"Slowbalisation" - Effekte auf Produktions- und Logistikstandorte - No. 35 / 2021

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"Slowbalisation" - Effekte auf Produktions- und Logistikstandorte - No. 35 / 2021
Focus
                     No. 35 / 2021

„Slowbalisation“ –
Effekte auf
Produktions- und
Logistikstandorte
"Slowbalisation" - Effekte auf Produktions- und Logistikstandorte - No. 35 / 2021
Editorial
                        Sehr geehrte Damen und Herren,

                        Adam Smith, Begründer der modernen Wirtschaftstheorie, zeigte, dass die inter-
                        nationale Arbeitsteilung Vorteile für alle Handelspartner bringt, wenn sich jeder auf
                        diejenigen Güter spezialisiert, welche er jeweils kostengünstiger als die Handelspart-
                        ner produzieren kann. Direkte Kostenvorteile (insbesondere Lohnkosten) sind bei
                        diesem Credo das Maß aller Dinge. Diese Art der Kostenbetrachtung hat in den ver-
                        gangenen Jahrzehnten dazu geführt, dass heute komplexe und fragmentierte Liefer-
                        ketten die ganze Welt umspannen. Doch die Handelswelt wandelt sich. Nicht erst die
                        Corona-Krise hat zu einem Überdenken der mitunter anfälligen Wertschöpfungsket-
                        ten geführt. Entwicklungen wie zunehmend protektionistische Tendenzen oder neue
Dr. André Scharmanski   Produktionsmöglichkeiten durch die Industrie 4.0 (mit neuen Kostenvorteilen) haben
Leiter Research         ein Abbremsen der Globalisierung bewirkt. „Schwarze-Schwan-Ereignisse“, wie wir
                        sie gerade durchlaufen, machen jedoch deutlich, dass Kosten nicht das alleinige Maß
                        der Dinge bleiben können. Es braucht resiliente Lieferketten und eine robuste Wert-
                        schöpfung.

                        Die globalen Wertschöpfungs- und Lieferketten werden rekonfiguriert. Aber was
                        bedeutet das für die Logistik- und Produktionsimmobilien, die schließlich Dreh- und
                        Angelpunkte der Weltwirtschaft sind? Der aktuelle Quantum Focus No. 35 „Slow-
                        balisation und Immobilienmärkte“ zeigt auf, wie sich insbesondere die bislang unter-
                        allokierte Assetklasse Light Industrial in einer sich wandelnden Handelswelt zukünftig
                        entwickeln wird. Dabei kristallisieren sich regionale Schwerpunkte für diese Anlage-
                        klasse heraus, die von der Neuordnung der Wertschöpfungs- und Lieferketten beson-
                        ders profitieren werden und damit für Investoren zunehmend attraktiv sein dürften.

                        Wir freuen uns, wenn der Focus Ihr Interesse findet und wünschen Ihnen eine auf-
                        schlussreiche und interessante Lektüre!

                        Dr. André Scharmanski

                                               FOCUS 35                                                     1
"Slowbalisation" - Effekte auf Produktions- und Logistikstandorte - No. 35 / 2021
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                                „Slowbalisation“ – eine neue Ära im Welthandel?

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           Logistik- und Produktionsimmobilien in einer sich wandelnden
           Handelswelt

2   FOCUS 35
"Slowbalisation" - Effekte auf Produktions- und Logistikstandorte - No. 35 / 2021
Inhalt
5    Weltwirtschaft und
     internationale Arbeitsteilung
     Was sind globale Wertschöpfungsketten und wie haben diese die Weltwirt-
     schaft geprägt?

10   „Slowbalisation“ – eine neue
     Ära im Welthandel?
     Was sind die Gründe für die nachlassende Geschwindigkeit der Globalisierung?

17   Logistik- und Produktions-
     immobilien in einer sich
     wandelnden Handelswelt
     Wie wirkt sich die Neuordnung globaler Wertschöpfungsketten auf die Nach-
     frage nach Lager- und Produktionsflächen in Deutschland aus?

30   Kurz & knapp
     Das Wichtigste dieser Ausgabe kurz zusammengefasst.

     „ S LO W B A L I S AT I O N “ – E F F E K T E A U F P R O D U K T I O N S - U N D LO G I ST I K STA N D O R T E   3
"Slowbalisation" - Effekte auf Produktions- und Logistikstandorte - No. 35 / 2021
FOCUS 35
"Slowbalisation" - Effekte auf Produktions- und Logistikstandorte - No. 35 / 2021
Weltwirtschaft und
internationale Arbeits-
teilung

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"Slowbalisation" - Effekte auf Produktions- und Logistikstandorte - No. 35 / 2021
Als wesentlicher Taktgeber der ökonomischen Globalisierung gilt die
zunehmende Verflechtung der industriellen Produktion. Während in
früheren Phasen grenzüberschreitender Beziehungen der Handel mit
Rohstoffen und Endprodukten dominierte, etablierte sich Anfang der
1990er Jahre eine internationale Arbeitsteilung in der Produktion, bei
der immer mehr Zwischenprodukte einzelner Wertschöpfungsstufen in
andere Länder exportiert und dort weiterverarbeitet werden.

Die theoretische Grundlage für diese Entwicklung          in den Industrieländern (Abb. 01). Ganze 60 Prozent
liefert das Ricardianische Prinzip der komparativen       des globalen Handelswachstums zwischen 1990 und
Kostenvorteile, wonach alle Handelsteilnehmer bzw.        2008 (Ära der Hyperglobalisierung) gingen auf grenz-
Länder von einer vollständigen Spezialisierung auf        überschreitende Wertschöpfungsketten zurück. Das
jene Güter profitieren, bei denen sie über einen kom-     bedeutet, dass immer mehr Güter auf einer Vielzahl
parativen Vorteil verfügen. Gerade Unternehmen aus        von Produktionsstufen in zwei oder mehr Ländern
den industriellen Kernländern der Triade (Asien, Euro-    produziert wurden und auf jeder Stufe ein bestimm-
pa, Nordamerika) haben aus Effizienzerwägungen vor        ter Wert hinzugefügt wurde. Im Fokus der Arbeitstei-
allem arbeitsintensive Produktionsbereiche zuneh-         lung stehen Effizienzgewinne im Rahmen des globa-
mend in Niedriglohnländer ausgelagert, um Arbeits-        len Outsourcings, das durch die Auswahl der weltweit
kosten zu sparen. Einen deutlichen Schub erfuhr die       günstigsten Anbieter geringe Preise für Vorleistungen
internationale Arbeitsteilung in den Folgejahren durch    garantiert. In der Vergangenheit wurde das Outsour-
den Fall des Eisernen Vorhangs, die globale Integra-      cing in vielen Fällen durch die Strategie multinationaler
tion Chinas, den Abbau von Handels- und Investitions-     Unternehmen vorangetrieben, ihre Betriebsabläufe
hemmnissen, die Fortschritte in den Informations- und     zu optimieren, indem sie die Lagerbestände durch
Kommunikationstechnologien und sinkende Transport-        Just-in-time-Produktion verringerten und die Auslas-
kosten dank der Containerschifffahrt.                     tung der Anlagen erhöhten. Es wurde immer weniger
                                                          vorproduziert und eingelagert, sondern die Maschi-
Ein Großteil der weltweiten Produktion wird seitdem in    nen liefen erst an, wenn ein Produkt oder Bauteil tat-
sogenannten globalen Wertschöpfungsketten (Global         sächlich bestellt wurde. Den niedrigeren Preisen der
Value Chains) organisiert. Heute ist fast jedes Land in   Vorprodukte stehen allerdings generell die extremen
die internationale Arbeitsteilung integriert, wenn auch   Abhängigkeiten von der exakten Einhaltung aller ver-
auf unterschiedliche Weise. Während Schwellenlän-         einbarten Details der Lieferbeziehungen (Qualität und
der Rohstoffe liefern und auch Vorprodukte herstel-       Quantität der gelieferten Vorleistungen und der ge-
len, konzentriert sich die hochqualifizierte Tätigkeit    naue Zeitpunkt der Lieferung) als Risiko gegenüber.

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"Slowbalisation" - Effekte auf Produktions- und Logistikstandorte - No. 35 / 2021
Abb. 01
Integration in internationale Wertschöpfungsketten
   kaum Beteiligung         Rohstoffe                   Verarbeitung Vorprodukte                       innovative Tätigkeiten
   keine Daten

                                                                                                                     Quelle: Weltbank 2020

                                                                      Anteil der Wertschöpfung über globale
                                                                      Wertschöpfungsketten 2015

                                                                      12%
                                                                      Weltweit

                                                                      17%
                                                                      Deutschland

                                                                                                                    Quelle: Flach et al. 2020

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"Slowbalisation" - Effekte auf Produktions- und Logistikstandorte - No. 35 / 2021
Ebenso kritisch ist die einseitige Ausrichtung auf eine    Tab. 01
Weltregion (v.a. Asien), was die grenzüberschreitende      Anteil importierter Vorleistungen an den
Produktion anfällig für Schocks macht.                     Gesamtinputs nach Branchen

Deutschland als Teil globaler Wertschöpfung
                                                            Branche                              Importierte Inputs in %
                                                                                                 der Gesamtinputs 2015
Die deutsche Wirtschaft ist überdurchschnittlich stark
in solche globalen Ketten eingebunden wie nur weni-
ge andere Volkswirtschaften: 2019 importierten deut-        Textilindustrie                      75,5
sche Unternehmen Vorprodukte im Wert von 606 Mrd.
Euro. Etwa 17 Prozent der deutschen Wertschöpfung           Elektroindustrie                     55,9
fand über globale Wertschöpfungsketten statt (Flach
et al 2020). Damit ist Deutschland auch im Vergleich        Chemische Industrie                  51,8
mit China (11,5 Prozent) und den USA (5,5 Prozent) ein
wesentlicher Knotenpunkt und Treiber globaler Pro-
duktionsverflechtungen (Abb. 02). Etwa 69 Prozent
                                                            Maschinenindustrie                   36,9
der deutschen Wertschöpfung hatte keine interna-
tionale Grenze überquert (Weltdurchschnitt = 80 Pro-        Automobilindustrie                   29,1
zent), der Rest nur eine Ländergrenze.

Besonders trifft das für die deutsche Textil-, Elektro-
und chemische Industrie zu, für die der Anteil impor-
tierter Vorleistungen an den Gesamtinputs der jeweili-
gen Industrie auf zwischen 52 und 76 Prozent beziffert
wird. (Tab. 01) Mit einem Vorleistungsanteil von rund 37
bzw. 29 Prozent ist ebenso die deutsche Maschinen-
                                                           Quelle: World Input Output Database
und Autoindustrie relativ stark in die Weltwirtschaft
integriert (Kilic/Marin 2020).

Hochkomplexe, fragmentierte Wertschöpfungsketten           und Kontinente hinweg vernetzt. Damit sind geogra-
                                                           phisch entfernte Regionen in solcher Weise miteinander
Insbesondere bei der Produktion hochentwickelter In-       verbunden, dass Ereignisse an einem Ort durch Vor-
dustrieerzeugnisse bilden sich immer stärker fragmen-      gänge geprägt werden, die sich an einem viele Kilome-
tierte und komplexe Wertschöpfungsketten, die selbst       ter entfernten Ort abspielen und umgekehrt. So hat das
für die Unternehmen kaum noch vollständig zu überbli-      Herunterfahren der Produktion in einer Branche eines
cken sind. Autos und Maschinen stehen häufig am Ende       Landes unmittelbar Auswirkungen auf die Auslastung
langer Lieferketten, die aus diversen vorgelagerten Zu-    der Produktionskapazitäten der direkten und indirekten
lieferern zusammengesetzt sind und sich in der Regel       Zulieferer aus unterschiedlichen Branchen in mehreren
weltweit erstrecken. So zählt etwa Daimler über 200        Ländern.
direkte so genannte Tier-1-Zulieferer, die den Automo-
bilhersteller mit den größten Komponenten oder Sub-
systemen für das Fahrzeug, wie zum Beispiel die Auf-
hängung oder das Getriebe, beliefern. Allein die zehn
Größten davon kommen zusammen nochmals auf fast
                                                           »Geographisch entfernte
600 so genannte Tier-2-Zulieferer, die Komponenten für     Regionen sind in solcher Weise
die Tier-1-Zulieferer bereitstellen. Diese wiederum hän-
gen von mehr als 2.900 weiteren Zulieferern (Tier 3) ab
                                                           miteinander verbunden, dass
(Wohlmann/ Rebeggiani 2020). All diese Unternehmen         Ereignisse an einem Ort durch
sind über den gesamten Globus verteilt und besitzen
zudem vielfältige Querverbindungen und Mehrfachbe-
                                                           Vorgänge geprägt werden, die
ziehungen untereinander. Während sich Tier-1-Zulieferer    sich an einem viele Kilometer
oft in der Nähe des Herstellers befinden, kommen Tier-
2- oder 3-Lieferanten aus der ganzen Welt. Produktion
                                                           entfernten Ort abspielen und
und Unternehmen sind heute also häufig über Länder         umgekehrt«
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"Slowbalisation" - Effekte auf Produktions- und Logistikstandorte - No. 35 / 2021
Abb. 02
Globale Netzwerke internationalen Handels in Zwischenprodukten
    Handelszentrum              Bruttohandelsströme

                                                                               Österreich              Tschechien
Grad der Zentralisierung:
                                                            Schweden
                                                                                                                         Ungarn
          niedrig
          hoch                                                                                         Polen
                                                                                 Frankreich
                                   Irland                       Niederlande
                                                                                             Italien          Russland
                                              Vereinigtes Königreich
                                                                                                                              Deutschland
                                            Kanada               Belgien
                                                                                                                    Türkei
                                  Mexiko                                              Schweiz
                                                               USA                                     Spanien

                                            Südkorea
                                                                              China               Brasilien
                                   Taiwan                                                                                         Portugal
                                                       Japan

                                              Singapur                                   Indien
                               Australien                       Hongkong, China
                                                                                                                  Israel

                                                                              Thailand        Südafrika
                                                Malaysia
                                                       Indonesien
                                                                                                        Argentinen

                                                  Vietnam                                Chile

                                                                                                                                     Quelle: World Bank 2017

                            W E LT W I R T S C H A F T U N D I N T E R N AT I O N A L E A R B E I T S T E I L U N G                                            9
„Slowbalisation“ –
eine neue Ära im
Welthandel?

Die zunehmende Verflechtung des internationalen             2020). Wir leben in einer Welt, die immer komplexer
Handels war in den vergangenen 30 Jahren einer der          wird und sich ständig verändert. Vorhersehbarkeit und
dominierenden Faktoren, der die Entwicklung der             Berechenbarkeit von Ereignissen nehmen rapide ab,
Weltwirtschaft geprägt hat. Die Phase der Hyperglo-         Prognosen und Erfahrungen aus der Vergangenheit
balisierung führte zu einer starken Fragmentierung der      als Grundlage für die Gestaltung von Zukunft verlieren
Produktion und der internationalen Wertschöpfungs-          ihre Gültigkeit und Relevanz. Seit der Finanz- und Wirt-
ketten, von der vor allem die Schwellenländer und hier      schaftskrise hat sich die Unsicherheit entsprechend
in erster Linie China profitierten. Doch mit der globalen   mehr als verdreifacht (Abb. 03).
Finanzkrise wurde das Ende der Hyperglobalisierung
eingeläutet. Das globale Wirtschaftswachstum hat sich        Zu diesem Umfeld haben verschiedenen Faktoren bei-
in den vergangenen zehn Jahren verlangsamt, die bis          getragen. So kam es etwa nach der globalen Finanz-
dahin stark wachsende Expansion globaler Lieferket-          krise weltweit zu einer zuerst schleichend einsetzen-
ten wurde abgebremst und immer mehr Unternehmen              den, dann in den jüngeren Jahren expliziten Rückkehr
verlagern ihre Produktion zurück nach Deutschland.           protektionistischer Politik. Stark zur ökonomischen
Die Weltwirtschaft befindet sich in einer neuen Phase,       Verunsicherung beigetragen haben auch so genannte
in der ausländische Vorprodukte für die Produktion der      „Schwarzer-Schwan-Ereignisse“, die in der volkswirt-
heimischen Güter tendenziell weniger wichtig gewor-          schaftlichen Theorie für extrem unwahrscheinliche
den sind. So ist der Anteil der heimischen Wertschöp-        Ereignisse stehen, die das Gewohnte aus dem Gleich-
fung an den Exporten Deutschlands, der Vereinigten           gewicht und Volkswirtschaften und Kapitalmärkte
Staaten und Chinas seit ungefähr 10 Jahren wieder            zum Taumeln bringen. Dazu zählen beispielsweise die
leicht steigend. Dieser Trend der „Slowbalisation“, d.h.    Terrorattacken vom 11. September 2001, die Finanz-
die Verlangsamung der Globalisierung, geht einher mit        marktkrise, der Super-GAU in Fukushima oder aktuell
der zunehmenden ökonomischen Unsicherheit, die               die Corona-Pandemie, durch welche unter anderem
sich im von Stanford-Forschern entwickeltem Welt-            die Risiken globaler Lieferbeziehungen deutlich auf-
unsicherheitsindex ablesen lässt (Felbermayr/Görg            zeigt werden. Als Reaktion hat sich in den letzten zehn

10                                                    FOCUS 35
Abb. 03
   Economic Policy Uncertainty Index

   450

   400

   350

   300

   250

   200

   150

   100

   50

   0
             1997

                    1998

                           1999

                                  2000

                                         2001

                                                2002

                                                       2003

                                                              2004

                                                                     2005

                                                                            2006

                                                                                   2007

                                                                                          2008

                                                                                                   2009

                                                                                                          2010

                                                                                                                 2011

                                                                                                                        2012

                                                                                                                               2013

                                                                                                                                      2014

                                                                                                                                             2015

                                                                                                                                                    2016

                                                                                                                                                           2017

                                                                                                                                                                  2018

                                                                                                                                                                         2019

                                                                                                                                                                                2020
                                                                                                                                                Quelle: PolicyUncertainty.com

Jahren eine Gegenbewegung in Form einer Rückver-                                                 Gesamtzahl weltweiter handelspolitischer Inter-
lagerung von Produktionsaktivitäten aus dem Ausland                                              ventionen seit November 2008:

                                                                                                 15.721
in die Industrieländer (Reshoring) herausgebildet. Da-
bei spielen auch die stärkere Nutzung von Technolo-
gien zur digitalen Vernetzung der Produktion (Industrie
4.0), aber auch Fragen der nationalen Sicherheit eine
gewisse Rolle. All diese Entwicklungen bewirken eine
Modifizierung/Neuausrichtung der globalen Arbeits-
teilung und damit auch der Produktionsstandorte.
                                                                                                 Protektionistische Interventionen
Protektionismus – Freihandel verliert an Strahlkraft

                                                                                                 6.945
Politische Regulierungen und Handelsbeschränkun-
gen verändern globale Handelsströme stetig. Die Welt
der frühen Neunzigerjahre, als die Idee des Multilate-
ralismus Hochkonjunktur hatte, ist zunächst mal passé.
Im Zuge der Finanzkrise hat die Idee des Freihandels
deutlich an Strahlkraft verloren, gerade weil auch China
                                                                                                 Handelserleichternde Interventionen
mit seinem planwirtschaftlichen Modell und der Wirk-
mächtigkeit eines intervenierenden Staates besser
durch die Krise kam als der Westen. In vielen Teilen der
Welt sind seitdem protektionistische Tendenzen wie-
der auf dem Vormarsch. Es ist eine Zeitenwende, in der
die bisher gültigen Regeln der Weltwirtschaft und vor
allem des Welthandels auf der Kippe stehen. Protektio-                                           Quelle: Global Trade Alert (Stand 11/20)

                                           „ S L O W B A L I S AT I O N “ – E I N E N E U E Ä R A I M W E LT H A N D E L?                                                              11
12   FOCUS 35
Abb. 04
                       Protektionistische und liberale staatliche Maßnahmen
                       im Welthandel

                                 protektionistisch           liberal

                       2000
Anzahl der Maßnahmen

                       1800

                       1600

                       1400

                       1200

                       1000

                        800

                       600

                       400

                        200

                          0
                                   2009      2010    2011       2012        2013        2014        2015        2016        2017      2018       2019       2020

                                                                                                                                      Quelle: Global Trade Alert 2020

     nismus und Handelskriege dominieren die Agenda des                                         vermeiden, werden sich globale Lieferketten eher in
     Welthandels. Die Welthandelsorganisation meldete in                                        regionale Pole umorganisieren. So haben sich im Zuge
     den vergangenen Jahren historische Höchststände                                            der fortschreitenden Eskalation des sino-amerikani-
     an Zöllen, Kontingenten und anderen Abschottungs-                                          schen Handelskonflikts nicht nur die Importe der USA
     mechanismen. So waren die Jahre 2018-2020 durch                                            aus China, sondern auch deren Exporte nach China
     eine Zunahme protektionistischer Rhetorik und mehr                                         reduziert (Deutsche Bank 2020), wodurch auch glo-
     als 4.000 weltweit durchgeführte handelsbeschrän-                                          bale Wertschöpfungsnetzwerke massiv beeinträchtigt
     kende Maßnahmen geprägt. Demgegenüber wurden                                               werden. Auch die wirtschaftlichen Folgen des Brexits
     rd. 1.200 handelserleichternde Maßnahmen eingeleitet                                       sind noch nicht gänzlich abzusehen. Dabei werden
     (Abb. 04). Damit werden heute weltweit fast fünfmal                                        nicht nur politische und ggf. handelsbeschränkende
     mehr protektionistische Maßnahmen ergriffen als noch                                       Maßnahmen, sondern auch logistische Probleme wie
     2009 (Global Trade Alert 2020).                                                            die bevorstehenden Grenzwartezeiten den Handel und
                                                                                                den Wirtschaftsbereich Logistik stören. Die Unsicher-
    Allein die G20 Staaten ergriffen von Mai bis Oktober                                        heiten im Zusammenhang mit nationalen Bewegungen
    2019 restriktive Maßnahmen auf ein geschätztes Han-                                         und dem protektionistischen Umfeld veranlassen Un-
    delsvolumen von über 460 Mrd. US-Dollar. Insbeson-                                          ternehmen sich zunehmend auf „bekanntes“ und damit
    dere die Vereinigten Staaten schlugen zuletzt mit der                                       vermeintlich „sicheres Terrain“ zurückzuziehen. Teile
    America-First-Politik von Donald Trump einen restrikti-                                     der Wertschöpfung werden vereinzelt in die Heimat-
    veren handelspolitischen Kurs ein, der u.a. auch Wider-                                     länder zurückverlagert.
    hall in den Handelspolitiken Russlands, der Türkei,
    Chinas und Indiens findet (Deutsche Bank 2020). Die                                         Industrie 4.0 – Neubewertung von Produktions-
    Wiederkehr von Handelsbeschränkungen hat zur Folge,                                         standorten
    dass die globalen Durchschnittszölle wieder ansteigen
    und sich das Wachstum des internationalen Handels                                           Auch die neuen Technologien der Industrie 4.0 wirken
    verlangsamt (Felbermayr 2020). Um Importzölle zu                                            auf die Globalisierung insofern bremsend, dass Kosten

                                                     „ S L O W B A L I S AT I O N “ – E I N E N E U E Ä R A I M W E LT H A N D E L?                                     13
Abb. 05
            Die globale Risikolandschaft 20201

            4,4                                                                                                                    Geopolitik
                                                                       Scheitern der Klimamaßnahmen
                                                                                                                                   Gesellschaft
            4,2
                             infektiöse Krankheiten                                                                                Technologie
            4,0
                                                                                                                                   Umwelt

            3,8                                                                                                                    Wirtschaft

            3,6                                                                                                               1) Einschätzung von über 750 Experten
Einfluss1

                                                                                                      extremes Wetter
                                                                                                                              2) Skala von 1 bis 5, 1 ist sehr unwahrscheinlich
                                                                                                                              und 5 sehr wahrscheinlich
            3,4

            3,2
                                                                                         Cyberangriffe

            3,0
                         Terroranschläge

            2,8

            2,6

                   2,5           2,75                 3          3,3            3,6               4                     4,5

                                                          Wahrscheinlichkeit2

            Quelle: World Economic Forum 2020

  14                                                                                  FOCUS 35
von Produktionsverlagerungen ins Ausland im Ver-                          globale Boom im grenzüberschreitenden Handel und
gleich zur eigenen Herstellung wieder neu bewertet                        der Trend zur Deglobalisierung setzte ein. In Deutsch-
werden. Fast sechs von zehn Industrieunternehmen                          land sank der Anteil von Güterexporten am BIP von
mit mehr als 100 Mitarbeitern in Deutschland nutzen                       fast einem Drittel (2008) auf 26 Prozent (2009). Nach
2020 bereits spezielle Anwendungen aus dem Bereich                        der Rezession stieg der Anteil wieder an, jedoch längst
Industrie 4.0 (Bitkom 2020). 2018 waren es noch 49                        nicht so dynamisch wie zuvor.
Prozent. Deutschland gehört bei der Verwendung von
Robotern zu den weltweit führenden Staaten: 2018                          Seltene Gefahren, wie Naturkatastrophen, Terror-
entfielen hierzulande auf 10.000 Arbeiter 338 Roboter.                    anschläge oder Epidemien, sind ungleich schwerer
Nur in Südkorea und Singapur war das Verhältnis noch                      abschätzbar als wiederholt eintretende Risiken, wie
höher (World Robotics 2019). Die führende Stellung                        Frachtschäden oder Qualitätsmängel, und sind in der
Deutschlands in Bezug auf Industrie 4.0-Anwendungen                       Regel von großer Reichweite geprägt. Basierend auf
innerhalb Europas bedeutet grundsätzlich eine Steige-                     einer Umfrage von über 750 Experten und Entschei-
rung der Wettbewerbsfähigkeit und somit ein „upgrade“                     dungsträgern des World Economic Forums werden
der heimischen Industrie. Der Einsatz von Zukunfts-                       jährlich 30 globale Risiken in fünf Kategorien (Wirt-
technologien bei der Produktion kann eine Vielzahl                        schaft, Umwelt, Geopolitik, Soziales und Technologie)
neuer Geschäftsmodelle und damit neuer Arbeitsstel-                       nach Grad der Besorgnis, Wahrscheinlichkeit und Aus-
len hervorbringen und den Status Deutschlands als in-                     wirkungen, sowie deren Wechselwirkungen dargestellt
dustrielles Rückgrat Europas weiter stärken. Gleichzei-                   (siehe Abb. 05). Sie betreffen nicht nur die Industrie-
tig wird es für Unternehmen zunehmend unattraktiver                       unternehmen und Produktionen selbst, sondern bedro-
ihre Arbeitsplätze ins Ausland zu verlagern. Die „smart                   hen auch die für die globale Vernetzung wesentliche
factory“ benötigt im Zuge erhöhter Automatisierung                        Transportinfrastruktur. Durch das Erdbeben und den
und Robotik weniger Arbeitskräfte als die traditionelle                   Tsunami und die dadurch ausgelösten Reaktorunfälle
Fertigung und eine höhere Produktivität. Darum fallen                     im März 2011 in Fukushima wurden beispielsweise zahl-
die Lohnkosten, die nicht zuletzt auch in vielen klassi-                  reiche Industrieanlagen und Infrastrukturen entlang
schen Niedriglohnländern gestiegen sind (u.a. in China                    der Küste Japans zerstört. Insbesondere im Bereich
+10 Prozent Lohnsteigerung p.a. 2012-2018), bei einer                     der Elektronikzulieferung als eine der Schlüsselindus-
Standortentscheidung zukünftig weniger ins Gewicht.                       trien für viele Branchen, darunter auch deutsche Auto-
                                                                          mobil- und Elektronikhersteller, kam es zu Lieferaus-
Bei der voranschreitenden Entwicklung weg von der                         fällen und -engpässen. Zwar stammten nur knapp fünf
spekulativen Massenfertigung hin zu einer nach-                           Prozent der deutschen Importe im Bereich der Metall-
fragegesteuerten Produktion werden insbesondere                           und Elektronikindustrie aus Japan. Im Juni 2011 ver-
hochqualifizierte Mitarbeiter (u.a. Mechatroniker, An-                    zeichneten dennoch 42 Prozent der Produzenten und
lageneinrichter und Automatisierungstechniker), leis-                     Distributoren von Elektronikgeräten in Deutschland
tungsfähige Infrastrukturen, die räumliche Nähe zu                        vorübergehend Lieferschwierigkeiten (Fuchs 2011).
kaufkräftigen Kunden und eine hohe Flexibilität ent-
lang der gesamten Wertschöpfungs- und Lieferkette                         Die veränderte globale Risikolandschaft schlägt sich
gefragt sein. Die Fertigung der Zukunft wird wohl nä-                     auch in den Unternehmensstrategien nieder. So zeigen
her am Kunden, flexibler, intelligenter und kleiner sein.                 Umfragen, dass rund die Hälfte produzierender Unter-
Und höchstwahrscheinlich werden immer mehr Unter-                         nehmen aus den führenden Industrienationen davon
nehmen die Kosten von Produktionsverlagerungen ins                        ausgehen, in den kommenden Jahren Teile ihrer Pro-
Ausland im Vergleich zur eigenen Herstellung sowie die                    duktion zurück ins Inland zu verlagern, da eine (poten-
Just-in-time-Produktion gegenüber Lagerhaltung neu                        zielle) Störung globaler Lieferketten ein signifikantes
bewerten.                                                                 Risiko für ihre Geschäftstätigkeit bedeuten würde (Kin-
                                                                          kel 2019). Deutschlands wichtigste Industriebranchen,
Schwarze Schwäne – Fragilität globaler Lieferketten                       wie die Automobilindustrie oder der Maschinenbau,
                                                                          sind aufgrund ihrer komplexen Lieferketten besonders
Externe Schocks können die fragilen globalen Wert-                        von exogenen Schocks gefährdet. Die deutsche Wirt-
schöpfungsnetzwerke massiv beeinträchtigen. So                            schaft ist aber auf offene Märkte angewiesen: Jeder
kam es im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise                           vierte Arbeitsplatz in Deutschland und jeder zweite
2008/2009 durch die Finanzierungsengpässe zu                              Arbeitsplatz in der Industrie hängt vom Export ab (DIHK
Brüchen in den globalen Lieferketten und infolge-                         2020). Die Volatilität offener Märkte wird stark von der
dessen zu einem „Bottleneck“ bei Zulieferteilen (Fuchs                    Art des Schocks beeinflusst. Schocks sektoraler Natur,
2011). Mit der internationalen Finanzkrise endete der                     also branchenspezifische Ereignisse, führen zu einer

                               „ S L O W B A L I S AT I O N “ – E I N E N E U E Ä R A I M W E LT H A N D E L?                  15
höheren makroökonomischen Volatilität. Demgegen-                     In der zweiten Phase kam es mit der weltweiten Ver-
 über sind liberale internationale Handelsbeziehungen                breitung des Virus sukzessive zu weiteren Produktions-
 weniger anfällig gegenüber länderspezifischen Schocks,              stopps in vielen Ländern entlang der Lieferketten. Das
 die sich in der Regel auf einen Währungsraum beschrän-              führte wiederum zu Lieferengpässen von Zwischen-
 ken. Hier verleiht der internationale Handel eine Art               produkten in Ländern, in denen noch oder schon wie-
„Versicherungsfunktion“ (Felbermayr/Görg 2020).                      der produziert wurde. Durch die einsetzende Rezessi-
                                                                     on und die damit verbundenen Einkommenseinbußen
Covid-19 – Produktionsstopps und Lieferengpässe                      ging außerdem die Nachfrage nach Konsumgütern
                                                                     zurück. Zusätzlich wurde die Nachfrage nach Investi-
2020 testet die Corona-Pandemie die Belastbarkeit                    tionsgütern gedämpft, weil Unternehmen aufgrund der
der globalen Wertschöpfungsketten. 2019 kamen etwa                   Produktionsstopps, Umsatzeinbußen und zunehmen-
10 Prozent aller importierten Vorleistungen der deut-                der Unsicherheit Investitionen vorübergehend zurück-
schen Industrie aus China. Die „Werkbank“ China ist ein              stellten. Durch eine analoge Entwicklung bei weiteren
bedeutender Abnehmer von global gewonnenen Roh-                      Knotenpunkten des Welthandels entsteht eine Ab-
stoffen und Zwischenprodukten, Produzent verschie-                   wärtsspirale in den globalen Wertschöpfungsketten,
dener Produkte und Komponenten und damit Knoten-                     die weltweit erhebliche wirtschaftliche Schäden ver-
punkt vieler globaler Wertschöpfungsnetzwerke. Der                   ursacht. Die Corona-Pandemie ist ein systemischer
Ausbruch der Corona-Pandemie führte landesweit zu                    Schock, der alle Länder und Branchen (in unterschied-
krankheitsbedingtem Fernbleiben von Arbeitskräften,                  lichem Maße) betrifft. Die WTO prognostiziert, dass der
Schließungen von Betrieben und strengen wirtschaft-                  Welthandel 2020 um rund ein Drittel geringer ausfallen
lichen Einschränkungen. In dieser ersten Phase der                   wird als ohne die Krise (Abb. 06). Darüber hinaus hat
Krise brach die Industrieproduktion in China stärker                 die Pandemie das protektionistische Klima verschärft
ein als beispielsweise während des SARS-Ausbruchs                    und Stimmen nach einer Verkürzung der Lieferketten
2002/2003 oder der Finanzkrise (Görg/Mösle 2020).                    und eine größere Selbstversorgung laut(er) werden
Kurz darauf folgte ein starker Rückgang der internatio-              lassen.
nalen Handelsströme.

     Abb. 06
     Welthandel unter Corona
     Index, 2015 = 100
                Welthandel               Optimistisches Szenario          Pessimistisches Szenario              Trend

     140

                                                                                                 Trend 2011 bis 2019
      120

     100

      80

      60

                             Trend 1990 bis 2008                                                                       Prognose

      40
            2000                                                                                        2019             2022

     Quelle(n): WTO, IWF 2020

16                                                             FOCUS 35
Logistik- und
Produktionsimmobilien
in einer sich wandelnden
Handelswelt

Die Unsicherheiten im Kontext des zunehmend protektionistischen
Umfelds und der erhöhten Frequenz exogener Schocks veranlassen
immer mehr weltweit agierende Unternehmen, sich wieder stärker auf
bekanntes Terrain zurückzuziehen. Teile der Wertschöpfung werden
partiell wieder in die Heimatländer zurückverlagert. Die Geschwin-
digkeit der Globalisierung bremst ab und der Produktionsstandort
Deutschland erlebt eine Renaissance. Diese Neuordnung der globalen
Wertschöpfung wird nicht zuletzt auch die weitere Entwicklung deut-
scher Logistik- und Fertigungsstandorte prägen.
                                                                 17
Rekonfiguration der globalen Wertschöpfungs- und             von Einzelstücken zu den Kosten der Serienfertigung)
Lieferketten                                                 durch den Einsatz von Digitalisierungstechnologien er-
                                                             höhen grundlegend wieder die Attraktivität westlicher
Hatte die großflächige Verlagerung industrieller Fer-        Industrieländer als Produktionsstandort.
tigungskapazitäten ins Ausland in den 1990er Jahren
noch eine Blütephase erreicht, flacht dieser Trend in        Nicht nur die neuen Möglichkeiten der Digitalisierung
den letzten zehn bis zwanzig Jahren wieder ab. Obwohl        könnten die Landkarte weltweiter Produktionsstand-
die Auslandsverlagerung (Offshoring) noch lange kein         orte neu vermessen. Auch die wachsenden globalen
Auslaufmodell ist, hat sich in der deutschen Industrie       Unsicherheiten mit einer zunehmenden Frequenz exo-
eine Gegenbewegung zurück ins Heimatland (Resho-             gener Schocks führen dazu, dass weltumspannende
ring) oder zumindest ins nähere europäische Ausland          Lieferketten sich eher wieder in regionale Pole umor-
(Nearshoring) herausgebildet. Rückverlagerungen              ganisieren könnten. Pandemien wie Sars oder Corona,
von Produktion und Fertigung aus dem Ausland neh-            Naturkatastrophen wie Fukushima oder die globale
men relativ zu Produktionsverlagerungen ins Ausland          Finanzmarktkrise haben wie unter einem Brennglas
zu. Auf jeden dritten Verlagerer ins Ausland kommt ein       verdeutlicht, wie brüchig hochkomplexe weltumspan-
Rückverlagerer ins Heimatland Deutschland (Kinkel            nende Lieferketten sein können. Zwar ist es unmöglich,
2019). Die Motive für die Rückorientierung liegen v. a. in   sich auf all diese „schwarzen Schwäne“ vorzubereiten.
Einbußen bei der Flexibilität und Lieferfähigkeit sowie      Aber sehr wohl gilt es zukünftig aus den Krisen zu lernen
in Qualitätsproblemen begründet (Abb. 07). Generell          und die Wirtschaft robuster, resilienter und „antifragi-
lässt sich bei denjenigen Unternehmen eine höhere            ler“ aufzustellen. Viele Unternehmen werden daher zu-
Rückverlagerungsneigung festhalten, die Technologien         künftig stärker darauf achten, ihre Versorgung mit Vor-
der Industrie 4.0 nutzen und keine standardisierten          leistungen nicht nur unter Effizienzaspekten zu planen,
Produkte anbieten (Bailey et al 2018). Höhere Auto-          sondern Risikoaspekte stärker zu gewichten (Zhenwei
matisierungspotenziale und verbesserte Fähigkeiten           et al 2020). So könnte die steigende Unsicherheit in
zur individualisierten, flexiblen Produktion (Fertigung      Folge der Corona-Krise – Kilic und Marin (2020) er-

18                                                     FOCUS 35
Abb. 07
   Motive für Rückverlagerung aus dem Ausland
   Nennungen der befragten Betriebe des verarbeitenden Gewerbes in %

   Flexibilität, Lieferfähigkeit                                                                                                56%

   Qualität                                                                                                                 52%

   Kapazitätsauslastung                                                                                       33%

   Transportkosten                                                                                         31%

   Koordination                                                                                         27%

   Infrastruktur                                                                              15%

   Personalkosten                                                                           11%

   Know-how-Verlust                                                                    6%

   Nähe zu heimischer F&E                                                            5%

                                                                               0%

                                                                                                                                 Quelle: Kinkel und Jäger 2017

warten basierend auf historischen Datenanalysen                                       licher sowie technologischer Sicht für strategisch un-
eine Steigerung um 300 Prozent – die globale Liefer-                                  verzichtbar gehalten werden oder die Versorgung mit
kettenaktivität um 35 Prozent verringern. Schon in                                    lebenswichtigen Gütern betreffen. Gerade die Pharma-
den ersten Monaten der Corona-Einschränkungen                                         industrie zeigt derzeit deutliche Abhängigkeiten von
waren laut einer Umfrage rd. 86 Prozent der befragten                                 einzelnen ausländischen Handelspartnern. So stammte
weltweit aktiven Unternehmen mit Lieferengpässen                                      2019 fast jede dritte Tonne der pharmazeutischen
konfrontiert und erwarten für die Zukunft, dass die                                   Grundstoffe für die deutsche Industrie aus China
Auswirkungen von Engpässen gravierender werden                                        (Joachimsen 2020). In der Post-Corona-Welt erwarten
(Inverto 2020). Diese wachsenden Herausforderungen                                    nun einige Experten den Aufbau einer neuen Phar-
der Produktion in weltweiten Wertschöpfungsketten                                     maproduktion, die stärker auf Autarkie sowie lokale,
könnten in einigen Branchen/Sektoren eine Rückbe-                                     regionale und nationale Produktionsketten statt „ge-
sinnung auf heimische oder stärker regional orientierte                               streckter“ Globalisierung setzt.
Produktion und/oder eine ausreichende Lagerhaltung
einleiten.
                                                                                      »Others believe that COVID-19
Die Lieferengpässe in der Corona-Krise haben paral-                                   has become a wake-up call for a
lel auch die politischen Debatten darüber angestoßen,
unter dem Aspekt der nationalen Sicherheit weltum-
                                                                                      new balance between risk and
spannende Produktionsnetzwerke zu reduzieren und                                      reward for GVCs, as pandemics,
die Produktion wieder stärker zurück in die Industrie-
länder zu verlagern. Viele Staaten stellen in der Corona-
                                                                                      climate change, natural disasters
Krise ihr eigenes Wohlergehen in den Vordergrund,                                     and manmade crises may ex-
wodurch der Protektionismus zunimmt (World Invest-
ment Report 2020). Die Forderungen kaprizieren
                                                                                      pose the world to more frequent
sich dabei vor allem auf Industrien, die aus wirtschaft-                              crises.«              Zhenwei et al. 2020

                 L O G I S T I K- U N D P R O D U K T I O N S I M M O B I L I E N I N E I N E R S I C H W A N D E L N D E N H A N D E L S W E LT                 19
20   FOCUS 35
Zwar besteht unter Ökonomen Konsens darüber, dass                                  keit reduziert werden. Diese Entwicklung kann wiede-
nicht von einem branchenübergreifenden radika-                                     rum die Wettbewerbsfähigkeit der nationalen und EU-
len Trend zur Deglobalisierung auszugehen ist (Egger                               weiten Zulieferer steigern.
und Görg/Mösle 2020). Denn eine vollständige Rück-
verlagerung der Lieferketten ins eigene Land birgt                                Auch die Bestandshaltung wird, angestoßen durch die
vor allem Risiken einer höheren Exposition gegen-                                 Corona-Krise, wohl neu überdacht werden. Just-in-
über regionalen Schocks und geht einher mit Effizienz-                            Time gilt als ideale Strategie für ruhige Zeiten, baut
verlusten. Und der Druck, Kosten zu optimieren, dürfte                            aber auf stabilen Prozessen in Lieferung, Produktion
sich durch die Corona-Krise für viele Unternehmen                                 und Absatz auf und kann plötzlich gestiegene Unsicher-
eher noch verstärken. Aber es ist zu erwarten, dass                               heiten nicht abfedern. So kam es in der europäischen
sich insbesondere in Sektoren, die stark von globalen                             Automobilindustrie in der Krise durch die vorherr-
Wertschöpfungsketten abhängen und in der Produkti-                                schende Just-in-time Mentalität zu massiven Liefer-
on auf Roboter zurückgreifen können, wie zum Beispiel                             engpässen bis hin zum Produktionsstillstand und
die Auto- und Transportzulieferer sowie die Elektro-,                             Werksschließungen. Daher sind neue krisenfeste Lo-
Chemie- und Textilindustrie, der Trend zum Reshoring                              gistik- und Bestandsstrategien, die eine geringere
weiter verfestigen wird. Genauso wahrscheinlich ist es,                           Abhängigkeit der Warenverfügbarkeit ermöglichen,
dass sich systemrelevante Branchen nicht mehr so                                  künftig gefragt. Dabei wird wohl auch die Abhängig-
stark wie bislang von Drittländern abhängig machen                                keit zu Single Lieferanten abgebaut werden. Mit der
und daher mehr Waren lokal produzieren und auch be-                               weiteren Diversifizierung der Bezugsquellen von Vor-
vorraten werden. Durch die immer geringer werdenden                               und Zwischenprodukten sowie der Erhöhung lokaler
Lohnunterschiede zwischen (Ost-) Europa und dem                                   Sicherheitsbestände, sieht man sich eher in der Lage,
asiatischen Raum können künftig mehr lokale Struktu-                              die Auswirkungen kommender „Schwarzer-Schwan-
ren entstehen, die Produktionen für den europäischen                              Ereignisse“ besser zu steuern und abzufedern.
Bedarf in Osteuropa ermöglichen. Ein vollständiges
Abreißen der globalen Lieferketten ist allerdings auch
in diesen Bereichen unwahrscheinlich.

 Neben der Relokalisierung von Produktionsstandorten
 und der Teilverlagerung von Lieferketten wird außer-
 dem eine stärkere Diversifizierung der Lieferketten
 erwartet. Um die Abhängigkeit von nur einem oder
 wenigen Importländern sowie von der exakten Einhal-
 tung aller vereinbarten Details der Lieferbeziehungen
 weiter zu reduzieren, bedarf es alternativer Lieferan-
 ten. Unternehmen werden höchstwahrscheinlich ihre
 Produkte zukünftig häufiger von mehreren Quellen
 aus unterschiedlichen Regionen beziehen. Die Kom-
 bination der Vorteile lokaler Lieferketten (Sicherheit,
 kurze Beschaffungswege, engere Bindungsmöglich-
 keiten) und globaler Märkte (niedrige Beschaffungs-
 preise) wird unter dem Konzept der „Glokalisierung“
 diskutiert. Durch diese sogenannten Dual- bzw. Multi-
 Sourcing-Strategien mit sowohl inländischen als auch
 internationalen bis globalen Lieferbeziehungen können
„Bottlenecks“ vermieden werden. Dabei wird die Ab-
 hängigkeit zu Single Lieferanten abgebaut. Rund 80
 Prozent von 250 befragten Entscheidern aus den
 Bereichen Produktion, Logistik, Supply Chain Manage-
 ment und Einkauf gaben in einer Umfrage an, dass es
 künftig mehr Multiple Sourcing und Zusammenarbeit
 mit europäischen Lieferanten geben wird (Abels &
 Kemmner 2020). So können Risiken durch Störungen
 innerhalb einzelner Lieferketten und damit verbundene
 Lieferengpässe gestreut und die Schadensanfällig-

              L O G I S T I K- U N D P R O D U K T I O N S I M M O B I L I E N I N E I N E R S I C H W A N D E L N D E N H A N D E L S W E LT   21
Auswirkungen auf den Markt für Light Industrial            — Transformationsimmobilien sind umgenutzte und
Immobilien                                                 revitalisierte Gewerbeliegenschaften auf Industriebra-
                                                           chen mit Nachverdichtungspotenzial, die häufig einen
Die Neuordnung der globalen Wertschöpfungsketten           Campuscharakter aufweisen und in zentraler Lage in
durch (Teil-) Rückverlagerung von Produktionsstätten       gut erschlossenen urbanen Gebieten zu finden sind.
und die Bedeutungszunahme einer sicheren Versor-
gung (durch Einführung von Pufferlagern, Multi-Sour-       — Zu Produktionsimmobilien zählen vor allem Hal-
cing) wird deutliche Effekte für den Industrie- und        lenobjekte für vielfältige Arten der Fertigung und mit
Logistikstandort Deutschland mit sich bringen. Viele       moderatem Büroanteil, die – je nach Lage – grund-
Aspekte sprechen dabei für eine nachhaltig hohe Flä-       sätzlich auch für andere Nutzungen, wie Lagerung,
chennachfrage im Light Industrial Bereich. Darunter        Forschung und Service oder Groß- und Einzelhandel,
versteht man Objekte, die erstens zum Lagern, Kom-         einsetzbar sind.
missionieren und Distribuieren von Wirtschaftsgütern
genutzt werden oder zweitens „leicht industriell“ (ohne    — Gewerbeparks sind zusammenhängende Gebäude-
nennenswerte Emissionen oder sonstige umwelt-              ensembles mit gemeinsamer Infrastruktur und zentra-
belastende Herstellungsprozesse) geprägt sind und          lem Management, die für Mischnutzungen konzipiert
nahe an der Herstellung und Fertigung liegen. Dazu         wurden und meist in zentralen Lagen mit guter städti-
zählen gemischt genutzte Gewerbeobjekte mit Büro-,         scher Anbindung lokalisiert sind.
Lager-, Fertigungs-, Forschungs-, Service- und/oder
Großhandelsflächen mit typischerweise mittelständi-        — Unter Lagerimmobilien sind vorwiegend Bestands-
scher Mieterstruktur. Angelehnt an die Initiative Unter-   objekte mit einfachen Lagermöglichkeiten, teilwei-
nehmensimmobilien unterteilt sich das Light Industrial     se Serviceflächen und anteiligen Büroflächen zu
Segment in fünf Teilbereiche:                              verstehen, die durch Nachrüstung auch für höher-
                                                           wertige Nutzungen geeignet sind und vorwiegend
                                                           innerhalb gewachsener Gewerbegebiete liegen.

22                                                   FOCUS 35
Abb. 08
               Investmentvolumen Light Industrial Immobilien 2015-2020 in Deutschland
                  Sonstige (Industrie)              Unternehmensimmobilien
                                                    (Transformations-/ Produktionsimmobilien, Gewerbeparks)
                  Lager                             Logistikimmobilien

               10.000

                                                                                                                                   238
                9.000

                                                                                 6

                                                                                                          17
                                                                                 2.037
                8.000

                                                                                                                                   3.447
                7.000                                    2.093 396

                                                                                                          2.634
                                                                                 254
                                  227

                6.000
In Mio. Euro

                                  1.821

                                                                                                          425

                                                                                                                                   345
                5.000
                                                          296
                                  308

                4.000

                                                                                                                                                            197 1.146 2
                3.000
                                  4.357

                                                          4.439

                                                                                 6.631

                                                                                                          5.123

                                                                                                                                   5.055
                2.000

                                                                                                                                                            2.531
                1.000

                    0
                                      2015                       2016                    2017                     2018                     2019                    2020
                                                                                                                                                                    1 HJ

                                                                                                                         Daten: Initiative Unternehmensimmobilien 2020

— Unter Logistikimmobilien versteht man Hallenflä-                                              sich hauptsächlich Produktionsimmobilien in der
chen, die zum Lagern, Kommissionieren und Distribuie-                                           Realisierung, die zumeist als Single-Tenant-Immobilien
ren von Wirtschaftsgütern genutzt werden. Grob lassen                                           genutzt werden.
sich die Logistikimmobilien in Cityparks in innerstädti-
scher Lage, die der Versorgung der letzten Meile die-                                           Entsprechend ist das Interesse der Investoren ge-
nen, und großflächige Logistikparks mit Einheiten ab                                            stiegen und richtet sich innerhalb der Assetklasse vor
3.000 Quadratmetern im Umfeld von Ballungsräumen                                                allem auf Logistikimmobilien, gefolgt von Unterneh-
unterteilen.                                                                                    mensimmobilien (Abb. 08). Unter den Unternehmens-
                                                                                                immobilien sind Gewerbeparks mit knapp 1,2 Mrd. Euro
 2019 erreichte das Investmentvolumen im Segment                                                Transaktionsumsatz bei Investoren am begehrtesten.
 Light Industrial mit über 9 Milliarden Euro eine neue                                          Aus Investorensicht sorgt deren Flexibilität und He-
 Rekordmarke. Die zunehmende Beliebtheit dieses Im-                                             terogenität zwar für einen im Vergleich zu Single-Use-
 mobilientyps liegt vor allem in der Mieterstruktur und                                         Objekten höheren Managementaufwand, allerdings ist
 der variablen Nutzungsmischung begründet. Zu den                                               auch das Leerstandsrisiko geringer und die Verweil-
 wichtigsten Mietern zählen nicht nur die Logistik- bzw.                                        dauer der Mieter hoch.
 Transportdienstleister, sondern die Nachfrage wird zu
 jeweils rund einem Drittel aus Industrie, Handel und                                           Light Industrial Immobilien weisen in der Regel lang-
 Logistik gespeist. All diese Branchen zeigten in den                                           fristige Mietverträge mit stabilen Cashflows auf. Die
 letzten Jahren eine positive Beschäftigungsentwick-                                            Vielzahl von Nutzern aus unterschiedlichen Branchen
 lung, die sich auch auf dem Vermietungsmarkt in                                                reduziert auch gerade in Krisenzeiten das Mietaus-
 Gestalt steigender Flächennachfrage und Mieten                                                 fall- oder Leerstandsrisiko gegenüber anderen Asset-
 widerspiegelte. Trotzdem ist die Objekt-Pipeline in den                                        klassen wie Einzelhandels-, Hotel- oder Betreiber- und
 letzten Halbjahren tendenziell rückläufig bzw. stagniert.                                      Spezialimmobilien mit einheitlicher Nutzung und oft
 Auch in den kommenden Jahren wird man wohl nicht                                               nur einem Mieter. Die hohe Nutzungsreversibilität von
 mit einer Entlastung rechnen können. Derzeit befinden                                          Light Industrial Immobilien ermöglicht eine rasche

                          L O G I S T I K- U N D P R O D U K T I O N S I M M O B I L I E N I N E I N E R S I C H W A N D E L N D E N H A N D E L S W E LT                  23
Anteil der institutionellen Anleger, die in Logistikimmobilien
investieren wollen:

8,0 %
2019

17,4 %
2020

     Quelle: Universal Investment 2020

24                                                    FOCUS 35
Anpassung an sich wandelnde Rahmenbedingungen,                                     den Störungen der globalen Lieferketten waren Auto-
wie eine veränderte Flächennachfrage, die Berück-                                  mobilhersteller von den Auswirkungen der Corona-
sichtigung individueller Anforderungen oder die Inte-                              Krise kurzfristig besonders betroffen. Kürzere Liefer-
gration technischer Neuerungen. Gleichzeitig machen                                wege und alternative Lieferanten werden als gangbare
es die modernen Intralogistiktechnologien, Robotik                                 Lösungen betrachtet, die die Wettbewerbsfähigkeit
und fahrerlose Transportsysteme Unternehmen mög-                                   der Automobilindustrie auch in Zukunft sicherstel-
lich, ihre Flächen flexibler und skalierbarer zu nutzen.                           len sollen. Experten erwarten zudem einen Rückgang
Die Produktionsfläche muss nicht wie früher um die                                 des sogenannten „Teiletourismus“ (das Hin- und Her-
Technik herum gebaut werden, vielmehr kann die Auto-                               senden von Komponenten für einzelne Produktions-
matisierung an die Halle angepasst werden. Dadurch                                 schritte zwischen mehreren Ländern), der durch die
können Light Industrial Flächen in der Regel ohne um-                              Klimaschutzdebatte als „grüner Schwan“ zunehmend
fangreiche Anpassungen an neue Nutzer weiterver-                                   in Frage gestellt wird.
mietet werden (IZ 2020).
                                                                                   Im Einzelhandel wiederum sorgten die Ladenschließun-
Vom hohen Marktpotenzial des Light Industrial Seg-                                 gen und die kurzfristig drastisch gesunkene Nach-
ments mit einem geschätzten Marktwert von deutlich                                 frage etwa für eine erhöhte Auslastung der Warenla-
über einer Billion Euro in Deutschland kam bislang al-                             ger. Gleichzeitig kam es im Lebensmitteleinzelhandel
lerdings nur ein kleiner Teil im Immobilieninvestment-                             und Medizinbereich zu einem sprunghaften Anstieg
markt an (Initiative Unternehmensimmobilien 2020).                                 der Nachfrage nach Lagerflächen. Der steigende
Die Eigennutzerquote in diesem Segment liegt aktuell                               Umsatzanteil des E-Commerce am Handelsgeschäft
noch bei über 90 Prozent, jedoch gewinnen Mietlösun-                               wurde durch die Pandemie weiter beschleunigt. Ex-
gen zunehmend an Bedeutung. 2019 wurden Objekte                                    perten zufolge wird die Nachfrage aus dem elektro-
mit einem Gesamtvolumen von rd. 530 Mio. Euro von                                  nischen Handel und der Pharmaindustrie langfristig
Eigennutzern veräußert, 60 Prozent mehr als im Mittel                              hoch bleiben, denn diversifizierte und damit weniger
der vergangenen Jahre. Die Corona-Krise beschleu-                                  krisenanfällige Produktionskapazitäten in diesen Be-
nigt diese Entwicklung. Denn bei vielen Unternehmen                                reichen haben Systemrelevanz und sind mittlerweile
steigt die Bereitschaft, eigene Büros, Produktions- und                            ein Politikum. Aufgrund ihrer Robustheit dürften diese
Lagerhallen zu verkaufen und zurückzumieten, um                                    Nutzungsarten auch langfristig einen größeren Anteil
dringend benötigtes Kapital freizusetzen (IZ 2020).                                in den Beständen und Ankaufsprofilen vieler Investo-
Das eröffnet Marktchancen für die Investoren. Nicht                                ren einnehmen. Denn trotz Corona-Krise gab es fast
zuletzt sind mit Sale-and-lease-back-Verfahren nicht                               keine Portfolioausfälle bei Logistikfonds (IZ/Realogis
selten steigende Flächeneffizienzen und Nachverdich-                               2020). Und nicht nur die Industrie setzt in Zukunft ver-
tungspotenziale für den Investoren verbunden.                                      stärkt auf Diversifizierung. Auch Investoren setzen ihr
                                                                                   Kapital zunehmend breiter gefächert ein und erwei-
Höhere Krisenresilienz im Light Industrial Bereich                                 tern ihr Suchprofil mit bislang überwiegend oder aus-
                                                                                   schließlich Büro-, Hotel- und/oder Handelsimmobilien
Dass Light Industrial Nutzungen insgesamt eine relativ                             um Logistik- und Fertigungsnutzungen. Entsprechend
stabile Nachfrage aufweisen und auch in Krisenzeiten                               ist davon auszugehen, dass die Nachfrage nach Light
vergleichsweise resilient sind, bestätigen die Entwick-                            Industrial Immobilien hoch bleiben oder sogar weiter
lungen der letzten Monate. Durch die Corona-Krise                                  steigen wird.
gewannen einige Teilbranchen an Bedeutung, andere
schwächelten vorübergehend, sodass sich die nega-                                  Dazu wird auch der Trend der Slowbalisation beitragen,
tiven und positiven Auswirkungen auf die Flächen-                                  der durch die Corona-Krise nochmal deutlich an Fahrt
nachfrage insgesamt kompensierten (so genannter                                    gewonnen hat. Durch die Rückverlagerung von Fer-
K-Effekt) (IZ/CBRE 2020). So entfielen in der Logistik-                            tigung und Produktion nach Deutschland und Europa
branche 2019 etwa 28 Prozent des Flächenumsatzes                                   werden zunächst einmal mehr Produktionsimmobilien
auf Nutzer aus dem Bereich Produktion und Fertigung,                               und Logistikflächen benötigt. Die bereits vor Jahren
die durch die Corona-Krise vor große Herausforde-                                  einsetzende Tendenz zum Re- bzw. Nearshoring führt
rungen gestellt wurden. Etablierte Logistikmärkte, wie                             auch dazu, dass weniger Umschlaghallen entlang der
beispielsweise Stuttgart, München und Leipzig, hän-                                globalen Wertschöpfungskette, dafür aber mehr Lager-
gen stark von der Entwicklung der Automobilindustrie                               hallen in Deutschland und Europa (insbesondere in
ab. Diese durchläuft aktuell weitreichende strukturel-                             Osteuropa) erforderlich werden (Savills 2020). Diese
le Veränderungen. Durch die große Abhängigkeit der                                 Entwicklung dürfte sich durch die Krise verstärken und
Branche vom Importland China und die weitreichen-                                  die benötigten Logistik- und Lagerflächen nachziehen.

              L O G I S T I K- U N D P R O D U K T I O N S I M M O B I L I E N I N E I N E R S I C H W A N D E L N D E N H A N D E L S W E LT   25
Auch der zu erwartende Rückgang von Just-in-Time-          Während beispielsweise großflächige Logistikparks
Lieferungen und die Tendenz zu mehr Sicherheits-           der ersten Meile meist auf der grünen Wiese in der
beständen kurbelt die Lager- und Hallenflächennach-        Nähe der Beschaffungs- oder Absatzmärkte angesie-
frage zusätzlich an. Denn wer seine Abhängigkeit von       delt sind und in der Regel über eine gute Anbindung an
den globalen Lieferwegen reduzieren will, hat im Grun-     das Fernstraßennetz verfügen, müssen Lagerflächen/
de nur zwei Möglichkeiten: mehr lokale Produktion oder     Cityparks der letzten Meile in Form von Lieferzentren,
höhere Vorratshaltung (Pufferlager) bei essentiellen       Hubs und kleineren Abholpunkten näher in die Innen-
Produkten mit Versorgungscharakter oder für heimi-         städte vorrücken, um das stark wachsende Paketvolu-
sche Industrien (Pharma, Automotive, Maschinenbau          men bei zugleich immer kürzeren Lieferzeiten (Stich-
etc.). Beide Optionen werden die Nachfrage nach Light      wort „same hour delivery“) bewältigen zu können. Als
Industrial Flächen befeuern.                               Folge des auch zukünftig erwarteten, weiter steigen-
                                                           den Paketsendungsvolumens wird hier insbesondere
Räumliche Muster und Trends                                für den KEP-Sektor (Kurier-Express-Paket-Dienst)
                                                           und den E-Commerce weiter eine hohe Nachfrage-
Die Rekonfiguration der globalen Wertschöpfungs-           kraft nach kleinteiligen, dezentralen Objekten als in-
und Lieferketten begünstigt nicht nur eine höhe-           nerstädtische Verteilzentren mit einem schnellen Zu-
re Attraktivität des Light Industrials Segments in         gang zu den bevölkerungsstarken Gebieten erwartet.
Deutschland insgesamt. Regional schlagen sich die          Städtische Räume könnten darüber hinaus mit dem
strukturellen Veränderungen, beschleunigt durch die        Trend zur digitalisierten, auf Industrie 4.0 ausgerich-
Corona-Krise, unterschiedlich nieder. Für Light Indus-     teten Warenproduktion maßgebliche neue Impulse er-
trial Immobilien ist nach wie vor der Faktor Lage (Lage,   fahren, wie das aktuell gerne verwendete Schlagwort
Lage) ausschlaggebend. Der optimale Standort ergibt        der Urbanen Produktion verdeutlicht. Kennzeichnend
sich dabei aus einer Vielzahl an Parametern, wie einem     dafür ist eine schadstoffarme und emissionsfreie
leistungsfähigen Daten-, Energie- und Verkehrsnetz,        individuelle Produktion in kleinen Losgrößen unter
einem schnellen Zugang zu Absatzmärkten oder einer         hohem Kundeneinbezug. Das typische Standort-
guten Verfügbarkeit gut ausgebildeter Arbeitskräfte.       muster umfasst konsumnahe digitale Innovationen in
Entsprechend liegen die räumlichen Schwerpunkte            der City, kreative Handwerksbetriebe, Manufakturen
der Fertigung, Logistik und Warenlagerung entlang der      und Start-ups in sonstigen innerstädtischen Lagen,
ökonomischen Kernzonen. Dies lässt sich auf europäi-       High-Tech-Distrikte vor allem im randstädtischen
scher Ebene deutlich am räumlichen Konstrukt der so-       Raum sowie industrielle Fabrikproduktion, die eher
genannten „blauen Banane“ erkennen, in der sich von        im Randbereich städtischer Agglomerationen ange-
Norditalien über Süd- und Westdeutschland und die          siedelt ist. Mit den Standards der Industrie 4.0 geht
niederländische Randstadt bis nach London wichtige         grundsätzlich eine sehr enge Verzahnung von Pro-
Produktions- und Logistikhubs aneinanderreihen. Mit        duktion, Logistik, Büro und Service einher. Entspre-
dem Fokus auf Deutschland trifft das vor allem auf         chend ist davon auszugehen, dass die Nachfrage nach
die Regionen Stuttgart, Rhein-Neckar, Rhein-Main,          Transformationsimmobilien und Gewerbeparks in
Rhein-Ruhr zu, die mit ihrer Nähe zu Ballungsräumen        urbanen Räumen langfristig hoch bleiben wird. Auch
und ihrer Verkehrsinfrastruktur optimale Bedingungen       Lager- und Logistikflächen in städtischen Arealen
für Light Industrial Immobilien bieten (Karte 01).         sind gerade im Zuge des wachsenden E-Commerce
                                                           äußerst gefragt, um näher an den Kunden zu rücken
Generell dürfte die zu erwartende stärkere Diversi-        und immer kürzere Lieferzeiten zu garantieren.
fizierung der Lieferketten (Glokalisierung) und die
Erhöhung der Anzahl von Zulieferern (Multisourcing)        Allerdings sind Freiflächen in vielen Verdichtungs-
zu einer steigenden Nachfrage nach intermodalen            räumen stark verknappt, da sie hier mit Büro- und
Standorten führen, sodass insbesondere Standorte im        Wohnobjekten konkurrieren und die Bodenpreise in
Umfeld von Güterverkehrszentren (Terminals für den         der Regel sehr teuer sind. Dazu kommen hohe und
Kombinierten Verkehr) und wichtigen Transportkorri-        zunehmende Auflagen bezüglich des Lärmschutzes,
doren weiter an Bedeutung gewinnen. Ferner dürften         der Verkehrsbelastung und des täglichen Flächenver-
Standorte in Metropolregionen von einer Neuordnung         brauchs (Stichwort Flächenverbrauchsziel „Netto-Null“
der Wertschöpfungs- und Lieferketten profitieren,          bis 2050). Brownfield-Entwicklungen, d.h. Konversion
wenn auf die räumliche Nähe von Einkaufs-, Produk-         und Nutzung ehemaliger gewerblich genutzter Flä-
tions- und Absatzmärkten gesetzt wird (Local-for-          chen, werden in diesem Kontext immer wichtiger. Eine
Local-Sourcing).                                           Lösung für die wachsende City-Logistik könnten mit-
                                                           telfristig auch zum Beispiel Baumärkte bieten. Zwar

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Karte 01:
Erreichbarkeit von Großstädten

Erreichbarkeit von Großstädten innerhalb
von 90 Minuten LKW-Fahrzeit
            Autobahn

                                                                                                                                                Quelle: BSSR

              L O G I S T I K- U N D P R O D U K T I O N S I M M O B I L I E N I N E I N E R S I C H W A N D E L N D E N H A N D E L S W E LT                  27
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