Aus der um ein Verstehen bemühten Begegnung mit der chinesischen Über- lieferung erwächst uns die Möglichkeit, unsere eigene gewohnte Ausrich- tung in der Auslegung und dem Verfolgen philosophischer Probleme aufzu- decken und kritisch zu erweitern. Wir ordnen gelesene Aussagen in mögliche Sinnfelder ein, problematisieren und befragen sie auf ihren je bestimmten Sinn hin auf dem Boden vertrauter Sinnvorstellungen, um sie so erst verste- hen zu können. Hier ergeben sich Gleichklang und Kontrast. Die fremden Texte sprechen unseren Sinngewohnheiten gemäß oder sagen vor diesem Hintergrund Anderes. In der Reflexion auf die erfüllten oder enttäuschten Sinnerwartungen, die wir von uns her an die Texte herantragen, gelingt aber allein die Auslegung des Anderen in seinem Wie innerhalb unseres eigenen Sinnhorizontes. Ein neutraler, objektivierender Standort der >>Wissenschaft>Fakten>Faktenwis- senschaft
Eine philosophische Studie 9 künden oder aber eine systematische Philosophie vorführen, wohl gar eine Metaphysik, Ontologie und Logik »Östlicher Prägung>Richtung>Verstehen>Reibung>verstandenreligiösen
10 Vorhaben und Gegenstand Textsinnes durch den Übersetzer bemäntelt wird, leisten eine befriedigende Hermeneutik. Diese hätte in erster Linie in der beschriebenen Reibung zwi- schen Text und Interpret die Fraglichkeit selbst im Sinnverstehen aufzu- decken statt schlüssige Antworten zu versuchen.? Der Westen im Spiegel Chinas Das oben vorgestellte Programm in seiner konkreten Bedeutung einsichtig zu machen - dieser Aufgabe ist ein Teil der hier vorgelegten Forschungen gewidmet. So wird - um an dieser Stelle ein Beispiel für viele vorzustellen - der buddhistische Grundbegriff des >>dharma>Seinserfahrung>Denken des SeinS>Rekonstruktion
Inhalt und Vorgehen 11 aus eine klare Absage zu erteilen. Sie hat ein Sinnverstehen von vornherein verfehlt. Ein Eurozentrismus, der nicht befriedigend legitimierte Herr- schaftsanspruch des abendländischen Denkens in Form einer fraglosen Wis- senschaft und eines technischen Zweckrationalismus' wären überzuführen in ein hermeneutisch-historisches Interesse für die Andersheit der chinesischen Zivilisation. Es könnte auf diese Weise einer erweiterten >>Erfahrung des Seins>wirkungsgeschichtliche Bewußtsein>philosophi- sche Hermeneutik>Wirkungs- geschichte>hermeneu- tischen Philosophie>Destruktion der Metaphysik>phänomenologischen Hermeneutik der Faktizität>radikalen philosophischen ForschungMetaphysik>Faktizität>Systemmanifest>Grundbewegtheit des faktischen Lebens, das in der Weise ist, daß es in der konkreten Zeitigung seines Seins um sein Sein besorgt ist
12 Vorhaben und Gegenstand die Analyse des europäischen Denkens freilich wie gebrochen, wie im Spie- gel. Die aufdeckende >>Destruktion>hermeneutischen SituationRekonstruktion>histori- scheRekonstruktion
Inhalt und Vorgehen 13 Eine phänomenologische Untersuchung zu Sinnphänomen und Zeitlichkeit Thematisch im Vordergrund ferner stehen hierbei die Frage nach den phäno- menologisch aufweisbaren Grundlagen der sinnhaften Rede vom Sein und die nach dem Wesen der Zeitlichkeit. Die Aufmerksamkeit gilt dem Sinn- haftsein und dem Zeitlichsein, da diese Charaktere in den untersuchten Tex- ten in ausgezeichneter Weise als die wesentlichen Merkmale des Seins gedacht werden. Das Sinnhaftsein wird ausgehend von der eigentümlichen Intentionalität des »Bedeutens« als solchen, noch vor einer Gegenstellung von Subjekt und Objekt oder von Sein und Denken, aus der Bezüglichkeit des Sinnverweises entwickelt. Der Primat kommt in dieser Deskription dem Sinn als solchen, nicht aber einem davor oder dahinter vermeinten Sein zu. Die Frage nach dem Wesen der Zeiterfahrung ferner teilt sich in eine abstrakte Analyse des Phänomens sowie in seinen anschaulichen Aufweis anhand des- sen, wie die untersuchten Texte in ihrer konkreten Sinngebung >>arbeiten
14 Vorhaben und Gegenstand unwesentlich oder aber als unerreichbar galt - eine Einheit im Sein »dies- seits>wirkungsgeschichtlichen>SprachdenkensSprachdenken>Die Sprache sprichtSprachdenken>aussagenden>ausdrückenden
Inhalt und Vorgehen 15 ganz in der Sprachlichkeit, d. h. in der konkreten, Sinn stiftenden hermeneu- tischen Rede, erfüllt weiß. Wenn aber das Wesen des Sprechens im Anspre- chen des andern als eines Gegenübers zu sehen ist, und wenn ferner mensch- liches Handeln aus der erkenntnistheoretischen Gegenüberstellung von Subjekt und Objekt in den zwischenmenschlichen Bereich und den Umgang mit den Dingen in einer Welt weist, die in Heideggers Worten zugleich >>Umwelt, Mitwelt und Selbstwelt« ist,15 so ist auch das Denken nie dem bloßen >>Erkennen« verschrieben. Und so steht auch in jenem buddhistischen >>Sprachdenken>Magd der Religion>Denken>hermeneutische Philosophie
16 Vorhaben und Gegenstand gen in die Texte einbringen als für ein sinnvolles Verständnis derselben nötig wäre. Sprachgewandte Wirksamkeit wird so entschieden auf Kosten unserer Einsicht in den Sinngehalt der ursprünglichen Texte erkauft. Die hier vorgelegten >>Übersetzungen
Der Huayan-Buddhismus 17 Dies hängt sicherlich ebenso mit starken indischen Einflüssen wie mit den Lehrgewohnheiten und denkerischen Eigentümlichkeiten des chinesischen Buddhismus - sowohl gegenüber der indischen wie gegenüber der einheimi- schen Tradition - zusammen. Es ist demnach mit der bewußt vollzogenen Lektüre und Deutung der betreffenden Schriften über thematische Belange hinaus ein tieferes Eindringen in die besondere Sprachlichkeit des chinesi- schen Buddhismus angestrebt. 3. Der Huayan-Buddhismus In aller Knappheit sei nunmehr der Untersuchungsgegenstand selbst vorge- stellt. Zu seiner genauen historischen und ideengeschichtlichen Einordnung muß auf die umfangreichen Arbeiten zur Geschichte des Buddhismus in China verwiesen werden,16 da es hier, wie bereits erläutert, nicht um eine umfassende Darstellung des Huayan-Buddhismus zu tun ist. Diese Ein- führung muß sich mit der summarischen Nennung der für das Weitere wesentlichen Hinweise begnügen. Darstellungen des indischen Buddhismus ferner bieten die einschlägigen Bücher von Edward Conze17 und ein Werk von T. R. V. Murti, welches aufgrund seiner philosophischen Durchdringung des Stoffs auch zum Verständnis des chinesischen Buddhismus sehr hilfreich ist, Tlze Centra/ Philosoplzy of Buddhism (London 1980). Die buddhistische Lehre findet in China im vierten Jahrhundert unse- rer Zeitrechnung weitere Verbreitung und stellt bis ins zehnte Jahrhundert hinein die geistesgeschichtlich wichtigste Strömung dar. In philosophischer, 16 S. etwa: Zürcher, E., The Buddhist Conquest of China, 2 Bde., Leiden 1959; Ch'en, Kenneth 5., Buddhism in China. A Historkai Survey, Princeton (UP) 1964, zum Huayan- Buddhismus besonders S. 313ff.; Chan, Wing-tsit, A Source Book in Chinese Philosophy, Princeton (UP) 1963, besonders S. 409ff.; Fung Yu-Lan, A History of Chinese Philosophy, übers. von Derk Bodde, Princeton 1953, bes. Bd. Il, S. 339ff.; Cook, Francis H., Hua-yen Buddhism, Pennsylvania 1977, Kapitel2 u. 3, S. 21 ff.; Gregory, Peter N., Tsung-mi and the Sinification of Buddhism, Princeton (UP) 1991; ferner: Tang Yongtong, Suitang fojiao shigao, Taibei 1988, besonders S. 196ff.; Zhongcun Yuan (das ist Nakamura Hajime), Zhongguo fojiao fazhan shi, 4 Bde., Taibei 1984 (Überset- zung aus dem Japanischen); Takamine Ryoshu, Kegon to zen to no tsuro, Nara 1957; Karna- ta Shigeo, Chugoku bukkyo shi, Tokyo 1980; sowie die geistesgeschichtlichen Untersu- chungen: Tang Junyi, Zhongguo zhexue yuanlun, 6 Bde., Taibei 1993, bes. Yuan xing pian, S. 272ff. bzw. Yuan dao pian III, S. 272ff.; Mou Zongsan, Foxing yu boruo, 2 Bde.,Taibei 1993, bes. S. 483 ff. 17 Conze, E., Buddhist Thought in India, Michigan (UP) 1982; ders., Der Buddhismus. Wesen und Entwicklung, Stuttgart 1953.
18 Vorhaben und Gegenstand vielfach ebenso in gesellschaftlicher und politischer Hinsicht spielen die ein- heimischen Lehren und Denkrichtungen während der Blütezeit des chinesi- schen Buddhismus eine untergeordnete Rolle. Wenn heftige Auseinanderset- zungen zwischen Daoisten, Konfuzianem und Buddhisten auf verschiedenen Ebenen zu beobachten sind, wird dabei doch die bezwingende kreative Kraft des fremden Buddhismus in jenem Zeitraum offenkundig. Es handelt sich zum größeren Teil um die Bewegung des Mahayana, des »Großen FahrzeugsKleinen FahrzeugLebewesenLebewesen>ursprünglichen
Der Huayan-Buddhismus 19 Überlieferung bilden sich ferner in China verschiedene geistige Richtungen heraus, wobei die Lehre Buddhas in >>Aufzeichnungen>weiter- führenden Anmerkungen>Blumenschmuck-SchriftKommentars zur Zehnstufen-Schrift
20 Vorhaben und Gegenstand Aufschwung der Huayan-Exegese hervorgeht, fällt in die Lebenszeit Fazangs (643-712), des dritten Patriarchen der Schule. Er wird zu deren Leitfigur, wenngleich die Lehre sich über Ziliyan (602-668) bis auf Du Silun (557-640) als ihren ersten Patriarchen zurückführt. Dieser steht in der Tradition des C/zan (jap. Zen), fördert aber das Studium des Huayan-Sutras.25 Allerdings wird seine Autorschaft für die im Huayan-Kanon überlieferten Schriften heute angezweifelt.26 Fazang nun, dessen gewaltiges Werk von über 40 Titeln etwa zur Hälfte erhalten ist,27 leistet neben seiner öffentlichen Wirksamkeit am Hof im Wesentlichen jene philosophische Ausformung der Huayan- Lehre, auf die sich die hier vorgelegten Studien vornehmlich stützen. Er ist es auch, der eine zweite, umfangreichere Übersetzung des Sutras in 80 Bänden, die 695 begonnen wird, anregt.2B An diesem Denker wird die enge Verflech- tung einer Hermeneutik des Schrifttums, welche offenbar nicht ohne eine gewisse Auseinandersetzung mit dem Sanskrit29 und dem Problem der ori- ginalen Sinngestalt von Texten auftritt, mit dem bewußten Ausfüllen einer politischen und geistesgeschichtlichen Rolle in der Zeitsituation3D sichtbar. Fazangs Nachfolge in der Tradition tritt Cilengguan (738-839) an. Auf die- sen folgt Zongmi (780-841), dessen schöpferische Kraft in den Dienst einer theoretischen und tatsächlichen Versöhnung der Chan-Schule mit dem Huayan-Denken gestellt ist. Indem er den Chan nicht als reine >>Meditations- praxis« auffaßt und andererseits die pragmatische Dimension des hermeneu- tischen Übungsweges im Huayan, wie sie in Fazangs Lehre deutliche Gestalt angenommen hat, betont, sucht Zongmi die wesensmäßige Verwandtschaft beider Richtungen gedanklich zu durchdringen. Damit macht er die vom dritten Patriarchen erarbeiteten Grundlagen in der klarer ausgeprägten Schulsituation seiner Zeit fruchtbar und kann mit seinem ganzen Schaffen als ein konkreter Beleg für die Sinnhaftigkeit der hier vorzutragenden Ansichten gelesen werden. Nach jener Zeit sodann ebbt die Bedeutung der Schule ab, um in der Song-Zeit zu neuem Leben zu erwachen und nunmehr vor allem in Korea und Japan größere Bedeutung zu erlangen.31 25Tang Yongtong, Suitang, S. 202. 26S. Shi Jun (Hg.), Zhongguo fojiao sixiang ziliao xuanbian, 4 Bde. (9 Bücher), Peking 1983. 1!. Bd., 2. Buch (im folgenden: ZF II 2), S. 1. 27 S. für eine genaue Aufstellung: Tang Yongtong, Suitang, S. 207ff. 28 Ebd., S. 206. 29 Ebd. 30 S. dazu näher Kamata, Shisoshi, S. 107-149, bes. S. 144ff. 31 S. zu dieser Perspektive u.a. die Arbeiten: Steve Odin, Process Metaphysics and Hua- yen Buddhism. A Critical Study of Cumulative Penetration vs. Interpenetration, Albany (State of Ny. UP) 1982 (bes. S. XIIIff., 54); Klaus R. Heinemann, Der Weg des Übens im ost- asiatischen Mahayana, Wiesbaden 1979. Girard, Myoe, bes. S. 1-108.
Der Huayan-Buddhismus 21 Diese Arbeit nun konzentriert sich aus thematischen und didaktischen Gründen auf drei Texte von Fazang,32 wobei den übrigen Texten wie den Schriften der anderen genannten Patriarchen grundsätzlich gleiche Aufmerk- samkeit geschenkt wird.33 Was es zu zeigen gilt, findet sich indes bei Fazang in der tiefsten gedanklichen Durchdringung und maßgebenden sprachlichen Ausformung, weshalb die Beschränkung nicht als sachliche Einengung für das Verständnis des Huayan-Buddhismus insgesamt, dessen allgemeingül- tige Grundlagen ja aufgedeckt werden sollen, zu werten ist. Die kleine Aus- wahl von interpretierten Texten tut diesem Anspruch keinen Abbruch, sofern eine vielfältige Anhäufung von zitiertem Material, welches aus dem ur- sprünglichen Zusammenhang gerissen auftritt, die entscheidenden Einsich- ten oftmals eher verschleiert. Erst die Analyse von Texten in ihrer Ganzheit offenbart nicht selten die für ihr Verständnis wesentlichen Gesichtspunkte, wie dies gerade auch für die buddhistische Art des Lehrvortrags und die hier in Aufbau und >>Verlauf« von Schriften verwirklichte >>Sinnbewegtheit« zu gelten hat. Auch kann grundsätzlich auf diesem Wege der Interpretation die integrale Einheit eines Denkens eher im Blick behalten werden. Und nicht zuletzt scheint in einer klar begrenzten Betrachtung die Verständnisarbeit des Lesers nicht unerheblich erleichtert werden zu können. Ausdrücklich ausgeklammert wird ferner die Bezugnahme auf das Hua- yan-Sutra selbst, da es hier nicht um die buddhalogische Rekonstruktion einer exegetischen Dogmatik in deren Verhältnis zum Sutra, sondern um die philosophische Befragung eines genuin chinesischen Schrifttums zu tun ist. Untersucht werden sollen Gedankengebilde, die sehr wohl in intensiver Aus- einandersetzung mit der aus Indien stammenden Tradition, zugleich aber im Rückgang auf einheimisches Denken erwachsen sind. Auch stellen die Mehr- zahl der hier herangezogenen Quellen ja selbst schon nicht mehr eine exege- tische, kommentierende Erörterung des Sutras im engeren Sinne dar. Und das primäre Anliegen dieser Arbeit ist gerade eine Texthermeneutik, welche den Gehalt der betreffenden Quellen in der methodischen Beschränkung auf sie selbst - im Bewußtsein ihres historischen Kontextes - ans Licht zu heben vermag, ohne die chinesische Literatur von vornherein aus dem vermeint- lichen Wissen um indische oder überhaupt »kanonische>erklären
22 Vorhaben und Gegenstand nesische Auslegung derselben wechselweise auseinander erhellt werden, die vielgestaltige Besonderheit des chinesischen Buddhismus übersehen und die kreative Eigenständigkeit eines Denkers wie Fazang verfehlt, wie im weite- ren deutlich werden soll.34 Der Huayan-Buddhismus in der Geistesgeschichte Zur näheren Einführung sei abschließend die geistesgeschichtliche Stelle des Huayan innerhalb des chinesischen Buddhismus skizziert. Als eine späte Schulgründung erwächst er aus einer um dogmatische und denkerische Inte- gration bemühten Aufhebungsbestrebung gegenüber früheren Strömungen. Eine Entwicklungslinie läßt sich über den pilgernden und übersetzenden Autor der Faxiang- oder Dharma-Gestalt-Schule, Xuanzang (600-664), und die »bewußtseinsphilosophischen« Lehren des Weishilun auf den indischen Yoga- cara, einen sogenannten »Idealismusidealistisch
Der Huayan-Buddhismus 23 In denselben Umkreis gehört außerdem das von Fazang eindringlich inter- pretierte Dasheng qixin tun mit seiner Rede vom Tathagatagarbha (rulai zang), dem >>Buddhaspeichereinen Herzen>Bewußtsein>Reich der Bedeutungen>Weges der Mitte>Logiker>Leere> Perfeet Tcaching
24 Vorhaben und Gegenstand Bekannter ist sodann der mächtige Vorläufer der nach einem Berg benann- ten Tiantai-Schule (jap. Tendai) mit ihrer schöpferischen Gründerfigur Zhiyi (523-597). Dessen Denken geht über die Sanlun-Schule hinaus auf eine syste- matisch-historische Integration aller nicht-buddhistischen und buddhisti- schen Richtungen. Der universalgeschichtliche Anspruch des Mahayana tritt hier in seiner exegetischen Ausformung voll ausgereift zutage. In einer hier- archischen, >>beurteilenden Einordnung [aller] Lehren
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